soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 14 (2015) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/383/688.pdf


Manuela Hager:

Ambulante Altensozialarbeit

Ein Arbeitsfeld mit großem Potenzial und Bedarf


1. Einleitung
In einer fachlichen Auseinandersetzung bzw. einer beruflichen Tätigkeit mit älteren Menschen ist man zwangsläufig mit diversen Versorgungs- und Angebotslücken für diese Zielgruppe konfrontiert. Die Unterstützungsbedürftigkeit älterer Menschen reduziert sich in der medialen Präsenz und in der öffentlichen Angebotsstruktur sehr stark auf die Aspekte Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Ein nach wie vor vorherrschendes defizitäres Altersbild scheint dafür verantwortlich zu sein, dass Alter und Altern überwiegend mit Pflegebedürftigkeit assoziiert werden und andere psychosoziale Problemstellungen, aber auch die Ressourcen des Alters, zu wenig Beachtung finden. Daraus ergeben sich eklatante Versorgungsmängel vor allem in der psychosozialen Betreuung und der sozialarbeiterischen Unterstützung älterer Menschen.

Ausgehend von der Annahme, dass die Soziale Arbeit in einem von Medizin und Pflege dominierten Altenhilfesystem eine wichtige Ergänzung und ein notwendiges kritisches Korrektiv darstellt (vgl. Mennemann/Ribbert-Elias 1999: 234) und die Altensozialarbeit derzeit sowohl in der Praxis als auch in der Forschung noch deutlich unterrepräsentiert ist, wurde das Thema der ambulanten Altensozialarbeit näher behandelt.

Die Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Alter(n) und einer ambulanten Altensozialarbeit ergibt sich aus mehreren Aspekten. (1) Die demografische Entwicklung, welche von einer Alterung der Gesellschaft geprägt ist. (2) Der strukturelle Wandel des Alters und des Alterns. Tews (1993 zit. in Thiele 2001: 34ff bzw. Gaßmann 2000: 409f) beschreibt diesbezüglich Entwicklungen wie die Entberuflichung, die Singularisierung, die Feminisierung des Alters und die zunehmende Hochaltrigkeit. Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung der zunehmenden Pluralisierung und Heterogenität der Lebensformen betrifft auch die Lebensphase Alter. Das Alter ist vielfältiger geworden, aber auch zunehmend von Unsicherheiten und sozialen Risiken begleitet (vgl. Kleiner 2005: 57). (3) Auch die gegenwärtigen Rahmenbedingungen des Sozial-, Gesundheits- und Pflegesystems beeinflussen die Situation älterer Menschen und ihrer Angehörigen. Das Streben nach einer kürzeren Verweildauer in den Krankenhäusern erhöht den Versorgungsbedarf bzw. -aufwand im ambulanten Bereich. Die Fragmentierung der Systeme und die bestehende Vielfalt an Leistungserbringern mit ihren differenzierten Finanzierungsmodalitäten und Strukturen lassen die Forderung nach mehr Koordination und professioneller sowie trägerunabhängiger Beratung entstehen, um ältere Menschen und ihre Angehörigen dabei zu unterstützen, sich im gegebenen Hilfesystem zu orientieren (vgl. Greuèl/Mennemann 2006: 34f, Badelt/Leichsenring 2000: 430). (4) Da besonders in der Lebensphase des Alters von einer Kumulation und Verdichtung von krisenhaften Lebensereignissen, von Desintegrationsprozessen und von ökonomischen, gesundheitlichen und sozialen Problemlagen ausgegangen werden kann, bedarf es differenzierter Unterstützungsangebote und eines fachlichen Diskurses zur Altensozialarbeit (vgl. Spitzer 2010: 93).


2. Ambulante Altensozialarbeit am Beispiel Steiermark
Für die Soziale Arbeit mit älteren und alten Menschen gibt es in Österreich kein einheitliches Verständnis, wovon auch die vielfältigen Bezeichnungen zeugen: Altensozialarbeit, Alterssozialarbeit, Gerontosozialarbeit, Soziale Arbeit mit alten Menschen, Soziale Altenarbeit und Soziale Altenhilfe werden oft beliebig oder synonym verwendet.

