soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 4 (2009) / Rubrik "Thema" / Redaktion soziales_kapital
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/167/240.pdf


Brigitte Kratzwald:

Innovativ, effizient, kundInnenorientiert


Soziale Trägerorganisationen als Dienstleistungsunternehmen

1. Ausgangslage, Forschungsfrage und Forschungsdesign
Bei Betrachtung der sozialen Trägerlandschaft über den Zeitraum der letzten etwa 10 Jahre fallen gravierende Veränderungen auf. Die Trägerorganisationen haben ihre Struktur zum Großteil von Vereinen zu GesmbHs gewandelt, der Stil ihrer Präsentation nach außen vermittelt Werte, die denen profitorientierter Unternehmen entsprechen, man spricht von Produkten, Markt und Kunden, die Wettbewerbsfähigkeit, die Innovationsfähigkeit und die Effizienz werden betont. Bei zwei Fallstudien an Trägervereinen der Jugendwohlfahrt in der Steiermark und in Salzburg wurde deutlich, dass diese Veränderungen nicht nur an der Oberfläche erfolgt sind, sondern die Selbstdarstellung der Organisation und die Selbstwahrnehmung der MitarbeiterInnen auf allen Hierarchieebenen repräsentieren. Diese Veränderungen werden auch durchwegs akzeptiert und in verschiedenem Ausmaß positiv konnotiert. Das ist eine auffallende Veränderung gegenüber einer Untersuchung, der Autorin aus dem Jahr 2004, wo sich alle Befragten skeptisch gegenüber einer Anpassung sozialer Dienste an eine Marktlogik äußerten und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Qualität der Arbeit durch diese Veränderungen befürchteten oder schon wahrnahmen. Dem entspricht auch die Entwicklung in der Fachliteratur. Die fachlich und theoretisch fundierte Argumentation gegen die Unterordnung Sozialer Arbeit unter die Marktlogik und die Übernahme betriebswirtschaftlicher Instrumente, die um die Jahrtausendwende im Theoriediskurs der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit eine wichtige Position einnahmen, wurde nicht weitergeführt. Heute dominieren Arbeiten über Wirkungsorientierung, Qualitätsmanagement und die Möglichkeit der Erarbeitung von Standards und geeigneten Messinstrumenten. Der Schwerpunkt der Theoriebildung verschob sich also von der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Entwicklungen auf die Möglichkeiten praktischer und fachlich fundierter Umsetzung der unter den neuen Bedingungen erforderlichen Maßnahmen. Das ist sicher notwendig für eine theoretisch fundierte Arbeit, deutet aber in dieser kurzen Zeitspanne und in dieser Ausprägung auch auf einen Paradigmenwechsel hin.

Die Frage, die in diesem Artikel aufgeworfen wird ist, welche Faktoren mussten auf welche Weise zusammenwirken, damit solche Veränderungen in kurzer Zeit stattfinden konnten? Es geht dabei nicht nur um strukturelle oder theoretische Veränderungen, sondern vor allem auch um Veränderungen der Subjektivierungsweisen und Identitäten der Beteiligten.

Für die Behandlung dieser Fragestellung wurde ein Zugang gewählt, der die Transformationsprozesse in sozialen Trägervereinen und ihre Auswirkungen für die dort Beschäftigten in einen größeren politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang stellt und von einer Änderung der Regierungsrationalität ausgeht, von der Soziale Arbeit zentral und zweifach betroffen ist. Die von Michel Foucault entwickelte Theorie der Gouvernementalität bietet ein Modell für die Untersuchung dieses Prozesses an.

Die Ausgangsthese der Untersuchung ist, dass beim Übergang von wohlfahrtsstaatlicher zu neoliberaler Gouvernementalität die Position und Funktion von Sozialpolitik und sozialen Dienstleistungen neu definiert wurde. Das zwang soziale Trägerorganisationen sich von wertorientierten Non-Profit-Organisationen zu wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen zu wandeln. Mit Hilfe einer Dispositivanalyse wird rekonstruiert, mit Hilfe welcher Diskurse, Praktiken und Mechanismen diese Transformation durchgesetzt wurde. Im Folgenden werden die Konzepte Gouvernementalität und Dispositiv erklärt und ihre konkrete Bedeutung für Sozialpolitik und Soziale Arbeit deutlich gemacht. Dann wird an Hand empirischer Forschungsergebnisse eine mögliche Form der Beschreibung dieser Transformationsprozesse zur Diskussion gestellt.

2. Gouvernementalität - die Kunst der Regierung freier Menschen
Gouvernementalität tritt nach Foucault am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert auf, ausgelöst durch das Aufkommen liberaler Theorien, die Menschen als grundsätzlich freie Individuen sehen, die in der Lage sind, rationale Entscheidungen zu ihrem Vorteil zu treffen. Die Notwendigkeit und die Aufgaben von Regierung wurden dadurch prinzipiell in Frage gestellt. In Folge bedurfte es einer neuen Rationalität des Regierens, bei der weniger über Gesetze als viel mehr über Strategien und Taktiken regiert wird (vgl. Foucault 2004, S. 150). Es werden nicht die Handlungen der Individuen normiert und kontrolliert, sondern die Rahmenbedingungen so arrangiert, dass Individuen sich entsprechend der Regierungsrationalität verhalten. Gouvernementalität ist "die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit" (ebd., S. 162), welche es ermöglicht, diese spezifische Machtform auszuüben, indem sie in die Selbstbildungsprozesse der Individuen eingreift.

