soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 15 (2016) / Rubrik "Sozialarbeitswissenschaft" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/436/761.pdf


Antonia Zauner:

Mehr als nur ein notwendiges Übel

Über Potenziale, Risiken und Ambivalenzen von Dokumentation in der Sozialen Arbeit


1. Einleitung
„Es ist schon erstaunlich, wie wenig bislang über das Dokumentieren in den Erziehungshilfen fachöffentlich nachgedacht wurde“, schreiben Heinz Henes und Wolfgang Trede (2004: 5) in ihrer Einleitung zum Sammelband „Dokumentation pädagogischer Arbeit“ im Jahr 2004. Und auch zehn Jahre später nehmen Thomas Ley und Udo Seelmeyer (2014) Bezug auf diese einleitenden Worte, um den Bedarf an theoretischer und empirischer Auseinandersetzung mit der Dokumentation in der Sozialen Arbeit zu erläutern. Auch im „Handbuch Sozialer Arbeit“ von Hans-Uwe Otto und Hans Thiersch (Hg.) aus dem Jahr 2011 findet sich kein eigener Eintrag zu den Begriffen Dokumentation, Aktenführung und Bericht. Das Thema der Dokumentation scheint bislang – zumindest im deutschsprachigen Raum – noch wenig diskutiert zu sein. Zudem stellt die Dokumentation, so Henes und Trede (2004: 5) auch für Praktiker_innen der Sozialen Arbeit eine unbeliebte Tätigkeit dar, welche zwar als notwendig erachtet, jedoch nur mit wenig Enthusiasmus erledigt wird. Dieser Umgang mit der Dokumentation ist erstaunlich, fungiert diese doch als ein zentrales Instrument in der täglichen Praxis der Sozialarbeiter_innen, welches im Rahmen von Ökonomisierungsprozessen zudem neue Aktualität erlangte.

Denn mit dem Einzug betriebswirtschaftlicher Orientierung sozialarbeiterischer Interventionen haben sich die Anforderungen an die Dokumentation in der Sozialen Arbeit verändert. Sie ist aufwendiger und zum Mittel mehrerer Zwecke geworden, hat an sozialpolitischer und ökonomischer Bedeutung gewonnen und sich damit auch in ihrer Gestaltung geändert. (vgl. Ley/Seelmeyer 2014)

So gerät die Dokumentation heute im Kontext der Einführung von Evaluations- und Qualitätsmanagementkonzepten sowie verstärkt geforderter Leistungsnachweise von Seiten sozialpolitischer Financiers wieder vermehrt ins Blickfeld. Mit diesen Anforderungen geht ein zunehmender Einsatz softwaregestützter Dokumentationssysteme einher, welche einer stärkeren Standardisierung unterliegen. (vgl. Kreidenweis 2004: 243) Einen zentralen Diskussionsstrang der Debatte bilden deshalb Fragen nach „Für“ und „Wider“ solcher Software-Programme, welche „zum Brennpunkt der Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern einer detaillierten bzw. stärker standardisierten Dokumentation (werden)“ (Kreidenweis 2004: 243f). Mit einer Kritik an Standardisierungen geht damit nicht selten eine Ablehnung von Software-Programmen einher, welche Gefahr laufen, zur Projektionsfläche für Fragen und Probleme zu werden, „deren Lösungen auf der fachlichen, organisatorischen, oder wirtschaftlichen Ebene gefunden werden müssen“ (ebd.: 244). Dass diese Ebenen konstituierend sind für die Gestaltung von Dokumentation wird deutlich, macht man sich das besondere Kennzeichen von Dokumentation in der Sozialen Arbeit bewusst: Diese nimmt eine Schnittstellenfunktion „zwischen Klientensystemen, Sozialarbeiterinnen, Organisation und sozialpolitischer Legitimation der Sozialarbeit“ (Brack/Geiser 2009: 16) ein und gestaltet sich damit in der Theorie wie auch in der Praxis ambivalent.