Das Handlungsfeld der Altensozialarbeit ist im Verhältnis zu traditionellen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, wie der Kinder- und Jugendhilfe, ein verhältnismäßig junges Berufsfeld. Aus der ständigen Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit und ihrer Erschließung neuer sozialarbeiterischer Handlungsbedarfe ergab sich ein zunehmend eigenständiges Berufsfeld der Altensozialarbeit innerhalb der Sozialen Arbeit. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es jedoch verwunderlich, dass sich die Spezialisierung der Altensozialarbeit nicht deutlicher abzeichnet (vgl. Loidl-Keil/Posch 2005: 154, Höhn/Loidl-Keil 2007: 500f, Spitzer 2010: 94).

Durch die zunehmende Heterogenität der Zielgruppe und ihren je spezifischen Problemlagen kommt es zu einer Ausweitung und Ausdifferenzierung der Aufgaben- und Arbeitsfelder der Altensozialarbeit. Bei den Arbeitsfeldern der Altenarbeit bzw. Altensozialarbeit kann zwischen dem offenen, ambulanten, teilstationären und stationären Bereich unterschieden werden, wobei die vorliegende Arbeit auf den ambulanten Bereich fokussiert. Ambulante Angebote werden in Zukunft schon aus Kostengründen an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus entspricht dies dem häufigen Wunsch älterer Menschen, solange als möglich in der vertrauten Umgebung verbleiben zu können (vgl. Kittl-Satran/Simon 2010: 225f).

Die ambulante Altensozialarbeit zielt darauf ab, ein würdevolles Leben im Alter in der eigenen Wohnung zu ermöglichen und zu unterstützen.

„Ältere Menschen in gesundheitlichen oder sozialen Krisen sollen dabei unterstützt werden, ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können, ungewollte stationäre Unterbringungen sollen vermieden werden und nach Klinik oder Heimaufenthalten soll ein Leben in der vertrauten häuslichen Umgebung ermöglicht werden.“ (Wißmann 1995: 104)

Ambulante Angebote werden vorwiegend mit Hilfs-, Service- und Pflegediensten – wie Hauskranken- und Altenpflege, Heimhilfe- und Haushaltsdienste, Begleit- und Transportdienste, Essen auf Rädern, Besuchsdienste, Einkaufs- und Reparaturdienste, Notrufsysteme usw. – assoziiert. Während die genannten Dienste überwiegend die jeweilige Person mit ihrem Hilfe- und Betreuungsbedarf im Fokus haben, ist die Soziale Arbeit in diesem Handlungsfeld mehrdimensional. Die ambulante Altensozialarbeit bezieht sich zwar auch direkt auf die Person und ihre Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit, darüber hinaus aber auch auf andere mögliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit, auf das soziale Netz der Betroffenen, auf Probleme des Umfeldes mit dem älteren Menschen und seiner Notlage, auf eine Vermittlung zwischen den Interessen und Bedürfnissen aller Beteiligten und auf institutionelle Rahmenbedingungen (vgl. Hedtke-Becker/Künzel-Schön 1995: 182, Karl 1993: 27). Die ambulante Altensozialarbeit richtet sich an ältere Personen, die einen Informationsbedarf haben, die Hilfestellung bei der Sicherung einer selbstständigen Lebensführung benötigen oder bei denen eine Gefährdung der selbstständigen Lebensführung zu befürchten ist. Die Altensozialarbeit ist ausdrücklich auch an ältere Personen gerichtet, die nicht pflegebedürftig sind. Die Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen ist nur als Ausschnitt der Altensozialarbeit zu sehen (vgl. Hedtke-Becker/Künzel-Schön 1995: 175, Loidl-Keil/Posch 2005:154).

Eine Betrachtung der bestehenden ambulanten Angebotsstruktur zeigt deutlich die Schwächen der sozialarbeiterischen und psychosozialen Versorgung für ältere Menschen in der Steiermark auf. Die Angebote richten sich entweder an Personen mit spezifischen Erkrankungen (Beispiele: Mobiles Palliativteam, Gerontopsychiatrische Versorgung) oder sie fokussieren auf pflegebedürftige Menschen, wie die Integrierten Sozial- und Gesundheitssprengel. Die Bezeichnung als Integrierte Sozial- und Gesundheitssprengel bzw. als Sozialzentren ist jedoch irreführend, da hier eindeutig Pflege- und Gesundheitsleistungen dominieren und die Profession der Sozialen Arbeit nicht vertreten ist. In der Steiermark hat bislang einzig der Integrierte Sozial- und Gesundheitssprengel Kapfenberg ein sozialarbeiterisches Angebot umgesetzt. Bei anderen Angeboten handelt es sich um kleine Einzelinitiativen für bestimmte Regionen (Beispiele: Sozial Medizinisches Zentrum Liebenau – Graz, Servicestelle für Gesundheit und Soziales Weiz). Fallweise sind die Angebote unbekannt oder sie bergen eine Hemmschwelle, diese in Anspruch zu nehmen (Beispiele: Psychosoziale Zentren, behördliche Sozialarbeit). Darüber hinaus sind sie häufig zentral gelegen und daher für ältere, mitunter mobilitätsbeeinträchtigte Personen aus den ländlichen Regionen schwer zugänglich.

