soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 8 (2012) / Rubrik "Sozialarbeitswissenschaft" / Standortredaktion Graz & Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/234/362.pdf


Klaus Posch & Frederic Fredersdorf:

Sozialarbeitswissenschaft in Österreich


Eine Zwischenbilanz1


1. Einführung
Nach den Finanzkrisen nehmen Ungleichheiten von Lebensverwirklichungschancen wieder zu. Verarmung und Exklusionsprozesse sowie deren Folgen bestimmen zunehmend unser Alltagsleben. Ausschluss vom Zugang zu Wirtschaftsgütern, Infrastruktur, Bildung, politischer Partizipation usw.: Sozial- und Wohlfahrtspolitik reagieren darauf unterschiedlich, viele verschließen gar die Augen. In kritischen Diskursen wird der Begriff des Sozialen zwar häufig, um nicht zu sagen inflationär, verwendet („Soziale Technik“, „Soziale Wirtschaft“ usw.), er diffundiert dabei aber zunehmend in etwas Unbestimmtes, Diffuses. In der Praxis der Sozialarbeit ändern sich Rahmenbedingungen eindeutig zum Schlechteren: Einerseits gestalten sich Lebenslagen von KlientInnen zunehmend schwierig, andererseits werden Ressourcen der SozialarbeiterInnen als Beitrag zur Konsolidierung öffentlicher Budgets gekürzt. Die Verzahnung zwischen professionellem Erfahrungswissen, Lehre und Forschung droht damit auseinander zu driften.

Die Beiträge der Session 5 untersuchen diese Phänomene aus Sicht der Sozialarbeits- Wissenschaften, aber auch aus interdisziplinärer Sicht. Sie gehen speziell der Frage nach, inwieweit die professionsorientierte Ausrichtung der Forschung an Fachhochschulen eher dazu beitragen kann, soziale Probleme zu lösen als es die disziplinorientierte Forschung an Universitäten vermag.

Eine Bewertung der F&E von sozialwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen österreichischer FHs, speziell derer, die mit den Studiengängen für Soziale Arbeit assoziiert sind, erfordert zunächst, die Frage nach den allgemeinen Zielen von FHs und den spezifischen Zielen von deren F&E kurz in Erinnerung zu rufen. In einem zweiten Schritt werden die Leistungen und dahinterstehenden Positionen von F&E im Bereich der Sozialen Arbeit dargestellt, um diese drittens vor dem Hintergrund der skizzierten Ziele zu bewerten.


2. Allgemeine Ziele von F&E an Österreichs Fachhochschulen
Die im Folgenden vorgestellten Eckpunkte wurden in einem internen Diskurs von Führungskräften der FH JOANNEUM ausgearbeitet und konkretisiert und werden hier – pars pro toto – als typische generelle Grundsatzentscheidungen im österreichischen FH-Wesen vorgeschlagen. Generell unterstellen wir, dass auch die Forschung, speziell also sozialarbeitswissenschaftliche F&E an Österreichs FHs, in weiten Teilen damit annotiert ist. Unserer Sicht nach lassen sich neun allgemeine und spezifische Ziele definieren:

Zu einigen dieser Punkte wollen wir im Folgenden einen forschungsbezogenen Kommentar skizzieren.


2.1 Qualität
Qualität schließt alle beteiligten Akteure einer FH ein; sie ist insofern ein „Gemeinschaftsprodukt“, als die Einführung qualitätsrelevanter Maßnahmen und Indikatoren nur im Zuge diskursiver Prozesse und Abstimmungen erfolgen kann. Die F&E-Tätigkeit einer FH orientiert sich primär an zeit- und bedarfsnaher Nutzbarkeit und ergänzt damit die Berufsfeldorientierung der Lehre in idealer Weise. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist daher der Rückfluss von Wissen aus F&E-Aktivitäten in die Lehre zu deren Aktualisierung und Weiterentwicklung. Qualität in F&E ist allerdings nur zu erreichen, wenn die finanzielle Basis sicherstellt, dass alle hierbei tätigen MitarbeiterInnen kontinuierliche und ausreichende Möglichkeiten haben, sich am jeweiligen Stand der Wissenschaft zu orientieren.