Liberale Regierungskunst, die sich die Aufgabe der Regierung freier Individuen stellt, steht nämlich immer auch vor der Notwendigkeit, die Individuen, die auf diese Weise regiert werden können, erst herstellen zu müssen. Das Ziel sind Individuen, "... who do not need to be governed by others, but will govern themselves, master themselves, care for themselves" (Rose 1996, S. 45). Das Konzept der Gouvernementalität verknüpft also unter dem Begriff der Regierung die Entstehung moderner Staaten mit modernen Subjektivierungsformen (vgl. Lemke 1997, Vorwort). Auf pädagogische Fragestellungen bezogen findet sich ein Hinweis auf diese Regierungsform erstmals bei Rousseaus "Emile", bezeichnenderweise in Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag. Rousseau will die Unterwerfung des Heranwachsenden unter den Erzieher vermeiden, indem der Erzieher so auf den Knaben einwirkt, dass dieser den Eindruck habe, er folge seinem eigenen Willen, wenn er das gesellschaftlich wünschenswerte Verhalten entwickelt. Es handle sich "nicht so sehr darum, was ein Mensch an sich selbst tun kann, als darum, was wir an unserem Zögling tun können durch die Wahl der äußeren Umstände, in die wir ihn hineinversetzen" (Rousseau 1895, S. 14).

Die aktuelle Praxis wird von Jugendlichen z.B. so beschrieben: "Mit der Leistung kommt auch das Konkurrenzdenken, was in der Schule vermittelt wird: Früh wird uns klar gemacht, dass wir in einer globalisierten Welt leben und daher ohne Kampf und Leistung keinen Arbeitsplatz bekommen". Und dieser Leistungsdruck wird auch auf den sexuellen Bereich übertragen: "Jeder möchte seiner Freundin oder seinem Freund den besten Sex der Welt bieten" (Der Standard, 21.Okt.2009, S. 35).

Die Tätigkeit der Regierung von Individuen beschränkt sich also keineswegs auf den Einflussbereich staatlicher Autorität. Vielmehr werden, um Menschen aus der Ferne regieren zu können, Institutionen von Bürokraten, Managern und Experten zwischen Staat und Bevölkerung geschaltet und agieren in Bereichen, die nicht dem Politischen zugerechnet werden, um dort das Verhalten von Individuen entsprechend der jeweiligen Norm zu formen. Soziale Arbeit, deren Kernaufgaben ja die Initiierung und Begleitung von Selbstbildungsprozessen einerseits und die Anpassung an gesellschaftliche Normen, d.h. die Anwendung von Fremdführungstechniken andererseits sind (vgl.Kessl 2005, S.36) ist eine dieser Institution zur Führung von Individuen. Auch in Unternehmen ebenso wie in Familie oder Schule (s. oben) und anderen Institutionen entfalten gouvernementale Strategien ihre Machtwirkung auf Individuen und bestimmen ihre Selbstformungsprozesse. Gouvernementalität passiert also in einem Wechselspiel zwischen Herrschaftstechniken und Selbsttechniken, zwischen Selbstführung und Fremdführung in vielen Bereichen der Gesellschaft (vgl. Lemke 2007, S. 37 und Kessl 2005, S. 50). Das Konzept der Gouvernementalität lässt daher auch die in den Sozialwissenschaften übliche Trennung in Staat, Markt und Zivilgesellschaft ebenso wie die Annahme voneinander unabhängiger Systeme wie Wirtschaft, Politik, Bildung, usw. als Produkt von Regierungsstrategien erscheinen (vgl. Rose 1996, S. 37 - 38), deren Stellung zueinander durch Wissens- und Machtpraktiken bestimmt ist und sich im Lauf der Geschichte auch immer wieder verschoben hat.

In diesem Wechselspiel von Fremdführung und Selbstführung passieren Autonomiegewinn und Unterwerfung im selben Prozess (vgl. Bröckling / Krasmann / Lemke 2000, S. 12), eine Erfahrung, die in der Sozialen Arbeit als das Spannungsverhältnis zwischen "Hilfe und Kontrolle" von jeher präsent ist. Ebenso wie absolute Autonomie, endgültige Befreiung aus der Unterdrückung, unmöglich ist - Selbstführung ist, wie aus den oben angeführten Beispielen deutlich wird, Teil von Regierungsprogrammen, nicht Befreiung davon (vgl. Kessl 2005, S. 51) - können auch Regierungsprogramme nie 1:1 umgesetzt werden, da die beteiligten Akteure immer auch - zumindest in begrenztem Ausmaß - die Möglichkeit der Modifikation und widerständigen Aneignung haben (vgl. Bröckling 2007, S. 38 - 42).