Mein Forschungsinteresse gilt einer Altensozialarbeit, welche ihre Zuständigkeit für alle Notlagen älterer Menschen, unabhängig vom Vorliegen bestimmter Erkrankungen oder einer Pflegebedürftigkeit, sieht. Dabei zeigte sich, dass die Krobatschek Privatstiftung das einzige ausschließlich auf ältere Menschen spezialisierte, ansonsten jedoch unfragmentierte, sozialarbeiterische Angebot in der Steiermark ist.

Die Krobatschek Privatstiftung wurde mit dem Ziel gegründet, älteren, notleidenden Menschen in der Steiermark zu helfen. Im Sinne des vom Ehepaar Krobatschek formulierten Stiftungszweckes, unterstützt die Krobatschek Privatstiftung in der Steiermark lebende Personen ab dem 60. Lebensjahr und deren Angehörige in ihren individuellen Notlagen. Das Ehepaar Krobatschek hat „die Not und die damit oft verbundene Einsamkeit […] als eine zentrale Herausforderung unserer Gesellschaft“ (Krobatschek Privatstiftung 2014) erkannt, welche es zu bearbeiten gilt. Die Stiftung ist seit dem Jahr 2007 tätig.

Neben der Krobatschek Privatstiftung wurde auch die behördliche Sozialarbeit in die empirische Erhebung einbezogen, um ein umfassenderes Bild der steirischen Altensozialarbeit zu erlangen.


3. Methodisches Vorgehen
Die empirische Erhebung basiert auf einer exemplarischen Analyse von 66 Falldokumentationen der Krobatschek Privatstiftung sowie auf vier ExpertInneninterviews mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Krobatschek Privatstiftung, des Magistrates Graz (Sozialamt) und einer Bezirkshauptmannschaft. Darüber hinaus erfolgte eine telefonische Kurzbefragung bei allen steirischen Bezirkshauptmannschaften um die Situation der Erwachsenen- und Altensozialarbeit in den Bezirken zu erheben. Die Ergebnisse wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.

Die forschungsleitende Fragestellung lautet: Welche Ansätze für die Gestaltung einer ambulanten Altensozialarbeit in der Steiermark lassen sich aus der Praxis der Krobatschek Privatstiftung und der behördlichen Sozialarbeit generieren?


4. Ergebnisse
Neben der Hauptfrage wurden im Rahmen der Untersuchung drei Nebenfragen behandelt. Erstens wurde erhoben, mit welchen individuellen Notlagen älterer Menschen die Krobatschek Privatstiftung und die behördliche Sozialarbeit überwiegend konfrontiert sind. Finanzielle und materielle Notlagen können dabei als wesentliche Problemlagen des Alters definiert werden. Sie resultieren aus einem geringen Pensionseinkommen, der fehlenden Möglichkeit zur Rücklagenbildung, den steigenden Wohn- und Lebenserhaltungskosten und zusätzlichen Gesundheitsausgaben aufgrund von Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Es zeigt sich, dass die ohnehin vielfach prekäre finanzielle Situation älterer Menschen dadurch verschärft wird, dass sie Familienangehörige finanziell unterstützen, Opfer von Betrug werden oder aufgrund von Schamgefühlen Unterstützungsleistungen nicht in Anspruch nehmen.

Mit der ökonomischen Not korrelieren häufig schlechte Wohnverhältnisse, eine mangelnde soziale Teilhabe, Vereinsamung und mitunter eine mangelhafte Versorgung und Verwahrlosung.

