soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 14 (2015) / Rubrik "Thema" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/408/682.pdf
Anna Riegler:
Anerkennende Verhältnisse sind nach Axel Honneth (1994) Voraussetzung, um eine gerechte gesellschaftliche Teilhabe bzw. Partizipation ermöglichen zu können. Anerkennungsverhältnisse müssen dazu für jeden Menschen auf drei Ebenen – auf der Ebene des Rechts, des Verdienstes und der Liebe – zur Verfügung stehen, damit sich ein Mensch als autonomes Subjekt1 und unter gerechten Bedingungen in eine Gemeinschaft einbringen kann. Anerkennung ist also auf der Ebene des Rechts, auf der Ebene des Verdienstes und auf der Ebene der Liebe zu gewährleisten. Diese drei Anerkennungsebenen sind miteinander verwoben, d. h. verändert sich in der einen Sphäre etwas, wirkt sich dies auch auf die andere Sphäre aus. Die stärkste Veränderungswirkung besitzt die Anerkennungssphäre des Rechts (vgl. Honneth 2003: 222f). Gerechte Teilhabe ist dann möglich, wenn seitens des Staates Freiheit und Befähigung (vgl. Sen 2010) gewährleistet werden, d. h. wenn unter den Bedingungen der Chancengleichheit bei differenten Ausgangsbedingungen, einem Individuum Möglichkeiten zur Identitätsbildung zur Verfügung gestellt werden, seine Fähigkeiten bestmöglich zu entwickeln und für sich selbst entscheiden zu können, für welche Option eines sogenannten guten Lebens2 es sich entscheiden kann und will (vgl. ebd.: 315).3 Ein Mensch kann sich so zu einem autonomen Subjekt entwickeln, das sich in seiner Einzigartigkeit, tätig und sich selbst verwirklichend in das Gemeinwesen einbringen kann und will (vgl. Honneth 1994: 139). Nachhaltige Verbesserungen für Teilhabechancen, für die Befähigung zur Partizipation können also nur über das Zusammenspiel von Veränderungen in der Anerkennungssphäre des Rechts (das wäre beispielsweise das aktive und passive Wahlrecht für anerkannte Flüchtlinge auf allen Ebenen), Veränderungen in der Anerkennungssphäre der Liebe (das wäre eine zutrauende, akzeptierende, respektvolle und emotional positiv zugewandte persönliche Begegnung) und Veränderungen in der Anerkennungsform des sozialen Verdienstes (das wäre eine vorurteilsfreie Annäherung an die Betroffenen, die Anerkennung differenter Lebensentwürfe, die Anerkennung der und das Zutrauen von einzigartigen Leistungen eines jeden Menschen) erreicht werden. Umgekehrt können allein durch die Anerkennung in der Sphäre der Liebe und durch die Anerkennung in der Sphäre des Verdienstes die Bedingungen von Menschenwürde4, Respekt und Autonomie nicht hinreichend gewährleistet werden (vgl. Honneth 2003: 224).
1. Die Befähigung zur Partizipation über die Anerkennung in der Sphäre der Liebe
Die Anerkennung in der Sphäre der Liebe meint, dass sich ein Mensch über den Spiegel des Anderen (vgl. Honneth 1994: 192) selbst erkennen kann, über das Sich-Erzählen-Können und das Zuhören (vgl. Ricoeur 2006: 134)5, über eine verständigungsorientierte Kommunikation6 (vgl. Habermas 1995: 150ff). Ein Individuum hat nach Krassimir Stojanov (2006) legitime Identitätsansprüche, die über anerkennende Beziehungsgestaltung, über ein Sich-Erzählen-Können in einem angstfreien Raum sowie über die Anerkennung der personalen Eigenschaften erreichbar erscheinen (vgl. Stojanov 2006: 122ff). Und ZuhörerInnen können sich in Erzählungen wieder erkennen, eine Erzählung wird kritisch verstanden oder angeeignet, worüber man wiederum lernt, sich selbst neu zu erzählen. Im Erzählen und im Zuhören verändere ich mich also ständig selbst und lerne mich neu zu erzählen (vgl. Ricoeur 2006: 134). Das bedeutet, dass ein Mensch über die Anerkennung in der Liebe, in der unmittelbaren Beziehung zweier Individuen zueinander, Zugang zu seinen Bedürfnisimpulsen bekommen kann, Vertrauen in sich selbst fassen und Sicherheit gewinnen kann, als Mensch an sich, einen Wert zu haben (vgl. Honneth 1994: 192). Das erste Muster intersubjektiver Anerkennung ist also die Liebe, die Honneth unter anderem mit G. F. W. Hegel (1770-1831) und mit der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie (vgl. Winnicott 1984) begründet. Die Liebe stellt für Hegel die erste Stufe der wechselseitigen Anerkennung dar, weil sich in ihr die Subjekte in ihren wechselseitigen Bedürfnissen bestätigen und als bedürftige Wesen anerkennen (vgl. Honneth 1994: 153).7 Die Anerkennung hat hier den Charakter der „affektiven Zustimmung“ (ebd.). Die Subjekte bringen einander „Gefühle besonderer Wertschätzung entgegen“ (ebd.: 154).8 So wie ein Kind durch die permanente Zuwendungsbereitschaft seiner Eltern, trotz trotziger oder pubertärer Verhaltensweisen sich seines Wertes an sich für die Anderen gewiss sein kann und somit ein Grundvertrauen in seine eigenen Fähigkeiten aufbauen kann und erst daraus das Bedürfnis entsteht, sich in einer Tätigkeit verlieren bzw. sich selbst verwirklichen zu können (vgl. Winnicott 1984, zit. in Honneth 1994: 167). Die Liebe lässt einen Menschen seinen Bedürfnisimpulsen vertrauen, sich selbst in seinem Wert als Mensch an sich (an-)erkennen. Ein Mensch kann erst mit diesem Selbstvertrauen ausgestattet, gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen, sich partizipativ ins Gemeinwesen einbringen und seinen anerkennbaren Beitrag für das Gemeinwesen zur Verfügung stellen (vgl. Honneth 1994: 153ff). Auch Amartya Sen (2010) weist darauf hin, dass unter der Befähigungsprämisse neben dem Zur-Verfügung-Stellen von materiellen Ressourcen vor allem an fairen Prozessen sowie an persönlichen Ressourcen zu arbeiten ist, damit ein Individuum als autonomes Subjekt an der Gesellschaft teilhaben kann. Die Befähigung wird dabei also an den sozialen Bedingungen festgemacht, innerhalb dieser ein Individuum seine Fähigkeiten in fairen Prozessen im alltäglich gelebten Leben entwickeln und seine Wahl für ein sogenanntes gutes Lebens treffen kann. Dazu zählen auch Interaktionen, die den Betroffenen (alternative) Erfahrungen anbieten, um so eine Vorstellung erweiterter Handlungsmöglichkeiten zu bekommen. Der Besitz und die Erwerbsquellen spielen nicht die vordergründige Rolle, sondern es zählen alle Chancen, die einem Menschen als Ressource zur Verfügung gestellt werden, aus denen dieser dann wählen kann (vgl. Sen 2010: 281). Zu den persönlichen Ressourcen bzw. Fähigkeiten zählen beispielsweise ein entsprechend entwickeltes Selbstbewusstsein, ein entsprechendes positives Selbstwertgefühl und die Selbstachtung. Diese Fähigkeiten ermöglichen es dem oder der Einzelnen erst, sich autonom für vorhandene Optionen zu entscheiden, „die man braucht, um am Gemeinschaftsleben teilnehmen zu können, und die in vielen Zusammenhängen nötig sind, damit man den elementaren Ansprüchen der Selbstachtung genügen kann“ (Sen 2010: 284).
