soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 14 (2015) / Rubrik "Sozialarbeitswissenschaft" / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/396/676.pdf


Bringfriede Scheu & Otger Autrata:

Theorie Sozialer Arbeit verstehen


1. Theorie Sozialer Arbeit verstehen – wo liegt das Problem?
Nicht nur von Studierenden auch von in der Sozialen Arbeit professionell Tätigen hört man häufig, dass Theorie – auch von Sozialer Arbeit – unverständlich sei, dass man sie nicht verstehen könne und sie unter diesen Umständen keinen Gebrauchswert habe. Diese Einschätzung endet dann nicht selten in der Feststellung und mit der Festlegung, dass Soziale Arbeit eigentlich gar keine Theorie brauche, dass Herz und Verstand für die professionelle Soziale Arbeit völlig ausreiche. Diesem Denkansatz wird hier – wie auch von vielen in der Sozialen Arbeit professionell Tätigen – klar widersprochen, denn eine gelingende professionelle Unterstützung und Begleitung braucht fundiertes Wissen, ja, braucht Theorie-Wissen:

„Soziale Arbeit als Praxis handelt mit professionellen Handlungsmethoden auf der Grundlage wissenschaftlichen Wissens“ (Engelke/Spatscheck/Borrmann 2009: 17).

Die wissenschaftlichen Grundlagen, also das Theorie-Wissen, ist für das professionelle Handeln grundlegend. Verfügen ProfessionistInnen in der Sozialen Arbeit also nicht über dieses Theorie-Wissen, leitet sich das professionelle Handeln aus Versuchen und damit einhergehenden Irrtümern ab: Eine gelingende Praxis ist damit unmöglich.

Folgt man dem obigen Gedankengang, dass Soziale Arbeit keine Theorie brauche, dann resultiert diese Theorie-Distanz eventuell daraus, dass Theorie nicht verstanden wurde, beziehungsweise nicht verstanden werden konnte. Liegt es also an den Menschen, die anscheinend nicht in der Lage sind, Theorie zu verstehen. Oder liegt es nicht eher daran, dass eine Vielzahl an Theorien Sozialer Arbeit vorliegen, die allerdings wenig vergleichbar sind, deren Gegenstand ungeklärt ist und deren Begriffe unbestimmt sind und daher mit bestem Willen nicht verstanden werden können?

Aber auch wenn eine klare Theorie vorliegt (vgl. ebd.), dann heißt das noch lange nicht, dass diese Theorie auch verstanden wurde, dass sie nicht nur im Sinne einer Wissens-Übernahme angeeignet oder im Sinne von kognitiver Informationsverarbeitung er-lernt wurde (ausführlicher dazu: Autrata/Scheu 2015: 43ff). Eine Theorie zu verstehen, ist etwas ganz anderes.


1.1 Was ist Verstehen?
Verstehen ist ein schillernder Begriff und meint im umgangssprachliche Sinn, einen Zusammenhang erfassen: „Ach, so funktioniert das, jetzt habe ich es verstanden!“ Solche Formulierungen sind im Alltag häufig zu hören. Ist damit aber schon geklärt, was unter Verstehen zu verstehen ist? Dieser Erklärungsversuch scheint nicht ausreichend, sonst müssten Theorien selbstverständlicher verstanden werden. Was ist aber Verstehen?

Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Verstehensbegriff sowohl in der Geisteswissenschaft (zum Beispiel von Dilthey) als auch in der Naturwissenschaft (zum Beispiel von Wagenschein) behandelt. So meint Dilthey (1990: 144): „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“. Wagenschein (1997) dagegen verwendete den Begriff des Verstehens für Naturphänomene (Luft, Magnetismus etc.), die verstanden werden müssen. Die Unterschiede zwischen Dilthey und Wagenschein sind unübersehbar. Die Liste an unterschiedlichen begrifflichen Bestimmungen von Verstehen ließe sich fortsetzen, ist aber hier nicht erkenntnisbringend und wird daher hier auch schon beendet. Aber die eine Frage bleibt: Welche Begriffsbestimmung ist richtig und welche ist falsch? Diese Frage ist weder mit Wagenschein noch mit Dilthey noch mit vielen anderen AutorInnen zu klären: Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich nicht vergleichen, ihre Begriffe sind nicht geklärt, nicht hergeleitet. Woher weiß zum Beispiel Dilthey, dass das „Seelenleben“ nur über Nacherleben und Intuition aufzufassen ist? Und woher weiß Wagenschein, dass Menschen durch ein Verstehen der Natur „eingewurzelt“ (Wagenschein 1997) werden?

Was sich bei Dilthey und Wagenschein aber auch noch zeigt, ist, dass sie ohne Subjektbezug auskommen.

Um nun aber auf das eigentliche Thema „Theorie Sozialer Arbeit verstehen“ zurück zu kommen, ist es unumgänglich, festzuhalten, dass Verstehen verstanden werden muss und dass Subjekte am Prozess des Verstehens beteiligt sind. Um diese noch offenen Fragen zu klären, haben die AutorInnen des vorliegenden Artikels auf der erkenntnistheoretischen Grundlage der historischen Herangehensweise (vgl. Wygotski 1985) eine Begriffsbestimmung von Verstehen vorgenommen und auf das Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit übertragen.


1.2 Kurze Erläuterung der erkenntnistheoretischen Methode der historischen Herangehensweise
Mit der Methode der historischen Herangehensweise wird das für die menschliche Lebenstätigkeit Typische herausgearbeitet.