2.2 Berufsfeldorientierung
Akademische Lehrangebote von FHs unterscheiden sich von der Mehrzahl universitärer Studienangebote, die sich primär an den Wissenschaftsdisziplinen orientieren, durch ihre Hauptausrichtung auf Berufsfelder. F&E-Tätigkeiten an einer FH sind eng mit der Lehre verbunden und damit grundsätzlich berufsfeldorientiert. Die F&E ist daher primär „Sozialarbeitsforschung“ und sekundär „Sozialforschung“. Da FHs im Vergleich zu Universitäten nur wenig Möglichkeit haben, Forschernachwuchs selbst langfristig zu finanzieren und zu halten, kommt der Akquisition und Bindung von kompetenten Personen aus dem Berufsfeld, die „forschen können und wollen“, zentrale Bedeutung zu.


2.3 Autonomie und Verantwortung
Autonomie bedeutet zunächst Selbstbestimmung im Rahmen bzw. im Dienste einer vorgegebenen Ordnung; keinesfalls ist damit Bindungslosigkeit gemeint. Insofern ist die Autonomie etwas „Begrenztes“ und nichts „Selbstzweckhaftes“. Forschung an FHs soll mehr als abstrakte Freiheit bzw. Autonomie zur Forschung sein: Sie schließt eine Verpflichtung mit ein, neue und kritische Ideen, ungewöhnliche Fragen und kreative Antworten auf reale Fragen zu finden. Es darf keine intentional auf Informationssteuerung abzielenden Eingriffe in dieses Freiheitspostulat geben.


2.4 „Kunden“orientierung
Dabei ist es zunächst von besonderer Bedeutung, dass FHs die auf sie Bezug nehmenden bzw. bezogenen Kundenkategorien tatsächlich analysieren und insbesondere die den einzelnen Gruppen zugeordneten, teilweise heterogenen, Interessen angemessen berücksichtigen. Dabei ist ausdrücklich darauf zu verweisen, dass eine wohlverstandene Kundenorientierung nicht dazu führen darf, dass sich FHs jedem einzelnen Kundenwunsch unreflektiert unterwerfen. Vielmehr müssen sie für sich herausarbeiten, welche Kundenwünsche zu respektieren und umfassend zu berücksichtigen sind und welche als unerfüllbar angesehen werden müssen. Gleichwohl darf nicht von der Hand gewiesen werden, dass eine im „strengen bzw. reinen Sinn“ gelebte Kundenorientierung nahezu „automatisch“ in eine „Spannungslage“ mit der an FHs als zentrale Perspektive verstandenen „Gemeinwohlorientierung“ geraten kann. Diesbezüglich müssen entsprechende Überlegungen angestellt werden, die zu einer inhaltlichen bzw. thematischen Auflösung der spannungsgeladenen Aspekte zwischen „Kundenorientierung“ und „Gemeinwohlorientierung“ beitragen können.

Es versteht sich nahezu von selbst, dass insbesondere im Bereich auftragsbezogener F&E Aktivitäten Wünsche von Auftraggebern nach bestem fachlichen Wissen und überfachlichem Gewissen berücksichtigt werden. Dabei darf jedoch gleichzeitig nicht vergessen werden, dass F&E an FHs auf der Basis ihres Selbstbewusstseins nicht beliebig marktkonform ausgerichtet ist oder werden soll, will sie ihre Kompetenz und ihren Ruf als unabhängige Instanz nicht verlieren. Im Rahmen von F&E-Projekten muss sie sich vielmehr in reflexiver Art und Weise artikulieren und dabei auch wissenschaftsethische Themen offen und mutig ansprechen, selbst wenn diese nicht auftragskonform sind. Inwiefern dies eine durchaus notwendige Gratwanderung darstellt, zeigen wissenschaftsethische Beiträge seit über einem Vierteljahrhundert kritisch auf (vgl. Guha/Papcke 1987).


2.5 Gender Mainstreaming und Diversity
Ziel von Gender Mainstreaming und Diversity ist es, Gleichheit von Bildungs-, Arbeits- und Lebenschancen für alle BewerberInnen, Studierenden, MitarbeiterInnen und AbsolventInnen herzustellen. Auch im Forschungsbereich sollen MitarbeiterInnen, Studierende und Lehrende motiviert werden, herkömmliche Vorurteile aufzubrechen, um der Kreativität in allen (Fach-)Bereichen, die grundsätzlich bei beiden Geschlechtern, bei Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, religiösen Zugehörigkeiten etc. gleich verteilt ist, zum Durchbruch zu verhelfen.


2.6 Gemeinwohlorientierung
Der regulativen Idee von Gemeinwohlorientierung liegt die Erfahrung zugrunde, dass in Gesellschaften, deren Werte in erster Linie oder gar ausschließlich nach dem Grundsatz von Wettbewerb und der Durchsetzung der Interessen Einzelner – seien es Personen, Unternehmen, Körperschaften usw. – ausgerichtet sind, demokratische Strukturen „zerfallen“ bzw. gar nicht erst entstehen können. Umgekehrt zeigt sich, dass nur in demokratischen Gesellschaften nachhaltige Fortschritte erzielt werden können, sei es in rechtlicher, ökonomischer, sozialer, technischer, ethischer oder anderer Hinsicht.

