soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 9 (2013) / Rubrik "Thema" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/254/404.pdf


Hannes Guschelbauer, Liane Hanifl & Christian Fessl:

Mehr Gesundheit im Grätzel!


1. Gesundheitsförderung – Strategien und kommunale Konzepte
Ausgehend von der Kritik der 1970er und 1980er Jahre an der damals vorherrschenden medizinlastigen Ausrichtung von Prävention und am Glauben an die Allmacht von ExpertInnen wurde im Rahmen einer WHO-Konferenz im Jahr 1986 von den TeilnehmerInnen die Ottawa-Charta beschlossen. In diesem Aktionsplan wurden Strategien zur Umsetzung des Zieles „Gesundheit für alle“ festgehalten. Darin enthalten sind auch Grundsätze zur Gesundheitsförderung. Dabei heißt es: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können.“ (WHO 1986)

Um diese Ziele verfolgen zu können, ist es notwendig, die verschiedenen Aspekte von Gesundheit zu berücksichtigen. Im Determinantenmodell von Dahlgren und Whitehead (1991) werden die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Gesundheit gut sichtbar und somit mögliche Handlungsfelder konkretisiert.


Abbildung 1: Gesundheitsdeterminanten (Fonds Gesundes Österreich 2008)

Die im Kern dargestellten Faktoren (Alter, Geschlecht oder Erbanlagen) stellen dabei unveränderliche Determinanten dar. In den äußeren Schichten werden Faktoren angeführt, die sowohl individuell als auch durch die Gestaltung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen veränderbar sind. Dabei beeinflussen sich die verschiedenen Schichten gegenseitig (vgl. Richter/Hurrelmann 2011). So ist es z. B. leicht nachvollziehbar, dass die „physische Umwelt“ einen Einfluss auf das Bewegungsverhalten bestimmter Personen hat (etwa durch die Möglichkeiten, sich im Freien zu bewegen, oder durch Mobilitätsangebote in einer Region).

Für die kommunale Gesundheitsförderung ist es daher wichtig, in den unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen anzusetzen: dort, wo sie wohnen, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen. Entscheidend dabei ist, sich sowohl mit dem Verhalten der Menschen als auch mit den Verhältnissen in den Stadtteilen (in Wien „Grätzel“) oder auch Regionen auseinanderzusetzen, um gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die Gestaltung der Lebenswelten in den Grätzeln wird von vielen unterschiedlichen AkteurInnen beeinflusst: von Stadt- und Bezirkspolitik, Verwaltung, Institutionen (Jugendzentren, Nachbarschaftszentren, Vereinen etc.) und natürlich auch von den BewohnerInnen selbst mit ihren individuellen Verhaltensweisen. Das bedeutet, dass viele unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden müssen und es einer intersektoralen Zusammenarbeit und gemeinsamer Ziele bedarf, wenn man die Rahmenbedingungen für eine gesunde Lebensumgebung beeinflussen will.

Um diesen komplexen Anforderungen gerecht zu werden, braucht es entsprechende Ansätze: Vernetzung, Partizipation und Empowerment sind Strategien, um mit den Beteiligten ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Lösungsstrategien zu erarbeiten. Dazu ist es notwendig, den Menschen in ihrer Lebenswelt zu begegnen, auf bestehenden Strukturen aufzubauen und an vorhandene Potenziale anzuknüpfen. Erforderlich sind dafür relevante KooperationspartnerInnen vor Ort und Menschen, die sich aktiv an der Gestaltung ihrer Lebenswelt beteiligen.


2. „Gesunde Bezirke“ in Wien
Die Wiener Gesundheitsförderung – WiG hat sich zum Ziel gesetzt, einen nachhaltigen Beitrag zu gesünderen Lebensweisen und -verhältnissen in der Stadt Wien zu leisten. Dadurch soll die soziale Chancengerechtigkeit hinsichtlich umfassender Gesundheit erhöht und die subjektive und objektive Gesundheit der in Wien lebenden Menschen verbessert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde der Aufbau „gesunder Stadtteile“ („Grätzel“) zu einem Schwerpunkt der Wiener Gesundheitsförderung erklärt. Die Wiener Gesundheitsförderung konzentriert sich dabei auf jene Bezirke, in denen ein höherer Anteil sozial benachteiligter Menschen lebt, und innerhalb dieser Bezirke wiederum auf bestimmte Grätzel. Um eine Gebietsauswahl zu treffen, wurde auf soziodemografische Daten der MA 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung und der MA 40 – Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht zurückgegriffen. Kriterien für die Auswahl waren unter anderem: Alter, AusländerInnenanteil, Sozialhilfebezug, Arbeitslosenquote, Bildungsstatus, Anteil an Substandardwohnungen. Auf Basis dieser Analyse wurden die Bezirke Leopoldstadt, Margareten, Favoriten, Ottakring und Brigittenau als Schwerpunktbezirke definiert.