„Grundsätzlich geht es bei der historischen Herangehensweise darum, Kategorien des Lebens zu identifizieren und die Entwicklung dieser Kategorien über die gesamte Entwicklung des Lebens auf der Erde zu verfolgen. […] Kurz gesagt, verfolgt die historische Herangehensweise […] die Entwicklung der Arten“ (Autrata/Scheu 2015: 95f) und stellt das für Menschen Typische heraus.

Typisch für Menschen ist beispielsweise, dass sie in der Lage sind, ihre Umwelt zu gestalten (Unmittelbarkeitsüberschreitung) sowie Werkzeuge/Gegenstände zur verallgemeinerten Zwecksetzung herstellen können. Damit bekommen Werkzeuge/Gegenstände eine bestimmte Bedeutung; das gesellschaftlich vermittelte Wissen, wie man zum Beispiel ein Werkzeug/einen Gegenstand verwenden kann, ist dem Gegenstand inhärent.

Auf der Grundlage dieser erkenntnistheoretischen Methode konnte herausgearbeitet werden, dass Verstehen ein ausschließlich für Menschen typischer, psychischer Vorgang ist, der das dem Gegenstand inhärente gesellschaftliche Wissen erkennbar macht (Gegenstandsbedeutung) und in dessen Kontext die Bedeutung des Gegenstandes bewertet wird. Eine ausführliche Beschreibung dieses erkenntnistheoretischen Herleitungsprozesses würde hier zu weit führen und so kann hier nur auf die Publikation von Autrata und Scheu (2015) hingewiesen werden. Allerdings soll hier das Ergebnis dieses Herleitungsprozesses, nämlich die Begriffsbestimmung von Verstehen, vorgestellt werden: Verstehen ist die Übernahme gesellschaftlichen Wissens vom Subjektstandpunkt aus.


1.3 Bestimmung von Verstehen – Was sind die spezifischen Merkmale von Verstehen?
Verstehen ist zum einen an Gegenstände und an deren Bedeutungen gebunden, wobei die Gegenstandsbedeutungen immer gesellschaftlich vermittelt wurden/werden. Verstehen bedeutet also, das dem Gegenstand inne wohnende, gesellschaftlich vermittelte Wissen zu erkennen. Für den Verstehensprozess wesentlich ist, dass die ihm inhärenten Bedeutungen zu erkennen sind. Das So-Sein des Gegenstandes, das dem Gegenstand inne wohnende gesellschaftliche Wissen, muss dem Subjekt, das verstehen will, erkenntlich sein: Wenn einem Menschen die Bedeutungen und der Nutzen zum Beispiel eines Hammers fremd sind, wenn er/sie nicht weiß, was ein Hammer ist, dann bleibt dieser Hammer unverstanden und damit auch nutzlos. Das scheint erst einmal banal, ist es aber nicht.

Die Übernahme von gesellschaftlichem Wissen ist für Menschen typisch und einzigartig. Das gesellschaftliche Wissen wird zwar trans- und intergenerativ weiter gegeben, unterliegt aber dennoch einem permanenten Veränderungs- und Entwicklungsprozess. Die zu verstehenden – von Menschen geschaffenen – Gegenstände wurden zu einem bestimmten Zweck und mit einer bestimmten Zielformulierung erschaffen. Diesen Zweck und dieses Ziel, also die Bedeutung, eines Gegenstandes, gilt es zu erkennen. Man spricht dann auch von der verallgemeinerten Gegenstandsbedeutung, die den Gegenständen inhärent ist und die erkannt werden muss, sofern man diesen Gegenstand verstehen will. Verallgemeinerte Gegenstandsbedeutungen sind klar formuliert, logisch, rational und nachvollziehbar. Mit dieser Spezifizierung wird deutlich, dass sich Gegenstandsbestimmungen nicht lediglich auf Gegenständliches und Beobachtbares, sondern auch auf Abstraktes beziehen.

Verstehen ist zum anderen an Subjekte gebunden. Gegenstandsbedeutungen werden gesellschaftlich weitergegeben, verstanden werden sie von Subjekten. Verstehen ist immer ein Vorgang gnostischen Erkennens der Welt, der nur von Subjekten durchgeführt werden kann.

Dass Verstehen nur von Subjekten realisiert werden kann, verweist gleichzeitig auf die subjektive Dimension von Verstehen: Verstehen ist kein genormter, immer gleich ablaufender Prozess; Verstehen ist beeinflusst durch die Möglichkeiten des verstehenden Subjekts. Die Gegenstandsbedeutung, die es zu verstehen gilt, ist gegeben und objektiv; weiter wird die Gegenstandsbedeutung im Prozess des Verstehens in den subjektiven Möglichkeitsraum der Verstehenden eingeordnet. Was damit gemeint ist, wird deutlich, wenn man sich die Komplexität der Gegenstandsbedeutung eines Musikinstruments in Relation zur Komplexität des subjektiven Umgangs mit solch einem Instrument vor Augen führt: Da ist die Bandbreite dessen, was subjektives Verstehen dieses Instruments sein kann, ausgesprochen groß.


