soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 4 (2009) / Rubrik "Thema" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/171/256.pdf


Hemma Mayrhofer:

Organisationen der Sozialen Arbeit


aus soziologischer Perspektive

1. Einleitung
Verberuflichte Soziale Arbeit ist in der Gegenwartsgesellschaft (fast) ausschließlich in organisatorische Kontexte eingebunden. In organisationalen Strukturen zu arbeiten oder Hilfe in Anspruch zu nehmen bedeutet, dass die Beschaffenheit dieser Strukturen Auswirkungen auf die Qualität der Sozialen Arbeit bzw. Hilfeleistung hat und KlientInnen wie SozialarbeiterInnen mit organisationsspezifischen "Zumutungen" konfrontiert werden. Doch damit befassen sich auch die Organisationsdiskurse in der Sozialen Arbeit. Weshalb also eine Organisationssoziologie der Sozialen Arbeit? Worin könnte ein spezifischer Erkenntnisgewinn einer soziologischen Perspektive auf Organisationen der Sozialen Arbeit im engeren Sinn und des Sozialbereichs allgemein liegen? Und wo liegen auch die Grenzen organisationssoziologischer Auseinandersetzungen mit diesem Organisationsfeld?

Der vorliegende Beitrag geht diesem Fragenkomplex nach und erörtert, was Organisationen des Sozialbereichs zu belangvollen soziologischen Forschungsinhalten macht, welche "externen" Beobachtungs- bzw. Erkenntnisangebote die soziologische Organisationsforschung der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit bereitstellen könnte, wo die Gemeinsamkeiten bzw. Überschneidungen zur Sozialarbeitsforschung im engeren Sinn liegen könnten und wo sich eventuell auch bedeutsame Differenzen zu dieser vermuten lassen.

2. Weshalb sich die Soziologie (mehr) für Organisationen der Sozialen Arbeit interessieren sollte
Vorweg ist anzumerken, dass Organisationen des Sozialbereichs gegenwärtig keine bevorzugten Forschungsinhalte der Organisationssoziologie darstellen. Organisationen gelten in der Soziologie zwar als "ein zentrales Strukturmerkmal der Moderne" (Jäger/Schimank 2005: 7) und bilden seit den Klassikern einen wichtigen Gegenstand soziologischer Theorie und Empirie. Wenig Beachtung findet aber, dass auch die Soziale Arbeit "ein bedeutsamer Bereich gesellschaftlicher Praxis" (Bommes/Scherr 2000: 23) ist und soziale Hilfe in der Gegenwartsgesellschaft überwiegend in darauf spezialisierten Organisationen stattfindet. Und die Art und Weise, wie Organisationen der Sozialen Arbeit ihre Aufgabenstellungen formulieren und gestalten, ist abhängig von den selbst erzeugten Strukturen dieser Organisationen. Die soziologische Beschäftigung mit organisierter Sozialer Arbeit ermöglicht damit wichtige Einblicke in die gesellschaftliche Erzeugung und Bearbeitung von individueller und kollektiver Hilfsbedürftigkeit.

Die Organisationslandschaft im Sozialbereich gestaltet sich heterogen. Sie reicht von kleinen, stark basisdemokratisch orientierten Vereinen bis zu großen, komplex verzweigten Organisationsgebilden und umfasst öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Einrichtungen. Insofern ist es nur bedingt möglich, von "den" Spezifika von Organisationen im Sozialbereich zu sprechen. Dennoch lassen sich typische organisatorische Merkmale im Feld der Sozialen Arbeit beobachten, die für die Organisationssoziologie von besonderem Interesse sind. Denn sie unterscheiden sich in einigen Facetten beachtlich von "klassischen" Organisationsmerkmalen, wie sie insbesondere anhand von Studien zu bürokratischen Organisationen und zu Organisationen des Wirtschaftssystems, also Unternehmen, entwickelt wurden. Eine Auseinandersetzung mit diesen Organisationen verspricht folglich wichtige organisationssoziologische Erkenntnisse.

