soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 8 (2012) / Rubrik "Geschichte der Sozialarbeit" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/230/392.pdf


Traude Veran:

Berta Pichl


Eine Frau zwischen den Zeiten


1. Geburtsort Asch
Bertas Geburtsstadt Asch (tschechisch Aš) liegt im äußersten Nordwesten Tschechiens im Kreis Eger (Cheb, Region Karlsbad). Der „Ascher Zipfel“ ragt in das umgebende fränkische Bayern hinein. Heute gehört Asch der Mikroregion Freunde im Herzen Europas an und verfügt über mehrere Grenzübergänge, u. a. auch zur Schwesterstadt Rehau.

Asch war eine protestantische Enklave von politischer Selbstständigkeit und wurde unter Maria Theresia Böhmen eingegliedert; sie sicherte dem Ort jedoch Glaubensfreiheit zu. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine florierende Textilindustrie, 1872 wurde Asch zur Stadt erhoben.

Eine Kuriosität: Robert Schumanns Jugendliebe Ernestine von Fricken stammte aus Asch. Er verarbeitete die Buchstabenfolge A-S-C-H im Klavierzyklus Carnaval.1

In diese protestantisch-deutschböhmische Stadt wurde Berta Pichl am 1. September 1890 hineingeboren, und zwar in eine zutiefst katholische Familie. Der Vater Adolf Pichl (1851-1925) stammte aus Pohraniční (Böhmisch Reizenhain), einem Dorf unmittelbar an der sächsisch-böhmischen Grenze im tschechischen Erzgebirge, 20 km von Komotau entfernt. Es wurde 1955 zerstört. Er war Gendarmeriewachtmeister und Sohn eines höheren Beamten. Die Mutter Maria, geb. Wenisch (1861-1932), kam aus Welenschloß im Bezirk Saaz (Zatec) und stammte ebenfalls aus gutbürgerlichem Haus.

Nach Asch kam die Familie vermutlich durch eine Versetzung von Adolf Pichl. 1943 lebten in Asch mehrere Familien mit dem Namen Pichl, von denen jedoch nicht mehr zu ermitteln ist, ob es sich um Verwandte Bertas handelt.


Abb. 1: Auszug aus dem Taufbuch von Asch


2. Die ersten drei Jahrzehnte
Berta besuchte die Bürger- und die Fortbildungsschule, worunter man sich einen Überleitungslehrgang zur höheren Ausbildung vorstellen kann, anschließend die Deutsche Lehrerinnenbildungsanstalt in Eger (Cheb) und bestand 1909 die Reifeprüfung für Volksschullehrerinnen und die Befähigungsprüfung als Kindergärtnerin mit Auszeichnung. Im Jahr 1910 unterrichtete sie als „Hilfslehrerin“, also vermutlich als Springerin, zunächst zwei Monate an der Knaben-Volksschule Ossegg (Osek) im Kreis Teplitz (Teplice) und anschließend vier Monate an der Mädchenbürgerschule in Bilin (Bílina), ebenfalls im Kreis Teplitz.2

Berta arbeitete nur ein Jahr in Böhmen, dann ging sie nach Wien, um zu studieren. Sie inskribierte Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Verbindung mit prähistorischer Archäologie. Als Berta 1910 an der philosophischen Fakultät immatrikuliert wurde, waren erst im Jahr davor die letzten Hürden für das Frauenstudium gefallen: 1909 hatte die juridische als letzte Fakultät Frauen zugelassen.


Abb. 2: Berta Pichl im Alter von etwa 20 Jahren

Bertas Fleiß war enorm: Sie konnte zunächst nur als außerordentliche Hörerin inskribieren, da ihre Ausbildung zur Lehrerin nicht als Matura anerkannt wurde, erlangte aber neben dem Studium 1914 ein Reifezeugnis am deutschsprachigen k. k. Staatsgymnasium Brünn „mit Stimmeneinheit“. Außerdem unterrichtete sie bereits an verschiedenen Schulen mit wechselnder Anzahl von Wochenstunden.3

Sie promovierte 1915 mit einer Dissertation über den italienischen Arzt, Alchimisten und messianischen Propheten Giuseppe Francesco Borri aus dem 17. Jahrhundert, der Anstoß bei der Inquisition erregt hatte und daher oft seine Wirkungsstätte wechseln musste. Für diese Arbeit betrieb Berta Pichl umfangreiche Recherchen in ganz Europa, was wegen des eben ausgebrochenen Ersten Weltkriegs ein mühsames und zum Teil unergiebiges Unterfangen war, wie sie in ihrem Vorwort schildert. (vgl. Pichl 1915)

Ihre Bemühungen zeigen bereits den Fleiß und die Unbeirrbarkeit einer Frau, die sich auch späterhin durch widrige Umstände niemals von ihrer Linie abbringen ließ, und wurden von den beurteilenden Professoren gewürdigt: Sie habe dadurch Irrtümer berichtigt und neue Erkenntnisse zu Borris Lebenslauf beigetragen. Kritisiert wird fehlende kritische Wertung der Quellen sowie mangelnde psychologische Vertiefung von Borris Persönlichkeit. Für Letzteres fehlte der behüteten Tochter wohl noch die persönliche Reife.4

Das Dissertationsthema ist ein trauriges Beispiel dafür, wie man Student/inn/en damals (heute noch?) Zeit und Kraft an Themen verschwenden ließ, die mit ihrem späteren Leben aber schon gar nichts zu tun haben würden!

1916 legte Dr. Pichl die Lehramtsprüfung für Deutsch, Geschichte und Geografie ab und erwarb die Lehrbefähigung für Bürgerschulen, l. Fachgruppe.

Bertas Eltern waren 1915 nach der Pensionierung des Vaters im Rang eines Polizeikommissars nach Wien in den 9. Bezirk, Bründlbadg. 13 (heute Brünnlbadg.) gezogen; dort ist Berta ab 1917 gemeldet. Vorher hat sie entweder in einem Studentinnenheim gewohnt oder bei ihrem Bruder Prof. Adolf Pichl (1884-1948), der Handelswissenschaften unterrichtete und ein Radiogeschäft besaß, und seiner Frau Adelheid im 6. Bezirk, Aegidigasse 6. Ihre schwer hörbehinderte Schwester Maria (1885-1972) lebte ebenfalls bei den Eltern.5

Berta steht ab 1920 persönlich im Telefonbuch (sie war ja nun Bundesrätin), und zwar im Lauf der Jahre unter Berufsbezeichnungen, die ihren Aufstieg dokumentieren: Mittelschulprof. / Gen.Sekr., Bundesrätin / Mittelschuldir., Bundesrätin. Bemerkenswert ist, dass sie auf der weiblichen Form „-rätin“ bestand. 1930 übersiedelte Berta in die Josefstädterstr. 29/II/1/36 im 8. Bezirk, ihre Schwester Maria zog mit ihr.6 In diesem Haus hatte sich bis 1927 die Schule, die sie leitete, befunden.


3. Aktiv in Sozial- und Frauenpolitik
Während Berta Pichls ersten 20 Lebensjahren entstanden Schlag auf Schlag die großen frauenpolitischen Initiativen: Alle politischen Richtungen gründeten Frauenbünde, die sich international vernetzten, und gaben Frauenschriften heraus; Frauen stürmten Gymnasien und Universitäten. Als Pichl studierte, waren an der philosophischen Fakultät 262 katholische Frauen eingeschrieben. (vgl. Hauch 2009)

Der Forderungskatalog der organisierten Katholikinnen umfasste Ehe- und Erziehungsfragen, öffentliche Moral und Sittlichkeit sowie die Sozialpolitik. Die Bemühungen um die höhere Mädchenbildung teilten sie mit den Frauen aller Fraktionen in der Ersten Republik. Schon 1888 war ein Verein gegründet worden, der die Einrichtung eines Mädchengymnasiums zum Ziel hatte. Er war 1892 unter Marianne Hainisch erfolgreich – als erster im deutschen Sprachraum.7 1911 wurde in Wien das erste Christliche Mädchen-Reformgymnasium gegründet. Erleichterungen für Mädchen beim Besuch eines Gymnasiums unter Otto Glöckel, Unterrichtsminister 1919/20, der auch Privatschulen finanzierte, wurden durch die heraufziehende Wirtschaftskrise wieder zunichte gemacht: Nach der Reihe mussten die Privaten schließen. (vgl. Hauch 2009:174)

Wir wissen nicht, ob der Entschluss nach Wien zu gehen bereits dem politischen Interesse Bertas entsprang oder ob sie während ihres Studiums von den bewegten Frauen mitgerissen wurde. Jedenfalls ließ sie sich nicht lang Zeit, in die damals überschäumende Frauenpolitik einzusteigen: Die junge Lehrerin war ab Herbst 1918 zwei Jahre Generalsekretärin der Katholischen Frauen-Organisation Niederösterreich (KFO) und leitete anschließend nach der Gliederung der KFO in Sektionen fast zwei Jahre lang die Fürsorgesektion.8 Darüber berichtet sie selbst:

„Mit 1.12.1920 übernahm ich die Leitung der Zentralorganisation der kath. Frauen für die Erzdiözese Wien und musste mich daher infolge der notwendigen häufigen Abwesenheit von Wien von der Schule trennen. Organisatorischer Aufbau der Fürsorgesektion wie der Fürsorgestellen, Schulung der Helferinnen, Mutterberatungsstellen, Säuglingswanderkörbe für arme Mütter, Errichtung von Kinderheimstätten, Ausspeisungen, Erholungsstätten für Kinder und Eltern, Mittelstandsfürsorge, Jugendgerichtshilfe, Vormundschaftsarbeit, Organisation der Hilfstätigkeit in Holland für die Kinderunterbringung und Lebensmittelbeschaffung – das sind einige Stichworte aus meiner (...) Arbeit“. Das Zeugnis, das ihr die KFO ausstellte, ist im Anhang (S 54ff.) wiedergegeben.

Der Organisation der Kinderzüge nach Holland mit dem Kath. Huisvestingskomitee und derjenigen von Lebensmittelzügen aus Holland nach Wien verhalf Pichl durch Vortragsreisen in Holland, auf denen sie die Not Nachkriegsösterreichs beredt darstellte, zu mehr Effektivität.

Das war aber noch nicht alles. Auch auf eigentlich frauenpolitischem Gebiet ließ Pichl ihre Stimme ertönen: Im Herbst 1919 war sie Mitglied des Arbeitsausschusses, der die Richtlinien christlichsozialer frauenspezifischer Politik ausarbeitete. In der Frauenwoche im Mai 1920 trat sie als Referentin auf und sprach im Politischen Frauenkurs im September 1920 über „Die Geschichte der Frauenrechtsbewegung“. Sie wurde am 24. September 1920 gemeinsam mit Sr. Benedicta Vorsitzenden-Stellvertreterin von Hildegard Burjan in der Caritas Socialis. Sie war Vorsitzende der Vereinigung der katholisch deutschen Akademikerinnen und Vorstandsmitglied der Zentralorganisation der katholischen Frauen Wiens und Niederösterreichs. (vgl. Hauch 2009:198 und 1995:285ff)

Auf dem Reichsparteitag im Juni 1921 meldete sie sich als eine von sieben weiblichen (der insgesamt 28) Wiener Delegierten zu Wort. Auch 1926, 1928, 1931, 1932 und 1933 war sie wieder Delegierte der CSP Wien und stellte eine Reihe von Anträgen. Während diese sich in den frühen Jahren vor allem mit dem Thema „Schmutz und Schund“ befassten, war das 1932 und 1933 anders: Die CSP hatte bei den Wiener Gemeinderatswahlen eine dramatische Niederlage erlitten. Alma Motzko9 und Pichl beteiligten sich als einzige Frauen an der Debatte darüber und geißelten in scharfen Worten die Bürgerferne der Partei. (vgl. Hauch 1995:288f)

1930 forderte Pichl im Namen der KFO eine christlichsoziale Kandidatin an wählbarer Stelle für die bevorstehenden Nationalratswahlen, nachdem seit 1927 keine weibliche Abgeordnete mehr dem Nationalrat angehört hatte. Sie vertrat zusammen mit Emma Kapral10 nicht nur den Protest des Reichsverbands der katholischen Mädchenvereine und der KFO gegen die Mängel des 1933 eingerichteten Freiwilligen Arbeitsdienstes für Mädchen, sondern arbeitete auch einen Forderungskatalog mit Verbesserungsvorschlägen aus. (vgl. Hauch 1995:287f)

Es verwundert nicht, dass die energische junge Frau sich übernommen hatte und 1922 fast ein Jahr brauchte, bis sie neben ihrer politischen Tätigkeit auch wieder in den Beruf einsteigen konnte. (Wobei wohl viele ihrer Mitmandatare die Arbeit im Parlament allein als ausreichend für ein gutes Gewissen erachtet hätten.)


4. Bundesrätin


Abb. 3: Bundesrätin Pichl, um 1930

1918 wurde in Österreich das allgemeine und somit auch Frauen-Wahlrecht, aktiv und passiv, eingeführt. 142 Frauen standen bei den Wahlen 1919 auf den Kandidatenlisten der Parteien, allerdings die meisten in völlig aussichtsloser Position. Schließlich zogen sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlichsoziale (Dr. Hildegard Burjan) in die konstituierende Nationalversammlung ein. Das waren insgesamt 4,7 Prozent aller Abgeordneten. (vgl. Schefbeck 2005:22) Daran änderte sich bis 1934 nicht viel, im Gegenteil: Zwischen 1927 und 1930 gab es im Nationalrat weder eine großdeutsche noch eine christlichsoziale Abgeordnete und nur mehr sechs sozialdemokratische Frauen. Im Bundesrat waren anteilmäßig immer etwas mehr Frauen vertreten als im Nationalrat.


Abb. 4: Parlamentsausweis

Der Bundesrat, die zweite Kammer des Parlaments, zog im Dezember 1920 nach, Marie Bock (Sozialdemokraten), Fanny Starhemberg und Berta Pichl (beide christlichsozial) waren die ersten Bundesrätinnen der Geschichte. Am 1. Dezember 1920 nahm Dr. Berta Pichl mit 30 Jahren als Abgeordnete und eine von zwei Parlamentarierinnen mit akademischer Ausbildung11 (vgl. Schefbeck et al. 2005:49) im Bundesrat ihren Platz ein und behielt diesen bis zum 2. Mai 1934.12 Zu diesem Zeitpunkt löste sich das Parlament selbst auf, der Ständestaat etablierte sich.

Ab 1932 vertraten nur Dr. Pichl und der ebenfalls 1920 gewählte Dr. Franz Hemala, Gemeinderat und Gewerkschafter, die Christlichsozialen (CSP).13

Berta Pichl war im Bundesrat alles andere als eine Hinterbänklerin.14 Sie übernahm in diesen vier Gesetzgebungsperioden 38 Mal die Rolle der Berichterstatterin über Gesetzesvorlagen, hat sich also in die jeweilige Materie eingearbeitet. Vorwiegend waren das Angelegenheiten der Volks- und Bürgerschulen bzw. der Umwandlung letzterer in Hauptschulen, sowie des Lehrerdienst- und Besoldungsrechts, wobei sie immer wieder auf die Besserstellung von Hinterbliebenen Bedacht nahm. Weitere Schulthemen: ländliche, hauswirtschaftliche und gewerbliche Fortbildungsschulen, Ahndung von Schulversäumnissen.

Pichls akademischer Ausbildung trug man Rechnung, indem man sie zum Referat über das Bundes-Mittelschulgesetz und die Verleihung des Promotionsrechtes an die Hochschule für Welthandel in Wien (Einführung des akademischen Grades „Diplomkaufmann“) auswählte.

Daneben standen Themen aus dem Sozialversicherungsbereich: Krankenversicherung und Pensionsregelungen für Arbeiter, Bergarbeiter und Landarbeiter und ihre Hinterbliebenen (ein Schwerpunkt der ersten Legislaturperiode 1920-1923).

Zu vielen dieser Themen nahm Pichl auch in der Diskussion Stellung, wobei ihr ihre Kollegin Starhemberg gern beistand. Die Höhepunkte ihrer Tätigkeit fielen in die erste (1920-1923) und die dritte Gesetzgebungsperiode (1927-1930).

An eigenen Anträgen, z. T. unterstützt von Parteikollegen, finden wir folgende Themen:

Interessant ist die Begründung für den zweiten dieser Anträge vom November 1921:

„Die Praxis nach dem Invalidenbeschäftigungsgesetz hat in einer Reihe von Betrieben (Zigarren-, Zigaretten-, Glühlicht-, Textilfabriken, Putzereien, Federschmückereien, Konfektionsfirmen) gezeigt, dass sie die auf die Größe des Betriebes entfallende Zahl von Kriegsbeschädigten absolut nicht zu verwenden vermag, weil Männer dort nach der Eigenschaft der Beschäftigung nichts leisten können. Die nach §8 des Invalidenbeschäftigungsgesetzes vorgesehene Ausgleichstaxe wird aber nicht gern gewährt, um womöglich solchen Personen die Gelegenheit einer Anstellung zu geben, die den Konkurrenzkampf aufzunehmen nicht mehr imstande sind, und für die der Staat die Verpflichtung einer Versorgung übernommen hat. Dazu gehören aber auch die Kriegerwitwen, die entweder infolge vorgerückten Alters oder Kränklichkeit nicht mehr imstande sind, sich eine Beschäftigung zu verschaffen. Wenn auch der Staat durch die Erhöhung der Witwen- und Waisenrenten eine bedeutende Besserstellung gegen früher geleistet hat, so erreichen diese Beträge bei der gegenwärtigen Geldentwertung noch lange nicht das Existenzminimum. Die Arbeitswilligkeit ist aber in den meisten Fällen ganz umsonst, da die minder erwerbsfähigen Frauen nicht angestellt werden. Sicher würden die oben erwähnten Betriebsgattungen gerne Frauen anstellen, die eine für die gesamte Wirtschaft wertvollere Ausnutzung geminderter Arbeitskraft bedeuten, als die Einstellung gänzlich ungeeigneter Kriegsbeschädigter.
Unterzeichnete: Dr. Berta Pichl, Hocheneder, Falser, Dr. Drexel“

Pichl tritt hier für eine benachteiligte Gruppe von Frauen ein, ein Thema, das bei ihr immer wiederkehrt. Daneben aber finden wir massive Vorurteile gegen (ebenfalls benachteiligte) Männer, eine Umkehrung des sonst gegen Frauen verwendeten Arguments der naturgegebenen Eignung bzw. Nichteignung für bestimmte Tätigkeiten.


5. Frauen im Männerklub
Das Eindringen in die Männerdomäne war für diese Frauen alles andere als leicht. Die informellen Spielregeln lassen ja bis heute Frauen immer wieder an der Mauer des männlichen Selbstverständnisses scheitern.

Nach einem Jahrzehnt im Parlament versuchten die Pionierinnen eine Bewertung ihrer politischen Arbeit, welche nicht sehr positiv ausfiel: Die Männer interessierten sich nicht für Frauenthemen, stellten Frauen auch in der Politik ins soziale Eck und spielten lieber ihre althergebrachten Machtspiele. Hauch (2009:178) spricht von einem „Vierklang aus den Anfängen der institutionalisierten österreichischen Frauenpolitik – erste Motivation, getrübte Erfahrungen, ernüchternde Konsequenzen und enge Grenzen – (er) war und ist ein Vierklang voller Dissonanzen.“

Berta Pichl konnte sich damit eher abfinden als die sozialdemokratischen Frauen: Sie pochte auf ihre Erfahrung, dass Frauen eher den „Weg der stillen Vorarbeit“ bei der Gesetzgebung wählten und die Wünsche der Parteien durch Vorbereitung hinter den Kulissen erfüllen könnten (vgl. Hauch 2009:135), also eine typisch weibliche Rollenzuschreibung, entsprechend der Gattin, die dem ehelichen Herrscher zuarbeitet und ihn mit den „Waffen der Frau“ gefügig macht. Diese Unterwerfungsgeste hat wohl auch dazu geführt, dass Berta Pichl in der Christlichsozialen Partei (CSP) nie eine Leitungsfunktion innehatte, im Gegensatz z. B. zu Hildegard Burjan. (vgl. Hauch 2009:134) Sie hat vielmehr ihren enormen Fleiß für jene Themen eingesetzt, die sie interessierten – eben typisch weibliche.

Nichtsdestotrotz unterzeichnete sie 1930 ein Memorandum der KFO an die Parteileitung der CSP des Inhalts, dass die Frauen der KFO der Partei ihre Unterstützung im Wahlkampf verweigern würden, sollte nicht eine Frau an wählbarer Stelle kandidieren. (vgl. Hauch 2009:195)

Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundesrat war Pichl weiterhin bemüht, auf die Frauenpolitik Einfluss zu nehmen.

