soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 14 (2015) / Rubrik "Thema" / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/426/784.pdf


Gabriele Drack-Mayer:

„Ist Feminismus jetzt rechts?“

Gender, Migration und Feminismus vor dem Hintergrund der Produktionsverhältnisse


1. Einleitung
Den ausschlaggebenden Punkt für meine Beschäftigung mit den Themenkreisen Migration, Gender und Feminismus gab meine Beobachtung, dass FeministInnen angesichts sexistischer Haltungen und Aussagen unter bestimmten Voraussetzungen schweigen. Nämlich dann, wenn diese in Zusammenhang mit Migration zutage treten. Das hat mich stutzig gemacht, denn es schien, dass gewisse Formen von Sexismus entschuldigt oder zumindest wohlwollend übersehen werden. Gleichzeitig aber mutete es nicht minder befremdlich an, dass man gerade bei rechten Parteien miterleben durfte, wie sie das Gender-Thema zu vereinnahmen begannen. Plötzlich schienen sich die Rechten um die Rechte der Frauen zu bemühen – eine verkehrte Welt? Zusätzlich bemerkte ich einen massiven Bedeutungswandel des Begriffs „Gender“. Gender und insbesondere „Genderismus“ werden von manchen AkteurInnen als starke Feindworte konstruiert, die zur Mobilisierung gegen eine vermeintlich totalitäre Gender-Ideologie verwendet werden. Diese Ideologie wolle den Menschen Geschlechterrollen aberziehen und habe insgesamt zum Ziel, die angeblich natürlichen Fundamente der Gesellschaft (Heteronormativität und Geschlechterdichotomie) zu zerstören (vgl. Hark/Villa 2015: 18). Was hatte es mit all diesen scheinbar unvereinbaren und gegensätzlichen Strömungen nun auf sich, wie hängen sie zusammen?

Parallel dazu beobachtete ich in den sozialen Medien ein seltsam beschämtes Verstummen all jener, die auf Frauenfeindlichkeit und Sexismus in Zusammenhang mit Zuwanderung hinweisen. Denn es drohte seitens der Mit-DiskutantInnen in den allermeisten Fällen reflexartig der Hinweis, dass dieses Aufzeigen von Sexismus doch das ewig gleiche Argument rechter Parteien gegen Migration sei. Sonst interessierten sich diese doch auch nicht sonderlich für die Rechte von Frauen. Gut, das konnte ich nachvollziehen. Aber bedeutete das nun, dass Sexismus und Frauenfeindlichkeit ab sofort immun gegen Kritik waren? Sollte es nun tatsächlich geschehen sein, dass rechte Parteien/Gruppierungen uns unbemerkt die feministische Kritik enteignet hatten? Von welcher Position aus konnte man jetzt noch gegen Sexismus sprechen, ohne das Etikett „rechts“ verpasst zu bekommen? Jemand hat es mit folgender Facebook-Statusmeldung auf den Punkt gebracht: „Ist Feminismus jetzt rechts?“ Ich würde die Frage so formulieren:

„Ist Feminismus jetzt stumm, weil er nicht als rechts gelten will?“

In den folgenden Ausführungen will ich möglichen Antworten auf diese Frage näherkommen und die Zusammenhänge zwischen Gender und Migration klären. Ich werde dazu einen Hintergrund von Produktion und Reproduktion im digitalen Kapitalismus unter dem Eindruck aktueller Migrationsströme aufspannen und ausloten, wie politökonomische Bedingungen maßgeblich zu Bedeutungsverschiebungen in Begriffen führen. So wird zu zeigen sein, dass der Begriff Gender unter diesen Bedingungen einerseits aktiv angegriffen wird, um eine Gesellschaftsordnung jenseits von Zuwanderung und alternativer Geschlechtsidentität zu propagieren, wie sie im Konstrukt der „Volksgemeinschaft“ imaginiert wird (vgl. Lehnert 2013: 90). Das rechte Spektrum hat also im „Genderismus“ ein passendes Feindbild gefunden. Sobald andererseits jedoch ein noch größerer Feind die Bühne betritt – die Migration – werden feministische Aspekte, eben Genderthemen im weitesten Sinne, bemüht, um dagegen anzutreten.

Weiters werde ich darlegen, wie die immer noch bestehende Dichotomie und Hierarchie zwischen den Sphären der Produktion und Reproduktion dazu führt, dass Gender eine maßgebliche Kategorie für die Regulierung von Migration wird. Männlich oder weiblich zu sein, hat für MigrantInnen weitreichende Folgen. Männer werden tendenziell der Produktionssphäre zugeordnet, wo sie als Angehörige einer Reservearmee in Konkurrenz zu einheimischen Beschäftigten treten, während Frauen aktiv für den Reproduktionsbereich rekrutiert werden, wo sie als Unterstützung für einheimische Frauen deren Inklusion in den Erwerbsarbeitsmarkt befördern (vgl. Farris 2014: 125).