3. Spezifische Merkmale organisierter Sozialer Arbeit
Bevor einige dieser Spezifika kurz skizziert werden, ist eine grobe Unterteilung der unterschiedlichen organisatorischen Einbindungen Sozialer Arbeit zur Orientierung hilfreich. Scherr (2001:230ff) unterscheidet drei Organisationsformen:

Während zu ersteren einige beachtenswerte organisationssoziologische Studien vorliegen (vgl. u.a. Wolff 1983 oder Maeder/Nadai 2004), sind zweitere teilweise in Forschungen zu Non-Profit-Organisationen (NPO) mitberücksichtigt, selten jedoch mit einem spezifischen Fokus auf NPOs in der Sozialen Arbeit. Weiters fehlen weitgehend grundlagenorientierte, theoriegenerierende Studien zu diesen Organisationen (eine Ausnahme: Simsa 2001), die sich in manchen Punkten auch maßgeblich von anderen NPOs unterscheiden, also etwa von Umweltschutzorganisationen, Sport- und Freizeitvereinen, Kulturvereinen, berufsständischen Interessensvertretungen etc. Doch gerade an ihnen zeigen sich m.E. oft in zugespitzter Form die Besonderheiten und auch Paradoxien, die organisierte Sozialer Arbeit auszeichnen und mit denen sie sich mitunter auch abmüht, wie an folgenden, exemplarisch dargestellten Merkmalen kurz veranschaulicht werden soll:

Wohlfahrts- bzw. Finanzierungsdreieck im Sozialbereich: Organisationen im Sozialbereich erwirtschaften im Unterschied etwa zu Unternehmen, also Wirtschaftsorganisationen, das Geld, das sie für ihr Fortbestehen benötigen, häufig nicht selbst, indem sie ihre Produkte bzw. Dienstleistungen direkt an KundInnen verkaufen, sondern sind auf externe, zum Großteil öffentliche Geldquellen angewiesen. Das Finanzierungsdreieck impliziert zunächst für viele Organisationen der Sozialen Arbeit eine hohe Ressourcenabhängigkeit von der öffentlichen Hand. Durch sie besitzt die Politik eine mal stärker, mal schwächer ausgeprägte Eingriffs- und Definitionsmacht gegenüber dem Sozialbereich. Diese kommt u.a. in einer mehr oder weniger starken Ausrichtung der Maßnahmen- und Angebotsstrukturen der nicht-staatlichen Organisationen "an den Subventionsstrukturen und Förderprogrammen des Wohlfahrtsstaates" (Scherr 2001: 232) zum Ausdruck. Zugleich bringt das Auseinanderfallen von Auftrag- bzw. GeldgeberInnen und LeistungsempfängerInnen letztere tendenziell in eine schwächere, abhängige Position. Die in der Wirtschaft übliche Kopplung von Preis und Leistung (nach dem Motto: "Der Kunde ist König" bzw. "wer zahlt, schafft an") hat zwar auf den ersten Blick keine Gültigkeit für den Sozialbereich, nichtsdestotrotz macht sich diese Kopplung mehr oder weniger latent bemerkbar und äußert sich in mehrfacher Hinsicht in asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen (vgl. Mayrhofer/Raab-Steiner 2007). Allerdings zeigt sich in der Empirie, dass Organisationen der Sozialen Arbeit nicht bloß StatistInnen der jeweiligen FördergeberInnen sind bzw. sein müssen, sondern sich teilweise erheblichen Interpretations- und Handlungsspielraum gegenüber den Vorgaben bzw. Erwartungen von Seiten der Geld- bzw. FördergeberInnen zu verschaffen verstehen.

Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit der Orientierungen und Zielsetzungen: Die oben umrissenen spezifischen Finanzierungsstrukturen weisen bereits darauf hin, dass NPOs im Sozialbereich für ihr erfolgreiches Operieren zumeist verschiedene Stakeholder mit differierenden Orientierungen und Zielsetzungen gleichwertig berücksichtigen müssen. Dadurch entstehen in NPOs "oft unterschiedliche parallele Kriterien der Feststellung von Erfolg" (Simsa 1999: 346). Die unterschiedlichen Stakeholder wie KlientInnen, MitarbeiterInnen, politischen AuftraggeberInnen, UnterstützerInnen in Form von Spenden oder etwa z.B. auch der Arbeitsmarkt, in den wieder eingegliedert werden soll, können sehr verschiedene Vorstellungen davon haben, was als erfolgreiche Arbeit der hilfeerbringenden Organisation bewertet werden kann. Daraus ergibt sich "... die zentrale Notwendigkeit des Verstehens unterschiedlicher Perspektiven" (ebd.:347). Diese Perspektiven gilt es mit organisationsinternen Verständigungsprozessen über eigene Erfolgskriterien zu verbinden. Häufig ist ein einfacher Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Orientierungen nicht möglich, sodass einem komplexen Widerspruchsmanagement eine besondere Bedeutung zukommt.

Entscheidungen unter hoher Unsicherheit durch Nicht-Standardisierbarkeit sozialarbeiterischen Handelns: Ähnlich wie das Erziehungssystem zeichnet sich Soziale Arbeit durch ein "Technologie-Defizit" aus, d.h. KlientInnen sind - systemtheoretisch reformuliert - als autopoietische Systeme nicht durch bestimmte Verfahren mit vorhersehbaren Wirkungen und einschätzbaren Fehlerquellen von einem Zustand in einen anderen zu transferieren (vgl. Luhmann/Schorr 1992, weiters Bommes/Scherr 2000: 150f). Als Folge müssen Entscheidungen unter hoher Unsicherheit getroffen werden. Die Nichtstandardisierbarkeit sozialarbeiterischer Handlungen führt zu Folgeproblemen für die Qualitätskontrolle und die Darstellbarkeit sozialarbeiterischer Leistungen - und dieses Problem der Leistungsdarstellung wird angesichts der aktuellen Vergabepolitik öffentlicher Mittel und der Notwendigkeit, die erbrachte Leistung nachzuweisen, zunehmend brisanter.

KlientInnen als Co-ProduzentInnen der sozialarbeiterischen Leistung: KlientInnen Sozialer Arbeit nehmen diese Rolle in der Regel nicht gerne und teilweise auch nicht oder nur bedingt freiwillig ein. Zugleich "... können aber personenbezogene interaktive Dienstleistungen nur im Medium der Kooperation vollzogen werden" (Maeder/Nadai 2003: 164). Die Organisations-MitarbeiterInnen (also SozialarbeiterInnen, aber teilweise auch MitarbeiterInnen mit anderen Qualifizierungshintergründen) müssen folglich sehr darum bemüht sein, mit den KlientInnen tragfähige Arbeitsbündnisse zu erreichen, da in vielen Fällen deren aktive Mitarbeit bzw. Mitwirkung Voraussetzung für den Erfolg sozialarbeiterischer Tätigkeit ist. Das führt nicht nur zu grundlegenden Problematiken im sozialarbeiterischen Handeln und zu Zurechnungsproblemen des Erfolgs oder Misserfolgs der Hilfsintervention. Damit sind u.a. auch Fragen der Grenzziehung der Organisation nach außen betroffen, denn KlientInnen sind zwar meist keine Organisationsmitglieder, haben teilweise aber direkten Einfluss auf die Leistungserbringung der Organisation. An sogenannten "creaming the poor"-Effekten im Sozialbereich zeigen sich etwa Auswirkungen eines spezifischen Umgangs mit dieser Problematik, in dem jenen KlientInnen bevorzugt der Zugang zur jeweiligen Leistung bzw. Maßnahme gewährt wird, bei denen hohe Erfolgswahrscheinlichkeiten vermutet werden (vgl. z.B. für den arbeitsmarktpolitischen Bereich Sundl/Reiterer 2009: 566f).