2. Die Befähigung zur Partizipation über die Anerkennung in der Sphäre des Verdienstes
Ein Mensch kann sich also über die Anerkennung als Mensch in seinem Zweck an sich9 erst als tätiges Wesen in die Gemeinschaft einbringen (vgl. Honneth 1994: 153ff). Die Mitglieder des Gemeinwesens geben ihm dann idealerweise wiederum Anerkennung für seine jeweils einzigartigen Leistungen. Damit befinden wir uns in der Anerkennungssphäre des Verdienstes. In seinen Verdiensten für das Gemeinwesen, von diesem eine entsprechende Anerkennung zu bekommen, ermöglicht es dem Menschen erst, sich selbst Wert zu schätzen. So ist kritisch anzumerken, dass beispielsweise die Orientierung am Willen10 des Einzelnen in der Sozialraumorientierung nach Wolfgang Hinte (2004) vor diesem Hintergrund gedacht werden müsste, um den betroffenen Menschen eine gerechte Teilhabe ermöglichen zu können. Denn bevor KlientInnen der Sozialen Arbeit ihren Willen zur Mitarbeit, zur Veränderung kundtun können, müssten sie also über ein Sich-Erzählen-Können erst einen Zugang zu sich selbst, zu ihren Bedürfnissen, zu ihrem Selbstwert bekommen können, müssten sie befähigt werden, sich selbst zu vertrauen, sich selbst etwas zuzutrauen. Das kann aber nur gelingen, wenn KlientInnen und deren Erzählungen vertraut werden, wenn KlientInnen Handlungen zugetraut werden. Um zu dieser Fähigkeit vordringen zu können, bräuchte es aber in allen Bereichen der Sozialen Arbeit wesentlich mehr Zeit, sich auf Beziehungen mit KlientInnen einzulassen, damit die Anerkennung ihres Soseins im Spiegel der SozialarbeiterInnen nicht im Sog des Zeitdrucks, im Sog der Maxime der Kosteneinsparung und der Orientierung an neoliberalen Kriterien von Effizienz und Effektivität (für das Sozialsystem und nicht für die KlientInnen) hängen blieben. KlientInnen müssten also durch ein Zur-Verfügung-Stellen von Zeit, Vertrauen, Zutrauen, Zuhören und aus den Lebenszusammenhängen heraus Verstehen-Wollen, Zugang zu ihren eigenen Fähigkeiten bekommen können, die sie dann auch ausdrücken wollen und die vom Gegenüber auch anerkannt werden müssten. Umgekehrt gesprochen meint dies, dass solange SozialarbeiterInnen nicht unter Bedingungen arbeiten können, unter denen sie ausreichend Zeit haben, Menschen zuzuhören, ihnen Zeit zu geben, sich zu erzählen, sich in ihren lebensweltlichen Zusammenhängen zu begreifen, auf diese zuzugehen, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, die auf Verständnis und Verständigung11 basiert, solange wird eine Anerkennung auf der Ebene der Liebe, die Anerkennung des Menschen in seiner Würde, die den meisten KlientInnen der Sozialen Arbeit ja ohnehin bereits in ihren biografischen Entwicklungen verwehrt wurde, schwer möglich sein. Und damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Fähigkeit eines Menschen, sich tätig in ein Gemeinwesen einbringen zu können nicht gegeben. Auch Paul Ricoeur (2006) meint, das Sich-Erkennen sei die philosophische Frage nach der Identität (vgl. Ricoeur 2006: 41).
„Was die […] wechselseitige Anerkennung [die sogenannte reconnaissance mutuelle], angeht, kann man jetzt schon sagen, daß hier die Frage der Identität eine Art Höhepunkt erreicht: was nach Anerkanntwerden verlangt, ist doch unsere ureigenste Identität, die, die uns zu dem macht, was wir sind“ (ebd.: 42).
Im Menschen besteht also ein Anspruch oder ein Bedürfnis auf Anerkennung seiner selbst. Der fähige Mensch entwickelt sich über das Sagen-Können, zum Tun-Können und zum Reflektieren seines Tuns hin zum Erzählen-Können, welches wiederum identitätsstiftend ist. Über das Zuhören, die Anerkennung des Erzählten, entsteht ein „Ich glaube, dass ich kann“ (vgl. Ricoeur 2006: 120f) und der Mensch wird der Zurechenbarkeit von Handlungen bzw. der Verantwortlichkeit für Handlungen fähig. Ricoeur leitet dann aus der moralischen Verantwortlichkeit für das Handeln eine Pflicht zur Sorge um den Anderen ab, woraus wiederum das Recht auf Befähigung entsteht, damit ein Mensch die Fähigkeit besitzt, sich selbst für seine Art zu leben, entscheiden zu können (vgl. ebd.: 185). Es geht also um das Annehmen der Person in ihrem Sosein als Voraussetzung für die Partizipation an gemeinschaftlichen Prozessen, auch wenn deren Verhalten für die andere Person nicht akzeptierbar ist. Es wird die Person angenommen, aber nicht jedes Verhalten des Gegenübers gebilligt.
„[…] aber worin immer ich wider den anderen bin, ich habe damit, daß ich ihn als Partner echten Gesprächs annehme, zu ihm als Person Ja gesagt“ (Buber 1954/2012: 293).
In dieser Haltung können SozialarbeiterInnen Verhalten von KlientInnen ablehnen oder gegenteiliger Meinung sein, sie können in einem funktional asymmetrischen Verhältnis zur Person stehen, sie achten aber immer darauf, die ihnen gegenüberstehende Person an sich anzuerkennen und können dadurch partnerschaftlich miteinander arbeiten, nicht gegeneinander, sondern gegenüber stehend, kooperativ und von Person zu Person – „auf Augenhöhe“. Andernfalls können KlientInnen in aktuellen Beziehungen mit SozialarbeiterInnen sich nicht selbstbewusst und im Vertrauen auf ihre Bedürfnisse mit ihren Anliegen einbringen, so dass SozialarbeiterInnen vor einer Sprachlosigkeit (oder vor dem selbstbewussten, fähigen Widerstand) von KlientInnen stehen, wenn sie sich in guter Absicht mit diesen an die Ausarbeitung von Zielen für deren weiteres Leben machen. D. h. KlientInnen werden in der Begegnung mit SozialarbeiterInnen meist nicht befähigt, ihre Bedürfnisse auszudrücken. Es ist in den meisten Fällen zu wenig Zeit für Vertrauensaufbau, für Beziehungsarbeit beispielsweise im Sinne eines Zulassen-Könnens von regressiven Elementen, um überhaupt einen Zugang zu sich selbst bekommen zu können, möglich. Es wird dann zwar der Wille zur oder der Widerstand gegen die Zusammenarbeit bekundet, aber zu einer Zusammenarbeit in Transparenz, zur Partizipation auf Augenhöhe über die Anerkennung des Menschen an sich kommt es nicht. Die Begegnung bleibt ein herrschaftliches Verhältnis, in welchem sich die KlientInnen den Ansprüchen der Gesellschaft an ein gelingendes Leben unterzuordnen haben, in welchem es all zu schnell zu (schriftlichen) Vereinbarungen kommt, in denen der Wille der KlientInnen zur Unterordnung verbrieft ist. Es wird zwar von Partizipation, Empowerment und Augenhöhe gesprochen, in der täglichen Begegnung ist aber aufgrund oben genannter Bedingungen eine Anerkennung auf der Ebene der Liebe kaum möglich. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das sogenannte „Adaptionsphänomen“ (Sen 2010: 311). Menschen produzieren demnach ihre Meinungen nicht unabhängig von der Gesellschaft und ihrem Lebensumfeld (vgl. ebd.: 273). Wünsche und Bedürfnisse von Menschen können aus diesem Grund nicht als Indikatoren für ein Erreichen eines Mehr an Gerechtigkeit herangezogen werden. Denn dies würde dann das Adaptionsphänomen außer Acht lassen, welches nachvollziehbar macht, dass sich chronisch notleidende Menschen mit ihrer Lage abfinden, um die Situation überhaupt ertragen zu können. Dieses Adaptionsphänomen bewirkt nämlich, dass nur noch gewollt oder gewünscht wird, was ohnehin nicht zu verändern oder zu vermeiden ist, der freie Wille ist unter diesen Umständen im Sinne von Gerechtigkeit nicht gegeben (vgl. ebd.: 311).