2. Der Anti-Genderismus der politischen Rechten
2.1 Diskursive Strategien

Juliane Lang (2015: 167) weist darauf hin, dass mit dem Begriff Genderismus von rechter Seite ein Neologismus geschaffen worden sei, der sich gut für eine Feindbildkonstruktion eigne: Der „Gender Terror“ habe nach dieser Logik zum Ziel, einen neuen Menschentypus zu schaffen und die einzelnen Menschen ihrer Individualität zu berauben. Es entstehe hier gar ein politisches Ungetüm, gleich dem Leviathan von Thomas Hobbes (vgl. Bielefeld 2011: 8). Lang (2015: 167) führt weiter aus, dass Genderismus eine strategische Erfindung rechter Gruppierungen sei. Er werde als außerordentlich stark und mächtig dargestellt, weshalb er aufs Heftigste zu bekämpfen sei. Die politische Rechte erhoffe sich dadurch, so Lang (ebd.), einen Zugang zu gesellschaftlichen und sozialpolitischen Diskursen, auf die sie sonst kaum Einfluss hätte. Das antifeministische Spektrum ist sonst ziemlich uneinheitlich und aufgesplittert, doch im Genderismus hat es nun ein gemeinsames Feindbild konstruiert, welches ihm als diskursive Strategie zur Mitgestaltung bestimmter Themen verhilft.

So heterogen das rechte Spektrum auch ist, alle Gruppierungen und Teilbereiche haben gemein, dass sie von einer naturgegebenen und heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit ausgehen, auf deren Ordnung Familie und in weiterer Folge die Gesellschaft ruhe. So proklamiert die FPÖ beispielsweise ein „Ja zu Familien statt Gender-Wahnsinn“ (FPÖ 2015). Aufschlussreich erscheint mir an diesem Beispiel vor allem, dass Familie und Gender als Widerspruch konstruiert werden. Mehr noch: Gender ist eine Bedrohung für die Familie.

Esther Lehnert (2013: 90) führt am Beispiel der extremen Rechten aus, dass Geschlecht und Sexualität innerhalb rechter Ideologien eine Normierung erfahren, um die Grundlage einer „Volksgemeinschaft“ zu bilden, die zwar zu keinem Zeitpunkt real existiert habe, jedoch zu einem anzustrebenden Ideal hochstilisiert werde. Demnach sei das Geschlechterverhältnis das „Innen“ der „Volksgemeinschaft“. Sie brauche „richtige“ Frauen und Männer, weshalb deren Konstruktion vor dem Hintergrund rechter Ideologie eine zentrale Bedeutung zukomme. Neben einer rein völkischen Ausrichtung bilde die starre Konstruktion von Weiblichkeit einerseits und Männlichkeit andererseits das Fundament dieser Konstruktion. Inwieweit das Konstrukt der „Volksgemeinschaft“ auch auf die FPÖ oder andere konservative Parteien übertragbar ist, kann hier zwar nicht ausführlich analysiert werden, doch zeigt ein Blick in das FPÖ-Parteiprogramm, dass zumindest die starren Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in diese Richtung deuten. So heißt es im Handbuch freiheitlicher Politik (vgl. FPÖ-Bildungsinstitut 2013: 131), die Familie als Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern sei die natürliche Keimzelle für eine funktionierende Gesellschaft. Weiters können „die Begriffe ‚Frau’ und ‚Familie’ nicht gewaltsam getrennt werden“ (ebd.), und: „Wir Freiheitlichen sind der Überzeugung, dass die biologische Determiniertheit von Frau und Mann anzuerkennen ist, grundsätzlich positiv ist (…)“ (ebd.: 135).

Der Gender-Wahn bedroht dieses Ideal: „Wir Freiheitlichen lehnen Gender Mainstraming als gesellschaftspolitische Strategie ab, welche die Auflösung der Familie verfolgt“ (ebd.: 136). Was hier erfolgt, ist eine Krisenbeschwörung mit inkludiertem Lösungsangebot. Dieses Schema kennen wir auch unabhängig vom rechten Narrativ von vielen Theorien oder Erklärungsansätzen, die eine Basis für Gesellschaftsreformen sein wollen. Bereits Marx und Hegel definierten Krisenbeschwörungen als Grundfigurationen von Gesellschaftsreform. Fritz-Rüdiger Volz (2011: 126) weist darauf hin, dass die Argumentation dabei stets nach folgendem Muster verlaufe: „Es ist fünf vor zwölf. Denkt um – gemäß unserem Vordenken und Heilsversprechen“. Erst wird also die Krise beschrieben, in unserem Fall der Untergang der Familie und damit das Aussterben der Bevölkerung bzw. des Volkes. Die Analyse der Krise geht in weiterer Folge stets einher mit einem Lösungsangebot, mit dem Hinweis auf einen letzten Ausweg, mit dem Versprechen einer Bewältigung und somit einer Beendigung der Krise. Damit es jedoch zu dieser Lösung oder Erlösung von der Krise kommen kann, muss der gewiesene Weg unbedingt streng befolgt werden.

In diesem Sinne schlussfolgert Lang (2015: 168), dass das Konstrukt der Volksgemeinschaft und der ihr immanente Versuch der Renaturalisierung des Geschlechts, wie Lehnert (2013: 90) es beschreibt, als Norm und Verheißung einer harmonischen Zukunft fungiere. Sie sei der Gegenpol zur aktuellen Misere. In ihr bestehe der versprochene Ausweg. Um diesen zu erreichen, sei es notwendig, das Lösungsangebot der Rechten streng zu befolgen: Das als naturgegeben fantasierte Geschlecht sei widerspruchslos als sozialer Platzanweiser anzuerkennen. Wie Lang (2015: 169) weiter ausführt, haben Männlichkeit und Weiblichkeit zentrale Funktionen für die soziale Kohäsion dieser Gemeinschaft. Da die Geschlechter komplementär entworfen sind und den Menschen Aufgaben oder Aufgabenbereiche innerhalb der Volksgemeinschaft zuweisen, gibt es in dieser Logik folgerichtig völkische Pflichten des Mannes, die sich auf den Produktionsbereich, Verteidigung und Politik beziehen. Die Pflichten der Frau sind diametral entgegengesetzt, aber beide sind einander ergänzend gedacht. So soll die Frau sich auf den Reproduktionsbereich beschränken, dort für eine Wiederherstellung der männlichen Arbeitskraft sorgen und Kinder gebären. Der Geschlechterdualismus und die darauf aufbauende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern seien also direkte Bedingung für das Funktionieren der versprochenen Volksgemeinschaft, so Lang (ebd.: 168).