1.4 Man möchte nicht alles verstehen – oder?
Menschen, die etwas verstehen wollen, müssen also das dem Gegenstand inhärente Wissen erkennen; es muss ein gnostisches Verhältnis zu dem Gegenstand, der verstanden werden will, aufgebaut werden. Aber Menschen bauen nicht zu irgendeinem beliebigen Gegenstand ein gnostisches – also erkennendes – Verhältnis auf. Das wäre wenig funktional. Menschen wählen den Gegenstand, den sie verstehen wollen, gezielt aus. Es ist für Menschen typisch und einzigartig, dass sie am Maßstab ihrer Interessen eine Auswahl treffen: Das Verstehen wird somit von den subjektiven Interessen geleitet. So treffen Menschen eine Wahl, ob sie einen Gegenstand – ob sie Theorie Sozialer Arbeit – verstehen wollen oder nicht. Können mit dem Zu-Verstehenden die eigenen Lebensinteressen realisiert werden und damit die Lebensqualität beibehalten und gar gesteigert werden, dann steht dem Verstehen nichts mehr im Wege. Menschen können sich also – auf Grund ihrer Bewertung – entscheiden, ob sie einen Gegenstand verstehen wollen oder nicht, ob sie sich gnostisch auf diesen Gegenstand beziehen oder nicht. Dies berücksichtigend ist zusammenfassend festzuhalten, dass Menschen, die verstehen wollen, die Bedeutung – das gesellschaftliche Wissen – des zu verstehen wollenden Gegenstandes kennen und diesen entsprechend ihrer spezifischen Interessen und Bedarfe auf sich beziehen können. Den Aspekt des Verstehens abschließend, ist zu betonen, dass Verstehen einen Erkenntnisgewinn liefert, der das darauf folgende Handeln qualifiziert und den Handlungsrahmen erweitert.

Vorläufiges Fazit: Menschen entscheiden, ob sie einen Gegenstand verstehen wollen; Menschen entscheiden, ob sie gnostisch das dem Gegenstand inhärente gesellschaftliche Wissen erkennen wollen; sie bewerten das dem Gegenstand inhärente gesellschaftliche Wissen. Menschen werden den zu verstehenden Gegenstand wohl nicht verstehen wollen, wenn dieser ihnen keinen Erkenntnisgewinn und keine Handlungsraumerweiterung verspricht.

Verstehen weist weiterhin Richtungsbestimmungen auf, die idealtypisch gegenüber gestellt werden können: Verstehen kann restriktiv oder verallgemeinert ausfallen. Restriktives Verstehen vollzieht sich in vorgegebenen Grenzen, die dabei hingenommen werden. Man richtet sich schon während des Verstehens in diesen Grenzen ein, setzt solche Begrenzungen konkurrenzförmig gegen andere Menschen ein. Erläuternd gesagt: Wenn man nur einen Teil einer Gegenstandsbedeutung versteht oder verdeckt, dass man mehr verstanden hat, als man nach außen zeigt, kann man sich damit unter Umständen Konflikte ersparen; das bliebe allerdings im Segment des restriktiven Verstehens. Möglich ist aber auch verallgemeinertes Verstehen, das Grenzen des Verstehens sowohl für sich selbst als auch gemeinsam mit anderen Menschen überwinden will. Wenn man beim Verstehen Neuland betritt und das zu erkennen gibt, kann das Konflikte auslösen; man hat aber, kategorial gesehen, etwas verallgemeinert verstanden.


2. Theorie Sozialer Arbeit
Nachdem geklärt wurde, was eigentlich Verstehen ausmacht, ist auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Wo liegt das Problem, wenn man Theorie Sozialer Arbeit verstehen will? Ein Teil des Problems konnte dadurch überwunden werden, dass nun klar ist, was Verstehen ausmacht. Der zweite Teil des Problems ist in dem, was Theorie Sozialer Arbeit ist, festzustellen. Die Soziale Arbeit braucht Theorie, wurde am Anfang dieses Beitrags konstatiert. Hat die Soziale Arbeit aber tatsächlich Theorie oder, anders gefragt, steht außer Zweifel, was Theorie Sozialer Arbeit ist und was nicht?

Es ist tatsächlich alles andere als klar und eindeutig, was Theorie Sozialer Arbeit ist. Beispielsweise stellt Hamburger (2012) für Theorie Sozialer Arbeit fest:

„Auf welche Aussagen tatsächlich der Begriff ‚Theorie‘ angewen¬det wird, ist nicht nur unübersichtlich und häufig willkürlich gehandelt, sondern mehr oder weniger chaotisch“ (Hamburger 2012: 104).

Rauschenbach und Züchner meinen für die Soziale Arbeit, dass es vollkommen unklar ist,

„was Theorie überhaupt ist oder wenigstens sein könnte. Klar ist dagegen noch nicht einmal, was die grundlegenden Bestandteile, die Grundsubstanzen von Theorie sind. Ungeklärt ist beispielsweise, ob es sich im Falle von Theorien lediglich um ein diffuses Gegenüber zur Praxis handelt […], oder ob Theorien nicht vielmehr eine ganz bestimmte Sorte von wissenschaftlichen Aussagen kennzeichnen müssten“ (Rauschenbach/Züchner 2002: 139).