Kritik und Modifikationen gehen häufig wieder in die Regierungsprogramme ein, der Widerstand bestimmt also die Richtung der Macht mit (vgl. Bröckling 2007, S. 40). Ein Beispiel für die Untrennbarkeit von Autonomiegewinn und Unterwerfung unter gesellschaftliche Anforderungen ist die Partizipation, von SozialarbeiterInnen seit jeher gefordert und mittlerweile auch gesetzlich verankert. Die - durchaus wünschenswerte - Einbeziehung von Jugendlichen bei der Erstellung von Diagnose und Hilfeplänen, führt auch dazu, dass ihnen die Verantwortung für ihre Situation und deren Überwindung zumindest zum Teil übertragen wird, dass sie aufgefordert sind, sich im Sinne gesellschaftlicher Anforderungen weiter zu entwickeln und damit die Subjektivierungsform des "unternehmerischen Selbst" übernehmen. Eine Diskussion über diese Ambivalenz des Partizipationskonzepts findet sich z.B. bei Fach 2004.

3. Von der wohlfahrtsstaatlichen zur neoliberalen Gouvernementalität
Während der Entwicklung vom liberalen Staat des 19. Jahrhunderts über den Wohlfahrtsstaat zum neoliberalen Wettbewerbsstaat haben sich die Aufgaben, die dem Staat, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zugeschrieben wurden, sowie das Verhältnis zwischen diesen Bereichen, mehrfach verschoben, dabei diese Institutionen auch transformiert und in neuem Kontext verortet. Diese Veränderungen lassen sich auch in der historischen Entwicklung von Sozialarbeit und Sozialpädagogik nachvollziehen, die sich von einer disziplinierenden (Kontrolle, "Brechen" des eigenen Willens) über eine belehrende und unterstützende ("Besserung" des Menschen) hin zu einer aktivierenden (Hilfe zur Selbsthilfe) Funktion entwickelte.

Soziale Arbeit als Wissenschaft und Profession konnte sich erst im Zuge der Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten in ihrer Funktion als verlängerter Arm des Staates etablieren, als das Soziale zum Aufgabenbereich des Regierungshandelns wurde und der Begriff der Sozialpolitik auftauchte. Vorher war Soziale Arbeit im Bereich privater Wohltätigkeit angesiedelt. Im aktuellen, neoliberalen Paradigma wird ihr eine wettbewerbs- und marktunterstützende Funktion zugewiesen, sie gilt als Investition in Humankapital und soll Folgekosten sozialer Exklusion oder Kriminalität verhindern.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die negativen Auswirkungen des Industriekapitalismus unübersehbar und führten zu einer Krise liberaler Gouvernementalität. Um die Reproduktion der Arbeitskraft sicher zu stellen und durch den Druck der erstarkenden Arbeiterbewegung wurde dem Staat die Aufgabe zugewiesen, die sozialen Folgewirkungen der kapitalistischen Produktionsweise auszugleichen. Regierung im Wohlfahrtsstaat war eine "Regierung des Sozialen" und eine "Regierung durch die Gesellschaft" (vgl. Rose 1996, S. 39 - 40), d.h., dass als Ausgangspunkt für Regierungstätigkeit soziale Absicherung und Vollbeschäftigung galten und alle anderen Bereiche der Gesellschaft - Wirtschaft, Bildung, Familie darum herum organisiert wurden. Für diese Regierungsaufgabe wurden ExpertInnen für Bildung, Gesundheit, soziale Fragen und Probleme direkt in Regierungsprogramme eingebunden, sie wurden mit staatlicher Autorität ausgestattet und für den Staat unverzichtbar. Sie konnten sich dadurch eine Position fast uneingeschränkter Definitionsmacht über soziale und individuelle Probleme erobern (vgl. ebd., S. 54 und Illich 1978). Diese enge Verbindung von Expertenwissen und Politik ist laut Rose ein wesentliches Merkmal für und auch ein wichtiger Kritikpunkt an wohlfahrtsstaatlicher Gouvernementalität.

Auch Sozialer Arbeit wurde dieser Expertenstatus zugestanden, sie wurde als eine "öffentliche Instanz geschaffen, die für die Selbstführungsfähigkeiten der Menschen verantwortlich sein soll, deren Lebensführung durch soziale Probleme beeinflusst ist" (Kessl 2005, S. 36). Subjekte wurden im Wohlfahrtsstaat als soziale Subjekte konstituiert, als Individuen mit Anspruch auf soziale Absicherung und Erziehung, die dafür aber auch soziale Verpflichtungen übernehmen mussten (vgl. Rose 1996, S. 49). Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und eine Ausrichtung des Lebens an einer Normbiografie waren der Preis für die soziale Sicherheit.

