soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 9 (2013) / Rubrik "Werkstatt" / Standortredaktion Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/265/426.pdf


AG Junge Wohnungslose:

Woher – Wohin? Wohnungslosigkeit im Übergang vom Jugendlichen- zum Erwachsenenalter


Im Rahmen des ExpertInnengesprächs: endlich 18! – wohin jetzt?, März 2012


1. Einleitung
In den letzten Jahren ist den MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe eine steigende Anzahl von jungen wohnungslosen Menschen aufgefallen, die in den bestehenden Einrichtungen nicht adäquat betreut werden können. Im Herbst 2007 wurde von einigen Trägerorganisationen der Wiener Wohnungslosenhilfe eine Arbeitsgruppe zu dieser Thematik eingerichtet. Dieser ExpertInnengruppe sind 2009/2010 auch MitarbeiterInnen der Drogenhilfe und der Kinder- und Jugendanwaltschaft der Arbeitsgruppe beigetreten sowie 2011 ein Vertreter des FSW. Auch gab es Teilnahmen seitens der MAG 11.

In der ersten Arbeitsperiode (2007/2008) hat die Arbeitsgruppe ein Grundlagenpapier zur Situation von Jungen Wohnungslosen allgemein (18- bis 30-Jährige) in Wien ausgearbeitet. Insbesondere wurden die Ursachen und Hintergründe beleuchtet sowie Schlussfolgerungen und konkrete Verbesserungsvorschläge in den Bereichen Wohnen, Arbeit oder Tagesstruktur, Freizeit sowie in der Prävention ausgearbeitet.

Die Aufgabenstellung für das Arbeitsjahr 2009/2010 bestand darin, insbesondere die Probleme und Bedürfnisse sowie Verbesserungsmöglichkeiten für die Gruppe der 17- bis 19-Jährigen zu analysieren, da es auffällig war, dass vermehrt ganz junge Menschen um den 18. Geburtstag mit und ohne „MAG11 Erfahrung“ in den Institutionen der Wohnungslosenhilfe um Unterstützung anfragten.

In der letzten Arbeitsperiode ging es verstärkt darum aktuelle Daten und Zahlen zu erheben und diese anhand praktischer Erfahrungen zu diskutieren.


2. Ursachen und Hintergründe von Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen


3. Besonderheiten in der Arbeit mit jungen Wohnungslosen und deren Bedürfnisse (ein Auszug)
Teilhabe an der Gesellschaft und deren Anerkennung sind einerseits für junge Wohnungslose sehr wichtig, auf der anderen Seite stellen Peergroup- und Subkulturzugehörigkeit eine bewusste Abgrenzung zur Erwachsenenwelt dar. In der praktischen Arbeit führt dieses Verhalten immer wieder zu Konfrontationen und Konflikten, die eine große, neue Herausforderung an die gewohnten Konzepte der Wohnungslosenhilfe stellen.

Der Übergang in die Adoleszenz stellt für junge Menschen immer eine große Herausforderung dar. Doch wenn das soziale Netz und der Rückhalt fehlen, kann es sehr destabilisierend wirken, ständig hin- und hergerissen zu sein (beispielsweise Unterstützung annehmen vs. Selbstbestimmung) und schlussendlich zur Wohnungslosigkeit beitragen.

Grundsätzlich werden Regeln im Jugendalter häufig hinterfragt, dennoch zeigt sich in der Praxis bei jungen Wohnungslosen ein großes Bedürfnis nach Regeln und Struktur. Wenn es sich dabei um sinnvolle und nachvollziehbare Vorgaben handelt, können sie Sicherheit und Halt geben. Ein strukturierter, schrittweise erfolgter Ablauf bietet einen Weg aus der Ausnahmesituation, die die Wohnungslosigkeit zweifellos ist und kann somit einer Überforderung entgegenwirken.

Beziehungsarbeit hat in der Arbeit mit jungen Wohnungslosen einen besonderen Stellenwert. Da das Ansehen in der Peergroup sehr wichtig ist und die Befürchtung eines Gesichtsverlustes besteht, können Probleme in der Regel erst angesprochen werden, wenn schon ein Vertrauensverhältnis besteht.