Auch Pierre Bourdieu (2009) geht von einer schicksalhaften Situierung des Menschen in einem gesellschaftlichen System aus.
„Die Kontinuität der Generationen stellt sich praktisch über die Dialektik der Entäußerung der Innerlichkeit wie der Verinnerlichung der Äußerlichkeit her, eine Dialektik also, die zum Teil selbst das Produkt der Objektivierung der Innerlichkeit vergangener Generationen bildet“ (Bourdieu 2009: 170).
Das Einverleiben des objektiven Äußeren ist gleichzeitig die Übernahme von kollektiven Schemata und damit die Integration in eine Gruppe, deren einzelne Mitglieder eine jeweils ähnlich strukturierte Subjektivität aufweisen (vgl. ebd.). Das Subjekt entwickelt sich demzufolge nicht in Autonomie, sondern in Abhängigkeit zu diesen inkorporierten Strukturen. Demnach richten sich die praktischen Handlungsweisen von Individuen nach den vorhandenen Mitteln (vgl. ebd.: 167).12 Das Unwahrscheinliche und Undenkbare wird aus den Handlungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Menschen fügen sich in das Unausweichliche ein (vgl. ebd.: 168). Um überhaupt an eine Veränderung dieser vergesellschafteten Praktiken denken zu können, muss daher nach Pierre Bourdieu die sogenannte „generative Grammatik der gesellschaftlichen Reproduktion“ (Liebau 2008: 360) entschlüsselt werden. D. h. diese Praktiken müssen aus dem Unbewussten ins Bewusste geholt werden, sie müssen entschlüsselt und reflektiert werden. Veränderungen können aber nach Bourdieu (1998) nicht vom Einzelnen erreicht werden, sondern nur über eine „radikale Revolution der Erkenntnisinstrumente und Wahrnehmungskategorien“ (Bourdieu 1998: 175) stattfinden. Das bedeutet, dass auch die Soziale Arbeit die gesellschaftspolitisch relevante Aufgabe übernehmen kann, an der Veränderung von Erkenntnisinstrumenten und Wahrnehmungskategorien über die Reflexion unbewusster Prozesse zu arbeiten, um an entsprechenden Voraussetzungen für eine gerechtere Partizipation von KlientInnen der Sozialen Arbeit mitzuwirken. Denn ein Veränderungspotential ergibt sich erst aus einem kollektiven Interesse heraus (vgl. ebd.: 183): Über ein unter anderem in der Ausbildung zur Sozialen Arbeit erlerntes reflektiertes Handeln, das das Unbewusste ins Bewusstsein holt, kann es zu einem Erkennen entsprechender gesellschaftlicher und sozialer Praktiken kommen, welches es zunächst SozialarbeiterInnen und in weiterer Folge dann auch KlientInnen der Sozialen Arbeit in der anerkennenden Begegnung mit diesen ermöglichen kann, sich selbst anders wahrzunehmen und somit über das sogenannte Adaptionsphänomen hinaus, Handlungsoptionen zu erweitern.
Neben der Reflexion dieser unbewussten inkorporierten Strukturen13 (vgl. Bourdieu 2009: 164) setzt die Anerkennung in der Sphäre des Verdienstes aber vor allem auch die Anerkennung der Bedürftigkeit (vgl. Praetorius 2005) und Verletzlichkeit (vgl. Butler 2007) eines jeden Menschen voraus. Denn KlientInnen sehen sich auf der Ebene des Verdienstes oft HelferInnen gegenüber, die sich selbst nicht vorstellen können, KlientInnen der Sozialen Arbeit zu sein, sich quasi schämen würden, Hilfe von KollegInnen anzunehmen, sich nicht getrauen, hilfsbedürftig zu sein, von sich erwarten, nicht schwach sein zu dürfen.14 Dieser Haltung ist eine Abwertung der Hilfe und der Hilfsbedürftigkeit der KlientInnen immanent, welche sich entsprechend auf die Kommunikation mit diesen auswirkt. KlientInnen werden dann eher nur als ProblemträgerInnen gesehen, es wird ihnen wenig zugetraut, sie werden als wenig zurechnungsfähig gesehen. Wie sich in einer empirischen Untersuchung zur Beziehungsgestaltung zwischen SozialarbeiterInnen und KlientInnen gezeigt hat, können selbstbewusste Tätigkeiten von KlientInnen von SozialarbeiterInnen dann sogar übersehen werden, nicht anerkannt werden, ja sogar in Frage gestellt bzw. abgewertet werden (vgl. Riegler 2014: 180ff). Dass KlientInnen aber neben den Problematiken, mit denen sie sich hilfesuchend an SozialarbeiterInnen wenden, aber aus viel mehr als nur aus diesen Problemen bestehen, wird meist übersehen. Dies anzuerkennen, dafür bleibt den im Alltag oft unter Druck stehenden SozialarbeiterInnen kaum Zeit. Zu hohe Fallzahlen, mangelnde personelle, räumliche und finanzielle Ressourcen sind oft der Grund dafür. So wäre beispielsweise die Leistung anzuerkennen, dass sich jemand versorgend um einen Hund kümmern kann, so wäre anzuerkennen, dass sich jemand bettelnd über Wasser hält, so wäre anzuerkennen, dass sich jemand kümmern kann, Mindestsicherung zu beziehen u. v. m. Das heißt, jedem Menschen ist in seiner Einzigartigkeit und aus seinem Lebenszusammenhang heraus anerkennend zu begegnen, seine Leistungen sind unter den im Laufe seines Lebens jeweils zur Verfügung stehenden Befähigungen, Einschränkungen und Benachteiligungen anzuerkennen, Werturteile über bestimmte Lebensformen sind auszusetzen und der abwertende Zugang zu Hilfsbedürftigkeit ist zu reflektieren. In der professionell helfenden Beziehung ist, Judith Butler (2007) folgend, also von einer Haltung auszugehen, die die grundlegende Verletzlichkeit eines jeden Menschen anerkennt. Es geht darum, dass die HelferInnen diese Verletzlichkeit und Fehlbarkeit zunächst bei sich selbst anerkennen, um dann im Sinne einer Bescheidenheit15 und Großzügigkeit16 soziale Vorverurteilungen aussetzen zu können und so zu einer Normalisierung von Hilfsbedürftigkeit und Hilfeleistung zu kommen. Denn mit Bezug auf Theodor W. Adorno (1969) liege unsere Chance menschlich zu werden, „gerade in der Art und Weise, wie wir auf Verletzungen reagieren“ (Adorno 1969: 216, zit. in Butler 2007: 136). Dieser Ansatz kann durch die Sichtweise Ina Praetorius (2005) ergänzt werden, die empfiehlt, von einer helfenden Haltung auszugehen, die Bedürftigkeit nicht als Ausnahmezustand sieht, sondern Bedürftigkeit als einen Normalzustand menschlichen Lebens (an-)erkennt, weil auch diese Haltung eine positive Zugewandtheit ausdrückt und sogar als strukturelle Bedingung jeder hilfreichen Beziehung angestrebt werden sollte. Praetorius (2005) umreißt diese Dynamik in ihrem Artikel „Bezogenheit denken – Beziehungen benennen“ mit der Bearbeitung der Frage, wie eine Sozialpolitik wohl aussähe, die die menschliche Bedürftigkeit als Normalzustand und nicht als Ausnahme sähe:
„[…], die menschliche Bedürftigkeit nicht als Ausnahme-, sondern als Normalzustand anerkennen und auf StaatsbürgerInnen bauen würde, die Fürsorge und Fürsorgebedürftigkeit nicht mehr an ‚die Schwachen’ delegieren, sondern als selbstverständliche Daseinsform jedes oder jeder einzelnen betrachten“ (Praetorius 2005: 9).
