soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 4 (2009) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standortredaktion Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/161/238.pdf
Forschungsansätze entwickeln sich permanent, auch bereits bekannte Theoriepositionen oder Forschungsmethoden. In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen darum in drei Rezensionen zu den Themen Aktionsforschung, Gruppendiskussion und Zeitreihenanalyse ein paar aktuelle Aspekte der der empirischen Sozialforschung nahebringen.
Hart, E. & Bond, M.: Aktionsforschung. Handbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe. Hans Huber. 2001
234 Seiten / 14,95 EUR
Aktions- oder Handlungsforschung vertritt ein Paradigma, das sich für die Evaluation sozialer Handlungsfelder besonders eignet, weil es methodologische und handlungspraktische Brücken zwischen Forschungsansätzen sowie Forschenden und den Beteiligten im untersuchten Feld zu schlagen vermag. Im deutschen Sprachraum wurde der Ansatz durch die emanzipative Schulforschung der 70er und 80er Jahre bekannt, konnte sich aber während des Positivismusstreits nicht prominent bzw. integrativ darstellen. Mit dem Aufkommen verbindender wissenschaftstheoretischer Ansätze zwischen qualitativer und quantitativer Forschung, und dem intensivierten Bedarf an Evaluationen und begleitenden Studien im Sozial- und Bildungssektor, gerät Aktions- oder Handlungsforschung erneut stärker in den Blickpunkt. Hierzu trägt das o.g., aus dem Amerikanischen übersetzte, Werk bei. Es bietet einen Überblick über die theoretischen und praxisbezogenen Grundlagen der amerikanisch geprägten Aktionsforschung im Gesundheits- und Sozialbereich. Umfeld, Prozess, Praxis und Werkzeuge dieses Ansatzes werden darin mit Bezug auf Kurt Lewin und mehrere Fallstudien breit erörtert. Dem theoretischen Bereich ist zu entnehmen, dass auch "Aktionsforschung" kein einheitliches Konstrukt ist, und damit nicht "rezeptartig" eingesetzt werden sollte. Dem praktischen Bereich entnehmen wir, dass dieser Ansatz bestens ethisch fundiert ist, und in welchen Varianten er erfolgreich im Gesundheits- und Sozialbereich eingesetzt werden kann. Dieses Buch spricht mehr Zielgruppen als nur Forschende an; es ist ein "Muss" für alle, die sozial tätig sind und die Frage nach dem Nutzwert des eigenen Handelns stellen oder gestellt bekommen.
Dammer, I. & Szymkowiak, F.: Gruppendiskussionen in der Marktforschung. Rheingold. 2008
191 Seiten / 23,90 EUR
Mit der zunehmenden Anzahl methodischer Varianten legt die qualitative Sozialforschung inzwischen ein breites und wissenschaftstheoretisch begründetes Repertoire an Erhebungsmethoden vor. Die Gruppendiskussion stellt sich derzeit innerhalb verschiedener Disziplinen als ein gut beschriebenes qualitatives Instrument dar, das aus dem besonderen Gruppensetting spezifische Erkenntnis zu generieren vermag. Dammer und Szymkowiak bringen uns das Verfahren aus betrieblicher Perspektive näher, was aber auch Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nicht davon abhalten sollte, deren Begründungen und Handlungsvorschläge wahrzunehmen und zu diskutieren. Denn im Kern beziehen die Autoren ihre theoretischen und praxeologischen Begründungen der Gruppendiskussion zwar auf Aktivitäten der Marktforschung. Aber auf der Meta-Ebene gelten die Erörterungen für jeden Bereich, innerhalb dessen das Verfahren angewendet werden kann. Somit spricht nichts dagegen, die Erfahrung von Marktforschern auch auf sozialwissenschaftliche Forschung und Entwicklung zu übertragen. Das Buch bietet nach einführenden Kapiteln zur Gruppe als soziale Einheit und zur Funktion von Gruppendiskussionen handlungspraktische Erkenntnis. Es beschreibt, wie Phänomene der Gruppendynamik genutzt werden, um aufschlussreiche Ergebnisse zu produzieren, welcherart Moderationstechniken strukturiert angewendet werden können, und wie die qualitativen Daten der Diskussion dokumentiert und ausgewertet werden. Haben wir erst einmal den in der Sozialwissenschaft eher unüblichen Duktus akzeptiert, erschließen sich die verschiedenen Aspekte des Verfahrens "Gruppendiskussion" recht eingängig.
Neusser, K.: Zeitreihenanalyse in den Wirtschaftswissenschaften. Vieweg & Teubner. 22009
289 Seiten / 31,50 EUR
Um Veränderungen zu messen, ist zumindest ein Forschungsdesign mit drei Erhebungszeitpunkten notwendig. Doch selbst damit sagen Studien noch nichts über Langzeitverläufe von Effekten aus. Das können nur Analysen von Zeitreihen leisten, die über eine Fülle von Messzeitpunkten (mindestens 50) erhoben werden. Hieraus lassen sich Entwicklungen nachzeichnen und Muster erkennen sowie begründete Prognosen für weitere Entwicklungen ableiten. Um die mathematischen Funktionen von Zeitreihenanalysen nachzuvollziehen, ist das o.g. Buch bestens geeignet. Es bietet fundierte Überblicke über in der Wirtschaftsmathematik übliche uni- und multivariate Zeitreihenverfahren, erfordert jedoch grundlegende Statistikkenntnisse sowie einen geübten Umgang mit mathematischen Formeln. Wer eine leicht verständliche Einführung in die Thematik erwartet, wird daher enttäuscht; verbale Beschreibungen und Begründungen einzelner Analyseverfahren verstecken sich "zwischen den Zeilen" und sind auch ziemlich spartanisch gehalten. Die wichtige Logik der Materie hätte durchaus prominenter verbal-beschreibend herausgehoben werden können, um das Verständnis zu erleichtern. Zumindest aber wäre ein Glossar der zentralen Termini für den Seiteneinstieg in die Materie hilfreich gewesen. Insofern erinnert das Werk an den "frühen Bortz", dessen psychologisches Empirie-Grundlagenwerk der 80er Jahre erst in den 90er Jahren mit Hilfe einer schreibdidaktischen Assistenz für mathematisch geringer Gebildete besser lesbar wurde - und damit aber auch einem breiteren Zielpublikum eröffnet werden konnte. Der wichtigen Bedeutung von Zeitreihenanalysen auch für die sozial(arbeits)wissenschaftliche Forschung tut dies allerdings keinen Abbruch - ebensowenig der Bedeutung der in diesem Buch dargestellten Methoden. Denn in sozialen Kontexten ist es zusehends wichtig, Forschung zu größeren Gesamtheiten und längeren Zeiträumen umzusetzen und soziale Indikatoren ähnlich der Entwicklung wirtschaftlicher Daten auf mathematisch sicherer Basis interpretieren zu können. Vielleicht werden dann nicht nur "Wirtschaftsweise" sondern auch "Sozialweise" breiter wahrgenommen.
Frederic Fredersdorf / fre@fhv.at