Seit Oktober 2010 laufen – zunächst für eine Phase von drei Jahren – in diesen fünf Wiener Bezirken umfassende Gesundheitsförderungsprojekte, in denen innovative Strategien der kommunalen Gesundheitsförderung entwickelt und umgesetzt werden. Fünf KooperationspartnerInnen erstellten für jeweils einen der Schwerpunktbezirke unterschiedliche Konzepte mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, Zielgruppen und Methoden. Diese werden in der ersten Projektphase bis Herbst 2013 umgesetzt. Die Wiener Gesundheitsförderung hat diese Projekte auf politischer Ebene in den Bezirken verankert, begleitet die Umsetzung, vernetzt die KooperationspartnerInnen miteinander und bietet ihnen Austausch und Möglichkeiten, voneinander zu lernen. Gleichzeitig sorgen die zuständigen GesundheitsreferentInnen der Wiener Gesundheitsförderung gemeinsam mit den KooperationspartnerInnen für Vernetzung im Bezirk und ein Andocken der anderen WiG-Aktivitäten in den Schwerpunktbezirken. Der gesamte Prozess wird extern evaluiert und wissenschaftlich begleitet.


3. Praxisbeispiele aus den „Gesunden Bezirken“
Nachfolgend werden Gesundheitsförderungsaktivitäten aus drei Bezirken beschrieben, die auch die unterschiedlichen Ansätze der Projekte zeigen sollen.


3.1 Gesunde Leopoldstadt – Initiativenförderung
Das Konzept des Projekts „Gesunde Leopoldstadt“ besteht im Wesentlichen aus drei Elementen, die jeweils ineinandergreifen: Das ist zum einen die Etablierung einer Gesundheits- und Sozialplattform, bei der Sozialeinrichtungen des Bezirks die Gelegenheit zum Austausch haben. Zum zweiten ist es die Entwicklung einer Weiterbildungsreihe mit dem Ziel, Einrichtungen und engagierte BewohnerInnen dazu zu befähigen und zu motivieren, selbst Gesundheitsförderungsprojekte im Rahmen ihrer Tätigkeit bzw. ihrer (Wohn-)Umgebung umzusetzen.

Das dritte Element ist die Schaffung einer eigenen, relativ niederschwelligen Förderschiene („Mein gesundes Grätzel – Aktiv in Wien“), um die Umsetzung von kleineren Gesundheitsinitiativen zu erleichtern. Dieser Idee liegt die Annahme zugrunde, dass es einen Anstoß braucht, um das Thema Gesundheitsförderung in den Alltag zu integrieren. Damit soll Privatpersonen die Möglichkeit geboten werden, unterschiedliche Aktivitäten zu erproben und Erfahrungen zu sammeln. Im Zuge dieser Förderschiene können Kosten bis zu 300 Euro rückerstattet werden. Für Organisationen wurde eine zweite Schiene mit einer Förderhöhe von bis zu 1.000 Euro eingerichtet. Insgesamt wurden bisher rund 20 Projekte umgesetzt und einige weitere sind noch in Vorbereitung.