Lang (2015: 170) schließt daraus, dass aus rechter Perspektive alle Ansätze als bedrohlich erscheinen müssen, die von einer Variabilität oder Verhandelbarkeit des Geschlechts oder der Geschlechterrollen ausgehen. Immerhin geraten die Grundpfeiler des rechten Denkens ins Wanken – Volk, Heimat, Kultur – wenn Geschlecht in seiner Normativität und Naturgegebenheit hinterfragt wird. Durch die Wahrung der Grenzen von Geschlecht verspreche die Rechte sich eine Wehrhaftigkeit gegen diese Bedrohung. Diese Befürchtungen sind exakt im Handbuch Freiheitlicher Politik (vgl. FPÖ-Bildungsinstitut 2013: 136) nachzulesen, wo die FPÖ schreibt, Gender Mainstreaming bezwecke als „hidden agenda“ die Zerstörung der Identitäten – sowohl in gesamtgesellschaftlicher, kultureller Hinsicht, als auch auf individuell-geschlechtlicher Ebene. Das Ziel von Gender Mainstreaming sei die Schaffung eines neuen Menschen, weshalb es sich dabei um einen totalitären Denkansatz handle (vgl. ebd.).

Doch wie Lang (2015: 170) weiter ausführt, wird der Begriff Gender in diesen Diskursen zu einem Symbol für ein noch viel weiter über die Geschlechtergrenzen hinausgehendes Bedrohungsszenario. Er werde zum Symbol für eine Auflösung sämtlicher Grenzen, nicht nur derer zwischen „Frau“ und „Mann“, sondern auch zwischen „wir“ und den „anderen“. Gender bedeute aus dieser Perspektive einen orientierungslosen Untergang des Individuums im „Multikulti-Einheitsbrei“, vorangetrieben durch „Gleichmacherei“ und münde in eine „Atomisierung des sozialen Gefüges“ (Weißmann 2010 zit. in Lang 2015: 169).


2.2 Für und wider die Liberalisierung
Hinsichtlich der Liberalisierung verschiedener Lebensbereiche hat die politische Rechte widersprüchliche Positionen. So wird mit dem abwertenden Begriff des Genderismus eine umfassende Kulturkritik an der Liberalisierung sexueller und geschlechtlicher Lebensweisen fokussiert. Es zerstöre das Fundament der Familie oder die „Keimzelle Familie“, wenn es zu viele Rechte für Homosexuelle gäbe. Als Beispiel führt die FPÖ ihre Ablehnung des Adoptionsrecht für Homosexuelle an (FPÖ-Bildungsinstitut 2013: 142). Was sexuelle Orientierung und damit verknüpfte Lebensweisen betrifft, soll der Staat also keinesfalls Räume öffnen, bestimmte Rechte zugänglich machen. Er soll also kontrollierend, bevormundend – kurz: anti-liberal – agieren.

Völlig gegensätzlich argumentieren rechte Parteien jedoch bei der Kinderbetreuung. Hier fordern sie in geradezu ultra-liberaler Manier einen Rückzug des Staates: „Kinderbetreuung soll am besten vom ersten Lebensmonat an durch fremde Hände erfolgen“, kritisiert die FPÖ auf ihrer Webseite (vgl. FPÖ 2011), gefolgt von: „Die Betreuung von Kindern in familiärer Geborgenheit wird von uns staatlichen Ersatzmaßnahmen vorgezogen“ (FPÖ 2011).

Warum ist das so unterschiedlich, warum wird hier eine Kontrollfunktion des Staates gefordert, dort jedoch geradezu kontrastierend sein Rückzug, wo es doch in beiden Fällen im Prinzip um gleichermaßen private, familiäre Lebensbereiche geht? Die einzig mögliche Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch ist in der offen anti-egalitären Ideologie von rechten Parteien und Organisationen zu finden. Wie Lang (2015: 172-174) ausführt, soll der Staat ausschließlich die Privilegien bestimmter Lebensweisen sichern: Das Vorrecht der traditionellen, heterokonformen Familie vor anderen, pluralisierten familialen Lebensformen, von Einheimischen gegenüber MigrantInnen, von Hetero- gegenüber Homosexuellen, von Männern gegenüber Frauen. Die Idee einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Menschen wird damit eindrucksvoll und endgültig verabschiedet.


2.3 Deutungshoheit über Begriffe
Das aktive Hantieren rechter Gruppierungen und Parteien mit dem Begriff Gender darf nicht als echte Auseinandersetzung mit und Kritik an Errungenschaften der feministischen Bewegung oder der Gender Studies missverstanden werden. Ich gehe eher von einem Desinteresse für die fachlichen Inhalte des Genderbegriffs aus. Lang (2015: 176) ortet dagegen ein Ringen um Anschluss an allgemeinere kontroverse Aushandlungen um die Ordnung der Geschlechter. Man wolle mitreden und mitgestalten. So würden Begriffe platziert und neu ausgedeutet, um sich in die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu begeben. Mit dem Begriff des Genderismus erfahre der Begriff Gender nun eine maßgebliche Bedeutungsverschiebung. Lang (ebd.) stellt fest, dass es dabei zum Teil durchaus gelinge, die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs zu zerstören und mit der Drohung eines gesellschaftlichen Verfalls neu aufzuladen.

