soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 7 (2011) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/206/323.pdf


Gerda Bernauer:

Interdisziplinäre Zusammenarbeit nach dem NÖ Model der Schulsozialarbeit


Schulpädagogik und Soziale Arbeit sind unterschiedliche Disziplinen, haben unterschiedliche Herangehensweisen und verfügen über verschiedene Erfahrungen. Aber sie arbeiten mit den gleichen Zielgruppen auf vergleichbare Ziele hin. Damit wird die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit zentral. Interdisziplinarität bedeutet eine integrationsorientierte Zusammenarbeit von Personen aus verschiedenen Disziplinen. Schulpädagogik und Soziale Arbeit müssen gemeinsam Herausforderungen wie das Phänomen Gewalt, Leistungsdruck,… bearbeiten. (vgl. Drilling 2009: 100). Dies erfordert die Einsicht und das Einfühlungsvermögen in die jeweilige "Fach-und Arbeitswelt" der anderen Berufsgruppe um auf einer neutralen Basis zusammenarbeiten zu können.


1. Situation in NÖ
Das Handlungsfeld Schulsozialarbeit gibt es in Niederösterreich seit dem 1. März 1999. Vor 12 Jahren startete das Modellprojekt x-point in 4 Schulen der Region Neulengbach. Mittlerweile gibt es Schulsozialarbeit in ca. 60 Schulen in NÖ, und 7 Vereine bieten dieses Angebot an. Schulsozialarbeit ist in Niederösterreich ein wachsendes Feld der Sozialarbeit. Es unterliegt einer klaren Regelung durch die Jugendwohlfahrt Niederösterreich: Alle Trägervereine, die Schulsozialarbeit anbieten, sind freie Träger der Jugendwohlfahrt. Die Vernetzung dieser Vereine findet im Rahmen von Plattformtreffen statt. Gemeinsamen Standards werden im Auftrag der Jugendwohlfahrt Niederösterreich entwickelt. Im Folgenden wird an Hand der Einrichtung x-point Schulsozialarbeit, Verein Young, die organisatorische Eingliederung, sowie Auftrag und Aufgabenfelder der Schulsozialarbeit in Niederösterreich skizziert.


1.1 Einrichtung x-point Schulsozialarbeit/Verein YOUNG
Der Verein YOUNG ist freier Träger der Jugendwohlfahrt NÖ und übernimmt mit der Einrichtung x-point Schulsozialarbeit privatrechtliche Aufgaben der Landesjugendwohlfahrt. Die Arbeit von x-point Schulsozialarbeit basiert auf dem durch die Landesjugendwohlfahrt bewilligten Konzept. Die Fachaufsicht obliegt der Jugendwohlfahrt des Landes NÖ. X-point Schulsozialarbeit ist keine Maßnahme, arbeitet im Bereich der sozialen Dienste, die Angebote basieren auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. (vgl. Müller 2008: 3,4).


1.2 Auftrag von x-point Schulsozialarbeit Schulsozialarbeit hat den Auftrag, eine niederschwellige Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche im Lebensraum/Sozialraum Schule zu sein. Sie unterstützt das System Schule in ihrem umfassenden sozialen Auftrag. Als sozialer Dienst der Jugendwohlfahrt hat die Schulsozialarbeit den Auftrag, Kinder und Jugendliche zu beraten und zu unterstützen, noch bevor Probleme eskalieren. SchulsozialarbeiterInnen gehen in die Lebenswelt der SchülerInnen, um Prozesse in einem Stadium zu begleiten, wo die Situation noch nicht verhärtet ist. Die Inanspruchnahme des Angebots ist freiwillig.

