soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 10 (2013) / Rubrik "Rezensionen lang" / Standort Vorarlberg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/298/499.pdf


Klar denken und fragen


Dobelli, R. (2011): Die Kunst des klaren Denkens. München: Hanser.


246 Seiten / 14,90 EUR

In der Wahrnehmung der Umwelt, der Mitmenschen und der eigenen Person irrt der Mensch – und zwar häufiger als er meint. Sei es der voreilige Induktionsschluss, bei dem Beobachtetes zu falschen Regelsätzen führt. Sei es, dass überteuerte Ware gekauft wird, nur, weil einem der Verkäufer sympathisch ist – obwohl dieselbe Ware woanders preisgünstiger zu erwerben wäre. Sei es der Irrtum, künftige Entwicklungen aus vergangenen prognostizieren zu wollen. Oder sei es der Hang des Menschen, Eigenverantwortung um so mehr einzuschränken, je leichter er sich in der Masse „verstecken“ kann. Rolf Dobelli seziert in knapper, anschaulicher und humorvoller Art 52 häufige Denkmuster, die uns zu Trugschlüssen und irrationalen, weil weniger effektiven, überteuerten oder sogar schädlichen Handlungen verleiten. Der Autor bezieht seine Beispiele aus den Humanwissenschaften, vornehmlich der Psychologie, Philosophie und Betriebswirtschaft. Er nennt die darin verdeutlichten Denkfehler „systematisch“, weil sie eben nicht nur einmalig auftreten, sondern Denken und Handeln regelmäßig nach derselben Schablone negativ beeinflussen können, zumindest solange wir nicht die eigene Denkschablone kritisch hinterfragen. In der Forschung werden derartige Verzerrungen der Realität als „Bias“ bezeichnet. Dass wir potenziell derart vielen verzerrenden kognitiven und sozialen Mechanismen unterliegen, mag vor der Lektüre dieses Bands kaum bewusst gewesen sein. Selbst danach ertappe ich mich manchmal bei einer Überlegung wie der folgenden: ‚Begehe ich jetzt den Attributionsfehler oder nicht?’ Wie gut, dass ich dann die drei Seiten kurz nachlesen kann, auf denen mich der Autor über dieses irreleitende Denkmuster aufklärt.


Gigerenzer, G. (102013): Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Berlin: Berlin Verlag.


406 Seiten / 12,99 EUR

Gegner von Aberglauben und unbegründeter Alltagsmythen (zum Beispiel über die spezifischen Wirkungen, die dem Vollmond zugeschrieben werden) haben bereits vor längerer Zeit das Journal „Sceptical Inquirer“ gegründet (siehe: http://www.csicop.org/si/). Darin sind Studien publiziert, die paranormale und angeblich übernatürliche Phänomene mit probaten Wissenschaftsmethoden skeptisch hinterfragen – und widerlegen. Im deutschen Sprachraum ist hierfür der Verein „Die Skeptiker“ bekannt (siehe: http://www.gwup.org/). Beiden Gruppierungen, wie auch dem oben vorgestellten Buch, ist das Anliegen gemein, über vorschnelles oder auf Fehlinterpretation beruhendes Urteilen aufzuklären und stattdessen die soziale und gegenständliche Welt mit evidenzbasiertem Blick zu betrachten.

Gerd Gigerenzer, international renommierter Psychologe und Direktor des Berliner Max Planck Instituts für Bildungsforschung, steht für diese wissenschaftliche Tradition. Auf seine umfangreichen Wahrnehmungsstudien ist z. B. zurückzuführen, dass medizinische Risiken auf Beipackzetteln nicht mehr in Prozentwerten (relatives Risiko), sondern in natürlichen Häufigkeiten (absolutes Risiko) angegeben werden, was uns befähigt, sie realistischer einzuschätzen. So macht es einen Wahrnehmungsunterschied, wenn die Information z. B. lautet: „In 0,1% der Fälle können schwere Leberschäden auftreten“, oder wenn geschrieben steht: „Bei einem von 1.000 Patienten können schwere Leberschäden auftreten“. Die zweite Formulierung ist besser zu verstehen und zu verarbeiten.