Hier wird von einer Normalität von Hilfsbedürftigkeit ausgegangen. Dazu ist es notwendig, sich als SozialarbeiterIn eine reflexive Kompetenz zu erarbeiten, die die eigenen Erfahrungen, Hilfe zu brauchen, um Hilfe zu bitten, Hilfe anzunehmen als Ausgangspunkt nimmt, sich selbst als hilfsbedürftiges Wesen zu verstehen und zu akzeptieren (und sich darin nicht selbst abzuwerten) und so den KlientInnen verstehend und akzeptierend begegnen zu können. Dadurch können SozialarbeiterInnen helfen, die Chancen der KlientInnen der Sozialen Arbeit auf eine gerechte Teilhabe zu steigern, weil sich die KlientInnen durch eine solche spiegelnde Haltung in ihrer Hilfsbedürftigkeit selbst akzeptieren können und nicht abgewertet fühlen müssen. So werden sie unterstützt in ihrer Subjektwerdung als Voraussetzung, am Gemeinwesen partizipieren zu können und schließlich partizipieren zu wollen.
3. Die Befähigung zur Partizipation über die Anerkennungssphäre des Rechts
Die Anerkennungssphäre des Rechts bedeutet schließlich, dass ein Mensch sich erst über die rechtliche Anerkennung selbst achten kann (exemplarisch seien hier das Wahlrecht, Gleichstellungsgesetze, Gewaltschutzgesetze, Kinderrechte und Menschenrechte aufgezählt). Rechte lassen sich nach Honneth als „anonymisierte Zeichen einer gesellschaftlichen Achtung begreifen“ (Honneth 1994: 192). Menschenwürde wird auch erlebt als die rechtliche Anerkennung, erlebt im Gefühl, sich mit anderen gleichwertig zu fühlen, jemand in die Augen schauen zu können, sich auf Augenhöhe begegnen zu können, sich von Mensch zu Mensch begegnen zu können, stolz darauf zu sein, dazuzugehören, indem jemand von anderen wertgeschätzt, gewürdigt, geachtet wird. Menschenwürde heißt dann, einen Selbstrespekt erfahren zu können. Menschenwürde ist dann die anerkennbare Leistung, Fähigkeit oder Funktion eines Individuums, Ansprüche durchsetzen zu können (vgl. ebd.: 194). Honneth stellt fest, dass Rechte zu besitzen, Individuen erst ermächtigt, soziale Ansprüche stellen zu können. Rechte zu besitzen „statten das einzelne Subjekt mit der Chance zu einer legitimen Aktivität aus, anhand derer es sich selber vor Augen führen kann, dass es die Achtung aller anderen genießt“ (ebd.). Im Recht beispielsweise als AsylwerberIn nicht anerkannt zu sein, führt zu einem Nicht-Geachtet-Werden dieser in ihrer Menschenwürde, zu einer Missachtung der Person an sich, was unter anderem durch die oft willkürliche Verletzung der Privat- und Intimsphäre der Betroffenen sowie den mangelnden Möglichkeiten dieser, einer Arbeit nachzugehen etc. (vgl. Riegler 2014: 184ff), ihren Ausdruck findet. In der bereits erwähnten Untersuchung zur Beziehungsgestaltung zwischen SozialarbeiterInnen und KlientInnen (vgl. Riegler 2014) stellt sich heraus, dass es einem interviewten dreiundzwanzigjährigen Asylwerber (K1) unter der Bedingung der mangelnden Anerkennung im Recht so ergeht, dass er beim jahrelangen Warten auf den Asylbescheid bzw. unter den Freiheitsbeschränkungen und den erlebten Schikanen (vgl. ebd.: 184) als Mensch wie folgt fühlt: „K1: Ja, so... die nimmt unsere ganze Liebe, Liebe,... Liebe von Mutter, Bruder, Schwester, Freundin, Frau, alles“ (ebd.). Der junge Asylwerber erlebt die mangelnde Anerkennung als ein Wegnehmen des Gefühls der Liebe für Andere, vor allem für ihm nahestehende Menschen. Die mangelnde Anerkennung im Recht bedeutet für ihn Erfahrungen der sozialen Missachtung bzw. Gewalt – auch durch staatliche Institutionen – erleben zu müssen (vgl. ebd.). Erst durch die rechtliche Anerkennung kann ein Mensch zur Selbstachtung gelangen und wird befähigt, an der diskursiven Willensbildung eines Gemeinwesens zu partizipieren17 (vgl. Honneth 1994: 195). Selbstachtung ist empirisch schwer nachzuvollziehen. Sie ist eher über die negative Ausprägung von Missachtungserfahrungen zu belegen, die zu Scham führen, von der nur aktiver Protest und Widerstand befreien kann (vgl. ebd.). Wenn jemand rechtlich nicht anerkannt ist, erlebt das der/die Einzelne also als Scham und Entwürdigung, nicht Person sein zu können in einer Gesellschaft. Nur durch Widerstand und Protest kann dieser entwürdigende Zustand als eine Form der macht- und würdevollen Partizipation überwunden werden (vgl. ebd.: 222ff). Als ein solcher Ausdruck der Rückgewinnung von Würde kann die im Jahr 2013 von AsylwerberInnen vorgenommene Besetzung der Wiener Votivkirche18 gesehen werden. Oder es ist auf den Protest von AsylwerberInnen hinzuweisen, die 2014 nach Brüssel marschierten19, um gegen die Einwanderungspolitik der EU zu protestieren. Beides sind eindrucksvolle Beispiele für den Protest gegen das Nicht-Erfahren von Würde, unter der Nicht-Anerkennung im Recht, und den Versuch der Befreiung aus dieser menschenunwürdigen Situation. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit auf der Ebene der rechtlichen Anerkennung, ist die solidarische Vertretung und der Beistand bei oben genannten Widerstandsbewegungen.
