soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 14 (2015) / Rubrik "Thema" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/384/659.pdf


Esther Brossmann:

Partizipation für alle?

Perspektiven auf den Partizipationsbegriff ausgehend von der Beteiligung Arbeitssuchender


1. Einleitung
Die Notwendigkeit, sich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive mit dem Themenkomplex der Arbeitslosigkeit und deren individuellen sowie gesellschaftlichen Folgen auseinanderzusetzen, gilt seit der wegweisenden Studie von Marienthal (vgl. Jahoda/Lazersfeld/Zeisel 1975/1933) als unumstritten. In Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Lage gewinnt die Beschäftigung mit dem Phänomen der Arbeitslosigkeit und dessen gesellschaftlichen Folgen an besonderer Bedeutung.

Arbeitslosigkeit erscheint mittlerweile als struktureller Begleiter neoliberaler Marktwirtschaft. Selbst in Zeiten konjunkturellen Aufschwungs bleibt ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit bestehen. Die Vorstellung einer Vollbeschäftigung lässt sich nur noch als Utopie aufrechterhalten (vgl. Promberger 2008: 7).

Eine der zentralen Aufgaben des Sozialstaates ist es, allen BürgerInnen ihre menschenrechtlich verankerten Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte zu gewährleisten.

In den Theorien und Konzepten traditioneller versorgender Wohlfahrtsstaaten wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Teilhabe und die damit erwirtschafteten finanziellen Mittel eine weitere Partizipation im kulturellen und sozialen Bereich erst ermöglichen. Fehlt die wirtschaftliche Teilhabe, wird in diesen Systemen versucht, diese durch Geld- und Ersatzleistungen auszugleichen, um damit eine weitere Teilhabe an den übrigen Lebensbereichen zu ermöglichen. Inwieweit es den genannten Transferleistungen gelingt, gesellschaftliche Teilhabe aufrechtzuerhalten, wird in den Diskursen der versorgenden Wohlfahrtstaaten kaum diskutiert (vgl. Promberger 2008: 7). Im Folgenden wird versucht, aus dieser menschenrechtlichen und wohlfahrtsstaatlichen Perspektive zu analysieren, inwieweit Partizipationsmöglichkeiten in Bezug auf arbeitssuchende Personen im spezifischen Kontext des Arbeitsfindungsprozesses aufrechterhalten werden und inwieweit die Betroffenen selbst in der Lage und willens sind, ihre Rechte auf Partizipation wahrzunehmen und einzufordern.

Gegenwärtig werden Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement häufig im Zusammenhang mit der Krise des Sozialstaates diskutiert. Partizipation wird in diesen Diskursen als mögliche Lösung für die Probleme der Erwerbsarbeitsgesellschaft gehandelt. Gesellschaftliche Integration und Anerkennung wird aktuell vielfach aus dem Status im Erwerbsleben abgeleitet. Dies wird in Zukunft, ausgehend von der aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage, nicht mehr für alle BürgerInnen möglich sein. Gesellschaftlich kommt einer Integration und Teilhabechancen abseits der Erwerbsarbeit eine wesentliche Rolle zu (vgl. Munch 2003: 21f).


2. Partizipation
Der Begriff Partizipation stammt vom lateinischen „partem capere“ und bedeutet wörtlich übersetzt „einen Teil[weg]nehmen“. Im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff, anders als im Englischen oder Französischen, nicht in der Alltagssprache, sondern in der sozial- und politikwissenschaftlichen Fachsprache etabliert. In dieser werden dem Begriff der Partizipation häufig Termini wie Mitbestimmung, Teilhabe, Anteilnahme oder Beteiligung zur Seite gestellt. Allgemein wird unter dem Begriff Partizipation der Versuch der stärkeren Einbeziehung Betroffener in staatliche oder gesellschaftliche Entscheidungen verstanden (vgl. Moser 2009: 73).