Neben der ökonomischen Not liegen auch vielfältige emotionale Belastungen vor. Die Dokumentenanalyse ergab, dass viele ältere Frauen durch Gewalterfahrungen belastet sind. Darüber hinaus gelten vor allem Einsamkeit und Isolation als wesentliche Notlagen des Alters. Neben den Veränderungen in den sozialen Beziehungen aufgrund steigender Mobilität und sinkender Kinderzahlen zeigen sich in der Untersuchung vor allem ungelöste familiäre Konflikte mitverantwortlich für diese Vereinsamung. Neben der Bewältigung der Einsamkeit und der emotionalen Belastung durch die Konflikte, stellen diese veränderten sozialen Beziehungen auch eine Herausforderung in der Organisation der Versorgung im Falle einer Betreuungsbedürftigkeit dar. Die Falldokumentationen der Krobatschek Privatstiftung zeigen auch mehrere Fälle traumatisierender Pflegeerfahrungen auf, vor allem im stationären Bereich. Dieser Aspekt, wie auch die Zunahme pflegebedürftiger und psychisch erkrankter älterer Menschen, lässt den Ruf nach einer adäquaten und leistbaren ambulanten und stationären Altenversorgung laut werden.

Die zweite Frage befasste sich mit den Leistungen und Interventionen, welche erbracht werden, um die geschilderten Notlagen zu bearbeiten. Neben der Gewährung finanzieller Unterstützung, wie es im Falle der Krobatschek Privatstiftung möglich ist, stellt vor allem die Beratung und Abklärung der finanziellen Situation eine wesentliche Leistung zur Bewältigung finanzieller Notlagen dar. Den älteren Menschen wird durch die Sozialarbeit der Zugang zu finanziellen Leistungen und sonstigen Angeboten erleichtert und sie werden in der Durchsetzung ihrer Rechte und Ansprüche unterstützt. Die Vermittlung zu und die Vernetzung mit diversen Leistungserbringern ist eine wesentliche Aufgabe der Altensozialarbeit. Die Erhebung zeigt, dass die untersuchten Organisationen vorrangig Kurzinterventionen wie Abklärung, Beratung und Vermittlung setzen. Längerfristige Betreuungen und Begleitungen kommen nur in Einzelfällen vor, der Bedarf dafür ist jedoch gegeben.

Die dritte Frage befasste sich mit den Methoden und Arbeitsgrundsätzen der untersuchten Organisationen. Dabei zeigt sich, dass die Beziehungsarbeit und das Gespräch wesentliche Elemente der Altensozialarbeit sind. Der Hausbesuch gilt als bedeutungsvolles Instrument um diese Beziehung zu fördern. Das Gespräch bietet einsamen oder belasteten Menschen die Möglichkeit zur Aussprache und verdeutlicht die Wertschätzung ihres gelebten Lebens. Die Erhebung zeigt, dass ältere Menschen das Interesse an ihrer Person und ihrem Leben schätzen und diesem mit einem großen Vertrauen und Offenheit begegnen. Die Methode des Case Managements findet sowohl bei der Krobatschek Privatstiftung als auch in der Sozialarbeit im Magistrat Graz Anwendung. Obwohl die interviewten Personen Prävention nicht ausdrücklich als Methode anführen, zeigt die Erhebung, dass die Altensozialarbeit auf vielfältige Weise präventiv wirkt, etwa durch die Vermeidung von Pflegeheimunterbringungen oder die Befähigung, zukünftige Notlagen alleine zu bewältigen. Hinsichtlich der Arbeitsgrundsätze zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen der Krobatschek Privatstiftung und den anderen untersuchten Organisationen. Während die behördlichen Sozialarbeiterinnen hier überwiegend persönliche Haltungen nennen, wird deutlich, dass sich die Krobatschek Privatstiftung als Organisation intensiv mit ihren Arbeitsprinzipien der Subsidiarität, Nachhaltigkeit und Hilfe zur Selbsthilfe auseinandergesetzt hat.

Welche Ansätze für die Gestaltung einer ambulanten Altensozialarbeit in der Steiermark lassen sich aus der Praxis der Krobatschek Privatstiftung und der behördlichen Sozialarbeit generieren?

In Bezug auf die Hauptfrage konnten fünf wesentliche Aspekte für die Gestaltung einer ambulanten Altensozialarbeit definiert werden.