Als weiteres Beispiel für die Anerkennung im Recht können hier auch Kinderrechte angeführt werden. Als Kind etwa in Fremdunterbringungsverfahren nicht entsprechend gehört zu werden, kommt einer Nicht-Achtung der Würde des Kindes gleich. In der UN-Kinderrechtskonvention20 ist das Recht auf Partizipation verankert, das die pädagogische Beziehung zwischen Erwachsenem und Kindern aktuell prägt, nämlich auf der einen Seite als ErzieherIn in die fürsorgende pädagogische Beziehung eintreten zu müssen, die Sorgepflichten hat, die Entscheidungen trifft und durchsetzt, aber auf der anderen Seite einen pädagogischen Bezug mit Kindern und Jugendlichen herzustellen, der von Verhandlung geprägt ist, der die Kinder und Jugendlichen bereits in ein kooperatives Verhältnis zu den Erwachsenen versetzt.
„Doch im Falle der Kinderrechte ist es immer noch üblich, diese in erster Linie als Rechte zu verstehen, die von ‚mächtigen’ Erwachsenen für ‚ohnmächtige’ Kinder geschaffen und angewendet werden. Sie werden eher als ‚Wohlfahrtsrecht’ für Kinder denn als ‚Handlungsrechte’ in den Händen von Kindern verstanden“ (Liebel 2009: 9).
Wenn man aber vom Handlungsrecht von Kindern ausgeht, gehört Verhandlung mit den zu Erziehenden zum pädagogischen Alltag. Unter dem Aspekt der Mitbestimmungsrechte von Kindern sind dann Entscheidungen in der Weise gemeinsam zu treffen, die die Kinder und Jugendlichen als selbstständige Subjekte sieht, deren Sichtweisen, Bedürfnisse, Emotionen und Handlungsoptionen in die Verhandlungen bzw. Entscheidungen mit einbezogen werden. Das neue österreichische Kinder- und Jugendhilfegesetz aus dem Jahr 2013 (vgl. B-KJHG 2013) sieht hier inzwischen entsprechende Möglichkeiten der altersgerechten Partizipation vor. Entscheidend wird die Praxis der Umsetzung sein. Neben den unwidersprochenen Schutzaufgaben, die seitens der Kinder- und Jugendhilfe zu gewährleisten sind, wird das Gelingen der Umsetzung von Partizipationsrechten daran zu messen sein, ob Kindern in einem ersten Schritt zugetraut wird, für sich selbst zu sprechen, ob ihnen in ihren Bedürfnissen geglaubt wird, ob sie über entsprechende Maßnahmen kindgerecht informiert und aufgeklärt werden, ob diesen eine eigene Urteilsfähigkeit zugesprochen wird, sodass sie für sich selbst sprechen können, ob sie sich in Verfahren entsprechend einbringen können oder ob über deren Köpfe hinweg entschieden wird, und ob sie gleichzeitig vor Missbrauch, Missachtung, Vernachlässigung und Gewalt geschützt werden. Nicht außer Acht zu lassen ist aber auch der in der Praxis beobachtbare Paradigmenwechsel, auch Eltern fremduntergebrachter Kinder entsprechend in die Verarbeitung der oft für alle Beteiligten stark belastenden neuen Lebenssituation mit einbeziehen zu wollen, was ja auch Kindern ermöglicht, ihren leiblichen Eltern gegenüber weniger Schuld und weniger Verantwortung zu empfinden, weil letztere von professioneller Seite her entsprechend versorgt werden bzw. weil die leiblichen Eltern so an der Bewältigung des Prozesses der Fremdunterbringung partizipieren dürfen.21 Dies trägt auf allen Seiten zu mehr Teilhabegerechtigkeit bei, weil Kinder und Eltern sich über diese Form der Anerkennung ein Stück freier von ihren Belastungen und Sorgen in ihrem Leben zurechtfinden können.
4. Die Verwobenheit der drei Anerkennungssphären
Die Verwobenheit der drei Anerkennungssphären lässt sich abschließend mit einem Beispiel aus dem Bereich der Frauenrechte sowie dem Beispiel der Anerkennung von bettelnden Menschen nachvollziehen.
Die Anerkennung von Frauen als volle Rechtssubjekte begann erst mit der Umsetzung der Familienrechtsreform in den 1970er-Jahren. Damals kam es zu einer Reformierung des Eherechts, welches Frauen als volle Rechtssubjekte anerkannte – Frauen waren also ab diesem Zeitpunkt rechtlich beispielsweise nicht mehr verpflichtet, das Familienoberhaupt, den Ehemann zu fragen, ob sie beruflich tätig sein dürften, bzw. waren nicht mehr verpflichtet, ihrem Ehemann an den Lebensort seiner Wahl zu folgen etc. (vgl. Ellmeier 2006: 18). Zudem zielten und zielen sämtliche Gewaltschutzmaßnahmen – Gewaltschutzgesetz – darauf ab, Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper, auch innerhalb der Ehe zu garantieren, die Rechte von Opfern von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung zu verbessern (vgl. ebd.: 19). Aber allein die Änderung der Rechtslage ändert noch nicht den Umgang miteinander – also die entsprechende Veränderung in der Sphäre der Liebe – bzw. die entsprechende Veränderung auf der Ebene des Verdienstes.
„[Es] muß die hier vertretene Gerechtigkeitstheorie advokatorisch Verhältnisse einklagen, in denen die Subjekte nicht nur in der demokratischen Öffentlichkeit, sondern auch in ihren Familienbeziehungen und in den Arbeitsverhältnissen zur Selbstachtung gelangen. Bei der Verwirklichung dieser Absichten aber kann sie sich nicht allein auf die rechtlichen Mittel des Rechtsstaates verlassen, sondern muß auch auf die Mitwirkung nichtstaatlicher Organisationen setzen“ (Honneth 2010: 77).
