soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 3 (2009) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standortredaktion Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/126/195.pdf
Seit den wissenschaftstheoretischen Beiträgen von König & Zedler Mitte der 90er Jahre zur Position und Bilanz qualitativer Sozialforschung verbreitet sich in der Sozialforschung ein integratives Paradigma. Der vormalige Positivismusstreit gilt heutzutage als überwunden, wenngleich nach wie vor Berührungsängstlichkeiten von Vertreterinnen und Vertretern qualitativer und quantitativer Sozialforschung zu vermerken sind. Inwiefern quantitative und qualitative Forschungslogiken gemäß Themenstellungen, Zielgruppen, pragmatischer Rahmenbedingungen oder des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses angemessen sind und einzeln wie kombiniert eingesetzt werden können, bleibt fallweise aber auch professionsweise zu prüfen und zu begründen. Die hier vorgestellten Werke bieten ihre je spezifische Sichtweise auf diese Thematik und liefern damit auch einen Beitrag zur Professionalisierung in der Sozial- und Sozialarbeitsforschung.
Erika Steinert & Gisela Thiele (Hrsg.): Sozialarbeitsforschung für Studium und Praxis. Peter Lang. Frankfurt/M. 2008
374 Seiten / 21,50 EUR
Erstmalig liegt ein Studien- und Lehrbuch vor, das in allen seinen Aspekten die Bedeutung der Sozialforschung konsequent auf die Belange der Sozialen Arbeit bezieht. Die Autorinnen skizzieren damit Elemente einer Sozialarbeitswissenschaft, die zwar quantitative und qualitative Ansätze miteinander verbindet, für die sie aber aus drei Gründen den Einsatz qualitativer Methoden als primär ansehen: Dies ist erstens der Fallbezug Sozialer Arbeit, zweitens die Komplexität sozialer Handlungsfelder und Problemlagen und drittens die Prozessbezogenheit von Ereignissen. Gemäß dieser breit eingeführten Argumentationslinie stellen die Autorinnen jene qualitativen Forschungsinstrumentarien dar, die i.E. dem Feld und der Ausbildung Sozialer Arbeit angemessen sind (z.B. leitfadengestütztes Interview, Gruppendiskussion und Beobachtung). Aber auch in die Theoriebildung und Methodik der quantitativen Sozialforschung wird mit sozialarbeiterischem Bezug eingeführt. Die besondere Stärke des Buchs liegt darin, dass alle Beispiele an der Sozialen Arbeit ausgerichtet sind und sowohl die Forschungspraxis von Studierenden ins Auge fassen (z.B. Eignung für Diplom- und Master-Arbeiten) als auch die elaboriertere Praxis von Sozialforschenden. Als Lehrende der Sozialarbeitswissenschaft und Sozialforschung stellen die Autorinnen die Methoden an eigenen Forschungsbeispielen dar. Sie begeben sich damit auf eine Konkretisierungsebene, wie sie in anderen (klassischen) methodologischen Lehrbüchern kaum zu finden ist. Unabhängig davon, ob wir der Argumentationslinie für eine eigenständige Sozialarbeitsforschung folgen oder nicht, ist dieses Buch für Studierende, Lehrende und Forschende in der Sozialen Arbeit ein absolutes Muss.
Udo Kelle: Die Integration qualitativer und quantitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung - Theoretische Grundlagen und methodologische Konzepte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 22008
329 Seiten / 34,90 EUR
Quasi als Fortsetzung der oben angeführten Diskussion legt Udo Kelle das zentrale und aktuelle Werk zum skizzierten methodologischen Paradigmenwechsel vor. Er diskutiert die wesentlichen Aspekte dieser Debatte und entwirft ein darauf bezogenes (idealtypisches) methodologisches Programm, ohne dabei - wie er es eingangs formuliert - der Gefahr zu erliegen, der Forschungspraxis "sterile Konzepte" und "undurchführbare Regeln" aufzuzwingen. Als Vertreter der methodischen und methodologischen Kombination in der Sozialforschung unterbreitet Kelle eine Fülle an Pro- und Kontra-Argumenten, die für ihn u.a. darauf hinauslaufen, die Schwächen des jeweiligen Ansatzes zu erkennen und durch Stärken des jeweils anderen Ansatzes auszugleichen. Wie sich sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden kombiniert einsetzen lassen, wird an empirischen Beispielen nachvollziehbar dargestellt. Das Buch endet mit der knappen Erläuterung fünf zentraler Thesen für eine empirische Sozialforschung "jenseits des Methodendualismus". Aus ihnen geht u.a. auch Kelles an Axiomen der Handlungsforschung ausgerichtetes Methodenverständnis hervor. Diese Position leistet nicht zuletzt einen konstruktiven Beitrag dafür, mit der Methodenintegration eine emanzipative Sozial- und Sozialarbeitsforschung theoretisch zu begründen.