Im Jänner 1934 protestierten KFO und katholische Frauen-Berufsverbände gegen ein die Frauen massiv benachteiligendes Doppelverdienergesetz. Im November gleichen Jahres, es gab keinen Bundesrat mehr, wandten sich Frauen aus vielen Organisationen aller politischen Richtungen in einer Denkschrift an den Kanzler und den Bundespräsidenten dagegen, dass sich unter den 170 Angehörigen der Vertretungskörper im Ständestaat nur zwei Frauen befanden, die noch dazu eng umschriebene pädagogische Gebiete zugewiesen erhalten hatten. Für den Staatsrat schlug dieses Schreiben ausdrücklich Emma Kapral und Dr. Berta Pichl als geeignete Mitglieder vor.15

Das Unverständnis der männlichen CSP-Funktionäre und Kirchenmänner für derlei feministische Umtriebe führte letztlich zur Auflösung der KFO, Pichls langjähriger politischer Heimstatt. Die KFO wurde 1935 in die Katholische Aktion eingegliedert und vollständig dem Klerus unterstellt. Dies bedeutete auch das Ende von Berta Pichls parteipolitischer Tätigkeit. (vgl. Hauch 1995:276f)


6. Motive
Berta Pichl übte, kaum in Wien angekommen, zumeist mehrere Tätigkeiten nebeneinander aus: Fernmatura, Studium und Unterricht; soziale Tätigkeit bei der KFO und politische Funktion (sie entschuldigt sich in einem Schreiben16 quasi dafür, dass sie 1922/23 „nur“ Abgeordnete war, und spricht von „dringend notwendig gewordener Erholung“) und indigniert stellt sie 1937 fest: „1922 bewarb ich mich um eine freie Stelle als Erzieherin und Lehrkraft an der BEA III (Bundeserziehungsanstalt, d. Verf.). Diese wurde mir mündlich mit Hinweis auf mein Mandat abgelehnt, weil meine politische Funktion Anlass zu Schwierigkeiten geben könnte.“17 Sie setzte ihren Ehrgeiz darein, jede ihrer Tätigkeiten erstklassig auszuüben. Multitasking, wenn ihr dieser Ausdruck auch fremd war, schien ihr das Normale zu sein. Dabei war persönlicher Ehrgeiz höchstens das zweitwichtige Motiv. Über allem stand ihre Erkenntnis, wie viel für eine christlich-soziale Gesellschaft (wörtlich: christliche und soziale Gesellschaft!) zu tun war und dass es irgendjemand tun musste.

Berta stammt aus einer aufstiegsorientierten bürgerlichen Familie, die zweien ihrer Kinder ein Studium ermöglicht hatte. Größere Vorurteile bezüglich des Geschlechts wird es da kaum gegeben haben, schließlich hatte man ja eine Akademikerin herangezogen. Berta musste in der Jugend selbst keine soziale Not erleben; ihre (frauen-)politische Arbeit zeigte ihr aber sehr wohl das bestürzende Ausmaß sowohl des gesellschaftlichen Elends als auch der Unterdrückung weiblicher Fähigkeiten.

Vielleicht hat gerade diese Ausgangslage dazu geführt, dass sich die junge Doktorin mit solcher Vehemenz für die Ausbildung der Frauen einerseits und die Minderung von Not durch kompetente Hilfe andrerseits einsetzte: Sie konnte alle Kraft in ihre Projekte stecken und musste sich nicht mit der Sorge um das tägliche Leben herumschlagen.

Pichl war überzeugt, dass die moderne Frau eine solide berufliche Ausbildung braucht, auch wenn sie sich entschließt, ihre Erfüllung in Ehe und Mutterschaft zu suchen (was für sie immer noch die erste Wahl war). Die Kriegswitwen beider Weltkriege, die Arbeitslosigkeit der Zwischenkriegszeit, aber auch die Not der Arbeiterfamilien zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten sie nur zu einer Erkenntnis führen: Frauen müssen imstande sein, eine Familie zu ernähren. Sie erkannte auch, dass die Männer nicht bereit sein würden, Vorteile zu Gunsten von Frauen aufzugeben. Vermutlich hat sie dazu an der Universität einige persönliche Erfahrungen sammeln können: Ihre Dissertation wurde mit „Genügend“ beurteilt, obwohl sie, auch nach heutigen Maßstäben, eine ambitionierte und saubere Arbeit ist.

Ein Sozialberuf erschien Berta Pichl als ideal für die Frau: Er verband die fortschrittliche Idee des Berufs mit der konservativen der Helferin. Damals fand gerade der Übergang von der privaten, ehrenamtlichen Wohltätigkeit zur professionell ausgeübten Fürsorge statt. Was zu ihrer Zeit noch kaum berücksichtigt wurde, war die Arbeit mit der eigenschöpferischen Kraft der Klientel, heute unter dem Schlagwort „Hilfe zur Selbsthilfe“ eine Selbstverständlichkeit. Wohl kannte Pichl die aus dem angloamerikanischen Raum kommenden Bewegungen des Case Work und Settlement, also bedarfsorientiertes Einzelfallmanagement und Gemeinwesenarbeit. Sie ließ diese neuen Formen der Sozialarbeit auch im Unterricht vorstellen; Herzensanliegen waren sie ihr nicht. Dem Ausdruck „social worker“ konnte sie wenig abgewinnen. Sie hatte von ihrer Persönlichkeit her Schwierigkeiten mit dem leidenschaftslosen und partnerschaftlichen Konzept aus dem englischen Sprachraum; auch ihr Umgang mit den Schülerinnen war matriarchalisch-autoritär, die Liebe zu ihren „Mädchen“ mit der strengen Vermittlung, ja dem Oktroyieren von katholischen Werten verknüpft.


Abb. 5: Schulmotto

Der Zwiespalt, der Berta Pichl beseelte, zeigt sich sehr gut am 1926 eingeführten Schulmotto „Allen alles werden“.

Sie hat es auch in den Fünfzigerjahren beibehalten. Das ist ja wohl ein niemals einzulösender Anspruch, ganz abgesehen davon, dass dieser Satz Pichls ausdrücklichen intellektuellen Bestrebungen, die Fürsorgearbeit schon in der Ausbildung zu diversifizieren, auf emotionaler Ebene zuwiderläuft. Er klingt nach Selbstaufopferung und nicht nach Berufstätigkeit. Hier kommen wohl die Demut und Hingabe einer zutiefst religiösen Frau zum Tragen.

Das Grundmotiv von Berta Pichls Leben ist der glühende und kritiklose Glaube an die katholische Kirche, wohl angelegt durch das Aufwachsen in der protestantischen Diaspora. (Nicht aber hielt dies die streitbare Dame davon ab, auch hohen geistlichen Funktionären gegenüber ihre fachliche Qualifikation deutlich ins Treffen zu führen und auf ihren Standpunkten zu beharren!) Verbunden war solch strenger Katholizismus mit vehementer Ablehnung jeglicher Art von liberalen bzw. linken Strömungen, wenngleich manche ihrer sozialen Ideen gar nicht so weit von denen der Sozialdemokraten entfernt waren: Beide Lager sahen ja, was vonnöten war.


7. Die KFO und der Begriff der Mütterlichkeit18
Die organisierten Katholikinnen verstanden sich als „Kampffront zur Abwehr aller der Familie und dem Staate drohenden Schädigungen“. Ihr Zentralbegriff war „Mütterlichkeit“. Der Katholizismus galt ihnen als Schutzgarantie für die Würde und die Stellung der Frau, die durch die natürliche von Gott gewollte Geschlechterdifferenz determiniert war. Dies bedeutete ihrer Meinung nach keine Hierarchie zwischen Männern und Frauen, da es „in Christus weder Mann noch Weib gibt“, sondern nur die „heilige menschliche Persönlichkeit“ (vgl. Hauch 1995:275f)19.

Die Konzeption der Mütterlichkeit (vgl. Lobarzewski 2008:47) zieht sich als Leitmotiv durch fast alle Aktivitäten der KFO. Mütterlichkeit ist das Lebensziel der Frau – und nicht mehr nur durch die rein physiologische Mutterschaft. Nach dem Vorbild der bürgerlichen liberalen Frauenbewegung wird der frühere Mütterlichkeitsbegriff zur „geistigen Mutterschaft“ ausgedehnt, die erst die von Gott und Natur bestimmten Wesensanlagen der Frau zur vollen Entfaltung bringe. Diese Einstel¬lung teilte Berta Pichl vorbehaltlos, auch wenn sie einer anderen ideologischen Richtung entsprungen war.20

Freilich wurde damit auch ein eminent frauenpolitisches Ziel verfolgt: Den Frauen sollte ein Raum geschaffen werden, in dem sie ihre Talente selbstständig entwickeln konnten, das heißt: Bereiche, die nur von Frauen bearbeitet werden; Männer sollten darin weder eine Rolle spielen noch Macht ausüben können. (vgl. Lobarzewski 2008:109)

Fischer-Kowalski (1986:1ff) zeigt drei Typen von bildungspolitischen Zielen der Frauen auf: 1. Die Entfaltung weiblicher Tugenden, 2. die Erlangung von Chancengleichheit und 3. Veränderung der „männlichen“ Charakteristika des Bildungswesens durch „weibliche“ Erfahrungs- und Lebensformen. Bei den kämpferischen christlichen Frauen der damaligen Zeit wurde das zweite Ziel explizit vertreten und das dritte großteils angestrebt, vor allem durch die Öffnung männlicher Territorien für Frauen, jedoch machte das erste Ziel im Hintergrund seinen ebenso zwingenden wie bremsenden Einfluss geltend.

Dass sich die Sozialarbeit bis heute mit dem Begriff der Mütterlichkeit bzw. der Weiblichkeit überhaupt herumschlägt, beweist eine Reihe von jüngeren Veröffentlichungen auf diesem Gebiet. Die ambivalente Rollen- und Aufgabenzuschreibung an die (berufstätige) Frau ist ein Thema, an dem wir wohl noch lange zu kauen haben werden.


8. Moral und Sittlichkeit
Selbst nicht verheiratet, setzte sich Berta Pichl also gegen die Linie ihrer Partei stark für die Berufstätigkeit von Frauen ein. Leider findet man in Pichls Wortmeldungen aber auch deutschnationale, sexualfeindliche und antisemitische Aussagen. U. a. referierte sie, die „Deutschböhmin“, „von nationalem Feuer durchglüht“ 1919 für die Katholische Jugend bei der von den vereinigten katholischen Frauenorganisationen und dem Christlichen Frauenbund veranstalteten Protestversammlung gegen die Abtrennung der deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens von der jungen Republik Österreich. (vgl. Hauch 1995:286)

Vor allem aber fühlte sie sich kompetent in Fragen der Sittlichkeit. Wie bereits erwähnt, hatte die KFO sehr genaue Vorstellungen über Moral. Sie forderte auch das Verbot aller Verhütungsmittel, war gegen die Reformierung des Scheidungsrechtes, für die strenge Verfolgung von Prostitution sowie für die Aufhebung des Wahlrechts für Prostituierte. (vgl. Hauch 2009:135)

1921 und 1922 war Pichl eine der Betreiberinnen in den von Antisemitenbund und Deutschvölkischem Schutz- und Trutzbund organisierten Protestveranstaltungen gegen die Aufführung von Schnitzlers Reigen. Sie trat dort als Vertreterin des „arischen Wien“ auf und forderte, „dass unsere Staatsbühnen für deutsche Künstler und deutsche Kultur“ reserviert bleiben sollten, „jüdische Unkultur aber muss ihnen ferne gehalten werden“. Ernst Křeneks Oper Johnny spielt auf erregte ihren Unmut ebenso wie einige nach Ansicht der katholischen Damen allzu freizügige Filmplakate.

Die sexuelle Aufklärung der Jugend war in Pichls Augen eine Maßnahme, die die „Verräter des Ersten Weltkriegs, (…) Juden“ ergriffen hätten, „um das deutsche Volk auch sittlich zu Grunde zu richten“. (Hauch 2009:199)

Der junge Karl Farkas schrieb 1928 (zit. in Hauch 2009:195) ein längeres Spottgedicht über Pichls Einstellung: „(...) Die Liebe gilt als Schweinerei, wenn man sich nicht vermehrt. (...)“ Einen Höhepunkt des Kampfes gegen Schund und Schmutz bildete ihre Attacke auf die Tänzerin Josephine Baker, die im Wien des Jahres 1928 enthusiastisch gefeiert wurde. „Im März 1928 stellt (…) Pichl einen Antrag an die Regierung, der diese auffordert, den Gesetzesentwurf über die Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften dem Nationalrat nochmals vorzulegen. Im Kampf gegen die Unsittlichkeit wird der Ruf nach Zensur laut, die die Opposition zwar vehement ablehnt, die Jahre später aber traurige Realität sein wird.“ (Wurzer 2009:42) In einem Leitartikel der „Frauen-Briefe“ 1928 bezüglich der Filmplakate wurde die Untätigkeit der Behörden angesichts der unzüchtigen Plakate angeprangert und Pichls Antrag zur Gesetzesverschärfung unterstützt, die derartige Unsittlichkeiten unterbinden sollte. (vgl. o. V. 1928)

(Wir sollten uns aber nicht allzu sehr über die damalige Zeit mokieren. Das Gesetz gegen Schmutz und Schund führte noch 1973 zu staatsanwaltlichen Vorerhebungen gegen Dr. Helmut Zilk, der als Programmdirektor des ORF Szenenausschnitte aus dem Film „Der letzte Tango in Paris“ zuließ.)


Abb. 6: Pressekarikatur

Leider nützte Pichl den Artikel gleich mit zur Agitation gegen die sozialdemokratische Partei, die solche Bemühungen zur Wiederherstellung der Sittlichkeit nicht unterstützen wollte. (vgl. Hauptmann 2008:95)

In der männlich dominierten Presse erntete Pichl Hohn und Spott, so etwa durch Friedrich S. Krauss (1929): „Die geistige Sittlichkeitsseuche greift auch nach Deutschösterreich über. Seltsamerweise gab sich zu ihrer Anwältin eine Frau, die christlich-soziale Nationalrätin Bertha Pichl, her, deren verworrenes Geplauder im Nationalrat dartut, wes Geistes Kind sie sei. Es ist, als ob sie jenen Recht geben wollte, die den Spruch verteidigen: mulier taceat in Ecclesia oder jenen, die vom physiologischen Schwachsinn der Frau daherreden“.

Möglicherweise hat sich Pichl durch die Diskrepanz zwischen ihrem politischen Anspruch und ihrem doch recht beengten Handlungsspielraum in diese als typisch weiblich (und angreifbar) konnotierte Nische drängen lassen, denn der Grundgedanke war ein richtiger und ehrenhafter: Zurück zum Natürlichen in der Geschlechterbeziehung. Pichl spricht von der „Vergiftung (der Jugend) durch hässliche und gemeine Druckwerke“. (Pichl 1929b:1, Hauch 2009:197) Die höhnische Verunglimpfung trieb Pichl aber immer weiter ins Extrem. Ihr Standpunkt wurde dadurch prominent antimodernistisch, obwohl sie doch als Vorreiterin im Kampf um Frauenrechte gelten kann.

In leitender Stellung erwerbstätig, politisch aktiv und selbstbewusst, auch der eigenen Partei gegenüber, konnte sich Berta Pichl doch nicht aus der Klammer von Vorurteilen und Prüderie befreien. Allerdings war sie in diesen Jahren nicht die Einzige, der es so erging. Der Aufbruch der Frauen war ein schmerzhafter, langwieriger und manchmal in die Irre laufender Prozess. Gabriella Hauch (2009:199) betont: „Sie personifizierte jene Widersprüchlichkeiten, die die (...) Bedeutungen von Geschlechterverhältnissen in Politik und Kultur nach dem Ersten Weltkrieg und der Ersten Republik auszeichneten“. Pichl war für die konservativen Herren (und auch manche Damen) eine gefürchtete radikale Frauenrechtlerin, das, was ähnliche Kreise heute mit dem Schimpfwort „Emanze“ ausdrücken, nur weil sie klar sah, was den Frauen nottat; gleichzeitig aber konnte sie sich nicht aus den überkommenen und noch allgemein hochgehaltenen Vorstellungen vom dienenden Weibe und seiner Moral lösen.


9. Soziale Frauenschule
1912, Berta studierte noch, gründete Ilse von Arlt21 (1876-1960) in Wien die Vereinigten Fachkurse für Volkspflege als erste Fürsorgeschule Österreich-Ungarns und initiierte damit weitere Schulgründungen. Ein Stab von Professoren und Ärzten, zumeist Studienkollegen und zugleich ihrem Freundeskreis angehörend, lehrte unentgeltlich.

Ilse Arlt verstand ihre Ausbildungsstätte von Anfang an nicht nur als Lehrstätte, sondern auch als Forschungseinrichtung, welche die Grundlagenforschung für wichtige Aufgaben der Sozialpolitik betreiben sollte und der sie später ein Fürsorge- und Haushaltsmuseum mit 40 Abteilungen anschließen wollte. Fürsorge war für Arlt angewandte Soziologie, Wissenschaft von der Armut und ihrer Behebung. „Der Kulturzustand eines Landes wird nicht durch seine Höchstleistungen bestimmt, sondern durch seine Grenznot. Das ist die tiefste geduldete Entbehrung.“22

Ihr Fürsorgewörterbuch in zehn Sprachen sollte Beitrag zur Begriffsklärung und gleichzeitig Soziallexikon sein. Arlt trug alle Lehrmittel selber zusammen und schrieb die ersten österreichischen Lehrbücher: „Die Grundlagen der Fürsorge“ (1921) und „Die Gestaltung der Hilfe“ (1923).

1918/19 löste die Städtische Akademie für Sozialarbeit der Gemeinde Wien die Fachkurse für Jugendfürsorge ab, die zu diesem Zeitpunkt ihrer Aufgabe nicht mehr genügten. Sie war ursprünglich als akademische Ausbildungsstätte geplant, nahm aber bald den Charakter einer Fürsorgerinnenausbildung für die Praxis an. 1945 erstand sie als Fürsorgeschule der Stadt Wien wieder. Ebenfalls 1918 eröffnete die Evangelische Frauenschule für den kirchlichen und sozialen Dienst. Sie konnte nach dem Krieg erst 1947 wieder reaktiviert werden. (vgl. Maiss/Ertl 2011:62)

Katholischen Fürsorgerinnenschule in Österreich 1916/17: Der Verein Soziale Frauenschule wurde 1916 von der KFO Niederösterreich gegründet. (Wien und Niederösterreich waren erst ab 1922 getrennt.) Die KFO verschmolz mit der Sozialen Hilfe, später Caritas Socialis, zur Zentralorganisation katholischer Frauen, die 1920 Schulerhalter wurde und Dr. Hildegard Burjan, Dr. Berta Pichl und Msgr. Hlawati ins dreiköpfige Schulkuratorium wählte. (Steinhauser 1993:34f, 123; ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 119) Die KFO war nun in Sektionen organisiert, die Soziale Frauenschule unterstand der Schulsektion. (vgl. Hauch 1995:286)

Der Schulstandort war anfangs Wien 9., Pramergasse im Haus der Caritas Socialis. Da diese ihre Räume aber selber benötigte, zog die Frauenschule bald um in die frei werdenden Räume des niederösterreichischen Gewerbevereins, Wien 8., Josefstädterstr. 29, und 1927, die Räume waren zu eng geworden, in die Florianigasse 46, ebenfalls im 8. Bezirk. Es gab auch ein eigenes Internat in der Josefstädterstr. 39 sowie ein Mädchenheim in der Kleinen Sperlgasse im 2. Bezirk.23

Junge Frauen konnten diverse Schulen und Kurse besuchen:

Daneben werden Abendkurse für Mädchen und Frauen angeboten, die im Wesentlichen auf Haushaltsführung unter katholischem Aspekt abzielen.24

Nach der „Arlt-Schule“ finden wir hier die zweite planmäßige Ausbildung zur Fürsorgerin in Wien. Bekannte Namen zählten zum Lehrkörper. So unterrichtete 1920 bis 1923 der Psychoanalytiker August Aichhorn25, einer der bedeutendsten österreichischen Pädagogen seiner Zeit (Hauptwerk: Die verwahrloste Jugend), an der Schule.


10. Direktion Pichl
Leider sind viele Unterlagen unauffindbar, vermutlich entsorgt. Besonders die unter der Leitung von Dr. Pichl angelegte Schulchronik26 wäre bei der Rekonstruktion der Schulbiografie sehr hilfreich gewesen.

Die ersten beiden Leiterinnen der Sozialen Frauenschule blieben nur kurz im Amt; es gab unter ihnen neben der Fürsorgerinnenschule bereits Lehrgänge für Büro- und Haushaltsarbeit. Die dritte Direktorin Sr. Hildegard Kloiber musste wegen Erkrankung ebenfalls frühzeitig ausscheiden. 1923 übernahm Dr. Berta Pichl die Direktion der Sozialen Frauenschule und blieb dort, bis die Schule 1938 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde. (vgl. Steinhauser 1993:34ff)

Schon früh hatte sich der Ausbildungsplan nach den praktischen Bedürfnissen der Fürsorge gerichtet, und weil der Bedarf offensichtlich gegeben war, wurde der Schule 1922 das Öffentlichkeitsrecht verliehen.

