soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 4 (2009) / Rubrik "Werkstatt" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/173/261.pdf


Martin Zauner und Julia Boschmann:

Stigma (L)adé

Abbau von Vorurteilen gegenüber psychisch erkrankten Menschen


Minderwertige Gesundheit und Krankheit
Der historisch betrachtet positiven Entwicklung von der Verwahrung psychisch erkrankter Menschen in Anstalten über 100 Jahre hinweg, hin zu der Möglichkeit durch eine "krankheitswertige" Diagnose (teilweisen) Zugang zum Gesundheitssystem zu erhalten, steht die unverändert negative Etikettierung "psychisch krank" gegenüber. Diese wird entsprechend durch mediale Berichterstattung, welche in sensationellem Charakter erfolgt und Betroffene zusätzlich stark kriminalisiert, gefördert. "Bezeichnend für diese Unglücklichen ist es, daß [sic] sie nicht nur eine minderwertige Gesundheit, sondern auch eine minderwertige Krankheit haben." (Musil 1930)

Deviantes Verhalten und Stigmatisierung
Unbekanntes und Unverstandenes verunsichert und schürt Ängste. Aufgrund seiner bislang noch unzureichend erforschten Ätiologie, bietet sich der Psychiatriebereich regelrecht als Magnet für Stigmatisierung, in Folge von deviantem Verhalten, und daraus resultierender Exklusion, in Form von ausgeübter sozialer Kontrolle, an.

Deviantes Verhalten ist immer mit einem Normbruch verbunden (vgl. Becker 1981 zit. in Peters 2009:22). Während primäre Devianz ein Verhalten beschreibt, welches Menschen als abweichend bezeichnen (vgl. Becker 1981 zit. in Peters 2009:22), beruht die sekundäre Devianz auf einer Reaktion des sozialen Umfelds, welche in einem Bezug zu der ursprünglichen Abweichung steht. Diese erfolgt mittels der Zuschreibung von Vorurteilen, welche die Basis der Stigmatisierung bilden.

Der Begriff Stigma stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Stich". Lässt er in seiner ursprünglichen Verwendung, der Beschreibung der Wundmale Christi, noch eine gewünschte positive Assoziation mit Ausgrenzung vermuten, wird er im Heute ausschließlich mit einer negativen Konnotation verbunden. Hat ein Individuum ein Stigma, eine Eigenschaft, welche zu einem Bruch des "Anspruchs den seine anderen Eigenschaften an uns stellen" (Goffman 1975:13) führt, so ist es "in unerwünschter Weise anderes als wir es antizipiert hatten" (Goffman 1975:13). Diese Erwartungshaltung setzt das Vorhandensein sowie die Akzeptanz einer sozialen Norm voraus, welche zu einem Ungleichgewicht des Machtverhältnisses zwischen Individuen und in Folge dessen zu einer Diskriminierung führt. Univ. Prof. Dr. Michaela Amering, Institut für Ethik und Recht in der Medizin (Universitätsklinik für Psychiatrie/ Medizinische Universität Wien) unterscheidet in einem ihrer Vorträge individuelle Diskriminierung (soziale Isolation z.B. Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund der psychischen Erkrankung), strukturelle Diskriminierung (politische Entscheidungen, rechtliche Regelungen) und Diskriminierung aufgrund von Selbststigmatisierung (Reaktion auf erwartete Diskriminierung). Die Einschränkung der Lebensqualität, welche Betroffene durch die "Krankheit" erfahren, wird durch die Stigmatisierung und ihrer Konsequenzen zusätzlich verstärkt.

Rahmenbedingungen des Projekts
Die Idee zum Projekt Stigma(L)adé wurde in der Lehrveranstaltung "Soziale Not und psychische Erkrankung" im dritten Semester des Bachelor-Studiengangs "Soziale Arbeit" an der Fachhochschule St. Pölten entwickelt: Anhand von Fallbeispielen aus der Praxis wurden die, durch Studien belegten sozialen und gesundheitlichen Verschlechterungen, welchen eine psychische Erkrankung zugrunde liegt, beleuchtet. Aus diesem Diskurs heraus entstand der Wunsch der Studentinnen nach einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Thematik "Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen".

Den Rahmen für die konkrete Planung und Durchführung des Projekts Stigma(L)adé bot die Lehrveranstaltung "Projektwerkstatt", welche sich über das fünfte und sechste Semester erstreckt. Jährlich werden im Bachelor-Studiengang "Soziale Arbeit" zeitgleich sechs Projekte, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, gestartet. Im Zuge dieser erfolgt die Erarbeitung einer komplexen, jedoch in sich geschlossenen Aufgabe durch die Studierenden in Teams mit dem Ziel, Erfahrungen im Bereich Projektmanagement zu sammeln.

Maßnahmen zur Entstigmatisierung
Die Betrachtung bisheriger Bemühungen rund um die Reduktion von Vorurteilen gegenüber Menschen mit psychischer Erkrankung zeigt, dass bereits unzählige Aufklärungs- und Entstigmatisierungskampagnen, welche auf gezielte Wissensvermittlung setzten um Ängste der Bevölkerung zu mindern, gescheitert sind. Diese ernüchternde Evaluierung beziehungsweise Einschätzung durch ProfessionistInnen scheint Albert Einstein recht zu geben: "Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil".

