soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 9 (2013) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standortredaktion Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/270/444.pdf


Anter, Andreas: Theorien der Macht zur Einführung. Hamburg. Junius Verlag 2012.


171 Seiten / 14,30 EUR

Biebricher, Thomas: Neoliberalismus zur Einführung. Junius Verlag 2012.


228 Seiten / 15,40 EUR

Lessenich, Stephan: Theorien des Sozialstaats zur Einführung. Junius Verlag 2012.


187 Seiten / 14,30 EUR


Der Junius-Verlag publiziert seit einigen Jahren in seiner 1978 gegründeten und seitdem überaus bewährten Reihe Zur Einführung nicht mehr nur Monographien über das Werk von AutorInnen, sondern auch verstärkt themenorientierte Bände. 2012 sind drei für die Belange der Sozialen Arbeit interessante Einführungen veröffentlicht worden: Der an der Universität Leipzig lehrende Politikwissenschaftler Andreas Anter präsentiert „Theorien der Macht“; Thomas Biebricher von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main widmet sich dem „Neoliberalismus“; der Soziologe Stephan Lessenich von der Friedrich-Schiller-Universität Jena reflektiert über „Theorien des Sozialstaats“.

In Summe ergibt die Lektüre als Gesamtpaket einen kompakten und fundierten Überblick über die behandelten Themengebiete, die nicht zuletzt in ihrer inhaltlichen Verschränktheit zentrale Fragen und Problemstellungen der Sozialarbeitswissenschaft berühren.

So widmet sich Andreas Anter in sieben Kapiteln den ‚üblichen Verdächtigen‘, wenn über Macht und Machtbegriffe nachgedacht wird. Nach einem kurzen Rekurs auf antike und frühmoderne Positionen (Thukydides, Machiavelli, Hobbes) wird das Verhältnis von Macht und menschlicher Natur am Beispiel der Arbeiten von Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche und John Acton untersucht. Im Zentrum der Einführung stehen allerdings dann die grosso modo lesenswerten Kapitel zu Max Weber, Heinrich Popitz, Hannah Arendt, Michel Foucault und Niklas Luhmann. Anter macht keinen Hehl daraus, dass seine Sympathie dabei der Machtsoziologie von Popitz gilt, dessen vier anthropologische Grundformen von Macht – Aktionsmacht bzw. Verletzungsmacht; instrumentelle Macht; autoritative Macht; datensetzende Macht – gewissermaßen dann das eigentliche Epizentrum seiner Einführung bilden. Damit ist auch ein Klärungsversuch verbunden, Macht und Herrschaft begrifflich auszudifferenzieren, was in vielen anderen Fällen sträflich versäumt wird. Macht, so scheint es, ist dabei „ein unausweichliches, konstantes Element menschlichen Handelns und menschlicher Beziehungen“ – und dies eint die unterschiedlichen Positionen, wie Anter abschließend resümiert (134).

Wer sich einen raschen Überblick über die Diskussion zum sogenannten Neoliberalismus, einem heterogenen und umstrittenen Phänomen, verschaffen will, dem sei die Einführung von Thomas Biebricher empfohlen. Sie bietet nicht nur kompakte Informationen zu den theoretischen Grundlagen des Neoliberalismus, sondern verortet auch seine gesellschaftliche Umsetzung seit den 1970er Jahren, beginnend als realpolitisches Projekt in Südamerika zu Zeiten der Pinochet-Diktatur in Chile. Im kürzeren, letzten Teil des Bandes kommen auch KritikerInnen aus den Sozialwissenschaften an Hand der Leitfrage des Regierens zu Wort: Governance-Forschung, Gouvernementalitätsperspektive (inspiriert von Vorlesungen des späten Michel Foucault) und Kriminalitätsforschung (Loic Wacquant versus Gary Becker) sorgen für ein vertiefteres Verständnis der Auswirkungen neoliberaler Regierungsformen. Im Schlusskapitel stellt Biebricher dann die Frage, ob der Neoliberalismus aufgrund der Finanz- und Bankenkrise bereits vom Post-Neoliberalismus abgelöst worden sei. Zusätzliche Güte kommt dem Band durch die Auswahlliteratur, die sich auf Essenzielles beschränkt, und dem Glossar mit zentralen Begriffen zu.

Stephan Lessenichs Einführung zu „Theorien des Sozialstaats“ schließlich kann getrost zur Pflichtlektüre für Studierende und Akteure der Sozialen Arbeit nobilitiert werden. Weniger allerdings aufgrund des lesbaren Textniveaus, das dem Autor für eine Einführung zu anspruchsvoll geraten ist, sondern mehr wegen des formidablen kritischen Reflexionsniveaus. In Durkheimscher Tradition versteht Lessenich den Sozialstaat als „soziale Tatsache, sprich sozial vermittelte und daher notwendig dynamische, in stetem Wandel begriffene Tatsache – was die gesellschaftlichen Sinnsetzungen seiner Institutionen angeht ebenso wie hinsichtlich der jeden Menschen jederzeit erfahrbaren Sinnlichkeit seiner Interventionen.“ (17) Davon ausgehend beschreibt und reflektiert er, worum es im Sozialstaat geht wie etwa Normalisierung, Umverteilung, Sicherung, Integration und Stabilisierung, aber auch um Ordnung, Wissen und Macht, was ihn treibt wie Funktionen, Interessen, Institutionen, Geschlechterverhältnisse und Ideen, und letztlich wohin er sich bewegt: in Richtung Ökonomisierung, Defamilialisierung, Remoralisierung und Internationalisierung. In all diesen (Sub-)Kapiteln verzichtet Lessenich nicht auf den Anspruch, nicht weniger zu bewerkstelligen, als den Sozialstaat neu zu (über-)denken. Ein Unterfangen, das in Teilen auch Züge eines Einführungswerks trägt, die aber dennoch nur den theoretischen Hintergrund für immer wieder überraschende Reflexionsfiguren bilden, so etwa wenn er drei Hauptthesen zum Verhältnis des Sozialstaats zur gesellschaftlichen Ordnung, zu Wissenspolitiken und zu Machtkonstellationen entfaltet.

Insgesamt ist dem Buch anzumerken, dass es aus Teilen bereits veröffentlichter Texte zusammengesetzt wurde, ein Umstand, den Lessenich selbstironisch und etwas forsch als „Selbstplagiat“ bezeichnet. Lesenswert ist es aber allemal.

Robert Riesinger / robert.riesinger@fh-joanneum.at