Durch den mehrfachen Leitungswechsel und die Kündigung der Räume in der Pramergasse hatte die Schule an Interessentinnen verloren; als Pichl sie übernahm, gab es nur 12 Schülerinnen. Außerdem waren die finanziellen Ressourcen mager: Unbemittelte Schülerinnen erhielten kostenlose warme Mahlzeiten; ihnen wurden die Schulgelder gestundet, bis sie genug verdienten. Die Subventionen waren kaum der Rede wert und die Inflation machte den Rest zunichte.27

(Die Geldsituation entspannte sich auch späterhin nicht. 1935 gründete Pichl zusammen mit Emma Kapral den Verein Freunde der Sozialen Frauenschule unter dem Schutz von Kardinal Innitzer, von dem sie sich eine Milderung der angespannten finanziellen Lage der Schule erwartete, etwa durch Lotterien (vgl. Hauch 1995:289).)

Trotzdem gelang es Pichl, am neuen Schulstandort Räume zu schaffen, die sowohl zweckdienlich als auch gemütlich waren, eine Bibliothek einzurichten und anerkannte Fachleute als Lehrer/innen zu verpflichten. Ein gemeinsames Schulkleid, miteinander gestaltete Feiern und die Schulmedaille mit der Inschrift „Allen alles werden“ sollten die Schülerinnen in dieser prekären Lage an die Schule und aneinander binden. (vgl. Steinhauer 1993:123ff, 36f)

Um den Schülerinnen Gelegenheit zu geben, ihre Eignung für den Beruf zu erproben, wurde eine Probezeit von zunächst drei Monaten, später einem Semester ausgemacht.28

Pichl reorganisierte den Lehrplan zu einem eher theoretisch-allgemeinbildenden ersten und einem eher praxisorientierten zweiten Jahrgang. Der Lehrplan war flexibel und gestattete Anpassungen an neue Erfordernisse ebenso wie den Einbau von neuen Erkenntnissen. Sie selber unterrichtete damals folgende Fächer: Berufslehre, Berufsethik, Geschichte, Vaterlandskunde, Technik der Vereinsarbeit und Pflege guter Umgangsformen und hielt bis zu 10 Wochenstunden.

Sie hatte zu dieser Zeit Schülerinnen aus dem ehemaligen Adel in ihren Klassen; das Niveau dieser gebildeten Mädchen versuchte sie zum Schulstandard zu erheben.29 Trotzdem musste sie viel mehr als Arlt um Bekanntheit und Anerkennung kämpfen: Ilse von Arlt genoss da den Vorteil ihrer Herkunft aus höheren Kreisen.

Pichl korrespondierte mit maßgebenden Persönlichkeiten, vor allem in den ehemaligen Kronländern, um die Ausbildung dort publik zu machen. An ihrer Schule fanden sich junge Frauen aus Schlesien, Südtirol, Rumänien30, der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und dem späteren Jugoslawien ein. Ihr war aber bewusst, dass die Ausbildung letztlich dezentral aufgebaut sein musste, und sie regte daher den Aufbau ähnlicher Schulen in diesen Ländern an. (vgl. Steinhauer 1993:37f) Pichl erwies sich bereits damals als Netzwerkerin, bestrebt, überall Stützpunkte aufzubauen, die untereinander Kontakt hielten. In ihrem Gästebuch aus der Zwischenkriegszeit finden sich u. a. Einträge von Fachleuten aus Santiago, Texas, Kanada, New York, Warschau, Kaunas, Basel, Freiburg, Köln, Brüssel, Budapest, Zagreb, Sofia.31

Besonders hervorzuheben ist die erstmalige Ausbildung von Seelsorgehelferinnen nach deutschem Vorbild ab 1926/1927: Die jetzigen Pastoralassistentinnen, aus dem kirchlichen Bereich nicht mehr wegzudenken, waren damals häufig bekrittelte, manchmal belächelte, meist ebenso fleißige wie unbedankte Stützen der Kirche. (vgl. Lanz 2003)

Gerade auf diesem Gebiet sollten sich aber nach 1945 Ungelegenheiten für Dr. Pichl ergeben.

1925 nahm Dr. Pichl am Gründungskongress der Union Catholique International de Service Social in Mailand teil, die zum weltweiten Forum bis in unsere Tage wurde. 1926 gründete sie die Vereinigung katholischer Fürsorgerinnen und Sozialbeamtinnen Österreichs. Die Schule wurde auch zum Sitz der Vereinigung katholischer deutscher Altakademikerinnen.

In Brüssel lernte Pichl die Katholische Männerschule für soziale Arbeit kennen und setzte sich in Österreich für eine ebensolche ein. Freilich wollte sie dieser nicht selbst vorstehen, dazu eigne sich nur ein Mann. Sie übergab das Projekt dem Orden der Kalasantiner; die Anlaufphase währte aber so lang, dass der Nationalsozialismus dazwischenkam. Erst 1947 entstand in diesem Männerkloster ein Soziales Seminar, das bis 1965, bis sich in den Lehranstalten für gehobene Sozialberufe auch männliche Schüler einfanden, Führungskräfte für die christliche soziale Arbeit ausbildete. (vgl. Steinhauser 1993:126)

Der Lehrplan der Sozialen Frauenschule war Ende der Zwanzigerjahre so weit stabilisiert, dass bis 1938 keine größeren Änderungen mehr zu erfolgen brauchten. Die Inhalte orientierten sich an den Arbeitsgebieten; medizinische und psychologische Fächer traten etwas zurück, Praxisbezug, aber auch eine ausgewogene Allgemeinbildung waren angestrebt. Bis 1937 gab es 603 Absolventinnen und 3508 Kursteilnehmerinnen.32


Abb. 7: Jiu-Jitsu-Unterricht für angehende Fürsorgerinnen

Berta Pichl engagierte sich in einer Unzahl weiterer Projekte, in denen sie auf aktuelle gesellschaftliche Bedingungen einging: Spezialkurse für Greisenhilfe, Brautkurse, Lehrgänge für Ferienheimerzieherinnen, für Büchereileiterinnen, Kurse für geistliche Internatserzieherinnen und 1931 ein erster Umschulungskurs für arbeitslose Frauen. Es folgten Leiter/innenschulungskurse für den Freiwilligen Arbeitsdienst und eine Ausbildung zur Mütterschullehrerin. (vgl. Steinhauser 1993:126)

Die Schule war Berta Pichls „Kind“. In jedem ihrer Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und mittels Vorträgen, vor allem in Pfarren, betrieb sie intensiv Werbung für ihre vielen Lehrgänge. Sie gestaltete Plakate und Informationsbroschüren in ansprechendem Design, versehen mit Fotos aus dem Schulalltag, die sie immer wieder leicht veränderte und adaptierte, und ermahnte die Pfarren, auf den sauberen Zustand der Plakate zu achten, damit sie ein gefälliges Bild der Schule vermittelten. (vgl. Pichl 1932b:41) Dabei schlug sie einen ziemlich autoritären Lehrerinnenton an. Sie verstand es auch, in den Frauen-Briefen, für die sie mehrere Artikel schrieb, auf der Titelseite Fotos aus dem Schulalltag unterzubringen.33

Man darf nicht übersehen, dass Pichl bis 1934 noch höchst aktive Bundesrätin war. Sie hat sich aber auch als sozialpolitische Sprecherin der katholischen Frauen hervorgetan. Bei der Eröffnung des Dritten katholischen Frauentages 1931 wies Pichl etwa auf die große Zahl arbeitsloser Jugendlicher und Frauen ebenso hin wie auf die materielle Bedürftigkeit von Familienerhalterinnen. Sie verlangte auch den Ausbau der Fürsorgeeinrichtungen und die Möglichkeit für Fürsorgerinnen, in höhere Positionen aufzusteigen. (vgl. Reichspost vom 19.06.1919:7)


Abb. 8: Schulalltag

Dienstrechtlich wurde dieser Einsatz in ihren eigenen Augen nicht gewürdigt: Als Pichl 1937 zur „wirklichen Lehrerin der Verwendungsgruppe 5 (Bundeslehrer)“ wurde, rechnete man ihr die Vordienstzeiten an Privatschulen und bei der KFO nicht an, obwohl ihr Mitkämpfer/innen, darunter Anna Motzko, mit Empfehlungsschreiben zur Seite standen.34 Deren Brief vom Februar 1938 war allerdings zu spät dran. Es sollte aber noch ärger kommen.


11. Die Zeit des Nationalsozialismus
In einer Reihe von Dokumenten steht, Berta Pichl sei 1937 aus der Schule geschieden; das stimmt nicht, vermutlich hat da einer vom anderen abgeschrieben.

Im Jahr 1938 wurde die Soziale Frauenschule, wie auch die Arlt-Schule und andere Privatschulen, von den Nationalsozialisten geschlossen, nachdem ihr das Öffentlichkeitsrecht aberkannt und das Schulvermögen eingezogen worden war.

Allerdings musste die Behörde Pichl kurzfristig das Verfügungsrecht über die Schulgelder zurückgeben, denn sonst hätte sie das Konto nicht auflösen können. Am 31.8.1938 überprüfte sie persönlich, dass die Schule geräumt war, und lieferte „Kataloge etc.“ beim Stadtschulrat ab. Sie meldete der Gauverwaltung, Abt. II, den Kassaabschluss und die Liquidierung der Konten per 31.12.1938.35

Kardinal Innitzer bat Dir. Pichl im August 1938 in einem Schreiben an ihren Tiroler Urlaubsort, sich für die Wiederzuerkennung des Öffentlichkeitsrechts und damit den Weiterbestand der Schule zu verwenden. Sie tat es. Aber im Oktober 1938 musste die Schule eine eiskalte Abfuhr erleben. Unter Z. 2015/2-III-1938 teilte ihr der kommissarische zweite Präsident des Stadtschulrates für Wien, Dr. Fritz, mit:

„Das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten hat mit dem Erlass vom 24. September 1938, Z. IV/2a-32.941-b eröffnet, dass dem Ansuchen der Leitung um Weiterzuerkennung des Öffentlichkeitsrechtes an die d. o. Anstalt im Hinblicke darauf, dass die Erziehung und Ausbildung der Jugend grundsätzlich Sache des Staates ist, nicht stattgegeben wird.
Die seinerzeit vom Landesschulrat für Niederösterreich ausgesprochene Kenntnisnahme der Errichtung und Führung dieser Schule wird hiermit zurückgenommen und die Leitung angewiesen, das bezügliche Dekret sowie sämtliche an der Anstalt bisher geführten Klassifikationskataloge ehestens dem Stadtschulrat für Wien, zu Handen des Kanzleileiters der Abteilung III, zur Hinterlegung abzuliefern.“ (Steinhauser 1993:294-295)

Die Schülerinnen des Jahrgangs 1937/38 durften ihre Ausbildung an der Fürsorgeschule der Stadt Wien in der Galileigasse abschließen (Steinhauser 1993:126), die nun dem nationalsozialistischen Begriff der Volkspflege untergeordnet war. Der Stadtschulrat verlangte die Listen der von den Schülerinnen bereits abgeleisteten Praktika, so dass diese bei Fortführung der Ausbildung angerechnet werden konnten.

In einem Abschiedsbrief schrieb die geschasste Direktorin an ihre Schülerinnen:

„Da unsere Soziale Frauenschule – wie alle Privatschulen – aufgelöst worden ist, komme ich das letzte Mal als Direktorin der Sozialen Frauenschule zu Ihnen. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg rechten Gottessegen und die Gnade, recht viel Gutes zum Heil des Leibes und der Seele zu schaffen … Sollten Sie einmal meinen, dass ich Ihnen irgendwie helfen kann, so will ich gerne tun, was in meiner Kraft liegt.“ (Steinhauser 1993:128)

Berta Pichl erhielt 1938 Unterrichtsverbot. Sie betrachtete das als „gänzlich ungerechtfertigte Härte, gegen die mir aber ausdrücklich kein Rechtsmittel zustand“, da sie sich „nach 1934 ganz aus dem politischen Leben zurück(gezogen) und keinerlei politische Funktionen inne(hatte)“.36

Pichls zugrunde liegende Einstellung hatte einiges mit den nationalsozialistischen Familienvorstellungen gemein: Sie hat ja von der KFO den zentralen Begriffe der Mütterlichkeit bzw. Volksmütterlichkeit (vgl. Dittmar 2005:23) übernommen, worunter sie eine genuine Anlage der Frau für Betreuung im weitesten Sinne verstand: Auch sozialpolitische Maßnahmen zum Wohle der Menschen fielen darunter. Sie stellt diese menschenzentrierte Denkweise der männlichen, sach- und finanzorientierten gegenüber. (vgl. Pichl 1929a:24) Obwohl Pichl dem System des Nationalsozialismus missliebig war, hat dieses selbst doch den Begriff der Mütterlichkeit auf genetischer Grundlage bis zum Exzess vertreten.

Pichl war zwar vom Dienst enthoben, bezog aber bis April 1939 ihr Gehalt, dann wurde sie pensioniert. Es existiert ein umfangreicher Schriftverkehr über die Höhe ihrer Pension, der teils nach bürokratischen Hürden und einem Durcheinander inkompatibler Gesetzestexte klingt, teils aber auch nach reiner Schikane. Zunächst wurden 35% ihres Aktivbezuges als Pension festgesetzt, bei einer neuerlichen Durchrechnung jedoch der Großteil ihrer 23 Dienstjahre aus verschiedenen Gründen abgezogen, so dass sich schließlich ein geradezu lächerliches Dienstalter ergab. Mit diesem hätte sie nach damaligem Recht überhaupt keinen Anspruch auf eine Pension gehabt, sondern nur auf eine geringe Abfertigung. Die bereits ausgezahlten Beträge wären zurückzuerstatten gewesen. Die Auszahlung wurde daraufhin ab 1. Februar 1941 überhaupt gestoppt. Damit hatte Pichl, die inzwischen an ernsthaften Herzbeschwerden litt, auch keine Krankenversicherung mehr. Außerdem musste sie ihre fünf Jahre ältere und behinderte Schwester Maria erhalten.37 Sie saß zum ersten (und Gott sei Dank auch einzigen) Mal in ihrem Leben in der Armutsfalle.

Nicht nur wehrte sich Pichl mit all ihrer Eloquenz gegen die Benachteiligung; auch offizielle Stellen der damaligen Ostmark verwendeten sich für sie. Der Gaupersonalamtsleiter hatte ein Gutachten über ihre politische Zuverlässigkeit abzugeben. Sein Bericht vom 28.5.42:

„Obengenannte war Gegnerin der NSDAP und wurde (...) in den Ruhestand versetzt. Das gegenwärtige Verhalten der Betreffenden zu Partei und Staat bietet zu keiner Klage Anlass. Sie ist bemüht, nirgends Anstoß zu erregen und ist seit 15.9.1938 Mitglied der NSV. Bei Sammlungen ist ihre Spendenbeteiligung als zufrieden stellend zu bezeichnen.“38

Dass Pichl unter so entwürdigenden finanziellen Verhältnissen lieber still hielt, darf nicht verwundern. Die NSV, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, war die soziale Unterorganisation der NSDAP, zuständig für alle Bereiche der Fürsorge, und damit jene Institution, bei der Pichl ihre Gesinnung am ehesten vertreten sehen konnte.

Am 1.11.1943 wurde „(...) mit Rücksicht auf die außerordentlich schwierige Wirtschaftslage der Studienrätin“ nach 23 Monaten eine winzige Pension bewilligt, von der Pichl noch einen Übergenuss von mehr als 1200 Reichsmark abzustottern hatte.


Abb. 9: Gestapokartei 1944

Am 23.8.1944 wurde Pichl im Zuge einer Verhaftungsaktion nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli als amtsbekannte politische Gegnerin von der Gestapo Wien erkennungsdienstlich erfasst39, jedoch nach drei Tagen im Polizeigefängnis wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes (Herzbeschwerden und Asthma) wieder entlassen.

Einer der Lehrer der Sozialen Frauenschule, der Universitätsprofessor Hans-Karl Freiherr von Zessner-Spitzenberg, ebenfalls ein katholischer Aktivist, wurde bereits am 18. März 1938 verhaftet und fünf Monate später in Dachau ermordet. (vgl. Steinhauser 1993:128)


12. Nachkriegszeit
Mit dem ersten Nachkriegsjahrgang trat Pichl im Herbst 1945 ihr Amt als Leiterin der Sozialen Frauenschule wieder an, offiziell wurde sie jedoch erst mit 7. Dezember in Dienst genommen. Ihre volle Rehabilitierung war erst Ende 1947 abgeschlossen, sie erhielt 1948 den NS-Opferausweis Nr. 4440.40

Im März 1946 teilte man Pichl mit, dass ihr (auch in der jungen Republik) die Vordienstzeiten bei der KFO und in Privatschulen nicht angerechnet werden könnten. In ihrem Einspruch schreibt sie: „Diese (...) soziale Tätigkeit ermöglichte mir einen tiefen Einblick in die verschiedensten Zweige der sozialen Arbeit, so dass ich diese Tätigkeit als eine der wesentlichsten Grundlagen meiner jetzigen Arbeit sehen muss.“ Ein kluger Schachzug, denn genau das war die Voraussetzung für eine amtliche Zuerkennung als Dienstjahre, die dann auch erfolgte.41

Sitz der Schule war nun das ehemalige Schwesternheim der NS-Volkswohlfahrt im 9. Bezirk, Seegasse 30, da das Haus in der Florianigasse einen schweren Bombenschaden erlitten hatte. Wie es in der Seegasse aussah, schildert Pichl in einem Weihnachtsrundbrief vom Dezember 1945 an ihre Vorkriegs-Absolventinnen (Steinhauser 1993:65):

„(…) Es ist ein vierstöckiges neueres Gebäude, dessen Parterre und I. Stock die Schule, und dessen II., III. und IV. Stock unser Studentinnenheim beherbergt. Letzteres wird von Schwestern der Caritas Socialis geleitet. (…) Wegen der Demarkationslinie konnten heuer (mit Ausnahme einer Vorarlbergerin) nur Schülerinnen aus Wien und Niederösterreich sich melden und die kamen sehr zahlreich. Da aber durch die mangelhafte Schulbildung, die vielfache Abziehung der jungen Mädchen zu Kriegsdienstzwecken, nur eine sehr mangelhafte Vorbildung vorhanden ist, wurde ein Vorbereitungslehrgang zur Fürsorgerinnenschule eröffnet, der auch nächstes Jahr geführt werden wird. Es sind derzeit in der Erzieherinnen- und Hortnerinnenschule 32 Schülerinnen, im Vorbereitungskurs 29 und in der Fürsorgerinnenschule 38 Schülerinnen. (…)
Als ich die Arbeit übernahm, herrschte nach den geflüchteten Krankenschwesternschülerinnen ein wüstes Durcheinander, das durch die Plünderung verschiedener Kreise arg vermehrt worden war. Es waren z. B. 496 Scheiben zerbrochen, kein Besen, kein Reibtuch, kein Geschirr, fast keine Wäsche vorhanden, man möchte fast überall hinzu¬setzen „kein“. Nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten konnte am 30. IX. das Hl. Geistamt das neue Schuljahr eröffnen. Am 1. X. begann ganz pünktlich unsere Schule als einzige dieser Type den Unterricht. Nach vielen, vielen Schwierigkeiten haben wir jetzt die Schulräume verglast, aber leider noch kein Brennmaterial. Die Schulbänke etc. sind geliehen, die Bücherei ganz zusammengeschrumpft, der Lichtbildapparat, unsere Vervielfältigungsmaschine ging verloren (…) Aber es ist bei uns Prinzip, dass jeder Tag etwas – und sei es noch so klein – besser werden muss. Nun wird am 19. Dezember seine Eminenz wie früher mit uns Weihnachten feiern und den Schülerinnen das ge¬weihte Abzeichen unserer Gemeinschaft geben (...)“

Die Schule unterstand nun der Caritas der Erzdiözese Wien, die ihre Besitztümer, wenn auch teils zerstört, wieder erhalten hatte. Ihre Aufgabe war es, „den fürsorgerischen Nachwuchs für die Kirche und das Land Niederösterreich sowie Erzieherinnen auszubilden“ (Klosterman/Mauer/Weinzierl 1966:384f).

Die Direktorin war bei der Caritas und nicht mehr bei der KFO angestellt. Es gab aber schon damals Bestrebungen, diesen Schultyp dem Stadtschulrat für Wien zu entziehen und dem Unterrichtsministerium direkt zu unterstellen, und mit der neuerlichen Verleihung des Öffentlichkeitsrechts 1948 wurde die Übernahme vollzogen. Allerdings war Dr. Pichl nicht eigenständige, bundesbedienstete Schulleiterin, sondern ab 15.1.1947 als „lebende Subvention“ zugeteilt und formal dem Lehrkörper der HBLA Strassergasse (19. Bezirk) angehörig. 1955 stellte die Caritas als Schulerhalter einen Antrag auf Umwandlung des Subventionspostens in einen Direktorposten (L1). Er wurde abgelehnt


Abb. 10: Schulalltag; an der Schreibmaschine im Hintergrund Friederike Nestroy

Einige Lehrkräfte tauchten 1945 wieder auf, der Großteil musste neu rekrutiert werden. Den Lehrplan übernahm Pichl zunächst aus der Vorkriegszeit; etwas anderes war auch gar nicht möglich. Allerdings blieb er bis 1963 nahezu unverändert und entsprach damit nur mehr in Teilen, wenn auch in großen, den Erfordernissen der Zeit.