  1. Primärer Auftrag: Niederschwellige Anlauf- bzw. Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche.
  2. Sekundärer Auftrag: Beratung von Eltern und LehrerInnen im Bezug auf die SchülerInnen (vgl. Müller 2008 in Bernauer 2009: 5,6)


1.2 Auftrag von x-point Schulsozialarbeit Schulsozialarbeit hat den Auftrag, eine niederschwellige Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche im Lebensraum/Sozialraum Schule zu sein. Sie unterstützt das System Schule in ihrem umfassenden sozialen Auftrag. Als sozialer Dienst der Jugendwohlfahrt hat die Schulsozialarbeit den Auftrag, Kinder und Jugendliche zu beraten und zu unterstützen, noch bevor Probleme eskalieren. SchulsozialarbeiterInnen gehen in die Lebenswelt der SchülerInnen, um Prozesse in einem Stadium zu begleiten, wo die Situation noch nicht verhärtet ist. Die Inanspruchnahme des Angebots ist freiwillig.

  1. Primärer Auftrag: Niederschwellige Anlauf- bzw. Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche.
  2. Sekundärer Auftrag: Beratung von Eltern und LehrerInnen im Bezug auf die SchülerInnen (vgl. Müller 2008 in Bernauer 2009: 5,6)


1.4 Angebote

  1. Beziehungsarbeit:
    SozialarbeiterInnen sollen Beziehungen zu SchülerInnen knüpfen um Vertrauen aufzubauen, die SchülerInnen müssen die Person kennen, damit sie diese bei Bedarf auch kontaktieren. Die SozialarbeiterInnen stellen sich am Schulanfang in den Klassen vor. Die Schule stellt der Schulsozialarbeit für die Anwesenheitszeit einen Raum zu Verfügung. In diesem können die SchülerInnen in den Pausen, Freistunden vorbeikommen. Bei Bedarf bieten die SozialarbeiterInnen auch sogenannte Kennenlernstunden an, wo sie in Klassen ein bis zwei Unterrichtseinheiten gestalten. Die zuständigen LehrerInnen müssen bei diesen Stunden anwesend sein, da sie die Aufsichtspflicht haben. Die Eltern werden durch einen Elternbrief über die Tätigkeit und Anwesenheitszeiten sowie die Kontaktdaten informiert. Wenn möglich sind die SozialarbeiterInnen auch an Elternsprechtagen und bei Feiern und Festen anwesend, damit sie auch die Möglichkeit haben zu den Eltern Kontakte zu knüpfen. Weiters besuchen sie 1-2mal jährlich eine LehrerInnenkonferenz um ihre Arbeit zu präsentieren aber auch um verschiedene Fragen, Anliegen zu klären.
  2. Beratung:
    Bei Fragen, Problemen, Schwierigkeiten können SchülerInnen mit der/den zuständigen SozialarbeiterIn einen Termin vereinbaren.
  3. längerfristige Betreuungen:
    Kann die Frage oder das Problem mit einer Beratung nicht gelöst werden, so kommt es zu mehreren Beratungen
  4. Gruppenaktionen/Klassenaktionen:
    Diese werden je nach Bedarf und zeitlichen Ressourcen sowohl im Bereich Intervention (z.B. Mobbing,...) oder im Bereich Prävention (z. B. Liebe, Sexualität, ...) durchgeführt. Sie finden je nach Bedarf statt. Im Klassenverband, oder in Form eines Jahrgangsprojekt, wo die LehrerInnen und die/der SozialarbeiterIn verschiedene Workshops zu einem Thema anbieten. Natürlich ist es auch möglich nur mit Kleingruppen zu arbeiten. Dies muss dann mit dem/der zuständigen LehrerIn abgesprochen werden, welche die SchülerInnen in den jeweiligen Stunden unterrichtet.
  5. Unterstützung bei Präventionsanliegen der Schulen
    Möchte die Schule ein Projekt durchführen, das auch im Bereich der Sozialarbeit Relevanz hat, dann wird die/der zuständige SozialarbeiterIn dies mit seinem/ihrem Fachwissen unterstützen.
  6. Gemeinwesenarbeit:
    Phänomene der Region werden an die zuständigen Stellen, Gremien weitergegeben
  7. Vernetzung:
    Mit regionalen privaten sozialen Institutionen und dem zuständigen Fachgebiet für Jugendwohlfahrt ist die Vernetzung ein Teil der Sozialarbeit um bei Bedarf an die entsprechende Einrichtung weitervermitteln zu können. (vgl. Müller 2008: 5)