Offene, demokratische Gesellschaften sind forschende und wissende Gesellschaften – Gesellschaften, die bereit sind, überkommenes Wissen permanent zu hinterfragen. Das ist eine der Voraussetzungen, dass sie soziale und wirtschaftliche Krisen überstehen. Die Aufgabe von FHs bestehen u. a. auch darin, in nicht elitärer Form Wissensbereitschaft in die Gesellschaft einfließen zu lassen. Dies realisieren sie durch ihre Kommunikationspolitik und dadurch, dass sie z.B. sozial exkludierte Gruppen einbeziehen oder Auftragsprojekte für Organisationen abwickeln, die bisher von Forschungsvorhaben aus strukturellen Gründen ausgeschlossen waren. Durch Studiengänge, die thematisch im Umfeld von „Sozialem“ und „Gemeinwohl“ angesiedelt sind und nicht von einer langen universitären Tradition behindert werden, gelingt es den FHs, Schritt für Schritt Wissenschaft und F&E auch für diese Gebiete zu entwickeln.


3. Sozialarbeits- Forschung an Österreichs Fachhochschulen
Wie werden die obigen Grundsätze aber im F&E-Bereich umgesetzt? Die Geschichte der (empirischen) Sozialforschung an Österreichs FHs ist so jung, wie es die sozialarbeiterischen FH-Studiengänge sind. Im Ausbau des österreichischen FH-Sektors wurden Mitte der 90er Jahre zunächst technische und betriebswirtschaftliche Studiengänge akkreditiert (Grätz/Kraft 2009:28), die entweder keine oder keine genuine sozialwissenschaftliche Forschung betrieben. Nach der Jahrtausendwende begründeten und entwickelten die MitarbeiterInnen der Studiengänge für Soziale Arbeit sozialwissenschaftliche F&E im Umfeld der Diplomstudiengänge „Sozialarbeit“. Die Beteiligten verfolgten zunächst die Aufgabe, eine berufsfeldbezogene sozialarbeiterische Ausbildung auf akademischem Niveau mit praxisrelevanten wie zugleich theoretisch und empirisch fundierten Gehalten anzubieten und sich dabei gesellschaftlich zu verzahnen. Forschungsaktivitäten rückten im Zuge des Ausbaus in den Fokus – je nach Standort mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Rahmenbedingungen.

Ein erstes Zwischenfazit über den Status Quo empirischer Sozialforschung im Umfeld sozialarbeiterischer Diplomstudiengänge zogen die Beteiligten 2004 auf der Salzburger Tagung „Forschung und Soziale Arbeit an Österreichs Fachhochschulen“. In den Beiträgen deutete sich das gesellschaftliche Potential bereits an, das die empirische Sozialforschung in Verbindung mit dem Studium der Sozialarbeit, aber auch darüber hinaus, entwickeln kann. Deutlich artikulierten die Forschenden einen evidenzbasierten Praxis- und Beteiligungsanspruch für die sozialwissenschaftliche F&E: Sie solle durch praxisnahe Projekte dazu beitragen, „… wissenschaftlich etablierte Erkenntnisse direkt aus der und für die Praxis zu generieren [und, A.d.V.] … Lernen als forschende Auseinandersetzung mit der Realität des Berufslebens ….“ zu ermöglichen (Gumpinger/Hemedinger/Kumpfmüller/Lehner 2005: 165). Wissenschaftstheoretisch kommt diese Form von F&E Axiomen der Aktions- oder Handlungsforschung nahe, oder wie es Pantucek formuliert: „Die Forschung drängt sich nicht vor die SozialarbeiterInnen, sondern steht hinter den professionellen AkteurInnen und blickt ihnen über die Schulter.“ (Pantucek 2005: 200). Alles in allem erhebt sozialwissenschaftliche Forschung im Kontext sozialarbeiterischer FH-Studiengänge in Österreich den Anspruch, das Sozialleben aktiv zu gestalten. F&E hierfür einzusetzen, erscheint nachgerade als eine „… paradigmatische Erweiterung in der Sozialen Arbeit …“ (Scheu 2005: 94).