Bemerkenswert ist die sofortige Wiedereinrichtung des Vorbereitungslehrgangs für Nicht-Maturantinnen, den Pichl in ihrem Weihnachtsbrief erwähnt. Vielleicht knüpft sie da an ihre eigenen Erfahrungen an, denn auch sie musste nach der Bürgerschule ein Zwischenjahr einschieben, um das Niveau der Lehrerinnenbildungsanstalt zu erreichen, was offensichtlich die erwünschte Wirkung gehabt hat. Der Lehrgang umfasste neben berufsspezifischen Fächern alles, was eigentlich die Pflichtschule hätte vermitteln sollen: Religion, Deutsch, Englisch, Geografie, Geschichte, Kunstgeschichte, Rechnen und Geometrie, Naturlehre, Naturgeschichte. Dazu gab es als Freigegenstände Handfertigkeit, Stenografie, Nahrungsmittellehre, Gesang, Turnen und Spiel, Hort- und Heimkunde.42

Der erste in dem Weihnachtsbrief geschilderte Ansturm erwies sich als trügerisch. Es meldeten sich letztlich nicht genug junge Frauen für die Fürsorgerinnenschule, also erwog man deren Schließung. Dagegen kämpfte Pichl mit aller Kraft an.

„Die öffentlich tätige Fürsorgerin hat durch ihren engen Kontakt zu weiten Volkskreisen (…) vielfach Gelegenheit zur Einflussnahme und es ist gewiss nicht gleichgültig, aus welcher grundsätzlichen Einstellung sie ihr Amt ausführt. Der Großteil der Wiener Bevölkerung und der noch viel größere der anderen Bundesländer ist katholisch und hat ein Recht auf katholische Fürsorgerinnen. Glaubt man diese aus interkonfessionellen Schulen zu erhalten? (Die Leiterin des Wiener Jugendamtes, wahrscheinlich auch seiner Schulen, ist kommunistisch.)
Will man den Einfluss kath. Fürsorgerinnen in sittlich-religiöser Hinsicht auf die Berufskolleginnen aufgeben, indem man nicht mehr für den Nachwuchs kathol. Fürsorgerinnen sorgt? Gerade die für diese Schultype in Betracht kommenden Jahrgänge (18-20 Jahre) sind in den letzten 7 Jahren durch das BDM, den Arbeitsdienst, Wehrmachtsstellen etc. gegangen, gewiss keine Basis für katholische Fürsorgeauffassung.“
43


13. Konfliktfeld Seelsorgehelferinnen
Wie erwähnt, bildete die Soziale Frauenschule seit 1927 Seelsorgehelferinnen nach einem Konzept aus, das Pichl in Zusammenarbeit mit Domkurat Leopold Engelhart entworfen hatte. Grundlage war die Fürsorgerinnenschule, angereichert mit kirchlichen Fächern, ihr folgten ein Trimester Spezialkurse und ein zweimonatiges Praktikum. Pichl drang darauf, nicht nur die Ausbildung, sondern auch das Berufsbild verbindlich festzuschreiben, denn wie Holzer später sagte: Die Kirche stand dem weiblichen Einsatz wohlwollend gegenüber, so lang er nichts kostete. (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:290) Auch hier erkannte Pichl wieder einmal, dass nur die Professionalisierung, mit allen arbeitsrechtlichen Konsequenzen, dem Beruf Zukunft verleihen konnte.

Die Direktorin hielt engen Kontakt zu den kirchlichen Stellen (Seelsorge-Institut und Ordinariat), die Absolventinnen erhielten die missio canonica (die kirchliche Beauftragung mit Verkündigungs- und Lehraufgaben). (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:91ff)

Inzwischen war aber eine jüngere Frau auf demselben Gebiet tätig geworden: Dr. Hildegard Holzer, geb. 1904. Sie hatte bereits während der Nazizeit im Seelsorgeamt der Erzdiözese Wien Kurse für Seelsorgehilfe geleitet und im Untergrund kirchliche Jugendarbeit betrieben. Sie gründete, gut vorbereitet, wenige Tage nach Kriegsende die zweijährige Wiener Diözesanschule für Seelsorgehilfe und Caritas der Erzdiözese Wien, die 1947 als Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz zum Seminar für kirchliche Frauenberufe wurde. (Prüller-Jagenteufel 2002:120ff)

Pichl und die wesentlich jüngere Holzer standen zueinander in heftiger Konkurrenz. Bereits in der Zwischenkriegszeit gab es Unstimmigkeiten zwischen den beiden Frauen: Pichl hatte der studierenden Holzer die begleitende Ausbildung zur Fürsorgerin verweigert, da sie nicht bereit war, ihr die dafür nötigen Ausnahmeregelungen zu gewähren. (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:277) Holzer, die dann die Arlt-Schule besuchte, spricht auch später noch voll Verärgerung über dieses Ereignis.44 Pichls Haltung ist wirklich unverständlich, weist sie doch in ihrer Ausbildungsbeschreibung besonders darauf hin, dass bei gleichzeitigem Hochschulstudium eine Verteilung auf sechs Semester möglich sei. (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:277)

Beide Schulkonzepte stellten die katholisch-seelsorgerische Ausbildung allem anderen voran. Holzer ging dabei sogar noch weiter, da sie die Internatsunterbringung, also eine Art Klausur, als unabdingbar ansah. (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:159ff) Der Unterschied zwischen den beiden Ausbildungsgängen: Pichl setzte die Fürsorgerinnenschule für angehende Seelsorgehelferinnen voraus, während Holzer einen anderen Zugang wählte: Im ländlichen Raum werde den Pfarrhelferinnen viel pflegerisches Wissen abverlangt. In den Sitzungsprotokollen ist davon die Rede, es gebe bereits genug Fürsorgerinnen, wohingegen Pfarrhelferinnen, vor allem auf dem Land, gesucht würden. Deren Ausbildung solle erweitert und aufgewertet werden und zu einem diplomierten Abschluss, eventuell als Krankenpflegerin, führen. Die kirchlichen Stellen neigten der Holzerschen Ansicht zu.

Ein weiteres Argument für die Aufwertung der Seelsorgehelferin, das dem Pichlschen Denken eigentlich hätte vertraut sein müssen: Die Pfarrkanzleien seien fest in Männerhand, man müsse ein Gegengewicht schaffen.45 Aber auch das überzeugte Pichl nicht. 1951 beschwerte sich Holzer in einem Brief an Kanonikus Dr. Rudolf, den Seelsorgeamtsleiter, Pichl versuche immer wieder, die abgeschlossene Fürsorgerinnenausbildung für zukünftige Seelsorgerinnen obligat zu machen.46

Rückblickend betrachtet waren sich die beiden Frauen ziemlich ähnlich: Beide hatten als Ziel gut ausgebildete, sozial abgesicherte junge Frauen vor Augen. Beide hatten sehr klare und weit vorausschauende Vorstellungen über weibliche Berufsbilder. Beide kämpften dafür, dass die Frau einen ihr zustehenden Platz in der Kirche einnehmen sollte.

Beide identifizierten sich völlig mit ihrer jeweiligen Schule und waren von der Richtigkeit ihrer Konzepte überzeugt. Die anderen Beteiligten sahen das auch so: Man sprach von der „Pichlschule“ und der „Holzerschule“. Holzer betonte z. B., dass es „meine Schule“ sei, nicht die des Kardinals oder des Seelsorgeamtsleiters. (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:134) Sie waren beide hartnäckig und zielbewusst und scheuten keinen Konflikt, auch nicht mit den übergeordneten kirchlichen Stellen. Aber für jede von ihnen war ihre eigene Konstruktion die einzig mögliche.

„Sendungsbewusst“ und „gottverschworen“ nennt Prüller-Jagenteufel (2002:346,348) ihre Protagonistin Hildegard Holzer. Dasselbe kann auch für Berta Pichl gelten.

Pichl hätte am liebsten die Fürsorgerinnenschule als Basis sämtlicher weiterer Ausbildungen gesehen. In ihrer Schule war das vor dem Krieg ja verwirklicht gewesen! Nun fühlte sie sich persönlich gekränkt. Sie war wohl ihr Leben lang eine Einzelkämpferin und reagierte empfindlich, wenn sie meinte, dass Anliegen, die ihr wichtig waren, von anderen nicht entsprechend gewürdigt wurden. Die Dokumentenlage im Erzbischöflichen Ordinariat ist unvollständig. Rückschlüsse kann man eher aus dem ziehen, was fehlt: Bei all den vielfältigen Kursen und Veranstaltungen der Erzdiözese zu sozialen Themen scheint Pichl nirgends mehr als Referentin auf.

Ein zweiter Vorschlag war, die Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin zu integrieren. Zu Beginn der Fünfzigerjahre bereitete das Unterrichtsministerium Änderungen in der Ausbildung für die beiden Berufe vor, und da hätte sich eine solche Maßnahme gut einfügen lassen.47 Allerdings konnte dann nur der Lehrgang für Erzieher/innen verwirklicht werden.

Für beide Schulen mussten nach dem Krieg neue Unterkünfte gefunden werden, andrerseits war die Diözese zu Sparmaßnahmen gezwungen. So dachte man immer wieder an eine Zusammenlegung der beiden, wobei wohl die seelsorgehelferische Ausbildung das Übergewicht erhalten hätte. Dagegen kämpfte die streitbare Dr. Pichl leidenschaftlich an. Sie schreibt:

„(...) ich hoffe, dass mir wenigstens das nach 20 Jahren rastloser Arbeit auf katholischem Gebiet nicht unerfüllt bleibt: Die (…) zu schaffende Schule, die ja weder rechtlich noch lehrplanmäßig die Nachfolgerin der von mir geleiteten Sozialen Frauenschule werden soll – sonst wäre das Refus ja noch beleidigender – möge nicht den Namen Soziale Frauenschule tragen.“48

Erst 1951 gelang es ihr, die Unabhängigkeit ihrer Lehrgänge endgültig zu sichern.49 Das Haus in der Seegasse war 1952 für die „Pichlschule“ adaptiert, die Rivalin Holzer mit der kirchlichen Frauenschule zog in die ebenfalls renovierte Seitzergasse (vgl. Prüller-Jagenteufel 2002:141) im 1. Bezirk. In einzelnen Fächern hätten sie gemeinsamen Unterricht anbieten sollen, auch das Internat in der Seegasse sollte von beiden genutzt werden. Aus beiden Vorschlägen scheint nichts geworden zu sein.

Holzer ging 1958 in Pension (Prüller-Jagenteufel 2002:153), nur ein Jahr nach Pichl, und auch sie erkannte wohl enttäuscht, dass sich ihre Zeit überlebt hatte.


14. Die letzten Jahre
Der Mangel an Bewerberinnen führte trotz Pichls ideologischer Bedenken zur wechselweisen Eröffnung einer Fürsorgerinnenklasse mit der Schule der Gemeinde Wien in jedem zweiten Jahr.

Die letzte bahnbrechende Tat Pichls war der Aufbau der Sozialpädagogischen Erzieherschule ab 1953. Sie wurde erst geschlossen, als zehn Jahre später das Institut für Heimerziehung ihre Aufgaben übernahm. (vgl. Steinhauser 1993:128)

Ihre frauenpolitischen Aktivitäten nahm Berta Pichl auch wieder auf, wenngleich in kleinerem Rahmen. Im Juni 1949 unterzeichnete sie eine Petition der „Selbständigen Frauen“50 im Rahmen der katholischen Frauen Österreichs, eigentlich eine Forderung nach völliger Gleichstellung der Frau auf allen Gebieten, besonders was berufliche Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten anbelangte. (Die Verwirklichung dieser Forderung lässt noch immer auf sich warten.) Das Schreiben wies besonders auf die große Zahl der Kriegswitwen, viele mit Kindern, hin, die zu arbeiten gezwungen waren.51

In den Fünfzigerjahren gab es immer weniger Interessentinnen für die Fürsorgerinnenschule. Der Beruf konnte weder mit Ansehen noch mit gutem Einkommen locken; im Staatsdienst waren Fürsorgerinnen in Gehaltsklasse D eingestuft, was einer abgeschlossenen Lehre entsprach, obwohl die Interessentinnen meist Matura hatten und die Anforderungen ständig stiegen. Da bot sich keine Karriere für aufstrebende Wirtschaftswunderfrauen.


Abb. 11: Statut der Erzieher/innenschule

Berta Pichl betrachtete sich wohl zuletzt selbst als Relikt einer vergangenen Zeit. Man sah in ihr die alte Dame, die mit den neuen Entwicklungen nicht mehr so recht mithalten konnte, und vergaß darüber, dass sie als Pionierin dieses Berufsbild führend mitgeschaffen, ausgebaut und über die Jahrzehnte gepflegt und verteidigt hatte. Ihr Leben war zu einem Leben in der und für die Soziale/n Frauenschule geworden, der sie alles andere unterordnete. Auch ihr privater Umgang beschränkte sich immer mehr auf Friederike Nestroy, ihre Freundin, Sekretärin und unentbehrliche Helferin, und ihre gemeinsame Obsorge für die Schule.

Pichl vermochte sich der Entwicklung von der Fürsorgerin zum/zur Sozialarbeiter/in nur sehr zögernd zu öffnen; das entsprach nicht ihrer Jahrzehnte lang geübten Denkungsart. Allerdings unterstrich sie die Eigenständigkeit der neuen Kräfte gegenüber dem Status der Fürsorgerin als untergeordnetem Verwaltungsorgan, ganz im Sinne ihrer Forderung nach der Möglichkeit zum sozialen Aufstieg der Absolventinnen. Sie war bestrebt, dem in der Ausbildung Rechnung zu tragen. Dabei war sie sogar etwas freier in ihren Entscheidungen als die Schule der Stadt Wien, die dem Jugendamt zugeordnet war und hauptsächlich für Jugend- und Tbc-Fürsorge ausbilden sollte.

Am 11.12.1953 wurde der Direktorin Pichl der Titel Hofrat (nicht Hofrätin!) verliehen. Aus der Begründung: „Die Soziale Frauenschule ist durch Dir. Dr. Berta Pichl zu einer führenden Anstalt dieser Art in Österreich geworden und weit über die Grenzen Österreichs als solche bekannt.“52


Abb. 12: Verabschiedung in den Ruhestand

Sie erreichte 1955 das Pensionsalter und es gibt einen Akt vom 29. Oktober 1955, der ihr „Dank und Anerkennung“53 für ihr Wirken ausspricht, ein zarter Hinweis auf die Verabschiedung. Aber Pichl gab noch nicht auf. Sie trat erst am 1. Jänner 1957 in den Ruhestand. (vgl. o. V. 1957) Auf Grund ihrer großen Verdienste bewilligte ihr der Bundespräsident eine außerordentliche Personalzulage zum Ruhegenuss.54

Berta Pichl starb am 2. Februar 1966 und wurde im Familiengrab auf dem Hernalser Friedhof bestattet. 2007 ist die Benützungsbewilligung für das Grab abgelaufen, die Markierung der Tafel deutet auf baldige Räumung hin.55


Abb. 13: Familiengrab Pichl

Pichls Nachfolgerin war Hofrätin Dr. Aloisia Bitterer, in deren Zeit die großen Reorganisationen von 1963 im gesamten Schulbereich fielen. Sie leitete die Schule bis 1970 und konnte 1968 deren 50-jähriges Bestehen feiern.

Mit dem Schuljahr 1963/64 wurde die Soziale Frauenschule von zweijährigem auf dreijährigen Lehrplan um- und dem Bund unterstellt. Die Tagesschule der nunmehrigen Lehranstalt für gehobene Sozialberufe führte im Schulhaus Seegasse nur mehr den 2. Jahrgang. Es interessierten sich jetzt auch zunehmend mehr Männer für diesen Berufszweig. (vgl. Steinhauser 1993:132) Aus der „Fürsorgerin“ waren „Sozialarbeiter und Sozialarbeiterin“ geworden.

Nach einem Konzept, das noch Pichl entwickelt hatte, und lang nach ihrem Rückzug entstand 1965 die Lehranstalt für gehobene Sozialberufe für Berufstätige, eine Abendschule, die zunächst nicht sehr attraktiv, da für die Studierenden kaum zu bewältigen war, und 1968 wieder aufgelöst werden musste. Hingegen bewährten sich Externistenkurse, allerdings auf Kosten der Tagesschule, die im Vergleich zur Absolvent/inn/enzahl allzu hohe Kosten verursachte.

1971 wurde Dr. Werner Steinhauser zum Schulleiter und damit als erster Mann zum Leiter einer Schule für Sozialberufe bestellt. Die Caritas der Erzdiözese hatte da bereits veranlasst, dass mit Schuljahresende 1971 die Tagesschule, dieses von ihr schon länger ungeliebte, weil teure Kind, geschlossen wurde und die Bundesausbildung in die Wege geleitet. Steinhauser wurde ersucht, die übrig bleibenden Externist/inn/en zu einem Abschluss zu bringen. In Hinblick auf den sich anbahnenden Umbruch im Bildungswesen erschien ihm das aber als in dieser Form nicht zukunftsträchtig und er riet der Caritas zur Gründung einer neuen Form von Berufstätigen-Ausbildung, mit der er dann auch betraut wurde.56 Es gelang ihm, mit veränderter Konzeption diesen Bildungsweg zum Erfolg zu führen: Die Ausbildung dauerte für Maturant/inn/en sechs Semester, Kandidat/inn/en ohne Matura mussten vorher einen einsemestrigen Vorbereitungslehrgang absolvieren. Der Unterricht fand an drei Abenden in der Woche statt. Die notwendigen Praktika konnten von den Studierenden zeitlich frei gewählt werden. (vgl. Pröglhöf 2012)

Bereits 1972 entstand eine zweijährige Fachschule für Sozialberufe und später gab es auch Lehrgänge für Alten- und Behindertenhilfe. Die Lehranstalt wurde 1976 in eine Akademie für Sozialberufe umgewandelt. (vgl. Steinhauser 1993:132f) Eine maturaführende Schule bildete ab 1984 für Leitungsfunktionen im Sozialberuf aus. 1991 wurde Steinhauser in den Ruhestand versetzt und kurz darauf übergab die Caritas die Akademie an den Bund. Sie befindet sich seither im 10. Bezirk, zunächst in der Ettenreichgasse, jetzt im neuen FH Campus Wien in der Favoritenstraße 226.

Die Schule in der Seegasse bietet heute eine Reihe von Ausbildungsmöglichkeiten in Sozialberufen an (s. unten), und dass sich an ihre Höhere Lehranstalt für Sozialmanagement nahtlos ein Fachhochschulstudium anschließen lässt, hätte Berta Pichl mit Stolz und Zufriedenheit erfüllt: Ihr Lebensziel, junge Frauen für ein selbstständiges Leben auszubilden, ist damit erreicht.

Zu den Jubiläen der Caritas der Erzdiözese Wien, gegr. 1921 (50 und 75 Jahre), erschienen Festschriften, in denen die Soziale Frauenschule namentlich gar nicht aufscheint; nur diverse Ausbildungsmöglichkeiten sind eher am Rande erwähnt.57

1976 war es 75 Jahre her, dass Wien die erste Ausbildungsstätte für Sozialarbeiter erhielt.58 Aus diesem Anlass gab es in der Seegasse 1977 eine Ausstellung, die die Entwicklung der Ausbildung als Spiegel geänderter gesellschaftlicher Verhältnisse aufzeigte: Vom Ehrenamt zum Beruf. (vgl. Steinhauser 1993:11) Leider sind die Exponate nirgends auffindbar.

Caritas Ausbildungszentrum für Sozialberufe in der Seegasse, Angebote 201259:


16. Persönliche Erinnerungen
Diesen möchte ich, sozusagen als Präambel, ein Zitat von Dr. Werner Steinhauser (vor 1991:1), dem langjährigen Leiter der Sozialen Frauen- bzw. Fürsorgerinnenschule, voranstellen.

„Als kirchliche Liebestätigkeit beinhaltet sie (die Caritas, d. Verf.) die Organisation der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit, aber auch den aktiven Beitrag zur Korrektur von Unzulänglichkeiten in der Gesellschaft und zur Stiftung einer besseren Welt, die dem Einzelnen wie sozialen Gruppen Gelegenheit zur Entfaltung und Verwirklichung schafft.“

Mit diesen Worten markiert Steinhauser eine Wende in der Zielvorstellung der Schule: weg von der Einzelfallhilfe und hin zu breiter gestreuter, auf Veränderungen in der Gesellschaft abzielender, in letzter Konsequenz sozialpolitischer Tätigkeit. Genau an dieser Wende, oder vielleicht eher Bruchlinie, standen wir Schülerinnen in den Jahren 1952-1954. Uns war das damals nur unklar bewusst; wir spürten Spannungen und bemerkten unterschiedliche Positionen bei den Lehrkräften und Praktikumsbetreuer/inne/n, nicht immer nur negativ gewertet. Die Aufbruchstimmung war deutlich. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.

Pichl selbst hat ja zwei Ziele gehabt: Notstände beseitigen und junge Frauen ausbilden zu helfen; vielleicht hat sie gar nicht gewusst, wie viele Samen sie in den aufnahmebereiten Geist von Angehörigen der nächsten Generationen gesät hat.