Neben der notwendigen Veränderung von Familienbeziehungen können also SozialarbeiterInnen in verschiedenen Organisationen einen Teilbeitrag zur Erweiterung sozialer Gerechtigkeit leisten, indem diese in der Anerkennungssphäre der Liebe und des Verdienstes darauf achten, unter anderem an eigenen Haltungen und mit KlientInnen an deren Haltungen zu arbeiten, eigene Haltungen reflexiv in Frage zu stellen, um KlientInnen zuhören zu können, sich akzeptierend deren Lebensentwürfen nähern zu können und erst dadurch ein Öffnen in Gesprächen möglich zu machen, welches ein Spiegeln von Fähigkeiten ermöglicht, über eine vertrauensvolle, emotional zugewandte, interessierte und zutrauende Haltung. Beispielsweise kann dann Frauen, die vor Gewalt in der Partnerschaft in Frauenhäuser geflohen sind und nach einiger Zeit wieder in diese Beziehungen zurückkehren, trotzdem anerkennend in ihrem Menschsein begegnet werden – zum Unterschied von abwertend der hilflosen Frau gegenüber. Es kann eine Haltung des Verstehens von Hilfsbedürftigkeit in diesen Zusammenhängen entwickelt werden, die anerkennt, dass ich als Sozialarbeiterin selbst als Frau eine Sozialisation hinter mir habe, die gesellschaftlich bedingt der Sozialisation der jeweiligen KlientInnen in gewissen Teilen ähnelt, ich muss meine eigenen Anteile von Hilfsbedürftigkeit und Schwäche dann nicht abspalten und auf andere abwertend projizieren und kann so in eine anerkennende Haltung gehen, die es den KlientInnen ermöglichen kann, sich selbst aus ihrer abhängigen Situation befreien zu wollen. Denn dem Verurteilen des Anderen liegt eine moralisierende Nicht-Anerkennung inne, indem wir einen Aspekt von uns selbst abspalten, auf den Anderen projizieren und dann verdammen (vgl. Butler 2007: 65). Diese Projektionen können SozialarbeiterInnen in der Selbstreflexion erkennen. Anerkennung, kann dann gesagt werden, ist, sich als HelferIn über Selbstreflexion dieser Mechanismen bewusst zu werden und damit Handlungsspielraum in der Beziehungsgestaltung zu bekommen, anerkennen zu können und nicht abwerten zu müssen, dass sich eine Frau oder ein Mann möglicherweise erst über die Zuwendung ihres oder seines Partners oder Partnerin – auch wenn diese gewalttätig sind – erst wertvoll fühlt. Es kann dann anerkennend aus den Lebensumständen heraus akzeptiert werden, dass sich jemand beispielsweise keine eigene Lohnarbeit zutraut und sich dadurch in die wirtschaftliche Abhängigkeit eines anderen begibt u.v.m. Erst über das Akzeptieren dieses Soseins kann es KlientInnen ermöglicht werden, im Dialog mit den SozialarbeiterInnen sich auf die Suche zu begeben, um sich selbst aus abhängigen Verhältnissen befreien zu können bzw. zu wollen, sich als autonomes Subjekt entwickeln zu können. Die Anerkennung auf der Ebene des Rechts allein kann also noch keine ausreichenden Veränderungen bewirken. Der Anerkennung im Recht kann zwar die stärkste Veränderungswirkung zugeschrieben werden (vgl. Honneth 2003: 222f), aber die Anerkennung im Recht allein kann nicht zur gerechten gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation führen, sondern es bedarf dazu eben auch einer entsprechenden Verwobenheit mit der Entwicklung in der Anerkennungssphäre der Liebe und des Verdienstes (vgl. Honneth 2003). In der Anerkennungssphäre des Verdienstes liegt jedoch eine der größten Herausforderung, auch für die Begegnung von SozialarbeiterInnen mit KlientInnen der Sozialen Arbeit, weil es, wie wir gesehen haben, an eigenen Werthaltungen zu rütteln gilt und weil eigene Einstellungen zum Leben reflexiv in Frage gestellt werden müssen, um einander auf einer Ebene von Mensch zu Mensch begegnen zu können.
Um dies mit einem weiteren Beispiel zu besprechen, sei schließlich auf die nicht leicht zu beantwortende Frage eingegangen, welchen wertvollen Beitrag bettelnde Menschen für die Gemeinschaft leisten und wie diese auch anerkannt werden können, damit sich Menschen dann auch selbst wertschätzen können. Die steirische Politik hat ja im Jahr 2011 gezeigt, welchen Umgang sie mit Bettlern gerne gehabt hätte: Betteln müsse verboten werden22 und dürfe nicht als Berufsbild23 anerkannt werden. Betteln müsse also von Rechts wegen verboten werden. Damit einhergehend ist aber die Anerkennung, die soziale Wertschätzung von BettlerInnen in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten nicht möglich.24 Mit Honneths Worten ist das Bettelverbot quasi ein Versuch einer Verrechtlichung sozialer Missachtungserfahrung, denen BettlerInnen in der Interaktion ohnehin ausgesetzt sind. Ein Fortschritt im Sinne einer gerechteren Teilhabe kann aber nur erzielt werden, wenn sich für eine ausgegrenzte Gruppe, eine nachhaltige Verbesserung ergibt:
„Von einem moralischen Fortschritt können wir […] dann sprechen, wenn sich durch die partielle Umstellung auf ein neues Prinzip die sozialen Bedingungen der persönlichen Identitätsbildung für die Mitglieder einzelner Gruppen oder Klassen nachhaltig verbessern; und es scheinen vor allem Prozesse der Verrechtlichung zu sein, also Expansionstendenzen des Prinzips der rechtlichen Gleichbehandlung, denen das Potential innewohnt, korrigierend in andere Anerkennungssphären einzugreifen und hier für die Sicherstellung von minimalen Identitätsbedingungen Sorge zu tragen“ (Honneth 2003: 222f).
Nachhaltige Verbesserungen können also nur über das Zusammenspiel von Veränderungen in der Anerkennungssphäre des Rechts (das wäre beispielsweise die Aufhebung des Bettelverbots), Veränderungen in der Anerkennungssphäre der Liebe (das wäre eine zutrauende, wertschätzende persönliche Begegnung mit den bettelnden Menschen) und Veränderungen in der Anerkennungsform der sozialen Wertschätzung (das wäre eine vorurteilsfreie Annäherung an die Betroffenen, die Anerkennung und Akzeptanz ihrer differenten Lebensentwürfe und das partnerschaftliche Suchen – auf Augenhöhe – nach Verbesserungen ihres Lebensstandards aus Betroffenensicht) erreicht werden. Umgekehrt können allein durch die Anerkennung in der Sphäre der Liebe und durch die Anerkennung in der Sphäre des Verdienstes die Bedingungen von Menschenwürde, Respekt und Autonomie nicht hinreichend gewährleistet werden (vgl. ebd.: 224). Die aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erschweren ein solches Vorgehen jedoch. Denn aktuell wird Menschen in der westlichen Leistungsgesellschaft hauptsächlich nur über Einkommen, Status und (Lohn-)Arbeit Wert und Anerkennung gegeben. Auch die Soziale Arbeit ist vor allem danach ausgerichtet bzw. hat vor allem den Auftrag, Menschen beschäftigungsfähig zu machen und dies als vorrangige Inklusionsmöglichkeit zu sehen. Diesem sogenannten „Employability-Ansatz“ (vgl. Oelkers/Otto/Ziegler 2010: 88) ist aber in einer anerkennenden Begegnung mit KlientInnen der Sozialen Arbeit entgegenzusetzen, dass mit beispielsweise den oben genannten Bettlern partizipativ nach Lösungen gesucht werden müsste, die es den Betroffenen ermöglichen könnte, in Autonomie und Würde ihr Leben zu leben. Bettelnden Roma würde dann nicht paternalistisch vorgeschrieben, was das sogenannte „gute Leben“25 sein soll, ihnen wird zu diesem Zwecke das Betteln nicht verboten und sie werden nicht gleichzeitig in Beschäftigungsprojekte in ihren Herkunftsländern zurückgeschickt, sondern es würde mit diesen partizipativ an deren Befähigung gearbeitet, deren Form des gelingenden Lebens gesellschaftsintegrativ leben zu können. Es ist hier auch Nancy Fraser (2003) zu folgen, die davon ausgeht, dass sowohl Anerkennung als auch Umverteilung notwendig sind, um bestehenden Ungerechtigkeiten entgegenwirken zu können. Anerkennung, die sie als kulturelle „Repräsentations-, Interpretations- und Kommunikationsmuster“ (Fraser 2003: 22f) versteht, die dem Ausschluss oder der Inklusion von Individuen und Gruppen in eine Gesellschaft dienen (vgl. ebd.: 23) und Umverteilung, die sozioökonomische Strukturveränderung meint. Als SozialarbeiterIn würde dann im staatlichen Auftrag mit den Betroffenen gemeinsam nach geeigneten Lebensweisen gesucht werden und gleichzeitig würden strukturverändernd Mittel für benachteiligte Bevölkerungsgruppen umverteilt. Nach diesem Ansatz würden Helfende in den Dialog mit den Betroffenen eintreten, mit diesen über eine nachhaltige Entwicklung von Autonomie und Wohlergehen in Freiheit und unter der Maxime der Chancengleichheit unter differenten Ausgangsbedingungen (vgl. Sen 2010: 281ff) nachdenken und aus Betroffenensicht heraus neue Möglichkeiten entwickeln helfen. Die Lösungen, die dabei herausschauen könnten, sind für uns vermutlich noch nicht vorstellbar. Um in einen solchen Dialog eintreten zu können, bedürfte es aber einer akzeptierenden Haltung gegenüber der derzeitigen Lebensweise, der Anerkennung der Person an sich, es bedürfte einer gemeinsamen reflexiven Auseinandersetzung mit den Biografien in gesellschaftlichen Verhältnissen, um nicht ein Entweder-Oder (entweder betteln, oder nicht betteln), und auch nicht ein Sowohl-als-Auch (sowohl betteln, als auch Beschäftigungsprojekt), sondern auch ein Weder-Noch denkbar zu machen, das möglicherweise einen fünften Lösungsweg aufzeigen könnte, frei nach dem sogenannten „Tetra-Lemma-Modell“ der Konfliktbewältigung von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer (vgl. Kibéd/Sparrer 2011).