Auch bei jungen Menschen gibt es verdeckte Wohnungslosigkeit in hohem Ausmaß. Viele ziehen jahrelang von Bekannten zu Bekannten, bevor sie sich selbst ihre Wohnungslosigkeit eingestehen und ein entsprechendes Angebot der Wohnungslosenhilfe annehmen können. Selbst dann sind sie für Außenstehende nicht als Wohnungslose sichtbar, auch nicht an sonst typischen Szeneorten, da sie großen Wert darauf legen sich nicht von ihrer Peergroup zu unterscheiden. Viel eher sind sie in Einkaufszentren oder Multiplex-Entertainment-Centern anzutreffen. Wiederum ist dabei der große Wunsch nach Zugehörigkeit zur Peergroup erkennbar.

Die Peergroup spielt aber auch in der Wohnungslosenhilfe eine wichtige Rolle. So werden z. B. altersspezifische Angebote durchwegs bevorzugt, da gerade in Krisensituationen die Unterstützung der Peergroup wichtig ist und leichter angenommen werden kann. Insgesamt kann man sagen, dass zielgruppenspezifische Angebote auch in der Betreuung adäquater reagieren können. Die Compliance der KlientInnen ist höher und ermöglicht ein effizienteres und effektiveres Arbeiten an ihren Zielen.

Wie schon bei den Ursachen und Hintergründen angesprochen, fehlt es jungen Wohnungslosen unter anderem an erreichbaren Perspektiven, da sie in einem anderen Zeigefühl leben und sie so längere Wartezeiten nicht durchhalten. Diese Schnelllebigkeit und das fehlende Durchhaltevermögen führt auch dazu, dass viele von Ihnen mehrere Anläufe und die damit entstandene Lernerfahrung brauchen, bis sie ihre Ziele (z. B. Ausbildung, finanzielle Regelungen, eigenständige Wohnform ...) erreichen können.

Insgesamt spielt das Erlernen von Fähigkeiten, also ein pädagogischer Ansatz, in der Arbeit mit jungen Wohnungslosen im Vergleich zu älteren eine zentrale Rolle. Es fehlt ihnen neben der Erfahrung mit dem praktischen Leben auch an Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Sie haben in der Regel in der Vergangenheit weder alleine gewohnt und Miete bezahlt, noch sind sie regelmäßig einem Job nachgegangen.

Die finanzielle Problematik wird häufig auch dadurch verstärkt, dass sie im Umgang mit Geld ihre Prioritäten anders setzen. So hat meist der kurzfristige Genuss, das Mithalten mit der Peergroup oder eine akute Problemsituation Vorrang gegenüber längerfristigen Finanzplanungen oder Basisbedürfnissen. Wie generell die momentane emotionale Situation Vorrang hat gegenüber allem anderen z. B. AMS- oder Betreuungsterminen.


4. Zahlenpräsentation
Bei der Zahlenrecherche ging es zunächst einmal darum zu klären, wie viele Personen zu den jungen Wohnungslosen in Wien zu zählen sind. Dabei wurden Zahlen vom bzWO, P7, FAWOS, Wiener Wohnen und weiteren Einrichtungen erfragt. Angeführte Diagramme stellen nur einen Auszug aus dem Datenmaterial dar.

Um Zahlen über junge Wohnungslose aus der Wohnungslosenhilfe interpretieren zu können, galt es zunächst einmal festzustellen, wie groß die Gruppe der jungen Menschen unter der Gesamtbevölkerung ist. Die Quelle hierfür stellen Daten der Statistik Austria dar. Um die Daten wirklich vergleichen zu können, wurden Minderjährige unter 17a und im zweiten Schritt Personen über 70a herausgerechnet. Einerseits ist letztere Gruppe (über 70a) kaum unter den Wohnungslosen anzutreffen, andererseits werden Minderjährige nur im Rahmen von Bedarfsgemeinschaften, d. h. im Familienverband, untergebracht.