Für mich selbst habe ich aus dieser Zeit eine Lebens-Grundeinstellung mitgenommen, ich nenne es die „Gummistiefelmentalität“: Interessant ist ein Projekt, solange es Baustelle (oder überhaupt erst in Planung) ist. Wenn schließlich alles läuft, kann man sich ruhig Neuem zuwenden: Zustände, die verändert werden sollten, wird man immer finden.

Aber nun zu den Ereignissen:

Da nicht genug Anwärterinnen für zwei Anfängerklassen vorhanden waren, hatten sich die beiden Fürsorgerinnenschulen, die der Caritas und die der Stadt Wien, darauf geeinigt, im Wechsel mit jeweils einer Klasse zu starten. 1952 war die Caritas dran.

Ich lernte die Direktorin Berta Pichl nach meiner Matura im Sommer 1952 in Radstadt kennen; sie verbrachte mit ihrer Freundin und Sekretärin Friederike Nestroy dort den Urlaub. Ich hatte mich um die Aufnahme in die Fürsorgerinnenschule beworben und die Damen luden mich, da ich im benachbarten St. Johann im Pongau wohnte, zu einem Vorstellungsgespräch ein. Frau Dir. Pichl war eine imponierende, große Frau von sehr aufrechter Haltung, deren strenge, aber elegante Kleidung immer noch ein wenig an das konservative Wien der Zwischenkriegszeit gemahnte.

Damals versuchte die Fürsorgerinnenschule einen neuen Weg einzuschlagen: Bis dahin waren die Absolventinnen eher aus der Praxis gekommen, es gab wenig Maturantinnen (im Gegensatz zu der Zeit vor dem Krieg, da war höhere Bildung häufig). Die Gehaltseinstufung von Fürsorgerinnen in den Ländern lockte auch keine ehrgeizigen Frauen an. Pichl plante, ganz auf Maturantinnen umzustellen, in der Hoffnung, dass sich dann auch die Einstufung ändern ließe. Wieder nahm sie eine Vorreiterrolle ein! Wir waren der erste Nachkriegsjahrgang, der sich diesem Ziel näherte, allerdings ein sehr gemischter; einige Mädchen hatten nur ihre ländliche Hauptschule besucht und dann ein paar Jahre bei einem Sozialdienst gearbeitet. Während ich dort zur Schule ging, startete kein Vorbereitungslehrgang. Dr. Pichl wollte nur mehr Mädchen mit ausreichender Vorbildung aufnehmen.

Ein wesentlicher Teil des Aufnahmegesprächs war meiner Einstellung zu Konkurrenz bzw. Zusammenarbeit in der Klasse gewidmet. Dr. Pichl lag sehr am sozialen Frieden unter ihren Schülerinnen. Diskriminierung wegen Herkunft, Vorbildung, Lerngeschwindigkeit oder gar Aussehen war völlig undenkbar und wurde von uns auch nie in Betracht gezogen. Allerdings gab es doch eine Ausgestoßene: Sie war zehn Jahre älter als wir, wohl auch ziemlich introvertiert und konnte mit unserem anfangs vermutlich recht gänschenhaften Benehmen nichts anfangen. Sie kümmerte zwei Monate am Rande der Klasse dahin, dann verließ sie uns. Es gab niemals ein Gespräch darüber, was hier wohl schief gelaufen war, und ich fühle heute noch mein Unbehagen über dieses Schweigen.

Meine Absicht, anschließend, falls sich das finanziell ausgehen sollte, Psychologie zu studieren, ließ Pichl sofort daran denken, dass ich ihren Kampf um Besserstellung der Fürsorgerin weiterführen könnte. Von Ressentiment gegenüber einer studierenden Fürsorgerin, wie man es nach der Episode Holzer hätte erwarten können, habe ich in den ganzen zwei Jahren nichts gespürt – im Gegenteil, Pichl hat mich ermutigt, doch inzwischen schon einige Vorlesungen zu belegen, was ich auch getan habe.

Im ersten Schuljahr waren wir, so weit ich mich erinnern kann, allein. Allerdings habe ich eine unklare Erinnerung an Seelsorgehelferinnen, die einen Kurs besuchten. Und aus den Mitteilungen der Caritas (vgl. Pröglhöf 2012) geht hervor, dass 1952 ein Kurs für Familienhelferinnen eingerichtet wurde und ab Jänner 1953 ein Säuglingspflegekurs stattfand, gehalten von einer Ärztin und einer Säuglingsschwester. An diese habe ich keinerlei Erinnerung.

Im zweiten Schuljahr kam ein Erzieherlehrgang dazu, den eher Frauen besuchten, die älter waren als wir, und zwei Männer. Einer der beiden Herren hat später eine bedeutende Rolle im Konsumentenschutz gespielt. Einige Unterrichtsgegenstände (und später die Klassenfahrt zum Schulabschluss) absolvierten wir gemeinsam. Uns war damals überhaupt nicht bewusst, dass diese Erzieherschule die letzte Pioniertat unserer Direktorin war.

In den oberen Stockwerken des Hauses Seegasse 30 befand sich ein Wohnheim für Mädchen und junge Frauen, das von den Schwestern der Caritas Socialis betreut wurde. Mehrere von uns, auch ich, wohnten dort. Wir haben uns sehr wohl gefühlt. Besonders angenehm war, dass mit dem Essen auf unsere oft abenteuerlichen Arbeitszeiten in den Praktika Rücksicht genommen wurde.

Das Unterrichtsniveau sei, wie mir Dr. Pichl versichert hatte, hoch – und sie übertrieb nicht. Ich kannte nie Schwierigkeiten beim Lernen, aber auch ich musste die ganzen zwei Jahre „dranbleiben“. Glücklicherweise war der Kameradschaftsgeist unter uns jungen Frauen hoch entwickelt und wir lernten miteinander bis zum Schluss, so dass letztendlich die weiße Fahne gehisst werden konnte.

Der Lehrkörper bestand aus zwei heterogenen Gruppen: Die meisten Dozent/inn/en kamen aus der Praxis (Ärztin, Richter, Fürsorgerin, Pflegerin …) und unterrichteten mit Freude. Die Akademiker/innen unter ihnen sahen, da ja keine ausgebildeten Lehrer, ihr eigenes Niveau als selbstverständlich an, was uns schwitzen ließ, aber großen Erkenntnisgewinn brachte. Ich war nach der Diplomprüfung z. B. über die Sozialgesetzgebung, aber auch die Verfassung perfekt informiert und hatte differenzierte anatomische Kenntnisse aufzuweisen. Die Praktikerinnen verstanden es, uns Dinge beizubringen, die wir sehr gut brauchen konnten. Und dann gab es einige ältere Damen, möglicherweise ehemalige Kampfgefährtinnen Pichls, müde geworden, über neue Erkenntnisse kaum informiert und nicht in der Lage, einen anregenden Unterricht zu gestalten. Volkswirtschaftslehre und Psychologie waren solche Stunden, von denen wir wenig profitierten.

Der Unterricht fand frontal, nach strengem Stundenplan und in abgeschlossenen Einheiten statt. Wir waren es zufrieden, keine von uns kannte etwas anderes. Dass, gerade auch in Wien, schon ganz andere pädagogische Vorstellungen verwirklicht worden waren60, blieb uns verborgen. In späteren Jahren wünschte ich, wir hätten an Stelle der abgedroschenen theoretischen Psychologie etwas über fortschrittliche Pädagogik erfahren.

Schulbücher hatten wir keine. Das war kein Wunder: Ich besaß auch im Gymnasium nur ein einziges Schulbuch, das hatte der betreffende Lehrer selbst geschrieben und vervielfältigt. Auf diesem Sektor herrschte noch extremer Nachkriegsmangel. Auch mit einer Bibliothek sah es schlecht aus: Die von vor 1938 war verschwunden. Ich kann mich nur an einen anatomischen Atlas erinnern, sowie an (fliegende) Bundesgesetzblätter. Unter diesen Umständen war es wohl kaum möglich, die Schülerinnen den Stoff selbstständig erarbeiten zu lassen.

Mit den Methoden aus dem angloamerikanischen Raum machte uns eine energische Frau in einer Blockveranstaltung „Case Work“ bekannt. In ihren Stunden gab es, was sonst kaum vorkam, lebhafte Diskussionen. Uns war damals unklar, dass die allgemeine Ausrichtung unserer Schule nicht in diese Richtung lief; wir spürten nur, dass hier ein frischer, uns hoch willkommener Wind wehte. Er vertrieb wohl auch ein wenig den allgemeinen Mief, der den Beginn der Fünfzigerjahre in Österreich kennzeichnete.

Leider ist die musische und sportliche Betätigung völlig unter den Tisch gefallen. Von Jiu-Jitsu-Kursen wie in den Dreißigerjahren haben wir nicht einmal geträumt, obwohl sie für die späteren Fürsorgerinnen nicht ganz unnütz gewesen wären, und der Gesang beschränkte sich auf Liedlein für den Kindergarten.

Der zeitmäßig umfangreichere und von der Wirkung her wichtigere Teil unserer Ausbildung waren die Praktika.61 Wir hatten so ziemlich jeden Vormittag Praktikum und nachmittags Unterricht, so konnten wir Theorie und Praxis gut miteinander verbinden. Es gab Pflicht- und Wahlpraktika in großer Zahl. Die Ferien umfassten zwar vier Monate, aber nur vier Wochen davon hatten wir wirklich frei, denn es waren zwei Blockpraktika in der Kinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses und an einem Jugendamt zu absolvieren. Die Schwerpunkte lagen überhaupt auf diesen beiden Gebieten: Jugendpflege und Gesundheitsdienst boten die meisten Stellen an. Der Meinung, dass die medizinischen Fächer zurückgedrängt worden seien (vgl. S. 16f.), kann ich mich nicht anschließen. Wenigstens in der Praxis überwogen die Spitäler alles andere.

Die Erfahrungen, auch auf der Ebene der Persönlichkeitsbildung, die ich in der Fürsorgerinnenschule machen konnte, bestimmen mich bis heute. Häufig meinten meine Kolleginnen aus der Psychologie, ich hätte eine andere Denkweise als sie: nicht persönlichkeitszentriert, sondern mit Blick auf das soziale Umfeld. Meine spätere, eher sozialpolitisch orientierte Tätigkeit gründet sich auf die Prägung in den beiden Seegassen-Jahren, denn den Beruf der Fürsorgerin habe ich nie ausgeübt. Ich kann heute nicht mehr entscheiden, ob an dieser Prägung die Praxis oder der Unterricht den größeren Anteil hatten; gefühlsmäßig stammt sie aber eher aus den Praktika, aus dem Umgang mit den Klient/inn/en und den Praktikumsbetreuer/inne/n.

Eines aber habe ich Frau Nestroy, die selbst den allergrößten Wert darauf legte, mit „Fräulein Nestroy“ angesprochen zu werden, zu verdanken: In „Büro- und Vereinstechnik“ brachte sie uns alles bei, was man in der administrativen Arbeit wissen musste. Später hat mir das geholfen, mein Studium zu organisieren und mir als Werkstudentin gute Verdienstmöglichkeiten in Sekretariaten eröffnet.

Berta Pichl legte großen Wert darauf, dass wir lernten uns auszudrücken. Sie hat das schon früher in anderem Zusammenhang hervorgehoben, nämlich in der Ausbildung für das Mutterschutzwerk der Vaterländischen Front62 in den Dreißigerjahren, wo sie betonte, wie wichtig rednerische Begabung und Organisationstalent seien. In unserer Ausbildung hatten wir nicht nur über jedes Praktikum einen schriftlichen Bericht abzuliefern, sondern auch eine größere statistische Arbeit anzufertigen, wobei jede Schülerin ein Teilgebiet bearbeitete. Schließlich gab es eine schriftliche Abschlussarbeit, die bei einigen recht hohes Niveau erreichte. So konnte der Anspruch der wissenschaftlichen Arbeit wenigstens in Ansätzen verwirklicht werden.


Abb. 14: Im Zeugnis aufgeführte Praktika

In den Augen von uns Achtzehn- bis Zwanzigjährigen waren die beiden Damen Pichl und Nestroy (Frau Direktor sagte „die Fritzerl“ zu ihr) natürlich uralt. Tatsächlich hatten beide das Pensionsantrittsalter erreicht, dachten aber nicht daran, sich zurückzuziehen. Sie leiteten die Schule in einer Art gleichberechtigter Aufgabenteilung, gegenseitiger Unterstützung und absoluter Autorität.

Mit meinem heutigen Wissensstand finde ich es verwunderlich, dass Berta Pichl uns nie von ihren jungen Jahren, ihrem Kampf um Gleichberechtigung und ihren vielen Initiativen rund um die Mädchenbildung erzählt hat. Für uns schien sie „schon immer“ Leiterin der Schule gewesen zu sein, eine Berufsfigur ohne persönlichen Hintergrund.

Dr. Pichl hatte schöne, dunkle Augen, doch sie krankte an einem chronischen Augenleiden, das ständigen Tränenfluss zur Folge hatte. Sie verlor, obwohl sie dauernd abtupfen musste, nie ein Wort darüber. Für uns war das peinlich, wir hätten gern darüber gesprochen; da das nicht möglich schien, haben wir uns aus Verlegenheit heimlich über sie lustig gemacht.

Die Direktorin (Sie ließ sich mit Frau Direktor ansprechen) selbst unterrichtete nur wenig. In ihrer „Berufslehre und Berufsethik“ fühlten wir uns oft recht fehl am Platz. Die Diskrepanz zwischen ihren Überzeugungen kam hier voll zum Tragen: Wir sollten uns auf unsere Rolle als Frau und Mutter vorbereiten, aber ebenso auf unsere Berufsrolle, die, das war klar, eine ziemlich ausfüllende sein würde. Wir kamen in den Praktika mit dem tiefsten Elend, mit Betrug, Gewalt und Krankheiten in der Bevölkerung hautnah in Kontakt, aber sie sah uns als heitere Mädchen, die dem Leben erwartungsvoll entgegentanzten. Sie versuchte uns den Begriff der Caritas, der selbstlosen Liebe, ja Aufopferung nahe zu bringen, aber bereitete uns auf eine bezahlte Profession vor.

Und es gab keine Spur von Wanken in ihrer Überzeugung, dass die katholische Kirche für uns das Ein und Alles und oberstes Gesetz des Lebens sei. In Glaubenszweifeln fand man bei Schwester Radegundis, der Heimleiterin, wesentlich mehr Verständnis. In der Direktion herrschte kein Zweifel daran, dass die sittlich-religiöse Erziehung, die die katholischen Schulen an die Spitze ihrer Aufgaben stellten (Klostermann/Mauer/Weinzierl 1966:303), auch bei uns Vorrang hatte.

In diesen beiden Jahren hörte ich von Dr. Pichl nie auch nur ein einziges antisemitisches Wort. Vielleicht haben sie die Gräuel der Nationalsozialisten zum Umdenken bewogen. Allerdings auch über diese wurde der Mantel des Schweigens gebreitet, was wir aber von unserer Elterngeneration sowieso gewohnt waren. So erfuhr ich von den Geschehnissen am Spiegelgrund erst Jahrzehnte später, als sie in der Presse aufgedeckt wurden, obwohl ich dort ein Praktikum absolviert habe.

Die Koedukation, ein Thema, dem die Direktorin sehr ambivalent gegenüberstand, kam nur am Rande zur Sprache. Pichls tiefste Überzeugung, dass gleichwertige Frauenbildung nur in reinen Mädchenschulen vermittelt werden könne, wird durch jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse mehr gestützt, als wir uns damals hätten träumen lassen. Andrerseits erforderte der Sozialberuf auch gut ausgebildete Männer ...

Ihre überkommenen moralischen Überzeugungen vermittelte uns Dr. Pichl hingegen klar und deutlich: Abtreibung und Empfängnisverhütung unter keinen Umständen; „Schmutz und Schund“, gegen den es damals ein eigenes Gesetz gab, seien unbarmherzig zu verfolgen; Aufklärung erst im Rahmen der Hochzeitsvorbereitung (womit sie, für alle offensichtlich, ebenso gegen unseren medizinischen Unterricht antrat wie gegen die Erfahrungen in den Praktika, ohne dass das jemals jemand thematisiert hätte).

Das führte mitunter zu unlösbaren, ja tragischen Situationen: So wäre eine unserer Mitschülerinnen an einem selbst durchgeführten, schrecklich missglückten Abortus fast gestorben. Sie stammte aus einem sehr armen Haus und musste diesen Abschluss unbedingt schaffen, um ihr künftiges Leben zu sichern. Ein Weiterbesuch der Schule als Schwangere war aber undenkbar. Etwas anderes als den Zustand der Unberührtheit bei uns allen konnte sich die Direktorin nicht vorstellen. Glücklicherweise hat es die junge Frau letztlich geschafft. Wäre sie keine Schülerin, sondern eine Klientin gewesen, hätte Pichl wohl alles daran gesetzt, sowohl das Leben das Kindes als auch die Ausbildung seiner Mutter zu retten. Aber das ist nur eine Vermutung.

Diese Diskrepanz zwischen kämpferischer Attitüde im Dienst der Frauenbildung und prüder Engherzigkeit, die sich bereits in den Jahren im Bundesrat gezeigt hatte, war wohl die Crux der Berta Pichl.

Auch wurden wir zur Autoritätsgläubigkeit erzogen – nicht explizit, aber unüberhörbar. Wir hatten etwa, eingedenk der Aufforderung zu genauem und kritischem Beobachten, in unseren Praktikumsberichten einige Missstände angeprangert. Besonders in der Säuglingsstation der Kinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses, in der wir ein sechswöchiges Pflichtpraktikum absolvierten, herrschte damals unter den Mitarbeiterinnen ein Ton, der jeden Versuch zu gedeihlicher Zusammenarbeit von vornherein zunichte machte. Wir schilderten das in allen Einzelheiten (die weniger Wortgewandten mit Unterstützung der anderen). Das wurde uns nicht zugestanden, dazu fehle uns die Kompetenz. Wir bekamen nicht nur diese, sondern alle Berichte, die Kritik enthielten, zurück und sollten sie umschreiben. Das taten wir nicht. Daraufhin verweigerte uns Dr. Pichl nach der von allen bestandenen Abschlussprüfung die Brosche mit dem Motiv „Allen alles werden“, die bis dahin sämtliche Absolventinnen erhalten hatten.

Ich erinnere mich nicht daran, dass der Direktorin während meiner Zeit in ihrer Schule der Titel Hofrat verliehen wurde. Das wundert mich heute noch. Entweder hat sie das aus Bescheidenheit nicht hervorgehoben – oder mir sagte ein solcher Titel damals nichts. Vielleicht trifft beides zu.


16.1 Rückblick
Ich wandte mich nach der Staatsprüfung dem Studium zu, zog anschließend von Wien fort, gründete eine Familie und etablierte mich im Beruf. Ich war von diesem neuen Leben so erfüllt, dass ich mich nie mehr um die Seegasse gekümmert habe. Erst als ich hierher, nur zwei Häuserblocks weiter, ins Pensionistenhaus Rossau zog, empfand ich die Verpflichtung, mich mit dem Leben Berta Pichls zu beschäftigen.

Und nun, im Juni 2012, auf den Monat genau 60 Jahre nach meinem Entschluss, die Ausbildung als Fürsorgerin zu beginnen, schließe ich das vorliegende Manuskript ab.


