soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 7 (2011) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standortredaktion Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/212/337.pdf


Evaluieren und Forschen

Eine Grundqualität menschlichen Handelns besteht darin, das eigene Tun kritisch zu reflektieren, u.a. um optimierte Handlungsergebnissen zu erzielen. Auf diese Weise gelingt es Systemen wie Individuen auch, sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen und in gegenseitig nützliche Wechselbeziehungen zu treten - also: Soziales Kapital aufzubauen. Sozialwissenschaftlich formuliert, leisten Evaluation und Forschung dabei zentrale Funktionen. Die nachfolgend vorgestellten Bände beziehen sich auf diesen Gegenstandsbereich; sie richten sich zwar vornehmlich an Studierende, eignen sich aber auch bestens für interessierte Praktikerinnen und Praktiker als Einstiegs- und Nachschlagswerke.



Merchel, J.: Evaluation in der Sozialen Arbeit. Reinhardt UTB. München, Basel 2010

169 Seiten / 24,90 EUR

Evaluationskompetenz stärkt das soziale System, sei es als Handlungskompetenz zur Selbstevaluation, als Mitsprachekompetenz im Fall einer Fremdevaluation oder als Kompetenz für die Vergabe externer Studien. Der Vorteil für das System liegt auf der Hand: Mythen werden kritisch hinterfragt, Praxishandeln entrinnt der Beliebigkeit und wird zunehmend evidenzbasiert, Innovation ist zwangsläufig die Folge. Dass es dabei nicht um neoliberale Kontrollmechanismen geht, sondern darum, Professionalität in der sozialarbeiterischen Praxis zu entwickeln, zeigt Joachim Merchel deutlich auf. Sein Buch richtet sich vornehmlich an Studierende, die sich mit dem Thema erstmals auseinandersetzen - genau aus diesem Grund könnte und sollte es aber auch in der sozialen Praxis wahrgenommen werden. Zwar kann es keinen allumfassenden Anspruch an das Thema einlösen, was mit einem Einstiegswerk auch nicht beabsichtigt ist. So sind etwa die methodischen Darstellungen recht allgemein gehalten; die dadurch erworbenen Kenntnisse müssen für ein Studium auf jeden Fall durch weiterführende Literatur unterfüttert werden. Das Buch bietet aber einen guten Überblick in Fragestellungen und systematische Umsetzungen von Evaluation. Zusätzlich fällt positiv auf, dass der Autor seine handlungspraktische Erfahrung breit hat einfließen lassen; seine Tipps zur Umsetzung sind auf jeden Fall Gold wert.



Hug, T. & Poscheschnik, G.: Empirisch Forschen. Die Planung und Umsetzung von Projekten im Studium. UVK UTB. Konstanz 2010.

221 Seiten / 17,90 EUR

"Früh übt sich ..." Vor den Zeiten des Europäischen Hochschulraums begann das akademisch forschende Üben im Erststudium. Seit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studien geht diese Funktion zunehmend ins Zweitstudium über, was den so genannten Dublin Descriptors durchaus entspricht. Nach dem Studium kann die dabei erworbene Methodenkompetenz manchmal selten bis gar nicht, manchmal in einer Promotion und manchmal in einem Arbeitsprojekt angewandt und verfeinert werden. Unabhängig vom tatsächlichen Zeitpunkt ist es vor allem dann hilfreich, auf ein Buch wie das vorliegende zurückzugreifen, wenn noch nicht allzu viel eigene Erfahrung in der Umsetzung von Projekten empirischer Forschung vorliegt oder diese zu lange her ist, um präsent zu sein. Die Autoren bieten für "alte Hasen" nun kaum etwas Neues, für die avisierte Zielgruppe dürfte die dargestellte Expertise jedoch mehr als hilfreich sein. Elemente der Projektplanung werden ebenso abgehandelt wie methodische Grundlagen der empirischen Sozialforschung von der Planung über die Erhebung und Auswertung der Daten bis hin zur Ergebnispräsentation. Wie beim oben rezensierten Werk gilt auch hier das Vertiefungstheorem: So ist etwa bei der Frage, ob eher qualitative oder eher quantitative Methoden eingesetzt werden sollten, oder wie geeignete Auswertungsverfahren zu bewerten sind, vertiefendes Literaturstudium unbedingt nötig. Um es zu betonen: Das ist kein Manko, da sich das Werk ausdrücklich als Einführung an Studierende richtet.



Atteslander, P.: Methoden der empirischen Sozialforschung. 13. neu bearbeitete Auflage. Erich Schmidt Verlag. Berlin 2010.

