soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 11 (2014) / Rubrik "Sozialarbeitswissenschaft" / Standort Linz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/311/519.pdf
Petra Wagner & Judith Winter:
1. Einleitung
Befasst man sich mit Sexualdienstleistung, so muss zunächst deutlich gemacht werden, dass es sich dabei um einen in unserer Gesellschaft stigmatisierten und zugleich tabuisierten Themenbereich handelt. Dabei geht das Ausmaß der Tabuisierung häufig einher mit der rechtlichen Situation in diesem Bereich. Das bedeutet, dass die Sichtweise in der Gesellschaft auf die Ausübung dieser Tätigkeit in direkter Beziehung mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen steht.
Blickt man auf diese gesetzlichen Rahmenbedingungen in Europa, so zeigt sich, dass es hier kein einheitliches Vorgehen gibt. Die Bandbreite der gesetzlichen Bestimmungen reicht vom absoluten Verbot der Sexarbeit (z. B. in Rumänien) bis zur totalen Legalisierung (z. B. in den Niederlanden). Kavemann (2009) meint in diesem Zusammenhang, dass die Bewertung bezüglich der Freiwilligkeit in der Sexualdienstleistung einen entscheidenden Faktor bei den gesetzlichen Regelungen darstellt. Wird die Sexualdienstleistung als freie Entscheidung der Sexarbeiter_innen anerkannt, so wird eine andere gesetzliche Regelung in einem Land beschlossen werden, als wenn diese Tätigkeit automatisch in Verbindung mit Menschenhandel und Zwangsprostitution und somit Illegalität gebracht wird. Auch die österreichweite Arbeitsgruppe zu Länderkompetenzen in der Prostitution (2012) kommt in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, dass religiöse Werte oder geschlechtsspezifische Vorstellungen von Sexualität die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Prostitution mitbestimmen.
Aber nicht nur in Europa ist eine hohe Variation in den gesetzlichen Bestimmungen zu erkennen, auch innerhalb Österreichs zeigt sich eine diesbezügliche Heterogenität zwischen den einzelnen Bundesländern. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Beitrags, die gesetzliche Lage zur Sexualdienstleistung in Österreich näher zu beleuchten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Analyse des neuen Sexualdienstleistungsgesetzes in Oberösterreich.
Dazu werden aufbauend auf eine Begriffsbestimmung die relevanten Gesetzestexte zur Regulierung der Sexualdienstleistung in den einzelnen österreichischen Bundesländern einer systematischen Analyse unterzogen. Daran anknüpfend werden mit Blick auf das oberösterreichische Sexualdienstleistungsgesetz die Ergebnisse einer Befragung von Expertinnen dargestellt. Alle in diesem Beitrag zitierten österreichischen Bundes- und Ländergesetze sind online unter http://www.ris.bka.gv.at/ abrufbar.
2. Begriffsbestimmung
Als Basis der durchgeführten Analysen werden zunächst die Begriffe (1) Sexualdienstleistung bzw. Sexarbeit sowie (2) Prostitution definiert.
ad 1) Laut dem oberösterreichischen Sexualdienstleistungsgesetz §2 wird unter einer Sexualdienstleistung „die Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper oder die gewerbsmäßige Vornahme sexueller Handlungen“ verstanden. Mit Blick auf die Fachliteratur gelten die Begriffe Sexualdienstleistung bzw. Sexarbeit als Errungenschaft der „Hurenbewegung“ (vgl. Bastian/Billerbeck 2010). Durch die Betonung auf Dienstleistung bzw. Arbeit wird der Fokus auf die Art der Tätigkeit gelenkt. Konkret handelt es sich um sexuelle Dienstleistungen, welche von den Dienstleister_inne_n angeboten und von Kund_inn_en angenommen werden können. Beim internationalen Begriff sex work kommt dies ebenfalls zum Ausdruck (vgl. Indoors 2012). Vor diesem Hintergrund versteht SOPHIE (2007) Sexarbeit ausschließlich als freiwillige sexuelle Dienstleistung von Erwachsenen. Die Arbeitsgruppe Länderkompetenzen Prostitution (2012) wiederum kommt zu dem Ergebnis, dass die Begriffe Sexualdienstleistung bzw. Sexarbeit „die verfolgten Absichten der verbesserten Regulierung und damit auch Professionalisierung der freiwilligen Sexarbeit besser zum Ausdruck bringen“.