Eine Bestandsaufnahme zur bisherigen Situation kommt also zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die (bisherige) metatheoretische Betrachtung, also wissenschaftstheoretische Veröffentlichungen über Theorie Sozialer Arbeit, nur sagen kann, dass Theorie Sozialer Arbeit diffus bleibt. Man findet allerdings eine große Zahl von AutorInnen, die von sich sagen oder über die von anderen gesagt wird, sie hätten Theorie Sozialer Arbeit publiziert. Das mündet in die oft zu findenden Auflistungen von KlassikerInnen der Theoriebildung Sozialer Arbeit ein (bspw. Engelke/Borrmann/Spatscheck 2009). Dass man einerseits nicht weiß, was Theorie Sozialer Arbeit ist, andererseits aber KlassikerInnen der Theoriebildung Sozialer Arbeit auflistet, steht im Widerspruch zueinander und ist unbefriedigend: Was sollen denn Studierende und andere, die sich in Qualifikationsmaßnahmen befinden, verstehen, wenn sie Theorie Sozialer Arbeit verstehen sollen? Um die unbefriedigende Situation auflösen zu können, wird im vorliegenden Beitrag eine metatheoretische Bestimmung von Theorie Sozialer Arbeit umrissen (ausführlicher dazu: Autrata/Scheu 2015). Bisher haben metatheoretische Bestimmungen von Theorie Sozialer Arbeit mit der Aussage geendet, es sei nicht präzisierbar, was Theorie Sozialer Arbeit ist. Der vorliegende Beitrag geht weiter: Es werden eine Definition und Merkmale von Theorie Sozialer Arbeit eingeführt.


2.1 Unklarheit mit Geschichte
Damit verständlich wird, worauf die mangelnde Trennschärfe in der Unterscheidung zwischen Theorie und Nicht-Theorie in der Sozialen Arbeit zurückzuführen ist, ist die geschichtliche Entwicklung zu betrachten: Im historischen Rückblick ist darauf hinzuweisen, dass die Debatte um Theorie Sozialer Arbeit eine Entwicklung genommen hat, die für die Gegenwart einige Verwirrung auslöst. Mehr oder weniger allen schriftlichen Äußerungen zu Sozialer Arbeit wurde zugebilligt, es handle sich dabei um Theorie. Was also Theorie Sozialer Arbeit ist und was nicht, wurde im historischen Diskurs bis zur Gegenwart nicht unterschieden. Zu erinnern ist beispielsweise an Pestalozzi oder Wichern, die beide in Darstellungen zur Geschichte der Theoriebildung Sozialer Arbeit (vgl. bspw. Engelke/Borrmann/Spatscheck 2009) gewürdigt werden: Für beide ist unstrittig, dass sie Personen von großer Bedeutung für die Entfaltung hin zur Sozialen Arbeit der Gegenwart waren. Können aber die Erfahrungsberichte, die sie gegeben haben, als Theorie gelten? Für Interessierte, die Theorie Sozialer Arbeit verstehen wollen, ist das Ergebnis, dass sie sich einem unübersichtlichen Geflecht von Äußerungen gegenüber sehen.

Um auf die nähere Bestimmung von Theorie Sozialer Arbeit zuzusteuern, ist Theorie erst einmal abzusetzen von einem Denkansatz. Theorie Sozialer Arbeit und Denkansätze haben Gemeinsamkeiten, weisen aber auch essentielle Unterschiede auf. Gemeinsam ist dem Denkansatz und der Theorie, dass sie gesellschaftliches Wissen in sich tragen: Für das Verstehen wurde schon weiter oben ausgeführt, dass es sich auf solches gesellschaftliches Wissen bezieht. Für einen Denkansatz ist allerdings die Reichweite des Wissens, seine Belastbarkeit und Güte ungeklärt. Für einen Denkansatz gibt es keine Regeln, die bei seiner Entfaltung beachtet werden müssen: Wenn man beispielsweise in einem Denkansatz eine Sammlung von Gedanken findet, die durch Spiegelstriche eingeleitet werden, weiß man nicht, ob das eine vorläufige oder endgültige Aufzählung ist. Was daran gesichertes und verlässliches Wissen ist, kann man nicht abgrenzen von Annahmen, Meinungen und Vermutungen. Die „Beweislast“ dreht sich dabei um: Nicht die AutorInnen solcher Denkansätze müssen ein geordnetes, gesichertes und belastbares Wissen liefern, vielmehr müssen die RezipientInnen der Denkansätze versuchen, daraus „das Beste zu machen“.


2.2 Theorie Sozialer Arbeit ist: Bestimmung und Definition
Um das Problem rund um das Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit lösen zu können, ist es deswegen unumgänglich, eine präzise Bestimmung von Theorie Sozialer Arbeit einzuführen. Es wird im vorliegenden Beitrag also keine eigene Theorie Sozialer Arbeit der AutorInnen präsentiert (dies geschah schon früher: vgl. Scheu/Autrata 2011), vielmehr wird metatheoretisch festgehalten, was Theorie Sozialer Arbeit sein und leisten muss. Theorie Sozialer Arbeit ist dabei als der besondere Fall von Theorie im Allgemeinen zu sehen: Theorie ist die komprimierte Darstellung des gesellschaftlichen Wissens zu einem Gegenstand. Theorie kann erst dann als Theorie bezeichnet werden, wenn mit ihr ein logisch nachvollziehbares und stringentes Verständnis des erklärten Gegenstands und seiner historischen Gewordenheit möglich ist. Theorie muss den wissenschaftlichen Ansprüchen nach Exaktheit im Aufbau und nach Überprüfbarkeit ihrer Aussagen genügen. Theorie ist die Form des gesellschaftlichen Wissens, das wissenschaftlich qualifiziert – also: überprüft und nachvollziehbar – einen Gegenstand aufschlüsselt und erklärt.