387 Seiten / 19,95 EUR

Der "Atteslander" wurde bereits zuvor in unserem Online-Journal rezensiert. Es handelt sich dabei um ein soziologisches Standardwerk mit berechtigt hohem Renommee zu den Grundlagen der empirischen Sozialforschung. Nun liegt er in der dreizehnten und neu überarbeiteten Auflage vor, was einen kurzen Blick auf die Neuerungen rechtfertigt: Zunächst fällt auf, das er um 30 Seiten stärker ist als die zwölfte Auflage, dies liegt u.a. daran, dass das Schlusskapitel fünf ("Orientierungshilfen") leicht überarbeitet und ergänzt wurde; die anderen Kapitel sind inhaltlich annähernd gleich geblieben. Bei der stichprobenartigen Suche nach weiteren Überarbeitungen - d.h. bei einem direkten Textvergleich der 12. und 13. Ausgabe - zeigen sich nur äußerst geringe Veränderungen. Der Mehrumfang ist auch zu einem guten Anteil auf ein großzügigeres Layout zurückzuführen. Wer also den "Atteslander" in seiner zwölften Ausgabe besitzt, braucht die dreizehnte nicht anzuschaffen. Wer an Sozialforschung interessiert ist, und ihn noch nie in der Hand hatte, ist mit der Anschaffung nach wie vor bestens beraten.



Kruse, O.: Lesen und Schreiben. Der richtige Umgang mit Texten im Studium. UVK UTB. Konstanz 2010.

181 Seiten / 14,90 EUR

Um das Viergestirn zum wissenschaftlichen Arbeiten zu vollenden, sei nun ein interessantes Grundlagenbuch über den Erwerb von akademischer Lese- und Schreibkompetenz rezensiert. Otto Kruse präsentiert Standards, Definitionen und Handlungsempfehlungen, wie wissenschaftliche Texte effektiv und effizient wahrgenommen und verarbeitet werden können. In einigen Aspekten (z.B. Themenwahl, Planung) leicht redundant zu den o.g. Werken, stellt sein Einstiegswerk für die Zielgruppe der Studierenden dennoch eine sinnvolle Ergänzung dar. Am besten wäre es (aber wer macht das schon?), dieses Buch vorab des ersten Semesters zu lesen - und zwar so systematisch, wies es der Autor vorschlägt, quasi als Pilotprojekt. Hochschullehrende würden dann vielleicht seltener über die sinkende Literalität der Erstsemester klagen … vielleicht aber auch nicht. Ihnen wird es daher auch künftig obliegen, Literaturkompetenz zu vermitteln, wozu "Lesen und Schreiben" auch für die Seminarplanung eine sehr gut geeignete Hilfe darstellt und unbedingt entweder "quer" zum Curriculum oder als expliziter seminaristischer Bestandteil vermittelt werden sollte. Warum das wichtig ist? Nicht nur in der Scientific Community tragen Fähigkeiten zur Verarbeitung und Erstellung von wissenschaftlichen Texten dazu bei, dass Soziales Kapital in Form von Professionalität gebildet und kultiviert werden kann.



Pospeschill, M.: Testtheorie, Testkonstruktion, Testevaluation. Reinhardt UTB. München & Basel 2010.

246 Seiten / 24,90 EUR

Psychologische Diagnostiken und Test durchzuführen oder durchführen zu lassen, gehört zum Standardrepertoire von Medizin, Psychologie und Sozialer Arbeit in sozialen Handlungsfeldern. Diagnostiken und Tests empirisch seriös zu entwickeln, ist hierzu eine notwendige und absolut nicht triviale Vorstufe. Was zu dieser umfangreichen Vorleistung gehört, stellt Markus Pospeschill profund dar. Er behandelt Theorie, Planung und Überprüfung von Tests, beschreibt die Kriterien und Entwicklungsverfahren zur Testgüte, Itemkonstruktion und Testevaluation und zur klassischen und probabilistischen Testtheorie. Dabei wählt er einen kombinierten Duktus von wissenschaftlicher Prosa und mathematischer Darstellung. Dies mag auf den ersten Blick nicht einfach zu verarbeiten sein; als hilfreich erweist sich allerdings die hervorragende lesedidaktische Aufbereitung mit einführenden Definitionen und Erläuterungen, Rand-Ikonen und Merksätzen, Grafiken und Beispielen. Grundkenntnisse in der quantitativen Sozialforschung erleichtern jedoch das Verständnis; ebenfalls förderlich sind erweiterte SPSS-Kenntnisse, etwa zur Faktoren- oder Reliabilitätsanalyse. Das Buch sollten unbedingt alle wahrnehmen, die in der psychologischen oder sozialen Forschung eigene Fragebögen oder Tests entwickeln bzw. von anderen entwickelte Bögen oder Tests einsetzen, da es die Gütekriterien der Testerstellung abhandelt. Denn nur wenn diese bekannt sind, lässt sich die Güte von Fragebögen und Tests seriös bewerten. Mit seinem Werk erfüllt der Autor zudem noch eine wichtige Meta-Funktion: Er belehrt jene eines Besseren, die der Ansicht sind, quantitative Erhebungsinstrumente ließen sich "mal eben" oder "von jedem" erstellen.