ad 2) Im Gegensatz dazu ist der Begriff Prostitution in seinem Bedeutungsumfang weiter gefasst. Er wird aus dem lateinischen Wort prostituere abgeleitet, dies bedeutet übersetzt preisgeben oder zur Schau stellen. Bowald (2012) betont in diesem Kontext, dass der Begriff Prostitution zwar umgangssprachlich Klarheit zu vermitteln scheint, jedoch bei genauerer Betrachtung inhaltlich wesentlich breiter als Sexualdienstleistung gesehen werden kann. Während Sexualdienstleistung den Fokus auf die zu erbringende Dienstleistung legt, wird der Begriff Prostitution auch mit Bildern von Kriminalität, Menschenhandel oder sexueller Ausbeutung in Verbindung gebracht (vgl. Arbeitsgruppe Länderkompetenzen Prostitution 2012). Für SOPHIE (2007) sind in der Begrifflichkeit von Prostitution auch Fälle von Zwang, Ausbeutung, Gewalt oder sexuellem Missbrauch inkludiert.
Obwohl in der Fachliteratur eine klare Abgrenzung zwischen Sexualdienstleistung und Prostitution zu erkennen ist, werden in der österreichischen Gesetzgebung beide Begriffe als Synonyme verwendet und nicht klar voneinander abgegrenzt. Insgesamt wird in diesem Kontext der Begriff Prostitution bevorzugt. Oberösterreich verwendet als einziger Gesetzgeber in Österreich den Begriff Sexualdienstleistung. In Vorarlberg wird auf gesetzlicher Ebene der Begriff gewerbsmäßige Unzucht genannt.
3. Sexualdienstleistung in Österreich
Prostitution als solche ist in Österreich seit 1974 nicht mehr verboten, für männliche, gleichgeschlechtliche Prostitution gilt dies erst seit einer Gesetzesnovelle im Jahr 1989 (vgl. Sadoghi 2005). In Österreich fällt die Sexualdienstleistung in die Kompetenz der Länder. Das erklärt die Existenz von neun verschiedenen Gesetzen zur Sexarbeit in Österreich. Zwei Bundesgesetze, welche die Sexualdienstleistung zusätzlich zu den Landesgesetzen in Österreich regeln und eine Basis für diese darstellen, sind das Geschlechtskrankheiten- sowie das AIDS-Gesetz, welche die Handhabung und den Umgang mit Geschlechtskrankheiten bzw. AIDS beinhalten.
Laut Geschlechtskrankheiten-Gesetz §2 zählen Sexualdienstleister_innen aufgrund ihrer Tätigkeit zu den Personen, bei denen begründet davon ausgegangen werden kann, dass sie geschlechtskrank sind. Darum haben diese sich einer wöchentlichen amtsärztlichen Untersuchung zu stellen. Das AIDS-Gesetz regelt zusätzlich, dass sich Personen, die in der Sexarbeit tätig sind, alle drei Monate einem AIDS-Test zu unterziehen haben. Bestätigt werden diese Untersuchungen in sogenannten Gesundheitsbüchern oder Gesundheitskarten, welche die Sexarbeiter_innen bei Kontrollen vorweisen müssen.
Im österreichischen Strafgesetzbuch (StGB) können folgende inhaltliche Bezüge zur Sexarbeit hergestellt werden: Zuführung zur Prostitution (§215 StGB), Förderung der Prostitution und pornographische Darbietungen Minderjähriger (§215a StGB), Zuhälterei (§216 StGB), grenzüberschreitender Prostitutionshandel (§217 StGB). Alle diese Bestimmungen finden sich im zehnten Abschnitt des StGB unter den strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.
Wie viele Personen von diesen Gesetzen betroffen sind, verdeutlichen Ergebnisse aus dem Frauengesundheitsbericht des Bundesministeriums für Gesundheit (2010/2011). Demzufolge waren mit Stand vom 31.12.2007 in Österreich 5150 Sexdienstleisterinnen registriert, davon weisen 85 bis 90 Prozent Migrationshintergrund auf. Da diese Angaben aus dem Frauengesundheitsbericht stammen, sind männliche Sexarbeiter in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Eine bundesweite Schätzung der nicht registrierten Prostituierten liegt nicht vor. In Österreich sind Sexualdienstleister_innen als „neue Selbstständige“ bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sozialversicherungspflichtig (Bundesministerium für Gesundheit 2010/2011).