3.1 Status Quo
Der erkenntnisleitenden Frage, welcher Status Quo sich Ende 2011 für die empirische Sozialforschung an Österreichs FHs im Kontext sozialarbeiterischer Studiengänge ergibt, ist Fredersdorf Ende des Jahres 2011 durch eine überwiegend qualitative Mail-Umfrage nachgegangen, die durch Belege aus grauer Literatur (z. B. Broschüren) ergänzt wird2. Erfragt wurden sieben Aspekte, wie sie in den folgenden Unterkapiteln dargestellt sind. Zielgruppe waren LeiterInnen von Studiengängen für Soziale Arbeit an den Fachhochschulen FH Campus Wien, FH Joanneum (Graz), FH Kärnten, FH Linz, Management Center Innsbruck, sowie die Leitungen des Forschungsbereichs Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (FH Vorarlberg), des Zentrums für Zukunftsstudien (FH Salzburg) und des Ilse Arlt Instituts (FH St. Pölten). Die Synopse verdeutlicht den durchaus beachtenswerten Grad an Professionalität, „Performance“ und gesellschaftlichem Nutzen, den sozialwissenschaftliche Forschung an Österreichischen „Universities of Applied Sciences“ in den vergangenen zehn Jahren entwickeln konnte.


3.2 Wie ist die sozialwissenschaftliche F&E verankert?
Von insgesamt acht FHs mit Studiengängen „Soziale Arbeit“ haben sieben die sozialwissenschaftliche F&E organisatorisch verankert. Das sind: die externe „Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit GmbH“ (FH Campus Wien)3, das interne „Transferzentrum für Sozialarbeit und Sozialmanagement“ (FH Joanneum, Graz)4, das interne „Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung“ (FH St. Pölten)5, die unter Trägerschaft der FH Oberösterreich Management GmbH fungierende externe „FH Oberösterreich Forschungs & Entwicklungs GmbH“ (FH OÖ)6, die unter Trägerschaft der FHS Forschungsgesellschaft mbH fungierende externe „Zentrum für Zukunftsstudien der FH Salzburg GmbH“7, der interne „Zentrale Dienst für Wirtschaft- und Sozialforschung“ (Management Center Innsbruck)8 und der interne „Forschungsbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ (FH Vorarlberg)9. An der FH Kärnten wird sozialwissenschaftliche F&E im Kontext des Studienbetriebs realisiert. Indem fast alle österreichischen FHs sozialwissenschaftliche Forschung explizit gesondert organisatorisch verorten, belegen und festigen sie die Bedeutung dieser spezifischen F&E für den eigenen Sektor.


3.3 Welche grundlegenden Ziele werden verfolgt?
Der oben erwähnte Anspruch einer emanzipatorischen Sozialforschung bzw. Sozialarbeitsforschung kommt in qualitativen Statements zum Ausdruck. So stehen Person und Terminus „Ilse Arlt“ an der FH St. Pölten für ein „… Verständnis der Sozialen Arbeit, das gesellschaftliche Strukturen der Hilfe wie der Ausgrenzung im Blick hat und Soziale Arbeit als eine gesellschaftsbezogene Aufgabe bei gleichzeitiger methodischer Individualisierung betrachtet.“ Am Forschungszentrum der FH Campus Wien wird „… anwendungsorientierte empirische Sozialforschung im Bereich der Sozialen Arbeit/Sozialwirtschaft konzipiert. Alle Projekte generieren theoriegeleitetes, umsetzungs- und handlungsrelevantes Wissen und sichern die Entwicklung neuer Instrumente für die Soziale Arbeit/Sozialwirtschaft.“ An der FH Kärnten betreiben die Studiengänge Soziale Arbeit „… anwendungs- und grundlagen(orientierte) Forschung und tragen damit zur Theorieentwicklung des Sozialen und der Sozialen Arbeit bei. Des Weiteren befasst sich die Forschung mit der Analyse differenzierter Problemlagen und Handlungsstrategien in den Praxisfeldern der Sozialen Arbeit. F&E dient damit dem Wissenstransfer in die Lehre, zur Scientific Community und zu den Kooperationspartnern der Sozialen Arbeit.“ Die FH-Studiengänge Soziale Arbeit an der FH Oberösterreich wollen durch F&E dazu beitragen, „… dass gesellschaftliche Leistungen auch unter sich ändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen verbindlich bereitgestellt werden können.“, was i.E. der Bevölkerung „… ein Gefühl der Sicherheit gibt und die Loyalität der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem staatlichen Gemeinwesen stärkt.“ Die FH Vorarlberg zielt darauf ab, „… empirische sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschungs- und Entwicklungskompetenz in den Feldern Gesundheit, Bildung und Sozialkapital auszubauen und zum gesellschaftlichen Nutzen einzusetzen.“ Das FH Joanneum in Graz formuliert den emanzipatorischen Anspruch ebenfalls deutlich: „Anwendungsorientierte F&E am Studiengang Soziale Arbeit folgt demnach dem ‚Capability Approach’ und seiner Grundidee, aktiv zur Entwicklung eines besseren Lebens aller Mitglieder der Gesellschaft beizutragen.“ Und am MCI geht es speziell bei der sozialwissenschaftlichen F&E „… um das Ziel, der Erforschung der Sozialen Problemen, ihrer Determinanten, Folgen und der Rahmenbedingungen ihrer Lösung.“