Dokumentation reicht von handschriftlichen Notizen, Berichten und Aktenvermerken, über Anamnesebögen und Hilfeplänen bis hin zu elektronischer Datenerfassung mittels Fach-Software, Leistungsberichten, Informationsfoldern u. v. m. Sie ist dabei nicht einfach nur das Ergebnis einer linearen Ansammlung von Informationen, sondern vielmehr ein Prozess, über welchen die beschriebenen Sachverhalte zugleich mit Bedeutung belegt werden. (vgl. Moch 2004: 59f)

Dokumentation ist damit mehr als eine rein administrative Tätigkeit. Sie ist zugleich Informationssammlung und -vermittlung, Versprachlichung von Eindrücken, Beobachtungen und Erzählungen, Grundlage für Entscheidungen und Handlungsschritte, für Reflexion und Evaluation, wie auch für die Sozialarbeitsforschung. Sie ist Wirklichkeitskonstruktion, Basis für die Begründung des fachlichen Handelns, Rechtfertigungsgrundlage auf verschiedenen Ebenen u. v. m. Diese vielfältigen Funktionen geraten, so meine These, an der einen oder anderen Stelle miteinander in Konflikt und erzeugen damit Spannungsfelder, welche stets geprägt sind von politischen, rechtlichen, administrativen, fachlichen und auch persönlichen Interessen und Wertvorstellungen, wodurch sich Dokumentation in der Sozialen Arbeit nicht losgelöst von ihren gesellschaftlichen und politischen Kontexten denken lässt.

Zwei Aspekte haben sich für mich als besonders zentral für die Auseinandersetzung mit Dokumentation erwiesen. Zum einen scheint der Aspekt der Legitimation in der Dokumentation einen besonderen Ausdruck zu finden. Dokumentationen, ob sie sich nun auf die Organisation beziehen, auf die inter-institutionelle Zusammenarbeit oder auf die Tätigkeiten der Sozialarbeiter_innen selbst, sind stets auf eine Begründung des Tuns und der dafür eingesetzten Mittel ausgerichtet, indem sie entweder direkt einen Nachweis für das Handeln liefern, oder die Legitimation von Handlungen indirekt unterstützen. Dokumentation in der Sozialen Arbeit ist mit Legitimationsinteressen von Akteur_innen verknüpft, welche das schriftliche Festhalten Sozialer Arbeit auf unterschiedliche Weise prägen.

Über Dokumentationen werden des Weiteren „Wirklichkeiten“ konstruiert und festgeschrieben. Denn nicht nur das Legitimationsinteresse, sondern auch das Setting, Methodenwissen, die Dokumentationsform, Reflexionsfähigkeit, Wertehaltungen etc. sind ausschlaggebend dafür, welche Informationen auf welche Art und Weise verschriftlicht werden. Die Frage, wie Dokumentationen konstruiert werden, ist vor allem auch für Klient_innen Sozialer Arbeit bedeutsam, welche unter anderem einer etikettierenden Wirkung von Dokumentation ausgesetzt sind.

Dieser Artikel verfolgt das Ziel, das Thema der Dokumentation in seinen verschiedenen Facetten zu beleuchten. Bezugnehmend auf den Aspekt der Legitimation und den Aspekt der „Wirklichkeitskonstruktion“ werden Potenziale und Risiken für die Soziale Arbeit thematisiert und zur Diskussion gestellt.


2. Dokumentation als Mittel zur Legitimation im Kontext der Sozialen Arbeit
Da Soziale Arbeit eine zentrale Position im sozialstaatlichen System einnimmt, in dessen Auftrag sie tätig ist und welches sie gleichzeitig mitgestaltet, hat sich die Soziale Arbeit gegenüber „Dritten“ in ihrem Tun zu begründen. Legitimation, also die Rechtfertigung für das eigene Tun, geschieht über die Veräußerung des Handelns und den diesem zugrunde liegenden handlungsleitenden Prinzipien. Im Sinne einer Transparenz hat sich die Soziale Arbeit darin auszuweisen, warum sie was, wann, wie, mit wem, wo und zu welchem Zweck tut. Dokumentation stellt ein geeignetes Mittel dar, die Beantwortung dieser Fragen für „Dritte“ zugänglich zu machen. Denkt man über Legitimation im Kontext Sozialer Arbeit nach, so lassen sich verschiedene Akteur_innen erkennen, welche sich in unterschiedlichen Zusammenhängen zu begründen haben oder Rechtfertigung einfordern – die Sozialarbeiter_innen einer Einrichtung, die Einrichtungsleitung und die Organisation, die Soziale Arbeit als Profession, die Klient_innen sowie sozialpolitische Financiers. Dokumentation nimmt im jeweiligen Kontext unterschiedliche Formen des Legitimationsnachweises an und birgt dabei sowohl Potenziale als auch Risiken für die Soziale Arbeit.


2.1 Legitimation Sozialer Arbeit gegenüber sozialpolitischen Financiers
Dokumentation stellt für die Soziale Arbeit also ein zentrales Mittel dar, um sich gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber sozialpolitischen Financiers auszuweisen. Dahingehend unterstützt Dokumentation die Soziale Arbeit im Nachweis ihrer fachlichen Standards und verhilft dieser zu Transparenz im Umgang mit öffentlichen Mitteln.