Als Basis für die Analyse der gesetzlichen Lage zur Sexualdienstleistung in Österreich gibt Tabelle 1 einen Überblick über die relevanten Gesetzestexte der einzelnen österreichischen Bundesländer. Daraus ist ersichtlich, dass sich bereits in der Benennung der Gesetzestexte deutliche Unterschiede zeigen. Oberösterreich ist das einzige Bundesland, das darin den Begriff Sexualdienstleistung verwendet.
Tabelle 1: Übersicht über die gesetzlichen Grundlagen zur Sexualdienstleistung in den einzelnen österreichischen Bundesländern (verfügbar unter: http://www.ris.bka.gv.at/)
3.1 Analyse der Gesetzeslage in den österreichischen Bundesländern
Die Analyse der Gesetzeslage zur Sexualdienstleistung wurde anhand eines systematischen Vergleichs der Gesetzestexte (siehe Tabelle 1) mit Blick auf die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den österreichischen Bundesländern durchgeführt. Dieser Vergleich erfolgte auf Basis von formalen und inhaltlichen Kriterien (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: Analysekriterien für den Vergleich bezüglich der Gesetzeslage zur Sexualdienstleistung in Österreich
Im Folgenden werden die Ergebnisse des Vergleichs der Gesetzeslage zur Sexualdienstleistung zwischen den einzelnen österreichischen Bundesländern im Detail dargestellt. Als Basis dafür gibt Tabelle 3 einen schematischen Überblick über die Ergebnisse.
Tabelle 3: Ergebnisse bezüglich der Gesetzeslage zur Sexualdienstleistung in Österreich
ad 1) In fünf von neun Bundesländern regelt ein eigenes Prostitutions- bzw. Sexualdienstleistungsgesetz die Bestimmungen zur Ausübung oder Anbahnung von Sexarbeit (siehe Tabelle 3). In vier Bundesländern sind die Regelungen zur Sexualdienstleistung in einem breiten gesetzlichen Kontext gemeinsam mit anderwärtigen Bestimmungen „verpackt“. Im Burgenland ist die Sexdienstleistung im Polizeistrafgesetz enthalten, in Salzburg im Landessicherheitsgesetz, in Tirol im Landespolizeigesetz und in Vorarlberg im Sittenpolizeigesetz (siehe Tabelle 1).
ad 2) Der Umfang der zu regelnden Paragraphen variiert zwischen vier und 21 Paragraphen. Das burgenländische Gesetz weist die wenigsten Paragraphen auf. In Tirol und Niederösterreich ist die Regelung der Sexdienstleistung in sieben Paragraphen festgehalten, gefolgt von Vorarlberg mit acht und Salzburg mit elf Paragraphen. Wesentlich mehr Paragraphen weisen die Bundesländer Kärnten, Wien, Oberösterreich und Steiermark auf (siehe Tabelle 3).
ad 3) Das gesetzliche Mindestalter von Sexdienstleister_inne_n variiert zwischen den einzelnen Bundesländer kaum. Es schwankt zwischen dem vollendeten 18. bzw. 19. Lebensjahr. Nicht in jedem Landesgesetz werden jedoch explizite Angaben über ein gesetzlich geregeltes Mindestalter gemacht, wobei in diesen Fällen von der Volljährigkeit ausgegangen werden kann (siehe Tabelle 3).
ad 4) Laut österreichischem Frauengesundheitsbericht des Bundesministeriums für Gesundheit (2010/2011) waren mit Stand vom 31.12.2007 in Österreich insgesamt 710 Bordelle registriert, diese verteilen sich in einem unterschiedlich hohen Prozentsatz über die einzelnen Bundesländer (siehe Tabelle 3). Aus den Angaben im Frauengesundheitsbericht geht hervor, dass sich der höchste Prozentsatz an registrierten Bordellen in Wien befindet, gefolgt von der Steiermark und Oberösterreich. Wesentlich weniger Bordelle sind den restlichen Bundesländern angesiedelt. In Vorarlberg gab es zum Zeitpunkt dieser Erhebung kein registriertes Bordell.