Abbildung 1: Altersverteilung Gesamtbevölkerung Österreich exkl. unter 17a


Abbildung 2: Altersverteilung Gesamtbevölkerung Österreich 17 bis unter 71a


4.1. Zahlenauswertungen bzWO (Quelle s. S. 19)


Abbildung 3: Alter AntragstellerInnen bzWo 2011


Abbildung 4: Altersverteilung AntragstellerInnen bzWo Verlauf 2009-2011

Die Gruppe der jungen Wohnungslosen unter 26a sind 25% aller AntragstellerInnen bei bzWO. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (vgl. Gesamtbevölkerung Statistik Austria) scheint dies überproportional hoch.


Abbildung 5: Altersverteilung bei Einzug 2011


Abbildung 6: Altersverteilung bei Einzug im Vergleich 2009-2011

Wenn man jedoch die effektiven Einzüge in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe betrachtet, ist eine Verschiebung der Altersverteilung zu bemerken.


Abbildung 7: Verhältnis Antragstellung zu Einzug

Stellt man die Anzahl der AntragstellerInnen und die Anzahl der Einzüge je Alters- und Geschlechtergruppe gegenüber, so wird deutlich: Je jünger die AntragstellerInnen sind, je weniger Einzüge gibt es. Unter den unter 21-Jährigen kommt es nur bei 50% der AntragstellerInnen tatsächlich zu einem Einzug in einer Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe. Gründe hierfür sind sicherlich vielschichtig und reichen von keiner ausgestellten Subjektförderung bis hin zu altersentsprechendem, schnelllebigen Verhalten.


Abbildung 8: Geschlechterverteilung je Altersgruppe 2009-2011


Abbildung 9: Geschlechterverteilung, 18 bis unter 31a, 2009-2011

Eine weitere Auffälligkeit ist bei der Geschlechterverteilung anzumerken: Je jünger Wohnungslose sind, desto ausgeglichener das Geschlechterverhältnis der spezifischen Altersgruppe.


4.2. Zahlen P7 – Wiener Service für Wohnungslose


Abbildung 10: Altersverteilung NächtigerInnen 2011

Die Altersverteilung der von P7 vermittelten NächtigerInnen in Nachtquartiere der Wohnungslosenhilfe weist eine ähnliche Verteilung der Altersgruppen auf wie jene der AntragstellerInnen bei bzWO. Die Gruppe der unter 26-Jährigen stellen bei den Statistiken 25% der Gesamtgruppe der jeweiligen Gruppe (d. h. NächtigerInnen oder AntragstellerInnen vgl. Seite 5).


Abbildung 11: Altersverteilung NächtigerInnen 2009-2011

Es zeigt sich weiters, wie bereits bei den bzWO Graphiken angeführt, dass sich die Gruppe der jungen Wohnungslosen mittlerweile auf ein stabiles Niveau eingependelt hat. Jedoch ist das Niveau der anteiligen Gruppen äußerst hoch, welches im Vgl. zur allgemeinen Verteilung der Wiener Bevölkerung überproportional erscheint.


Abbildung 12: Geschlechterverhältnis NächtigerInnen 2011

Wiederum bestätigt sich: Je jünger die Personengruppe, desto ausgeglichener das Geschlechterverhältnis in der jeweiligen Altersgruppe. (vgl. Seite 7f)


Abbildung 13: Alter- und Geschlechterverteilung KlientInnen P7

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Verteilung der Geschlechter auch durch die Angebotslage geprägt ist. Frauenspezifische Nachtquartiere stehen in einem geringeren Maß zu Verfügung, d. h. Frauen können auch nur durch die ihnen zur Verfügung gestellten „Plätze“ sichtbar gemacht werden.


Abbildung 14: Geschlechterverteilung unter 31a KlientInnen P7


4.3. Zahlen HG 7


Abbildung 15: BewohnerInnenvertelung HG7

Darüber hinaus zeigt sich beispielsweise im HG7, dass bei der BewohnerInnenverteilung die Frauen in der Altersgruppe der unter 25-Jährigen sogar den überwiegenden Teil der BewohnerInnen bilden.

Weiters lässt sich besonders bei den jungen Frauen eine sehr kurze Verweildauer gegenüber der durchschnittlichen Verweildauer der gesamten HausbewohnerInnen des HG7 erkennen.