Dies geschieht etwa über Berichte an Behörden, Informationsfolder über das Angebot und die Arbeitsweise der Einrichtung sowie Qualitätshandbücher und Leistungsbeschreibungen zum Nachweis einer „fachlichen Standards gerecht werdenden und als solche kontrollierbaren Arbeit“ (Blandow 2004: 44). Die von sozialpolitischen Financiers eingeforderte Legitimation erfolgt heute jedoch nicht so sehr über den Ausweis des fachlichen Handelns, sondern vielmehr mit Fokus auf die Rentabilität Sozialer Arbeit. So stehen Sozialarbeiter_innen verstärkt unter dem Druck, ihre „Leistungen“ auch wirtschaftlich auszuweisen (vgl. u. a. Bakic/Diebäcker/Hammer 2008, Dimmel 2006). Die erbrachten Förderungen basieren überwiegend auf Leistungsverträgen, deren Erfüllung mittels Leistungsdokumentation nachgewiesen werden soll. So verpflichten sich etwa Fördernehmer_innen des Fonds Soziales Wien, Einsicht in die einrichtungsbezogene Leistungsdokumentation zu gewähren und regelmäßig Leistungsberichte vorzulegen (vgl. Fonds Soziales Wien 2006). Dieser Entwicklung liegt ein Transformationsprozess zugrunde, welcher vielfach unter dem Titel der „Ökonomisierung des Sozialen“ beschrieben wird. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass ökonomische Logiken, und zwar neoliberal und betriebswirtschaftlich orientierte, Einzug in gesellschaftliche Bereiche finden, welche zuvor nach anderen (ökonomischen) Rationalitäten funktionierten. (vgl. Bakic/Diebäcker/Hammer 2008: 52) Das „neue“ Konzept des New Public Management, welches versucht, öffentliche Verwaltung und damit auch soziale Einrichtungen in betriebswirtschaftlichen Kategorien zu denken, setzt so auch die Soziale Arbeit unter den Druck, nach dieser Logik zu funktionieren. (vgl. Dimmel 2006: 3) „Wesentliches Element der Veränderung besteht in der uneingeschränkten Zielsetzung“, so Bakic, Diebäcker und Hammer (2008: 52) „verschiedene soziale Leistungen mit quantitativen Indikatoren zu messen, in Statistiken auszudrücken und vergleichbar zu machen, um so eine ‚rationale’ Zuteilung der finanziellen Mittel sicherzustellen“ (ebd.). Dieses Bestreben wirft die Frage auf, wie sich „Leistung“ und „Wirkung“ im Kontext der Sozialen Arbeit überhaupt bestimmen lassen? Leistung ist in betriebswirtschaftlicher Logik zumeist an die Erzeugung eines Produkts gekoppelt, während sich sozialarbeiterische Tätigkeit und „Leistung“ vor allem durch ihre Prozesshaftigkeit und Zirkularität auszeichnet. (vgl. Schöppl o. J.: 2f)

Der Beantwortung dieser Frage liegen deshalb unterschiedliche (Steuerungs-)Interessen zugrunde – fachliche, institutionelle, politische, ökonomische etc. –, welche unter anderem brisant werden, wenn es darum geht festzulegen, welche Kategorien in einem Dokumentationsraster Verwendung finden und ob diese eher auf quantitative oder auf qualitative Faktoren fokussieren. Dem ökonomischen Leistungs- und Wirkungsnachweis dienen vor allem jene Daten, welche gut messbar sind und in Kennzahlen und Statistiken ausgedrückt werden können. (vgl. Ley/Seelmeyer 2014: 54) Unterstützt wird diese Form der Dokumentation durch computergestützte Dokumentationssysteme und Fach-Software, mithilfe derer „sowohl der Output, als auch – dies aber deutlich eingeschränkter – der Outcome systematisch festgehalten und quantifiziert werden kann.“ (ebd.) Mit einer überwiegend quantitativen Ausrichtung von Leistungsdokumentationen gehen Standardisierungen von Dokumentationsprogrammen einher, über welche der zu dokumentierende Inhalt bereits im Vorfeld festgelegt wird. Ein hohes Maß an Standardisierung birgt deshalb die Gefahr, dass über vorgegebene Pflichtfelder und vordefinierte Kategorien nicht mehr der Inhalt die Form, sondern die Form (und das diesem zugrunde liegende Interesse) den Inhalt bestimmt. Lassen sich Dokumentationssysteme nicht dem Kontext entsprechend flexibel gestalten, geht tendenziell eine Vielzahl an Informationen verloren, welche sich vor allem auf den Prozess und die Rahmenbedingungen sozialarbeiterischer Tätigkeit beziehen. Eine betriebswirtschaftliche Orientierung sozialarbeiterischer „Leistungsbemessung“ kann deshalb zu relativ undifferenzierten Kennzahlen führen, welche der Komplexität der Klient_innenrealität wie auch jener von Beratungsprozessen nicht gerecht werden. (vgl. Brack/Geiser 2009: 15)