Partizipation verstanden als das bewusste Mitwirken an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen, rückt seit Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend in den Blickpunkt sozialwissenschaftlicher Forschung und politischer Praxis. Immer größere Teile der Gesellschaft sollen aktiv an der Gestaltung ebendieser eingebunden werden. Gruppen, welchen bisher Mitbestimmungsrechte verwehrt wurden, wie zum Beispiel Kinder und Jugendliche oder MigrantInnen, werden nun zunehmend in den Fokus der Debatten rund um Partizipation gestellt (vgl. Moser 2009: 71).

Sherry Arnstein publizierte 1969 erstmals ein Stufenmodell anhand dessen der Grad der erreichten Beteiligung transparent gemacht werden konnte. Stefan Schnurr fasste dieses Konzept 2005 in drei Gruppen zusammen: Am unteren Ende der möglichen Beteiligung fasst Schnurr die „Nicht-Beteiligung“ zusammen. In diesen Bereich fallen Manipulation oder auch Therapie. Die zweite Stufe wird als „Schein- oder Alibi-Beteiligung“ bezeichnet. In diese Gruppe fallen Handlungen wie Information, Beschwichtigung oder Anhörung. Die dritte Gruppe mit der Bezeichnung „Verortung der Macht bei den BürgerInnen“ kann folgende Ausprägungen erreichen: Partnerschaft oder Beteiligung im Aushandlungsprozess, Übertragung von Macht an BürgerInnen sowie Kontrolle durch BürgerInnen. Dieses Stufen- oder Gruppenmodell wurde ausgehend von der politischen Praxis auf zahlreiche Felder der Sozialen Arbeit übertragen und ermöglicht die kritische Analyse von Beteiligungsverfahren (vgl. Schnurr 2005: 1336f).

Partizipation spielt in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung und der Praxis der Sozialen Arbeit eine wesentliche Rolle. Beteiligung wird innerhalb dieses Diskurses zum einen als Befähigung zur Selbstbestimmung und zum anderen als Möglichkeit zur Demokratisierung ungleicher Machtverhältnisse verstanden. Für die sozialarbeiterische und sozialpädagogische Praxis bedeutet dies, dass KlientInnen der Sozialen Arbeit in Entscheidungsprozesse eingebunden werden und so eine eigene Handlungsmacht entwickeln können. Beteiligung in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ist häufig mit Machtasymmetrien konfrontiert. Ziel einer partizipativen Arbeit im Feld der Sozialen Arbeit ist es daher, die hierarchischen Strukturen aufzubrechen und so eine Demokratisierung von Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Information und Beratung gelten als wichtige Voraussetzungen für Mitbestimmung, volle Partizipation geht im Sinne von Arnstein aber darüber hinaus und bedeutet das Mitwirken von KlientInnen an der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit (vgl. Stark 2007: 400f). Inwieweit dieses Konzept von Beteiligung für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik und für die Partizipation Arbeitssuchender anzuwenden ist, soll im Folgenden geklärt werden.


3. Partizipation Arbeitssuchender
Britta Baumgarten (2011) stellte in ihrer Analyse des deutschen Freiwilligensurveys aus dem Jahr 2009 fest, dass sich die Beteiligung von erwerbslosen Personen grundlegend von jener von erwerbstätigen unterscheidet. Während fast 74% der Erwerbstätigen angeben, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, beträgt die Beteiligungsquote bei erwerbslosen Personen in Deutschland nur 57%. Begründet wird dieser Unterschied mit dem häufig niedrigeren Bildungsstatus oder den ungünstigeren Lebensbedingungen von Arbeitslosen (vgl. Baumgarten 2011: 2f). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die AutorInnen des ersten österreichischen Freiwilligenberichtes. In Österreich gilt der Erwerbstatus als wesentliche Einflussgröße für Partizipation. 54% der Personen, die sich freiwillig engagieren, sind unselbstständig beschäftigt. Nur knapp ein Drittel der Engagierten gehört zur Gruppe der nicht Erwerbstätigen. Allerdings werden in dieser Gruppe sowohl Arbeitssuchende als auch PensionistInnen zusammengefasst (vgl. Rameder/More-Hollerweger 2009: 59f).

