soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 6 (2010) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standortredaktion Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/187/294.pdf
339 Seiten / 34,90 EUR
Alexander Grimme legt in seiner Dissertationsschrift einen betriebs- und volkswirtschaftlichen Beitrag zum Kapitalwert menschlicher Beziehungen vor. Nachdem er zentrale Phänomene "Sozialbeziehung", "Soziakapital", "Soziale Ordnung" und "Gemeinschaft" breit abhandelt, diskutiert Grimme in bemerkenswerter Weise den Transfer eines wirtschaftswissenschaftlich geprägten Kapitalbegriffs auf den Bereich menschlicher Beziehungen. Seine Konklusio stellt er sogleich an den Anfang des Werks: Beim Phänomen "Sozialkapital" handele es sich tatsächlich um Kapital im wirtschaftlichen Sinne, wiewohl nicht alle Merkmale vollends zuträfen und nicht alle Vorbehalte gegen eine einfache Begriffsübertragung entkräftet werden können. So reichert der Autor den aktuellen Diskurs um eine überfällige Perspektive an, mit der er den ökonomischen Wert des Sozialkapitals begründet. Dabei wird weniger auf Ergebnisse empirischer Studien rekurriert denn auf eine sauber entwickelte Argumentationslinie über soziale Prozessvariablen, die eine Steigerung der (gesellschaftlichen, gruppenspezifischen und individuellen) Wohlfahrt bewirken. So liegt beispielsweise ein Kapitalwert sozialer Beziehungen darin, dass menschliche Kooperationen effektivere Problemlösungen herbeiführen, sich der Aktionsradius von Individuen erweitert und Transaktionen zunehmen. Dieser Mechanismus wirkt sich wiederum positiv auf Wohlstand, Wachstum, Gleichheit und Armutslinderung aus - um nur eine Argumentationslinie der Arbeit aufzuzeigen. Die Leserschaft kann jedoch noch weitere relevante Begründungen, wie auch die Grenze des Kapitalbegriffs zur Beschreibung menschlicher Beziehungen, entdecken.
126 Seiten / 24,90 EUR
Mit dieser Schrift erhalten wir - gemäß ihres Titels - einen Einblick das spezifische kulturelle Beziehungsgeflecht eines so genannten Entwicklungslandes. Nach den in derartigen Arbeiten üblichen Problem- und Phänomenbeschreibungen nimmt die eigene empirische Studie der Autorin den Hauptteil der Schrift ein. Sie untersucht informelle soziale Netzwerke informeller Kleinstunternehmer aus fünf Regionen im südlichen Afrika mit der Methode der egozentrierten Netzwerkanalyse. Die Analysen verdeutlichen, dass soziale Netzwerke in Entwicklungsländern vornehmlich dem Ausgleich institutioneller und wirtschaftlicher Misslagen und persönlichen Zweckinteressen dienen. Familie und Nachbarn spielen, wie auch in Industrienationen, dabei eine herausragende Rolle. Allerdings prägen sie unterschiedliche Normen, Werten und Verhaltensweisen in Bezug auf das "Geben-und-Nehmen" sowie auf marktwirtschaftliche Gepflogenheiten. Am Beispiel der Ergebnisse über die Zielgruppe lernen wir, unsere eurozentristische Debatte im Fachdiskurs zu erweitern und zu relativieren, was allein Grund genug ist, diesen Beitrag detailliert wahrzunehmen.
596 Seiten / 49,95 EUR
Mit diesem Sammelband liegt nichts Geringeres vor als das Desiderat und Handbuch zum Thema, was sich bereits an der zweiten Auflage verdeutlicht. Damit wäre bereits alles gesagt, bliebe das Statement nicht hinter den Erwartungen an eine Rezension zurück. Also: In 45 Beiträgen wird das durchaus breite Feld der Netzwerkforschung in seinen Theorie- und Methodengrundlagen fulminant erörtert. Die Beiträge sind nach einführenden, theoretischen, methodischen, innovativen, disziplin- und organisationsspezifischen Kapiteln strukturiert. Die Spannbreite aller Beiträge aufzuzeigen sprengt den hiesigen Rahmen, also werden einige Blitzlichter präsentiert, um das Interesse für mehr zu wecken.
Netzwerkanalysen kennen anscheinend kaum eine inhaltliche, und damit auch disziplinspezifische, Beschränkung. Als Beispiele werden im Sammelband u.a. vorgestellt: wissenschaftliche Korrespondenznetze im 18. Jahrhundert, Florentinische Familiennetze aus dem 15. Jahrhundert, studentische Vernetzungen in einem Internet-Diskussionsforum, Kundennetzwerke eines Versorgungs-Dienstleisters, das Netzwerk eines firmeninternen Email-Verkehrs, die persönlichen Kommunikationsnetzwerke von Firmenmitgliedern, Kommunikationsnetzwerke innerhalb von Wikipedia sowie innerhalb von Themen-Wikis, individuelle Netzwerkkarten zur Visualisierung der sozialen Identität, AutorInnen-Netzwerke zum Thema "Kindheit", außerparlamentarische Netzwerke von Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die Aufsichtsratsmandate in Medienunternehmen ausüben u.v.a.m.
Die Visualisierungen von Netzwerken, denen sehr große Datenmengen zu Grunde liegen, nehmen mehr und mehr Platz ein. Die größte Darstellung eines sozialen Netzes beträgt 4 mal 6 Meter.
Methoden zur Erfassung von Netzwerken gehen heutzutage über die klassische quantitative Befragung durch technologischen Einsatz weit hinaus. Relativ einfach gestalten sich - für Fachleute - noch Überprüfungen im Rahmen eines Intranets oder Internets. Aufwändiger wurde bereits die oben kurz zitierte Studie zu den persönlichen Kommunikationsnetzwerke von Firmenmitgliedern umgesetzt. Hier trugen alle Beteiligte eine softwaregestützte technische Box, die mittels Sensoren ihr "Gegenüber" erkennt und relevante Daten über die Kontaktperson und die Zeitdauer des Kontakts etc. speichert. Zudem musste die Soft- und Hardware extra dafür konzipiert werden.
Selbstverständlich werden diese und weitere Beispiele von fundierten Abhandlungen theoretischer und methodischer Grundlagen sowie aktueller Aspekte der Netzwerkforschung flankiert, die bereits allein das oben ausgesprochene Prädikat verdienen. Wer sich auch nur ansatzweise mit dem Thema beschäftigt, kommt um das Handbuch zur Netzwerkanalyse und -theorie nicht herum.
Frederic Fredersdorf / fre@fhv.at