(1) Regionale und aufsuchende Angebote: Diese sind aufgrund der eingeschränkten Mobilität, dem Informationsdefizit und der Scham älterer Menschen erforderlich. Diesbezüglich können präventive Hausbesuche oder fallunabhängige Beratungen im Sinne einer Sozialraumorientierung vorgeschlagen werden. Durch diese Angebote könnte die Scham abgebaut und die Selbstverständlichkeit, Hilfe und Beratung in Anspruch zu nehmen, erhöht werden.

(2) Multiprofessionelle Angebote: Die Mehrdimensionalität der Notlagen älterer Menschen verdeutlicht, dass für eine adäquate Altenversorgung interdisziplinär gestaltete Dienstleistungen erforderlich sind. Die mobilen Palliativteams in der Steiermark und die gerontopsychiatrische Versorgung in Graz zeigen beispielhaft, auf welche Weise diese Interdisziplinarität von Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Psychologie und Ehrenamt gestaltet sein könnte.

(3) Information und Abklärung: Die Komplexität und Fragmentierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs machen Informations- und Abklärungsstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen erforderlich. Aufgrund ihres Generalistentums und ihrer Netzwerkkompetenz kann die Soziale Arbeit jedenfalls als geeignete Berufsgruppe für diese Tätigkeit erachtet werden. Die Forderung nach einem landesweit installierten Case Management für die integrierte Versorgung älterer Menschen entspricht diesem Bedarf. Diesbezüglich sei jedoch vor einem inflationären Verständnis von Case Management gewarnt, welches ihre Aufgabe nur in einer schnellen Vermittlung von Hilfsdiensten oder Hilfsmitteln sieht bzw. welches wiederum nur auf kranke bzw. pflegebedürftige Personen fokussiert ist. Es bedarf hingegen eines sozialarbeiterischen Case Managements, welches Unterstützungsprozesse umfassend plant und steuert.

(4) Längerfristige Begleitung und Beziehungsangebote: Wie die Erhebungen zeigen, sind für ältere Menschen vor allem auch Gesprächs- und Beziehungsangebote und die Möglichkeit der längerfristigen Begleitung wesentlich. In diesem Zusammenhang kann ein zweistufiges Versorgungssystem vorgeschlagen werden. Einerseits eine interdisziplinäre regionale Anlaufstelle zur Beratung und Abklärung und andererseits eine in diese Regionalstellen integrierte längerfristige psychosoziale Betreuung durch professionelle Helfer und Helferinnen, aber auch durch ehrenamtlich Tätige. Gerade durch eine längerfristige, nachgehende und alltagspraktische Begleitung können Handlungsspielräume erweitert und Ressourcen aktiviert werden. Das System der Sozialarbeit und Sozialbetreuung im Magistrat Graz kann diesbezüglich ein Ansatzpunkt sein.

(5) Flächendeckende und institutionalisierte Angebote: Wie die Forschungsergebnisse zeigen, bestehen derzeit nur vereinzelte Angebote und Initiativen für eine ambulante Altensozialarbeit. Es scheint dem Zufall und mitunter der Willkür überlassen zu sein, ob ältere Menschen in ihrem Bezirk entsprechende sozialarbeiterische Unterstützung vorfinden oder nicht. Besonders in der behördlichen Sozialarbeit zeigen sich eklatante Unterschiede und vor allem erhebliche Mängel. Während am Magistrat Graz das Sozialamt mit dem dazugehörigen Referat für Sozialarbeit organisatorisch und personell vom Amt für Jugend und Familie unabhängig agiert, sind die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen an den Bezirkshauptmannschaften im Rahmen der „Sprengelsozialarbeit“ für unterschiedliche Zielgruppen (Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, Bezieher von Sozialhilfe etc.) zuständig (vgl. Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2012: 108f, 159). Die damit einhergehende Problematik wurde im Sozialbericht des Landes Steiermark formuliert:

„Gesellschaftliche und gesetzliche Veränderungen in den letzten 30 Jahren haben allerdings dazu geführt, dass sich die sozialarbeiterische Arbeit immer mehr in den Jugendwohlfahrtsbereich (Familien mit Kindern) verlagert hat und eine für alle Zielgruppen gleichermaßen intensive Sozialarbeit mit den zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten nicht bewältigbar ist.“ (Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2012: 159)