Marc Ant, Andreas Hammer & Oded Löwenbein (Hrsg.): Nachhaltiger Mehrwert von Evaluation. W. Bertelsmann. Bielefeld 2008
374 Seiten / 34,90 EUR
Der vorliegende Sammelband unterstreicht die Bedeutung und den Nutzwert von Evaluation als Begleitmaßnahme zur Entwicklung von Programmen und Modellprojekten. Die renommierten Beiträge reflektieren zu einem großen Teil Erfahrungen mit der Evaluation des europäischen EQUAL-Programms, einer Entwicklungsinitiative von Projektverbünden zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheiten mit dem Fokus auf berufliche Integration. Die Teilthemen (z.B. Nachhaltigkeit, Qualitätsmanagement, Arbeitsmarktpolitik u.v.a.m.) sind interessant aufbereitet, indem sie aus Sicht der Programmverantwortlichen, der Projektverantwortlichen und der Evaluation multiperspektivisch beleuchtet werden. Es überrascht nicht, wenn in Beiträgen auch kritische Aspekte gegenüber der Evaluation als Meta-Methode angeführt werden (z.B. in Bezug darauf, dass oft inhaltliche und finanzielle Evaluation voneinander getrennt umgesetzt werden), definiert sich doch Evaluation selbst als ein bewusst kritisch-konstruktives Verfahren. Wenn sich jedoch so etwas wie eine gemeinsame Sichtweise aus den Beiträgen destillieren lässt dann jene, dass Evaluation, so sie mit Blick auf international übliche Standards umgesetzt wird, einen wesentlichen Beitrag zur Prozessoptimierung und damit Zielerreichung sozialer Programme und Projekte leistet.
Joint Committee on Standards for Educational Evaluation / James R. Sanders (Hrsg.): Handbuch der Evaluationsstandards. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2006
362 Seiten / 49,90 EUR
Mit der Gründung der Evaluationsagenturen SEVAL (Schweizerische Evaluationsgesellschaft) und DeGEval (Deutsche Gesellschaft für Evaluation) nach US-amerikanischem Vorbild wurden Voraussetzungen geschaffen, Evaluationen im deutschsprachigen Raum nach hohen, international vergleichbaren Qualitätskriterien umzusetzen. Das vorliegende Handbuch präsentiert die ethischen und handlungsrelevanten Grundlagen hierfür, nämlich die US-amerikanischen Evaluationsstandards des "Joint Committee ...", das ist eine zentrale Evaluationsagentur zur Bewertung amerikanischer Schulentwicklung. Im ersten Teil des Handbuchs werden die amerikanischen Standards vorgestellt und deren Hintergründe beschrieben, der zweite Teil stellt ca. 25 deutsch- und fremdsprachige Normwerke der Evaluation vor und vergleicht diese mit den Standards des Joint Committees. Als Ergänzung zur deutschsprachigen Ausgabe bietet das Handbuch zudem sechs tiefergehende Beiträge zur Entwicklung im europäischen Raum und zur Übertragbarkeit auf verschiedene Anwendungsfelder. Des weiteren werden die Standards der SEVAL und der DeGEval vor- und gegenübergestellt. Das Werk ist für eine handlungsfeldorientierte Sozialforschung, deren Zweck darin besteht, soziale Realität ethisch fundiert zu beschreiben, zu bewerten und zu entwickeln, absolut grundlegend. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich diese Standards als Qualitätsagenten in Förderprojekten der Evaluationsforschung durchsetzen und zu einer Marktbereinigung führen.
Angelika Ittel & Hans Merkens (Hrsg.): Veränderungsmessung und Längsschnittstudien in der empirischen Erziehungswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2006
148 Seiten / 29,90 EUR
Quantitative Längsschnittstudien erlangen in den Sozialwissenschaften einen zunehmenden Stellenwert und gehören nach wie vor zu den gehobenen Designs empirischer Sozialforschung. Dies liegt einerseits daran, dass mit ihnen oft psychosoziale Veränderungen erfasst werden sollen, deren Signifikanz sich aufgrund verschiedener Einflussfaktoren nur über Zeitreihen nachweisen lässt. Andererseits überträgt sich ein Phänomen unserer schnelllebigen Zeit auch auf den Bereich der empirischen Sozialforschung (zumindest für jene Kolleginnen und Kollegen, die dem Druck von "publish or perrish" objektiv oder subjektiv unterliegen), nämlich möglichst rasch möglichst viele Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Dennoch ist eine Zunahme an Längsschnittstudien zu verzeichnen, deren Methodologie im vorliegenden Sammelband am Beispiel von pädagogischen und psychologischen Forschungsprojekten ausgebreitet wird. Die Beiträge präsentieren in knapper Form methodische Varianten der Veränderungsmessung und reichen thematisch von der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses über die Stabilität politischen Interesses bis zur geschlechtsspezifischen Entwicklung sozialer Dominanz im Jugendalter. Für den Sektor der Sozialen Arbeit dürfte die quantitative längsschnittorientierte Erforschung empirischer Daten vor allem dann interessant sein, wenn es darum geht, personenbezogene Veränderungen nachzuweisen. Darum sollte dieses Buch auch trotz der, wie eingangs unterbreitet, eher qualitativen Orientierung einer Sozialarbeitsforschung auch in der Sozialen Arbeit wahrgenommen werden.
Frederic Fredersdorf / fre@fhv.at