5. Der „aktive Sozialstaat“ als Voraussetzung für Partizipation
Soziale Arbeit kann sich auf die hier beschriebene Form der reflektierten Beziehungsarbeit einlassen, um von einem Befähigungsansatz wegzukommen, der dem „aktivierenden Sozialstaat“ (Neuffer 2009: 56) zuarbeitet – d. h. einem Sozialstaat, der eine Gegenleistung für eine soziale Hilfeleistung fordert – und sich hinbewegen auf einen „aktiven Sozialstaat“ (ebd.), d. h. einen Sozialstaat, der Möglichkeiten zur Verfügung stellt, aus denen Menschen in Würde und frei wählen können. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, Verwirklichungschancen zur Verfügung zu stellen, die den Menschen die freie Entfaltung partizipativ und teilhabend, das heißt auch gesellschaftsintegrativ ermöglichen (vgl. Sen 2010: 315). Vor allem schwachen, kranken, hilfsbedürftigen, nicht angepassten Menschen ist in ihrem Wert als Mensch an sich zu begegnen. Die BürgerInnen einer Gemeinschaft sind demnach als Gleiche zu behandeln und es ist allen in dieser Weise zu ermöglichen, eine Stufe der Lebensführung zu erreichen, auf der sie sich in Freiheit und als autonomes Subjekt entscheiden können, ein gutes Leben führen zu können, nicht im Sinne einer vorgegebenen normativen Festlegung, sondern in der Weise, dass Einzelne aufgrund gerecht verteilter Grundbefähigungen für sich selbst autonom entscheiden können (vgl. Nussbaum 1999: 64).
„Eine Gesellschaft begibt sich im Blick auf die schwachen Mitglieder der Gemeinschaft, zu denen keine symmetrischen Beziehungen aufgebaut werden können […], und im Blick auf die Gemeinschaft selbst in eine problematische soziale Schräglage, wenn diese grundlegende […] Inklusion […] in Frage gestellt wird“ (Dabrock 2010: 41).
Jedes Mitglied der Gesellschaft hat einen Anspruch auf eine menschenwürdige Begegnung im Sinne eines Anspruchs auf eine Anerkennung der Person an sich.26 Dabei ist vor allem von dem Grundsatz der Verletzlichkeit (vgl. Butler 2007) und Bedürftigkeit (vgl. Praetorius 2005) eines jeden Menschen auszugehen.
6. Befähigung zur Partizipation über Soziale Arbeit
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass SozialarbeiterInnen über die Anerkennungsform der Liebe, über die Anerkennungsform des Verdienstes und über das solidarische Auftreten gegen Ungerechtigkeit auf der Ebene des Rechts an der Befähigung von KlientInnen der Sozialen Arbeit mitwirken können. Dadurch kann für jeden Einzelnen oder jede Einzelne eine höhere Chance entstehen, als autonomes Subjekt in eine Gesellschaft partizipieren zu können bzw. sich einbringen zu wollen, indem Menschen über eine anerkennende Begegnung Vertrauen in sich selbst gewinnen und über die Reflexion bzw. das Aussetzen von moralisierenden Werturteilen – einem Aussetzen der Abwertung von Hilfsbedürftigkeit und Verletzlichkeit – sich selbst in ihren Fähigkeiten wertschätzen können. KlientInnen der Sozialen Arbeit können dann über Reflexionsprozesse mit SozialarbeiterInnen eher wegkommen von inkorporierten Selbstbeurteilungen, wie sich selbst minderwertig zu fühlen, sich selbst abzuwerten, sich selbst nichts zuzutrauen, sich selbst nichts zuzurechnen, keine Verantwortung übernehmen zu können.27 Die Soziale Arbeit kann sich so in der Praxis als Profession entwickeln, welche die Ziele und Aufgaben der Wahrung der Menschenwürde und der Menschenrechte28 gestalten hilft, die über Anerkennung gerechte Befähigungs- und Verwirklichungschancen hervorbringen hilft und die unter der Prämisse der menschenwürdigen Begegnung Anschlussmöglichkeiten im Sinne einer realen Inklusion, einer gesellschaftlichen Teilhabe bzw. Partizipation – vor allem auch im kommunikativen Sinne – schaffen hilft.
Verweise
1 Subjekt sein bedeutet, sich als ein autonom handelnder und an der Gesellschaft teilhabender Mensch erleben zu können. Für Subjektwerdung kann auch der Begriff der „Subjektivation“ (vgl. Butler 2001: 8) herangezogen werden, der das Entstehen eines Subjekts im Prozess des Unterworfen-Seins in Abhängigkeit unter Machtverhältnissen und dem gleichzeitigen Prozess der Subjektwerdung über Emanzipation aus diesen Machtverhältnissen bezeichnet. Der Begriff des Subjektes wird dabei in Abgrenzung zum Begriff des Individuums eingegrenzt. Der Unterschied zwischen Individuum und Subjekt liegt darin, dass sich das Subjekt über Sprache herausbildet und das Individuum der Ort ist, an dem sich das Subjekt entwickelt (vgl. Stockinger 2011: 3ff). Es geht also darum, die Einflüsse der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die Möglichkeiten der autonomen Subjektentwicklung vor diesem Hintergrund zu reflektieren.
2 Der Begriff des „guten Lebens“ geht auf Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) Nikomachische Ethik (vgl. Aristoteles 2009) zurück.
3 „Der Befähigungsansatz rückt nicht nur ins Blickfeld, was eine Person am Ende wirklich tut, sondern auch das, was sie zu tun vermag, ganz gleich, ob sie sich entscheidet, ihre Fähigkeit tatsächlich zu nutzen“ (Sen 2010: 263).
4 Menschenwürde wird von Martha C. Nussbaum (2006) als Anerkennung der Person als Zweck an sich umschrieben (vgl. Dabrock 2010: 28).
5 „Lernen, sich zu erzählen, bedeutet auch: lernen sich anders zu erzählen“ (Ricoeur 2006: 134).
6 Verständigung ist „der Prozeß der Einigung unter sprach- und handlungsfähigen Subjekten“ (Habermas 1995: 386).
7 Mit Bezug auf die „Phänomenologie des Geistes“ (Hegel 1807/1987)
8 Honneth (1994) geht hier auf G. F. W. Hegels (1770-1831) „System der Sittlichkeit“ zurück (vgl. Hegel 1802-1803/1967).
9 Martha C. Nussbaums Begriff der Menschenwürde kann damit umschrieben werden, den anderen als Zweck an sich (als Mensch an sich) anzuerkennen (vgl. Dabrock 2010: 28). Gerade vulnerable Menschen sind im Sinne Nussbaums nicht nur „Zielobjekte von Gerechtigkeit“, denen man sich solidarisch nähert, sondern „Kerngebiet der Begründung sozialer Gerechtigkeit“. Es wird dabei von der Menschenwürde und dem Schutz „vulnerablen menschlichen Lebens“ ausgegangen (vgl. Dabrock 2010: 36ff). Dabrock bezieht sich hierbei auf Martha C. Nussbaums (2006) „Frontiers of Justice“.