3.4 Welche Leitlinien stehen dahinter?
Die für die sozialwissenschaftliche bzw. sozialarbeitswissenschaftliche F&E bedeutsamen theoretischen Bezüge, Philosophien oder Leitlinien differieren. Trotz übergreifender gemeinsamer Grundhaltung zeigen sich regionale Besonderheiten, die durch die Tradition der an Forschung und Lehre Beteiligten erklärt werden können. Gemeinsamer Bezug ist allerdings die – mal enger, mal weiter gefasste – Anbindung an das Studium und die Praxis Sozialer Arbeit: Das Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit der FH Campus Wien „… ist personell und inhaltlich mit dem Department Soziale Arbeit eng verknüpft.“ An der FH St. Pölten orientieren sich Gegenstandsbereich, Forschungsfragen und Ergebnisse eng an Handlungsfeldern und Arbeitsweisen der Sozialen Arbeit. Mit Bezug auf den Terminus „User- / Carer-Involvement“ veranschaulichen die Forschenden zudem, dass sie dabei auch die Lebenswelten der Zielgruppen Sozialer Arbeit im Blick behalten. An der FH Joanneum geht es darum „… jene wissenschaftlichen Grundlagen zu erarbeiten, auf denen eine mit wissenschaftlichem Anspruch betriebene und auf die Besonderheiten sowohl der Struktur des stark expandierenden Sektors der Sozialwirtschaft als auch der sozialpolitischen Situation in Österreich abgestimmte Aus- und Weiterbildung von SozialarbeiterInnen in Zukunft aufbauen kann.“ (Posch 2010: 1). Auch am MCI wird die enge Anbindung an sozialarbeiterische Positionen deutlich; dort ist das „… systemtheoretische Paradigma der Sozialen Arbeit der Züricher Schule (Obrecht, Staub-Bernasconi, Geiser etc.) …“ handlungsleitend.

Einen erweiterten, über die Soziale Arbeit hinausgehenden, ihn aber integrierenden, Bezug weisen die drei folgenden FHs auf: An der FH Kärnten basieren die Ziele der Forschung „… auf den theoretischen Grundlagen der Sozialwissenschaften, der Bezugsdisziplinen.“ Beim Salzburger Zentrum für Zukunftsstudien (ZfZ) reicht „Das Leistungsspektrum … von grundlagenorientierten, geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Zukunftsforschung bis zur wissenschaftlichen Begleitung von zukunftsorientierten Innovationsprojekten in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.“ (Zentrum für Zukunftsstudien 2011:2). Der Forschungsbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der FH Vorarlberg ist „…fachlich mit sozialarbeiterischen und betriebswirtschaftlichen Studiengängen der FHV assoziiert. Sein wissenschaftliches Richtziel besteht darin, mittels Projekten der empirischen Sozialforschung soziale Aspekte in Wirtschaft und Gesellschaft zu analysieren und zu fördern“ (FH Vorarlberg 2011).


3.5 Wie werden die Ziele methodisch umgesetzt?
Exemplarisch für überregional vergleichbare Umsetzungsstrategien, die auch bei anderen FH-Disziplinen in derselben Form vorzufinden sind, stehen vier methodische Elemente, wie sie die Forschungs & Entwicklungs GmbH der FH Oberösterreich (Linz) nennt. Das sind erstens Projekte im Rahmen des Studienbetriebs und zweitens Master-Thesen. Drittens werden die Ziele über drittmittelgeförderte F&E-Projekte verfolgt und über projektbezogene wissenschaftliche Mitwirkende realisiert, wobei „… die Einwerbung von joint projects und EU Projekten eine hohe Priorität haben.“ Viertens arbeitet die Gesellschaft mit der Fakultät für Psychologie und dem Institut für Soziologie der Universität Wien sowie dem Institut für Soziologie der JK Universität Linz in Fragen der Dissertationsbetreuung zusammen. Vergleichbare Dissertationsnetzwerke stellt auch das ZfZ in Kooperation mit der Uni Innsbruck auf sowie die FH Oberösterreich. Am FH Campus Wien und an der FH Vorarlberg werden zusätzlich explizit Auftragsforschungsprojekte und F&E-Dienstleistungen umgesetzt. Diese Form sozialwissenschaftlicher Forschung lehnt das Ilse Arlt Institut explizit ab: „Bloße ‚Dienstleistungsforschung’ wollen wir gerne anderen überlassen.“