Seit dem Ende der 70er-Jahre geriet diese Regierungsform in vielfältiger Weise unter Kritik, was zu einer neuerlichen Krise und Transformation der Gouvernementalität führte. Die Kritik reichte von der Unterstellung wirtschaftlicher Ineffizienz und unbezahlbarer Kosten bis zum Vorwurf, die Menschen zu entmündigen und ihre eigenen Aktivitäten zu unterbinden (vgl. ebd., S. 50 - 52). Die Übernahme des neoliberalen Paradigmas bot eine Lösung für beide Kritikstränge, indem wirtschaftlicher Erfolg und Selbstverwirklichung der Individuen keinen Widerspruch mehr darstellen, sondern im Wettbewerb am freien Markt das autonome Subjekt die Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität ist (vgl. Bröckling 2007, S. 61). Die neue Regierungsstrategie nahm die liberale Skepsis gegenüber dem Staat wieder auf und verband sie mit der Kritik an der Einschränkung der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten im Sozialstaat. So wurden die Forderungen nach mehr Selbstbestimmung und Emanzipation von staatlicher Bevormundung, die sich ursprünglich gegen die Fordistische Ausprägung des Kapitalismus richteten, und die gerade auch von kritischen SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen kamen, zum Ausgangspunkt unternehmerischer Verhaltensorientierung, die es ermöglichte eine Regierung durch den Markt zu etablieren (vgl. ebd., S. 58).

Hier wird ein wichtiger Aspekt der Gouvernementalitätstheorie deutlich: Alle Regierungsrationalitäten produzieren neben den beabsichtigten Auswirkungen, die auf die Bearbeitung eines bestimmten soziales Problems abzielen - im Falle der Wohlfahrtsstaaten die Massenarmut und soziale Ausgrenzung - auch unbeabsichtigte und oft unerwünschte Wirkungen, die zu Kritik Anlass geben. Diese Kritik geht dann in die neu entwickelten Regierungstechniken ein und trägt dadurch zur Akzeptanz durch die Regierten bei, produziert aber auch wieder unerwünschte Auswirkungen, die zu neuer Kritik führen.

Zur Umsetzung der jeweiligen Regierungsrationalität entstehen Arrangements von Rahmenbedingungen zur Regierung von Menschen, die Foucault als Dispositive bezeichnet. Sie setzen sich aus
      "Diskursen, Institutionen, architekturalen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen oder philanthropischen Lehrsätzen"
zusammen (Foucault 1978, S. 119). Mit Hilfe solcher Arrangements werden laut Foucault das Soziale und die Subjekte in diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken gleichzeitig hervorgebracht, es handelt sich also um einen radikal sozialkonstruktivistischen Ansatz. Individuen sind von früher Kindheit an in Kontexte eingebunden, die die Herausbildung einer bestimmten Identität nahe legen und dabei gleichzeitig auch eine bestimmte Art sozialer Beziehungen herstellen, wie etwa die Eingebundenheit ins soziale Sicherungssystem im Wohlfahrtsstaat oder die Notwendigkeit von Bewährung in Konkurrenzsituationen heute.

Da die permanente Reproduktion der Wettbewerbssituation Hauptziel neoliberaler Gouvernementalität ist, ist es naheliegend, das zugehörige Dispositiv als Wettbewerbsdispositiv zu bezeichnen. Diese Form der Regierung braucht Individuen, die sich als "Unternehmer ihrer Selbst" benehmen. Im Anschluss an Foucault bezeichneten Rose (1996) und Bröckling (2007) diese Subjektivierungsweise, als "unternehmerisches Selbst". Das "unternehmerische Selbst" ist selbstbestimmt, übernimmt Verantwortung für sein Leben, muss sich ständig im Wettbewerb bewähren, ständig an sich arbeiten, sich immer verbessern und muss "durch permanentes Regierungshandeln geschaffen und aktiviert werden" (Bröckling 2007, S. 60).

4. Die Transformationen von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit im Wettbewerbsdispositiv
Entsprechend der neuen Rationalität des Regierens wird dem Staat eine grundlegend andere Rolle zugewiesen. Auch er muss sich benehmen wie ein Unternehmer und hauptsächlich steuernde Funktion ausüben, um den andauernden Wettbewerb sicherzustellen. In diesem Rahmen werden auch Sozialpolitik und soziale Dienstleistungen neu definiert und dabei der Abstand zwischen formalen politischen Entscheidungsträgern und anderen sozialen Akteuren vergrößert und die Expertenmacht beschränkt.

Im Gegensatz zur tragenden Rolle im Wohlfahrtsstaat wird nun Sozialpolitik in einer Unterstützungsfunktion für die Wirtschaft zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gesehen und als Kostenfaktor wahrgenommen. Investitionen ins Humankapital müssen sich rechnen, die Grenzkosten sozialpolitischer Aktivitäten dürfen deren Grenzerträge nicht übersteigen (vgl. Berthold 1997, S.8). Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit wird als Voraussetzung für soziale und ökonomische Sicherheit angesehen, daher richten sich Regierungsstrategien darauf, alle anderen Gesellschaftsbereiche um sie herum anzuordnen. Ein Signal dafür ist etwa die Verschiebung des Zieles von EU Sozialprogrammen von Armutsvermeidung in den 80er und 90er Jahren zu Herstellung und Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit.