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der finanzielle Anreiz nur einen kleinen Anteil an der erfolgreichen Umsetzung von Gesundheitsförderungsprojekten hat. Immens wichtig ist eine adäquate Unterstützungsstruktur, die durch MitarbeiterInnen des Projekts „Gesunde Leopoldstadt“ bereitgestellt wird. Diese müssen in Gesprächen mit den Personen und Organisationen eine Vertrauensbasis herstellen, auf der projektbezogene tragfähige Beziehungen basieren können. Sie müssen Potenziale erkennen und gemeinsam mit den Interessierten erste Projektideen sichten und auf ihre Realisierung prüfen. In Ideenworkshops werden Horizonte erweitert, um sichtbar zu machen, in welchen Bereichen gesundheitsförderliche Maßnahmen umgesetzt werden können. Werden Ideen an das Projekt „Gesunde Leopoldstadt“ herangetragen, müssen diese zwar nur in ein einfaches Antragsformular eingetragen werden, aber gerade für BewohnerInnen, die so etwas nicht gewöhnt sind, kann das schon eine große Hürde sein. Nicht zuletzt gibt es auch Projekte, die auch während ihrer Umsetzung organisatorische Unterstützung brauchen.

Die InitiatorInnen der Initiativen können ihre Erfahrungen im Rahmen von Vernetzungstreffen mit anderen austauschen, was einerseits für sie ein gewisses Maß an Wertschätzung bedeutet, anderseits auch anregend für andere sein kann und auch das Potenzial zur Durchführung von gemeinsamen Projekten bietet. Dokumentiert werden die umgesetzten Maßnahmen auf der Homepage von „Gesunde Leopoldstadt“ (www.gesundeleopoldstadt.at) sowie in einer Plakat-Wanderausstellung, in der alle Initiativen präsentiert werden können.

Die folgende Übersicht zeigt die breite Palette an Ideen, die bisher eingebracht wurden und sich in unterschiedlichen Phasen der Umsetzung befinden.


Abbildung 2: Initiativen in der „Gesunden Leopoldstadt“ (queraum 2012)

Und was sagen diejenigen dazu, die schon solche Initiativen umgesetzt haben?

„Die älteren Herrschaften waren mit großer Begeisterung dabei, sangen und musizierten miteinander, und die Kinder hatten ihren Spaß bei der Keramikerin, die ihnen zeigte, wie man mit Ton arbeitet. Für jeden war etwas dabei und auch für das leibliche Wohl war gesorgt, mit Aufstrichen, Getränken, Kaffee und Kuchen. Besonders schön war, dass die Vernetzung mit Personen im Grätzel, aber auch mit unterschiedlichen Vereinen so gut funktioniert hat. Jeder half mit und viele neue, frische Ideen für das nächste Fest wurden eingebracht.“ (Organisatorin von „Sommer im Hof“)

„Mit der Förderung ihrer Schwimmfähigkeiten haben die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen jedenfalls ein nachhaltig wirkendes Werkzeug zur Fitness und Gesunderhaltung des eigenen Körpers erworben, das sie später individuell einsetzen können.“ (Durchführende des „Schwimmkurses für Mädchen und Burschen“)


3.2 Gesundes Favoriten – von der Analyse zur zielgruppenorientierten Umsetzung
Ziel des Projekts „Gesundes Favoriten“ ist es, Lebensbereiche zu gestalten, die für alle BewohnerInnen unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrer Herkunft und ihrem Alter gesundheitsförderlich sind. Dabei stehen gesundheitsorientierte Angebote, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und die Zusammenarbeit mit Organisationen und Vereinen des Bezirks im Vordergrund.

Zu Projektbeginn wurde die gesundheitliche Lage im Bezirk analysiert. Mit partizipativen Methoden wie Interviews von Vor-Ort-AkteurInnen und BewohnerInnen sowie einer Fragebogenerhebung wurden die Bedürfnisse und Ressourcen der BürgerInnen erhoben. Die Daten zu den Gesundheitsbelastungen, zum Gesundheitszustand sowie zur Gesundheitsversorgung und zu den Gesundheitspotenzialen waren die Grundlage für die Konzipierung konkreter gesundheitsfördernder Maßnahmen in Favoriten.

Der Ergebnisbericht zeigte, dass es ein großes Interesse an gesundheitsorientierten Angeboten im Bezirk gibt. Was das aktuelle Bewegungsverhalten betrifft, wurde deutlich, dass ein Bedarf für Angebote zur Förderung von Bewegung, vor allem für ältere Menschen und Frauen, vorhanden ist. Nachstehend werden als Beispiele zwei Aktivitäten vorgestellt, die auf der Grundlage dieser Erkenntnisse konzipiert wurden: ein gesundheitsorientiertes Bewegungsprogramm im öffentlichen Raum und ein Männergesundheitstag bei einem Bundesliga-Spiel der Austria Wien.