Verweise
1 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Aš
2 vgl. www.parlament.gv.at/WWER/PAD, Hauch (2009:198)
3 vgl. Rigorosenakt mehrfach: vgl. auch S. 48
4 vgl. Rigorosenakt
5 vgl. ÖSTA/AdR, BMU, Personalakte Pichl, S. 89: Brief Pichls an den Reichserziehungsminister vom 6. Mai 1940
6 vgl. Lehmann's allgemeiner Wohnungsanzeiger online, Jahrgänge 1916-1942; Archiv der Stadt Wien (MA 8): Verlassenschaften Adolf Pichl sen. und jun.
7 vgl. http://www.fraueninbewegung.onb.ac.at, Hauch (2009:135); Das Gymnasium in der Rahlgasse besteht noch immer.
8 Hauch (2009:289), sagt, Pichl habe nie eine Sektion der KFO geleitet. Dem widersprechen nicht nur Pichls eigene Angaben, sondern auch das im Anhang abgedruckte Zeugnis, das ihr die KFO ausstellte.
9 Dr. Alma Motzko-Seitz war Präsidentin der Wiener KFO und Gemeinderätin. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Alma_Motzko)
10 Emma Kapral war Mitglied der Parteileitung der Wiener CSP, hatte hohe Funktionen in der Caritas Socialis und der KFO. (Hauch 1995:275ff)
11 die zweite war Dr. Burjan
12 Die KFO begrüßte die Ausschaltung des Parlaments, da sie sich davon Vorteile für die Frauen erwartete Hauch (2009:137).
13 www.parlament.gv.at/WWER
14 Die folgenden Ausführungen nach den stenografischen Protokollen des Bundesrates
15 Bildung und Erziehung der katholischen Frauenpersönlichkeit
16 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 61
17 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 119/2
18 vgl. Hauch (2009:135), Sachße (1994) und Maier (2009/2010)
19 Die Formulierung stammt von Emma Kapral.
20 Volksmütterliche Aufgaben ...
21 de.wikipedia.org/wiki/Ilse_Arlt
22 http://www.brainworker.ch/Sozialstaat/Sozialarbeit/sozialarbeit_theorie
23 Pichl (1932b:26) erwähnt dieses Heim der KFO
24 In Lehmann's Allgemeinem Wohnungsanzeiger 1926 werden neben der Ausbildung zur Fürsorgerin, Hortnerin und Erzieherin auch Kurse zur Organisationssekretärin und verschiedene Kurse für Haus und Familie, Erste Hilfe usw. aufgezählt.
25 Wikipedia-Artikel zu August Aichhorn: http://de.wikipedia.org/wiki/August_Aichhorn
26 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 122: Brief Pichls an der Unterrichtsministerium vom Dez. 1937.
27 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 120/2
28 Soziale Frauenschule (Broschüren)
29 Mündliche Mitteilung von Dr. Steinhauser
30 Die rumänische Kulturzeitschrift TRANSILVANIA brachte 1928 einen Werbeartikel Dr. Pichls.
31 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 120
32 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 120
33 z. B. Frauen-Briefe 33/1928 und 34/1928
34 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 103
35 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 84
36 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 61: Einspruch Pichl am 9.II.1942.
37 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 89: Brief Pichls an den Reichserziehungsminister vom 6. Mai 1940
38 Schon damals gab es den „gläsernen Menschen“: Das Gaupersonalamt schnüffelte Pichl über Auftrag der NSDAP-Gauleitung Wien bis in ihre Spendentätigkeit nach! (Schreiben vom 28. Mai 1942 im ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 80)
39 http://en.doew.braintrust.at/db_gestapo
40 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 204
41 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 119/1,2
42 Steinhauser (1993:229ff) hat Unterrichtsgegenstände, Stundentafel, Praktikumsmöglichkeiten und Themen für schriftliche Arbeiten aufgelistet.
43 Nachlass Rudolf, 64/5: Aus einem Schreiben Pichls an den „Sehr geehrten Herrn Prälaten“ (ohne Namensnennung) vom 1. Juni 1945
44 Nachlass Rudolf, 64/5
45 Nachlass Rudolf, 64/5
46 Nachlass Rudolf, 64/5: Brief Holzer vom 3. Februar 1951
47 Protokoll vom 30. Jänner 1951 über die Zusammenlegung. Diözesanarchiv; Steinhauser, mündliche Mitteilung
48 Nachlass Rudolf, 64/5: Brief Pichl vom 1. Juni 1945
49 Holzer zitiert die Zusammenfassung des Frauenseminars und der Wiener Sozialen Frauenschule vom 12.3.1951. Archiv der Öst. Bischofskonferenz, Ordner Akten 1949, BKA Nr. 80/49
50 Die “Selbständigen Frauen“ waren ein Teilreferat des Referats Frauen der Erzdiözese Wien. Rudolf 64/4
51 Nachlass Rudolf, 64/5
52 Archiv der Republik, 01/PK, PA Pichl. Aus dem Antrag auf Verleihung des Berufstitels Hofrat Zl. 21796 vom 10. Dez.1953
53 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 217b
54 ÖSTA/AdR, BMU, PA Pichl, S. 223
55 Mitteilung des Kundenservice der Friedhöfe Wien GmbH vom 21. 2. 2012
56 Brief von Werner Steinhauser an Traude Veran vom 04.07.2012
57 vgl. die beiden Festschriften zu 50 bzw. 75 Jahren Caritas der Erzdiözese Wien: Caritas Erzdiözese Wien (1971), Sengschmied (o. J.)
58 Mündliche Mitteilung Dr. Steinhauser im März 2012
59 Website des Ausbildungszentrums http://seegasse.caritas-wien.at
60 Sogar im Bereich der sozialen Schulen: Die „Arlt-Schule“ wurde eher college-mäßig geführt.
61 Aufzählung der Unterrichtsgegenstände und Praktikumsstellen in der Zwischenkriegszeit bei Steinhauser (1993:229).
62 Ausbildung von Fachkräften ..., Neue Freie Presse. Das Mutterschutzwerk hatte vor allem die Erhöhung der Geburtenrate zum Ziel.


Literatur
Schriften von Berta Pichl:
Pichl, Berta (1915): Beiträge zur Biografie des Rancesco (recte: Francesco) Giuseppe Borri. Dissertation an der Universität Wien, 1915
Pichl, Berta (1926): Mädchen, schult euch fürs Leben! In: Reichspost, Ausgabe vom 31.01.1926
Pichl, Berta (1927): Die Akademikerin in einigen Zweigen des sozialen Dienstes in Österreich. In: Dreissig Jahre Frauenstudium in Österreich: 1897 bis 1927. Festschrift, Wien, S. 46f.
Pichl, Berta (1929a): 10 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich. In: Frauen-Briefe, Folge 41, S. 1f.
Pichl, Berta (1929b): Kampf für unsere Jugend. In: Frauen-Briefe, Folge 38, S. 1f.
Pichl, Berta (1929c): Neue Kurse in unserer Sozialen Frauenschule. In: Frauen-Briefe, Folge 37, S. 11
Pichl, Berta (1930): Haben wir unsere Pflicht getan? In: Frauen-Jahrbuch, S. 143ff.
Pichl, Berta (1931a): Helferinnen in großer Not. In: Frauen-Jahrbuch S. 134ff.
Pichl, Berta (1931b): Was leistet die Soziale Frauenschule? In: Frauen-Jahrbuch, S. 123ff.
Pichl, Berta (1932a): Über die Berufswahl der Mädchen im allgemeinen und die Soziale Frauenschule im besonderen. In: KFO-Arbeit, Nr. 6, S. 3
Pichl, Berta (1932b): Unsere Frauenschule, In: KFO-Arbeit, Nr. 12, S. 1f.
Pichl, Berta (1935a): Meine Bitten an die Leiterinnen und Vertrauensfrauen! In: KFO-Arbeit, Nr. 4, S. 2
Pichl, Berta (1935b): Unsere Soziale Frauenschule. In: Frauen-Jahrbuch, S. 236f.
Pichl, Berta (1935c): Zur Berufswahl unserer jungen Mädchen. In: Frauen-Briefe, Folge 112, S. 2f.


Verwendete Literatur:
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Sengschmied, Kristina (Hg.) (o. J.): Festbroschüre 75 Jahre Caritas Wien. Unterwegs zu den Menschen. Wien
Soziale Frauenschule der Katholischen Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien, gegr. 1916. 3 Broschüren gleichen Titels o. J. Diözesanarchiv Wien
Steinhauser, Werner (vor 1991): Sozialarbeit der Caritas in Österreich seit 1945. Maschinschriftliches Manuskript.
Steinhauser, Werner (1993): Geschichte der Sozialarbeiterausbildung. Österr. Komitee für Soziale Arbeit, Wien.
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TRANSILVANIA, historisch-literarische Zeitschrift (1928): Jg. 59/Nr. 3, Ausgabe vom 03.03.1928, S. 252 (rumänisch) aus dem Internet
Verlassenschaft: Dr. Pichl, Berta, 2.3.1.1(I).A4/8/1946-1975. Archiv der Stadt Wien (MA 8)
Verlassenschaft: Pichl, Adolf, 2.3.1.(I).A4/6 - 6A /1946 -1975. Archiv der Stadt Wien (MA 8)
Verlassenschaft: Pichl, Adolf, 2.3.1.8.A4/2-2A/1898-1925. Archiv der Stadt Wien (MA 8)
Wurzer, Klaudia (2009): „Augenblicklich waren die Neger modern“ Die Darstellung des schwarzafrikanischen Mannes bei Claire Goll. Diplomarbeit, Universität Wien.
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Fotonachweis:
Titelfoto: Hauch (2009:198)
Abb. 1: Geburtsbuch der Pfarre Asch; Kopie per E-Mail der Stadtgemeinde Asch
Abb. 2: Porträt; Ariadne: http://www.fraueninbewegung.onb.ac.at/Pages/PersonDetail
Abb. 3: Porträt; Parlament: http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01195
Abb. 4: Parlamentsausweis; Hauch (1995:80)
Abb. 5: Motto; Prospekt der Schule, Erzbischöfliches Archiv
Abb. 6: Karikatur; Hauch (2009:197)
Abb. 7: Jiu Jitsu; Steinhauser (1993:365)
Abb. 8: Schulalltag; Steinhauser (1993:245)
Abb. 9: Fotos aus der erkennungsdienstlichen Kartei der Gestapo in Wien; http://www.doew.at/php/gestapo/index
Abb. 10: Schulalltag: Direktion; Erzbischöfliches Archiv
Abb. 11: Statut der Erzieherschule; Steinhauser (1993:130f)
Abb. 12: Verabschiedung HR Pichl; Steinhauser (1993:271)
Abb. 13: Familiengrab Pichl; Veran
Abb. 14: Praktika; Veran


Anhang: Quellentexte
Hier werden stellvertretend für die vielen Artikel, die Berta Pichl geschrieben hat, besonders prägnante Texte sowie das Zeugnis, das ihr die KFO ausgestellt hat, im Wortlaut, aber mit kleinen typo- und orthografischen Änderungen wiedergegeben.

1) Undatierte Schulbroschüre zur Information und Werbung,
S. 3-6, „Ausbildung zur Fürsorgerin“
:

Zweck der Schule
Die soziale Frauenschule hat sich die Aufgabe gestellt, reifere katholische Mädchen und Frauen durch gewissenhafte, ernste Schulung (Theorie und Praxis) edlem Frauen- und Muttertum zuzuführen.

Gute Mütter zu bilden ist ihr Programm: gute Mütter für das ganze Volk durch die Fürsorgerinnenschule und durch die darauf aufgebauten Spezialkurse, für hauptamtliche Seelsorgehilfe und für Polizeifürsorge, für die Großfamilie (Hort und Internat) und als Helferin der Mutter in der Einzelfamilie durch die Hortnerinnen- und Erzieherinnenschule sowie durch die sozialpädagogischen Kurse und Wochen für Internatserzieherinnen; für den Frauen- und Mutterberuf im besonderen Sinne durch die Kurse zur Schulung für das Leben, die Jungmütterschulung für junge Mütter sowie durch Abendkurse für Kochen, Erste Hilfe bei Unglücksfällen, Krankenpflege im Hause etc.

Erstklassige katholische Kräfte unterrichten in den einzelnen Fächern. Aber alles Wissen und Können muss auf der Basis religiös-sittlicher Charakterbildung ruhen. Echte Frömmigkeit, Opfergeist, große Liebe zum Nächsten, besonders zum Kinde und zum Not leidenden Mitmenschen, Verlässlichkeit, Initiative, Einfachheit in Kleidung und Lebenshaltung, natürlicher Frohsinn müssen von den Berufsanwärterinnen als Fundament verlangt werden. Auf Charakterschulung legt daher die Direktion größtes Gewicht.

Das Bedürfnis nach edler Frauenarbeit für Familie, Gesellschaft, Vaterland und Kirche wird immer größer und dringender. Aber überall wird der Nachweis einer gründlichen Schulung verlangt.

Die Schulleitung sieht ihre Aufgabe darin, im Rahmen ihres Wirkungskreises diese Frauenarbeit vorzubereiten, indem sie die erforderliche Schulung vermittelt und durch die ganze Gestaltung der Schule katholischem Frauentum zustrebt.


Die Soziale Frauenschule umfasst die Fürsorgerinnenschule, Seelsorgehelferinnenkurse, Polizeifürsorgerinnenkurse, Erzieherinnen- und Hortnerinnenschule, sozial-pädagogische Kurse und Wochen, Abendkochkurse, Fortbildungskurse, Schulungskurse für das Leben, Jungmütterschulungskurse, Erste Hilfe bei Unglücksfällen, Krankenpflege im Hause, Sprech¬abende über soziale und fürsorgerische Themen.

Zweijährige Fürsorgerinnenschule
(mit Öffentlichkeitsrecht)
Sie hat die Aufgabe, tüchtige Kräfte für alle Zweige der Fürsorge auszubilden. Das Ziel ist die Befähigung für die Gesamtfürsorge.

Sie soll die katholische Bildungsstelle sein für jene, die als Lebensinhalt diesem echten Frauenberuf zustreben, sei es, dass sie in diesem schönen Arbeitsfeld beruflich tätig sein wollen, oder dass sie später vollwertige ehrenamtliche Arbeit auf dem großen Gebiet der sozialen Fürsorge zu leisten beabsichtigen.

Die Schule will auch Studierenden und Absolventinnen anderer Berufsbildungsstätten die für ihr Fach notwendige Ergänzung in sozialfürsorgerischer Richtung geben. Es sei hiebei der Studentin der medizinischen, juridischen, philosophischen Fakultät, der Krankenpflegerin, Junglehrerin und Erzieherin gedacht. Die Erweiterung ihres Wissens nach der sozialfürsorgerischen Seite hin wird einerseits den Anstellungsbereich bedeutend erweitern und andererseits im Wirkungskreis als wertvolle Ergänzung empfunden werden. Nach Maßgabe des Platzes werden neben den ordentlichen Schülerinnen, die zum regelmäßigen Besuch aller theoretischen und praktischen Fächer verpflichtet sind, auch einige außerordentliche Schülerinnen aufgenommen, die einzelne Gegenstände belegen können, über die sie bei regelmäßigem Besuch ein Frequenzzeugnis erhalten können.

Berufsmöglichkeiten
Die Arbeitsgebiete der Fürsorgerin sind mannigfaltig. Es kommen in der öffentlichen und privaten Fürsorge Anstellungen in Betracht als:

  1. Fürsorgerin in Jugendämtern (von Gemeinden oder Land), in Karitaszentralen, in der Mutter- und Säuglingsfürsorge, Schulfürsorge, allgemeinen Jugend-, Armen- und Altersfürsorge, Tuberkulosenfürsorge, Fabriksfürsorge, Krankenhausfürsorge; in der Berufsberatung, in Horten, Erholungsheimen, Schutzheimen für verlassene und gefährdete Jugend, in der Gerichtshilfe für Jugendliche und Erwachsene, Gefangenen- und Entlassenenfürsorge, Berufsvormundschaft;
  2. als Landfürsorgeschwester;
  3. als Volksbibliothekarin, als Sozialbeamtin;
  4. als Seelsorgehelferin;
  5. als Polizeifürsorgerin.

Aufnahmebedingungen bzw. nötige Dokumente

  1. Mindestalter 18 Jahre (ratsamer ist das Alter zwischen 20 und 30 Jahren), Vorlage des Taufscheins;
  2. gute Vorbildung, belegt durch Zeugnisse. Als solche kommen in Betracht:
    a. Matura einer Mittelschule (besonders der Frauenoberschule), Lehrerinnenbildungsanstalt;
    b. Erzieherinnen- und Hortnerinnenschule, Krankenpflegeschule, Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen, für Handarbeitslehrerinnen;
    c. Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe, Frauengewerbeschule, Haushaltungsschule;
    d. Haupt(Bürger)schule mit anderweitiger mindest zweijähriger Fortbildung;
  3. volle gesundheitliche Eignung (ärztliches Zeugnis ausgestellt von der Schulärztin der Sozialen Frauenschule);
  4. Heimatschein;
  5. selbst verfasster, selbst geschriebener Lebenslauf;
  6. persönliche Vorstellung ist dringend erwünscht;
  7. Empfehlung zweier maßgebender katholischer Persönlichkeiten.
  8. Alle jene, die nicht Matura (siehe 2b–d) nachweisen können, haben eine Aufnahmsprüfung abzulegen, die anfangs Juni stattfindet. Nur in besonderen Fällen kann eine Aufnahme bzw. Prüfung Ende September vorgenommen werden. Deshalb ist die Anmeldung und das mit 1 S gestempelte Gesuch um Aufnahme mit den geforderten Belegen bis spätestens Mitte Mai einzubringen. Die Schülerin kann dann eventuell auch die Eingabe um Zuerkennung der Straßenbahnermäßigung vor den Ferien einbringen, deren Erledigung sonst etwa einen Monat dauert.

Der Ernst des Berufes erfordert bereits in der Ausbildungszeit eine dementsprechende Kleidung. Der Rockrand sei nicht mehr als 30 cm vom Boden entfernt. Für die praktischen Übungen ist waschbare gleiche Dienstkleidung Vorschrift (Kleid, Schürze, Häubchen), für die Stoff und Schnitt von der Schule aus billig besorgt werden, ebenso für den Turnanzug. Diese einheitlichen Kleidungsstücke sind genau nach Angabe zu machen und mit der von der Schule ausgegebenen Nummer zu versehen.

Ausbildung
Der I. Jahrgang (II.) beginnt am 1. Okt. (Sept.) und dauert 9 (10) Monate.

I. Jahrgang:
a. Theorie: Religion und soziale Arbeit, Berufslehre, Anatomie und Physiologie, Geschichte und Bürgerkunde Österreichs, Psychologie und Erziehungslehre, soziale und volkswirtschaftliche Grundbegriffe, Jugendlektüre, Lehrlingsschutz und -fürsorge, Technik der Vereinsarbeit, Einführung in die pädagogische und allgemeine Betriebsführung von Jugendfürsorgeeinrichtungen, Handfertigkeit, Turnen, Jugendspiel, Gesang.
b. Praktikum: Kochen und Hauswirtschaft (wenn nicht schon vorher eine Haushaltungsschule besucht wurde), Kindergarten, Hort, Erste Hilfe bei Unglücksfällen, Krankenpflegetechnik, Orthopädisches Spital, Säuglingspflege, Mutterberatung, Hauskrankenpflege.

II. Jahrgang:
a. Theorie: Religion und soziale Arbeit, Berufslehre, Pathologie, Hygiene und soziale Medizin, Rechtskunde mit besonderer Berücksichtigung des Jugendrechtes, Soziale Gesetzgebung, Sozialversicherung, Psychologie, Heilpädagogik, Besprechung ausgewählter Fürsorgefälle, Berufsberatung und -fürsorge, Fachliteratur, Kultur- und Volksbildungsfragen, Jiu-Jitsu, Gesang.
b. Praktikum: Tuberkulosenfürsorge, medizinische Abteilung eines Spitales, Krankenhausfürsorge, Wochenbettpflege, Fürsorgeamt der Wiener Polizeidirektion, Jugendamt (Wr. Städtische oder Landesjugendamt), Jugendgericht und -fürsorge.

Wöchentlich einmal finden die für beide Jahrgänge obligaten Besichtigungen von Fürsorgeeinrichtungen oder industriellen Betrieben statt.

Nur bei regelmäßigem Schulbesuch, zufrieden stellender Leistung in den theoretischen Fächern und im Praktikum, sowie bei der im II. Jahrgang zu leistenden größeren schriftlichen Arbeit wird die Schülerin zu den Staatsprüfungen zugelassen, die unter dem Vorsitz der vom Bundesministerium für Soziale Verwaltung Delegierten stattfindet (…).

Das Studium kann auch auf 5 oder 6 Semester verteilt werden, was namentlich bei gleichzeitigem Hochschulstudium anzuraten ist.


Kommentar: Die Präambel klingt für unsere Ohren ziemlich unerträglich. Sie ist einerseits dem unbeirrbar tiefen Glauben Berta Pichls geschuldet und andrerseits ihrer Vorstellung von der dienenden Rolle der Frau in der Gesellschaft und wird wohl eher die Eltern beruhigt als die präsumptiven Schülerinnen begeistert haben. Dann jedoch folgt das wirklich Interessante: Als Grundlage für späteres Vorwärtskommen im Beruf wird eine umfassende, solide Ausbildung angeboten. Dass Pichl allerdings nicht alle Versprechungen einhalten kann, haben wir schon bei dem Zwist mit Hildegard Holzer (S. 22ff.) gesehen.

Die Aufnahmsvoraussetzungen bezüglich Mode muss man aus der damaligen Zeit verstehen. Bekleidungsvorschriften fielen nach 1945 weg: Einerseits waren viele von uns froh, wenn sie überhaupt etwas anzuziehen hatten, andrerseits nähten zunehmend weniger Familien selbst.

Sehr lebenspraktisch ist der Hinweis auf die Straßenbahnermäßigung!

„Heimatschein“ klingt seltsam; er war das, was heute der Staatsbürgerschaftsnachweis ist.

An der Struktur der Ausbildung hat sich bis in die frühen Fünfzigerjahre nicht viel geändert. Einige interessante Praktika kamen aber dazu: u. a. Psychiatrische Klinik, Geriatriezentrum (das damals Altersheim Lainz hieß), Arbeitslosenhilfe „Rat und Hilfe“. Vgl. auch Abb. 14 auf S. 32.


2) Frauen-Briefe, Folge 41, Mai 1929, S. 1f.
Berta Pichl: 10 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich
Als die Revolution über unser durch Krieg und Hunger zerquältes Vaterland hereinbrach, wurde den österreichischen Frauen das aktive und passive Wahlrecht gegeben.

Nur eine verhältnismäßig ganz kleine Zahl von Frauen hatte um dieses Ziel gekämpft, während die breiten Massen dieser Frage kein besonderes Interesse entgegenbrachten.

Wohl hatte einst Lueger die Frauen zur Mitarbeit herangezogen, aber doch nur im Sinne der Agitation, der Mithilfe in der Propaganda usw., als treueste Helferin in der mühsamen Kleinarbeit.