Veränderungen ergaben sich dadurch auch für soziale Trägervereine. Die Regierungen zogen sich auf die formale Rolle der Steuerung und Finanzierung zurück, sie treten nicht mehr als Erbringer sondern als Aufraggeber und Käufer von Dienstleistungen auf. Die Expertenorganisationen erhielten einerseits mehr Autonomie aber auch mehr Verantwortung zugesprochen, wurden aber durch finanzielle Einschränkungen diszipliniert und der Kontrolle durch die Regierung unterworfen. Liberalisierung vormals öffentlicher Dienstleistungen schuf "Quasi-Märkte", auf denen "KundInnen" die "Produkte" ihrer Wahl kaufen können (vgl. Rose 1996, S. 54).

Aus dem bisher Ausgeführten geht hervor, dass Soziale Arbeit in diesem Wettbewerbsdispositiv eine doppelte Rolle spielt: einerseits als wichtiger Akteur bei der Herstellung "unternehmerischer Subjekte", gleichzeitig wird jedoch die Funktion Sozialer Arbeit selbst neu definiert, Trägerorganisationen eine neuen Position zugewiesen, in der sie sich als Dienstleister am Markt verhalten müssen. Die These dieser Arbeit ist, dass es das selbe Dispositiv ist, das das unternehmerische Selbst und das wettbewerbsfähige Dienstleistungsunternehmen herstellt. Dieser Herstellungsprozess wird mit Hilfe einer Dispositivanalyse empirisch an konkreten Fallbeispielen rekonstruiert. Dafür wird die von Bührmann / Schneider (2008) vorgeschlagene Vorgehensweise verwendet, in der die relevanten diskursiven und nicht diskursiven Praktiken, Objekte und Institutionen des jeweiligen Dispositivs definiert und ihre Wechselwirkungen untersucht werden.

5. Forschungsfragen und Datengewinnung Auf Grund dieses theoretischen Hintergrundes kann die eingangs aufgeworfene Frage - wie mussten welche Faktoren zusammenwirken, um den Transformationsprozess zu unterstützen? - folgendermaßen spezifiziert werden:

Als Datenquellen wurden herangezogen:

Aus den empirischen Daten und der herangezogenen Literatur wurden die Diskurse zu Neuer Steuerung, Finanzierung, Qualität und Partizipation als für den Transformationsprozess zu wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen relevant und damit als Grundbestandteile des Dispositivs definiert.

Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass die Regelung von Beziehungen durch Verträge, sowie Maßnahmen des Qualitätsmanagement eine zentrale Rolle in diesen Prozessen gespielt haben.

Die Wechselwirkungen verschiedener Praktiken und Institutionen innerhalb des Dispositivs beeinflussten und veränderten Aneignungsstrategien beim Umgang der Organisationen mit den an sie gestellten Anforderungen, die Art ihrer Selbstdarstellung nach außen, die Beziehungen im Inneren, die Subjektivierungsweisen der MitarbeiterInnen und das Verhältnis zu den betreuten Jugendlichen in einer Weise, die sie zu wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen macht. Im folgenden Kapitel werden einige, für die Transformationsprozesse in Organisationen besonders relevante, Aspekte näher beschrieben.

6. Innovativ, effizient und "wir müssen immer besser werden" - Selbstdarstellungen von sozialen Trägerorganisationen
6.1 Ergebnisse in Bezug auf Markt und Wettbewerb
Es zeigte sich, dass der ökonomische Diskurs von den untersuchten Organisationen voll übernommen wurde, was die Darstellung nach außen und auch die Interpretation der eigenen Tätigkeit in den Interviews betrifft. Die wissenschaftlichen Argumente, mit denen die Verbetriebswirtschafltichung sozialer Dienstleistungen kritisiert wurden, wie die Betonung der Koproduzentenschaft zwischen betreuender und betreuter Person in der Sozialen Arbeit oder die Probleme, die sich aus dem Dienstleistungsdreieck ergeben (vgl. Kratzwald 2004, S. 57 - 58), tauchen weder in den Interviews, noch in der schriftlichen Darstellung auf. Hingegen wurden in den Interviews durch alle Hierarchieebenen die Begriffe "Markt", "Wettbewerb", "Produkt" und "Kunden" laufend und selbstverständlich verwendet.

Die Etablierung einer Wettbewerbssituation auf einem "Quasi-Markt" ist durch diesem Diskurs entsprechende Praktiken der Verwaltung erfolgt, gleichzeitig wurde die Trennung von öffentlicher Hand als Auftraggeber und Kunden und den Expertenorganisationen als Lieferanten einer Dienstleistung erfolgreich durchgeführt. Bereits im steirischen Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) 1990 wird "die gehobene Bedeutung der freien Träger" für die Erbringung der gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen angesprochen (vgl. Scheipl 1993). Das steirische JWG verpflichtet die zuständige Abteilung der Landesregierung, regelmäßige Jugendwohlfahrtspläne zu erstellen. Der erste im Jahr 1992 wurde von der Behörde selbst erstellt, die folgenden in den Jahren 1998 und 2005 von Beratungsunternehmen - eine Änderung der Definitionsmacht bezüglich Problemen und Lösungsmöglichkeiten im Jugendwohlfahrtsbereich, ein Schritt zur Trennung von Politik und Experten.