Die vorliegende Untersuchung verdeutlicht die verwirrende und ungeklärte Situation der behördlichen Altensozialarbeit in der Steiermark. Einerseits wäre im Rahmen der Sprengelsozialarbeit eine Zuständigkeit für alle Personengruppen gegeben. Auch auf den Homepages der Bezirkshauptmannschaften ist die Beratung von Erwachsenen ausdrücklich als Leistung angeführt. Andererseits weisen in der durchgeführten Telefonbefragung die meisten Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen und die Behördenleiter und -leiterinnen die Zuständigkeit für diese Zielgruppe ausdrücklich von sich. Als Begründung wird angegeben, dass kein Auftrag, keine rechtliche Grundlage und keine Ressourcen für diesen Tätigkeitsbereich bestehen. Ein vergleichbarer Hinweis findet sich auch im Sozialbericht des Landes Steiermark:

„Der sozialarbeiterische Auftrag in diesem Handlungsfeld ist zum Teil mangels gesetzlicher Vorgaben klärungsbedürftig, was in Zeiten mangelnder personeller Ausstattung, wo SozialarbeiterInnen der Spielraum für die Übernahme von ‚Küraufgaben’ fehlt, von umso größerer Bedeutung ist.“ (Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2012: 166)

Eine einzige obersteirische Bezirkshauptmannschaft hebt sich hier deutlich ab und die interviewte Sozialarbeiterin dieser Behörde gibt ausdrücklich an, auch für Erwachsene und ältere Menschen zuständig zu sein. Sie erachtet vor allem die Kinder- und Jugendhilfezentrierung, die fehlenden Ressourcen und die mangelnde Aufmerksamkeit für die Zielgruppe älterer Menschen als ausschlaggebend für die reduzierte bis gänzlich aufgelöste Erwachsenen- und Altensozialarbeit an den steirischen Bezirkshauptmannschaften.

Die Auswertung der Telefonbefragung der behördlichen Sozialarbeit lässt die Befürchtung entstehen, dass aus dem Mangel an Ressourcen für eine aufsuchende und nachgehende Altensozialarbeit unnötige Sachwalterschaftsanregungen und Einweisungen in die Psychiatrie resultieren. Diese Annahme lässt sich mit den Aussagen der beiden interviewten behördlichen Sozialarbeiterinnen bekräftigen, welche angeben, dass fallweise durch einen mehrmaligen Kontakt Widerstände abgebaut, eine Versorgung hergestellt und die Beiziehung des Distrikts- oder Polizeiarztes verhindert werden kann.

Die geschilderte Problematik verdeutlicht den Bedarf für eine rechtliche Verankerung und Institutionalisierung von Angeboten der Altensozialarbeit, um dem derzeit bestehenden Interpretationsspielraum über die Zuständigkeiten entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang kann die Frage eingebracht werden, ob es angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen neben der gesetzlich geregelten behördlichen Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht auch eine gesetzlich geregelte behördliche Sozialarbeit mit Erwachsenen und alten Menschen geben sollte. Das wäre im Sinne einer Re-Kommunalisierung von Sozialarbeit als Gegenbewegung zur gegenwärtigen Politik der Privatisierung von Notlagen.


5. Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit verdeutlichen den Bedarf und das große Potenzial der ambulanten Altensozialarbeit. Angesichts der steigenden Anzahl älterer, alleinlebender und vereinsamter Menschen, der Zunahme von Pflegebedürftigkeit und psychischen Erkrankungen und der ansteigenden materiellen Not älterer Menschen wird deutlich, dass die derzeitigen Versorgungsstrukturen nicht ausreichen. Die Erhebung der Problemlagen älterer Menschen aus den Falldokumentationen und den Interviews der Krobatschek Privatstiftung und der behördlichen Sozialarbeit zeigt die Vielfältigkeit und die Kumulation materieller, emotionaler und psychosozialer Notlagen. Davon lässt sich ableiten, dass eine Altenversorgung, welche ausschließlich auf medizinische und pflegerische Bedürfnisse abzielt, nicht den Erfordernissen unserer alternden und sich strukturell verändernden Gesellschaft entspricht.


Literatur

Amt der Steiermärkischen Landesregierung (2012): Sozialbericht 2009-2010. Graz: Amt der Steiermärkischen Landesregierung.

Badelt, Christoph / Leichsenring, Kai (2000): Versorgung, Betreuung, Pflege. In: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hg.): Bericht zur Lebenssituation älterer Menschen – Seniorenbericht 2000. Wien: Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, S. 408-453.