ad 5) Der Strafrahmen bei Verwaltungsübertretungen gestaltet sich zwischen den Bundesländern sehr unterschiedlich. Konkret wird diese Bandbereite anhand der gesetzlichen Bestimmungen zum Mindestalter von Sexualdienstleister_inne_n aufgezeigt (siehe Tabelle 3). In Wien ist eine Verstoß gegen diese Bestimmung mit den geringsten Strafen bedroht (bis zu 800 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 1.600 Euro). Im Gegensatz dazu ist in Salzburg mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro, im Wiederholungsfall sogar bis zu 20.000 Euro zu rechnen. Der durchschnittliche österreichische Strafrahmen bei dieser Verwaltungsübertretung beträgt rund 4.600 Euro.
ad 6) Allen Bundesländern gemeinsam ist die Regelung von Schutzzonen, das bedeutet einen Mindestabstand von Bordellen oder bordellähnlichen Einrichtungen zu bestimmten Schutzgebäuden wie Kindergärten, Schulen, Jugendzentren oder Kinderspielplätzen.
Eine österreichweite Sonderregel besteht zum Beispiel in Salzburg, wo es offenkundig schwangeren Frauen verboten ist, in der Sexarbeit tätig zu sein. In Vorarlberg gibt es ebenfalls eine einzigartige Regelung. Hier darf eine Bordellbewilligung von der Gemeinde nur gestattet werden, wenn diese geeignet erscheint, durch gewerbsmäßige Unzucht hervorgerufene Störungen einzuschränken. Als derartige Störungen werden laut Verfassungsgerichtshof (2013) Verletzungen des sittlichen Empfindens, Ordnungsstörungen, Lärmstörungen sowie Formen von Begleitkriminalität verstanden. Demnach darf eine Gemeinde eine Bordellbewilligung nur dann erteilen, wenn Mängel dieser Art bereits sichtbar auftreten. Diese gesetzliche Bestimmung trägt u. a. dazu bei, dass in Vorarlberg kein registriertes Bordell angesiedelt ist. Die Regelung der Straßenprostitution und somit ihre Legalität ist wiederum in Wien einzigartig. Oberösterreich schuf eine Sonderregelung durch das Unsafe-Sex-Werbeverbot.
Insgesamt wird anhand dieser Analyse die Heterogenität in der österreichischen Gesetzgebung betreffend Sexarbeit deutlich. Vielfach werden die aktuellen gesetzlichen Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern den gegenwärtigen Problemlagen der Sexarbeit nicht wirklich gerecht, oder sie erschweren bzw. verunmöglichen deren legale Ausübung (siehe z. B. die Bestimmungen in Vorarlberg). Ein Bundesland, das hier im Österreichvergleich eine Vorreiterrolle einnimmt, ist Oberösterreich. Hier ist im Jahr 2012 ein eigenes Sexualdienstleistungsgesetz in Kraft getreten. Dies war Anlass für eine Befragung von Expertinnen bezüglich der Qualität der neuen Gesetzesregelung in Oberösterreich, die Ergebnisse dieser Befragung werden im Folgenden zusammengefasst.
3.2 Befragung zum Sexualdienstleistungsgesetz in Oberösterreich
Die Expertinnenbefragung setzte sich mit den Änderungen im Zuge der Schaffung des neuen Sexualdienstleistungsgesetzes auseinander. Diese Änderungen betreffen insgesamt vier Aspekte: (1) eigenes Sexualdienstleistungsgesetz, (2) Regelung der Hausbesuche, (3) Vertretungsregelung, (4) Unsafe-Sex-Werbeverbot.
ad 1) In Oberösterreich wurde erstmals ein eigenes Sexualdienstleistungsgesetz geschaffen. Zuvor war dieser Bereich, wie in einigen anderen österreichischen Bundesländern, im Polizeistrafgesetz geregelt (siehe Tabelle 1).
ad 2) In §13 wurden erstmals die Hausbesuche gesetzlich geregelt. Zuvor waren diese für Sexdienstleister_innen in Oberösterreich verboten. Durch diese gesetzliche Neuerung wird ein zusätzlicher Arbeitsort für Sexarbeiter_innen legal. Es ist damit auch rechtlich möglich, in Wohnungen (Zimmern) von Kund_inn_en zu arbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass die Kund_inn_en die sexuellen Dienstleistungen ausschließlich für sich in Anspruch nehmen und keine Minderjährigen anwesend sind.
