soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 6 (2010) / Rubrik "Werkstatt" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/191/300.pdf


Katrin Pollinger & Ursula Stattler (Projektteam W.I.N. - Frauen werken im Netz):

Werkstattbericht W.I.N. - Frauen Werken im Netz.


Der Einsatz von Netzwerkkarten als unterstützende Methode bei qualitativen Interviews


Der folgende Bericht enthält die Erfahrungen der Projektgruppe W.I.N. im Umgang mit der Netzwerkkarte als Instrument der Erhebung und Illustration von Forschungsergebnissen. Ausgehend von der Aufgabenstellung durch die AuftraggeberInnen wird skizziert, welchen Stellenwert die Netzwerkkarte im Verlauf von Erhebung, Auswertung und Ergebnisdarstellung einnahm. Im Resümee werden die Wahrnehmungen der Studierenden bei der praktischen Anwendung der Netzwerkkarte in der Interviewsituation reflektiert. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich um die Erprobung einer Netzwerkkartensoftware handelte, wodurch spezielle Anforderungen an die Interviewsituation gestellt wurden (Computer ist im Raum, Erklärung, mögliche Anwendungsschwierigkeiten).

1. Aufgabenstellung
Netzwerke von Frauen am Land standen im Mittelpunkt der Erhebungen des Studierenden-Teams der Fachhochschule St. Pölten, Studiengang Soziale Arbeit in der Zeit von September 2009 bis Mai 2010. Im Rahmen der Projektwerkstatt des Bachelorstudiums wurde von den StudentInnen das Beziehungsgeflecht von Transitarbeitskräften des arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungsprojektes lebmit&bunttex in Gmünd, Waldviertel erforscht. Diese Erhebung erfolgte nach Auftrag der Projektverantwortlichen des Beschäftigungsvereines und bezweckte dreierlei: Es ging um die Erweitung des Wissens über das Funktionieren sozialer Netzwerke von Frauen am Land. Außerdem handelte es sich um eine Erhebung der Entwicklungen von ehemals bei lebmit&bunttex gegründeten Freundschaften und Bekanntschaften und somit um eine Evaluation der Nachhaltigkeit des Beschäftigungsprojektes, das großen Wert auf die Förderung der sozialen Netzwerke ihrer Transitarbeitskräfte legt.

2. MitarbeiterInnen
Projektleitung: DSAin Mag.a (FH) Katrin Pollinger und Mag.a (FH) Ursula Stattler
Am Projekt "W.I.N. - Frauen werken im Netz" waren folgende Studierende beteiligt: Iris Dallinger, Yvonne Huber, Birgit Mayer, Barbara Rieder, Marina Schmidberger, Jennifer Simlinger, Anton Zierl.

3. Folgende Fragestellungen standen im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit
Welche Bedingungen fördern die Entstehung tragfähiger sozialer Netzwerke?

4. Forschungspopulation
Für die Forschung konnten 17 ehemalige Transitarbeitskräfte (TAK) der Jahrgänge 2006 bis 2008 als Interviewpartnerinnen gewonnen werden. Als TAK werden Frauen bezeichnet, die im Rahmen der Beschäftigungsmaßnahme ein befristetes Dienstverhältnis erfahren. Die Auswahl der Interviewpartnerinnen erfolgte durch die Schlüsselkräfte des Projekts, welche die potenziellen Interviewpartnerinnen kontaktierten.

5. Erhebungsmethoden
Um die Qualität und Intensität von Netzwerken, also Freundschaften, Bekanntschaften, Liebesbeziehungen, Dorfgemeinschaften analysieren zu können, bedarf es qualitativer Interviews. Daher entschied sich das Team für eine qualitative Befragung mittels Leitfadeninterview. Zur Illustration und zur methodischen Unterstützung wählte man das Instrument der Netzwerkkarte. Die verwendete Software wurde an der Fachhochschule von FH Prof. DSA Mag. Dr. Peter Pantucek gemeinsam mit Mag.a (FH) Sabine Sommer konzipiert und von Nikolaus Kelis technisch umgesetzt.

6. Netzwerkkarte
"Die Netzwerkkarte ist ein diagnostisches Instrument, das auf einem ... soliden theoretischen Hintergrund beruht, die Vorteile eines bildgebenden Verfahrens aufweist, weitgehende interpretative Möglichkeiten eröffnet und gleichzeitig gut für kooperative Diagnostik geeignet ist" (Pantucek 2005:189).

In den Erhebungen des Projekts W.I.N. diente die Netzwerkkarte vor allem dem Sichtbarmachen von sozialen Beziehungen sowie der Vertiefung und Illustration der Leitfadeninterviews.

Die Vorgehensweise ist folgende: Für die Erstellung der Netzwerkkarte wird eine Ankerperson gewählt - in unserem Fall die Interviewperson -, die das Zentrum des Netzwerkes bildet. Ausgehend von der Ankerperson werden die Kontakte der Person durch Punkte in vier Sektoren, die durch Linien voneinander getrennt sind, eingetragen. Diese vier Sektoren sind: Freunde/Bekannte, Familie, Schule/Beruf und professionelle Beziehungen. Je wichtiger die Person für die Ankerperson ist, desto näher wird sie zur Ankerperson eingezeichnet. Ist Kontakt zwischen zwei Personen vorhanden, so wird dieser mit Hilfe einer Linie zwischen zwei Punkten (Personen) gekennzeichnet. Die Dichte des Netzwerkes lässt sich anhand einer Formel (Dichte = n/{[N(N-1)] / 2}) berechnen. Wobei "n" die Personenpaare, die sich kennen und miteinander Kontakt haben (ohne Ankerperson) und "N" die Summe der Personen im System (ohne Ankerperson) bezeichnet. Die Interpretation des Netzwerks erfolgt anhand von Schlüsselpositionen und Beziehungsformen im Netzwerk in verschriftlichter Form (vgl. Pantucek 2005:141-150). Das Computerprogramm erleichterte die rechnerische Auswertung der Netzwerkkarten.