Trappmann, M., Hummel, H. & Sodeur, W.: Strukturanalyse sozialer Netzwerke. Konzepte, Modelle, Methoden. 2. überarbeitete Auflage. VS Verlag. Wiesbaden 2011

305 Seiten / 29,95 EUR

Die Autoren legen ein Arbeits- und Lehrbuch zur sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse vor, das uneingeschränkt als Desiderat jedes einschlägigen Handapparats angesehen werden kann. Die überarbeitete zweite Auflage weist einige redaktionelle Verbesserungen vor (Ergänzungen, Neuformulierungen, Überarbeitung von Ungenauigkeiten), die bereits den Kauf rechtfertigen würden. Zentrale Neuerungen sind allerdings aktualisierte Software- und Literaturhinweise sowie die konsequente Verwendung der einschlägigen englischen Termini. Dies ermöglicht es der deutschsprachigen Leserschaft, indirekt in den internationalen Diskurs einzusteigen. Den Autoren ist zudem positiv anzurechnen, dass sie trotz alternativer theoretischer Deutung auch den Aufbau ihres Werks an die internationale Debatte anpassen, um kompatibel zu bleiben. Im Kontext der aufbereiteten Theorien, Modelle und (auch: softwarespezifischen) Methoden handeln sie folgende Analyseaspekte breit ab: Grundlagen der Netzwerkanalyse und der Open-Source-Software UCINET; Prestige, Zentralität, Zentralisierung; kohäsive Teilgruppen; Positionen und Rollen; stochastische Modelle für Dyaden und Triaden. Außerdem geben sie zusätzliche Empfehlung für vertiefendes Studium.Trotz der dahinterliegenden komplexen Mathematik, und des für EinsteigerInnen umfangreichen neuen Sprachgebrauchs, gelingt es den Autoren, die Elemente der Netzwerkanalyse wissenschaftlich allgemeinverständlich zu erörtern. Vektorielle und andere graphische Darstellungen sprechen - das erwarten wir bei diesem Thema auch - die Lesenden "rechtshirnig" an und stützen damit in gelungener Weise die Textaussagen. Als didaktisch sinnvoll erweist sich zudem, dass die Autoren alle Analysen am selben Datensatz durchführen, was Stringenz und Verständlichkeit fördert. Fazit: Das Buch ist bereits grundsätzlich aus methodischer und theoriebezogener Sicht sehr interessant. Für NetzwerkanalytikerInnen ist es ein Standardwerk.



Rudolf, M. & Müller, J.: Multivariate Verfahren. Eine praxisorientierte Einführung mit Anwendungsbeispielen in SPSS. Hogrefe. Göttingen u.a. 2004.

331 Seiten / 36,95 EUR

Komplexe statistische Verfahren sind in Software-Handbüchern oft handlungsnah aber mit nur geringem Theoriebezug, und in empirischen Grundlagenwerken oft mit hohem Theoriebezug aber oft eher handlungsfern erläutert. Diese Lücke suchen die Autoren sinnvoll zu schließen, und es darf vorweggenommen werden: mit Erfolg. "Multivariate Verfahren" bietet vertiefende Erörterungen und Umsetzungsbeispiele für die Regressions-, Varianz, Faktoren, Cluster- und Zeitreihenanalyse sowie für die Analyse loglinearer Modelle und linearer Strukturgleichungsmodelle in SPSS bzw. AMOS. Alle Anwendungsbeispiele sowie weitere Übungsdatensätze aus der Arbeit der Autoren finden sich auf beigefügter CD-ROM, was vor allem das Selbststudium erleichtert, wenn kein eigener Datensatz vorhanden ist. Der einheitliche Aufbau der Kapitel (Beispiel, Ziele, Vorgehensweisen, Dialogfenster, Befehle, Tabellen, Grafiken, Erläuterungen) unterstützt die schrittweise Erarbeitung der Verfahren; auf mathematische Diskurse wird dabei fast vollständig verzichtet. Dennoch sollten statistische Grundkenntnisse und Basiswissen in SPSS und Windows mitgebracht werden, andernfalls eröffnen sich Zusatzfragen, die nicht im Sinn des Werks beantwortet werden können. Insgesamt hinterlässt das Handbuch einen äußerst positiven Eindruck; es eignet sich vor allem für jene, die innerhalb eigener empirischer Studien über deskriptive und einfache korrelative Verfahren hinausgehende Fragestellungen an das Datenmaterial richten.



Frederic Fredersdorf / fre@fhv.at