Eine Qualitätsbestimmung sozialarbeiterischer Tätigkeit erfordert ein Verständnis Sozialer Arbeit, welches die Komplexität von Beziehungsstrukturen in den Blick nimmt und den Tätigkeitsbereich als prozesshaft begreift, der sich eben nicht mit einfachen Ziel-Mittel-Relationen erfassen lässt. (vgl. Bakic/Diebäcker/Hammer 2007: 1) Während eine quantitative Erfassung sozialarbeiterischer Tätigkeit auch das Potenzial besitzt, gesellschaftliche Entwicklungen, Handlungsnotwendigkeiten und Strukturdefizite aufzuzeigen, können Qualität und „Leistung“ Sozialer Arbeit nur in ihren qualitativen Dimensionen beschrieben werden. So schätzt die „Durchsetzung von Kennzahlen in der Zieldefinition, -erreichung und -überprüfung (…) jene spezifischen Fachlichkeiten Sozialer Arbeit gering, deren Komplexität überwiegend mit einem qualitativen Verständnis dargelegt und beurteilt werden können.“ (Bakic/Diebäcker/Hammer 2008: 52f) Der „Outcome“ Sozialer Arbeit und ihre gesellschaftliche Relevanz können nicht alleine in Zahlen ausgedrückt werden, weshalb eine Finanzierung von „Dienstleistungen“ auf Basis von Daten, welche sich quantifizieren und in Statistiken ausweisen lassen, zu kurz greift.


2.2 Legitimation Sozialer Arbeit als Profession
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Priorisierung ökonomischer Maßstäbe hat die Soziale Arbeit also einen „ökonomisch belegbaren Nachweis ihrer Nützlichkeit zu erbringen.“ (Bakic/Diebäcker/Hammer 2007: 2) Sie sieht sich mit den Fragen konfrontiert: (Warum) Braucht es die Soziale Arbeit? Was unterscheidet sie von anderen Professionen? Kann diese Tätigkeit nicht kostengünstiger von anderen Berufsgruppen übernommen werden? Laut Kreidenweis (2004) sehen sich manche vor „dem Hintergrund wachsenden Wettbewerbs und zunehmender Legitimationszwänge [der] Notwendigkeit Problemlagen, Ressourcen, sozialpädagogische Maßnahmen und deren Wirkungen besser als bisher dokumentieren zu müssen“ (Kreidenweis 2004: 243) ausgesetzt. Aus dem Legitimationsdruck entsteht, als Reaktion darauf, damit auch ein Legitimationsbedürfnis, um einer Infragestellung Sozialer Arbeit entgegentreten zu können. (vgl. Merchel 2004: 17) Über den Einfluss von Fördergeber_innen auf die Gestaltung von Dokumentationssystemen und der Bestimmung dessen, was dokumentiert werden muss, wird so auch erheblicher Einfluss darauf genommen, auf Basis welcher Informationen sich die Soziale Arbeit als Profession begründet sowie die Art und Weise der Legitimation Sozialer Arbeit als Profession. Dies birgt die Gefahr, dass Dokumentation ihrer fachlichen Kriterien entzogen und betriebswirtschaftlichen Anliegen untergeordnet wird.

Aus fachlicher Perspektive erfüllt die Dokumentation wichtige Funktionen für die Soziale Arbeit. Als konstituierender Teil des professionellen Handelns ist sie nicht nur Ausweis, sondern auch Voraussetzung von Professionalität. (vgl. Henes/Trede 2004: 5) So stellt Dokumentation eine wesentliche Grundlage für die Reflexion von Beobachtungen und Ereignissen im Kontext sozialarbeiterischer Interventionen und die in diesem Rahmen gesetzten Handlungsschritte dar und verhilft damit zu einer Verknüpfung von Theorie und Praxis. Dadurch gewährleistet sie zugleich ein zentrales berufsethisches Kriterium Sozialer Arbeit – jenes der Transparenz. (vgl. Merchel 2004: 29)

