soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 12 (2014) / Rubrik "Sozialarbeitswissenschaft" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/341/591.pdf


Johannes Zimm:

Computerspielsucht als Konstruktion hegemonialer Männlichkeit


1. Warum finden Männer die Sucht im Spiel?
Die Suchthilfe ist ein klassisches Thema der Sozialen Arbeit. Im Vergleich zu anderen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit sieht sich die Suchthilfe in besonderem Maße mit der raschen Veränderung der Suchtmittel konfrontiert. Zu bekannten Substanzen kommen neue Erscheinungen des Wiederholungszwangs zum Vorschein, die unter dem Label „neue Süchte“ kommuniziert werden. Sie zeigen mittlerweile ihre Schattenseiten unter anderem im Gewand der Mediensüchte. Die Video- und Computerspielsucht wird im Fachdiskurs meist zu den substanzungebundenen Verhaltenssüchten gezählt, welche möglicherweise neue Formen der Betreuungs- und Behandlungsweisen erfordern. Diese spezifische Form der Mediensucht wird im folgenden Artikel, im Gegensatz zu klinisch-psychologischen Annäherungen, Klassifikationsversuchen und Therapievorschlägen nicht aus innerpsychischen Prozessen zu verstehen versucht, sondern in ihrer sozialen und geschlechtlichen Dimension. Statistische Geschlechtsunterschiede in der Spielnutzung werfen die Frage auf, welche Rolle Computerspiele in der Herstellung von Geschlecht spielen, oder anders gesagt, wieso Burschen und Männer eher zu problematischen und suchtartigem Computerspielverhalten neigen als Mädchen und Frauen. Dies wird vor dem Hintergrund der Theorie hegemonialer Männlichkeit von Raewyn Connell analysiert.

Die Prävalenz des exzessiven Video- und Computerspielens zeigt die Geschlechterdifferenz in ihrer Quantität, welche im folgenden Kapitel mit dem Herstellungsprozess von Männlichkeit verbunden wird. Die Ergebnisse der Untersuchung werden hinsichtlich der Genderrepräsentationen in Video- und Computerspielen beschrieben und daran anknüpfend mit den Funktionen und Bedeutungen für Spieler verwoben. Die unterschiedlichen Ebenen der Genderrepräsentationen wurden mit ethnographisch-beobachtenden Methoden untersucht. Zur Erhebung der Funktionen und Bedeutungen bei den Spielern wurde die Methode der Gruppendiskussion gewählt. Zum Schluss wird die Computerspielsucht als Herstellungsprozess von hegemonialer Männlichkeit herauskristallisiert und versucht, die Ergebnisse für die Soziale Arbeit anschlussfähig zu beschreiben.


2. Prävalenz des exzessiven Video- und Computerspielens
Erste repräsentative Studien legen nahe, dass das problematische, exzessive und suchtartige Video- und Computerspielen eher eine Angelegenheit von Burschen und jungen Männer zu sein scheint. Die Längsschnittstudie von Teena Willoughby identifiziert den Faktor „männliches Geschlecht“ als klaren Prädikator für exzessive Internet- und Computerspielnutzung. (vgl. Willoughby 2008)

2009 wurde eine Studie der Sigmund-Freud Universität veröffentlicht, in welcher 1.231 Schüler_innen im Alter zwischen 13 und 18 Jahren in Wien befragt wurden. Ein Anteil von 12,3% der Befragten wies als suchtartig einzustufendes Computerspielverhalten auf. Unterteilt wurde die Stichprobe in regelmäßige und nicht-regelmäßige Computerspieler_innen, wobei ca. zwei Drittel der Befragten eine regelmäßige Spielnutzung mit einem Durchschnitt von 2,92 Stunden pro Tag angaben. In dieser Gruppe liegt der Anteil der Buben signifikant höher (67,8%) als in der Referenzgruppe. (vgl. Batthyány et al. 2009)

In einer repräsentativen Studie des kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen für Deutschland wurden 44.610 Schüler_innen der neunten Schulstufe in den Jahren 2007 und 2008 befragt. Ein Modul für Internet- und Computerspielnutzung wurde jeder dritten befragten Person vorgelegt. Die Forscher_innen kamen zu dem Ergebnis, dass 4,3% der Mädchen und 15,8% der Buben exzessives Spielverhalten mit mehr als 4,5 Stunden Spielzeit pro Tag angeben. (vgl. Rehbein/Kleimann/Mößle 2009)

Die Beratungsstelle „Lost in Space“ in Berlin bietet für hilfesuchende Computerspieler_innen eine Anlaufstelle für Beratung und Therapie. Eine interne Erhebung über die Klient_innen zeigt, dass etwa 90% der Betroffenen männlich sind und der Altersgipfel zwischen 16 und 25 Jahren liegt. (vgl. Koch/Wlachojiannis/Albrecht 2011)

In der Fachliteratur über Video- und Computerspielsucht finden sich kaum Arbeiten, die sich der Frage widmen, wie diese Geschlechterdifferenz erklärt werden könnte. Vielmehr scheint die klinische Psychologie an der exakten Klassifikation und Diagnostik dieses neuen Phänomens interessiert zu sein. Dieser psychologische Blick auf die „neuen Süchte“ hängt mit der Entwicklung einer positivistischen Psychologie zusammen, welche die Möglichkeit entbehrt, die Konstruktion von sozialen Phänomenen in Betracht zu ziehen.