Die letzte Durchführungsverordnung 2005 schrieb die Rolle des Landes als Einkäufer von sozialen Dienstleistungen und die Funktion der Landesverwaltung als Steuerungsorgan fest. Es wurde ein Leistungskatalog erstellt, der alle vom Land gewünschten Leistungen aufzählt und beschreibt. Eine Organisation, die Leistungen in der Jugendwohlfahrt anbieten will, muss per Bescheid als Einrichtung der freien Jugendwohlfahrt anerkannt werden, wenn die formalen Kriterien erfüllt sind, eine Bedarfsprüfung ist nicht vorgesehen. Die SozialarbeiterInnen, die Jugendliche an die Einrichtungen überweisen, können also aus dem bestehenden Angebot frei wählen. So wird eine Art "Pseudo-Markt" hergestellt, auf dem die verschiedenen Einrichtungen miteinander konkurrieren und auf dem auch profitorientierte Anbieter tätig sein können. Da die festgelegten Tagsätze nur bei hoher Auslastung für die Finanzierung der Einrichtung entsprechend den Vorschriften ausreichen, müssen die MitarbeiterInnen dafür sorgen, dass die Einrichtung möglichst immer belegt ist. In dieser Situation kommt der Präsentation der Organisationen nach außen ein wichtiger Stellenwert zu. Eine professionell agierende Öffentlichkeitsarbeit, Leitbilder, die die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft der Organisationen propagieren, werden unverzichtbar.

Für jeden Jugendlichen wird ein Leistungsvertrag abgeschlossen, das Jugendamt tritt dabei als privatrechtlicher Akteur auf. Bezahlung nach Leistungsverträgen folgt einer anderen Logik als die Finanzierung von Trägerorganisationen durch Subventionen: bezahlt werden klar beschriebene Leistungen für einzelne Individuen in der Höhe, die der Gesetzgeber als angemessen sieht im Verhältnis zum erhofften Profit oder zur Vermeidung von Folgekosten. Der Vorteil für die Organisationen ist, dass sie - Auslastung vorausgesetzt - mit einer sicheren Finanzierung rechnen können, während sie vorher häufig unter unsicheren finanziellen Bedingungen durch politische Willkür zu leiden hatten. Der Nachteil ist, dass sich die Höhe das Tagsatzes nicht an den Bedürfnissen der betreuten Personen oder der MitarbeiterInnen richtet, es also in die Verantwortung der Organisation übergeht, wie sie z.B. Weiterbildung, Supervision oder Ähnliches finanziert.

Neben Veränderungen in der Beziehung zwischen Politik, Verwaltung und Trägerorganisationen erfolgten auch Veränderungen innerhalb dieser Organisationen selbst. Sie sind wie Unternehmen strukturiert (GesmbH) und werden von den MitarbeiterInnen auch so wahrgenommen, es gibt eine klare Unterscheidung zwischen Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen. Ein entscheidender Schritt dahin war der Abschluss des BAGS-Kollektivvertrages 2004. Schon der Start der Kollektivvertragsverhandlungen stellte einen wichtigen Wendepunkt dar. Soziale Trägervereine wurden als Arbeitgeber konstituiert, die sich in einem Verband zusammenschlossen, denen die Beschäftigten, vertreten durch die Gewerkschaft, gegenüberstanden. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei sozialen Vereinen war gering, Betriebsräte nicht üblich, da man die Organisationen nicht als Arbeitgeber mit grundsätzlich verschiedenen Interessen sah, sondern sich damit identifizierte. Die Wahl von Betriebsräten in den Organisationen sowie der Abschluss von Kollektivverträgen stellte hier eine völlig neue Situation her und enthob die Länder auch eines Teils ihrer Verantwortung. Solange MitarbeiterInnen nach dem Gehaltsschema des Landes bezahlt wurden, hatte das Land auch die Gehaltserhöhungen bei der Finanzierung zu berücksichtigen. Nun können zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer Lohnerhöhungen aushandeln, haben also mehr Autonomie, werden aber durch die von Seiten des Landes - unabhängig von den Lohnverhandlungen - festgelegten Tagsätze eingeschränkt. Das Land kann so Macht ausüben, ohne in die Verhandlungsprozesse oder Arbeitsverhältnisse selbst einzugreifen, was einen künstlichen Klassenkonflikt erzeugt. Die Arbeitgeber in sozialen Dienstleistungsunternehmen vertreten keine Kapitalinteressen, durch knappe finanziell Mittel werden sie aber in die Situation gebracht, sich so verhalten zu müssen, sie sind zu betriebswirtschaftlicher Effizienz gezwungen, was bedeutet, die Lohnkosten niedrig zu halten. Eine Folge dieser Praxis ist, dass MitarbeiterInnen der befragten Organisationen fast durchwegs in niedrigeren Gehaltsstufen eingestuft sind, als nach ihrer Ausbildung vorgesehen. Das bringt auch Betriebsräte in eine paradoxe Situation. Sie wissen zwar, dass Arbeitsrechte verletzt oder zumindest in Grauzonen gearbeitet wird, sie können aber von den Arbeitgebern nicht mehr verlangen, als diese von der öffentlichen Hand als Geldgeber bekommen.