3.6 Wie wird der Status Quo sozialwissenschaftlicher F&E an der eigenen Fachhochschule bewertet?
Diese Frage beantworteten die Befragten griffig, wobei sich die Statements in eher positiv konnotierte und eher kritisch konnotierte unterscheiden lassen. Zentrale Kritik wie auch positive Nennungen beziehen sich dabei auf Ressourcenaspekte.


3.7 Wie viele Vollzeitäquivalente stehen an der Fachhochschule für sozialwissenschaftliche F&E zur Verfügung?
Personell sind die o. g. Forschungsbereiche, Forschungs-, Kompetenz- und Transferzentren und Forschungs-GmbHs im sozialwissenschaftlichen Bereich unterschiedlich gut ausgestattet. Am einen Ende des Spektrums steht die FH Kärnten mit 1,3 VZÄ, am anderen das Salzburger Zentrum für Zukunftsstudien: „Das Team des Zentrums für Zukunftsstudien besteht aus 19 Forscherinnen und Forschern im Ausmaß von 15 Vollzeitäquivalenten.“ (Zentrum für Zukunftsstudien 2011: 2). Ohne den Salzburger Extremwert stehen im Durchschnitt 4,1 VZÄ pro Standort für sozialwissenschaftliche und sozialarbeitswissenschaftliche F&E zur Verfügung; österreichweit sind es in Summe 39,6 VZÄ. Die Vollzeitäquivalente verteilen sich dabei unterschiedlich stark auf Hochschullehrende, wissenschaftliche Assistenzen und Verwaltungskräfte, wobei mit insgesamt 21,65 VZÄ wissenschaftliche Assistenzen am stärksten ausgebaut sind, gefolgt von ca. 16 VZÄ Hochschullehrende.

Ein weiterer Aspekt kommt bei dieser nicht gerade üppigen Gesamtsituation noch hinzu: An den Standorten gelten unterschiedliche Bedingungen bezüglich der Drittmittelfinanzierung. Da dieser Gesichtspunkt nicht systematisch erfragt wurde, sondern sich im Kontext der Antworten ergab, kann hier nur ein qualitativer Unterschied exemplarisch genannt werden. Beispielhaft seien die Bedingungen an den Fachhochschulen Joanneum und Vorarlberg angeführt: „Das TZ_SAM verfügt derzeit über keine Basisfinanzierung.“ (Posch 2010: 2). Demgegenüber hat der Forschungsbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der FH Vorarlberg eine vom Erhalter (dem Land Vorarlberg) strategisch vorgegebene Drittmittelquote von 60 Prozent einzulösen. Anders formuliert, beteiligt sich das Land Vorarlberg mit 40 Prozent der Projektkosten an allen drittmittelgeförderten sozialwissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten, wenn sie a) den strategischen Zielen der Fachhochschule entsprechen und b) die gegebenen VZÄ im Forschungsbereich nicht übersteigen. Dieses Beispiel belegt u. a. auch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen forschungspolitischen Rahmenbedingungen für sozialwissenschaftliche bzw. sozialarbeitswissenschaftliche F&E. Für einen tiefer gehenden Vergleich müssten jedoch die o. g. VZÄ-Angaben in Relation zu weiteren Kennzahlen an den genannten Standorten gesetzt werden. Eine derartige Analyse kommt einem breiten Benchmarking-Ansatz gleich und würde die Gesamtsituation präziser abbilden. Dessen überregionale Umsetzung zeichnet sich jedoch an Österreichs Fachhochschulwesen derzeit nicht ab.


4. Fazit
Eines belegt der oben skizzierte Status Quo deutlich: Sozialforschung an Österreichs FHs stellt die Optimierung menschlicher Lebenslagen und -welten ins Zentrum des F&E-Interesses, seien es individuelle, soziale oder systemische Ansätze, die sich auf Fälle, soziale oder reale Gruppen, Organisationen, größere Sozialsysteme oder übergreifende Gesellschaftsentwicklungen beziehen. Sie versteht sich in unterschiedlichen Facetten als emanzipatorisch-kritische Wissenschaft, da sie darauf abzielt, Exklusionsprozesse aufzudecken, nach ihren Ursachen zu forschen und alternative Lösungen zu suchen.