Die Gründe hierfür sind ebenfalls vielschichtig, doch zeigt sich die Schnelllebigkeit des jungen


Abbildung 16: Mittelwert Verweildauer in Tagen

Klientels beispielsweise auch in der Erhebung der Wohnvergangenheit vor dem 18. Geburtstag bei den KlientInnen des JUCA sowie den NächtigerInnen von a_way.


4.4. Erhebung der Wohnvergangenheit JUCA/a_way
Immerhin 204 Personen von 762 der Befragten, das sind ca. 27% Prozent, gaben an, zumindest einmal vor Erreichung der Volljährigkeit auf der Straße bzw. in Notunterkünften übernachtet zu haben. Darüber hinaus ist der häufige Wechsel von Bezugspersonen sowie Wohnorten deutlich erkennbar; stabile und dauerhafte Beziehungen scheinen bei den Befragten nur selten vorhanden zu sein.


Tabelle 1: Wohnvergangenheit JUCA/a_way


4.5. Zahlen MA 11, Jugendwohlfahrtsbericht
Grundlegend ist festzuhalten, dass 17% der Wiener Bevölkerung minderjährig ist. Im Berichtsjahr 2010 befanden sich ca. 9000 Minderjährige in einer Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers, das sind ca. 3% der minderjährigen Bevölkerung Wiens. Davon wurden 490 Minderjährige aus der vollen Erziehung entlassen. Leider wird im Jugendwohlfahrtsbericht nicht über die Gründe der Beendigung der Maßnahme berichtet bzw. gibt es keine Angaben, wohin die Minderjährigen entlassen wurden.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Möglichkeit der Verlängerung einer Maßnahme über die Volljährigkeit hinaus von den Bundesländern unterschiedlich häufig angewendet wird.


Abbildung 17: verlängerte Maßnahmen über Volljährigkeit, Stichtag 31.12.2010


5. Zielgruppendefinitionen
In der Arbeitsperiode 2009/2010 hat die AG Junge Wohnungslose die Gruppe der 17- bis 19-Jährigen und den Übergang MAG11/WWH genauer unter die Lupe genommen und daraus 4 Zielgruppen mit Unterstützungsbedarf definiert.


5.1. Gruppe 1
Jugendliche, die bis zum Erreichen ihrer Volljährigkeit in voller Erziehung der MAG11 untergebracht waren und die im Sinne einer geplanten Verselbständigung von der MAG11 für Gemeindewohnungen befürwortet werden, haben häufig Gefährdungspotential durch:

Bei einer Entlassung aus der MAG11 in eine eigene Wohnung fehlen den Jugendlichen nicht nur Kontakte zu Erwachsenen als Bezugspersonen und „Reibungsmöglichkeit“, wie es auch einer „normalen“ Sozialisation im Familiensystem entspricht, sondern soziale Kontakte und Netzwerke an sich. Es droht die Vereinsamung in der eigenen Wohnung, die oft durch eine fehlende Tagesstruktur noch zusätzlich verstärkt wird.

Wenn beim Einzug in die Wohnung ein noch aufrechtes Dienstverhältnis besteht, ist dies keine Garantie für eine dauerhafte Finanzierbarkeit der Wohnung. Sobald Jobverlust oder ein anderes gravierendes Problem eintreten, wird die Überforderung mit der Alleinverantwortung sehr schnell sichtbar. Viele Jugendliche wissen nicht, welche Schritte sie bei Arbeitslosigkeit oder Zahlungsschwierigkeiten unternehmen müssen bzw. welche Ansprüche sie haben und sind der eigenständigen Wahrnehmen von Behördenwegen nicht gewachsen.


5.2. Gruppe 2
Jugendliche aus relativ bürgerlichen Familien, deren Eltern sich entweder nicht mehr kümmern wollen oder können:

In Einzelfällen kann es auch bei der Gruppe der sogenannten „bürgerlichen Jugendlichen“ einen sehr wohl zu berücksichtigenden Suchthintergrund geben, oft wird der Substanzenkonsum und die Inanspruchnahme der Angebote des Sozialsystems als Abenteuer gesehen und führt damit zu sehr risikoreichem Verhalten – in solchen Fällen kann sich die Betreuung als weitaus aufwändiger als erwartet herausstellen.