Doch auch andere Begriffsumdeutungen sind augenfällig. So erscheint es auf den ersten Blick als Widerspruch, wenn man auf der FPÖ-Seite zu lesen bekommt, dass Kinder besser in „familiärer Geborgenheit“ als in „staatlichen Ersatzmaßnahmen“ betreut werden sollen, aber „gleichzeitig treten wir für ein breites Angebot an Kinderbetreuungsplätzen ein, um echte Wahlfreiheit (…) sicherzustellen“ (FPÖ 2011). Es findet hier eine Umdeutung des Begriffs „Wahlfreiheit“ statt. Er bedeutet hier, dass die Mütter ihre Kinder besser zuhause betreuen. Wenn es nicht anders geht, dann sollen sie zur Not aber auch „die Wahlfreiheit“ haben. Wahlfreiheit meint also, man soll als Mutter vor allem die Wahl haben, zuhause zu bleiben. Es soll mit dieser Vereinnahmung des Begriffs „Wahlfreiheit“ der Eindruck erweckt werden, die anderen Parteien „zwängen“ Mütter dazu, ihre Kinder in Fremdbetreuung zu geben.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Pegida, wenn sie sich, auf den ersten Blick durchaus überraschend, für den „Erhalt der sexuellen Selbstbestimmung“ ausspricht (und diese dann jedoch gegen Gendergleichstellung ins Feld führt). Wieder erfolgt eine Umdeutung: Implizit wird unterstellt, Menschen würden mit der Gleichstellung der Geschlechter zur Homosexualität „gezwungen“. Es kommt also zum Ausdruck, der Genderismus bedrohe die sexuelle Selbstbestimmung. Eine Egalisierung verschiedenartiger sexueller Lebensweisen sei eine Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung – der Heterosexuellen (vgl. Pegida 2016).

Die Begriffsumdeutungen von „Wahlfreiheit“ und „Selbstbestimmung“ sind als weitere wichtige Strategie zu verstehen, soziale Ungleichheit zugunsten heteronormativer Lebensformen zu affirmieren.


3. Migration und Gender: „Kulturelle Gewalt“
Bisher habe ich das Verhältnis von Gender und rechten Parteien bzw. Gruppierungen erörtert und festgestellt, dass die VertreterInnen rechten Gedankenguts kein Interesse an einer Gleichstellung der Geschlechter haben, da diese ihr Ziel der Volksgemeinschaft gefährdet. Und doch scheint es eine große Ausnahme zu geben: nämlich dann, wenn ein noch größerer Feind auftaucht als der Genderismus: die Migration. Angesichts der Migrationsströme nach Europa verändern sich die Argumente. Plötzlich wird die Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr als Gefahr, sondern vielmehr als „westlicher“ Wert bemüht, den es angesichts der Einwanderung zu verteidigen gelte.

So plakatierte sogar die FPÖ „Wir schützen freie Frauen!“ (Hausbichler 2010) und nimmt Bezug auf die antimuslimischen Positionen von Alice Schwarzer (vgl. beispielhaft Schwarzer 2010, 2016). Der Untertitel des Plakats lautete „Die SPÖ [schützt; Anm. der Autorin] den Kopftuchzwang“. Es wird also die Freiheit der Frauen in Zusammenhang mit Migration, symbolisiert durch das Kopftuch, in Frage gestellt. Mendel und Neuhold (2015: 39) datieren die Anfänge des Diskurses in Österreich um sogenannte „kulturelle Gewalt“, jener Gewalt also, die Frauen aufgrund und in einer als „nicht-westlich“ gedachten Kultur erleiden, ungefähr mit dem Jahr 2004. Den Beginn markiere eine von der damaligen Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) veranstaltete Podiumsdiskussion über Gewalt an Frauen aus ethnisch und religiös minorisierten Kontexten. Seither gebe es eine ganze Reihe von Maßnahmen gegen „kulturelle Gewalt“, wie etwa das Netzwerk „Against Harmful Traditional Practices“ (Bundesministerium für Gesundheit und Frauen 2006). Heinisch-Hosek (SPÖ) habe Schwerpunkte auf die Themen „Zwangsheirat“ und „weibliche Verstümmelung“ gelegt. Mendel und Neuhold (2015: 39) schließen daraus, dass die Thematisierung „kultureller Gewalt“ zu einem wichtigen Bestandteil österreichischer Frauenpolitik geworden ist.


3.1 Kulturalisierung von Gewalt
Bei aller Anerkennung für die Aufmerksamkeit für Gewalt an Frauen durch die gesamte Parteienlandschaft hindurch, muss man es doch auch für problematisch halten, dass Gewalt hier in hohem Ausmaß bei „fremden Kulturen“ verortet wird. Anders gesagt, es droht eine Kulturalisierung sexistischer Gewalt, die ihrerseits sexistische und rassistische Blüten treibt. Es folgt daraus nämlich zum einen die Gefahr der Blindheit für Gewalt in der eigenen Kultur, zum anderen legitimiert sich damit staatlich-institutionelle Gewalt an Frauen und rassistische Migrationspolitik.