Wertvolle Hinweise auf erfolgreiche Entstigmatisierungsansätze fanden die Mitwirkenden des Projekts Stigma(L)adé in den Ergebnissen verschiedener Forschungen (z.B. Angermeyer 2003, Meise et al. 2001) sowie, trotz seines pessimistischen Grundtenors, bei Prof. Dr. Asmus Finzen (2000), ärztlicher Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel: Dieser hebt die kontinuierliche Arbeit vor Ort, Gespräche mit NachbarInnen und FreundInnen, konkrete Aufklärungsarbeit in der Nachbarschaft von psychiatrischen Institutionen, die Öffnung der Institutionen für BürgerInnen, die Repräsentation der Angehörigen und der Betroffenen in der Öffentlichkeit (z.B. in der Form einer regelmäßigen Volkshochschularbeit und Trialogveranstaltungen) als probates Mittel hervor.

Die Basis für eine erfolgreiche Arbeit im Bereich der Entstigmatisierung kann in einer "trialogisch" in Erscheinung tretende Öffentlichkeitsarbeit identifiziert werden: Durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Betroffenen, Angehörigen und ProfessionistInnen wird das scheinbar Unmögliche möglich, Vorurteile werden reduziert und im können im besten Fall überwunden und abgebaut werden.

Projektdurchführung unter Berücksichtigung des "trialogischen" Ansatzes
Dem "trialogischen" Ansatz entsprechend lag der Fokus des Projekts Stigma(L)adé zunächst auf der Einbindung von psychisch erkrankten Menschen in den Entstehungsprozess. Im Zuge der Projektplanung wurden fünf themenspezifische Untergruppierungen gebildet: Die "Betroffenengruppe" eruierte anhand von teilstrukturierten Interviews sowie einer Gruppendiskussion, das subjektive Erleben von Stigmatisierung durch Betroffene sowie deren Wunsch der Darstellung psychisch erkrankter Menschen in der Öffentlichkeit. Die Arbeitsgruppe "Nicht-Betroffene" erhob, anhand von 162 Fragebögen, ein Bild der Vorstellungen und Assoziationen der "Normalbevölkerung" in Bezug auf psychische "Krankheit". Zusätzlich wurden "Rap-Interviews" (Frage an PassantInnen: "Nennen Sie uns spontan drei Begriffe zu psychisch krank.") geführt und teilweise gefilmt. Der "Drehbuchgruppe" wurde die Aufgabe zuteil, das bereits erarbeitete und ausgewertete Material zu sichten und für den Film Stigma(L)adé entsprechend aufzubereiten. Das daraus entstandene Drehbuch wurde anschließend, den Anforderungen der Mitwirkenden entsprechend, durch die "Schnittgruppe" gekürzt. Zusätzlich wurde die durch den Film führende Hintergrundstimme eingesprochen und aufgenommen sowie der Beitrag durch Untertitel und Visualisierung der Forschungsergebnisse, in Form von Diagrammen, ergänzt. Die letzten Schritte in der Realisierung des Projekts stellten die Auswahl der passenden Musik und die Erstellung eines graphischen Designs der DVD's und Hüllen dar. Die Gruppe "Öffentlichkeitsarbeit" war mit der Organisation und Durchführung einer Projektpräsentation beauftragt, im Zuge welcher der Film Stigma(L)adé, mit ergänzendem fachlichem Input (z.B. durch Mag. (FH) Sepp Schörghofer, PSD Wien) und unter Teilnahme einiger in das Projekt involvierter Betroffener, vorgestellt wurde. Weiters berichtete Campusradio 94.4 über Stigma(L)adé.

Die DVD Stigma(L)adé kann zum Selbstkostenpreis von 7 EUR entweder per Mail: lbzauner@fhstp.ac.at, telefonisch: +43/676/84841047 oder per Post
Mag. (FH) Martin Zauner
Am Pfarrkogel 13
3233 Kilb
bestellt werden.


Literatur
Goffman, Erving (1975): Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt am Main, S. 13.
Peters, Helge (2009): Devianz und soziale Kontrolle. Eine Einführung in die Soziologie abweichenden Verhaltens, 3. Auflage, Weinheim und München, S. 22.


Quellen
Finzen, Asmus (2000): Die Psychiatrie, die psychisch Kranken und die öffentliche Meinung, http://www.forensik-herne.de/html/literatur/finza00a.html am 12.10.2009. Erschienen in Soziale Psychiatrie Nr. 4, S. 4-6.
Vortrag von Amering, Michaela: Ethik in der Psychiatrie, http://www.betreutes-wohnen-eschenz.ch/Ethik_in_der_Psychiatrie.pdf am 12.10.2009.


Über die AutorInnen

Mag. (FH) Martin Zauner

lbzauner@fhstp.ac.at

ist hauptberuflicher Lektor an der Fachhochschule St. Pölten und selbständiger Berater in enger Kooperation mit dem Verein Zentrum für Beratung

Julia Boschmann

ist Studentin an der Fachhochschule St. Pölten und freie Mitarbeiterin bei ChEck iT!