3. Herstellung von Geschlecht
Geschlecht wird in dieser Arbeit als permanenter Konstruktionsprozess verstanden. So bedeutet ein Mann zu sein noch nicht „männlich“ zu sein. Gleiches gilt für Frauen und Weiblichkeit. Raewyn Connell entwickelte eine Geschlechtertheorie, die Geschlechterverhältnisse einerseits zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit und andererseits zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten in einem relationalen Verständnis versteht. Dazu schlägt sie vor, drei Ebenen zu unterscheiden, die für die Herstellung und Organisation von Geschlechterordnungen entscheidend sein dürften: Machtbeziehungen, emotionale Bindungsstruktur und Produktionsbeziehungen. (vgl. Connell 2005)

Machtbeziehungen verweisen auf die geschlechtlich strukturierte Ungleichverteilung von Macht, was empirisch einfach zu zeigen ist, z. B. an der Tatsache, dass nach wie vor der Großteil der Führungspersonen in Unternehmen Männer sind – dasselbe gilt für die Verteilung von Professuren an den Universitäten. In Video- und Computerspielen als simulierte Wirklichkeit sind aus dieser Perspektive insbesondere die Subjektpositionen der Spielfiguren zu nennen. Meist wird die Geschichte eines männlichen Helden erzählt, welchem die Macht zugeschrieben wird, die Prinzessin zu retten, die Welt vor Bösem zu bewahren, welches meist durch männliche Figuren repräsentiert wird oder in anderen Konstellationen über vermeintliche „Feinde“ zu dominieren.

Die Ebene der Produktionsbeziehungen tritt besonders augenscheinlich in der geschlechtlich strukturierten Arbeitsteilung auf. Ein Beispiel dafür ist die historische Trennung der Sphären in der bürgerlichen Gesellschaft. Die öffentliche Sphäre, welche im 19. Jahrhundert für den Mann reserviert war, auf der einen Seite und die häuslich-private Sphäre, welche für die Frau reserviert war, auf der anderen Seite, erzeugten eine Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die heute noch nicht überwunden ist. Die Unterscheidung in typische „Männerberufe“ und „Frauenberufe“ ließe sich über diese Analyseebene untersuchen. Für die Video- und Computerspielindustrie zeigt sich, dass der Anteil an Männern überproportional höher ist als der von Frauen. (vgl. Consalvo 2008, Deuze 2007) Robin Johnson publizierte 2013 eine Untersuchung der Männlichkeitskultur in einer Spielentwicklungsfirma in Nordamerika und zeigte mit ethnographischen Methoden und narrativen Interviews, dass eine diskursiv operierende „technomasculinity“ (vgl. Johnson 2013: 14) reproduziert wird. Die wechselseitigen Verweise zwischen den Programmierern, Textuierern, Designern und Modellierern lassen einen unhinterfragten Maskulinitätskult entstehen, der sich in den Gestaltungsentscheidungen des Spiels ausdrückt.

Die emotionale Bindungsstruktur, oder Karthexis, organisiert im weitesten Sinn das geschlechtlich strukturierte Begehren. So sieht eine heterosexuell organisierte emotionale Bindungsstruktur vor, dass Männer Frauen begehren und umgekehrt. Diese Bindungsstruktur wird hauptsächlich durch das homosexuelle Begehren irritiert (vgl. Connell 2005), dessen Abwehr seit wenigen Jahrhunderten von der hegemonialen Männlichkeit instrumentalisiert wird. In Video- und Computerspielen lässt sich die emotionale Bindungsstruktur auf der Repräsentationsebene in unterschiedlichen Formen zeigen. Die meisten digitalen Spiele versuchen die Spieler_innen mit bestimmten Belohnungen zu involvieren. Diese Belohnungen können als Repräsentationen für emotionales Begehren betrachtet werden; schließlich kann nur damit belohnt werden, was begehrt wird. Beispielsweise wird Super Mario1 (Nintendo 1985), nachdem er den Endgegner besiegt hat, mit der Prinzessin belohnt. In dem verkaufsstarken Triple A Rollenspiel Diablo 3 (Blizzard 2012) werden die Spielenden mit Rüstungen, Zaubertränken und Verbesserungspunkten belohnt. Besonders begehrt scheinen jedoch mächtigere Waffen zu sein, die als Symbol für Macht und Durchsetzungskraft interpretiert werden können.

Bis jetzt wurde dieses dreistufige Modell nur für die Beschreibung von Unterschieden zwischen Männern und Frauen herangezogen. Für die nähere Beschreibung des Verhältnisses von Männlichkeitskonstruktion und Video- und Computerspielen ist es notwendig, die soziale Organisation von Männlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Verhältnisse unter Männern zu beleuchten. Der Theorie von Connell folgend, gibt es bestimmte soziale Praktiken, welche die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten hierarchisieren. Sie unterscheidet vier analytische Stufen, welche in einem dynamischen Verhältnis zueinander stehen und so der Veränderung der Geschlechterverhältnisse Rechnung tragen: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. Diese Analysekategorien sind hierarchisch angeordnet, wobei die hegemoniale Männlichkeit die höchste Position und sogenannte marginalisierte Männlichkeit die niedrigste Position darstellt. Daraus folgt, dass die höchste Position in der Hierarchie unterschiedlicher Männlichkeiten erkämpft werden muss und andere Männlichkeiten untergeordnet werden. So formuliert Norman Mailer: „Being a man is the continuing battle of one’s life.“ (Mailer 1959: 222) Da Männlichkeit in dieser Form nichts Naturgegebenes sein kann, das mit der biologischen Geburt quasi erworben wird, sondern auf die soziale Organisation verweist, welche über die Metapher der Schlacht oder des Kämpfens beschrieben wird, folgt des Weiteren:

„In contemporary studies of masculinity, various elements are emphasized. But there would seem to be a common, unifying theme: the acceptance and expectation of aggression, even violence (...)“ (Pinar 2001: 947)

Aggression scheint ein zentrales Element in der relationalen Herstellung von Männlichkeit zu sein. Robert Brannon und Deborah David konkretisierten die Attribute von hegemonialer Männlichkeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts, welche zumindest im anglo-amerikanischen Raum dominierte.

„Manhood: (1) No Sissy Stuff (avoid behaving in any manner which can be perceived or labeled as feminine); (2) Be a Big Wheel (strive for dominance, power, wealth and success); (3) Be a Sturdy Oak (be independent, controlled, unemotional; show no vulnerabilities); (4) Give’em Hell (take risks, be daring).“ (Brannon/David 1976)

Stereotype Darstellungen von männlichen Helden in Video- und Computerspielen und visuellen Medien verweisen auf diese Attribute in unterschiedlicher Weise. Insbesondere Spiele aus dem Genre der Ego-Shooter reproduzieren dieses Männlichkeitsbild. Seit den ersten Ego-Shooter-Spielen Anfang der 1990er-Jahre, wie bspw. Wolfenstein 3D (Id Software 1992) oder Doom (Id Software 1993), hat sich die Inszenierung der männlichen Spielfiguren bis zur Gegenwart zwar ein wenig ausdifferenziert, kommt aber aus den Mustern der hegemonialen Männlichkeit nicht heraus. Die Dramaturgie ist ausgefeilter, folgt aber im Wesentlichen der klassischen Narration2 des Mannes als Retter, Rächers und Machers.


4. Genderrepräsentationen in Computerspielen
In der Analyse der Genderrepräsentationen in Video- und Computerspielen zeigt sich ein relativ homogenes Bild jener Männlichkeit, die den als männlich attribuierten Eigenschaften am nächsten kommt. Diese Art von attribuierter Männlichkeit ist in Video- und Computerspielen auf zumindest drei Ebenen sichtbar: Die Repräsentation von Körper, die geschlechtlich strukturierten Narrationen und das Gameplay3.

Die Körperrepräsentation von männlichen Figuren in Video- und Computerspielen ist aus zwei Gründen auffallend: Erstens sind sie im Vergleich zu weiblichen viel häufiger in den virtuellen Welten anzutreffen, und zweitens werden männliche Figuren in der Regel in einer hypermaskulinen Art und Weise inszeniert. James Ivory publizierte 2006 eine Studie über Gender-Repräsentation in Online-Reviews von Videospielen und kam zu dem Ergebnis, dass männliche Charaktere überproportional häufiger vertreten sind als weibliche Charaktere. Darüber hinaus konstatiert die Untersuchung, dass weibliche Figuren in der Regel sexualisiert dargestellt werden. Eine Analyse der weiblichen „Tropen“ in Video- und Computerspielen unternahm die kanadische Medienfeministin Anita Sarkeesian und zeigte auf, dass diese meistens in untergeordneten Nebenrollen, als Belohnung, als halbnackte Kriegerin etc. inszeniert werden. (vgl. Sarkeesian 2003) Demgegenüber werden männliche Figuren als unverwundbare Krieger, anmutige Abenteurer, als bedrohliche Feinde, etc. inszeniert. Die Unterscheidung der Sphären des Aktiven und des Passiven lassen sich hier sehr deutlich zeigen. Es scheint so, als würden Geschlechterstereotypen auf der Ebene der Körperrepräsentationen in Video- und Computerspielen relativ iterativ reproduziert. Alternativen, vor allem weniger maskuline Darstellungsformen, findet man eher im Sektor der sogenannten „Indie-Spiele“4.

Geschlechtlich strukturierte Narrationen sind ein mediales Element, welches dazu beiträgt, die Spielenden dramaturgisch in das Spiel zu involvieren, indem eine spannende Geschichte erzählt wird. Es zeigt sich allerdings, dass diese Narrationen im Spiel in den meisten Fällen von männlichen, weißen, heterosexuellen Protagonisten handeln. Diese spielbaren Charaktere sind auf narrativer Ebene in Machtbeziehungen, meist ebenfalls unter Männern, verwickelt und während des Spiels wird der Kampf gegen dominantere Männergruppen erzählt. So ist z. B. der Charakter des gleichnamigen Spieles Max Payne (Rockstar 2001) in eine Geschichte der Rache für die Ermordung seiner Frau durch ein Kartell verstrickt. Die Geschichte des Helden der Assassins-Creed-Reihe (Ubisoft 2007) wird über den Kampf zwischen zwei Assassinen-Gruppen erzählt. Es gibt eine Vielzahl an dramaturgischen Erzählformen, die in ihrer Unterschiedlichkeit hier nicht entfaltet werden können, jedoch wiederholen sich Narrationen, in denen der spielbare Charakter in martialische Konkurrenz mit anderen männlichen Figuren, Protagonisten, Bösewichten und Dämonen tritt. Es geht um die Erzählungen des Kämpfens, Scheiterns und Gewinnens.

Gameplay, als letzter Punkt, meint die Handlungsmöglichkeiten, Entscheidungen, Taktiken und Strategien, die das Spiel den Spielenden anbietet. (vgl. Aarseth 2003) Wettkampf, territoriale Kämpfe und aggressive Auseinandersetzungen sind die Gameplay-Elemente, durch welche hegemoniale Männlichkeit simuliert wird. Bislang gibt es noch relativ wenige Untersuchungen zum Zusammenhang von Männlichkeit und Gameplay. Die detaillierte Fallanalyse des Spieles Silent Hill5 (Konami 1999), welche von Ewan Kirkland publiziert wurde, zeigt die feinen Verstrickungen von Gender, Identität und Gameplay in einem storybasierten Spiel.


5. Funktionen und Bedeutungen des Spielens für die Spieler
Für die Frage, warum Burschen und Männer eher von Video- und Computerspielsucht betroffen sind, ist vor allem die Ebene der Genderrepräsentationen hervorzuheben, wenn geklärt wird, welche Bedeutungen und Funktionen das Spielen für die Spielenden übernimmt.

Dieser Frage wurde auf Basis einer Gruppendiskussion6 versucht näher zu kommen. Das Gesprächsprotokoll wurde mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet, wobei die zentrale analytische Vorgangsweise in der induktiven Kategorienbildung begründet ist.

Auf Basis der Gruppendiskussion ließen sich acht Kategorien entwickeln, welche die Bedeutung und Funktionen des Spielens für die Spielenden im Hinblick auf die Konstruktion von Männlichkeit beschreiben: Homosozialität, Wettbewerb, Erwartbarkeit, Belohnung, Weiterkommen und Besser-Werden, In-Geschichte-Eintauchen, Spiele stehlen/Raubkopien. Diese analytischen Kategorien hängen zusammen und beeinflussen sich wechselseitig. Beispielsweise kann sich ein Wettkampf in einem homosozialen Raum abspielen, in dem erwartet werden kann, wie die Belohnung aussieht.


5.1 Homosozialität
Homosoziale Gemeinschaften können als Orte männlicher Selbstvergewisserung gedeutet werden, „an denen sich Männer wechselseitig der Normalität und Angemessenheit der eigenen Weltsicht und des eigenen Gesellschaftsverständnisses vergewissern können.“ (Meuser 2001: 8) In der männlich dominierten Video- und Computerspielszene lassen sich zwei Formen der Homosozialität (vgl. Lipman-Blumen 1976, zit. nach Meuser 2001) beobachten: Erstens in den Spielen selbst, durch die Dominanz von männlichen Spielfiguren, und zweitens in der Praxis des Spielens mit anderen Mitspieler_innen.

Zitat 1:

„inzwischen ist es mehr: heimkommen, sonstige Tätigkeiten tun, die im Haushalt notwendig sind, kochen, essen, sonstiges, was auch immer. Dann hinsetzen, Kopfhörer aufsetzen, Teamspeak einschalten, mal schauen wer von meinen Freunden da ist. Da hab ich halt meine Hansln, da entscheiden wir spielen wir was, plaudern wir was, spielen wir was, während wir reden, also es hat sich bei mir sehr gewandelt von früher ist es hauptsächlich ums Spielen gegangen, jetzt geht’s mir mehr darum, mit wem spiel ich.“ (GD: Z. 284)

Die „Hansln“ von denen hier die Rede ist, verweisen auf eine homosoziale Männergemeinschaft, die sich um die Computerspiele figuriert und darüber kommuniziert. Ihre Funktion kann als Ort männlicher Selbstvergewisserung beschrieben werden, Frauen bleibt der Zugang verwehrt. Was in anderen Männerwelten der Fußballplatz ist, auf dem unter physisch Anwesenden der männliche Habitus zelebriert wird, wird hier in der virtuellen Welt durch telekommunikative Vernetzung gelöst. Das Aufsetzen des Kopfhörers kann als eine auditive Trennung zur physisch umgebenden Welt gedeutet werden.

Auf Repräsentationsebene stellen virtuelle Männerwelten, die in Video- und Computerspielen inszeniert werden durch die überproportionale Darstellung von männlichen Körpern, Maskulinitätskult etc., ebenfalls einen simulierten-virtuellen homosozialen Raum dar. In diesem können zwar weiblichen Figuren vorkommen, aber eben hauptsächlich in den Typen, die von Anita Sarkeesian (2013) beschrieben wurden. D. h. das Spiel zeigt den Spielenden eine von männlichen Akteuren dominierte Welt, in der das Abenteuer erlebt wird.


5.2 Wettbewerb
Pierre Bourdieu beschreibt in seinem Aufsatz über die männliche Herrschaft, dass der männliche Habitus „nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“ (Bourdieu 1997: 203 zit. nach Meuser 2001:8), entwickelt werden kann. Unter den „ernsten Spielen der Männer“ versteht Bourdieu die Handlungsfelder der Politik, der Ökonomie, der Wissenschaft, der religiösen Institutionen und das Militär. Christine Heward merkt an, „team games constructed respectable masculinities (...)“ (Heward zit. nach Connell 2005: 28) Video- und Computerspiele können aus dieser Perspektive als Simulation der ernsten Spiele verstanden werden, an deren Teilnahme jedoch keine sozio-strukturellen und habituellen Anforderungen geknüpft sind und in denen das Risiko keine sozialen Konsequenzen hat.

Zitat 2:

„(...) früher hats keine Bewertungen gegeben, keine allgemeinen Statistiken. Das hat sich alles seit fünf, sechs Jahren gibt’s in jedem Spiel die Statistiken jederzeit mit anderen Vergleich kannst oder musst oder willst, wie auch immer (...)“ (GD: Z. 170)

Das Zitat bringt die Ambivalenz zum Ausdruck, die mit dem Vergleich im virtuellen Wettbewerbssystem einhergeht. Die allgemeinen Statistiken, die das digitale Spiel permanent produziert, wurden durch die Verbreitung des Internets zu einem fixen Bestandteil der meisten kompetitiven Spiele. Jene Spiele, die bekanntermaßen das höchste Suchtpotential aufweisen, sind MMORPGs7, welche den permanenten Vergleich mit anderen Spielenden als integrales Spielelement verwenden. Neben dem Vergleich mit anderen menschlichen Mitspieler_innen ist es jedoch ebenso wichtig zu bedenken, dass die Spielenden in algorithmusbasierten Spielen durch das Gameplay in einem permanenten Wettkampf mit dem Spiel selbst stehen, in anderen Worten dem Algorithmus. Ein Spiel erfolgreich spielen zu können, bedeutet, sich an den Algorithmus angepasst zu haben.


5.3 Erwartbarkeit
Generelles Charakteristikum von Spielen ist deren Regelhaftigkeit. Das Vorhandensein von Regeln, das heißt von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, ermöglicht das Durchschauen der Spielmechanismen, wodurch erwartet werden kann, dass die Handlungen8 im Spiel zu bestimmbaren Konsequenzen führen. Das Spiel als Programm basiert auf einem komplizierten logisch-technischen Ablauf, welcher aus Programmcode, Wiederholungen und Schleifen besteht und intern ein kompliziertes logisches Konstrukt darstellt, das den Regeln der Programmierung folgt, woraus wiederum die Regeln des Spiels, unabhängig von der Programmierung, operieren. „Diese zweifache Regelhaftigkeit kann begriffen werden als eine Art von Komplexitätsreduktion vor dem Hintergrund vielfacher Programmierungsmöglichkeiten einerseits, und bestimmten, erkennbaren Spielregeln und Zusammenhängen andererseits.“ (Zimm 2013: 81) Diese Eigenschaft konstruiert für den Spielenden Erwartungssicherheit.

Zitat 3:

„Schnelle Shooter, eher ned. Also wenn ich Zeit habe, dann hätt ich gerne etwas, wo ich mich irgendwie einlassen kann drauf. Irgendwelche Aufbauspiele, irgendwas, was a bissl komplizierter ist.“ (GD: Z. 303)

In dem Zitat wird der Wunsch formuliert, sich einlassen zu können. Digitale Spiele liefern für diese Sehnsucht einen ambivalenten Nährboden. Einerseits kann die Vorhersehbarkeit in Spielen jene Erwartungssicherheit bringen, die in sozialen Systemen unter Anwesenden nur formal gegeben sein kann. Andererseits weißt das Zitat auf den Mangel an Komplexität hin, die dem Gruppendiskussionsteilnehmer zumindest bei Spielen mit einfachen Regeln zu fehlen scheint. Bezeichnenderweise sind es gerade Computerspiele des MMORPG-Genres, die unterschiedliche Formen von Komplexität mit relativ einfachen Spielregeln balancieren, wodurch der Entwicklung einer Abhängigkeit weite Tore geöffnet werden. World of Warcraft (Blizzard 2005) ist der medial umstrittenste und meistverkaufte Vertreter dieses Genres.

Die Erwartungssicherheit ermöglicht es den Spielenden, sich auf den Prozess des Spielens einzulassen. Möglicherweise liegt in der Kontrollierbarkeit und Erwartbarkeit eine der wesentlichsten Funktionen des Spielens für die Spielenden. Vor dem Hintergrund der Transformation der Geschlechterordnung als allgemeiner Prozess der gesellschaftlichen Enttraditionalisierung (Meuser 2001) kann das Spiel eine Art Refugium für das sicherheitssuchende Subjekt sein. Die soziale Wirklichkeit ist immer komplizierter, unvorhersehbarer und emotional fordernder, als dies simulierte Wirklichkeiten sein können. Weiters kann die Erwartbarkeit des Spieles auch auf psychischer Ebene für Menschen funktional sein, die unter Sozialphobie und geringem Selbstwert leiden.


5.4 Belohnung
In der Herstellung der Spiel-Spielenden-Bindung sind Belohnungssysteme von weitreichender Bedeutung. Belohnungssysteme sind wissenschaftlich sehr genau erforscht, weil die automatenbasierte Glücksspielindustrie damit ihren Umsatz generiert. Bezogen auf Video- und Computerspiele wurden in der Gruppendiskussion vor allem Achievements angesprochen.

Zitat 4:

„Ja, der Unterschied war, ahm, früher hats keine Achievements gegeben (...)“ (GD: Z. 170)

Als Achievements werden Errungenschaft oder eben Belohnungen definiert, welche auch im Spiel als solche bezeichnet werden. Andere Arten der Belohnung, die im Spiel inszeniert werden, wie z. B. visuelles und auditives Feedback, Feuerwerksanimationen, animierte Zwischensequenzen etc., werden als solche im Spiel nicht benannt, haben aber ebenso die Funktion einer Belohnung. Die visuelle Gestaltung der Achievements verweist auf die geschlechtlich strukturierte emotionale Bindungsstruktur. So werden Spielleistungen mittlerweile genreübergreifend mit stärkeren Waffen, besseren Rüstungen und „Erfahrungspunkten“ belohnt. Belohnungen in Form von „Erfahrungspunkten“ werden mit dem Begriff der „ökonomischen Involvierung“ (Neitzel 2012) benannt und sind ein integraler Bestandteil des „Besser-Werdens“ in expansionsdynamischen Spielen.


5.6 Weiterkommen und Besser-Werden
Zwei Formen des Besser-Werdens müssen für die Analyse dieses Phänomens unterschieden werden. Erstens können Spielende sich an den Spielalgorithmus im Laufe der Zeit besser anpassen und werden dadurch in der Handhabung des Spieles geschickter. Zweitens verbessern sich mit steigender Spielleistung und Spielzeit die spielrelevanten Attribute des Avatars der Spielenden, sollte es eine derartige Figur im Spiel geben. Avatare können in diesem Zusammenhang als symbolische Manifestationen des Besser-Werdens interpretiert werden. Sie bilden eine Art Oberfläche, an der die Spielenden ihren Fortschritt im Spiel erkennen und messen können. Beide Mechanismen stellen auf unterschiedliche Weisen einen Ermächtigungsprozess der Spielenden dar und sind deswegen für die Erklärung der maskulinen Immersion in das Spiel wichtig. „Im Spiel ist der Spieler souverän.“ (Neitzel 2012: 86).

Zitat 5:

„LOL9 die sind extrem spannend, unterhaltsam lustig und packend und du hast fünf gegen fünf und es ist, der eine hat vielleicht einen kleinen Boni da, der andere vielleicht einen kleinen Boni da, aber es sind gleiche Chancen. Und es geht nur darum, wer ist besser.“ (GD: Z. 94)

In diesem Zitat kommt das immer bessere Handling des Spielalgorithmus, als das „worum es geht“ zum Ausdruck. Daran knüpft die Eigenschaft der meisten Video- und Computerspiele an – den Prozess des Weiterkommens im Spiel bereitzustellen. Wenn der Spielalgorithmus erkannt wurde, kann das Spiel bewältigt werden und die Spielenden kommen im Spiel weiter. Das Weiterkommen in neue Spielareale, sogenannten Levels, oder die Steigerung der Fähigkeiten des Avatars erzeugt bei den Spielenden das Gefühl der Exploration und bedingt das Weitererkunden der Geschichte im Spiel. Für Personen, die ihr Leben als stagnierend erleben, könnte das Weiterkommen in simulierten Wirklichkeiten zu einer dysfunktionalen Kompensation werden.


5.7 In Geschichte eintauchen
Im Gegensatz zu Texten und Büchern wird mit elektronischen Spielen ein interaktiv-eingreifendes Verhältnis assoziiert. Das Spiel verlangt nach haptischer Involvierung, insofern die Bewegung der Hände und Finger über unterschiedliche Eingabegeräte in das Spiel übersetzt werden. Die Spielenden sind selbst in den Verlauf der Geschichte eingebaut und erzählen durch ihr Spiel die Geschichte weiter.

Zitat 6:

„Aber wenn ich denk an die eher storylastigen Geschichten, wie zum Beispiel Mass Effect oder von mir aus auch Deus Ex, das hat einfach einen Kontext, das gibt dir das vor, es ist wie ein neues Medium zum Buch zum Beispiel, Geschichten, in den du mittendrin bist, erlebst und agieren kannst. Es bringt einfach Motivation, weil du willst natürlich es zu Ende bringen, es zu Ende sehen.“ (GD: Z. 164)

Großteils werden, wie erläutert, die Geschichten in Video- und Computerspielen von männlichen Protagonisten erzählt bzw. stellen deren (Helden-)Geschichte in den erzählerischen Mittelpunkt. Insofern kann es kaum verwunderlich sein, dass sich Männer eher damit assoziieren als Frauen. Die dramaturgische Involvierung durch interaktive Heldengeschichten ist für die Identifikation mit den Spielfiguren wichtig.


5.8 Spiele stehlen – Raubkopien
Eine wichtige Dimension der hegemonialen Männlichkeitskonstruktion besteht in der Risikobereitschaft. Das Kopieren, Besorgen, Herunterladen oder Organisieren von Computerspielen kann als eine Form des begrenzten Risikos interpretiert werden, da es gesetzlich illegal ist, aber zumindest in Österreich kaum geahndet wird.

Zitat 7:

„Ahm. Bis ich hergekommen bin, naja, bis ich 16, 17 war, hat ich gar nicht mal Originalspiele, bei uns hat mans einfach nicht gekauft, das hat sich nicht gelohnt. Da würden wir, keine Ahnung, das 10- bis 20-fache für das Original zahlen und haben wir nicht gemacht. Und dadurch ging es nicht, dass man auf den offiziellen Netzwerken spielen konnte.“ (GD: Z. 256)

Das illegale Kopieren von Video- und Computerspielen hat sowohl eine ökonomische Dimension als auch eine symbolische Dimension. Der Erwerb von Spielen kostet Geld und junge Menschen verfügen tendenziell über weniger Geld, als Menschen im Erwachsenenalter, worin ein ökonomischer Grund für die illegale Raubkopie zu sehen ist. Auf symbolischer Ebene wird durch die Raubkopie eine Art des Widerstandes gegenüber der Unterordnung im Akt des Kaufens sichtbar und darüber hinaus auch die selbstermächtigende Fähigkeit, an die Software heranzukommen und die Kopierschutzmechanismen zu umgehen.


6. Computerspielsucht als Herstellung von hegemonialer Männlichkeit
Michael Meuser folgend stellen die ernsten Spiele der Männer einen Ort der männlichen Selbstvergewisserung dar. (vgl. Meuser 2001) Wenn die Orte der männlichen Selbstvergewisserung unzugänglich erscheinen oder sind, dann kann der virtuelle Ort diese Funktion der Herstellung hegemonialer Männlichkeit darstellen. Insofern können manche Video- und Computerspiele als simulierte Männerwelten betrachtet werden, welche Identitätsentwürfe, Körperbilder und Subjektpositionen inszenieren „in denen sich die Menschen gerne selbst sehen würden.“ (Hipfl 1999: 151, zit. nach Lünenborg/Maier 2013: 46) Sie veranschaulichen unterschiedliche Männlichkeitsfantasien und bieten einen virtuellen Raum, um diese Fantasien ohne soziale und körperliche Risiken auszuleben.

Virtuelle Welten können oft als Fluchtmöglichkeit dienen, wenn die subjektive Wirklichkeit als unerträglich oder unbefriedigend wahrgenommen wird. Darüber hinaus vermitteln virtuelle Welten das Gefühl von Erwartbarkeit und Kontrollierbarkeit – im Gegensatz zu sozialen Systemen, wie Familien und Gruppen, die die Notwendigkeit des „Einlassens“ mit sich bringen. Die Spielenden können selbst entscheiden, wann und wie lange sie sich in das Spiel einlassen und so entsteht auch das Gefühl der Kontrolle darüber, inwieweit sie sich emotional involvieren. Bei der Video- und Computerspielsucht geht diese Kontrolle über sich selbst jedoch in die Maßlosigkeit über. Wenn mit dem Spielen das unbewusste Bedürfnis nach geschlechtlicher, in diesem Fall männlicher Identitätsfindung einhergeht, entsteht das Problem, dass die Erfolge und Errungenschaften, die während des Spielens erzielt werden, nicht in andere soziale Systeme übersetzt oder transferiert werden können. Die starke Anziehung von Video- und Computerspielen hängt auch mit den geschlechtlich codierten Involvierungsstrategien zusammen, welche möglicherweise ein entscheidendes Reflexionsthema für die Behandlung der Video- und Computerspielsucht darstellt.


7. Video- und Computerspielsucht als Herausforderung für die Soziale Arbeit
Die Computerspielsucht ist ein aktuelles und der Tendenz nach auch ein zukünftiges Handlungsfeld für die Sozialarbeit. Dabei erscheint es eher nebensächlich, ob es sich um problematisches, missbräuchliches oder abhängiges Verhalten bei den Klient_innen handelt. Entweder tritt der Kontakt mit den Klient_innen in Organisationen auf ambulanter oder stationärer Ebene auf oder über aufsuchende Sozialarbeit. Der Begriff „hard-to-reach“ trifft auf Computerspielsüchtige in besonderem Maße zu, denn wie aus Berichten von Selbsthilfegruppen, Angehörigen, Internetforen (www.spielsucht.net, www.aktiv-gegen-mediensucht.de, rollenspielsucht.de) und Professionist_innen beratender und behandelnder Institutionen zu entnehmen ist, ziehen sich exzessive Computerspieler_innen tendenziell immer mehr in die virtuellen Scheinrealitäten zurück. Soziale Kontakte reduzieren sich und brechen schlussendlich völlig ab. Deswegen spielen die Angehörigen bei der Kontaktaufnahme und generell im Versuch, Menschen in Phasen der Abhängigkeit an behandelnde Institutionen zu vermitteln, eine entscheidende Rolle. Die erste Kontaktaufnahme stellt sicherlich eine Herausforderung dar, weil die Betroffenen gerade zwischenmenschlichen Kontakt zu meiden versuchen.