Der Terminus „Forschung und Entwicklung“ wird in sozialwissenschaftlichen Studien österreichischer FHs wörtlich genommen und als konstruktive, praxisnahe wie zugleich praxisrelevante Symbiose im engeren oder weiteren Kontext der Sozialen Arbeit und sozialer Akteure realisiert. Damit unterscheidet sie sich von universitärer Forschung und vermag tendenziell eher zu einer Gesellschaftsordnung beizutragen, in der die Lebensverwirklichungschancen aller Menschen gleicher verteilt sind. Als an diesem Ziel orientierte Sozialforschung konzentriert sie ihr Interesse darauf, dieses Ziel zu erreichen und nicht ins unverbindlich Allgemeine zu diffundieren. Daran will sozialarbeitswissenschaftliche F&E auch gemessen werden.

Dieser quasi selbstbestimmte emanzipatorische Auftrag speist sich aus mindestens vier Quellen. Die erste besteht in der vielzitierten Festschreibung von F&E durch das Fachhochschul-Studiengesetz. Nach der Jahrtausendwende schließt das, wie gesagt, auch die sozialarbeiterischen Studiengänge ein. Die zweite Quelle besteht in der Tradition der Ausbildung zur Sozialen Arbeit, die mit der Adaption an Österreichs FHs ausdrücklich auch flächendeckend einen theoretisch und wissenschaftlich fundierten Habitus pflegt, ohne dabei ihre professionsorientierten Praxisbezüge und die primäre Zielgruppe Sozialer Arbeit aus den Augen zu verlieren. Die dritte Quelle besteht in der fachwissenschaftlichen Herkunft der Beteiligten. Sie weisen teils eine sozialarbeiterische Qualifikation mit sozialwissenschaftlicher Zusatzqualifikation vor, teils ausschließlich einen sozialwissenschaftlichen akademischen Abschluss. In dieser Multiperspektivik sind die individuell verfolgten Positionen, Strategien und Themenschwerpunkte der FH-Standorte begründet. Die vierte Quelle besteht schließlich im Erkenntnisinteresse und in der Motivation der Forschenden selbst: Nicht zuletzt durch ein hohes Maß an intrinsischem Schub etlicher Beteiligter konnte die sozialwissenschaftliche und sozialarbeitswissenschaftliche Forschung an Österreichs FHs in den vergangenen zehn Jahren ihre empirische Professionalisierung ausbauen.

Die Analyse ihrer Strukturen zeigt ansatzweise auf, dass sozialarbeitswissenschaftliche F&E an Österreichs FHs unterschiedlich stark strukturell verankert und personell ausgestattet, d.h. basisfinanziert ist. Der evidenten gesellschaftlichen Bedeutung des Bereichs wird dieser Status Quo jedoch nicht in ausreichendem Maße gerecht. Unabhängig von regionalen Forschungspolitiken würde eine nationale Forschungsförderung speziell für sozialwissenschaftliche und sozialarbeitswissenschaftliche F&E an Österreichs FHs sowie eine parallellaufende Co- bzw. Teilfinanzierung von Erhalterseite das Ungleichgewicht, wenn nicht völlig ausgleichen, so doch zumindest abschwächen.


Verweise
1 Dieser Aufsatz erschien erstmalig im Tagungsband 5 des 6. Forschungsforums der Österreichischen Fachhochschulen 2012 unter dem Titel „Soziale Ungleichheit und soziales Kapital: Können in unserer Gesellschaft nur mehr die Schnellen, Reichen und Schönen überleben?“ Graz 2012, S. 7 – 13, Eigenverlag der FH JOANNEUM
2 Zitate ohne Quellenbelege stammen dabei aus den Mail-Antworten der Befragten.
3 Siehe: www.fh-campuswien.ac.at/kosar
4 Siehe: https://www.fh-joanneum.at/ca/cn/vfj/?output=printerfriendly&lan=de
5 Siehe: http://inclusion.fhstp.ac.at/
6 Mit dem Forschungsschwerpunkt „Angewandte Sozialwissenschaften und Non-Profit-Management“; siehe http://www.fh-ooe.at/fe/forschung/
7 Siehe: http://www.fhs-forschung.at/index.php?id=14
8 Siehe: http://www.mci.edu/
9 Siehe: http://www.fhv.at/forschung/sozial-und-wirtschaftswissenschaften