ad 3) Durch die gesetzliche Verankerung der Vertretungsregelung in §9 wurde eine Maßnahme gesetzt, welche im Gegensatz zur Regelung der Hausbesuche die Selbstständigkeit der Sexarbeiter_innen eindämmt. Inhaltlich handelt es sich um die verpflichtende Anwesenheit einer Vertretungsperson, welche in Zeiten der Abwesenheit der betreibenden Person im Bordell oder der bordellähnlichen Einrichtung anwesend sein muss.
ad 4) In §3 ist festgehalten, dass das Bewerben von Sexpraktiken, welche dazu geeignet sind, sexuelle Krankheiten zu übertragen (Unsafe-Sex-Praktiken), verboten ist. Dieses Werbeverbot bezieht sich auf Printmedien, elektronische Medien und Werbeflächen in Bordellen oder bordellähnlichen Einrichtungen.
Ziel der durchgeführten Befragung war es nun, Vor- und/oder Nachteile des neuen Sexualdienstleistungsgesetzes in Oberösterreich aus der Sicht von einschlägigen Expertinnen aufzuzeigen. Die Ergebnisse können als erste Einschätzung der veränderten Situation nach dem Inkrafttreten der neuen Gesetzesregelung im Jahr 2012 gesehen werden.
Die Einschätzung wurde aus Sicht von Sozialarbeiterinnen, welche in Beratungsstellen für Sexarbeiter_innen tätig sind, vorgenommen. Diese sind aufgrund ihrer Beratungstätigkeit als Expertinnen in diesem Bereich anzuerkennen, da sie in ihrer Arbeit täglich mit den Auswirkungen der Gesetze, die die Anbahnung und Ausübung von Sexualdienstleistung regeln, konfrontiert sind. Aufgrund dieser Zielsetzung ergaben sich folgende Interviewfragen:
Konkret befragt wurden Expertinnen von drei Beratungsstellen für Sexarbeiter_innen: (1) LEFÖ, (2) LENA und (3) MAIZ.
ad 1) LEFÖ ist eine Organisation von und für Migrantinnen in Wien und seit 1995 Partnerin von TAMPEP (European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex Workers), einem europäischen Forschungs- und Interventionsnetzwerks.
ad 2) Die Mitarbeiterinnen der Caritas Beratungsstelle LENA in Linz beraten und unterstützen Menschen, die in den sexuellen Dienstleistungen tätig sind oder waren.
ad 3) MAIZ ist ein autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Linz. MAIZ sex & work, ein zentraler Arbeitsbereich des Vereins, setzt sich im Speziellen mit der Thematik der Sexarbeit auseinander.
Die erste Interviewfrage befasste sich mit den etwaigen Vor- und/oder Nachteilen, die mit der Schaffung eines eigenen Sexualdienstleistungsgesetzes hergehen. Dazu wurden von den Expertinnen insgesamt 18 Statements zu den Vorteilen und vier zu den Nachteilen abgegeben (siehe Tabelle 4). Betrachtet man zunächst die absolute Anzahl der Statements zugunsten der Vorteile, so lässt sich der vorsichtige Schluss ziehen, dass von Seiten der Expertinnen die Schaffung eines eigenen Sexualdienstleistungsgesetzes in der Abwägung der Vor- und Nachteile als insgesamt positiv gesehen wird. Inhaltlich werden die Vorteile darin gesehen, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, die Sexarbeit zu entstigmatisieren sowie zu entkriminalisieren. Darüber hinaus werden die Verbesserung der Lebens- und Arbeitswelt sowie generell die Versachlichung der Materie als Vorteile genannt.
Tabelle 4: Vor- und Nachteile zur Schaffung des OÖ SDLG
Die zweite Frage betrifft die Vor- und/oder Nachteile bezüglich der rechtlichen Regelung der Hausbesuche. Zu dieser Frage nannten die Expertinnen insgesamt 14 positive sowie sechs negative Aspekte. Auch hier überwiegt die Anzahl der angegebenen Vorteile im Vergleich zu den genannten Nachteilen (siehe Tabelle 5). Inhaltlich werden die Vorteile vor allem in der höheren Autonomie bezüglich der Ausübung der Tätigkeit gesehen, dazu zählen z. B. eine freiere Zeiteinteilung oder kein Alkoholzwang. Auch wurden die Erweiterung des Arbeitsorts außerhalb von Bordellen bzw. bordellähnlichen Einrichtungen sowie die Legalisierung der Hausbesuche als positiv erachtet.