Mendel und Neuhold (2015: 40) sind der Auffassung, es sei mittlerweile fixer Bestandteil europäischer Staatspolitiken, institutionellen Zwang auf MigrantInnen auszuüben und diesen als notwendig für die Befreiung von Frauen aus sexistischer Gewalt hinzustellen. Der Verweis auf kulturalisierte sexistische Gewalt legitimiere aus dieser Perspektive die staatlich-institutionelle Gewalt. Als Beispiele nennen Mendel und Neuhold (ebd.) die „fremdenrechtlichen“ Verschärfungen des Jahres 2011, mit denen es möglich geworden sei, Migrantinnen zu Deutschkursen zu zwingen. Diese Neuerungen seien sowohl von VertreterInnen der ÖVP als auch der SPÖ mit dem Hinweis darauf gelobt worden, dass die Migrantinnen dadurch endlich einen Zugang zu Bildung hätten und sich wenigstens in der Zeit des Deutschkurses nichts von ihren Ehemännern vorschreiben zu lassen bräuchten (Protokoll des Nationalrats 29.04.2011 zit. in Mendel/Neuhold 2015: 40).

Aus meiner Sicht schlägt der aktuelle Disput um die sogenannten Kompetenzchecks des Arbeitsmarktservice in eine ähnliche Kerbe. Auch hier wird institutioneller Zwang ausgeübt, da sich die MigrantInnen diesen Tests verpflichtend unterziehen müssen. Es erfolgt dabei eine Trennung nach Geschlechtern, da, wie VertreterInnen des AMS argumentieren, insbesondere die Migrantinnen aufgrund ihrer doch stärker patriarchalen Sozialisation davon profitierten, wenn sie dabei nicht der Aufmerksamkeit der Männer ausgesetzt seien (vgl. Hausbichler 2015). Auch diese Vorgangsweise folgt, wie ich meine, auf vergleichbare Art und Weise der Logik: Der Staat setzt eine Zwangsmaßnahme und schreibt sich damit gleichzeitig mit einem paternalistischen Gestus auf die Fahnen, die Migrantinnen vor den Migranten zu beschützen.


3.2 Kulturfundamentalismus
An diesen Beispielen wird deutlich: In Zusammenhang mit Migration erscheinen Frauen immer wieder als eine Art Maßstab für Zivilisation. Die westliche Gesellschaft gibt in ihrem Selbstverständnis die Skala für diesen Maßstab vor. Emanzipation, Frauenrechte, Gleichberechtigung gelten als repräsentativ für die westliche Kultur, während Gewalt gegen Frauen der „anderen Kultur“ zugeschrieben wird. Die Aufklärung mit ihren zentralen Werten – Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ein bestimmter Feminismus – wird als monolithischer, abgeschlossener Prozess betrachtet. „Wir“ haben diese Errungenschaften bereits erreicht. „Die anderen“ sind davon noch weit entfernt oder bedrohen unsere Errungenschaften sogar. Diese Haltung bezeichnet Liz Fekete (2009) als „Kulturfundamentalismus“:

„Non-western immigrants must cast off their ‘backward culture’ and assimilate into the modern, secular values of the enlightenment. If, for Christian and Islamic fundamentalists, the Bible and the Qur´an are sacred texts, not open to interpretation or adaptation, for cultural fundamentalists, the enlightenment is an equally sacred, finished process“ (Fekete 2009: Kapitel 3).

Indem „die anderen“ als bei Frauenthemen rückständig hingestellt werden, holen sich politische EntscheidungsträgerInnen die Erlaubnis, sie zu maßregeln, beispielsweise durch ein restriktives „Fremdenrecht“. Geschlechterverhältnisse stehen also in direktem Zusammenhang mit Kulturfundamentalismus, wobei dieser jedoch keineswegs nur bei rechten Parteien zu suchen ist, sondern vielmehr als gesamtgesellschaftliches Phänomen gelten kann. Dem Kulturfundamentalismus liegt meiner Ansicht nach ein evolutionistisches Denken über sozialen Wandel zugrunde: „Wir sind schon soweit, die anderen noch nicht“. Gesellschaftsentwicklung scheint aus der kulturfundamentalistischen Sicht als lineare Entwicklung betrachtet zu werden, als wären in deren Verlauf verschiedene Entwicklungsstadien nacheinander zu durchlaufen, wobei die eigene Kultur an die Spitze dieses als stetig voranschreitend gedachten Prozesses gesetzt wird. So hätten die MigrantInnen, wie Fekete (2009: Kapitel 9) ausführt, die „backward culture“ abzustreifen und gleichsam einen Schritt auf einer Evolutionsleiter hin zur „Aufklärung“ zu tun. Kritisch sehe ich daran die aus dem kulturfundamentalistischen Blick auf die eigene Geschichte retrospektiv abgeleitete Konstruktion und Normierung eines einzigen und allgemeingültigen Weges zum Jetzt-Zustand, der als „Spitze der Evolution“, als beste aller Welten (vgl. Vester 2009: 171) gesehen wird. Ich bezweifle, dass aus kulturfundamentalistischer Position anderen Kulturen eine eigensinnige Entwicklung zugestanden wird.


3.3 Postfeminismus als immanenter Bestandteil von Kulturfundamentalismus
Der Kulturfundamentalismus beinhaltet aus meiner Sicht auch einen Postfeminismus, mit dem nach McRobbie (2010: 33) gemeint ist, dass Feminismus als etwas Überholtes verabschiedet werde. Feministische Ziele würden dabei als längst erreicht dargestellt, als seien sie abgeschlossen, Relikte aus vergangenen dunklen Zeiten. McRobbie (ebd.) betont, dass der Feminismus somit aktiv in die Vergangenheit verschoben werde, damit ihm vorgeblich Rechnung getragen werden könne. „Wir“ haben ihn hinter uns, „die anderen“ haben ihn noch vor sich.