Wesentlich für ein reflexives professionelles Selbstverständnis von Sozialarbeiter_innen ist es, dass sich diese gegenüber sich selbst in ihrem Tun begründen können: Wie wird mit Klient_innen kooperiert? Warum werden welche Interventionen gesetzt? Wie kann das Handeln fachlich begründet werden? Das sorgfältige (und damit auch überlegte) Sammeln von Informationen ist die Basis für fachliche Einschätzungen, Hypothesenbildung, Zielformulierung und damit allgemein für gut begründete Intervention und Nicht-Intervention. So kann Verschriftlichung den Sozialarbeiter_innen dazu verhelfen, sich ihrer eigenen Ziele, Hypothesen und Herangehensweisen bewusster zu werden, diese zu reflektieren und zugleich auch auszuweisen. Dokumentation besitzt damit das Potenzial, sozialarbeiterisches Handeln gezielter und transparenter an fachlichen Standards auszurichten.

Für ein einheitliches methodisches Vorgehen bedarf es einer gewissen Systematisierung von Dokumentationsvorgängen in den Einrichtungen Sozialer Arbeit, damit u. a. wesentliche Handlungsschritte in der Fallbearbeitung nicht übersehen und Handlungsabläufe für Kolleg_innen nachvollziehbar und transparent werden. Eine Systematisierung von Dokumentation kann der Sozialen Arbeit außerdem als Basis für die Entwicklung dokumentationsbezogener beruflicher und fachlicher Standards dienen und so zur Sicherung ihres fachlichen Wissens beitragen.

Des Weiteren dienen Dokumentationen den Sozialarbeiter_innen als Mittel wie auch als Protokoll von Aushandlungsprozessen in der Interaktion mit Klient_innen. So besitzt die Verschriftlichung biografischer Interviews, pädagogischer Verträge, von Hilfeplänen zur Aushandlung von Zielen, oder die gemeinsame Erarbeitung von Mitbestimmungsmodellen das Potenzial, Klient_innen in die Gestaltung pädagogischer Prozesse miteinzubeziehen. (vgl. Blandow 2004: 46) Der Grad an Partizipation kann wiederum über die Dokumentation ausgewiesen werden.

Sozialarbeiter_innen einer Einrichtung haben sich des Weiteren auch gegenüber ihrem Team in ihrem Tun zu begründen. Dieses Vorgehen dient der Zusammenarbeit, der Orientierung bei Stellvertretungen und Stellenwechsel, der gegenseitigen Verständigung, der Ermöglichung gemeinsamer Entscheidungen etc. und kann wesentlich durch Dokumentation unterstützt werden, indem Handlungsschritte aufgezeigt und Informationen an Kolleg_innen weitergegeben werden. So gewährt sie auch die Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle. Dokumentation gestaltet sich in diesem Kontext vor allem dann als problematisch, wenn sie einseitig als Kontrollinstrument „missbraucht“ und die Tätigkeit der Mitarbeiter_innen einzig auf Basis der verschriftlichten Handlungen bewertet wird. Die unmittelbare Kommunikation im Team darf nicht durch Schriftlichkeit ersetzt, sondern nur ergänzt werden. Wird diese zum wichtigsten Kommunikationsmittel, können aufgrund fehlender Klärungsmöglichkeiten Missverständnisse und Konflikte entstehen, welche die Zusammenarbeit, aber auch die Rechtfertigung der eigenen Arbeit erschweren. (vgl. Ley/Seelmeyer 2014: 52)

Institutionsspezifische Dokumentationen, wie etwa Protokolle, Dienstpläne und Informationsfolder unterstützen nicht zuletzt Einrichtungen in ihren organisatorischen Rahmenbedingungen wie die Gewährleistung eines geregelten Ablaufs und tragen so zu deren Funktionieren bei. (vgl. Blandow 2004: 45)