Um die politischen, gesellschaftlichen und institutionellen Partizipations- und Teilhabechancen von arbeitssuchenden Personen konkret analysieren zu können, müssen zunächst diese Dimensionen des Partizipationsbegriffes definiert werden.


3.1 Politische Partizipation
Unter politischer Partizipation werden sowohl institutionalisierte Formen (Teilnahme an Wahlen und direktdemokratischen Entscheidungen sowie Mitgliedschaft in Parteien) als auch nichtinstitutionalisierte Formen politischen Engagements (z. B. Teilnahme an Demonstrationen, Unterschriftenlisten, Beteiligung in sozialen Medien) zusammengefasst (vgl. Faas 2010: 51).

Gerade in Bezug auf arbeitssuchende Personen lassen sich sowohl theoretische als auch empirische Belege finden, welche auf eine Unterrepräsentanz dieser Bevölkerungsgruppe im Bereich der politischen Partizipation verweisen:

Roland Blaschke (2003) verwies in seinen theoretischen Überlegungen darauf, dass vor allem gut ausgebildete, einkommensstarke Personen politisch eingebunden sind. Knapp zusammengefasst bedeutet dies: Je geringer das Einkommen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass jemand am politischen Geschehen auf lokaler, regionaler oder staatlicher Ebene partizipiert (vgl. Blaschke 2003: 46f).

Der niederländische Politikwissenschaftler Jan van Deth (2000) skizziert, ausgehend von politischen Interessen und der Relevanz politischer Entscheidungen für das unmittelbare Alltagsleben, vier Typen von BürgerInnen: Für Involvierte erscheint Politik interessant und persönlich wichtig, für die Gruppe der Distanzierten gilt genau das Gegenteil. Die Gruppe der ZuschauerInnen interessiert sich zwar für Politik, allerdings sind die Entscheidungen der Politik für sie persönlich nicht wichtig. Anders verhält es sich bei den Betroffenen, welche sich nicht für Politik interessieren, jedoch von Entscheidungen direkt und nah betroffen sind (vgl. Faas 2010: 52).

Ein weiterer Hinweis auf geringere Partizipation von Erwerbslosen findet sich in den erwähnten Analysen von Britta Baumgarten zum deutschen Freiwilligensurvey aus dem Jahr 2009. In ihrer Studie stellte die Soziologin fest, dass die politische Beteiligung von arbeitssuchenden Personen im Gemeinderat oder in politischen Parteien mit einem Prozent deutlich geringer ist, als jene der übrigen Bevölkerung mit drei Prozent (vgl. Baumgartner 2011: 2).

Für den Bereich der nicht institutionalisierten politischen Partizipation (z. B. Teilnahme an Demos, Unterschriftenlisten usw.) zeigen Baumgartens Analysen, dass hier die Unterschiede zwischen erwerbstätigen und erwerbslosen Personen geringer sind. Dieses Ergebnis ist dennoch überraschend, da insbesondere Arbeitslose von sozialstaatlichen Maßnahmen und Kürzungen besonders betroffen sind. Dennoch zeigen sie keine höhere Bereitschaft, sich für ihre Anliegen stark zu machen und beispielsweise an einer Demonstration teilzunehmen (vgl. Baumgarten 2011: 2).

Die vorgestellten theoretischen und empirischen Erkenntnisse und Grundlagen lassen sich auch in den Ergebnissen meiner Masterarbeit1 aus dem Jahr 2013 belegen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden TeilnehmerInnen aktivierender Kursmaßnahmen des AMS Oberwart zu ihren Positionen und Praktiken zu Partizipation befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die gesetzlich verankerten Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung nur in einem geringen Ausmaß von der Personengruppe wahrgenommen werden. Sowohl im Bereich des aktiven, als auch des passiven Wahlrechts, kennzeichnet sich die Gruppe also durch eine geringe Beteiligung. Nur 5,4% der Befragten geben an, sich in einer politischen Partei zu engagieren. Nichtinstitutionelle Formen politischer Partizipation werden von den Befragten nur in einem geringen Ausmaß genutzt. Jeweils knapp 50 Prozent der TeilnehmerInnen geben an, noch nie an einer Demonstration oder einer politischen Versammlung teilgenommen zu haben. Ebenfalls knapp die Hälfte hat noch niemals mit PolitikerInnen, BeamtInnen oder Medien Kontakt aufgenommen, um ihre Meinung und Lebenserfahrungen an kompetenter Stelle zum Ausdruck zu bringen. Bemerkenswert an diesen Ergebnissen ist, dass sich die ablehnende Haltung dieser Formen der politischen Mitgestaltung auch auf ihren weiteren Lebensverlauf bezieht. Es ist für sie nicht vorstellbar, in Zukunft derartige Formen der politischen Meinungsäußerung zu nutzen.