Mit „Aktiv am Wasserturm“ wurden Bewegungsangebote für ältere Menschen im öffentlichen Raum umgesetzt. Wegen des attraktiven Wasserspielangebots wurde der Park bisher primär von Kindern genutzt. Ziel des Angebots war die Mehrfachnutzung der Anlage – insbesondere durch ältere Menschen und Menschen mit Kindern. Aufbauend auf Erfahrungen aus Projekten (Diketmüller et al. 2012) und der wissenschaftlichen Evidenz, dass Bewegung ganzheitlich die Gesundheit fördert (FGÖ 2010), entwickelte das Projektteam gemeinsam mit der örtlichen Gebietsbetreuung die Angebote. Trainerinnen leiteten die wöchentlichen Treffen im Park und zeigten einfache Übungen zur Förderung von Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination. Bei der Gestaltung des Bewegungsangebotes und des Flyers wurde besonders darauf geachtet, dass die Inhalte ältere Menschen ansprechen. „Fitnessmix für Seniorinnen und Senioren“, „Qi-Gong“ und „Nordic Walking“ wurden als die passendsten Angebote identifiziert. Die BewohnerInneninitiative „Wandern mit andern“ konnte ebenfalls in das Programm aufgenommen werden. Der Einstieg in die Bewegungsangebote war jederzeit möglich, eine Anmeldung war erwünscht, aber nicht Bedingung. Bei Regen fanden die Veranstaltungen nicht statt. Pro Teilnahme war ein Selbstbehalt von zwei Euro zu entrichten, wobei im Bedarfsfall auch eine kostenlose Teilnahme möglich war. Die Bewegungsangebote wurden sehr breit, mit Unterstützung von KooperationspartnerInnen und der Bezirksvorstehung, mittels persönlicher Einladung und einer Postwurfsendung an alle Haushalte in der Umgebung beworben. Aus der externen Evaluierung geht hervor, dass die meisten TeilnehmerInnen über die Postwurfsendung sowie über die Bezirkszeitung vom Angebot erfahren haben. Die Gründe für die Teilnahme waren Interesse, Neugier, die Möglichkeit des Ausprobierens, körperliche Einschränkungen, die passende Tageszeit und die Wohnortnähe. Aber auch der soziale Aspekt „unter Leute kommen“ wurde angeführt. Teilnahmebarrieren waren: familiäre Verpflichtungen, andere Termine, nicht passende Wetterlage (zu heiß oder zu kalt) und Erkrankungen (Reiter/Weber 2012).

Die zweite gesundheitsfördernde Maßnahme wurde speziell für Männer konzipiert, da Gesundheitsförderung für diese meist kein Thema ist. Um Männer für Gesundheitsthemen zu interessieren, wurde eine Kooperation mit dem Bundesliga-Fußballverein Austria Wien gestartet. Männer sollen gezielt dort angesprochen werden, wo sie ihre Freizeit gerne verbringen – im Fußballstadion. Es ist geplant, bei einem Bundesliga-Spiel im Frühjahr 2013 unter anderem ein Ernährungs- und Gesundheitsquiz und einen Gleichgewichtsparcours anzubieten und Interviews mit prominenten Personen über Gesundheitsthemen im und vor dem Stadion durchzuführen. Sowohl der Fanklub als auch der Vorstand des Fußballklubs sind in die Planung involviert, um die Akzeptanz der Aktionen nachhaltig zu sichern.

Aus den vorgestellten Aktivitäten lassen sich folgende Erfahrungen für die Gesundheitsförderung ableiten: Um gesundheitsfördernde Aktivitäten erfolgreich umzusetzen, ist es wichtig, am Anfang den Bedarf zu erheben und darauf aufbauend zielgruppenorientierte Aktivitäten zu konzipieren. Dazu sind KooperationspartnerInnen notwendig, die vor Ort sind und von der Zielgruppe akzeptiert werden. Diese Personengruppen wirken als MultiplikatorInnen und unterstützen so die Zielgruppe bei der Erhaltung bzw. Verbesserung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens. Bei der Konzipierung dieser Aktivitäten ist es hilfreich, Erfahrungen aus anderen Projekten und wissenschaftliche Grundlagen zu verknüpfen.