Nun wollten die Frauen nicht mehr bloß Zettel austragen, treppauf und treppab laufen, um die Männer zur Wahlurne zu bringen – nein, sie selbst sollten das höchste Bürgerrecht, das Wahlrecht ausüben. Für die KFÖ Niederösterreich (damals Wien und Niederösterreich) übernahmen hauptsächlich 3 Frauen die ganze unendlich mühevolle Arbeit, die Frauen in das Wahlrecht, in die Wahlpflicht einzuführen: Fr. Dr. Motzko, Frl. Turner und die Schreiberin dieser Zeilen. Was das bei den damaligen Revolutionszeiten, bei den elenden Zugsverbindungen, zerschlagenen Fensterscheiben usw. hieß, das wissen nur diejenigen, welche es mitgemacht haben.

Die Feberwahl 1919 lohnte diese Arbeit, denn mehr als 60 Prozent aller christlichsozialen Stimmen waren Frauenstimmen! Die Sozialdemokraten, die auf das Frauenwahlrecht so große Hoffnungen gesetzt, hatten sich in dem gesunden Sinn der Frau getäuscht. Sie hatten auf die politische Unerfahrenheit der Frau gerechnet und sahen sich nun in der eigenen Schlinge gefangen. Die Frauen wussten, dass es um Ehe, Glaube, Schule, um die Seelen ihrer Kinder ging und ließen sich nicht irre machen.

Eine Frau, Dr. Hildegard Burjan, wurde Mitglied des christlichsozialen Nationalrates. Nach ihrem Rücktritt gelegentlich neuer Wahlen folgten Frau Aloisia Schirmer (Wien) und Frau Olga Rudel-Zeynek (Graz). Seit den letzten Nationalratswahlen haben wir leider gar keine christlichsoziale Nationalrätin, ja nicht einmal eine bürgerliche Nationalrätin. Das ist ein ganz unmöglicher Zustand für die Zukunft. Er wird nicht dadurch wettgemacht, dass seit Bestand des Bundesrates (1920) zwei christlichsoziale Bundesrätinnen (Frau Fürstin Starhemberg und die Schreiberin dieser Zeilen) und seit 1927 als dritte Frau Rudel-Zeynek dieser Körperschaft angehören, dass in der Zeit vom 1. 12. 1927 bis 31. 5. 1928 Frau Rudel-Zeynek Vorsitzende dieser gesetzgebenden Körperschaft war.

Gerade die Arbeiten, die der Nationalrat in letzter Zeit erledigte, oder die ihm gegenwärtig vorliegen, lassen es doppelt bedauern, dass in seinen Ausschüssen nicht christlichsoziale Frauen mitarbeiten. Ich erinnere nur an das Jugendgerichtsgesetz, an die Strafgesetznovelle, Wohlfahrtsgesetz, Mietengesetz usw.

In den Landtagen sind einige wenige christlichsoziale Mandatarinnen. Wien hat 3 (eine, Fr. Dr. Motzko, ist Mitglied des Stadtsenates), Niederösterreich 2, Steiermark 2, Tirol 1.

Überblickt man nun die Arbeit, die die Frauen im Rahmen der christlichsozialen Partei in diesen 10 Jahren leisteten, so muss man staunen über die ruhige, zielbewusste Einordnung in diese ihnen bis dahin fremde Arbeit. Sie haben sich in allen Parteiorganisationen zu selbstloser, stiller Mitarbeit zur Verfügung gestellt, wurden leider auch da in zu geringer Zahl zugelassen; sie haben gelegentlich der Wahlen die Mehrzahl der Stimmen aufgebracht, wenn auch festgestellt werden muss, dass der Hundertsatz langsam, aber stetig zurückgeht. Die mit der Sanierungs- und Stabilisierungsarbeit notwendig verbundene Sparsamkeit hat den Großteil der Frauenwünsche nicht der Erfüllung zugeführt; auch hat die geringe Menge der Christlichsozialen so manche dringende kulturelle Frage nicht zur Lösung bringen können, weil die Gefolgschaft der anderen Koalitionsparteien ganz unzuverlässig war und ist.

Auch sah und sieht der Mann zuerst die Wirtschaft und glaubt erst dann die Zeit für die Sicherung der kulturellen Notwendigkeiten gekommen, wenn die Wirtschaft gesichert ist, während den Frauen die Not der Seele ebenso dringend ist wie die Not des Körpers.

Es würde ein ganz falsches Bild ergeben, wenn man die Tätigkeit der Frauen im Nationalrat und Bundesrat, in Landtag und Gemeinderat nur nach den Gesetzen beurteilen wollte, die sie dort eingebracht oder referiert haben. Sie haben dabei überall ernste Sachlichkeit, gediegenes Wissen, strengstes Pflichtbewusstsein an den Tag gelegt und es wäre sicher gut um das ganze Volk bestellt, wenn alle Mitglieder der verschiedenen Körperschaften die gleiche unermüdliche Tätigkeit und Verlässlichkeit wie die Frauen beweisen würden. Die Frauen haben aber entsprechend ihrer Art meist den viel weniger sinnfälligen, aber meist erfolgreicheren Weg der stillen Vorarbeit gewählt, haben zu manchem Gesetz, das später Männer referierten, durch Besprechung mit den Referenten der zuständigen Ministerien oder der gesetzgebenden Körperschaften geholfen einen Text vorzubereiten, der Wünsche erfüllte, ohne dass diese zur Lizitation der Parteien gemacht und dadurch unmöglich wurden.

War es z. B. nicht besser, dass man in einer Invalidenentschädigungsgesetznovelle bei der Berechtigung des Rentenbezuges durch die Witwe an Stelle „bei dauernder Arbeitsunfähigkeit“ setzte „für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit“? Oder wenn man es still erreichte, dass die Witwe eines Sozialversicherten nicht mehr ein Drittel, sondern die Hälfte der Rente ihres Mannes bekommt? Alle die unzähligen Wege bei Behörden im Interesse von Frauen und Kindern, von Schulen usw. sind nirgends genannt und doch mit großer Gewissenhaftigkeit getan worden.

Die gegenseitige Ergänzung der beiden Geschlechter, die für das Vaterland, für das Volk getane Arbeit wird sich auch auf diesem Gebiet durchsetzen müssen. Die Frau soll nicht „Aufputz“ einer Wählerliste, nicht „Zierde“ eines Präsidiums sein und dann sich zur Untätigkeit und Einflusslosigkeit verurteilt sehen, sie soll als Mutter des Volkes treue, ernste Arbeit leisten nach ihrer Art, nach ihren Aufgaben. Nicht Rechte, sondern Pflichten sieht sie hier, vor allem in den tief einschneidenden Kulturfragen, in der Sorge um die sittliche und seelische Not ihres Volkes, ihrer Jugend. Wenn das Wort von Helene Lang wahr ist – und es wird sicher nicht daran gezweifelt werden –: „Die Aufgabe der Frau liegt immer da, wo die Not des Tages liegt“, so hat die katholische Frau in den abgelaufenen 10 Jahren ihre Aufgabe treu zu erfüllen versucht – aber sie sieht vor sich noch große Aufgaben liegen. Zäher Arbeit wird es gelingen, sie in der Zukunft zu meistern.

Kommentar:
Pichls Ambivalenz ist deutlich erkennbar; einerseits betont sie mit großem Selbstvertrauen, wie viel sie, die Frauen, bereits erreicht haben und wie wichtig mehr Frauenmitarbeit wäre, andrerseits bescheidet sie sich und zieht sich auf „frauenspezifische“ Themen (Mutter des Volkes) zurück.

Der Satz: „Es wäre sicher gut um das ganze Volk bestellt, wenn alle Mitglieder der verschiedenen Körperschaften die gleiche unermüdliche Tätigkeit und Verlässlichkeit wie die Frauen beweisen würden!“ ist zeitlos und auch mir aus der Seele gesprochen.


3) Reichspost, 31. Jänner 1926
Berta Pichl: Mädchen, schult euch fürs Leben!
Für jeden Beruf ist eine tüchtige Schulung notwendig – hängt ja doch der Erfolg vom Wissen und Können ab. So klar das jedem für jeden anderen Beruf ist, so unbekannt ist es den jungen Mädchen und deren Eltern in Bezug auf die Schulung für Häuslichkeit und Ehe. Man verlangt wahrlich Höchstleistungen von gänzlich falsch oder ungenügend geschulten Kräften. Was früher meist die Mutter dem jungen Mädchen vermittelte, das fällt in der Gegenwart leider fast gänzlich weg.

Verlangt man ja von 16- und 17-jährigen Mädchen – wenn nicht noch früher – Selbsterhaltung, zumindest Miterwerb, so dass sie den ganzen Tag außer Haus ist und sich bedauerlicherweise auch nicht mehr gerne etwas von der Mutter lehren lassen will, die ja „unmodern“ sei und wie die Redensarten alle heißen. So bleibt das junge Mädchen für ihre Aufgabe ganz falsch eingestellt und ungerüstet.

In dieser Hinsicht will die Soziale Frauenschule der Katholischen Frauenorganisation, 8. Bezirk, Josefstädterstraße 29, Hilfe schaffen und hält mit Rücksicht auf die erwerbstätigen Mädchen Abendkurse ab (jeder Kurs zweimal wöchentlich zwischen 6 bis 9), in denen Kochen (auch Kinder- und Krankenkost), Servieren und Tischdecken, Hauswirtschaft, Nähen, Flicken, Modisterei in praktischer Arbeit vermittelt wird.

Ein anderer Kurs schult die jungen Mädchen für ihre Aufgaben als Gattin und Mutter. Er führt in die katholische Sakramentsauffassung der Ehe ein, klärt in der großen Verworrenheit die Begriffe Scheidung, Dispens, Trennung, Ziviltrauungen, Mischehen usw.

In den medizinischen Vorträgen wird die Körperpflege der Frau, des Kindes, über Kinderkrankheiten, Kampf gegen Tuberkulose, allgemeine Gesundheitspflege, erste Hilfe bei Unglücksfällen, Krankenpflege im Haus (mit Übungen) behandelt. Zu der Pflege des kindlichen Körpers gesellt sich aber die Erziehung und deshalb belehren Vorträge über die Erziehung des Kindes in den verschiedenen Altersstufen, wird Kinderbeschäftigung (auch Märchen, Lieder, Spiele) und Handfertigkeiten geboten.

Parallel laufen aber auch Ausführungen über die wirtschaftliche Bedeutung richtiger Haushaltsführung, über die verschiedenen Rechtsfragen, Ehekontrakt, Versicherungen, Testament, Rechtsgültigkeit der Frau in Österreich, Hausfrau und Hausgehilfin, über die staatsbürgerliche Aufgabe der Frau und schließlich ein Zyklus von Vorträgen über die kulturelle Aufgabe der Frau in der Familie, die Frau als Hüterin von Sittlichkeit und Sitte, soziale Arbeit, Mutter und Schule, das Feiern der Feste in der Familie, die Pflege des Kirchenjahres, das Heim, die religiöse Mission der Frau, besonders der Mutter.

Es ist wohl selbstverständlich, dass der letztgenannte Kurs nur reifere Zuhörerinnen umfassen kann, damit die ernsten großen Fragen mit wirklichem Nutzen behandelt werden können. So wurde für diesen Kurs ein Mindestalter von 18 Jahren festgesetzt, während die beiden zuerst genannten (Nähen und Kochen), schon mit 16 Jahren besucht werden können. Mit Anfang Februar beginnt eine solche Kursreihe, zu der noch Anmeldungen erfolgen können, 8. Bezirk, Josefstädterstraße 29 (jeder Kurs dauert vier Monate und kostet monatlich S 6.-).

Es sollte jedes junge Mädchen, ja jede junge Frau diesen Kurs besuchen, damit sie den großen Anforderungen, die die Gegenwart und Zukunft an sie stellt, besser gerüstet gegenüber stehen kann als heute.

Kommentar:
In der Tagespresse ließ Dr. Pichl jährlich vor den Einschreibeterminen Werbeeinschaltungen für die diversen Schul- und Kurstypen erscheinen. Dieser Artikel ist typisch für viele weitere, die Aufmerksamkeit für die von der Sozialen Frauenschule angebotenen Lehrgänge wecken sollten. Die konservativ-katholische, aber unabhängige Reichspost war den Ideen Berta Pichls immer zugänglich.


4) KFO-Arbeit, 1. Jg. Nr. 12, Dez. 1932, S. 1f.
Berta Pichl: Unsere Frauenschule
Meine Bitte an die Leiterinnen und Vertrauensfrauen!

Das älteste Werk der KFO für die Erzdiözese Wien ist die Soziale Frauenschule, Wien 8., Florianigasse 46. Obwohl sie schon seit 1916 besteht, im In- und Ausland sich des besten Rufes erfreut (sie erhält Besuche aus Ungarn, Polen, England, Südamerika, Indien), kennen viele KFO-Mitglieder, ja in sehr vielen Fällen die Leiterinnen und die Vertrauensfrauen der KFO diese schöne Schule nicht. Ist es nicht ein Jammer, dass fast ausschließlich Töchter aus Nichtmitgliederkreisen die Schule besuchen und dann die Stellen bekommen, die die Schulleitung nach Möglichkeit den meisten Absolventinnen verschafft? Zwischen einigen Ortsgruppen der KFO und der Schule besteht ein sehr schönes Zusammenarbeiten, aber die aller-allermeisten haben noch gar keine Fühlung aufgenommen. Deshalb möchte ich den lieben Leiterinnen und Vertrauensfrauen folgende Bitten recht herzlich sagen:

  1. Teilen Sie mir umgehend mit, wie viele Plakate der Sozialen Frauenschule (…) Sie für die Anschlagtafeln der (…) Kirchen in Ihrem Sprengel, im Sekretariate, in einer im Ort oder Bezirk befindlichen katholischen Privatmädchenschule o. ä. benötigen! Solche Plakate werden Ihnen von der Schule umgehend kostenlos geschickt. Bitte behalten Sie dieselben immer im Auge und sorgen Sie für Ersatz, sobald sie zerrissen und unansehnlich geworden sind! Die Schulleitung legt besonderen Wert auf stets tadellose Vertretung nach außen, also auch im Plakat.
  2. Teilen Sie mir mit, ob der Herr Pfarrer, der Herr Konsulent oder das Sekretariat je einen Schulprospekt haben bzw. ob er gewünscht wird.
    Es wäre dann dringend nötig, dass in den Vertrauensfrauen- und Mitgliederversammlungen, natürlich auch in den Jungmädchenkreisen, von dieser Schule der KFO öfter gesprochen wird. Ich stehe gern auch selbst zu solchen Vorträgen zur Verfügung (…, Redeskizze in der „KFO-Arbeit“ veröffentlicht, d. Verf.) Für diese Vorträge sind auch einige Lichtbilder, ja sogar ein kleiner Film über die Schule vorhanden. Diese Vorträge sind am besten in der Zeit vom Feber bis April anzusetzen.
  3. Bei rechtzeitiger Mitteilung (…) ist auch eine Besichtigung der Schule möglich, ja, ich würde mich freuen, wenn sich recht viele katholische Mädchen und Frauen die Schule ansähen. (…)
  4. Sollte einmal von auswärts eine Exkursion in die Schule gemacht werden, so ließe sich der Besuch (…) auch vormittags einrichten. Leicht könnte man diese Besichtigung mit einem Besuch des neuen Heimes der KFO in der Kleinen Sperlgasse verbinden; dort wäre auch Gelegenheit zum Mittagstisch und schließlich gäbe es noch Zeit zu Einkäufen.
  5. (Die Schul- und Kursarten werden aufgeführt, genaue Angaben zu Beginn, Kursdauer und Unterrichtszeit: Fürsorgerinnenschule; Seelsorgehelferinnen-Kurs, Polizeifürsorgerinnen-Kurs – letztere beide Aufbaukurse, Hortnerinnen- und Erzieherinnenschule; Kurse für Erste Hilfe, Hauskrankenpflege, Jungmütterschulung, Fortbildung für junge Mädchen nach der Hauptschule, Abendkochkurse. D. Verf.)
    (…) Es ist doch unmöglich, dass diese Kurse nicht von den vielen Tausenden KFO-Mitgliedern ganz gefüllt, ja überfüllt sein könnten. Die katholischen Frauen und Mütter wüssten, in welcher Gesellschaft sie bzw. ihre Töchter sind und wären von den Erfolgen sicher befriedigt: die Soziale Frauenschule müsste nicht Geld und Kraft auf Propaganda bei anderen aufwenden. (…)
  6. Jedes katholische Frauenprogramm hat die Arbeit für den Glauben und für die Liebe zu ihren Lieblingsaufgaben gezählt. Deshalb ist Seelsorgehilfe und Caritasarbeit katholischen Frauen besonders lieb, hierin müssen ehrenamtliche Kräfte nach Möglichkeit helfen – sie können es aber in der großen seelischen und leiblichen Not allein nicht mehr zwingen. Da braucht man für die Arbeit geschulte, dafür freigestellte Kräfte. So soll sich jede größere Ortsgruppe bemühen, den Herrn Pfarrer für die Errichtung einer Seelsorgehilfestation zu gewinnen, die gleichzeitig die Hauptarbeit für die Pfarrcaritas zu leisten hat. (...) Bei solchen Plänen bitte sich vorher mit mir in Verbindung zu setzen. Ich kenne die Schülerinnen aus dem mehrjährigen Verkehr in der Schule sehr gut, weiß, wer für den betreffenden Posten zu empfehlen ist und wer unter den zu Empfehlenden die Anstellung am meisten braucht.

Kommentar:
Die Direktorin suchte ihr Heil in der Diversifikation; dann hatte sie natürlich das Problem, die vielen Kurse auch zu füllen. Aus der Dringlichkeit ihrer Worte hört man heraus, wie schwer es war und wie viel persönlichen Einsatz es sie kostete, nicht nur den Familien, sondern selbst den Funktionärinnen und wahrscheinlich den meisten Pfarrern die Notwendigkeit einer Ausbildung von jungen Frauen (sogar einer solchen für den Sozialberuf) plausibel zu machen. Hätte sie sich nicht auf kirchliche Kreise beschränkt, hätte sie wohl mehr Schülerinnen interessieren können.

Andrerseits schlägt sie einen bevormundenden Ton an, schreibt den Angesprochenen genau vor, was sie zu tun hätten, und vergrämt damit sicherlich manche Gutwilligen.

Ähnliche, mehr oder weniger ausführliche Artikel hat Dir. Pichl immer wieder verfasst. Sie bediente sich dazu der Veröffentlichungen der KFO: Frauen-Briefe, Frauen-Jahrbuch und KFO-Arbeit.


5) Frauen-Briefe, Folge 38, Feber 1929, S. 1f.
Berta Pichl: Kampf für unsere Jugend

Als ich vor dem 23. März 1928 den Entwurf einbrachte, die Regierung möchte durch Vorlage eines geeigneten Gesetzes den Weg bereiten, um unsere Jugend vor der Vergiftung durch hässliche und gemeine Druckwerke (Schriften und Bilder, als auch Plakate) zu schützen, hat Bundeskanzler Seipel erklärt, dass er gern die Aufforderung an die Regierung annehme.

Es haben sich Parteien und Zeitungen leidenschaftlich dagegen erklärt. Es haben große Kreise sich begeistert dafür eingesetzt.

Doch es ging wieder einmal wie bei so vielem in Österreich: Die Erfüllung der Wünsche der Begeisterten konnte nicht rasch vor sich gehen und die Gegner dieses Gesetzes zur Sicherung unserer Jugend – insbesonders die nichtkatholische Organisation der Künstler und Schriftsteller – wussten es zu verhindern. Damit tritt diese unsere Jugend so tief berührende Angelegenheit in den Hintergrund. Es scheint, als wäre es heute nicht mehr so heilige Sache der Organisation, ja jedes Einzelnen, wie vor dreiviertel Jahren. Da tut es not, sich wieder aufzurütteln und zu fragen: Was können, was sollen wir katholischen Frauen tun?

  1. Den Lesestoff unserer Jugend überwachen, nur gute Bücher und Zeitschriften ihnen in die Hände kommen lassen, gute Buchhandlungen und katholische Bibliotheken fordern, achthaben auf die verschiedenen illustrierten Zeitungen! Besonders enthalten Bilder, Texte und vor allem Inserate unendlich viel Gefahren für unsere Jungmädchen und Jungmänner. Sehr scharf müssen wir die verschiedenen Zeitschriften im Auge behalten, die von den Straßenzeitungsverkäufern und vielfach von Tabaktrafiken feilgehalten werden. Enthalten diese Schmutz, so muss man versuchen, durch die katholischen Vertreter im Ortsschulrat den Antrag durchzubringen, dass dieser bei der Polizeidirektion den Antrag auf Verbot stelle. Vor kurzem gelang es im Ortsschulrat im 8. Bezirk, eine der abscheulichsten Zeitschriften auf diese Weise unschädlich zu machen. Es kommt allerdings dann öfters vor, dass der Betroffene den Rekurs an den Landeshauptmann (Bürgermeister von Wien) ergreift und von dort aus geschützt wird.