5.3. Gruppe 3
Jugendliche, bei denen die MAG11 keine realistische Verselbständigung sieht und aufgrund von Multiproblemlagen ein adäquates Angebot fehlt:

In manchen Fällen wird das Betreuungsverhältnis kurzfristig über das 18. Lebensjahr hinaus verlängert, z. B. bis zum Präsenzdienst. Gibt es keine realistische Verselbstständigung, werden viele mangels Alternativen zu ihren Eltern entlassen (2008 sind es 46 Jugendliche) (vgl. Proprenter 2009) oder es gibt keine statistisch zuordenbare Entlassung bzw. eine direkte Entlassung in die Wohnungslosigkeit – die Zahlen 2008 beziehen sich diesbezüglich auf eine Anzahl von 14 Jugendlichen. (vgl. Proprenter 2009)


5.4. Gruppe 4
Jugendliche und junge Erwachsene, die sowohl von der MAG11 (Angebote können von Betroffenen nicht angenommen werden) als auch von der Wiener Wohnungslosenhilfe (keine adäquate Unterbringungsmöglichkeit) schwer zu fassen sind:

Die AG Junge Wohnungslose geht davon aus, dass diese Jugendlichen (im Alter von 16,5 bis 20 Jahren) in keiner stabilisierenden Grundversorgung und Betreuung sind, sondern sich durch ihre Wohnungslosigkeit gezwungen sehen, Zwangsgemeinschaften einzugehen.

Teile dieser Gruppe haben einen Migrationshintergrund, der es ihnen erschwert, sich ans soziale Hilfswerk zu wenden. Bisher kennt man diese Jugendlichen aus Einrichtungen wie dem a_way. Sie sind in Krisenzentren der MAG11 durch ein Abbrechen der Betreuung aufgefallen und werden auch von mobilen Einrichtungen wie dem VWS-Streetwork, Help-U oder der Polizei wahrgenommen.

Niederschwellige Einrichtungen (wie z. B. a_way od. In_go) werden angenommen, es fehlt jedoch an einer altersübergreifenden, niederschwelligen Einrichtung für eine längere Unterbringung sowie an Tagesstrukturangeboten.


6. Lösungsansätze und Ideen aus den Erfahrungen der AG Junge Wohnungslose
6.1. Ambulante Wohnbetreuung in der eigenen Wohnung
Eine Erfahrung der MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe ist, dass immer wieder junge Menschen in den Einrichtungen anzutreffen sind, die bereits eine Gemeindewohnung hatten, u.a. nach einer Befürwortung durch die MAG11. Wenn diese nach einiger Zeit die Wohnung wieder verlieren und in der Wohnungslosenhilfe landen, haben sie zusätzlich zu den persönlichen Faktoren, die zum Wohnungsverlust geführt haben (z. B. Sucht, psychische Probleme ...), meist noch beträchtliche Schulden bei Wiener Wohnen und Wien Energie. Ihre Ausgangslage hat sich somit massiv verschlechtert und eine neuerliche Integration in ein geregeltes Leben, über den Umweg Wohnungslosenhilfe, wird erheblich erschwert und verursacht zusätzliche Kosten für das Sozialsystem.

Zusammengefasst ist eine Überforderung mit der Alleinverantwortung, der Selbständigkeit, der fehlenden Tagesstruktur und der Finanzierung der Wohnung erkennbar. Aus diesen Gründen ist es aus Sicht der Arbeitsgruppe wichtig, eine ambulante Nachbetreuung in der eigenen Wohnung bzw. Gemeindewohnung nach einer Befürwortung, ähnlich dem „housing first Ansatz“, anzubieten. Geht es doch darum ein nachhaltiges Angebot zu schaffen, das gleichzeitig kostenminimierend, nachhaltig und effizient ist.

Die AG sieht es grundsätzlich als sinnvoll an, jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten in einer eigenen Wohnung zu wohnen. Dies ist auch meist ihr großer Wunsch und diese positive Motivation gilt es zu nutzen, um die jungen Menschen bei einem langfristigen Wohnungserhalt zu unterstützen.