Bezüglich etwaiger Nachteile der neuen Regelung wurde u. a. angemerkt, dass die Wohnungsprostitution in Oberösterreich weiterhin verboten ist. Dies bedeutet, dass Hausbesuche bei Kund_inn_en zwar erlaubt, jedoch sexuelle Dienstleistung in einer eigens dafür angemieteten Wohnung weiterhin illegal sind. Des Weiteren wurden ein erhöhtes Gefährdungspotential sowie finanzielle Mehrkosten der Sexdienstleister_innen im Kontext von Hausbesuchen als nachteilig erwähnt (siehe Tabelle 5).
Tabelle 5: Vor- und Nachteile zur Regelung der Hausbesuche
Die Frage bezüglich der Vor- und/oder Nachteile zur Vertretungsregelung wurde nur von zwei Beratungsstellen beantwortet. Konkret wurden sieben Antworten zu den Vorteilen dieser Gesetzesänderung und acht zu den Nachteilen angegeben (siehe Tabelle 6). In diesem Fall hält sich die Anzahl der genannten Vor- und Nachteile in etwa die Waage. Für die Regelung einer ständigen Vertretung in den Bordellen spricht, dass damit im Idealfall ein erhöhter Schutz sowie mehr Sicherheit für die Sexarbeiter_innen verbunden sind. Auch für die Exekutive entstand durch diese Neuregelung ein Vorteil, da nun bei Kontrollen eine Ansprechperson vor Ort sein muss. Im Gegensatz dazu wurde eine Reihe von unterschiedlichen nachteiligen Aspekten dieser Gesetzesänderung thematisiert (siehe Tabelle 6).
Tabelle 6: Vor- und Nachteile zur Vertretungsregelung
Die vierte relevante Gesetzesänderung betrifft das Unsafe-Sex-Werbeverbot. Zu diesem Fragebereich nahmen wieder alle drei Beratungseinrichtungen Stellung. Insgesamt wurden sieben Statements zu den Vorteilen und vier zu den Nachteilen abgegeben (siehe Tabelle 7), d.h. diese Gesetzesnovellierung wird mit Blick auf die Anzahl der genannten Aspekte wieder tendenziell positiv gesehen. Inhaltlich machen die genannten Vorteile deutlich, dass dadurch einerseits der Druck auf die Sexarbeiter_innen bezüglich Gesundheitsgefährdung sowie Konkurrenz reduziert wird und andererseits die Autonomie in der Ausübung ihrer Tätigkeit erhöht wird. Als nachteilig werden Schwierigkeiten in der Strafverfolgung sowie Unschärfen in der Formulierung des Gesetzestextes gesehen (siehe Tabelle 7).
Tabelle 7: Vor- und Nachteile zum Unsafe-Sex-Werbeverbot
4. Resümee
Der vorliegende Beitrag befasste sich mit der Gesetzeslage im Kontext der Sexualdienstleistung in Österreich. Im Konkreten wurden zunächst die Gesetzestexte zur Regulierung der Sexualdienstleistung in den einzelnen österreichischen Bundesländern einer systematischen Analyse unterzogen. Fasst man die Ergebnisse dieser Analyse zusammen, so zeigt sich folgendes Bild:
Durch die in Österreich im Bereich der Sexualdienstleistung geltende Länderkompetenz sind neun unterschiedliche Gesetze für Sexualdienstleister_innen in Kraft. Die Analyse dieser Bundesländergesetze zeigte, dass hier nur geringe Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern bestehen. Unterschiede sind auf den verschiedensten Ebenen erkennbar. So konnte aufgezeigt werden, dass sowohl die Gesetzesbezeichnungen als auch der Umfang der Gesetze stark variieren. Auch inhaltlich ist die Gesetzeslage zwischen den österreichischen Bundesländern sehr unterschiedlich. So konnten Unterschiede in der Regelung des Mindestalters für Sexdienstleister_innen ebenso festgestellt werden, wie in der Höhe des Strafausmaßes bei einem Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen. Spezielle Sonderregelungen in einigen Ländern machen deutlich, dass die Sexualdienstleistung in Österreich eine starke regionale Färbung aufweist. Einzig in der Definition von Schutzzonen sind sich die Bundesländer einig.