Mendel und Neuhold (2015: 50-51) stellen fest, dass daraus eine Konsolidierung hegemonialer Männlichkeit folge, da der kulturfundamentalistische Postfeminismus auch ein ideologisches Angebot an „westliche“ Männer beinhalte: Sie können ihre Überlegenheit gegenüber „anderen“ Männern herstellen, die in vermeintlich überholten patriarchalen Machtansprüchen bestehe. Gleichzeitig, so Mendel und Neuhold (ebd.) lenke diese Selbstbeweihräucherung erfolgreich von faktischen politischen Verschlechterungen für Frauen ab, beispielsweise Budgetkürzungen für Gewaltschutzeinrichtungen für Frauen, neue Obsorgeregelung usw.


4. „Kulturelle Gewalt“ als Katalysator der Produktionsbedingungen
Sara Farris (2011, 2014) spannt einen interessanten Bogen von der „kulturellen Gewalt“ hin zu den Produktionsbedingungen im digitalen Kapitalismus. Die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter in Form des Alleinverdiener-Hausfrauen-Familienmodells ist demnach zum einen als Folge der Frauenbewegung im Erodieren begriffen, zum anderen aber auch aufgrund wirtschaftlicher Veränderungen zunehmend obsolet. Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen, der neoliberale Umbau des Wohlfahrtsstaats hin zum aktivierenden Sozialstaat (vgl. Galuske 2007: 410) haben auch zu einer Krise des Reproduktionsbereichs geführt. Das Male-breadwinner-Modell wird in deren Verlauf immer mehr von einem Adult-worker-Modell abgelöst, einem Modell also, welches eine grundsätzliche Erwerbstätigkeit aller Erwachsenen als Norm voraussetzt – auch wenn die sinkende Absorptionsfähigkeit des Arbeitsmarktes diese Norm als zynische Zuschreibung an die individuelle Verantwortung der einzelnen erkennen lässt (ebd.: 414).

Ich würde mit Böhnisch noch einen Schritt weitergehen und behaupten, dass die Norm des adult worker zunehmend vom Modell des Humankapitals abgelöst oder zumindest ergänzt wird: Menschen gelten hauptsächlich als TrägerInnen von marktfähigen Ressourcen und Kompetenzen. Während im Male-breadwinner-Modell noch ein Bild des männlich gedachten Menschen im Mittelpunkt stand, der durch Bildungsprozesse in die Lage versetzt wird, sich mündig in die Gesellschaft einzubringen und einen Beitrag zu ihrer Entwicklung zu leisten, ist Humankapital losgelöst vom Menschen. Es geht um das, was der Markt zum Funktionieren braucht, nicht um die Entwicklung der Menschen in diesem Prozess. Sozialisation und Bildung sind aus dieser Sicht Akkumulationsverläufe von Humankapital, welches dann am Markt, also im Produktionsbereich, verwertet werden kann (vgl. Böhnisch 2012: 66-67).

Da das Humankapital weniger nach Geschlecht fragt, da es sich gewissermaßen für den dahinterstehenden Menschen, seine/n TrägerIn, nicht mehr interessiert, leistet es seinen Beitrag dazu, Frauen vermehrt in den Produktionsbereich zu inkludieren. Es passte sozusagen gut zusammen: Die Frauenbewegung mit ihrem Kampf gegen personale Autoritäten von Männern leistete gute Vorarbeit für die kapitalistische Ausdehnung auf weitere Lebensbereiche, so auch des Reproduktionsbereichs. Denn traditionell-patriarchale Autoritäten waren ja ein lästiges Hindernis für eine Durchkapitalisierung der Welt und für eine Definition von immer mehr Menschen als scheinbar geschlechtslose TrägerInnen von Humankapital. Nancy Fraser bringt es auf den Punkt:

„Die kulturellen Veränderungen, die die zweite Frauenbewegung lostrat, haben eine strukturelle Transformation kapitalistischer Gesellschaft legitimiert, die selbst wiederum feministischen Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft diametral entgegenläuft.“ (Fraser 2009: 99, zit. in Haug 2009: 399).

Während also Frauen in immer größerem Ausmaß an den Arbeitsmärkten der Produktionssphäre teilnehmen, findet im Gegenzug keine entsprechende Bewegung von Männern in den Reproduktionsbereich statt (vgl. Haug 2009: 404). Irgendjemand muss diese Arbeit aber leisten. Und hier vertritt Farris nun die These, dass die Reproduktionsarbeit unter Zuhilfenahme des Konstrukts der „kulturellen Gewalt“ auf illegalisierte Migrantinnen umverteilt wird. Der Diskurs um „kulturelle Gewalt“ schließt zwar vordergründig an feministisch anmutende Forderungen der Befreiung von männlichen Autoritäten an, tut dies aber aus ganz anderen Beweggründen: Gewissermaßen unter dem Vorwand, die Migrantinnen aus ihren patriarchalen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien, sollen sie frei von diesen Bindungen für die Reproduktionsarbeit verfügbar werden, welche zunehmend marktförmig organisiert wird (vgl. Farris 2011 zit. in Mendel/Neuhold 2015: 48-49). Hier wäre anzumerken, dass die wichtige Frage offen bleibt, welche Rolle diese Arbeiterinnen als Geldbringerinnen für ihre Herkunftsfamilien und -länder spielen.