2.3 Legitimation gegenüber den Klient_innen Sozialer Arbeit
Eine zentrale Position in der Debatte um Legitimation der Sozialen Arbeit nehmen die Klient_innen selbst ein. Ob bei der Entwicklung von Dokumentationssystemen an diese auch vorrangig gedacht wird, möchte ich als Frage in den Raum stellen. Legitimation in diesem Kontext bedeutet, den Klient_innen gegenüber ausweisen zu können, dass in ihrem Interesse gehandelt wird, dass Entscheidungen fachlich und ethisch begründet werden können und dass im Bewusstsein der Ambivalenzen gehandelt wird, welche das Doppelte Mandat mit sich bringt. Sozialarbeiter_innen in Österreich sind über den Ethik-Kodex des OBDS (2004) (Österreichischer Berufsverband der Sozialen Arbeit) dazu angehalten, ein Höchstmaß an Transparenz gegenüber den Klient_innen zu gewährleisten. Neben einer ehrlichen und aufrechten verbalen Kommunikation sehe ich in der Dokumentation ein wesentliches Potenzial, die Transparenz gegenüber Klient_innen zu erhöhen. Über Dokumentation wird im besten Fall anschaulich, warum Sozialarbeiter_innen welche Intervention setzen, wie sie bestimmte Situationen einschätzen etc. Dies setzt jedoch voraus, dass den Klient_innen Einsicht in die Akten gewährt wird. Laut OBDS haben „KlientInnen (…) das Recht, in die sie betreffende Dokumentation Einsicht zu nehmen, soweit es durch die Vorschriften des Dienstgebers oder die Gesetze nicht anders vorgesehen ist, bzw. die berechtigten Interessen beteiligter Dritter dem nicht entgegenstehen“. (OBDS 2004) Die Gesetzesmaterie zu diesem Thema ist jedoch komplex und vielfach in den Einrichtungen unterschiedlich geregelt. Das Amt für Jugend und Familie formuliert in § 7 B-KJHG etwa nur ein Auskunftsrecht und kein Akteneinsichtsrecht.

Dass sich Sozialarbeiter_innen über Dokumentation in ihrem Tun angreifbar machen, ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Interventionen, Interpretationen und damit einhergehende Konstruktionen auch für Klient_innen „handhabbar“ und damit kritisierbar werden. Auch „bei der adressatenbezogenen Dokumentation sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sozialpädagogisches Handeln koproduktives Handeln ist“ schreibt Merchel (2004: 35). Dies bedeutet für mich zweierlei: Erstens, den Klient_innen Einsicht in die Dokumente zu gewähren, welche im Zuge der Arbeit mit ihnen angelegt werden und zweitens, eine Mitwirkung der Klient_innen an einer gemeinsamen Dokumentation der Ereignisse anzustreben. Möglichkeiten der Partizipation von Klient_innen sehe ich in Anlehnung an Blandow (2004) in der Einführung von Feedbackschleifen, im gemeinsamen Formulieren von Hilfeplänen und Aktennotizen oder in der Verwendung alternativer Dokumentationsformen wie Audioaufzeichnungen und Videos. Eine adressat_innenbezogene Form der Dokumentation setzt so einen qualitativen und zyklischen Zugang voraus und läuft damit tendenziell einer Standardisierung entgegen.

Die Involvierung von Klient_innen am Dokumentationsprozess stellt Sozialarbeiter_innen vor zusätzliche Herausforderungen, denn sie erfordert erhöhte Achtsamkeit in der Art der Formulierung und der Hypothesenbildung und bedarf des Weiteren größerer Zeitressourcen und damit auch ökonomischer Mittel. Eine Bestimmung Sozialer Arbeit als „Ko-Produktives“ Handeln würde in letzter Konsequenz aber bedeuten, Klient_innen zu „Ko-Produzent_innen“ von Dokumentation zu machen, weshalb sich die fachliche Debatte auch mit dieser Frage zu beschäftigen hat.


2.4 Legitimation im Kontext juristischer Haftbarkeit „Allen entsprechenden Führungs- bzw. Arbeitsinstrumenten ist u. a. gemeinsam, dass mit ihrer Hilfe Daten gesammelt werden, und zwar nicht nur über Klienten und Dritte, sowie über Art und Menge erbrachter Dienstleistungen, sondern auch über Sozialarbeiter und ihre Arbeitsweise“ schreiben Ruth Brack und Kaspar Geiser (2009: 16f). Eine besondere Form der Legitimation über Dokumentation entsteht mit der Frage der Haftbarkeit für Ereignisse im Zuge sozialarbeiterischer Interventionen. Mit einer juristischen Verfolgung sozialarbeiterischer Fehlleistungen werden Risiken und Fehler strafrechtlich bedeutungsvoll. Der Aspekt der juristischen Haftbarkeit ist deshalb eng verknüpft mit dem Begriff des Risikomanagements. Diesem Phänomen liegt die Annahme zugrunde, dass Risiken „gemanagt“ und kontrolliert werden können. Der zunehmende Fokus auf Risikoeliminierung führt dazu, so Walter Lorenz (2014: 21), dass technische und juristische Mittel ergriffen werden um Risiken präventiv entgegenzuwirken.

