soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 9 (2013) / Rubrik "Rezensionen kurz" / Standortredaktion Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/269/440.pdf


Wirth, Jan V. / Kleve, Heiko: Die Praxis der Sozialarbeitswissenschaft. Eine Einführung. 3., korrigierte Auflage. Schneider Verlag Hohengehren. Baltmannsweiler 2013.


218 Seiten / EUR 18,50

Es kann als Indiz für erhebliche Nachfrage angesehen werden, wenn ein Einführungswerk bereits die dritte Auflage erlebt. Offensichtlich ist es den beiden Autoren gelungen, die Bedürfnisstruktur einer breiten Fachöffentlichkeit zu stimulieren, darunter vermutlich viele Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit, für die das Buch geschrieben wurde.

Wirth und Kleve sind beide als Lehrende der Sozialarbeitswissenschaft tätig und wissen daher, wovon sie sprechen, wenn sie die „Praxis der Sozialarbeitswissenschaft“ in den Blick nehmen, ein Thema, das ihnen besonders am Herzen liegt, weil sie es bis dato vernachlässigt sehen. Es geht ihnen um die Frage, „ob und wie die Sozialarbeitswissenschaft so handhabbar gemacht werden kann, dass sie zur Bewältigung des Alltags in sozialarbeiterischen Interaktionen bzw. Organisationen sowie in Hochschulen brauchbar und leicht umzusetzen ist.“ (S. 11)

Dieses Vorhaben versuchen die Autoren in sechs Kapiteln, allesamt als Lerneinheiten vorgeschlagen, zu realisieren. Sie beginnen, durchaus überraschend, mit der Vorstellung des Konzepts der alten philosophischen Tugend des Staunens, das es wiederzuerlangen gelte, um die Unwahrscheinlichkeit des Gegenwärtigen entdecken zu können – angeleitet durch die vier Strategien Nichtwissen, Kontextwechsel, Möglichkeitssinn und funktionale Methode, kurz: in der Fähigkeit, sich selbst und seine Wahrnehmung zu „ent-normen“.

Die weiteren Lerneinheiten sind dann dem Kritisieren, Reflektieren, Systematisieren und Analysieren und zuletzt dem Erleben gewidmet.

Im abschließenden Kapitel formulieren sie „ZWÖLF THESEN zur Genese der Sozialarbeitswissenschaft aus der Gestalt der Sozialarbeitspraxis“, die, inspiriert von einem postmodernen Theorieverständnis, wie es etwa durch Wolfgang Welschs Konzept der transversalen Vernunft repräsentiert wird, auf das sich die Autoren beziehen, zum Ausdruck kommt. Postmoderne Sozialarbeit müsse sich entschieden für die Vielfalt und Differenz öffnen und auch für sie streiten. Gefordert wird also eine streitbare Sozialarbeitswissenschaft, die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession und als Verteidigerin der Pluralität menschlicher Lebensweisen verstehen sollte.

Das Einführungswerk bietet, folglich auch postmoderne ästhetische Praxis inszenierend, in den Lerneinheiten logisch konsequent textstrukturelle Vielfalt: Werkstattnotizen der beiden Autoren stehen neben praxisnahen Übungen, Exkurse zur Theorie der Sozialen Arbeit am Beispiel der Psychoanalyse, Systemtheorie, Lebensweltorientierung und Sozialraum-orientierung finden sich neben Unterabschnitten zur Ideologie, Supervision oder zum stets virulenten Theorie-Praxis-Verhältnis.

Jan V. Wirth und Heiko Kleve gelingt mit ihrem Buch ein seltenes Kunststück: die Publikation eines strukturierten Sammelsuriums mit Anspruch, das zugleich Lesefreude und Reflexionslust erzeugen kann, ohne die Feldhaftung zu verlieren. Man ist daher geneigt, dem Buch weitere Auflagen zu wünschen.

Robert Riesinger / robert.riesinger@fh-joanneum.at