Ausgehend von der vorgestellten Typologie von van Deth (2000) lässt sich die untersuchte Gruppe von Arbeitssuchenden den Kategorien der Betroffenen oder der Distanzierten zuordnen. Aufgrund der hohen Bedeutung sozialpolitischer Entscheidungen auf das unmittelbare Alltagsleben und die zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten können die StudienteilnehmerInnen mehrheitlich als Betroffene beschrieben werden.


3.2 Soziale Partizipation
Unter dem Begriff soziale Partizipation wird jenes formelle und informelle Engagement zusammengefasst, das sich in seiner Ausrichtung auf das Gemeinwesen oder zumindest Teile des Gemeinwesens außerhalb der unmittelbaren eigenen Lebenswelt bezieht (vgl. Roßteuscher 2009: 163). Die Bandbreite derartiger Beteiligung reicht von nachbarschaftlichen Hilfeleistungen bis hin zu einem Engagement in Vereinen und Institutionen und zeichnet sich durch seine Wirkung außerhalb eines politischen Mandats aus.

Eine wesentliche Voraussetzung, um freiwillig tätig zu werden, ist Zeit, über die frei verfügt werden kann. Über diese Ressource verfügen Arbeitssuchende in der Regel. Allerdings zeigen die statistischen Analysen, dass Erwerbstätige zu einem höheren Anteil ehrenamtlich tätig sind. Bereits im ersten österreichischen Freiwilligenbericht aus dem Jahr 2009 konnte belegt werden, dass das freiwillige Engagement von Arbeitssuchenden in Österreich insbesondere im Bereich des formellen Engagements geringer ist als jenes der übrigen Bevölkerung. Die Beteiligungsquote in diesem Engagementbereich liegt mit 16% rund um die Hälfte niedriger als bei den Erwerbstätigen mit 33%. Die Möglichkeit sich ehrenamtlich zu engagieren, ist demnach nicht ausschließlich über die Ressource freie Zeit zu charakterisieren. Vielmehr spielen Faktoren wie der Zugang zu sozialen Netzwerken oder die Einbindung in bestehende soziale Gruppen eine wesentliche Rolle (vgl. More-Holleweger/Rameder/Sprajcer 2009: 76). Johanna Klatt (2011) definiert Halt, Sicherheit und ein konstantes soziales Netzwerk als wesentliche Grundlagen für jegliche Art von Partizipation. Es verwundert daher kaum, dass Erwerbsarbeit häufig als eine wichtige Voraussetzung für Beteiligung genannt wird (vgl. Klatt 2011: 5).

Für den formellen Bereich der sozialen Partizipation (z. B. Vereinsmitgliedschaft, regelmäßige und strukturierte ehrenamtliche Arbeit usw.) konnten einige Belege gefunden werden, die nahe legen, dass Erwerbslose in einem geringen Ausmaß an diesen Lebensbereichen partizipieren. Für den Bereich des informellen Engagements (z. B. Nachbarschaftshilfe), welcher nicht in Vereinen und Organisationen erbracht wird und keine festen Strukturen aufweist, sind derartige Aussagen viel schwerer zu treffen. Katja Barloschky (2003) geht davon aus, dass sich arbeitssuchende Personen vielfach unbemerkt von der Öffentlichkeit in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld engagieren (vgl. Barloschky 2003: 142f).

Im Bereich der Partizipation am gesellschaftlichen Leben im Rahmen einer sozialen Teilhabe wird damit deutlich, dass arbeitssuchende Menschen oft nicht über die entsprechenden Ressourcen und sozialen Einbindungen für eine aktive und volle Teilhabe am formellen gesellschaftlichen Leben verfügen. Im konkreten Fall meiner Masterarbeit wurden in den Forschungswerkstätten neben den fehlenden finanziellen Mitteln, fehlendem Zugang zu Angeboten aufgrund eingeschränkter Mobilität sowie die soziale Diskriminierung, die mit dem Status „Arbeitssuchend“ einhergeht, als Hindernisse erkannt. Kennzeichnend für die geringe soziale Partizipation Erwerbsloser sind ihre Erfahrungen der finanziellen und sozialen Ausgrenzung. Hier zeigt sich, dass es den Instrumenten des Sozialstaates gegenwärtig nur unzureichend gelingt, mit den Ausgleichszahlungen eine weitere Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben zu ermöglichen. Die subjektive Sicht der Betroffenen zeigt, dass die Sozialpolitik diesem Anspruch zurzeit nicht immer gerecht wird.

Inwieweit soziale Ausgrenzungsmechanismen von Seiten der Gesamtgesellschaft die konkrete Beteiligung Arbeitssuchender in Vereinen und Organisationen oder auch im informellen Bereich be- bzw. verhindern, konnte in meiner Masterarbeit nicht beantwortet werden. Für die sozialwissenschaftliche Forschung gilt es auf jeden Fall, diese Prozesse der Ausgrenzung oder der selbstgewählten Abschottung im Auge zu behalten.


3.3 Partizipation im Arbeitsfindungsprozess
Der Bereich der Partizipation im Arbeitsfindungsprozess umfasst Möglichkeiten zur Mitbestimmung auf Ebene des Arbeitsmarktservice, auf Ebene der Trägerorganisationen der Kursmaßnahmen sowie auf der konkreten Ebene der aktuell besuchten Kursmaßnahme. Daneben werden Möglichkeiten der Selbstorganisation Arbeitssuchender im Kontext der Arbeitsmarktpolitik vorgestellt und analysiert. Den Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen bilden die Ergebnisse meiner Masterarbeit „Partizipationschancen für alle? Sichtweisen Arbeitssuchender zur Beteiligung, exemplarisch dargestellt anhand des Arbeitsmarktbezirks Oberwart“. Im Rahmen der Erhebung wurden TeilnehmerInnen aktivierender Kursmaßnahmen des AMS Oberwart zu politischer, sozialer und institutioneller Beteiligung im Arbeitsfindungsprozess befragt.

In den Dokumenten das AMS finden sich die Begriffe Partizipation oder Beteiligung kaum. Vielmehr wird in diesem Kontext mit den Konzepten der KundInnenorientierung, der „Hilfe zur Selbsthilfe“, dem Empowerment, der Verantwortungsübernahme oder der Aktivierung gearbeitet.

Mit diesen Begriffen geht oftmals eine neoliberale Umdeutung des Konzepts der Partizipation einher. Ziel dieser Praktiken ist es nicht, die Selbstwirksamkeit der KlientInnen zu erhöhen oder sie in ihren Beteiligungsrechten zu stärken, sondern der finanzielle Gewinn von Institutionen und Organisationen bzw. finanzielle Einsparungen im staatlichen Bereich. Eigenverantwortlichkeit, welche in Bezug auf Partizipation eine wesentliche Rolle spielt, wird in neoliberalen Konzepten zu einem Instrument umgedeutet, welches dazu dient, soziale Sicherheit von staatlicher Versorgung in individuelle Verantwortung umzulegen (vgl. Stark 2007: 402ff). Partizipation und freiwilliges Engagement treten in neoliberalen Diskursen dort auf, wo sich Staat und Verwaltung aufgrund aktueller Sparpolitiken zurückziehen. Engagierte BürgerInnen sollen gemäß dieser Logik in der staatlichen Versorgung schließen (vgl. Stark 2007: 395).

Die Selbstorganisation Arbeitssuchender hat anders als beispielsweise in Frankreich in Österreich kaum Tradition. In den letzten Jahren entwickelten sich dennoch einige Initiativen von Arbeitssuchenden für Arbeitssuchende. Gesellschaftspolitisch wirksam werden derartige Initiativen beispielweise im Rahmen der österreichischen Armutskonferenz (siehe Armutskonferenz o.J., Verein „Zum alten Eisen?“ o.J., AMSEL o.J.). Für den Bereich des südlichen Burgenlandes konnten im Rahmen meiner Masterarbeit keine derartigen Initiativen und Arbeitslosenselbstorganisationen gefunden werden.

Kennzeichnend für diese Form des Engagements ist es, dass sich Erwerbslose hier einerseits sozial engagieren, andererseits verfügen diese Initiativen zumeist über ein politisches Mandat und versuchen die Anliegen Arbeitssuchender sowohl politisch als auch in den Strukturen des Arbeitsfindungsprozesses und gesamtgesellschaftlich zu vertreten. Mögliche Formen reichen von Arbeitslosentreffs über Selbsthilfegruppen bis hin zu politischen Initiativen. Sie bieten die Möglichkeit zum Austausch über verschiedene Aspekte der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen agieren hier als ExpertInnen ihrer Lebenslage und unterstützen Personen, die in einer ähnlichen Lage sind. Meist werden diese Zusammenschlüsse von gut ausgebildeten Personen mit politischen oder gewerkschaftlichen Bezügen initiiert (vgl. Barloschky 2003: 144).

Die Ergebnisse meiner Erhebung zeigen, dass Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen des Arbeitsfindungsprozess wenig formalisiert stattfinden. Inwieweit Arbeitssuchende in den Prozess der Arbeitsfindung aktiv und vollwertig eingebunden sind, hängt maßgeblich vom Engagement der professionell Tätigen im konkreten Fall sowie von der individuellen Bereitschaft zur Partizipation von den Betroffenen selbst ab. Die Machtposition des AMS und der KursbetreuerInnen der Trägervereine wird von den Betroffenen durchaus mitreflektiert und als Spannungsverhältnis erlebt. Die gegenwärtige Willkürlichkeit erschwert für die Betroffenen den Zugang zu partizipativen Prozessen. Die Etablierung von Partizipationsrechten und Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Strukturen des AMS könnte es Arbeitssuchenden erleichtern, Partizipation in diesem Lebensbereich einzufordern.

Wie die vorgestellten Ergebnisse zeigen, kann die Partizipation im Arbeitsfindungsprozess im Stufenmodell von Arnstein und Schnurr als Alibi- oder Scheinpartizipation bezeichnet werden (vgl. Schnurr 2005: 1336). Die Arbeitssuchenden werden grundsätzlich über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert, teilweise werden ihre Wünsche und Vorstellungen gehört, eine „echte“ Partizipation, welche ein gemeinsames Aushandeln voraussetzt, findet gegenwärtig in den Strukturen des AMS allerdings nicht statt.


4. Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ausgehend von menschenrechtlichen Überlegungen Arbeitssuchende zurzeit vielfach nicht in der Lage sind, ihre gesetzlich verankerten politischen Partizipationsrechte entsprechend wahrzunehmen bzw. einzufordern. Im Bereich der sozialen Partizipation fehlen erwerbslosen Personen häufig die notwendigen Voraussetzungen, um gleichberechtigt an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Im Feld der Arbeitsmarktpolitik wird der Begriff der Partizipation von neoliberalen Diskursen immer mehr ausgehöhlt.

Im Bereich der politischen Mitbestimmung werden gesetzlich verankerte Partizipationsrechte von den Betroffenen nur unzureichend genutzt. Dies kann in einer Demokratie dazu führen, dass Themenbereiche und Problemfelder, welchen diese Bevölkerungsgruppe ausgesetzt ist, ausschließlich von Außenpositionen und Sichtweisen auf „Arbeitslose“ besetzt werden, da diese selbst über keine eigene Stimme im politischen Prozess verfügen. Aufgabe der Sozialen Arbeit kann es hier sein, die Betroffenen in der Ausübung ihrer demokratisch partizipativen Möglichkeiten zu unterstützen und ihnen so eine Teilhabe an der modernen Demokratie zu ermöglichen.

Zudem konnte gezeigt werden, dass Arbeitssuchende im Feld des freiwilligen Engagements vor allem im formellen Bereich deutlich unterrepräsentiert sind. Als Gründe wurden fehlende finanzielle Mittel, eingeschränkte Mobilität sowie die Angst vor sozialer Ausgrenzung genannt. Hier gilt es, im Rahmen der Sozialen Arbeit das Engagement von Erwerbslosen zu stärken, Arbeitssuchende im Kontext der freiwilligen Tätigkeiten sichtbarer zu machen und auf die Organisationen und Vereine einzuwirken, um eine Öffnung in Richtung Arbeitssuchender zu erreichen.

Argumentationslinien die ein ehrenamtliches Engagement von Arbeitssuchenden als „Gegenleistung“ für sozialstaatliche Leistungen einfordern, sind von Seiten der Profession der Sozialen Arbeit zu kritisieren. Eine Verknüpfung zwischen Engagement und dem Anspruch auf Transferleistungen würde in seiner Intention dem Konzept ehrenamtlicher Arbeit widersprechen und eher dem Bereich der Zwangsarbeit zuzuordnen sein.

Die Partizipation im Arbeitsfindungsprozess ist gegenwärtig nicht strukturell verankert. Hier wäre eine nachhaltige Absicherung von Beteiligungsrechten, welche über die Stufe der Schein- oder Alibipartizipation hinausreichen, wünschenswert. Inwieweit dies angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen und der angespannten Wirtschaftslage in naher Zukunft möglich sein wird, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Auf Ebene der Arbeitslosenselbstorganisationen wurde deutlich, dass auch diese Initiativen ohne strukturelle Verankerung tätig sind. In diesem Bezug wäre eine Stärkung dieser Selbstorganisationen aus Sicht der Sozialen Arbeit durchaus sinnvoll. Derartige Initiativen entsprechen meist dem Partizipationsbegriff der Sozialen Arbeit, welcher sich an Selbstermächtigung und Demokratisierung von Entscheidungsprozessen orientiert.

Für die gesamte Soziale Arbeit wird es in den nächsten Jahren bedeutend sein, hinter die Kulissen des schillernden Partizipationsbegriffes zu blicken, um neoliberale Tendenzen, wie sie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik aufgezeigt werden konnten, kritisch zu hinterfragen und entsprechend reagieren zu können.


Verweise
1 Die Masterarbeit „Partizipationschancen für alle? Sichtweisen Arbeitssuchender zur Beteiligung, exemplarisch dargestellt anhand des Arbeitsmarktbezirks Oberwart“ ist diesem Artikel grundgelegt. Sie ist im Rahmen des Masterstudiums Soziale Arbeit an der FH Joanneum im Jahr 2013 fertig gestellt worden. Für die Erhebung wurde ein zweiteiliges Forschungsdesign gewählt: Zunächst wurden 19 TeilnehmerInnen aktivierender Kursmaßnahmen des AMS Oberwarts in Forschungswerkstätten zu ihren Partizipationserfahrungen und Einstellungen befragt. Anschließend wurde ausgehend von den Ergebnissen der Forschungswerkstätten ein Fragebogen konzipiert, welcher wiederum von 79 TeilnehmerInnen aktivierender Kursmaßnahmen des AMS Oberwart bei unterschiedlichen Trägervereinen ausgefüllt wurde.


Literatur

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Über die Autorin

Esther Brossmann MA MA, Jg. 1989
esther.brossmann@gmail.com

Pädagogikstudium an der Karl-Franzens-Universität Graz. Anschließend Masterstudium Soziale Arbeit an der FH Joanneum Graz (Abschluss 2013) sowie Masterstudium Sozialpädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz (Abschluss 2014). Aktuell Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin der Frauen- und Mädchenberatung Hartberg.