Durch die künstliche Herstellung von Unternehmen auf einem eben so künstlich hergestellten Markt entledigt sich also das Land der Verantwortung für die Bezahlung der Mitarbeiterinnen und für die Qualität (s. unten) der Dienstleistungen, schafft aber gleichzeitig effiziente Machtmittel zur Kontrolle und zwingt Organisationen und Mitarbeiterinnen zu marktkonformem Verhalten.

6.2 Ergebnisse betreffend Qualität und Verantwortung
In beiden untersuchten Organisationen gibt es, wie vom Auftraggeber gefordert, Qualitätssicherungsmaßnahmen. Diese werden jedoch von den MitarbeiterInnen nur auf Abläufe und Strukturen bezogen, die direkte Beziehungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen wird strikt davon ausgenommen, die Bewertung deren Qualität unterliege anderen Kriterien, auch sei sie nicht messbar.

Eine Organisation hat ein ISO-Zertifizierung, die andere ein internes QM-System, die Überprüfung erfolgt entweder durch Audits (ISO-Zertifizierung) oder durch Selbstevaluation.

Die Antworten auf die Frage nach der Qualität der erbrachten Dienstleistungen zeigten signifikante Unterschiede zur früheren Untersuchung. Auch damals wurde die Notwendigkeit einer eigenen Definition von Qualitätskriterien betont, die Kürzung finanzieller Mittel wurde jedoch als Bedrohung für die Erbringung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen angesehen (vgl. Kratzwald 2004, S. 108). In der vorliegenden Untersuchung wurde in beiden Einrichtungen die volle Verantwortung für die Betreuungsqualität von den MitarbeiterInnen selbst übernommen, wobei als wichtigstes Kriterium ein gut funktionierendes Team genannt wird. Da die Gesetzesvorlagen in Bezug auf das pädagogische Konzept neutral sind, liegt die inhaltliche Ausgestaltung der Angebote in den Händen der Einrichtungen selbst. Sie haben dabei viel Autonomie, diese entsprechend den Ausbildungs- und Interessensschwerpunkten der MitarbeiterInnen zu gestalten. Die Qualitätskriterien wurden in beiden Organisationen intern festgelegt. Obwohl die Beteiligung daran von den MitarbeiterInnen unterschiedlich wahrgenommen wurde, ist die Selbstverpflichtung auf diese Kriterien sehr hoch. Knappe finanzielle Mittel werden nicht als Hindernis für gute Betreuungsqualität gesehen, es wird sogar als besondere Kompetenz gesehen, trotz knapper Mittel gute Betreuung bieten zu können. Über diese Mechanismen erreicht der Auftraggeber hohe Qualität der Dienstleistungen obwohl, oder gerade weil, er keine qualitativen Kriterien vorgibt.

In einer Organisation wird die Tatsache finanzieller Einschränkungen positiv gewendet und in die Erziehungsziele eingebaut. Kinder und Jugendliche sollen, entsprechen ihrer Herkunft aus sozial schwachen Schichten, durchaus lernen, dass man auch mit wenig Geld zufrieden leben kann. Eine Form der Aneignung, die einerseits Subjektivierungsformen jenseits der Konsumgesellschaft ermöglichen soll, andererseits aber die soziale Position der Jugendlichen festzuschreiben droht.

6.3 Schlussfolgerungen
Die erhobenen Daten legen den Schluss nahe, dass der Transformationsprozess zum "wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen" erfolgreich vollzogen wurde und dass das Wettbewerbsdispositiv auch aus den MitarbeiterInnen von sozialen Dienstleistungsunternehmen "unternehmerische Subjekte" macht. Alle MitarbeiterInnen, auch solche, die dem ganzen Prozess eher skeptisch gegenüber standen, identifizierten sich mit Aussagen wie, "wir müssen uns auf dem Markt bewähren", "wir wollen und können das auch" und "wir müssen immer besser werden". Dieses ständige sich bewähren müssen, ständig zu Verbesserung und mehr Effizienz herausgefordert zu sein, das wesentliche Merkmal des unternehmerischen Selbst, ist offensichtlich zum professionellen Habitus aller befragten MitarbeiterInnen geworden.

Die ständige Verbesserung nimmt auch in den internen Organisationszielen einen hohen Stellenwert ein, im Management Manual einer Organisation heißt es über die MitarbeiterInnen: "Die Übernahme von Verantwortung für die übertragenen Aufgaben zählen neben Engagement und der dauernden Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, zu den wichtigsten Merkmalen."

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Gleichzeitigkeit von mehr Autonomie und mehr Unterordnung unter Machtinteressen in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen sichtbar wird, z.B. bei den Kollektivvertragsregelungen, im Bereich der Festlegung von Qualitätskriterien oder auch für die Jugendlichen durch die partizipartive Formulierung von Erziehungszielen.