  2. Halten wir Buchhandlungen, Fotografien- und Ansichtskartengeschäfte, Tabaktrafiken und ähnliche unter ständiger Aufsicht, ersuchen wir diejenigen, die Sachen ausstellen, welche die Jugend gefährden, jene aus der Auslage zu nehmen, machen wir das womöglich unter vier Augen ab! Lassen wir uns aber nicht mit der Zusicherung abfertigen, sondern sehen wir immer wieder nach. Meiden wir aber konsequent jedes Geschäft, das in solcher Form von Schmutz unsere Jugend vergiftet; machen wir lieber ein paar Schritte mehr, geben wir ein paar Groschen hinzu und kaufen wir bei solchen Geschäftsleuten, die nicht nur auf ihren Geldbeutel, sondern auch auf die Seele der Jugend Rücksicht nehmen.
  3. Verlangen wir von allen unseren Vertretern, dass sie gegen die furchtbare Schmutzflut auftreten, verlangen wir das einzeln, als Ortsgruppe und als Gesamtorganisation. Sicher finden wir noch viele sauber Denkende, die vielleicht in anderen, auch nichtkatholischen Organisationen sind, die aber mit uns gemeinsam gegen diese Vergiftung aufzutreten bereit sind. Sprechen wir immer wieder davon, fassen wir immer wieder darauf Bezug nehmende Beschlüsse und senden wir sie an unsere Zentrale und durch diese an kompetente Stellen. Es darf diese Frage nicht ein Strohfeuer sein, das rasch abbrennt und nun verglimmt, weil nicht im gewünschten Tempo die Erfüllung kam.
  4. Es liegt an uns Katholiken, besonders an uns katholischen Frauen, die wir ja in der Partei die Mehrheit sind, durch ernste Arbeit in dieser Richtung den Kampf für unsere Jugend siegreich zu führen. Helfen wir zunächst, dass die sittliche Reinigung unseres Volkslebens Forderung des Großteils des Volkes werde, rücken wir sehr deutlich von allem dem neuheidnischen Körperkult, wie Nacktkulturvereinen, den Formen der Bade-, Ball- und anderen Kostüme, von der unsittlichen Mode im täglichen Leben, vom Niederstampfen jedes Zart- und Schamgefühls ab und helfen unserer Jugend zu einem reinen Denken und Sinnen, zu sittlicher Größe. Haben wir den Mut, uns belächeln und verspotten zu lassen, für die Seelen unserer Jugend!

Kommentar:
Egal, wie man zu Pichls Einstellung stehen mag: Auch hier finden wir das Anrennen gegen „Gummiwände“, das Desinteresse der Politiker an den Anliegen ihrer Kolleginnen.

Pichl hat ihre Aufgabe als Parlamentarierin gemacht: Sie versteht sich auf das Anzetteln von Kampagnen ebenso wie auf die Ausübung von Druck und ist von unglaublicher Hartnäckigkeit. Dass sie dabei ungeniert nach Zensur ruft, lässt uns heute den Atem stocken.

Dass Pichl so vieles aus dem Bereich der Sexualität mit Schmutz gleichsetzt, ist vielleicht nicht nur dem Wortschatz ihres Milieus zuzuschreiben. Einer tiefenpsychologischen Deutung verschließt sich diese Tatsache aber schon allein dadurch, dass über ihr eigenes Privatleben nichts bekannt ist.

Man darf den von ihr zitierten „Schmutz“ nicht mit heutigen Erzeugnissen vergleichen. Was sie u. a. meint, geht aus einer polemischen Äußerung der sozialdemokratischen Nationalrats¬abgeordneten und Lehrerin Dr. Steffi Endres hervor:

„(…) Frau Berta Pichl. Ich kenne diese Frau, sie hat mit mir studiert. Sie verlangt, dass ein Kleid „sittlich“ sein soll. Etwas, was man noch nie gehört hat. (…) Freilich, wenn man so groß ist (wie Pichl, d. Verf.), braucht man durch die Kleider nicht noch mehr aufzufallen. Warum trage ich ein rotes Kleid! Gerade weil Frau Pichl findet, dass helle, grelle Farben die Sinne der Männer reizen und dass man dann kein gescheites Wort mehr mit ihnen reden kann. Die farbenprächtigen Frauen auf der Straße sind ihr ein Dorn im Auge.“ Die Frauen-Briefe zitieren diesen Ausspruch voller Empörung.


6) Berta Pichl: Die Akademikerin in einigen Zweigen des sozialen Dienstes in Österreich
In: 30 Jahre Frauenstudium in Österreich: 1897 bis 1927
Die Geschichte der Jahrhunderte zeigt die Frau im Dienste des Einzelnen oder kleinerer Gemeinschaften tätig, um Not an Körper, Geist oder Seele zu heilen. Das letzte Jahrhundert gibt der Frau ein größeres Arbeitsfeld und infolge ihrer besonderen Anlagen auch Wirkungskreise, in denen sie für große Gemeinschaften, für verschiedene Stände tätig sein kann, wo sie die Reibungsflächen mildern, die Not vorbeugend oder heilend bekämpfen kann. Die Mütterlichkeit der Frau, ihr wertvollster Besitz, hat sie zu dieser Arbeit prädestiniert und so ist es begreiflich, dass auch die Akademikerin hier Arbeitsfelder gefunden hat und noch manches in Zukunft finden wird, in denen sie gerechterweise keine Konkurrenz der männlichen Kollegen bedeutet und auch nicht finden sollte. Sie trägt eben infolge der Anlagen ihres Geschlechtes Imponderabilien in ihren Beruf, die bei Stellenbesetzungen wohl eingeschätzt werden sollten.

Die Dr. phil. hat sich schon mehrfach durch Schaffung großer Gemeinschaften (Vereine, Organisationen usw.) gemüht, die verschiedenen Stände ihre Volkes zusammenzuführen, ihr Allgemeinwohl zu fördern, Bildungsgut immer mehr zu erweitern, Fürsorgeeinrichtungen zu schaffen. Vielfach teilt sie diese Arbeit mit der Staatswissenschaftlerin, insbesondere dort, wo sie sich auf Sozialpolitik eingestellt hat. Häufig finden wir sie aber auch in den Arbeitsnachweisen, in Sozialversicherungsinstituten Deutschlands – leider in Österreich noch nicht.

Die Juristin hat in ganz wenigen Fällen einen Wirkungskreis als Berufsvormund und als Verwaltungsbeamtin in Landesjugendämtern gefunden, doch strebt sie immer noch vergeblich nach der Zulassung zum Jugendgericht. Je mehr das Jugendgericht vom reinen Strafinstrument zum Erziehungsfaktor umgestaltet wird – wozu vor allem ein Fürsorgeerziehungs- und ein Jugendgerichtsgesetz die Möglichkeit geben müsste – desto berufener wäre die Juristin für diesen Platz.

Am meisten hat bis jetzt die Ärztin soziales Arbeitsfeld bebauen können: in Eheberatungs-, Mutterberatungs-, Säuglingsfürsorgestellen, im zahnärztlichen Dienst, in Tuberkulosefürsorgestellen, aufklärender Arbeit in Bezug auf die Volksgesundheit, im Kampfe gegen die Rausch- und Genussgifte, beim ärztlichen Dienst in den verschiedenen Ambulatorien, Erholungsheimen und ähnlichem.

Sicher leistet die Akademikerin in den genannten Berufen Wertvolles. Aber viel reicher würden die Ergebnisse der gesamten Arbeit sein, wenn neben der Fakultätsausbildung eine tüchtige soziale Schulung einherginge, die neben der Theorie gründliche praktische Ausbildung vermitteln würde. Sie würde die unbedingt notwendige Berührung mit den verschiedenen Ständen herbeiführen, würde die Universitätsstudentin aus der rein intellektuellen wissenschaftlichen Schulung ins Leben, in ihr Volk leiten, würde ihre Mütterlichkeit nicht ausschalten lassen. Die Berufserfahrungen der in verschiedenen sozialen Berufen stehenden Akademikerinnen haben immer wieder den Wunsch nach einer solchen Ergänzung ihres wissenschaftlichen Studiums erheben lassen. Würde sie bei den jungen Akademikerinnen zur Ausführung kommen – und dazu stehen ja die verschiedenen sozialen Schulen zur Verfügung –, so würde dies bei einer Stellenanwartschaft der Frau eine günstigere Position sichern und sie leichter jene Posten erreichen lassen, für die sie durch ihr Frauentum besonders geeignet ist. Gerade die Akademikerin muss sich bewusst werden, dass die geistige Schulung die ernste Verpflichtung in sich schließt, der Gesamtheit zu dienen.

Kommentar:
Pichls Ansicht, eine die universitäre begleitende sozialpraktische Ausbildung würde der Akademikerin gut tun, kann ich aus meiner eigenen Erfahrung nur zustimmen!

Wenn man einmal die Schlagworte von Mütterlichkeit und geschlechtsspezifischen Anlagen weglässt, skizziert Berta Pichl hier etwas, das erst viele Jahrzehnte später Wirklichkeit werden sollte: die Fachhochschule.

Nicht zu überhören ist auch ihre Überzeugung, dass die Frauen den Männern die entsprechenden Positionen würden abtrotzen müssen.


7) Zeugnis der Katholischen Frauenorganisation für Niederösterreich
(handschriftlicher Zusatz: 21.XII.37)
Fr. Dr. Berta Pichl, geboren am 1. Sept. 1890 in Asch in Böhmen, zuständig nach Wien, war vom 1. Sept. 1918 bis 30. Nov. 1920 als Generalsekretärin der Katholischen Frauenorganisation für N.Oe. und vom 1. Dez. 1920 bis 31. August 1922 als Leiterin der Fürsorge-Sektion der Zentralorganisation der katholischen Frauen, beide Organisationen derzeit unter dem Titel: „Katholische Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien und das Burgenland“, angestellt.

Die für die spätere Zeit ganz unersetzliche volkserzieherische Tätigkeit und Aufbauarbeit von Fr. Dr. Pichl muss in ihrem außerordentlichen Werte in der durch den Umsturz geschaffenen Situation gesehen werden. In der knappen, aber entscheidungsvollen Zeit ihrer Tätigkeit als Generalsekretärin gelang es ihr, durch die zielbewusste, unerschrockene und rastlose Arbeit die Frauen im katholischen Lager zu sammeln. Die Frauen mussten unausgesetzt im kleinen wie im großen Kreis durch unzählige Reden und Kurse für die Idee der christlichen Heimat gewonnen, ständig beeinflusst und systematisch geschult werden. Trotz der schwierigen Lage wuchs die Mitgliederzahl und die Neubildung der Gruppen in ungeahntem Maße, war die Stoßkraft der Frauen das Ausschlaggebende in der Beeinflussung der Familien und dadurch auch des öffentlichen Lebens, so dass diese zu neuen, schwierigen Aufgaben berufene Frauenbewegung zum Durchdringen der damaligen Christlichsozialen Partei in großem Maße beitrug.

Wenn auch die volkserzieherische Tätigkeit, Willensbildung und Schulung der Frau Ziel der Arbeit war, so mussten doch – den Erfolg begründend und fördernd – alle Mittel und Einrichtungen, die irgendwie den Frauen näher und entfernt dienen konnten, geschaffen, angewendet und in großem Umfang den Frauen dienstbar gemacht werden. Dazu war schöpferische Tätigkeit, Vielseitigkeit und Initiative nötig, die Fr. Dr. Pichl befähigten, in umsichtiger Weise ein der damaligen Notzeit entsprechendes übergroßes Arbeitspensum zu leisten. Es können nur einige Arbeitsgebiete angeführt werden, bei denen der in den einzelnen Gebieten Versierte weiß, dass jedes für sich entsprechende Kenntnisse und eine Unsumme von Kleinarbeit erfordert:

Um eine große Außentätigkeit entfalten zu können, war die Stärkung der Innenarbeit unbedingt nötig und daher musste die Generalsekretärin für den Ausbau der Fachsektionen sorgen, wie:

Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge, Sektion für die Interessen der Berufstätigen, landwirtschaftliche, hauswirtschaftliche und Rechts-Sektion, Sektion für Frauenbildungsfragen usw. Besonderes Augenmerk war den Frauenberufsfragen zuzuwenden. Deshalb half Fr. Dr. Pichl zum Ausbau der Berufsverbände, die für jetzt noch bestehende Frauenberufsgruppen und -verbände die Grundlage bildeten. Das Versammlungs- und Vortragswesen wurde ausgebaut. Damals standen noch wenige Kräfte zur Verfügung, so dass Fr. Dr. Pichl die Hauptlast in der Abhaltung der Versammlungen zu tragen hatte, da eine derart umfangreiche Versammlungstätigkeit notwendig geworden war. Es waren jährlich einige hundert Versammlungen, die sie vorzubereiten und abzuhalten hatte.

Der so notwendigen intensiven Beeinflussung der Frauen auf dem Lande war der damalige Notstand im Verkehr und auch die Unsicherheit der Verhältnisse entgegen. Dennoch gelang Fr. Dr. Pichl die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Förderung der Landfrauen, es verdoppelte sich die Zahl der Gruppen. Mit großem Erfolge wurden Wanderkörbe eingerichtet und für die Heimindustrie neue Ansatzmöglichkeiten geschaffen.

Da, den Verhältnissen der Notzeit entsprechend, ein gründlicher Ausbau der Fürsorge-Einrichtungen besonders notwendig erschien, musste Fr. Dr. Pichl, die sich auf diesem Gebiete bereits als speziell hervorragend fähig erwies, die Leitung der Fürsorgesektion übernehmen. Galt es doch, besonders durch Fürsorge und Karitas den Frauen zu zeigen, dass im katholischen Lager nicht nur Helferwille vorhanden ist, sondern auch aus christlicher Liebesgesinnung heraus mannigfache Hilfsmöglichkeiten ausgenützt oder geschaffen werden können. Die ausgedehnte Fürsorgetätigkeit trug andererseits zur Beeinflussung und Stärkung der Frauenbewegung in großem Maße bei. Es können auch hier wieder nur einige Arbeiten in Kürze genannt werden:

Unter Führung von Fr. Dr. Pichl kam es zur Gründung von Heimstätten, Krippen und Ausspeisungen, für die nicht nur organisatorische Voraussetzungen zu schaffen waren, sondern auch die weit schwierigere finanzielle Basis vorhanden sein musste. Da es den Müttern in erster Linie um die Hilfe für die Kinder ging, so setzte eine verstärkte Kinder- und Jugendfürsorge ein. Es wurden Beratungsstellen geschaffen, die erstmalige Versuche darstellten, deren Gelingen aber dadurch am besten gekennzeichnet ist, dass sie heute offizielle Einrichtungen und zur Selbstverständlichkeit geworden sind, wie z. B. Schwangerenberatung, Ausbau der Mutterberatungsstellen, Berufsberatung usw. Die verstärkte Jugendfürsorge ergab die Mitarbeit in der Jugendgerichtshilfe, es musste das Vormundschaftswesen ausgebaut werden. Durch das Zusammenarbeiten mit den entsprechenden katholischen Kreisen in Holland gelang es Fr. Dr. Pichl, einen Hilfsdienst für den Erholungsaufenthalt der Kinder in Holland und die Lebensmitteltransporte dieser Stelle in die Wege zu leiten. Gleichzeitig erfolgte auch der Ausbau der Erholungsfürsorge der Inland... (unleserlich). Es konnte auch nach Maßgabe der Mittel eine Erwach... (unleserlich) ...lungsfürsorge eingerichtet werden, die zum Ausbau der Fam... (unleserlich) und einer Greisenhilfe führten. Erwähnenswert ist die Mittelstandshilfe, die besonders vielen verschämten Armen zugute kam. Dass Fr. Dr. Pichl immer in ganz besonderer Weise an der Schulung der Frauen und Mädchen interessiert war, erhellt aus dem Umstand, dass bereits unter ihrer Tätigkeit ein Entwurf für ein Frauenarbeitsjahr zur staatlichen, bürgerlichen Erziehung und politischen Schulung der Frauen und Mädchen gemacht wurde.

Der umfangreichen Tätigkeit von Fr. Dr. Pichl auf kulturellem, sozialem und volkserzieherischem Gebiete dankte die Organisation und darüber hinaus die Frauenschaft Österreichs einen neuen Aufschwung. Sie verstand es, neue Wege zu gehen, scheinbar undurchführbare Möglichkeiten aufzugreifen und für die ferne Zukunft dem Volksganzen ausschlaggebend dienlich zu sein.

Fr. Dr. Pichl hatte durch die Überfülle der geleisteten Arbeit begreiflicherweise eine Zeit längerer Ausspannung nötig und schied auf eigenes Verlangen aus der Organisation.

Als Präsidentin / als Präsidentin der Berichtszeit

(Leider tragen die Kopien weder Unterschrift noch Datum)


8) Übersicht über die Beschäftigungsdaten von Berta Pichl


Tabelle 1: Übersicht der Beschäftigungsdaten von Berta Pichl


9) Angeführte Befähigungen:
Reifeprüfung als Volksschullehrerin, Lehrbefähigung für Kindergarten, Lehrbefähigung für Handarbeiten an Volks- und Bürgerschulen (1909)

Lehramtsprüfung für Deutsch, Geschichte und Geografie (1916)

Lehrbefähigung f. Bürgerschulen 1. Fachgruppe (1916)

Fremdsprachenkenntnisse: Französisch, Italienisch, Latein, Griechisch (Schulkenntnisse)

Klavier


10) Sozialarbeit Gestern und Heute
Historische Eckdaten der Sozialarbeiterausbildung in Österreich

1896 - Erste Schule für Sozialarbeit in Europa in Amsterdam (Settlement Movement)
1912 - Erste Ausbildung in Österreich: Vereinigte Fachkurse für Volkspflege „Arlt-Schule“
1915 - Fürsorgekurse der deutschen Frauen (Graz)
1916 - Social-Caritative Frauenschule für Wien und Niederösterreich (später: Soziale Frauenschule der Caritas der Erzdiözese Wien)
1917 - „Frauenkurs zur Heranbildung eigener Fürsorgerinnen und zur Weiterbildung bereits berufstätiger Erzieherinnen in Tagesheimstätten aller Art“ der Stadt Wien,
1919 - umgewandelt in Akademie für Soziale Verwaltung mit einer Abteilung für Fürsorgerinnenausbildung
1918 - Evangelische Frauenschule für den kirchlichen und sozialen Dienst (später: Evang. Fachschule für Frauen im kirchlichen Dienst)
1922 - Fürsorgeschule des Landes NÖ (Baden)
1926 - Landespflege- und -fürsorgeschule Riesenhof (Linz)
1938 - Während der NS-Zeit weitergeführt: Frauenschule für Volks- und Gesundheitspflegerinnen (Graz) und Volkspflegerinnen-Schule der Stadt Wien
1945 - Fortführung der früheren Ausbildungen unter dem Überbegriff „Fürsorgeschulen“
1946 - Soziale Frauenschule der Diözese Innsbruck
1950 - Schließung der „Arlt-Schule“
1962/63 - Umwandlung der Ausbildungen zu Lehranstalten für gehobene Sozialberufe (Linz erst 1971)
1965 - Erster Versuch einer Abendschule zur Sozialarbeiterausbildung, eingestellt 1968
1970 - Bundeslehranstalt für Gehobene Sozialberufe (in Wien)
1971 - Sechssemestrige Lehranstalt für Gehobene Sozialberufe für Berufstätige (Caritas der Erzdiözese Wien)
1972 - Erweiterung derselben auf sieben Semester
1972 - 2-jährige Fachschule für Sozialberufe der Caritas Wien (auch als Vorbereitung)
1974 - Bundeslehranstalt für Gehobene Sozialberufe (St. Pölten), Lehranstalt für Gehobene Sozialberufe (Vorarlberg)
1976 - Umwandlung in Akademien für Sozialarbeit (6-semestrig)
1976 - Akademie für Sozialarbeit für Berufstätige (Caritas der Erzdiözese Wien)
1984 - Akademie für Sozialarbeit für Berufstätige (Arbeiterkammer Salzburg)
1984 - Höhere Lehranstalt für Sozialmanagement (Caritas Wien)
1987 - Verlängerung der Ausbildung auf 6 Semester (Tagesform)
1992 - Schließung der Akademie für Sozialarbeit für Berufstätige der Caritas (Wien)
1998 - Akademie für Sozialarbeit für Berufstätige (BFI Oberösterreich)
2000 - Universitätslehrgang Sozialarbeit an der Universität Klagenfurt
2001 - Fachhochschulstudiengänge für Sozialarbeit in Graz, Linz, Salzburg, St. Pölten
2012 - Im Internet werden 23 Fachhochschullehrgänge angeboten: Vollzeitstudien oder berufsbegleitend, mit Abschluss BA oder MA oder als akademischer Lehrgang.


Über die Autorin


Foto: Alfred Nagl, 2011

Dr. Traude Veran, Jg. 1934
traude.veran@chello.at

geb. in Wien, Diplomfürsorgerin, Psychologin, Erwachsenenbildnerin. Freiberufliche und schließlich beamtete Kinderpsychologin. Seit 20 Jahren pensioniert und als Schriftstellerin tätig, zahlreiche Publikationen, bes. Lyrik und Sachthemen. Mehrere Auszeichnungen, darunter das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik.