soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 12 (2014) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/344/583.pdf


Marlene Pillwein:

Herausforderungen an die Soziale Arbeit durch postdemokratische Entwicklungen


1. Einleitung
Momentan wird in den sozial- und politikwissenschaftlichen Abhandlungen viel über eine mögliche Krise der Demokratie diskutiert (vgl. Wagner 2013b: 69f). So wird die Thematik beispielsweise von Chantal Mouffe (2007) mit der Behandlung der „Post-Politik“ aufgegriffen. Auch Wendy Brown und Alain Badiou setzen sich mit der heutigen Bedeutung von Demokratie auseinander. (vgl. Agamben et al. 2012) In aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskursen im deutschsprachigen Raum findet vermehrt ein Bezug zum Begriff der „Postdemokratie“ statt, um das gegenwärtige Verhältnis von Demokratie und Sozialer Arbeit zu diskutieren. Die These der Postdemokratie als Krisendiagnose stellt also nur eine Möglichkeit dar, die aktuellen Entwicklungen westlicher Demokratien zu deuten und zusammenzufassen. Es existieren außerdem verschiedene Auslegungen des Terminus Postdemokratie, im Sinne dieses Textes werden im Folgenden die zwei geläufigsten, nämlich jene des französischen Philosophen Jaques Rancière und des britischen Soziologen Colin Crouch, erläutert. Die beiden Autoren wurden auch am häufigsten in deutschsprachigen Beiträgen zum Zusammenhang von Postdemokratie und Sozialer Arbeit herangezogen, auf welchen dieser Artikel basiert.

Darüber hinaus werden kurz die Auswirkungen der Postdemokratie auf die Soziale Arbeit und ihre Klient_innen besprochen, um im Weiteren durch die genauere Analyse der Postdemokratiethese in Verbindung mit der Sozialen Arbeit und der Diskussion von politischer Teilhabe mögliche Potenziale der Sozialen Arbeit aufzuzeigen, der postdemokratischen Entpolitisierung entgegenwirken zu können. Schließlich sollen Ideen für die Herangehensweise an eine praktische Umsetzung dieser Überlegungen stattfinden.


2. Postdemokratie
Bevor mit der Postdemokratiethese auf aktuelle Entwicklungen westlicher Demokratien eingegangen wird, soll klargestellt werden, dass sich das Verhältnis von Sozialer Arbeit und Demokratie im Allgemeinen als komplex und widersprüchlich darstellt. Diese Relation ist in wissenschaftlichen Diskussionen noch relativ unbestimmt und bis auf wenige Ausnahmen finden in der Fachliteratur kaum Auseinandersetzungen statt. (vgl. Geisen et al. 2013: 10) Die Soziale Arbeit als überwiegend staatliche Praxis ist in einer Demokratie für die Wahrung der sozialen Sicherheit zuständig, als normierende und somit ausschließende Instanz agierend und soll auch die Möglichkeit der Partizipation ihrer Adressat_innen sichern. Der Druck, der durch diese verschiedenen Aufgabenstellungen für die Soziale Arbeit entsteht, wird durch gegenwärtige Entwicklungen der Demokratie verstärkt. (vgl. Hobi/Pomey 2013: 139)


2.1 Postdemokratie nach Colin Crouch
Colin Crouch ist der bekannteste Vertreter des Postdemokratie-Diskurses und verwendet den Begriff als eine negative Zukunftsvision sowie als die „Weiterspinnung“ eines Entwicklungsprozesses, der zwar in vielen westlichen Demokratien zu beobachten, jedoch noch nirgendwo abgeschlossen sei. (vgl. Ritzi 2013: 22f)

Crouch geht in seinem Werk „Postdemokratie“ zunächst darauf ein, dass seit 1988 die Anzahl der Demokratien zwar stark angestiegen sei, diese jedoch an Qualität verloren hätten (und weiterhin verlieren würden) und sich die Demokratie somit in einem paradoxen Stadium befinde. (vgl. Crouch 200: 7f) Als Idealbild von Demokratie beschreibt Crouch ein System, in welchem allen Bürger_innen die Möglichkeit geboten werde, sich aktiv am öffentlichen Leben zu beteiligen und sie diese auch nutzen. Um als gewöhnliche_r Bürger_in an seriösen politischen Diskussionen teilnehmen zu können, sei ein gewisses politisches Grundverständnis erforderlich, durch welches dann auch die Beschäftigung mit politischen Ereignissen und Problemen einhergehe. Dieses Modell solle als anzustrebender Maßstab fungieren. (vgl. Crouch 2008: 8ff)

Oberflächlich gesehen, blieben alle formalen demokratischen Merkmale erhalten, also die Institutionen und Prozesse, die jedoch an Einfluss verlieren und somit „ausgehölt“ würden. Auch Wahlen seien als das einzige demokratische Beteiligungsverfahren von den aktuellen Entwicklungen durchdrungen, wie Crouch im Folgenden erläutert.

„Der Begriff [Postdemokratie, Anm. d. Verf.] bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem Spektakel verkommt, bei dem man nur eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.“ (ebd.: 10)

Während also den Bürger_innen nur mehr die Möglichkeit bleibe, inaktiv auf die eben beschriebenen Ereignisse zu reagieren, werden politische Entscheidungen zwischen Politiker_innen und Eliten bzw. Lobbys in geheimen, nicht öffentlich nachvollziehbaren Rahmen getroffen und richten sich stark nach wirtschaftlichen Zielen. (vgl. ebd.: 10f) Dadurch kämen ökonomischen Größen wiederum mehr Vorteile zu, durch die sie umso mehr Macht ausüben, was auch die Deregulierung der Finanzmärkte angekurbelt habe und den Regierungen selbst an Einfluss auf politische Geschehnisse einbüßen habe lassen. (vgl. Ritzi 2013: 19) Die Ursachen der Postdemokratie beschreibt der Soziologe als komplex. Neben der von ihm als natürlich betrachteten Rückentwicklung der Demokratie, ist es beispielsweise für ihn deutlich, dass der Neoliberalismus eine große Rolle spielt. Durch die Globalisierung gewinnen internationale Unternehmen so stark an Macht, dass sie unkontrollierbar werden und sich nicht von Regierungen beeinflussen lassen. (vgl. ebd.: 42) Zu den Konsequenzen der Postdemokratie zählt Crouch den Abbau des Wohlfahrtsstaates, der staatsbürgerlichen Teilhaberechte und der Gewerkschaften. Außerdem führt er die Zunahme der staatlichen Kontrolle, des Gefälles zwischen Arm und Reich und des Desinteresses am politischen Geschehen an. Dies hätte zur Folge, dass Bürger_innen freiwillig jene passive Rolle übernehmen, die ihnen einst in vordemokratischen Zeiten aufgezwungen wurde. Auch der Verfall der politischen Kommunikation und die zunehmende Personalisierung von Politiker_innen seien als bedenkliche Zeichen zu sehen. (vgl. ebd.: 34ff)


2.1.1 Kritik an Crouchs Begriff der Postdemokratie
Die Postdemokratie nach Crouch ist nicht nur die verbreitetste diesbezügliche These, sondern wurde auch schon oft debattiert. So kritisieren Martina Lütke-Harmann und Fabian Kessl das eingeschränkte, da nur institutionelle Politikverständnis Crouchs. Auch eine demokratietheoretische Diskussion bleibe aus und hinterlasse Leerstellen. Außerdem erwähne Crouch jene Entwicklungen nicht, die seiner These widersprüchlich gegenüberstehen könnten. So umgehe er zum Beispiel die Erwähnung des Prozesses eines neuen Erstarkens republikanischer Politikmodelle, der zeitgleich mit der von Crouch beschriebenen Entpolitisierung stattfindet, und somit ein interessanter Bezug sein könnte. Die Autor_innen mutmaßen, dass dies ausbleibe, da Crouchs demokratisches Ideal auf dem Modell der keynesianischen Ökonomie basiert (vgl. Kessl/Lütke-Harmann 2013: 135-138). Hier schließt sich auch Thomas Wagner an, der sich ebenfalls daran stößt, dass Crouch die Politik des Fordismus als Musterbild versteht und somit auch die Verhältnisse unter dem fordistischen „Sicherheitsstaat“, die von anderen demokratischen Idealen abweichen, gutheißt (vgl. Wagner 2013b: 71).


2.2 Postdemokratie nach Jacques Rancière
Postdemokratie wurde von Jaques Rancière zum ersten Mal im Jahr 1995 aus kulturkritischer Sicht beschrieben. Es handelt sich hierbei um eine philosophisch-kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen Politik und Demokratie. Rancière verwendet die Begriffe allerdings nicht scharf voneinander abgegrenzt, sondern annähernd synonym. (vgl. Wagner 2013b: 74) Er geht von einem kritischeren und weiteren Demokratieverständnis als Crouch aus. Demokratie bestehe seinen Ausführungen nach aus „Polizei“ und „Politik“. (vgl. Sturzenhecker 2013: 45) Diese Begriffe werden bei ihm divergent zu ihrer üblichen Bedeutung verwendet und sollen nun näher erläutert werden.

Unter Polizei versteht Rancière die herrschende Ordnung, welche durch verschiedene Verfahren institutionell durchgesetzt werde und für die Steuerung und Verteilung von Macht verantwortlich sei sowie schließlich auch „dafür zuständig ist, dass diese Tätigkeit sichtbar ist und jene andere es nicht ist, das dieses Wort als Rede verstanden wird und jenes als Lärm.“ (Rancière 2002: 41) Rancière bezeichnet dies als „Unvernehmen“ und meint damit, dass jene Bürger_innen, die nicht als integriert in die staatliche Ordnung gelten, zwar Teil des Systems seien, aber keinen Anteil am öffentlichen Diskurs hätten. Sobald diese aber gegen die herrschende Ordnung ankämpften, könne von Politik gesprochen werden. Politik in diesem Sinne wird von Rancière nahezu seinem Begriff der Demokratie gleichgesetzt. (vgl. Sturzenhecker 2013: 45) Politik könne also als „Streithandel“ um die politische Bühne gedacht werden. Dies bedeutet, dass es für die benachteiligten Akteur_innen nicht darum gehe, sich der staatlichen Ordnung zu untergeben und sich zu integrieren, sondern eine Art Unordnung zu schaffen, die Teilhabe ermöglicht. (vgl. Wagner 2013b: 74f) Es handle sich bei diesem „Streithandel“, wie Rancière es ausdrückt, um ein eher flüchtiges Ereignis, da es von polizeilichen Maßnahmen gefolgt sei, die die Ordnung mit kleinen Veränderungen wiederherstellen. Genau dieses Hin-und-Her-Spiel zeichne die Demokratie nach Rancière aus, was jedoch durch die aktuellen Entwicklungen in westlichen Demokratien verhindert werde und somit auch das demokratische Handeln, welches nur mehr aus „Polizei“ ohne „Politik“ bestehe. Dies sei laut Rancière durch die stark betriebene Meinungsforschung möglich, dadurch würden potentielle Streitthemen durch rechtliche und expertokratische Lösungen vorweg genommen. Die Ergebnisse dieser ständigen Meinungsbildung stellen Harmonie und Ordnung her. (vgl. Sturzenhecker 201: 46)

Diese Entwicklungen führen schließlich zur Postdemokratie, die ob des fehlenden Streithandels des Volkes, welches nun auch nicht mehr als Souverän zu sehen sei, auch konsensuelle Demokratie genannt werden könne. (vgl. Rancière 1997: 109) Die Demokratie verliere somit ihre Selbstkritik und werde dadurch selbst zur Totalität – auch als Verfall der Demokratie zu bezeichnen. (vgl. Wagner 2013b: 75)


2.2.1 Kritik an Rancières Begriff der Postdemokratie
Durch Rancières Ausführungen zur Postdemokratie können neue Perspektiven zu aktuellen Entwicklungen der Demokratie gewonnen werden, die auch weiter unten in diesem Text, in der Auseinandersetzung mit dem Bezug zur Sozialen Arbeit, einen wesentlichen Input liefern. Allerdings sollte dabei mitgedacht werden, dass durch den Polizeibegriff politische Institutionalisierungsformen per se von Rancière als undemokratisch erachtet werden. Somit bleibt eine kritische Auseinandersetzung mit den ihnen immanenten Widersprüchen aus, die allerdings auch emanzipatorische Bestandteile hervorbringen könnte. (vgl. Wagner 2013b: 78f)

Trotz der bestehenden Unterschiede zwischen der Theorie Rancières zu jener von Crouch sind ausreichend Übereinstimmungen in der Verwendung des Postdemokratiebegriffs zu erkennen. Diese finden sich unter anderem in den Feststellungen, dass Bürger_innen in ihren Beteiligungsmöglichkeiten beschnitten werden, wobei gleichzeitig demokratische Institutionen fortbestehen, sowie darin, dass der Neoliberalismus als Ursache für die postdemokratischen Entwicklungen gesehen wird. (vgl. Ritzi 2014: 270ff)

Zusammengefasst beschreibt der Begriff „Postdemokratie“ im Verständnis dieser Arbeit also die aktuellen Entwicklungen westlicher Demokratien, die durch den Verfall bzw. die Aushöhlung demokratischer Elemente sowie von Entpolitisierung durch die zunehmende Kontrolle von wirtschaftlichen und politischen Eliten geprägt sind. Diese lösen mit einem System, welches sich durch die Hegemonialstellung des Neoliberalismus auszeichnet, und durch jene Eliten mit dem Instrument der Massenmedien gesteuert wird, das Volk als Souverän ab. (vgl. Ritzi 2014: 2)


3. Auswirkungen der Postdemokratie auf die Soziale Arbeit
Es liegt nahe, dass bei solch umfassenden Transformationen der Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit die Disziplin und ihr Arbeitsfeld unübersehbaren Veränderungen unterliegen bzw. mit diesen konfrontiert sind. Zunächst treffen die aktuellen hegemonialen Strukturen die Adressat_innen der Sozialen Arbeit direkt, da sich ihre Lebenslagen drastisch verschlechtern. Konkret sind eine Ausweitung sozialer Ungleichheiten, ein Wandel des sozialen Bereichs und Entgrenzungsprozesse des Politischen festzustellen. (vgl. Bütow/Chassé/Lindner 2014: 10) Durch die zumeist materiellen Problemlagen auf unterschiedlichen Ebenen zieht sich eine weitere Konsequenz der postdemokratischen Entwicklungen, nämlich, dass der Großteil der Bevölkerung keine Möglichkeit der Mitsprache bei gesellschaftlichen Veränderung hat. (vgl. Bareis 2013a: 29)

Da die Soziale Arbeit ja selbst Teil des Staats ist, sind auch in ihr postdemokratische Entwicklungen bemerkbar, die sich negativ auf die Sozialarbeitenden, die Arbeit selbst und das Angebot sowie letztendlich wieder auf die Klient_innen auswirken. Die Soziale Arbeit unterliegt genauso wie andere Bereiche den Umstrukturierungen innerhalb der Erwerbsarbeit sowie dem Finanzierungsabbau im öffentlichen Bereich und der zunehmenden Privatisierung des sozialen Sektors, was auch für Sozialarbeitende zu prekären Arbeitsbedingungen führt. (vgl. Bütow/Chassé/Lindner 2014: 14) Aktivierende Maßnahmen finden immer größere Verbreitung, wodurch das Machtgefälle zwischen Sozialarbeitenden und ihren Klient_innen gesteigert wird, was sich wiederum negativ auf die Möglichkeiten der Beteiligung dieser auswirkt. (vgl. Hobi/Pomey 2013: 139f)

Wie bereits angesprochen, ist die Soziale Arbeit durch ein widersprüchliches Verhältnis mit der Demokratie verbunden. Denn obwohl die Demokratisierung als Auftrag derselben immer wieder zum Bezugspunkt wird, verweist Thomas Wagner bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema darauf, einen kritischen Blick zu wahren, der die Soziale Arbeit mit den immanenten Spannungsverhältnissen reflektiert. (vgl. Wagner 2013b: 63) Nichtsdestotrotz kann festgehalten werden, dass der Auftrag der Sozialen Arbeit konstitutiv auch von einem demokratisierenden Ansatz ausgeht, da die Soziale Arbeit die Teilhabe ihrer Klient_innen sichern soll. Unter den beschriebenen Umständen scheint sie heute jedoch mehr denn je davon entfernt zu sein, als politisch-kritische Akteurin aufzutreten. (vgl. Roth 2014: 121) Doch wie die gesamte Gesellschaft ist auch die Soziale Arbeit ent- und repolitisierenden Schwankungen unterworfen, wobei sich momentan in der Fachdiskussion wieder vermehrt repolitisierende Ansätze zeigen, die die Frage nach der politischen Funktion und Reichweite Sozialer Arbeit bearbeiten. (vgl. Kessl/Lütke-Harmann 2013: 133) Diese stellen nicht nur Themen innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen zur Diskussion, sondern hinterfragen auch die Rahmenbedingungen selbst, wodurch in der Debatte nicht mehr nur ein enger Politikbegriff vorherrschend ist. (vgl. Bütow/Chassé/Lindner 201: 8f)

Wagner verweist darauf, dass es neben der materiellen Sicherung der Adressat_innen, die die Basis für alles Weitere schafft, auch die Aufgabe der Sozialen Arbeit ist, Wege zu finden, Menschen dabei zu unterstützen, die ihnen durch die postdemokratischen Entwicklungen zugeordnete passive Rolle abzuwehren und Beteiligung zu ihren eigenen Bedingungen einzufordern. (vgl. Wagner 2013b: 81) Dies bedeutet, dass im Folgenden nicht nur eine Auseinandersetzung der Sozialen Arbeit mit den Symptomen der Postdemokratisierung im Vordergrund steht, sondern auch die Frage, inwiefern die Soziale Arbeit in ihrem Handlungsspielraum diesen Entwicklungen – also der Entpolitisierung und der Entmachtung des Volkes – entgegenwirken kann. Dazu werden Überlegungen angestellt, die weniger auf konkrete Lösungs- bzw. Handlungsvorschläge abzielen, sondern auf die Frage, welche Problematiken und Wechselwirkungen zu bedenken sind und welche Haltung und Position die Soziale Arbeit einnehmen kann.


3.1 Funktion von Teilhaberechten und Partizipation
Die Grundvoraussetzung einer demokratischen Gesellschaft ist die Teilnahme der Bürger_innen am politischen Geschehen, was auf der Gleichheit derselben basiert. Dafür müssen alle Mitglieder einer solchen Gesellschaft mit Bürgerrechten ausgestattet sein. Doch die alleinige formale Existenz solcher Rechte ist noch nicht ausreichend, um die Möglichkeit der Beteiligung aller zu garantieren. Es muss außerdem ein Zugang zu den Rechten vorhanden sein, um diese nutzen zu können. Diese Zugänge beruhen jedoch auf gesellschaftlich ungleich verteilten Ressourcen, womit sowohl ökonomische als auch kulturelle und symbolische Ressourcen gemeint sind. Somit ist der „Grad der Demokratisierung von Gesellschaft immer auch eine Frage nach dem Zugang zu politisch nutzbaren Machtressourcen.“ (Wagner 2013b: 72) Durch die Postdemokratisierung wird das Ungleichgewicht im Zugang zu diesen Machtressourcen verschärft. (vgl. Wagner 2013a: 29) Des Weiteren können politische Rechte für gewöhnlich nur kollektiv wirksam genutzt werden, was die Vernetzung und Bildung von politischen Interessensgemeinschaften voraussetzt, die auch anerkannt werden müssen, wofür wiederum das Vorhandensein der entsprechenden Ressourcen notwendig ist. Es kann also gesagt werden, dass umfassende Rechte der Teilnahme die Fundierung von Partizipationsprozessen und Solidarität bilden und somit auch generell politisches Handeln unterstützen. (vgl. ebd.: 30f) Somit verleihen Bürgerrechte nicht nur Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung und schaffen „Gleichheit“, sondern sind selbst ein Instrument der Exkludierung, da es große Unterschiede in den Chancen gibt, sie zu nutzen. (vgl. Wagner 2013b: 67) Im Endeffekt sind bei weitem nicht alle Bürger_innen dazu in der Lage, Bürgerrechte zu nutzen bzw. sind sie mit diesen von vornherein nicht ausgestattet. Gerade Klient_innen der Sozialen Arbeit sind oft von diesem nicht vorhandenen oder eingeschränkten Zugang betroffen, wodurch sie auf Vertretung und Repräsentation ihrer Anliegen durch andere angewiesen sind. (vgl. Geisen 2013: 79f)

Doch hier stellt sich die Frage, was unter Teilhabe bzw. politischer Partizipation verstanden werden kann. Da der Begriff „Partizipation“ momentan in aller Munde ist, und mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt wird, muss ein differenzierter Blick darauf geworfen werden, wie Partizipation in Hinblick auf die Entgegenwirkung der zunehmenden Entpolitisierung verstanden werden kann.

Die Entwicklung verschiedener Verständnisse von Beteiligung führen Peter Beresford und Suzy Croft darauf zurück, dass in der jüngeren Vergangenheit Partizipation abgetrennt von ihrem politischen Hintergrund behandelt wurde, und der Fokus stark auf der Ausformung der Techniken und Methoden lag. Nichtsdestotrotz ist das politische Interesse an Partizipation größer denn je, und Parteien verschiedenster Lager schreiben sich die Förderung von Beteiligung auf die Fahnen. (vgl. Beresford/Croft 2004: 18f) Oft steckt hierbei allerdings kein emanzipatorisch-demokratischer Charakter dahinter, sondern Partizipation wird vermarktet und ihre Funktion somit ins Gegenteil verkehrt, indem sie nicht zur Bestärkung der Bürger_innen, sondern zu ihrer Unterdrückung und Kontrolle beiträgt. (vgl. Wagner 2012: 16f) Doch diesen Entwicklungen stehen auch demokratische Partizipationsmodelle gegenüber, die als explizit politisch beschrieben werden können, da hierbei die (Um-)Verteilung von Ressourcen und Macht im Vordergrund steht. (vgl. Beresford/Croft 2004: 32) Diese nehmen allerdings ein eher geringeres Ausmaß an. Ein Beispiel hierfür stellen Nutzer_innenbewegungen von Adressat_innen der Sozialen Arbeit dar, die von Beresford und Croft (2004) genauer ausgeführt werden.

Die generelle Forderung von Teilen der Bevölkerung nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten lässt sich jedoch schon in den immer zahlreicher werdenden Protestaktionen ablesen. Hier wird mehr Teilhabe bei politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen gefordert. (vgl. Wagner 2012: 15) Mit dieser steigenden Ausübung „unkonventioneller“ Beteiligungsformen lässt sich gleichzeitig ein Rücklauf an der Nutzung „konventioneller“ Möglichkeiten, wie Wahlen, feststellen. Doch auch wenn es im ersten Moment als rein positive und demokratische Entwicklung erscheinen mag, dass Personen selbst aufstehen und ihre Bedürfnisse einfordern, darf hier nicht vergessen werden, dass der Zugang bei „unkonventionellen“ Beteiligungsformen, wie Demonstrationen oder Petitionen, sogar durch ein noch größeres klassenspezifisches Ungleichgewicht geprägt ist als bei „konventionellen“ Methoden. Denn solche, sich gerade im Aufschwung befindenden Verfahren können vor allem von privilegierten und gut organisierten Personengruppen entsprechend genutzt werden, da sie sich durch eine gute Ausstattung an Ressourcen auszeichnen. Somit werden deren Interessen lauter gehört und stärker verteidigt, als jene weniger privilegierter Bevölkerungsgruppen. (vgl. Wagner 2012: 27f)

Die Bedeutung und Praxis von Partizipation muss folglich in ihren ideologischen, politischen und sozioökonomischen Zusammenhängen reflektiert werden, um Zugang und Unterstützung für diejenigen zu sichern, denen es daran fehlt. Hierbei müssen auch persönliche Umstände miteinbezogen werden, damit die Beteiligung effektiv sein kann. (vgl. Beresford/Croft 2004: 37f) Das heißt, obwohl zunehmende partizipatorische Entwicklungen generell zu begrüßen sind und positive Veränderungen mit sich bringen können – wie beispielsweise die Verankerung demokratischer Prinzipien in Konzepten Sozialer Arbeit – dürfen sie nicht losgelöst von den aktuellen Transformationsprozessen in westlichen Demokratien betrachtet werden, da ansonsten die Aktivierung der Bürger_innen zu mehr Selbstverantwortung und weitere neoliberale Folgen im Vordergrund stehen. (vgl. Wagner 2013b: 72f)


3.2 Demokratieverständnis in den Postdemokratiethesen
Im nächsten Schritt wird geklärt, von welchem Demokratieverständnis die beiden Autoren der vorgestellten Postdemokratiethesen ausgehen und welche Bedeutung dies für die Soziale Arbeit hat, denn:

„Partizipation bedeutet wörtlich Teilnahme oder Teilhabe. Auch Beteiligung, Mitsprache oder Mitbestimmung werden häufig als Synonyme von Partizipation verwendet […]. Wie groß nun jedoch die Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft tatsächlich ist, hängt eng mit deren Demokratieverständnis zusammen. Denn auch bei Debatten um Partizipation zeigen sich die unterschiedlichen Positionen aufgrund unterschiedlicher Demokratieverständnisse.“ (Hobi/Pomey 2013: 123)

Es kann festgestellt werden, dass Crouch von einem liberaleren Verständnis von Demokratie ausgeht, das in Verbindung mit der Sozialen Arbeit problematisch werden kann. Denn wie alle Staatsmodelle haben auch repräsentative Demokratien negative Eigenschaften, nämlich, dass sie zwar einerseits Inklusion erzeugen, aber andererseits auch negative Folgen nach sich ziehen, da diese Inklusion nur unter bestimmten Bedingungen (z. B. eine disziplinierte Lebensführung) ermöglicht wird. Die negativen Folgen, die produziert werden, sind Diskriminierungen, Ungleichheit, Exklusion und Unterdrückung – mit diesen Konsequenzen arbeitet die Soziale Arbeit. (vgl. Bareis 2013b: 14) Das repräsentative Attribut erzeugt von sich aus eine antidemokratische Komponente, da politisch unkundige Personen zugunsten von Eliten entmachtet und ausgeschlossen werden. (vgl. Wagner 2013b: 71) Nach einem liberalen Demokratieverständnis besteht die Aufgabe Sozialer Arbeit darin, diese Auswirkungen so weit wie möglich zu minimieren und so viele Personen wie möglich am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen zu lassen, wohingegen emanzipatorische Modelle sich direkt auf den der Demokratie eigenen Widerspruch konzentrieren und versuchen alternative Handlungsstrategien zu generieren. Der liberale Weg der Minderung dieser negativen Folgen kann zwar dazu führen, dass veränderungsbedürftige Punkte im System gefunden werden, und auch die Forderung nach Veränderung laut wird, im Endeffekt läuft dies aber meist nicht auf einen Wandel des Systems hinaus, sondern auf den Versuch die Klient_innen entsprechend zu ändern. (vgl. Bareis 2013b: 16)

Aus einem kritisch-emanzipatorischen Demokratieverständnis heraus weitet sich der Blick dann auch auf Beteiligungsmöglichkeiten, die aus liberaler Sicht als „undemokratisch“ bezeichnet werden, wie „Aufstände, Revolten, illegalisierte Migration, nonkonforme oder undisziplinierte Lebensweisen“ (Bareis 2013a: 34), und die von jenen Personen ausgeübt werden, die keinen institutionalisierten Raum haben, um ihre Anliegen vorzubringen, (vgl. Bareis 2013b: 12) oder deren Stimme im Sinne des besprochenen „Unvernehmens“ nicht anerkannt wird. Die Theorie von Rancière, dass Politik nur im Moment des Streithandels existiert, reicht also für diese Überlegungen nicht ganz aus, es soll auch ein Abwägen von Möglichkeiten der Institutionalisierung neuer Beteiligungsformen stattfinden.

Somit eröffnen sich für die Soziale Arbeit neue Wege, abseits ihres normativen Auftrags der Sicherung des hegemonialen politischen Systems, indem sie sich mit den Folgen von Schließungsprozessen desselben auseinandersetzt. Dies ist nicht nur im Hinblick auf eine Verortung im wissenschaftlich-theoretischen Kontext essentiell, sondern dient auch als Argumentationsbasis zur Ausrichtung von Handlungs- und Interventionsstrategien (vgl. Bareis 2013a: 34ff)


3.3 Soziale Arbeit – Politik oder Polizei?
Als nächstes soll der Frage nachgegangen werden, ob sich die Soziale Arbeit im Anschluss an Rancières These eher im Bereich der Politik oder der Polizei verorten lässt. Unter dem Blickwinkel der Verhaftung der Sozialen Arbeit im Wohlfahrtsstaat, in dem sie den Auftrag der Reproduktion der gesellschaftlichen Ordnung hat, kann sie zunächst als polizeiliche Instanz beschrieben werden, die quasi an den Grenzen „patrouilliert“. (vgl. Lütke-Harmann/Kessl 2013: 143) Diese überwachende und kontrollierende Aufgabe, ist eine, die der Sozialen Arbeit durch ihre Geschichte naheliegt. (vgl. Wagner 2013b: 78)

Martina Lütke-Harmann und Fabian Kessl haben Rancières Begriffe von Politik und Polizei näher betrachtet und bemerkt, dass die scheinbar klare Dichotomie von Hinweisen auf eine vielschichtige Verbindung der Termini begleitet wird:

„Denn wird die Politik als kontingente symbolische Praxis verstanden, welche die polizeiliche Logik mit einer ihr äußeren Demonstrationsform der Gleichheit konfrontiert, dann ist Politik notwendig auf die faktische Verfestigung in polizeilichen Institutionen wie Staat, Recht, Familie und Sozialer Arbeit angewiesen.“ (Lütke-Harmann/Kessl 2013: 143)

Dies bedeutet also, dass sich Polizei und Politik nicht als voneinander abgegrenzte Gegensätze gegenüberstehen, sondern eng miteinander verwoben sind. Des Weiteren heißt das für die Soziale Arbeit, dass auch sie nicht nur diese problematische Rolle der Polizei einnimmt. (vgl. ebd.) Auch Thomas Wagner schließt sich zum Teil dieser Einordnung an, da auch er die Abtrennung der beiden Begriffe nach Rancière als zu dichotomisch wahrnimmt. Er geht davon aus, dass zum Beispiel Bürgerrechte, die auch einen demokratischen Charakter haben, sobald sie existieren, sofort vom politischen zum polizeilichen Stadium übergehen. Somit wird die Möglichkeit genommen, zwischen unterdrückenden und emanzipatorischen Maßnahmen zu differenzieren. Zudem bleibt dadurch auch die Frage offen, wie Demokratie auf Dauer bestehen bzw. wie die Soziale Arbeit ihre emanzipatorischen Potenziale nutzen kann. (vgl. Wagner 2013b: 79)


3.4 Haltung der Sozialarbeiter_innen
Im Folgenden soll diskutiert werden, welche sozialarbeiterische Haltung einzunehmen ist, um den postdemokratischen Entwicklungen entgegenzuwirken. Die in der Postdemokratie beobachtbare Entwicklung, dass Eliten im Sinne einer Expertokratie immer mehr Entscheidungsmacht gegeben wird, obwohl sie dafür nur ungenügend legitimiert sind, lässt sich im Kontext der Sozialen Arbeit weiterführen. Denn aufgrund ihrer Position, in der Sozialarbeiter_innen ihren Klient_innen als professionelle Expert_innen gegenüberstehen, muss sich dieses Berufsfeld generell mit einem bestehenden Machtgefälle auseinandersetzen. Vor allem, wenn es um Partizipation geht, ist das von Professionellen angeeignete Expert_innenwissen insofern vorsichtig zu gebrauchen, da die Gefahr besteht, sich für Betroffene „objektiv“ einsetzen zu wollen, dabei allerdings im Sinne einer Top-down-Logik zu agieren. Aufgrund dieser Disposition ist es also vonnöten, dass Sozialarbeitende ihre Position und ihr Handeln in Verbindung mit der Macht, die sie haben, kritisch reflektieren. (vgl. Wagner 2013b: 76f)

Timm Kunstreich zufolge sollte mit der Reflexion bei den eigenen Motiven, Soziale Arbeit zu verrichten, und somit der eigenen Subjektivität begonnen werden. Für gewöhnlich wird die problematische Rolle der Sozialen Arbeit in der Literatur mit dem „doppelten Mandat“ zusammengefasst, was bedeutet, dass sie sich einerseits an den Bedürfnissen der Klient_innen orientieren muss, und andererseits an den Anforderungen der Rahmenbedingungen (der Organisation oder staatlichen Strukturen). Hierbei werden aber die Personen selbst, die als Sozialarbeiter_innen tätig sind, ausgeblendet und somit verdinglicht, was die Reflexion der eigenen Position in diesem hierarchischen System beeinträchtigt. Diese Position muss auch in Verbindung mit der eigenen Verstrickung in gesellschaftliche bzw. politische Milieus in Bezug gestellt werden. Es ist natürlich der einfachere Weg, stellvertretend für Klient_innen auf veränderungsbedürftige Zustände hinzuweisen, als eigene politische Motive in die berufliche Welt miteinzubeziehen. Eine Auseinandersetzung mit diesen ist aber von großer Bedeutung, wenn es als Ziel gilt, Teilhabe von Klient_innen zu unterstützen und nicht darum, deren Forderungen zu befrieden. (vgl. Kunstreich 2014: 52f) Es ist zugleich wichtig zu bedenken, dass dieses asymmetrische, „helfende“ Verhältnis zwischen Sozialarbeitenden und ihren Klient_innen an sich eine soziale Positionierung schafft, da die Inanspruchnahme von Angeboten der Sozialen Arbeit selbst schon mit einem Stigma verbunden sein kann. (vgl. Wagner 2013a: 34f)


4. Annäherung an die Praxis Sozialer Arbeit
Es sind im Verlauf des letzten Kapitels nun einige Überlegungen angestellt worden, auf welche Weise sich die Soziale Arbeit der Aufgabe der Politisierung annähern kann bzw. wie dies nicht funktionieren kann. Diesen theoretischen Zugang auf praktische Ebene zu bringen erweist sich insofern als komplex, da Beteiligungsprozesse nicht standardisierbar sind und die jeweiligen „Bühnen“ zur Auseinandersetzung mit Politik für die entsprechenden Handlungsfelder und Situationen neu zu schaffen sind. Bei dieser konkreten Umsetzung besteht auch immer wieder das Risiko als Ordnungsorgan aufzutreten, was diesbezüglich unbedingt berücksichtigt werden muss. (vgl. Sturzenhecker 2013: 56)

Es kann zunächst auf drei verschiedenen Handlungsebenen Sozialer Arbeit verwiesen werden. Erstens kommt es in sozialstaatlichen Behörden oft zu Komplikationen in Verbindung mit bürokratischen Hindernissen. Das Potenzial der Sozialen Arbeit kann hier in Form unabhängiger Ombuds- und Beratungsstellen genutzt werden, welche die Betroffenen dabei unterstützen können, von ihren Rechten auch tatsächlich Gebrauch zu machen – hierfür müssen diese aber erst einmal vorhanden sein. Die zweite Ebene bezieht sich auf die Soziale Arbeit selbst, da auch sie eine „sozialstaatliche Arena“ bildet. Die möglichen Demokratisierungen in diesem Bereich beziehen sich nicht nur auf die Klient_innen, sondern auch auf das Personal. Es kann hier zum einen für mehr Rechte und Optionen in der Mitbestimmung gesorgt werden, zum anderen kann die Soziale Arbeit insofern politisiert werden, als sie den „Streithandel“ nach Rancière auch in sich selbst zulässt, indem allen Beteiligten das Recht auf Verweigerung und Protest, also eine Möglichkeit abseits des sofortigen Konsens, eingeräumt wird. Mit der dritten und letzten Ebene bewegt sich die Soziale Arbeit auf das öffentliche, politische Feld im engeren Sinn. Hierbei kann auf Beispiele der Unterstützung von politischer Selbstorganisation verwiesen werden. Ebene eins und zwei bewegen sich im lokalen Raum, erst mit Ebene drei kann tatsächlich postdemokratischen Entwicklungen, wie die bereits besprochene expertokratische Arbeitsteilung, entgegengewirkt werden. (vgl. Wagner 2013b: 82) Man könnte diesen Gedanken auch in Verbindung mit der Gegenüberstellung eines liberalen bzw. emanzipatorischen Demokratieverständnisses in Verbindung bringen. Denn vor allem die erste Ebene handelt nur innerhalb des Systems, anstatt den Anspruch zu stellen die Rahmenbedingungen zu verändern.

Es ist jedoch im Bereich des politischen Felds zu bedenken, dass sich der Zugang zu diesem für weniger privilegierte Personen generell als schwieriger erweist und somit hier auf das Gefälle in den Teilnahmemöglichkeiten Rücksicht genommen werden muss. Deshalb bieten Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Sozialen Arbeit und die Unterstützung, die zur Ausübung von Rechten notwendigen Ressourcen zu erlangen, eine gute Ergänzung zur Partizipation in der „großen Politik“ – jedoch keinen Ersatz derselben. (vgl. Wagner 2013a: 41)

Sturzenhecker gibt drei Hinweise, wie es Soziale Arbeit möglich machen kann, dass „Gesellschaftsmitglieder ihre Stimme erheben und ihre demokratische Teilnahme selbst betreiben.“ (Sturzenhecker 2013: 49) Zum ersten ist es essentiell, Klient_innen als an der Demokratie teilhabende Personen anzuerkennen, um ihnen in einem weiteren Schritt in „entgegenkommenden Institutionen“ Rechte auf Teilhabe einzuräumen, damit sie drittens Ungerechtigkeiten anklagen und mit ihren Gegenübern neue Verhältnisse aushandeln können. (ebd.: 49) So soll ermöglicht werden, dass die Anliegen der Klient_innen selbst wahrgenommen werden können, ihre Stimme gehört wird, unabhängig von den Interessen anderer Akteur_innen.

Diese Überlegungen sollen als Anknüpfungspunkte dienen, um die Demokratisierung der Gesellschaft durch die Unterstützung Sozialer Arbeit sowie die Demokratisierung innerhalb der Sozialen Arbeit selbst voranzutreiben.


Literatur

Agamben, Giorgio (2012): Demokratie? Eine Debatte. Berlin.

Bareis, Ellen (2013a): Demokratie und Alltag. In: Bakic, Josef / Diebäcker, Marc / Hammer, Elisabeth (Hg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch. Wien, S. 29-45.

Bareis, Ellen (2013b): Die Löcher im konsensualen Gewebe der Postdemokratie. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Billdungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, 4/2013, S. 11-20.

Beresford, Peter / Croft, Suzy (2004): Die Demokratisierung Sozialer Arbeit: Vom Klienten als Objekt zum Nutzer als Produzent. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Billdungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, 1/2004, S. 17-43.

Bütow, Birgit / Chassé, Karl August / Lindner, Werner (2014): Das Politische im Sozialen – Historische Linien und aktuelle Herausforderungen der Sozialen Arbeit. Berlin/Toronto.

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Über die Autorin

Marlene Pillwein, BA
marlene.pillwein@fh-campuswien.ac.at

Sozialarbeiterin; Berufliche Erfahrung in den Bereichen HIV- und Aidsprävention (Bolivien), Bildungsarbeit mit Jugendlichen, Suchthilfe, Gemeinwesenarbeit und Sozialarbeit mit Sexarbeiter_innen