Theorie ist, zum Zeitpunkt der Theoriebildung, an der Grenze zwischen dem gesellschaftlich Bekannten und dem Unbekannten angesiedelt. Theorie ist keine Wiederholung von Geläufigem, sondern der Vorstoß ins Unbekannte: Es hätte keinen erkennbaren Sinn, wenn eine (neue) Theorie nur Altes rekapitulieren würde. Theorie sucht im Sinne der Dialektik den Bestand menschlichen Wissens voranzutreiben, versucht die Erhellung des Unbekannten. Gleichzeitig versammelt Theorie das bekannte Wissen zu einem Gegenstand und nimmt das als gesicherten Ausgangspunkt für die Ergründung des Unbekannten. Theorie ist keine Spekulation, sondern die Entfaltung von Wissen.

Theorie Sozialer Arbeit realisiert einen Erkenntnisweg vom Abstrakten zum Konkreten, der von der wissenschaftstheoretischen Rahmung bis hin zur professionellen Praxis Sozialer Arbeit führen muss. Theorie Sozialer Arbeit muss damit bestimmte Bestandteile und Merkmale aufweisen, um der Aufgabe gerecht zu werden, gesichertes und überprüftes Wissen für die Soziale Arbeit zur Verfügung stellen zu können. Im vorliegenden Beitrag können notwendige Bestandteile und Merkmale von Theorie Sozialer Arbeit nur kurz eingeführt und angerissen werden (vgl. die ausführlichere Darstellung in: Autrata/Scheu 2015: 139 ff).


2.3 Welche Bestandteile muss Theorie Sozialer Arbeit enthalten?
Zu beginnen ist bei der wissenschaftstheoretischen Rahmung von Theorie Sozialer Arbeit. Theorie Sozialer Arbeit braucht eine Rahmung in der Wissenschaftstheorie, die die Erkenntnisse von Theorie Sozialer Arbeit ummantelt. Aus der Wissenschaftstheorie stammen Ergebnisse dazu, wo das bisher bekannte Wissen seine Grenzen findet, wo das noch Unbekannte beginnt und wie dem gegenüber der Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnis anzulegen ist. Theorie Sozialer Arbeit ist damit nicht nur Theorie für die Soziale Arbeit, sondern als Theorie eingebettet in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess insgesamt. Wissenschaftstheoretisch sind für Theorie Sozialer Arbeit die Ansatzpunkte für den Erkenntnisprozess zu fassen, wie menschliches Leben in Relation zu Gesellschaft, aber auch zu seinen materiellen und biologischen Umständen bestimmt wird. Für die Theoriebildung zur Sozialen Arbeit sind weiterhin die Dimensionen von Konstanz versus Veränderung auszuarbeiten. Übernimmt man dabei die Grundidee der Dialektik, muss die wissenschaftstheoretische Rahmung von Theorie Sozialer Arbeit Entwicklung als einen nie abgeschlossenen Prozess beinhalten: Theorie Sozialer Arbeit kann, so die Folgerung daraus, zu wahrem Wissen führen, das allerdings immer nur als vorläufig endgültig einzustufen ist.

„Steht“ die wissenschaftstheoretische Rahmung, muss der Gegenstand von Theorie Sozialer Arbeit geklärt werden. Jede Theorie, also auch Theorie Sozialer Arbeit, muss einen definierbaren Gegenstand haben, kann man lapidar postulieren. Aus der Metatheorie heraus lässt sich allerdings nicht festlegen, welchen Gegenstand Theorie Sozialer Arbeit hat oder haben muss. Vielmehr ist die Bestimmung des Gegenstands von Theorie Sozialer Arbeit aus der wissenschaftlichen Debatte heraus vorzunehmen. Grundsätzlich gesagt, sind Gegenstand von Theorie Sozialer Arbeit Menschen in ihrem gesellschaftlichen und sozialen Leben. Da menschliches Leben in Relation zu gesellschaftlichen und historischen Veränderungen steht, ist damit der Gegenstand der Theorie Sozialer Arbeit auch permanenten Veränderungen unterworfen. Theorie Sozialer Arbeit muss wiederum diesen Veränderungen ihres Gegenstands Rechnung tragen und ihre Ergebnisse fortschreiben. Nicht aufgegeben werden kann allerdings das Postulat, dass Theorie Sozialer Arbeit einen definierbaren Gegenstand haben muss: Der Gegenstand mag sich ändern, einen Theorie ohne Gegenstand hat aber keinen Sinn.

Theorie Sozialer Arbeit steht im Kontext wissenschaftlicher Disziplinen. Disziplinen sind in der Wissenschaft ein Ordnungssystem, das Zuständigkeiten regeln soll. Theorie Sozialer Arbeit muss sich in diesem Ordnungssystem positionieren. Im vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass Soziale Arbeit nicht zu einer anderen Disziplin wie beispielsweise der Erziehungswissenschaft gehört, sondern eine eigene Disziplin bildet (ausführlicher: Scheu/Autrata 2011: 297f.). Theorie Sozialer Arbeit muss in diesem Zusammenhang den Konnex zum Wissensbestand der eigenen und dem anderer wissenschaftlicher Disziplinen herstellen: Theorie Sozialer Arbeit übernimmt Wissen aus der eigenen wie aus anderen Disziplinen, gleichzeitig stellt sie ihr Wissen auch wieder zur Verfügung. Auszuweisen ist dabei, in welcher Weise und zu welchem Gegenstand Wissen in Theorie Sozialer Arbeit übergeführt wird. Theorie Sozialer Arbeit hat sich im Bezug zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen als gleichwertig und gleichgewichtig zu bewähren, was durch einen sorgfältigen und wissenschaftlich genauen Umgang mit der eigenen Theoriebildung zu gewährleisten ist.