Literatur
Fachhochschule Kärnten (Hrsg.) (2010): Forschungsbericht 2006-2010. Klagenfurt: Fachhochschule Kärnten – gemeinnützige Stiftung.
Fachhochschule Vorarlberg (Hrsg.) (2011). Forschungsbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Dornbirn: Graue Literatur.
Guha, A. & Papcke, S. (Hrsg.) (1987): Entfeselte Forschung. Die Folgen einer Wissenschaft ohne Ethik. Frankfurt/M.: Fischer.
Grätz, W. & Kraft, M. (2009). Die Entwicklung des Sektors in den ersten 15 Jahren. In: H. Holzinger & W. Jungwirth (Hrsg.), 15 Jahre Fachhochschulen in Österreich (S. 26-38). Wien: Facultas.
Gumpinger, M., Hemedinger, F., Kumpfmüller, B. & Lehner, M. (2005). Forschung an den FH-Studiengängen für Soziales in Linz. In: R. Popp, K. Posch & M. Schwab (Hrsg.): Forschung & Soziale Arbeit an Österreichs Fachhochschulen (S. 163-173). Wien: LIT-Verlag.
Pantucek, P. (2005). Forschung, entwicklung, Innovation: Probleme der Verbindung von aktiver methodischer Innovation mit Forschung. In: R. Popp, K. Posch & M. Schwab (Hrsg.): Forschung & Soziale Arbeit an Österreichs Fachhochschulen (S. 197-202). Wien: LIT-Verlag.
Posch, K. (2010). Das Transferzentrum für Sozialarbeitsforschung und Sozialarbeitswissenschaft an der FH JOANNEUM, Graz (TZ_SAM). Graz: Graue Literatur.
Scheu, B. (2005). Gestaltung des Sozialen – eine Paradigmaerweiterung in der Sozialen Arbeit. In: R. Popp, K. Posch & M. Schwab (Hrsg.): Forschung & Soziale Arbeit an Österreichs Fachhochschulen (S. 85-98). Wien: LIT-Verlag.
Zentrum für Zukunftsstudien (2011): Zentrum für Zukunftsstudien der FH Salzburg GmbH. Salzburg: Graue Literatur.


Über die Autoren

FH-Prof. HR Mag. Dr. Klaus Posch, Jg. 1950
klaus.posch@fh-joanneum.at

Fachhochschul-Professor und Leiter des Studiengangs Sozialarbeit mit Ausbildungsschwerpunkt Sozialmanagement an der FH JOANNEUM in Graz. Zuvor ab 1979 Bewährungshelfer und von 1983 bis 2001 Leiter der Bewährungshilfe Steiermark. Studium der Evangelischen Theologie, Psychologie und Soziologie an den Universitäten Wien und Salzburg; außeruniversitäre Ausbildungen u. a. zum Psychoanalytiker und Gruppenpsychotherapeut. Publikationen auf den Gebieten der Sozialen Arbeit, insbesondere Methoden in der Sozialarbeit, klinische Psychologie (Dissozialität), Psychoanalyse und Sozialmanagement.

Prof. (FH) Dr. Frederic Fredersdorf, Jg. 1955
fre@fhv.at

Ist examinierter Sport- und Geschichtslehrer, promovierter Soziologe und habilitierter Erziehungswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Weiterbildung (Freie und Technische Universität Berlin). Seit April 2009 leitet er den Forschungsbereich "Sozial- und Wirtschaftswissenschaften" an der Fachhochschule Vorarlberg (FHV). Zwischen 2002 und 2009 war er dort für die sozialarbeiterischen Studiengänge verantwortlich, in denen er nach wie vor zu Aspekten der empirischen Sozialforschung lehrt. Seit Anfang der 90er-Jahre fungierte er in Deutschland als Bildungsmanager, Sozialforscher, Dozent und Unternehmensberater in leitender Position von Non-Profit-Organisationen, Unternehmen und Hochschulen. Forschungsschwerpunkte und -projekte stammen aus den Bereichen Bildung (Bildungscontrolling), Gesundheit (Suchthilfe, Suchtprävention, Gesundheitsmanagement) und Soziales (Sozialkapital, Sozialerhebungen, Kulturstudien). Frederic Fredersdorf begutachtet seit 2008 im Auftrag des österreichischen FH-Forschungsforums eingereichte Tagungsbeiträge sowie im Auftrag der österreichischen Ernst-Mach-Gesellschaft eingereichte Stipendiatsanträge ausländischer Studierender. Seit 2012 ist er zudem als einziger Sozialwissenschaftler Senatsmitglied in der österreichischen Christian-Doppler-Gesellschaft (JR-Kurie) zur Begutachtung von Förderanträgen zu Josef-Ressel-Zentren.