Die politökonomischen Hintergründe sind für Farris die Erklärung dafür, dass genau ein bestimmter „westlicher“ Wert, nämlich die Gleichstellung der Geschlechter, gegen Migration ins Feld geführt wird, und kein anderer. Der kulturelle Fundamentalismus versucht unter der Flagge der Frauenbefreiung eine Spaltung von Migrantinnen (meist muslimischer Herkunft) und Migranten. Weiße „westliche“ Männer und Frauen versuchen, bildlich gesprochen, braune Frauen vor braunen Männern zu retten. Mehr noch, die braunen Frauen werden zu „Vektoren der Integration“ gemacht, wenn ihnen nahegelegt wird, sie mögen den westlichen Lebensstil übernehmen, denn damit würden sie nicht nur ihre eigene Integration in die westliche Gesellschaft vorantreiben, sondern vor allem auch die der Gemeinschaft, der sie angehören (vgl. Farris 2011: 325).


5. Migranten als Konkurrenz, Migrantinnen als Unterstützung

Wenn Migration als problematisch und bedrohlich für die Situation am Arbeitsmarkt betrachtet wird, dann sind damit vor allem männliche Migranten gemeint. Unter den MigrantInnen gelten Männer also als das eigentliche Problem. Von ihnen gehen aus der Perspektive nicht nur rechter Formationen diverse Gefahren aus, während die verschleierten Frauen als Opfer der muslimischen Männer konstruiert werden. Wenn konservative Parteien von Arbeitsplätzen für „Einheimische“, für „uns“ oder für „unsere Leute“ sprechen, dann sind in erster Linie Arbeitsplätze für einheimische Männer gemeint (vgl. Farris 2011: 327).

Die männlichen Migranten spielen auf dem Arbeitsmarkt jedoch als Reservearmee eine wichtige Rolle. Das kapitalistische System braucht die Nachfrage einer ganzen Armee von Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten nach Arbeitsplätzen, um das Lohnniveau niedrig halten zu können (vgl. Marx 2014: Kapitel VII/23/3). Innerhalb dieser Reservearmee kommt es schließlich zu einer scharfen Konkurrenz zwischen Migranten und Einheimischen: In Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs sind die Migranten die ersten, die arbeitslos werden. Die Einheimischen können in dieser Situation wieder für Arbeitsplätze eingesetzt werden, die sie zuvor abgelehnt haben. Geht es aber wirtschaftlich wieder bergauf, können die ArbeitgeberInnen wieder vermehrt Arbeitsmigranten einsetzen, die dann den Einheimischen als Konkurrenz erscheinen. Die Arbeitsmigranten werden also benutzt, um Lohnzurückhaltung durchzusetzen (vgl. Farris 2011: 327).

Die wichtigste Schlussfolgerung aus diesen Zusammenhängen ist: Die spezielle Rolle, die männliche Migranten innerhalb der Reservearmee spielen, ist keinesfalls quasi exogen durch internationale Wanderungsbewegungen hervorgebracht, sondern eine strukturelle, endogene Folge der Produktionsweise im digitalen, entgrenzten Kapitalismus! Rund um dieses Phänomen ranken sich deshalb Wahlkämpfe, die immer wieder eine Bedrohung des Arbeitsmarkts durch Migration in den Mittelpunkt stellen (vgl. ebd.).

Doch was ist mit den (weiblichen) Migrantinnen? Deren Arbeit wird offenbar nicht in derselben Weise wahrgenommen. Laut Farris ist die Nachfrage nach Migrantinnen für häusliche Dienstleistungen in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Es gibt viele nicht registrierte Beschäftigte in diesem Sektor. Eine große Zahl von Migrantinnen ist ausschließlich im Pflege- und Haushaltsbereich beschäftigt (vgl. ebd.).


6. Gendergerechte Kommodifizierung von Reproduktionsarbeit
Da es für die Reproduktionsarbeit viel zu wenige öffentliche oder leistbare Betreuungseinrichtungen gibt (fehlende Kinderbetreuungsplätze, kaum ausreichend vorhandene bezahlbare Pflegeeinrichtungen für Alte etc.), muss sie zunehmend warenförmig vermittelt werden. Reproduktionsarbeit wird also „vermarktlicht“, auf dem privaten Markt angeboten und gesucht. Das Angebot stellen nun hauptsächlich Migrantinnen. Es besteht eine riesige Nachfrage nach (billigen) Arbeitskräften in diesem Bereich (vgl. ebd.).

Zu der gestiegenen Nachfrage nach Arbeitsmigrantinnen führt nicht nur der Mangel an z. B. staatlicher Vorsorge bei der Kinderbetreuung, sondern auch deren „Beschaffenheit“: Viele Staaten bieten Geldleistungen/Steuervergünstigungen für die Menschen, damit sie sich Kinderbetreuung auf dem Markt kaufen können. Was hier geschieht, ist Kommodifizierung – Leistungen werden immer mehr privat auf dem Markt gesucht und angeboten, und dort wird das größte Angebot von Migrantinnen gestellt (vgl. ebd.: 328-329). Wir können also feststellen: Die Reproduktionssphäre wird zunehmend marktförmig strukturiert (vgl. Haug 2009: 404).