10 Der Begriff „Wille“ wird von Wolfgang Hinte in seinem Konzept der Sozialraumorientierung verwendet, er meint damit u. a. die Aktivierung von HilfeempfängerInnen zur Zielformulierung und Zielerreichung, um passives Leistungsempfangen zu vermeiden (vgl. Hinte 2004: 24).
11 Im Sinne des herrschaftsfreien Diskurses, in welchem auf Kooperation und Transparenz gesetzt wird, auf Manipulation verzichtet wird, wechselseitiges Verstehen und sich Verständlich-Machen auf Augenhöhe angestrebt wird, jede Äußerung des Gegenübers kritisierbar bleibt (vgl. Habermas 1995: 386ff).
12 Pierre Bourdieu (2009) nimmt hier Bezug zu Karl Marx, der schon in seinen Pariser Manuskripten festgestellt habe, dass wenn man kein Geld zum Reisen hätte, man auch kein wirkliches Bedürfnis zum Reisen entwickle (vgl. Bourdieu 2009: 167).
13 „Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (etwa die eine Klasse charakterisierenden materiellen Existenzbedingungen), die empirisch unter der Form von mit einer sozial strukturierten Umgebung verbundenen Regelmäßigkeiten gefaßt werden können, erzeugen Habitusformen, d. h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, […]. Selbst wenn sie durch die Zukunft, d. h. die expliziten und explizit gesetzten Ziele eines Projekts oder Planes determiniert zu sein scheinen, werden die Praxisformen und Praktiken, die der Habitus – als Erzeugungsprinzip von Strategien, die es ermöglichen, unvorhergesehenen und fortwährend neuartigen Situationen entgegenzutreten – hervorbringt, doch durch die implizite Vorwegnahme ihrer Folgen, nämlich durch die vergangenen Bedingungen der Produktion ihres Erzeugungsprinzips derart determiniert, daß sie stets die Tendenz aufweisen, die objektiven Bedingungen, deren Produkt sie in letzter Analyse sind, zu reproduzieren“ (Bourdieu 2009: 164f).
14 Klaus Posch wies am 25.5. 2015 in seiner Abschlussvorlesung an der FH JOANNEUM auf den Philosophen Wilhelm Kamlah hin, der dies so formulierte: „Beachte, dass die anderen bedürftigen Menschen sind wie du selbst und handle demgemäß!“ (Kamlah 1973, zit. in Posch 2015: 7).
15 Bescheidenheit meint, ich anerkenne mich selbst in meiner Fehlbarkeit.
16 Großzügigkeit bedeutet, ich anerkenne den Anderen in seiner Fehlbarkeit.
17 Dies ist nach Honneth aber nur ein „begrifflicher Sachverhalt“ in einer „phänomenalen Wirklichkeit“ und empirisch noch nicht belegt (vgl. Honneth 1994: 195).
18 Bericht über die Besetzung der Wiener Votivkirche (vgl. Brickner 2013).
19 Bericht über den Protestmarsch (vgl. APA 2014).
20 Die UN-Kinderechtskonvention wurde von Österreich bereits im Jahr 1992 ratifiziert (vgl. UNICEF Österreich o.J.)
21 So fordert beispielsweise Klaus Wolf (2015) auf einer Tagung der oberösterreichischen Organisation plan B, eine Beteiligung von Eltern bei der Bewältigung der schwierigen Situation von Kindern in Pflegeverhältnissen.
22 Das Bettelverbot in der Steiermark musste wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden (vgl. ORF 2013).
23 Im Standard online, einer österreichischen Tageszeitung, wird vom 15. Februar 2011 unter dem Titel „Bettelverbot in der Steiermark beschlossen“ u. a. berichtet: „KPÖ-Klubchefin Claudia Klimt-Weithaler meinte, ‚frieren und hungern ist nicht menschenwürdiger als betteln’, ihr Kollege Werner Murgg warf den Befürwortern des Bettelverbots vor, die Armen, nicht die Armut zu bekämpfen. Besonders attackiert wurde die SPÖ, wo sich die Meinung von einer Absage über ein ‚sektorales Bettelverbot’ hin zur Befürwortung gewandelt habe. SPÖ-Klubobmann Walter Kröpfl konterte, es komme kein generelles Bettelverbot, begleitend habe man Projekte zur Armutsbekämpfung vor. ‚Betteln als Berufsbild’ sei nicht zu akzeptieren“ (vgl. APA 2011).
24 Ausgenommen sind hier Formen des organisierten Bettelns, die die Merkmale einer Versklavung aufweisen können.
25 Nussbaum (1999) bezieht sich mit ihrem Begriff des guten Lebens auf die Nikomachische Ethik von Aristoteles. Das gute Leben ist aber nicht als paternalistisch vorgegebenes Konstrukt zu verstehen. So widmet sich Nussbaum in ihrem Buch „Grenzen der Gerechtigkeit“ der Situation von geistig schwerstbehinderten Menschen, die zwar nicht alle Capabilities erreichen können, aber trotzdem ein menschenwürdiges Leben führen können (vgl. Nussbaum 2010: 138ff).
26 Peter Dabrock (2010) zufolge kann davon ausgegangen werden, dass das Befähigungs- und Menschenwürdeaxiom den Charakter eines anerkennungstheoretischen Axioms hat (vgl. Dabrock 2010: 41). Denn das Recht auf ein menschenwürdiges Leben ist in seinen Augen als Anerkennung des Menschen als Zweck an sich zu verstehen. Menschenwürde wird als transzendentale Anerkennung des Personseins an sich verstanden, der Statusgleichheit eines jeden Menschen an sich als Person. (vgl. ebd.: 42f)
27 Hier kann auf die habitualisierte Form des Gefühls der Minderwertigkeit frei nach Pierre Bourdieu Bezug genommen werden. Habitus kann als eine Wahrnehmungsstruktur und Handlungsmotivation beschrieben werden, die durch konstitutive Strukturen der Umgebung, der Gruppe geschaffen werden, die von einzelnen Mitgliedern von Gruppen im „symbolischen Kapital“ (Bourdieu 1998: 151) anerkannt werden, was eher zu einer Reproduktion vorherrschender Verhältnisse führt, als zur Veränderung von solchen Strukturen. Nur in einer bewussten Auseinandersetzung, in einer dialektischen Form des Widerspruchs und durch kollektives Interesse, durch eine kollektive Veränderung von Wahrnehmungs-, Interpretations- und Kommunikationsmustern kann sich Neues entwickeln, kann ein Mensch sich unabhängiger von bereits inkorporierten Strukturen entwickeln. Die Reflexion des Unbewussten spielt dabei eine gravierende Rolle (vgl. ebd.:145ff).
28 „Grundlage Sozialer Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit […] Soziale Arbeit basiert auf der Achtung des innewohnenden Wertes und der Würde aller Menschen und den Rechten, welche daraus folgen“ (IFSW 2005: 3).
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Über die Autorin
Mag.a Dr.in Anna Riegler
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