3.3 Gesundes Ottakring – Gesundheitsbeauftragte im Gemeindebau
Im Projekt „Gesundes Ottakring“ wurde der Gemeindebau als wichtiges Setting für die Gesundheitsförderung definiert. Dem liegt die Analyse der Einflussfaktoren auf die Gesundheit der Ottakringer Bevölkerung (Resch et al. 2011) zugrunde. Im Setting Gemeindebau findet sich größtenteils eine gute Infrastruktur: Gemeinschaftsräume, Innenhöfe mit Grün- und Freiflächen, daneben oft noch Kindergärten, Apotheken und Waschsalons. Alle diese Orte bieten Möglichkeiten zur Netzwerkbildung und tragen somit zur Bildung von Sozialkapital für die BewohnerInnen bei. Die potenzielle Nutzung birgt allerdings auch zahlreiche Konfliktfelder. Unterschiedliche Bedürfnisse der BewohnerInnen (Ruhe, Aktivität, nachbarschaftliche Begegnung etc.) können zu nachbarschaftlichen Problemen führen. Hinzu kommen Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen den Generationen und zwischen Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Die große Diversität der BewohnerInnen bietet allerdings auch Chancen und Potenziale für zwischenmenschliche Begegnungen aller Beteiligten.

Ziel der Gesundheitsförderung im Gemeindebau ist es, gesundheitliche Chancengerechtigkeit zu ermöglichen. Auf der Verhaltensebene sollen die Gesundheitskompetenzen von Menschen im Gemeindebau aufgebaut werden, eine Sensibilisierung zum Thema Gesundheit erfolgen, Eigeninitiative angeregt und die sozialen Kontakte der BewohnerInnen gestärkt werden. Auf der Verhältnisebene wird versucht, den Gemeindebau so zu gestalten, dass das Wohlbefinden der BewohnerInnen verbessert wird. Dabei steht die Mitgestaltung des eigenen Lebensumfelds durch die BewohnerInnen im Vordergrund.

Um diese Ziele zu erreichen, wurden BewohnerInnen zu „ExpertInnen“ (sog. Gesundheitsbeauftragten) ausgebildet. Die Schulung richtete sich an Personen, die sich für Gesundheitsthemen interessieren, im Gemeindebau wohnen und einen Zugang zur Zielgruppe haben. Durch ihr freiwilliges Engagement und die Ausbildung, die sie durchlaufen, nehmen sie eine bestimmte Rolle mit speziellen Aufgaben im Gemeindebau ein.

In fünf Wohnhausanlagen in Ottakring wurden dafür interessierte Personen gesucht. Hilfreich dafür waren Kooperationen mit Einrichtungen im Bezirk, Kontakte mit den MieterbeirätInnen, die Vorstellung des Projekts bei Aktivitäten und Festen im Gemeindebau, Aushänge in den Stiegenhäusern und Blitzumfragen in mehreren Gemeindebauten („Tür-zu-Tür“-Befragungen zum Thema Gesundheit und Wohlbefinden).

Die Ausbildung der Gesundheitsbeauftragten erfolgte in einem modularen System. Eine Gruppe von zehn Personen – je zwei pro Gemeindebau – erhielt eine Schulung bestehend aus insgesamt acht Modulen zu folgenden Themen: Motivation, Ziele und Aufgaben von Gesundheitsbeauftragten, Grundlagen der Gesundheitsförderung, Erhebung von Gesundheitsbedürfnissen, Prozessmanagement, Vielfalt im Gemeindebau, Zusammenarbeit mit den MieterbeirätInnen, Psychohygiene und Abgrenzung, Moderation des Gesundheitsförderungsspiels (Bachinger/Weiser 2012). Bei der Schulung wurde auf die Vermittlung von theoretischen Kenntnissen ebenso Wert gelegt wie auf die praktische Erprobung des Gelernten. So wurde z.B. ein Fragebogen zur Erhebung der Gesundheitsbedürfnisse gemeinsam entworfen und während der Ausbildung von den Gesundheitsbeauftragten in ihrem jeweiligen Gemeindebau erprobt. Die Auswertung erfolgte in der Gruppe und die gesundheitsbezogenen Ergebnisse sollen in Initiativen und Maßnahmen umgesetzt werden. Die Schulung dauerte von Oktober bis Dezember 2012 und endete mit einer Zertifikatsverleihung durch den Bezirksvorsteher von Ottakring und den Geschäftsführer der Wiener Gesundheitsförderung.