Dabei sollte aus Sicht der Arbeitsgruppe auf eine klare Trennung von der MAG11 Betreuung und der „Erziehungsmaßnahme“ geachtet werden. Ziel dieses Angebotes ist es, mit Hilfe eines individuellen Betreuungsplans die Verselbständigung der Jugendlichen zu fördern bzw. bei Gruppe 2 möglichst viel Selbständigkeit zu erhalten. Nach Betreuungsende sollte der Mietvertrag an die Jugendlichen übergehen, sodass keinesfalls eine neuerliche Übersiedlung notwendig wird.

Ziele der Betreuung sind:


6.2. Schnittstelle, geregelter Übergang MAG11/WWH
Vor allem für die Gruppe 3 wäre eine Schnittstelle bzw. Vernetzung der MAG11 mit der WWH hilfreich, die frühzeitig Initiativen ergreifen könnte, um Obdachlosigkeit infolge der Entlassung aus der Jugendwohlfahrt zu verhindern. Aus Sicht der Arbeitsgruppe sollte eine Früherkennung für Jugendliche, die noch nicht „verselbständigbar“ sind, stattfinden und folglich eine Kontaktaufnahme mit der WWH (z. B. bzWO). Am dringlichsten ist es, einer Entlassung aus den MAG11 Einrichtungen ohne Perspektive und somit einer Entlassung auf die Straße oder ins konfliktbeladene Elternhaus vorzubeugen. In diesem Sinne wäre es auch wichtig, falls die Überführung mit dem 18. Geburtstag nicht per Stichtag möglich ist, den Erziehungsauftrag kurzfristig zu verlängern, bis der Platz in einer Übergabeeinrichtung gefunden wurde und dieser tatsächlich beziehbar ist.


6.2.1. Kooperation JUCA
Seit Herbst 2008 besteht eine Kooperation zwischen der MAG11 und dem JUCA (Caritas Wien). Diese ermöglicht es Jugendlichen nach der Beendigung der MAG11 Unterbringung (18. Geburtstag) direkt ins JUCA zu übersiedeln, ohne in die Wohnungslosigkeit entlassen zu werden.

Insgesamt gab es seit 2009 5-8 Direkteinzüge pro Jahr aus der MAG11 ins JUCA, wobei die Zahl der Anfragen immer deutlich höher war. Einige Personen die angefragt haben, tauchten allerdings später wieder übers P7 im Notquartier auf und landeten schließlich über Umwege doch im JUCA.

Auffallend ist auch, dass in den letzten beiden Jahren mehr Frauen als Männer Anfragen stellten und dass der Anteil der Frauen, die tatsächlich einziehen, ca. gleich hoch ist wie der der Männer.

Insgesamt kann man, sowohl in der Abklärungsphase vor dem Einzug ins JUCA als auch anschließend in der Betreuung, einen sehr intensiven Betreuungsbedarf und kaum vorhandene Selbständigkeit (z. B. bei den Behördenwegen zur Einkommenssicherung oder der Geldverwaltung) bei den direkt eingezogenen Jugendlichen erkennen.


6.3. Niederschwellige Wohneinrichtung für junge Wohnungslose
Insbesondere für die Gruppe 4, in der Altersgruppe der 16-25-Jährigen, fehlt aus Sicht der Arbeitsgruppe nach wie vor eine niederschwellige Wohneinrichtung.

Wichtig ist dabei vor allem ein 24h-Angebot und somit eine klare Abgrenzung zu einem Notquartier. Die Unterbringung in Einzelzimmern und eine gemischtgeschlechtliche Besetzung der Einrichtung entsprechen ebenso der Lebenswelt der Altersgruppe, d. h. auch ein Paarzimmer-Angebot.

Die Unterbringungsdauer sollte längerfristig sein, bis zu 2 Jahren, mit dem Ziel eine Stabilisierung der momentanen Lebenssituation, dem Vertrauensaufbau zum Hilfssystem und eine Betreuungsbereitschaft der jungen Menschen zu erreichen. Dazu ist aus Sicht der Arbeitsgruppe auch ein konsumtolerierender Zugang notwendig.