Dieser Zugang setzt eine gewisse Planbarkeit von Ereignissen voraus, welche mittels Ziel-Mittel-Zusammenhängen erfasst werden können. (vgl. Herrmann 2011: 1089) Im Kontext der Sozialen Arbeit geht die Planung von Hilfeprozessen jedoch immer mit gewissen Unsicherheiten einher. Soziale Prozesse sind zu komplex, um sie in generalisierbare Hilfsmaßnahmen packen zu können. Zudem erfolgt die Planung von Hilfeprozessen nicht einseitig durch die Fachkräfte, sondern ist als Verständigungsprozess gemeinsam mit den Klient_innen Sozialer Arbeit zu verstehen. (vgl. ebd.) Des Weiteren findet Planung im sozialarbeiterischen Kontext, so Herrmann (2011), immer in einem institutionellen Umfeld statt, welches von unterschiedlichen Interessen und Machtressourcen geprägt ist, die sich auf die Gestaltung und Durchführung von Planung auswirken.

Während das Konzept des Risikomanagements einen scheinbar durchplanbaren Hilfeprozess suggeriert, ist Planung in der Sozialen Arbeit „kein linearer Prozess der Erreichung zuvor festgelegter Ziele, sie muss vielmehr als reflexiver, zirkulärer, auf kontinuierlicher Reflexion aufbauender Prozess konzipiert werden“ (Herrmann 2011: 1090). Risiken, im Sinne von Interventionen und Nicht-Interventionen deren Auswirkungen nicht vorweg bekannt sind, wie auch die Möglichkeit des Scheiterns von Hilfeprozessen, prägen den Charakter sozialarbeiterischer Handlungen. Starke Kontrollmaßnahmen und präventive Risikovermeidung könnten dazu führen, dass Sozialarbeiter_innen dazu übergehen, möglichst viel zu dokumentieren, um sich für sämtliche Gegebenheiten abzusichern, oder aber nur wenig zu dokumentieren, da die Entwicklung eines „Falls“ nicht absehbar erscheint. (vgl. Ley/Seelmeyer 2014: 54)

Die Relevanz der Kontrolle der Rechtmäßigkeit und Verantwortbarkeit sozialarbeiterischer Interventionen sollte aber nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, gibt es doch in Österreich nach wie vor keine Ethikkommissionen oder andere Instanzen, an welche sich Klient_innen im Problemfall wenden können. Mit der Frage: „Wer schützt KlientInnen vor ‚schlechter‘ Sozialarbeit?“ (Aigner 2014: 26) erhält der Kontrollbegriff eine weitere wichtige Bedeutung. Dass sich Sozialarbeiter_innen auch juristisch auszuweisen haben, kann im Sinne des Klient_innenschutzes befürwortet werden. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass „die defensive Absicherung durch Regeln und Prozeduren die Praxis bestimmt“ (Lorenz 2014: 23). Für die Qualität Sozialer Arbeit ist es deshalb auch ausschlaggebend, ob sozialpolitische Rahmenbedingungen die Schaffung von Vertrauensverhältnissen fördern, oder aber ein Klima von Misstrauen und Infragestellung schaffen. (vgl. Lorenz 2014: 23)

Dokumentation als Mittel zur Legitimation befindet sich also im Spannungsfeld des Ausweises und der Begründung des fachlichen (oder je nach Kontext des effizienten und effektiven) Handelns gegenüber sozialpolitischen Financiers, dem Team, der Organisation, juristischen Kontrollorganen, der Öffentlichkeit und den Klient_innen – und damit zugleich in einem Spannungsfeld zwischen Transparenz und Kontrolle. Dokumentation birgt einerseits das Potenzial, Soziale Arbeit in ihrem Tun auszuweisen, und andererseits das Risiko, diese damit verstärkt für Instrumentalisierungen angreifbar zu machen. Im Fokus steht daher immer die Frage, auf Basis welcher Interessen die Legitimation erfolgt und wie Dokumentationen im konkreten Fall Anwendung finden.


3. Zur Konstruktion von „Wirklichkeiten“ über Dokumentation

„Jede Art von Dokumentation gibt zunächst einmal Auskunft über den Dokumentierenden: über seine Wahrnehmungen, seine Selektivität, seine Selbstdarstellungsbedürfnisse, seine Interessen, seine Kategorien und ‚Theorien‘.“ (Merchel 2004: 29)

Mittels Dokumentation werden Beobachtungen, Wahrnehmungen und damit einhergehende Bewertungen verschriftlicht, oder auf andere Art und Weise festgehalten und damit auf bestimmte Ziele hin „bearbeitbar“ gemacht. Dokumentation stellt somit eine soziale Konstruktion dar, welche die Wirklichkeit in einer bestimmten Art und Weise abbildet.