Bestätigt wurden die Annahmen von Rose (1996, S. 55), dass die Organisationen in diesen Prozessen zwar formal unabhängig gemacht werden, dass aber die Kontrolle der Politik durch Budgetdisziplin und Abrechnungsmodalitäten hergestellt wird und dass dadurch bestimmte Verhaltensweisen der MitarbeiterInnen erzeugt werden, die die Organisationen ebenso verändern wie das Verhältnis zu den KlientInnen.

7. Perspektiven Sozialer Arbeit unter dem Blickwinkel der Gouvernementalität
Die vorliegenden Befunde erlauben eine Rekonstruktion der Transformationsprozesse und bestätigen damit theoretische Annahmen von Gouvernementalitätsstudien. Offen bleibt, ob und wenn ja, welchen Zusatznutzen eine solche Betrachtungsweise für die Theorie und Praxis Sozialer Arbeit bietet. Ohne Anspruch auf eine abschließende Beantwortung dieser Frage sollen hier einige mögliche Denkrichtungen skizziert werden.

Einerseits können grundlegende Elemente einer Theorie Sozialer Arbeit unter einem neuen Blickwinkel betrachtet werden. Ein Foucault'scher Blick auf den Staat könnte es nahelegen, Soziale Arbeit nicht ausschließlich auf ihre Position im Staat zu beziehen, sondern - entsprechend der Veränderbarkeit der Rolle des Staates - besser im Dreieck Staat - Markt - Zivilgesellschaft zu verorten. In Bezug auf des Verhältnis von Freiheit und Macht, Selbstführung und Fremdführung, könnte das in der Sozialen Arbeit immer wieder auftauchende Dilemma Kontrolle vs. Hilfe neu artikuliert werden, das häufig postulierte "Primat der Selbstführung" über die Fremdführung, die nur verübergehend akzeptabel erscheint, würde in Frage gestellt (vgl. Kessl 2005, S.42).

Es könnte mehr Augenmerk auf die doppelte Rolle Sozialer Arbeit im Wettbewerbsdispositiv gelegt werden, darauf, dass auch die MitarbeiterInnen in den Organisationen und die Organisationen selbst diesem Spiel von Fremdführung und Selbstführung, von Macht und Autonomie unterworfen sind und darin verändert werden. Diese Veränderungsprozesse genauer zu analysieren, die Aneignungs-prozesse, die in den Organisationen in unterschiedlicher Weise ja immer schon stattfinden, auf ihre Auswirkungen zu überprüfen, könnte interessante Ergebnisse bringen in Hinblick auf die Fragestellung, inwieweit mehr Autonomie möglicherweise zu einer strikteren Umsetzung von Regierungsprogrammen führt. Z.B. könnte einer genaueren Untersuchung unterzogen werden, ob die strikte Trennung von Prozess- und Strukturqualität einerseits und von Betreuungsqualität andererseits durch die MitarbeiterInnen einen Bruch in der Umsetzung von Regierungsprogrammen bedeutet, oder im Gegenteil deren Wirksamkeit verstärkt.

Wenn die ursprünglich emanzipatorisch gemeinten Forderungen nach Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als Modus der gesellschaftlichen Integration eingefordert werden, was kann dann das Ziel kritischer und emanzipatorischer Sozialer Arbeit sein? Es stellen sich Fragen wie: Welche alternativen und widerständigen Aneignungsweisen können für Individuen erschlossen werden? Welche Kompetenzen und Fähigkeiten brauchen Individuen um ihre Handlungsspielräume wahrnehmen zu können? Welche anderen Subjektivierungsweisen können ermöglicht werden? Und schließlich: Welche Modi sozialer Ausgrenzung treten in diesem Kontext auf?

Eine Rekonstruktion des Dispositivs könnte also Möglichkeiten erschließen anders zu handeln, um
"nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert zu werden" (Foucault "Was ist Kritik" 1992, zitiert nach Bröckling, 2007, S. 284) und damit den Anspruch kritischer Sozialer Arbeit, zu gesellschaftlicher Veränderung beizutragen, einlösen in Richtung einer Veränderung oder Überwindung des bestehenden Dispositivs.


Literatur
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Rousseau, Jean Jaques (1895): Emil oder Über die Erziehung. Langensalza
Scheipl, Josef (1993): Die gehobene Bedeutung der freien Träger im Jugendwohlfahrtsgesetz von 1989 und in den Ausführungsgesetzen ausgewählter Bundesländer. Forschungsbericht, Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Graz


Über die Autorin

Mag.a Brigitte Kratzwald, Jg. 1954
b_kratzwald@yahoo.de

Diplomstudium Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Graz, derzeit Doktoratsstudium an der Abteilung für Sozialpädagogik der Universität Graz. Beruflich tätig in Projekten im Bereich Arbeitsmarkpolitik und Frauen.
Arbeitsschwerpunkte: Sozialpolitik, soziale Dienstleistungen, Sozialtheorien, Gouvernementalität