Umso wichtiger sind Kenntnisse über die Lebenswelt der Klient_innen, welche zum Teil aus den Spielwelten besteht, für die professionelle Kontaktaufnahme. Über Computerspiele zu sprechen kann den ersten Kontakt erleichtern. Niederschwellige Angebote für diese Klient_innengruppe wären auch in Wien anzustreben. Ebenso könnten innovative Ansätze der Online-Beratung oder der Ingame-Beratung versuchen, mit Personen, die exzessives Spielverhalten aufweisen, direkt im Computerspiel in Kontakt zu treten.

Wie ausführlich beschrieben, spielt Geschlecht eine zentrale Rolle für die Computerspielsucht. Um diesen Zusammenhang nicht nur statistisch zur Kenntnis zu nehmen, sondern für die dialogische und reflektierende Soziale Arbeit anschlussfähig zu gestalten, sollte eine konstruktivistisch-relationale Perspektive auf die Herstellung von Geschlechtsidentität eingenommen werden.

Allerdings ist davon abzuraten, das Gespräch über Männlichkeit zu Beginn des Beziehungsaufbaues zu führen. In der durchgeführten Gruppendiskussion konnten die Teilnehmer kaum etwas zu dem Thema sagen, wodurch die Schlussfolgerung naheliegt, dass ohne theoretisches Vorwissen nur sehr begrenzt über ein relationales und deswegen prozessorales Verständnis von Männlichkeit reflektiert werden kann. Vorweg scheint es für Männer prinzipiell schwierig zu sein, über Geschlecht zu sprechen, da es als zutiefst persönlich empfunden werden kann und in allen Bereichen des sozialen Lebens einen Unterschied macht. Möglicherweise ist es deswegen erfolgreicher, mit Klient_innen über äußere Geschlechterbilder zu sprechen, an denen sie sich orientieren. Diese haben vermutlich unterschiedliche mediale Entsprechungen und können deswegen als „außenliegende“ Artefakte thematisiert werden, ohne die persönliche Intimitätsgrenze zu schnell zu überschreiten. Über diesen Umweg lassen sich dominante geschlechtliche Orientierungsmuster bei den Klient_innen thematisieren und reflektieren.

Des Weiteren können in Anlehnung an die zuvor skizzierten Ergebniskategorien Möglichkeiten mit den Klient_innen entwickelt werden, wie bspw. positive homosoziale Erfahrungs- und Anerkennungsräume gefunden werden können. Es geht also vornehmlich darum, die Bedürfnisse, die in den „virtuellen Welten“ gestillt werden, in der sogenannten „realen Welt“ ebenfalls befriedigen zu können.


Verweise
1 Eine populäre Spielfigur des japanischen Spielentwicklungsunternehmens Nintendo; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Super_Mario (17.9.2014)
2 Bspw. erzählt der 2014 erschienene Ego-Shooter „Wolfenstein: The New Order“ die Geschichte des Helden im dramaturgischen Spannungsfeld zwischen Aufgeben und Weiterkämpfen in einem Endzeitszenario.
3 Die Unterscheidung dieser drei Ebenen ist an den methodologischen Vorschlag von Espen Aarseth angelehnt, in dem das Spiel beschrieben wird durch folgende drei Dimensionen: Gameplay, Game-structure, Game-world. Diese Dimensionen eignen sich dafür, das Spiel im Vergleich zu anderen Spielen zu beschreiben, aber weniger für die Analyse von Geschlechterdarstellungen.
4 Independent Games sind Computerspiele, die ohne Publisher entwickelt werden und eine hohe Diversität aufweisen.
5 Silent Hill wird dem Genre der Survival-Horror-Spiele zugeordnet.
6 An der Gruppendiskussion nahmen fünf Männer teil, welche sich selbst als Vielspieler beschrieben.
7 Abkürzung für „Massively Multiplayer Online Role-playing game“.
8 Der Begriff Handlung meint hier eine spezifische Art der techno-sozialen Übersetzung. Vom Spielenden über die Eingabegeräte über die Software über die Animation in die Konsequenz.
9 Szenebegriff bzw. Abkürzung für das Spiel „League of Legends“ (Riot Games 2009).


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Über den Autor

Johannes M. Zimm, Bakk. MA
johannes.zimm@univie.ac.at

Studium der Soziologie (Universität Wien) und Klinische Soziale Arbeit (FH Campus Wien); derzeit Studienassistent am Institut für Soziologie der Universität Wien
Forschungsschwerpunkte: Masculinity Studies, Soziologie des Scheiterns, Gender Media Studies, Gruppendynamik