Im NÖ Modell der Schulsozialarbeit werden verschiedene Organisationen, ihre verschiedenen Strukturen, Rahmenbedingungen und Aufträge miteinander verbunden: die Organisation Schule und die Organisation Jugendwohlfahrt. (vgl.Bernauer 2009:47)

Die Schulsozialarbeit nutzt den Rahmen der Schule für ihre Angebote, muss sich daher an gewisse Rahmenbedingungen des Systems Schule anpassen (z.B. zeitliche Vorgaben, Hausordnung,...). Die fachliche und organisatorische Leitung der Schulsozialarbeit liegt jedoch beim Trägerverein der Schulsozialarbeit, der ein freier Träger der Jugendwohlfahrt ist. Die fachliche und organisatorische Leitung für die Schule liegt bei der Direktion. Daher wird das Bild der Matrixorganisation für die Darstellung verwendet. Es zeigt das Zusammenspiel der beiden Organisationen und ihrer Hierarchien.


Abbildung 1: vgl. Bernauer:2009:48

Diese Darstellungsform wurde in einer Diplomarbeit der FH St. Pölten verwendet. Erforscht wurde der Beitrag der Schulsozialarbeit zum Thema Gewalt in der Schule mit den derzeitigen Rahmenbedingungen in Niederösterreich. Die Interviews wurden mit SchülerInnen, LehrerInnen, der fachlichen Leitung der Schulsozialarbeit, einer/m DirektorIn und einer/m SchulsozialrbeiterIn an einer von x-point betreuten Schule durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Diplomarbeit zeigen anhand des Phänomens Gewalt auch die Zusammenarbeit der beiden Berufsgruppen auf. Direktion und fachliche Leitung des Trägervereins der Schulsozialarbeit, haben regelmäßige Reflexionsgespräche, wo Prozesse und Abläufe reflektiert, neue- Ziele geklärt und gemeinsame Strategien entwickelt werden. Die LehrerInnen und die SchulsozialarbeiterInnen haben eine andere Form der Zusammenarbeit. Sie arbeiten eher nebeneinander als miteinander. Es gibt keine gemeinsamen Zielformulierungen, es zeigt sich jedoch das Muster der gegenseitigen Akzeptanz. Die LehrerInnen mischen sich bei der Arbeit der SchulsozialarbeiterIn nicht ein und umgekehrt auch nicht. Mögliche Gründe, für diese Form der Kooperation der Berufsgruppen scheinen zu wenig Vertrauen, zu wenig zeitliche Ressourcen, rechtliche Gründe (wie z. B. die Verschwiegenheitspflicht) zu sein. Diese Punkte wurden in den Interviews erwähnt. Es wird auch argumentiert, dass bestimmte Strukturunterschiede zwischen Schule und Sozialarbeit eine Zusammenarbeit unmöglich machen oder für Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit verantwortlich sind. (vgl.Bernauer 2009:52)

Diese Ergebnisse weisen daraufhin, dass der Zusammenarbeit auf allen Ebenen, zwar unterschiedlich, jedoch eine wichtige Bedeutung zukommt. Damit die SchülerInnen von beiden Berufsgruppen und ihren unterschiedlichen Zugängen profitieren können.


2. Strukturunterschiede in der Zusammenarbeit
Matthias Drilling (2009: 102) macht deutlich, dass nicht strukturelle Differenzen eine Kooperation zwischen Schule und Sozialarbeit erschweren, sondern mangelnder Wille oder mangelnde Möglichkeiten diese einander näher zu bringen und daraus notwendige Schlüsse zu ziehen. "Die Herausforderung, vor der Schule und Sozialarbeit stehen, ist also nicht, die unterschiedlichen Arbeitsweisen, Methoden und Verfahren einseitig anzupassen, aufzugeben oder beidseitig gleich zu machen. Es geht darum, sich der Struktur des eigenen Systems bewusst zu werden, die Unterschiedlichkeiten zum anderen System herauszuarbeiten und dann die gemeinsame Anstrengung zu unternehmen, in einem Dialog den Beitrag der jeweils eigenen Fachlichkeit auszuweisen" (Drilling 2009: 102).