Mit Jänner 2013 startete die Umsetzung mit folgenden Aufgaben der Gesundheitsbeauftragten:

Um diese vielfältigen Aufgaben gut bewältigen zu können, werden die Gesundheitsbeauftragten im Laufe ihrer Ausbildung und auch danach durch das Projektteam von „Gesundes Ottakring“ begleitet und unterstützt. Regelmäßig stattfindende Reflexionstreffen sollen die Möglichkeit bieten, offene Fragen, Erfahrungen und weitere Anliegen zu thematisieren.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass durch die Ausbildung die persönlichen Kompetenzen der Gesundheitsbeauftragten erweitert und ihre sozialen Ressourcen entwickelt und gestärkt werden. Dabei hat die Gruppe bestimmte Aufgaben und Funktionen, sie dient dem Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Unterstützung. Von den anderen TeilnehmerInnen kann gelernt und kritisches Feedback erhalten werden. Durch den Austausch wird eine realistischere Einschätzung der eigenen Ideen und Vorhaben möglich. Ideen anderer TeilnehmerInnen können für den eigenen Gemeindebau übernommen werden. Eine konstruktive Konkurrenz in der Gruppe belebt und aktiviert das eigene Handeln. Im gesamten Prozess ist es wichtig, dass die Gesundheitsbeauftragten auf ihre Ressourcen achten, um so der Gefahr eines Überengagements entgegenzuwirken.

Während des gesamten Projekts gibt es eine enge Zusammenarbeit mit relevanten Organisationen im Bezirk. Für die Gesundheitsförderung besonders wichtige Aspekte, wie Nachbarschaften, Beteiligung und Empowerment, nehmen eine zentrale Stellung ein.


4. Resümee
Die bisherigen Erfahrungen aus den „Gesunde Bezirke“-Projekten zeigen ein vielfältiges Bild von kommunaler Gesundheitsförderung sowohl die Zielgruppen als auch die Methoden betreffend. Für einen gelungenen Prozess ist es besonders wichtig, auf Wertschätzung und Vertrauen bei allen AkteurInnen zu achten, gute Unterstützungsstrukturen vor Ort anzubieten und damit tragfähige Kooperationen aufzubauen. Dies erfordert entsprechende Zeit und Ressourcen aller Beteiligten. Für die Gesundheitsförderung bietet sich damit die Chance, aus den Erfahrungen der unterschiedlichsten Berufsfelder zu lernen und gemeinsam für mehr Gesundheit im Grätzel zu sorgen.