Aufbauend auf diese Befunde wurde im Speziellen das oberösterreichische Sexualdienstleistungsgesetz einer genaueren Analyse unterzogen. Dazu wurde eine Befragung von einschlägigen Expertinnen durchgeführt. Die Expertinnenbefragung setzte sich mit den Änderungen im Zuge der Schaffung des neuen Sexualdienstleistungsgesetzes in Oberösterreich auseinander. Diese Änderungen betreffen insgesamt vier Aspekte: (1) Schaffung eines eigenen Sexualdienstleistungsgesetzes, (2) Regelung der Hausbesuche, (3) Vertretungsregelung, (4) Unsafe-Sex-Werbeverbot.
Zusammenfassend wurde anhand dieser Befragung, die ein erstes Stimmungsbild aus der Sicht von Expertinnen wenige Monate nach dem Inkrafttreten des neuen Sexualdienstleistungsgesetz in Oberösterreich liefert, deutlich, dass diese Gesetzesnovelle insgesamt von den befragten Expertinnen als positiv gesehen wird, insbesondere die Tatsache, dass damit in Oberösterreich ein eigenes Sexualdienstleistungsgesetz etabliert wurde, wird als Vorteil im Vergleich zur bisherigen Regelung gesehen, die diesen Bereich nur sehr mangelhaft im Polizeistrafgesetz abdeckte. Inhaltlich werden sowohl die Regelung der Hausbesuche als auch das Unsafe-Sex-Werbeverbot als positiv bewertet. Ambivalent wird von den Expertinnen die Vertretungsregelung in den Bordellen bzw. bordellähnlichen Einrichtungen gesehen. Bei der letztgenannten Regelung wurden neben positiven Aspekten auch einige beachtenswerte kritische Argumente geäußert, die darauf hindeuten, dass diese neue Regelung auch mit spürbaren Nachteilen für die Sexarbeiter_innen verbunden sein könnte.
Insgesamt bedarf es jedoch im Zuge dieser Gesetzesnovellierung noch an Praxiserfahrung, um wirklich abschätzen zu können, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind. Ausschlaggebend dafür wird es u. a. sein, wie die zuständigen Behörden mit den neuen Regelungen umgehen. Inwieweit sich das Sexualdienstleistungsgesetz auch tatsächlich in der Praxis bewährt, sollte auf jeden Fall im Rahmen einer umfassenden Evaluation geklärt werden. Eine derartige Evaluation wird im Sinne der Nachhaltigkeit auch von den interviewten Expertinnen gewünscht. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus Deutschland in einem ähnlichen Kontext (Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut 2007), bietet sich eine Evaluation in drei bis fünf Jahren nach dem Inkrafttreten der Gesetzesnovellierung an.
Literatur
Arbeitsgruppe „Länderkompetenzen Prostitution“ (2012): Regelung der Prostitution in Österreich. http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=48235 (20.1.2014).
Bastian, N. / Billerbeck, K. (2010): Prostitution als notwendiges Übel. Marburg: Tectum Verlag Marburg.
Bowald, B. (2010): Prostitution: Überlegungen aus ethischer Perspektive zu Praxis, Wertung und Politik. Münster: LIT Verlag.
Bundesministerium für Gesundheit (2010/2011): Österreichischer Frauengesundheitsbericht. Wien: Bundesministerium für Gesundheit.
Indoors (2012): Capacity building & awareness raising. Marseille: Autres Regards.
Kavemann, B. (2009): Das deutsche Prostitutionsgesetz im europäischen Vergleich. In: Brückner, M. / Eickel, M. / Ernst-Pörksen, M. / Grenz, S. / Holznagel, I. / Kavemann, B. / Winter, D. / Kavemann, B. / Rabe, H. (Hg.): Das Prostitutionsgesetz. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 13-34.
Sadoghi, A. (2005): Offene Rechtsfragen zur Prostitution. Linz: Trauner Verlag.
SOPHIE (2007): wenn SEX ARBEIT war... Wien: Interkulturelles Zentrum und Volkshilfe.
Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut (2007): Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes: Abschlussbericht. Freiburg: Sozialwissenschaftliches Frauenforschungsinstitut.
Verfassungsgerichtshof (2013): B45/2013. http://www.ris.bka.gv.at/ (20.1.2014).
Über die Autorinnen
Prof. (FH) PD Dr. Petra Wagner
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Judith Winter, BA, Jg. 1987
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