Theorie Sozialer Arbeit muss von Relevanz für die professionelle Praxis sein. Professionelle Praxis ist nicht als unabhängig oder höherwertig als Theorie Sozialer Arbeit zu denken: Theorie Sozialer Arbeit liefert relevantes Wissen für die Gestaltung der professionellen Praxis. Theorie Sozialer Arbeit bietet Wissen an, das die Handlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit erweitert, also die Lebensqualität der MitarbeiterInnen verbessert. Theorie Sozialer Arbeit ist nicht selbstreferenzielles „l’art pour l’art“, umgekehrt ist professionelle Praxis der Sozialen Arbeit nicht der Welt „entrückt“, wie das Schleiermacher anklingen ließ: „Die Dignität der Praxis ist unabhängig von der Theorie“ (Schleiermacher 1983: 11, zit. in Müller 2012: 15). Praxis Sozialer Arbeit ist nicht in eine Sphäre der besonderen Würde erhoben, die nicht auf Wissen aus Theorie angewiesen ist. Auf das weiter oben gegebene Beispiel vom Hammer zurückblickend: Theorie Sozialer Arbeit ist ein Werkzeug, mit dem das Handeln der MitarbeiterInnen eine höhere Schlagkraft erreicht. Arbeiten HandwerkerInnen ohne Werkzeug, ist der Wirkungsgrad ihrer Arbeit voraussichtlich niedrig; arbeiten ProfessionistInnen ohne Theorie Sozialer Arbeit, ist der Wirkungsgrad ihrer Arbeit eingeschränkt.


2.4 Welche Kriterien müssen bei der Ausarbeitung von Theorie Sozialer Arbeit beachtet werden?
Bislang wurden Bestandteile betrachtet, die in Theorie Sozialer Arbeit enthalten sein müssen. Das ist zu erweitern um die Antwort auf die Frage, wie diese Bestandteile beschaffen sein sollen. In der metatheoretischen Diskussion gibt es keinen Konsens über Kriterien für die „handwerkliche“ Ausarbeitung von Theorie Sozialer Arbeit. Solche Kriterien sind – vor allem für das Verstehen – sehr hilfreich: Sie sind so etwas wie der Flaschenhals, durch den das in der Theorie gesammelte Wissen fließen muss. Hat ein Denkansatz keinen solchen Flaschenhals, tut man sich schwer, seinen Inhalt einer sinnvollen Verwendung zuzuführen: Was da vielleicht an tatsächlichem Wissen enthalten sein könnte, rauscht davon und versickert. Außerdem kann man beim Durchschütten durch den Flaschenhals kontrollieren, was da durchfließt. Auf diesem Hintergrund werden nachfolgend wichtige Kriterien für Theoriebildung Sozialer Arbeit eingeführt, die aus der wissenschaftstheoretischen und wissenschaftsdidaktischen Debatte stammen. Auch für die nachfolgend dargestellten Kriterien gilt, dass ihre Einführung im vorliegenden Beitrag aus Platzgründen knapp ausfallen muss (ausführlicher: Autrata/Scheu 2015: 183ff).

Zentrale Bausteine einer Theorie Sozialer Arbeit sind ihre Begriffe. Begriffe bezeichnen einen Gegenstand und seine gesellschaftlich vermittelte Gegenstandsbedeutung. Für Wissenschaft und speziell für Theorie ist die Anforderung zu stellen, dass ein Begriff genau einen Gegenstand und genau dessen Gegenstandsbedeutung bezeichnet. Dass das eine Forderung ist und nicht die Feststellung eines üblichen Vorgehens, ist beispielhaft zu belegen. Thiersch konstatiert:

„Im folgenden werden Lebensweltorientierung und Alltagsorientierung – einem weithin üblichen Sprachgebrauch folgend – synonym gebraucht; Alltagsorientierung wird – neben der weiten Bedeutung als Rahmenkonzept – auch in einem engeren Sinn benutzt zur Bezeichnung pragmatisch überschaubarer Verständnis- und Handlungsmuster“ (Thiersch 1995: 6).

Dass Thiersch Wesentliches zur Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit beigetragen hat, ist unstrittig. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass im oben zitierten Beispieltext zwei Begriffe für den gleichen Gegenstand, der nicht näher bestimmt wird, verwendet werden; einer der beiden Begriffe, allerdings nicht beide – als Synonyme bezeichnete – Begriffe, hat zusätzlich eine weitere, engere Bedeutung, so Thiersch. Das wirkt ausgesprochen verwirrend.