Das zentrale Anliegen des Projektes lag darin, festzustellen, wie die Netzwerke der bei lebmit&bunttex beschäftigten Frauen aussehen. Es wurde versucht zu erfassen, inwieweit gegenseitige Unterstützung in den Netzwerken im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe stattfindet und ob ein Mehrwert (Erweiterung des Netzwerkes, unterstützende Beziehungen) aufgrund der Teilnahme an dem Beschäftigungsprojekt geschaffen wird.

Um einen Vergleich der sozialen Netzwerke der Frauen sowohl vor der Zeit der Beschäftigung bei lebmit&bunttex als auch danach zu ermöglichen, wurde die Software eigens modifiziert.

Insbesondere wurden folgende Features eingearbeitet:

7. Auswertung
Bei der Auswertung der Interviews wurde inhaltsanalytisch nach Mayring vorgegangen. Die Ergebnisse der Forschungstätigkeit sind im Bericht "W.I.N. - Frauen werken im Netz" zusammengefasst dargestellt und auch in die Bachelorarbeiten der Studierenden eingeflossen.

Die bei den Interviews erarbeiteten Netzwerkbilder sind als Illustration der Interviewergebnisse in die Berichtserstellung eingeflossen, die Bilder selber wurden nicht miteinander verglichen.

8. Rückmeldungen über die Anwendung der Netzwerkkarte
Die Rückmeldungen der Studierenden über die Anwendung der EDV-unterstützten Netzwerkkarte waren überwiegend positiv. Durch das gemeinsame Erarbeiten des Beziehungsbildes konnte - so der Eindruck der Studierenden - vielfach die oft klinische Situation des Interviews aufgelöst werden. Das dialogische Erstellen dieses Bildes wurde als auflockernd wahrgenommen. FragerIn und Befragte saßen sich nicht gegenüber sondern nebeneinander, was "eine andere Art von Nähe" ermöglichte. Auch das Nachfragen der InterviewerInnen konnte durch das Bild am Computer spielerisch erfolgen. Die anfängliche Befürchtung, dass weniger technisch geübte Interviewpersonen der Anwendung skeptisch gegenüberstehen könnten, erwies sich aber als weitgehend unbegründet. Das Gegenteil war der Fall, den Frauen machte diese Tätigkeit durchaus Spaß, auch das Ausprobieren eines neuen Tools am Computer zeitigte ein Erfolgserlebnis - besonders bei so mancher technikfernen Transitarbeitskraft. Laut Rückmeldung der Studierenden hatten die Frauen auch keine Hemmungen, die InterviewerInnen um Unterstützung zu bitten.

Eine weitere Annahme, die in der Vorbereitung der Interviews diskutiert wurde, war die mögliche Angst der Frauen davor "zu wenig" Kontakte zu haben. In der Nachbesprechung mit den Studierenden spielte dieser Aspekt kaum eine Rolle. Manche Frauen hätten zwar anfangs diese Befürchtung geäußert, seien aber dann erstaunt über das große Netzwerk gewesen.

Generell wurde die begleitende Anwendung der Netzwerkkarte von den Interviewenden als sinnvoll und angenehm wahrgenommen. Vor allem das Bild selbst, ermöglicht einen Eindruck, der die "Geschichten" und Informationen aus den Interviews gut ergänzt.

9. Beispiel Netzwerkkarte


Literatur
Granovetter, Mark (1973). Zit. in.: Henning, Marina (2006). Individuen und ihre sozialen Beziehungen. Wiesbaden. 75-76.
Granovetter, Mark (1983): The strengths of weak ties: A network theory revisited. In: Sociological Theory (1983), Volume 1. 201-233.
Hammer, Veronika / Lutz, Roland (Hg.) (2002): Weibliche Lebenslagen und soziale Benachteiligung.Theoretische Ansätze und empirische Beispiele. Frankfurt am Main. 67-76.
Jansen, Dorothea (2006): Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele. 3. überarbeitete Auflage, Wiesbaden. 65-80.
Mayring, Philip (1995): Qualitative Inhaltsanalyse. In: Flick, Uwe et. al. (Hrsg.) (1995). Handbuch qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. 2. Auflage, Weinheim.
Pantucek, Peter (2005): Soziale Diagnostik. Verfahren für die Praxis Sozialer Arbeit. Wien/Köln/Weimar.
Pantucek, Peter (2006): Fallstudien als "Königsdisziplin" Sozialwissenschaftlichen Forschens. In: Flaker, Vito / Schmid Tom (Hg.) (2006): Von der Idee zur Forschungsarbeit. Forschen in Sozialarbeit und Sozialarbeitswissenschaft. Wien.
Pantucek, Peter (2009): Das Dorf, der soziale Raum und das Lebensfeld. Überlegungen zur Raumbezogenheit Sozialer Arbeit. In: Kluschatzka, Ralf-Eric / Wieland, Siegrid (Hg.) (2009): Sozialraumorientierung im ländlichen Kontext. 1. Auflage. Wiesbaden. 39-52.
Pasero, Ursula / Priddat Birger P. (Hg.) (2004): Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender. 1. Auflage, Wiesbaden.


Link zum Download Netzwerkkarte:
http://inclusion.fhstp.ac.at/aktuelles/easynwk/