Spezifische MitarbeiterInnen-Referenz im Sinne einer teilweise starken Nutzung der "ganzen Person": Soziale Arbeit zielt neben der Berücksichtigung einer gesellschaftsstrukturellen Ebene, die zu prekären Inklusionsstrukturen führen kann, in der Regel auch (und in der Praxis manchmal in der Hauptsache) auf "Personenveränderung durch Interaktion" (Bommes/Scherr 2000: 208). Beides, also die Personenbezogenheit der Intervention und die Nutzung von Interaktion als wichtigem Interventionsmittel, bedingt verbunden mit dem einem ganzheitlichen Ansatz auf Seiten der SozialarbeiterInnen ein starkes Einbringen der ganzen Person. Das führt nicht nur zu den spezifischen Abgrenzungsproblemen bei den in der Sozialen Arbeit tätigen Personen, es hat auch Folgen für die Art und Weise der rollenspezifischen Einbindung der MitarbeiterInnen in die Organisation. Diese müssen etwa bei der Aufnahme neuer MitarbeiterInnen besonders auf den Abstimmungsprozess der Persönlichkeit der aufzunehmenden Person auf die Einrichtung und das jeweilige Team, ihre Ziele und Arbeitsweisen achten. Die Organisationen bedürfen weiters spezifischer Mechanismen, um die in der persönlichen und teilweise auch alltagsnahen Interaktion hergestellten Leistungen an die Organisation rückzubinden. Von zentraler Bedeutung für diese Rückbindungen sind u.a. Teamsupervisionen, aber auch Dienst- und Teambesprechungen allgemein.

Organisationen der Sozialen Arbeit als "Moralunternehmer": Arbeit im Sozialbereich lässt sich als "Arbeit mit Mission" (Schmid 2005:12) charakterisieren. Organisationen der Sozialen Arbeit müssen zwischen ihren Eigeninteressen als Organisationen, die miteinander um für das eigene Fortbestehen notwendige, aber knappe wohlfahrtsstaatliche Mittel konkurrieren, und der Ausrichtung an moralisch legitimen und am Gemeinwohl orientierten Zielen der Hilfe vermitteln. Organisationsintern zeigt sich häufig, dass für die MitarbeiterInnen immaterielle Zielsetzungen (z.B. Hilfsbedürftigen helfen, Not lindern, soziale Ausgrenzung minimieren, Solidarität konkret umsetzen etc.) manchmal gleich wichtig oder gar wichtiger als Verdiensterwartungen sind. Das bedeutet eine starke Identifikation der Organisationsmitglieder mit den Arbeitsinhalten und eine laufende Prüfung dieser Inhalte an den persönlichen Wertvorstellungen bzw. auch an der sozialarbeiterischen Berufsethik. In Organisationen der Sozialen Arbeit allgemein und solchen des Nonprofit-Bereichs im Besonderen spielen somit neben den Organisationsinteressen auch persönliche Ideale und Wertmaßstäbe eine bedeutende Rolle. Damit unterscheiden sich diese Organisationen tendenziell von dem seit Weber (1922) als wesentlich für die Einbindung von Organisationsmitgliedern betrachteten Merkmal formaler Organisationen: der rein rollenspezifischen und auf die Organisationsziele hin orientierten Einbindung, bei der alle persönlichen Interessen, Bedürfnisse und Einstellungen der MitarbeiterInnen als irrelevant für die Organisation gelten. Die Relevanz dieser Wertorientierungen der MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen kann sich u.a. in deren latent prekären Loyalität gegenüber den Organisationsinteressen zeigen (vgl. Mayrhofer/Raab-Steiner 2007: 41). Umgekehrt lassen sich auf Seiten mancher Organisationen Tendenzen beobachten, die besondere Motivationsstruktur ihrer MitarbeiterInnen und die damit teilweise verbundene Bereitschaft zur "Selbstausbeutung" für die Erreichung der Organisationsziele zu nutzen bzw. zumindest nicht zu verhindern.