Begriffe haben – an sich, muss man schon fast ergänzen – eine klassifikatorische Funktion: Sie erlauben die Unterscheidung, ob ein Gegenstand unter einen bestimmten Begriff fällt oder nicht. Damit eine solche Unterscheidung möglich ist, dürfen Begriffe nicht vage bleiben, sondern müssen exakt und präzise die Bestimmung eines Gegenstandes vornehmen. Wenn in Theorie Sozialer Arbeit zwei oder mehr Begriffe für den gleichen Gegenstand verwendet werden, wenn Begriffe bei Gelegenheit unterschiedliche Bedeutungen haben können, bringt das Probleme für das Verstehen mit sich: Man kann nicht mehr zweifelsfrei zuordnen, welcher Gegenstand gemeint ist, wenn ein Begriff benutzt wird. Das entspricht nicht der Anforderung; in einer Theorie Sozialer Arbeit solle genau ein Begriff einen Gegenstand und seine Bedeutung bezeichnen, wie sie beispielsweise Klaus und Buhr postulieren:

„In einer exakten wissenschaftlichen Terminologie muß die umkehrbar eindeutige Zuordnung von Begriff und Wort gefordert werden“ (Klaus/Buhr 1976, Band 1: 206).

Das Verstehen von Begriffen, die im Rahmen von Theorie Sozialer Arbeit verwendet werden und deswegen präzise Begriffe sein müssen, wird wesentlich durch die Definition der Begriffe ermöglicht: Definitionen nehmen Bestimmungen der Bedeutung eines Begriffs – idealtypisch gesagt – so vor, dass jemand, der den Begriff vorher nicht kannte, durch die Definition seine Bedeutung verstanden hat. Definitionen müssen die Bestimmung des Begriffs bezüglich seiner Intension und seiner Extension vornehmen: Die Intension bezeichnet die Bestimmung des Begriffs in sich, die Extension stellt die Abgrenzung eines Begriffs gegenüber anderen Begriffen fest. Häufig werden drei Leitlinien formuliert, denen Definitionen entsprechend solle: Definitionen sollen klar, zirkelfrei und knapp sein (vgl. bspw. Brun/ Hirsch Hadorn 2009: 172). Diese Vorgaben sind dazu gedacht, das Verstehen von Definitionen zu gewährleisten: Eine Definition hat das Ziel, das Definiendum so eindeutig zu fassen, so dass keine Missverständnisse über seinen Gehalt bestehen bleiben können. Die Bildung von Definitionen muss damit das Ziel haben, das Wesen eines Gegenstands, und damit das in seiner Gegenstandsbedeutung eingelagerte gesellschaftlichen Wissens, aufzuklären. Definitionen in Theorie Sozialer Arbeit müssen das Wesen der durch sie erklärten Gegenstände zweifelsfrei aufklären. Umgekehrt kann man das auch so ausdrücken: Sollten in Veröffentlichungen keine oder keine hinreichenden Begriffsdefinitionen gegeben werden, scheint zweifelhaft, ob sie die Vorgaben für Theorie Sozialer Arbeit erfüllen.

Zur jeweils vorliegenden Theorie Sozialer Arbeit gibt es immer früher vorgelegte Theorie: Theorie entsteht nicht aus dem Nichts, sondern aus der Auseinandersetzung mit früherer Theorie, die als Vortheorie benannt werden kann. Vortheorie muss nicht immer aus den Disziplingrenzen der Sozialen Arbeit stammen, auch Theorie aus anderen Disziplinen kann Vortheorie für Theorie Sozialer Arbeit sein. Auszuweisen ist allerdings der Übergang von Vortheorie zu neuer Theorie: Theorie Sozialer Arbeit intendiert ja den Übergang vom Bekannten zum Unbekannten. Vortheorie ist dabei als der wissenschaftlich bekannte Wissensbestand zu charakterisieren, der durch eine neue Theorie erweitert wird. Auszuweisen ist also, was in einer vorgelegten Theorie Sozialer Arbeit Vortheorie ist, also schon bekannt ist, sowie ob und gegebenenfalls wo neue Erkenntnisse einsetzen. Der gedankliche Weg von der Vortheorie zur neuen Theorie muss dabei logisch und stringent sein. Dass die Verbindung zwischen Vortheorie und neuer Theorie logisch sein muss, schließt ausdrücklich ein, dass neue Theorie, um bisher Unbekanntes erklären zu können, qualitative Entwicklungssprünge vollführt: Das Unbekannte ist nicht ein wenig mehr als das Bekannte, sondern etwas grundsätzlich Neues.

Für die Unterscheidung, ob eine Theorie Sozialer Arbeit wahr ist, ist das Begriffspaar wahr oder falsch zu benutzen. Theorie Sozialer Arbeit kann – wie jede Theorie – entweder wahr oder falsch sein. Die Unterscheidung zwischen wahr und falsch rührt aus der Wissenschaftstheorie und damit aus der Philosophie (vgl. bspw. Tschamler 1996). Allgemein kann man sagen, eine Theorie ist dann wahr, wenn sie eine dem erklärten Gegenstand angemessene Erklärung liefert. Jede Theorie, also auch Theorie Sozialer Arbeit, muss sich einer Wahrheitsprüfung stellen; zum Prozedere der Theoriebildung gehört auch die Theorieprüfung. Weiter ist Wahrheit für Theorie nicht zu überhöhen: Es ist – nicht mehr und nicht weniger – die Überprüfung, ob eine Theorie eine ihrem Gegenstand angemessene Erklärung liefern kann. Immer wieder wird für Theorie Sozialer Arbeit angenommen, eine Wahrheitsprüfung sei bei ihr nicht angebracht: Der Gegenstand von Theorie Sozialer Arbeit sei zu wenig greifbar oder generell sei Wahrheitsprüfung für Theorie Sozialer Arbeit nicht möglich. Das ist zurückzuweisen: Der Gegenstand von Theorie Sozialer Arbeit muss eben hinreichend bestimmt werden, eine Wahrheitsprüfung ist bei jeder Theorie möglich. Theorie Sozialer Arbeit muss dem Rechnung tragen und nachvollziehen, ob und inwieweit Theorie Sozialer Arbeit zu wahren Erkenntnissen gekommen ist. Theorie und damit auch Theorie Sozialer Arbeit kann – für den Zeitpunkt ihrer Entstehung – zu wahren Erkenntnissen kommen: Wissen aus einer Theorie der Gegenwart wird aber potentiell von einer zukünftigen Theorie Sozialer Arbeit wieder korrigiert.