Doch das ist nicht der Schwerpunkt des vorliegenden Buchs. Er besteht vielmehr darin, der Leserschaft ein kritischeres Zahlenverständnis nahezubringen. Anhand eigener Studien und etlichen Beispiele aus Medizin, Beratung und Forensik vermittelt der Autor die Kompetenz, Lebensrisiken realistischer als zuvor einzuschätzen und Hinweise – durchaus anerkannter – Fachleute nicht vorschnell und ungeprüft als „bare Münze“ hinzunehmen, weil Risiken oft geringer sind, als mündliche oder schriftliche Aussagen suggerieren. Durch emotional stark besetzte Beispiele gelingt es dem Autor, uns zu fesseln und seine Logik der (Zahlen-)kritik nachzuvollziehen: Wie hoch ist das Risiko, tatsächlich HIV-infiziert zu sein, wenn ein positiver HIV-Test vorliegt? Wie hoch ist das Risiko für eine Frau, Brustkrebs zu bekommen, wenn sie der Risikogruppe angehört? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Männer, die ihre Ehefrauen verprügeln, diese später irgendwann ermorden? Diese und andersgeartete Fälle löst Gigerenzer durch evidenzbasierte Zahlenkritik auf. Er belegt, wie häufig und weit verbreitet sogar Richter/innen, Mediziner/innen, Psychologen/Psychologinnen und Vertreter/innen anderer Professionen irren, wenn sie bei Gerichtsverhandlungen oder in Beratungssituationen anhand vorliegenden Zahlenmaterials Risikowahrscheinlichkeiten abschätzen. Das Buch wäre kein Aufklärungsbuch, bekäme die Leserschaft nicht auch die – darin mehrmals unterbreitete – Methode an die Hand, derartige Risiken durch Analyse und Visualisierung „natürlicher Häufigkeiten“ korrekt einzuschätzen. Sapere Aude!


Faulbaum, F. / Prüfer, P. / Rexroth, M. (2009): Was ist eine gute Frage? Die systematische Evaluation der Fragenqualität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


264 Seiten / 19,99 EUR

Fragen fragen. Uns. Die Frage ist nur, ob sie in passender Form gestellt werden, wenn das herauskommen soll, was Fragende mit ihnen zu erkunden bezwecken. „Was ist eine gute Frage?“ ist eine gute Frage. Sie ist offen gestellt und bietet reichlich Platz, subjektive Perspektiven einzubringen. Schlechtere Fragen – wie die AutorInnen sie breit präsentieren, begründen und optimieren – können etwa lauten: „Wie oft sind Sie in den letzten zwölf Monaten mit mehr als 0,5 Promille Alkohol im Blut Auto gefahren?“, oder: „Sind sie begeisterungsfähig und können andere leicht mitreißen?“ Das Buch wendet sich in erster Linie an Personen, die standardisierte Umfragen erstellen. Nach einem breiten Grundlagenteil über Fragetypen, Fragenqualität und die systematische Evaluation von Fragen stellten die AutorInnen ihre selbstentwickelte FBS-Checkliste vor, mit der eigene Konstrukte kritisch geprüft werden können. Neben hilfreichen kommentierten Beispielen von verzerrenden Frageformulierungen und Antwortkategorien sowie breiten Verbesserungsvorschlägen überzeugt das Methodenbuch durch ebendiese Checkliste. Sie kann als Evaluationsinstrument für die externe Prüfung eines vorhandenen Instruments ebenso verwendet werden, wie als Katalog, der einem bereits bei der Erstellung eines standardisierten Fragebogens hilft, grundlegende Fehler zu vermeiden. Noch Fragen offen?

Frederic Fredersdorf / frederic.fredersdorf@fhv.at