Verschwimmende Grenzen zwischen Ehrenamt und entlohnter Beschäftigung: Viele NPOs (nicht nur) des Sozialbereichs integrieren auch ehrenamtliche Arbeit in ihre Kooperationsstrukturen. Zum einen werden Führungsfunktionen (z.B. Vorstand) teilweise ehrenamtlich ausgeübt, zum anderen arbeiten Personen z.B. in der KlientInnenbetreuung unentgeltlich bzw. gegen eine sogenannte Aufwandsentschädigung mit oder sind in der Spendenakquise aktiv. Teilweise sind auch die Beschäftigten zusätzlich zu ihrer Lohnarbeit in ihrer Freizeit ehrenamtlich im Sozialbereich tätig. Diese starke Bedeutung der Ehrenamtlichkeit wirft u.a. Fragen der "Durchgriffsmöglichkeiten" auf die ehrenamtlich tätigen MitarbeiterInnen auf (das Gehalt verpflichtet zumindest nicht zum Wahren der Organisationsinteressen), führt aber auch spezifische Spannungsfelder für verberuflichte Sozialarbeit mit sich und droht diese latent zu entwerten, da die Grenzziehung zu alltäglichem, nicht professionellem Helfen zusätzlich erschwert wird (vgl. hierzu insbes. Nadai et alii 2005).

Damit sind nur einige der Besonderheiten organisierter Sozialer Arbeit benannt. Weitere wichtige Aspekte wären etwa die genderspezifischen Strukturen der Sozialen Arbeit, die auch in den Organisationsstrukturen zum Ausdruck kommen, oder die große und auch bereits häufig wissenschaftlich bearbeitete Frage des Verhältnisses zwischen Organisation und Profession (vgl. u.a. Schütze 1999, Maeder/Nadai 2003) bzw. danach, inwieweit sich Organisationen der Sozialen Arbeit als "professionelle Organisationen" (vgl. Klatetzki/Tacke 2005) beschreiben lassen. Die hier thematisierten und andere Eigenheiten, die an vielen Organisationen des Sozialbereichs beobachtbar sind, machen diese Organisationstypen zu bedeutsamen Inhalten soziologischer Organisationsforschung.

4. Beobachtungen zu den Organisationsdiskursen in der Sozialen Arbeit
"Kaum ein Wissen ist in der Sozialarbeit besser ausgearbeitet als der Bürokratieverdacht gegen die Organisation." (Baecker 1994: 105) Damit korrespondiert, dass sich eine starke Konzentration der feldinternen Forschungen auf bürokratie- bzw. verwaltungsnahe Organisationen im Sozialbereich feststellen lässt, während innerhalb der Sozialen Arbeit eine auffällige Forschungsabstinenz gegenüber sogenannten Non-Profit-Organisationen zu beobachten ist. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass der kleine, autonome Verein oder die freien Träger in der Sozialen Arbeit primär nicht als Organisation betrachtet werden. Aber auch Berufsverbände sind Organisationen und richten ihre Kommunikation an Organisationszwecken aus. Insgesamt lässt sich somit eine gewisse Blindheit jenen Organisationstypen gegenüber beobachten, die stärker vor Augen führen, dass verberuflichte Soziale Arbeit immer auch eine organisatorische Seite aufweist und "die Erbringung von Hilfeleistung (...) stets zu organisieren ist" (Bommes/Scherr 2000: 153).