Ein weiterer Faktor, der diese Entwicklung noch zusätzlich befeuert, ist folgender: Wenn die einheimischen Frauen verstärkt auf dem Arbeitsmarkt teilhaben wollen, suchen sie verstärkt nach einem „geschlechtergerechten Ersatz“ für die Reproduktionsarbeit zuhause. In dieser Arbeit ist Vertrauen von zentraler Bedeutung, sie findet in sehr intimem Rahmen statt. Dadurch wird es schwierig, eine Arbeitskraft in diesem Bereich zu ersetzen, weil ja eine Vertrauensbeziehung hergestellt ist. Es entstehen dadurch zwar schlecht bezahlte aber relativ stabile Arbeitsverhältnisse, die auf Beziehung und Vertrauen basieren und die aufgrund der unterschiedlichen Lohnniveaus sowohl für Beschäftigte als auch für Beschäftigende vorteilhaft sind und auch von wirtschaftlichen Krisen ist die Beschäftigung im Reproduktionsbereich nicht so stark betroffen bzw. profitiert sie sogar davon. Arbeitsmigration von Frauen ist somit durch wirtschaftliche Krisen und konjunkturelle Schwankungen weniger beeinträchtigt. Die männliche „Reservearmee“ ist dagegen ständig von Arbeitslosigkeit bedroht und wird benutzt, um das Lohnniveau niedrig zu halten. Die (weiblichen) Migrantinnen bilden demgegenüber eher eine normale „Armee“ auf niedrigem Lohnniveau. In vielen Ländern Europas werden sie benutzt, um die „Unzulänglichkeiten“ und Brüche der Wohlfahrtsregime auszugleichen. Und vor allem auch, um einheimischen Frauen reguläre Arbeit zu ermöglichen (vgl. Farris 2011: 328).

Das scheint von staatlicher Seite auch sehr wohl anerkannt zu werden. Es besteht eine ungleich größere Bereitschaft staatlicher Organe, illegalen weiblichen Migrantinnen „Verständnis“ und „Amnestie“ zukommen zu lassen, als dies bei männlichen Migranten der Fall ist. Als Beispiel möge auch die Legalisierung der 24-Stunden-Pflege dienen. Die Politik ist in diesem Bereich also sehr „liberal“. Die staatliche Haltung könnte man als „semi-compliance“ beschreiben. Schließlich wissen die staatlichen AkteurInnen nur zu gut, dass es zu wenig Angebot einheimischer Arbeitskräfte oder von staatlicher Seite für die Reproduktionsarbeit gibt, und dass diesem jedoch eine riesige Nachfrage gegenüber steht. Im Jahr 2004 gab es in Deutschland eine „Spezialeinheit“ für illegale ArbeitsmigrantInnen. Es überrascht nun vor dem Hintergrund des bisher gesagten wenig, dass dabei ausschließlich illegale Arbeit außerhalb von Privathaushalten verfolgt wurde. Die Staaten scheinen tatsächlich ein großes aber unausgesprochenes Verständnis dafür zu haben, in welche Schwierigkeiten Familien im Rahmen ihrer Reproduktionsarbeiten geraten würden, wenn es diese Form von Unterstützung für sie nicht gäbe (vgl. Farris 2011: 329).


7. Fazit
Zusammenfassend kann man also feststellen, dass im Zuge der Feminisierung von Migration die Nachfrage nach der Arbeitskraft von Migrantinnen auch in der globalen Wirtschaftskrise sogar zugenommen hat. Migranten erscheinen als Konkurrenz am Arbeitsmarkt, Migrantinnen dagegen als Unterstützung, damit einheimische Frauen am Arbeitsmarkt teilhaben können (vgl. Farris 2014: 125-126).

Doch was ist nun davon zu halten, dass Frauen ins Erwerbsleben inkludiert werden, indem andere Frauen die Reproduktionsarbeit für sie erledigen? Ich stimme Mendel und Neuhold zu, wenn sie sagen, dass hier ein Teil von Frauen ausgebeutet wird und dies „feministisch“ legitimiert wird. Eine feministische Solidarität unter Frauen unabhängig von Herkunft und Migrationshintergrund wird durch ein derartiges hierarchisches Machtverhältnis schwierig (vgl. Mendel/Neuhold 2015: 51). Um meine Eingangsfrage „Ist Feminismus jetzt rechts?“ noch einmal abschließend zu beleuchten, wäre anzumerken: Feminismus ist weder „rechts“, noch war er je eindeutig links, auch wenn sich linkspolitische AkteurInnen gerne mit einem feministischen Glanz umgeben. Was jedoch schon eindeutig geschieht ist, dass er kapitalistisch vereinnahmt wird, wodurch Menschen weiblichen Geschlechts und „nicht-westlicher“ Herkunft der Ausbeutung preisgegeben werden. Anders gesagt: Feministische Argumente werden zur Verfestigung der Produktionsbedingungen und zu einer Weiterentwicklung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung missbraucht, die letztlich MigrantInnen benachteiligt.

Offen bleibt an dieser Stelle, wie eine nicht-kulturfundamentalistische feministische Solidarität aussehen könnte. Es wäre hierzu aus meiner Sicht ratsam, sich den Genderbegriff aktiv „zurückzuholen“ und ihn wieder positiv aufzuladen. Ganz dringend notwendig werden auch Diskussionen über die weiterhin stattfindende Abwertung der Reproduktionssphäre sein. Die Aufmerksamkeit sollte dabei jedoch weniger auf bestimmten Gruppen und sozialen Kategorien liegen, sondern vielmehr auf gesamtgesellschaftliche Macht- und Produktionsverhältnisse gelenkt werden.


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Über die Autorin

Mag.a Gabriele Drack-Mayer
g.drack@gmx.at

ist Soziologin und arbeitet seit 2007 in niederschwelligen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Zurzeit Masterstudium in Sozialer Arbeit und Masterlehrgang in Suchtberatung und -prävention. Schwerpunkte bestehen in Case Management und feministischer Soziologie.