Wenn der Einstieg in Phasen stattfindet, kann in dieser Zeit der Einzug vorbereitet werden und zur Einrichtung und dem Betreuungspersonal Vertrauen aufgebaut werden.

Tagesstrukturangebote und Zuverdienstmöglichkeiten auf freiwilliger und niederschwelliger Basis vor Ort sind aus Sicht der Arbeitsgruppe als zusätzliches Angebot ebenso wichtig.


Literatur
AG Junge Wohnungslose (2008): Junge Wohnungslose in Wien, Grundlagenpapier (Arbeitspapier). Wien.
AG Junge Wohnungslose (2010): Neue Ansätze am Übergang in die Wohnungslosenhilfe (Arbeitspapier). Wien.
Permien, Hannah; Zink, Gabriela (1998): Endstation Straße? Straßenkarrieren aus der Sicht von Jugendlichen. München.
Proprenter, Silke (2009): Verselbständigung im Rahmen der Jugendwohlfahrt – Mögliche Wege für Jugendliche und junge Erwachsene am Beispiel Wien. Diplomarbeit FH Campus Wien.
Jugendwohlfahrtsbericht 2010. Online unter: http://www.bmwfj.gv.at/Familie/Jugendwohlfahrt/Documents/AA%20-%20Statistik%202010.pdf (download am 17.2.2012).
Jahresdurchschnittsbevölkerung 2010 nach Alter und Bundesland. Online unter: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_alter_geschlecht/index.html (download am 14.2.2012).
Ad Kapitel 4.1.: alle Zahlen zur Verfügung gestellt von FSW Berichtswesen und Entwicklung.


Antragsteller bzWO:
Quelle 2009 und 2010: Verwaltungsliste bzWO Stand 14.3.2011
2009: n (gültige Angaben): 2577, missing (keine gültigen Geburtsdaten): 88
2010: n (gültige Angaben): 3313, missing (keine gültigen Geburtsdaten): 21
Quelle 2011: Verwaltungsliste bzWO Stand 17.1.2012
n (gültige Angaben): 3437, missing (keine gültigen Geburtsdaten): 22
Fehlende Angaben zu Geschlecht wurden hochgerechnet; in Einzelfällen Antragserfassung von Förderbeteiligten.


Personen bei Einzug in eine Einrichtung des Übergangs- und Dauerwohnens nach Alter:
Quellen 2009 und 2010: anerkannte Einrichtungen und neunerHAUS Hagenmüllergasse: EDVneu Stand 24.5.2011; Objektförderungen wwo: BOSnet Stand 5.5.2011; andere Projekt- und Objektförderungen: BADO Bestandsdaten
2009: n (gültige Angaben): 2298; Anmerkung: rund 140 Personen fehlen in der Statistik aufgrund fehlender Daten, dies betrifft fast auschl. 2009
2010: n (gültige Angaben): 3042, missing: 1
Quellen 2011: anerkannte Einrichtungen, neunerHAUS Hagenmüllergasse und Objektförderungen wwo: EDVneu Stand: 10.2.2012; andere Projekt- und Objektförderungen: BADO Bestandsdaten
2011: n (gültige Angaben): 3314, missing: 2
Fehlende Angaben zu Geschlecht wurden hochgerechnet.


Über die TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe
Werner Brader (a_way, Caritas)
Julia Broz (Frauenwohnzentrum, Caritas)
Karl Donhauser (JUCA, Caritas)
Andrea Fichtinger-Müllner (JUCA, Caritas)
Eveline Holzmüller (MAG11)
Clemens Hrobsky (Haus Gänsbachergasse, wieder wohnen)
Henrike Huber (Haus Siemensstraße, wieder wohnen)
Michael Langwiesner (FSW)
Marcel Ritter von Maravic (Gruft, Caritas)
Nina Rosinger (Haus Johnstraße, axxept, wieder wohnen)
Martina Saygili (Kinder- und Jugendanwaltschaft)
Reinhard Sutrich (Haus Sama, ASBÖ)
Hannah Swoboda (JUCA, Caritas)
Barbara Trsek (Haus Gänsbachergasse, wieder wohnen)
Stephan Waldner (P7, Caritas)
Daniela Wieshofer (JUCA, Caritas)