Die zweite Beobachtung geht in eine ähnliche Richtung: In der Sozialen Arbeit lässt sich eine gewisse Tendenz zur Externalisierung von Phänomenen, die sozialarbeitsintern als negativ beobachtet werden, auf die Organisation feststellen. Eng damit verbunden ist eine stark ausgeprägte Forschungstradition zum Verhältnis von Profession und Organisation, in der die organisationale Einbettung Sozialer Arbeit vor allem als begrenzende und weniger als auch ermöglichende Bedingung sozialarbeiterischen Handelns begriffen wurde und teilweise noch wird. Von einer zunehmenden Professionalisierung der Sozialen Arbeit erhofft(e) man sich u.a. eine Gegenmacht zur Organisation, sodass es den Professionellen gelingt, "in einer feindlichen Umgebung ihre fachlichen Ziele zu realisieren - trotz Organisation oder gegen die Organisation" (Flösser 2008: 244). Zum Ausdruck kommt die diskursive Distanz der im Berufsfeld Tätigen zu "ihren" Organisationen auch darin, dass die Möglichkeit des Nichthelfens vor allem der Organisation zugerechnet wird und kaum als legitime Option sozialarbeiterischen Handelns reflektiert wird und zur Verfügung steht. Grenzen der Hilfe werden häufig mit Verweis auf die durch die Organisation gesetzten inhaltlichen und/oder ressourcenmäßigen Limitationen gesetzt.

In jüngerer Zeit gewinnen Beobachtungen an Bedeutung, die die Organisationen als Einfallstor für Ökonomisierungstendenzen in der Sozialen Arbeit beobachten - und das mit einem gewissen Recht, auch wenn man mitunter den Eindruck gewinnen könnte, als wären die SozialarbeiterInnen bzw. MitarbeiterInnen mit sozialarbeiterischen Aufgabenfeldern nicht Teil dieser Organisationen und als würden sie als Organisationsmitglieder nicht mit dazu beitragen, einen an neuen sozialpolitischen Steuerungsmodellen orientierten organisationsinternen Strukturumbau durchzuführen.

5. Was ein soziologischer Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit leisten kann - und was nicht
Was jedoch könnte organisationssoziologische Forschung der Sozialen Arbeit bringen? Inwieweit kann also die soziologische Organisationsforschung für die Soziale Arbeit nützliche "externe" Beobachtungs- bzw. Erkenntnisangebote bereitstellen? Und wo liegen Gemeinsamkeiten bzw. Überschneidungen, aber auch mögliche Unterschiede zu Organisationsdiskursen in der Sozialen Arbeit bzw. sozialarbeitswissenschaftlicher1 Organisationsforschung?

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Überschneidungen zwischen einer soziologischen und einer sozialarbeitswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Organisationen des Sozialbereichs vielfältige und die Übergänge fließende sind und eine klare Grenzziehung deshalb kaum möglich ist. Verstärkt wird dies dadurch, dass (nicht nur) in der sozialarbeitswissenschaftlichen Organisationsforschung auch auf soziologische Begriffe, Konzepte, Theorien und Forschungsergebnisse zurück gegriffen wird und diese einen konstitutiven Bestandteil der Reflexionstheorien der Sozialen Arbeit selbst darstellen (vgl. Bommes/Scherr 2000: 29f). Dennoch lassen sich trotz des einheitlichen Forschungsgegenstandes (Organisationen des Sozialbereichs bzw. der Sozialen Arbeit), des Verwendens soziologischer Wissensbestände auch in der Sozialen Arbeit und des beiderseitigen Rückgriffs auf die gleichen oder ähnliche Methoden der empirischen Sozialforschung auch beachtenswerte Unterschiede feststellen, die abschließend kurz skizziert werden sollen.

Eine soziologische Beschäftigung mit Organisationen der Sozialen Arbeit lässt sich (zumindest idealtypisch im Sinne Webers) als sozialarbeits-externes wissenschaftliches Beobachtungsangebot verstehen - und darin liegt auch bereits die zentrale Differenz und Bedeutung solch einer Beschäftigung. Kühl (2008: 10) bezeichnet die Distanz zum Forschungsgegenstand bzw. zu den beobachteten Phänomenen als ein zentrales Merkmal der soziologischen Herangehensweise, die damit von den Handlungszwängen, Selbstbeschreibungen und Legimiationsbedarfen des Forschungsfeldes, hier also der Sozialen Arbeit, entlastet ist. Und ganz allgemein kann die Soziologie eine gesellschaftstheoretische Einbettung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Organisationen leisten, denn das ist u.a. ihr disziplinärer Gegenstand.