3. Theorie Sozialer Arbeit verstehen: Ein Fazit
Verstehen wie auch Theorie Sozialer Arbeit wurden vorstehend näher beleuchtet. Das rekapitulierend, kann man festhalten: Verstehen ist die Übernahme gesellschaftlichen Wissens vom Subjektstandpunkt aus. Möchte man also Theorie Sozialer Arbeit verstehen, dann muss zum einen das der Theorie inhärente gesellschaftliche Wissen von Menschen, die Theorie Sozialer Arbeit verstehen wollen, übernommen werden. Dies setzt voraus, dass eine Theorie Sozialer Arbeit gesellschaftliches Wissen auch bereit stellt, dass das, was als Theorie bezeichnet wird, auch eine Theorie ist: Eine Theorie Sozialer Arbeit braucht klar definierte Begriffe, beschreibt den Übergang von Bekanntem zu Unbekanntem, muss wahr und nachvollziehbar sein. Des Weiteren muss eine Theorie Sozialer Arbeit das ihr inhärente gesellschaftliche Wissen stringent darstellen; sie muss zeigen, wie das neue Wissen „entstanden“ ist.

Nicht ausreichend ist es aber, dass eine Theorie gesellschaftliches Wissen bereit hält; Menschen müssen die Theorie Sozialer Arbeit auch verstehen wollen. Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit ist ein subjektiv gnostischer Prozess; er gestaltet sich niemals gleich, ist immer an die Subjektivität der Verstehen-Wollenden gebunden und kann nur von ihnen selbst geleistet werden. Menschen, die Theorie Sozialer Arbeit verstehen wollen, leiten aus dem gnostischen Verhältnis, das sie zu der ihnen vorliegenden Theorie Sozialer Arbeit eingehen, Informationen ab und bewerten diese am Maßstab ihrer eigenen Interessen und Bedarfe. Das gesellschaftliche Wissen respektive das Theorie-Wissen wird dahingehend bewertet, ob es beispielsweise erkannte Lücken schließt oder Neues erkennen lässt, ob damit der eigene Handlungs- und Möglichkeitsraum erweitert wird, ob die vorliegende Theorie Sozialer Arbeit „von Nutzen“ ist. Diese Überlegungen – und viele andere mehr – fließen in den Bewertungsprozess ein. Ob die Theorie Sozialer Arbeit verstanden wurde, ist davon abhängig, ob das der Theorie inhärente gesellschaftliche Wissen – in Bezug auf die Soziale Arbeit: das gesellschaftliche Wissen zu und über den Gegenstand der Sozialen Arbeit, also die Gegenstandsbedeutung – erkannt wurde und ob die vorliegende Theorie Sozialer Arbeit die je spezifischen Interessen und Bedarfe zu realisieren in der Lage ist.

Zusammenfassend: Der vorliegende Beitrag liefert Hintergrundwissen für ein leichteres und vor allem tiefer reichendes Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit. Wenn man weiß, so die Schlüsselthese dazu, was Verstehen und Theorie Sozialer Arbeit genau sind, kann man bessere Resultate beim Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit erzielen. Das Verstehen von Theorie Sozialer Arbeit wird damit verbessert: Verstehen kann gezielter vorgenommen werden, da wichtige Bestandteile und Gütekriterien von Theorie Sozialer Arbeit in einem Vademecum (vgl. Autrata/Scheu 2015) aufgelistet sind und gezielt aufgesucht werden können.


Literatur

Autrata, Otger / Scheu, Bringfriede (2015): Theorie Sozialer Arbeit verstehen. Ein Vademecum. Wiesbaden: Springer VS.

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Tschamler, Herbert (1996): Wissenschaftstheorie. Eine Einführung für Pädagogen. 3. Auflage, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Wagenschein, Martin (1997): Verstehen lehren. Genetisch – Sokratisch – Exemplarisch. 11. Auflage, Weinheim: Beltz.

Wygotski, Lew (1985): Ausgewählte Schriften. Band 1, Köln: Pahl-Rugenstein.


Über die AutorInnen

FH-Prof.in Dr.in Bringfriede Scheu, Jg. 1957
b.scheu@fh-kaernten.at

Studium der Erziehungswissenschaft/Sozialpädagogik. Lehrende im Bachelor- und Masterstudiengang Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kärnten.

Dipl.-Pädagoge, Dr. habil. Otger Autrata, Jg.1955
o.autrata@riss-institut.at

Priv.-Doz. an der Universität Osnabrück und Leiter des Forschungsinstituts RISS, Feldkirchen/Kärnten