Gaßmann, Raphael (2000): Moderne Sozialarbeit mit alten Menschen: Beratung – Information – Koordination. In: Neue Praxis, 30, S. 408-417.

Greuèl, Marius / Mennemann, Hugo (2006): Soziale Arbeit in der Integrierten Versorgung. München: Ernst Reinhardt Verlag.

Hedtke-Becker, Astrid / Künzel-Schön, Marianne (1995): Ambulante Soziale Arbeit mit älteren Menschen. In: Hedtke-Becker, Astrid / Schmidt, Roland (Hg.): Profile sozialer Arbeit mit alten Menschen. Frankfurt am Main: Deutsches Zentrum für Altersfragen, S. 158-184.

Hager, Manuela (2014): Die ambulante Altensozialarbeit in der Steiermark und ihr Potenzial zur Bearbeitung psychosozialer Notlagen älterer Menschen. Eine exemplarische Analyse der ambulanten Altensozialarbeit der Krobatschek Privatstiftung und der behördlichen Sozialarbeit. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Fachhochschule JOANNEUM Graz.

Höhn, Martina / Loidl-Keil, Rainer (2007): Alterssozialarbeit und Lebensqualität im Wohn- und Pflegeheim. In: Knapp, Gerald / Sting, Stephan (Hg.): Soziale Arbeit und Professionalität im Alpen-Adria-Raum. Klagenfurt: Verlag Hermagoras, S. 499-536.

Karl, Fred (1993): Sozialarbeit in der Altenhilfe. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag.

Kittl-Satran, Helga / Simon, Gertrud (2010): Soziale Arbeit für ältere Menschen in Österreich. In: Aner, Kirsten / Karl, Ute (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit und Alter. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 223-229.

Kleiner, Gabriele (2005): Die Bedeutung von Lebenswelt und Sozialraum für die soziale Altenarbeit. In: Soziale Arbeit, 54, S. 55-63.

Krobatschek Privatstiftung (2014): Homepage. http://www.krobatschek.at/ (07.02.2014).

Loidl-Keil, Rainer / Posch, Klaus (2005): Sozialarbeit mit alten Menschen: ein junges Berufsbild. In: Egger de Campo, Marianne / Posch, Klaus (Hg.): Strategien gegen soziale Ausgrenzung alter Menschen. Tagungsband. Graz: FH Joanneum, S. 153-161.

Mennemann, Hugo / Ribbert-Elias, Jürgen (1999): Ambulante Soziale Arbeit mit alten Menschen. In: Soziale Arbeit, 48, S. 229-234.

Spitzer, Helmut (2010): Soziale Arbeit mit alten Menschen. Theorieperspektiven, Handlungsmodelle und Praxisfelder. In: Knapp, Gerald / Spitzer, Helmut (Hg.): Altern, Gesellschaft und Soziale Arbeit: Lebenslagen und soziale Ungleichheit von alten Menschen in Österreich. Klagenfurt: Hermagoras Verlag, S. 91-122.

Tews, Hans Peter (1993): Neue und alte Aspekte des Strukturwandels des Alters. In: Naegele, Gerhard / Tews, Hans Peter (Hg.): Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. Alternde Gesellschaft – Folgen für die Politik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 15-43.

Thiele, Gisela (2001): Soziale Arbeit mit alten Menschen: Handlungsorientiertes Grundwissen für Studium und Praxis. Köln: Fortis Verlag.

Wißmann, Peter (1995): Sozialarbeit in der ambulanten Altenhilfe: Von der klassischen Einzelfallhilfe zum Case Management. In: Hedtke-Becker, Astrid / Schmidt, Roland (Hg.): Profile sozialer Arbeit mit alten Menschen. Frankfurt am Main: Deutsches Zentrum für Altersfragen, S. 101-109.


Hinweis: Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine Kurzfassung der Masterarbeit der Autorin (vgl. Hager 2014).


Über die Autorin

Manuela Hager, BA MA, Jg. 1986
hagermanuela@yahoo.de

Sozialarbeiterin, seit 2010 im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Graz beschäftigt, Arbeitsschwerpunkte: Sozialberatung in der Gehörlosenambulanz und stationäre Sozialarbeit (Entlassungsmanagement), Studium der Sozialen Arbeit an der FH Joanneum Graz: Bachelorstudium (2006 bis 2009), Masterstudium (2012 bis 2014).