Demgegenüber ist die sozialarbeitswissenschaftliche Auseinandersetzung und Forschung (wieder idealtypisch) als Teil des Feldes Sozialer Arbeit zu verstehen und dessen Prämissen in wesentlich stärkerem Ausmaß verpflichtet. Sie bewegt sich als Teil der Selbstbeobachtungen der Sozialen Arbeit häufig im normativen Rahmen dieses Feldes. Zugleich ist sie in der Regel am Kriterium der Nützlichkeit für die Praxis Sozialer Arbeit orientiert.

Damit sind auch schon die Grenzen der Relevanz (organisations-)soziologischer Forschung für die Soziale Arbeit implizit benannt: Soziologische Beobachtungen der Sozialen Arbeit müssen nicht immer von praktischem Nutzen für die Handlungspraxis der Sozialen Arbeit sein. Soziologische Analysen können mitunter auch nützlicher Alltagstheorien und -mythen "berauben", die funktional für den Erhalt der Handlungsfähigkeit sein können und eben nur dann wirksam sind, wenn diese Funktionen (zumindest kommunikativ) latent gehalten werden. Kühl (2006, 2008) zeigt die damit teilweise verbundene provokative Wirkung solcher Analysen am Beispiel von nur schwer kommunizierbaren Funktionen von Coaching und Supervision für die Organisation auf, die er unter anderem in der Isolierung von Konflikten in spezifischen Interaktionszusammenhängen und -räumen sieht, sodass solcherart bearbeitete Konflikte "für die Organisation weitgehend folgenlos bleiben" (2006: 1).

Demgegenüber kann sich sozialarbeitswissenschaftliche Organisationsforschung tendenziell einer größeren direkten Relevanz für die Praxis Sozialer Arbeit sicher sein. In diesem Sinne ist resümierend von einem wechselseitiges Ergänzungsverhältnis zwischen einem soziologischen und einem sozialarbeitwissenschaftlichen Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit auszugehen - mit Gemeinsamkeiten, Überschneidungen, aber auch teilweise nicht direkt aneinander anschließbaren wissenschaftlichen Beobachtungen und Erkenntnissen.


Verweise
1 Die Debatte, ob und inwieweit von einer Sozialarbeitswissenschaft als eigenständiger Disziplin gesprochen werden kann, soll mit der Begriffsverwendung allerdings nicht (weiter-)geführt werden (vgl. hierzu u.a. Merten 2008, Schnurr 2008).


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Über die Autorin

Mag. Hemma Mayrhofer, Jg. 1971
hemma.mayrhofer@univie.ac.at
Studium der Soziologie und Fächerkombination (Politikwissenschaft, Geschichte, Gender Studies) an der Universität Wien und Freien Universität Berlin; aktuell Doktoratsstudium an der Universität Wien zum Thema "Die Organisation niederschwelliger Sozialer Arbeit"
Seit 1996 hauptberuflich in der empirischen Forschung tätig (u.a. Leitung der Feldabteilung im Marktforschungsinstitut Triconsult, Projektleitung/wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit, FH Campus Wien)
Lektorin am Institut für Soziologie, Universität Wien; Lektorin am Masterstudiengang Soziale Arbeit, FH St. Pölten; Lehrbeauftragte am Diplomstudiengang für Sozialarbeit, FH Campus Wien
Forschungsschwerpunkte: Berufsfeld- und Organisationsforschung in der Sozialen Arbeit, Netzwerkforschung, soziale Inklusions- und Exklusionsforschung, Evaluationen im Sozialbereich