Literatur
Bachinger, Almut / Weiser, Erentraud (2012): Konzept für das Projekt „Gesundheitsbeauftragte im Gemeindebau (GiG)“. Ein Projekt der Wiener Gesundheitsförderung in Kooperation mit dem Forschungsinstitut des Roten Kreuzes. Wien: unveröffentlichtes Manuskript.
BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.) (2011): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Köln: Verlag für Gesundheitsförderung.
Dahlgren, Göran / Whitehead, Margret (1991). Policies and strategies to promote social equity in health. Stockholm: Institute for Future Studies.
Diketmüller, Rosa / Kolb, Barbara / Mayrhofer Rita / Staller, Susanne / Studer, Heide (2012): Gemma raus! GEsundheitsfördernde MitMachAktionen für ältere FRAUen und Männer in BewegungsparkS. Online unter: http://gemmaraus.univie.ac.at/images/stories/gemmaraus_endbericht_fgoe.pdf (Download am 30.11.2012).
FGÖ – Fonds Gesundes Österreich (Hrsg.) (2010): Österreichische Empfehlungen für gesundheitswirksame Bewegung. Wien: Eigenverlag.
Kaba-Schönstein, Lotte (2011): Gesundheitsförderung II: Internationale Entwicklung, historische und programmatische Zusammenhänge (bis zur Ottawa-Charta 1986 und den Folgekonferenzen). In: BZgA (Hrsg.) (2011): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Köln: Verlag für Gesundheitsförderung. S.145-150.
Resch, Katharina / Hofer, Kathrin / Weiser, Erentraud (2011): Gesundes Ottakring. Analyse der Einflussfaktoren auf die Gesundheit der Ottakringer Bevölkerung. Wien: Forschungsinstitut des Roten Kreuzes und Wiener Gesundheitsförderung – WiG. Online unter: http://www.wig.or.at/Analyseber.674.0.html#parent=graetzel (Download am 30.11.2012).
Richter, Antje / Wächter, Marcus (2009): Zum Zusammenhang von Nachbarschaft und Gesundheit. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung Band 36. Köln: BZgA. Online unter: http://www.bzga.de/infomaterialien/forschung-und-praxis-der-gesundheitsfoerderung/band-36-zum-zusammenhang-von-nachbarschaft-und-gesundheit/ (Download am 27.11.2012).
Richter, Matthias / Hurrelmann, Klaus (2011): Determinanten von Gesundheit. In: BZgA (Hrsg.) (2011): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Köln: Verlag für Gesundheitsförderung. S. 45-48.
Trojan, Alf / Süß, Waldemar (2011): Soziale Netzwerke und Netzwerkförderung. In: BZgA (Hrsg.) (2011): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Köln: Verlag für Gesundheitsförderung. S. 501-503.
WHO – World Health Organisation (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. WHO Genf. Online unter: http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf (Download am 26.11.2012).
Reiter, Andrea / Weber, Friederike (2012): Kurzbericht: Vertiefte Evaluierung Bewegungsangebote für SeniorInnen im Rahmen von „Aktiv am Wasserturm“, Gesundes Favoriten. Wien: unveröffentlichter Evaluationsbericht.


Abbildungen
Fonds Gesundes Österreich (2008): Gesundheitsdeterminanten. Online unter: http://www.fgoe.org/presse-publikationen/downloads/fotos-grafiken/infografiken/gesundheitsdeterminanten-farbe-gezeichnet (Download am 30.11.2012).
queraum (2012): Initiativen in der „Gesunden Leopoldstadt“. Laufend aktualisierte Zusammenstellung im Zuge der Projektumsetzung „Gesunde Leopoldstadt“, Stand Dezember 2012.


Informationen zu den „Gesunden Bezirken“
„Gesunde Leopoldstadt“ wird umgesetzt von queraum, www.gesundeleopoldstadt.at.
„Gesundes Favoriten“ wird umgesetzt von FEM Süd/MEN, www.gesundesfavoriten.at.
„Gesundes Ottakring“ wird umgesetzt vom Forschungsinstitut des Roten Kreuzes, www.gesundesottakring.at.
Weitere Projekte:
„Gesundes Margareten“ (umgesetzt von FEM/MEN, www.gesundesmargareten.at) und
„Gesunde Brigittenau“ (umgesetzt von ösb, www.gesundebrigittenau.at)


Über die AutorInnen


Credits: © WiG / Christine Bauer

Mag.a Liane Hanifl

Klinische- und Gesundheitspsychologin, Arbeitspsychologin und Supervisorin, berufliche Erfahrungen im psychosozialen Bereich, seit Februar 2011 Gesundheitsreferentin für den Themenschwerpunkt „Seelische Gesundheit“ und Ansprechperson für „Gesundes Ottakring“ in der Wiener Gesundheitsförderung.


Credits: © WiG / Christine Bauer

Mag. Ing. Hannes Guschelbauer

Klinischer- und Gesundheitspsychologe, langjährige Erfahrung im Bereich Stadtteilarbeit, seit März 2011 Gesundheitsreferent in der Wiener Gesundheitsförderung. Themenschwerpunkt „Diversity“ und Ansprechperson für die „Gesunde Leopoldstadt“.


Credits: © WiG / Christine Bauer

Mag. Christian Fessl Bakk.

Studium Gesundheitssport und Sportwissenschaft, berufliche Erfahrungen in der bewegungsorientierten Gesundheitsförderung, seit Mai 2011 Gesundheitsreferent für den Themenschwerpunkt „Bewegung“ und Ansprechperson für „Gesundes Favoriten“ in der Wiener Gesundheitsförderung.