Diesen Umstand näher erläuternd weisen Seel und Scheipl (2004:265) darauf hin, dass Schule und Sozialarbeit unterschiedlichen Handlungslogiken folgen. "Die Schule definiert sich primär von den Lerninhalten her und muss demnach das Funktionselement der Differenzierung hoch gewichten. Die LehrerInnen- SchülerInnenbeziehung definiert sich stärker von einer "Sache" her. Dem gegenüber konzentriert sich die soziale Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen auf die Beziehungsebene, wodurch die Beziehung umfassender, "ganzheitlicher" wird. Sie betont "das Funktionselement der Integration". Die Beziehung wird mehr oder weniger auf die ganze Persönlichkeit des/r SchülerIn, seine/ihre Bedürfnisse, seine/ihre Vorlieben und Stärken aber auch auf seine/ihre Probleme bezogen. (Seel/Scheipl 2004:265)

Seel und Scheipl schlagen deshalb vor, die Funktions- und Rollendifferenzierung zwischen Bildungssystem und Jugendhilfesystem nicht aufzuheben. Vielmehr sollte die Chance gegenseitiger Ausbalancierung durch Begegnung zwischen Lehrkräften und Fachkräfte der Jugendhilfe - an Schulen sowie durch gegenseitige Kooperation verbessert werden. Daraus leiten sie folgenden Vorschlag ab: "Die unterschiedlichen Handlungslogiken benötigen wechselseitige Kritik und Anregungen von LehrerInnen und SozialarbeiterInnen in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung vor der speziellen Kompetenz der jeweils anderen Berufsgruppe. Beide Berufsgruppen sind für solche Projekte entsprechend vorzubereiten" (Seel/Scheipl 2004:265)

Ressourcen, Rahmenbedingungen und fachliche Ausbildung sind unterschiedlich. Durch eine Reflexion beider Berufsgruppen kann es zu einer neutralen Zusammenarbeit kommen. Gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung sind notwendig für die Kooperation.

Auf diese Weise wäre sichergestellt, dass beide Funktionsimperative institutionell abgesichert, repräsentiert und gleichzeitig in ihren extremen Auswirkungen durch die jeweils andere Institution und ihre Ansprüche und Erwartungen gegenbalanciert werden. "Es ist also der Synergieeffekt einer intensiven Zusammenarbeit zweier Partner, der die besondere Produktivität der Angebotsform der Schulsozialarbeit begründet." (Seel/Scheipl 2004: 264).


Literatur / Quellen
Bernauer, G (2009): Welchen Beitrag kann Schulsozialarbeit zum Thema "Gewalt im Pflichtschulbereich" mit den derzeitigen Rahmenbediengungen in Niederösterreich leisten, Diplomarbeit, FH St.Pölten
Drilling, M (2009): Schulsozialarbeit. Antworten auf veränderte Lebenswelten, Bern
Müller, M. (2008): Sozialarbeit und Ethik, Hausarbeit FH St. Pölten
Seel, H. / Scheipl, J. (2004): Das österreichische Bildungswesen am Übergang ins 21. Jahrhundert, Graz


Links
www.x-point.at


Über die Autorin

DSA Mag. (FH) Gerda Bernauer, Jg. 1976
gerda.bernauer@young.or.at

Seit Juni 1998 diplomierte Sozialarbeiterin (Bundessozialakademie St. Pölten). Seit Juli 1998 Aufbau und Leitung x-point Schulsozialarbeit Schreinergasse1 3100 St. Pölten. Seit März 2004 Geschäftsführerin Verein Young - Trägerverein von x-point Schulsozialarbeit. Derzeit zuständig für die Region NÖ-Ost.