Einen zentralen Bezugsrahmen für die Herstellung von Dokumentationen bilden die Rahmenbedingungen der Organisationen innerhalb derer sich die Fachkräfte bewegen und Entscheidungen treffen. (vgl. Merchel 2004: 23) Diese nehmen mit ihren Dokumentationsvorgaben bereits Einfluss darauf, wie sich die Konstruktion von „Fällen“ in der Praxis gestaltet.

In Hinblick auf die aktenführenden Sozialarbeiter_innen spielen auch deren Wahrnehmungen und Theorien eine bedeutende Rolle in der Konstruktion von „Fällen“, ebenso wie ihre Interessen, ihr persönlicher Erfahrungsschatz, ihr theoretisches und praktisches Wissen, ihr Verständnis von professionellem Handeln, ihre Reflexionsfähigkeit, ihr Wissen über den oder die Klient_in u. v. m. All dies sind Voraussetzungen dafür, an welcher Stelle der oder die dokumentierende Sozialarbeiter_in Interpunktionen setzt, von welchen ausgehend Ereignisse betrachtet werden.

Dass mit der Festlegung von Dokumentationsrastern, das heißt beispielsweise mit der Bestimmung von Kategorien, welche im Rahmen sozialarbeiterischer Tätigkeit erfasst werden sollen, bereits im Vorfeld bestimmt wird, was für einen „Fall“ als wichtig erachtet wird, betrifft sowohl computergestützte Formen der Dokumentation, wie etwa Fach-Software, als auch „analoge“, papiergestützte Formen der Dokumentation. In beiden Fällen werden folgende Fragen brisant: Welche Kategorien werden von wem ausgewählt? Werden diese auch zur Diskussion gestellt? Und wie flexibel lässt sich das Dokumentationssystem gestalten? Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Einführung von Dokumentationssystemen ist nach Kreidenweis (2004: 248) „die Beteiligung der Mitarbeiter während des gesamten Prozesses der Auswahl und Entscheidung über den Einsatz von Dokumentationssoftware“. Über die vordefinierten Kategorien wird, so Ley und Seelmeyer (2014: 54), nicht nur der Blick der Sozialarbeiter_innen auf die Klient_innen und ihre „Geschichten“ vorstrukturiert und gesteuert, sondern damit auch deren fallbezogenes Wissen und die darauf basierenden Handlungen. Für die sozialarbeiterische Dokumentation ist es deshalb auch wichtig, dass Dokumentationsverfahren die Kontexte der Interaktionen und Ereignisse miteinbeziehen und damit Platz lassen für die Beschreibung des „Rahmens“ einer Beobachtung. (vgl. Moch 2004: 68) Des Weiteren sollten Kategorien solcher Dokumentationssysteme dynamisch bleiben, immer wieder mit dem „Gesamtbild“ abgeglichen und schlussendlich auch wieder dekonstruiert werden können.


3.1 Etikettierung von Klient_innen
All diese Konstruktionsbedingungen sind also mit zu bedenken, wenn es darum geht, Klient_innengeschichten in Form von Dokumenten festzuhalten. Durch die Entscheidung, was einen „Fall“ eigentlich zu einem „Fall“ macht, verfügen die dokumentierenden Sozialarbeiter_innen über eine große Definitionsmacht gegenüber den Klient_innen. Denn mit der Beschreibung von „Klient_innengeschichten“ geht eine Charakterisierung von Personen und Zuständen einher, welche einer etikettierenden Wirkung unterliegen (vgl. Merchel 2004: 34) So entstehen in den Akten spezifische Bilder, welche über die Aktenweitergabe an Kolleg_innen und an andere Stellen stabil werden können (vgl. ebd.: 24). Sie können des Weiteren Einfluss haben auf die Wahrnehmung der Äußerungen von Klient_innen. Das dadurch entstehende Fremdbild kann sich auf das Selbstbild der Adressat_innen auswirken. (vgl. ebd.) Die Klient_innen selbst haben dabei meist nur wenig Einfluss auf die Konstruktion dieser Bilder, „sondern sind selbst dann, wenn sie ihre Perspektive in der Akte zur Geltung bringen wollen, auf die Übersetzungsleistung des Sozialarbeiters angewiesen.“ (ebd.)

Zudem besitzen auch Leistungen des Sozialstaates, welche an eine Hilfsbedürftigkeit der Klient_innen gekoppelt sind, meines Erachtens das Risiko, eine Defizitorientierung in der Arbeit mit Klient_innen zu unterstützen. Stehen Schwächen und „Bedürftigkeiten“ im Fokus der Antragstellung, so wird damit ein negatives Bild erzeugt, welches über Akten weiter transportiert wird. Eine „Defizit-Schreibweise“ kann zudem über die Rechtfertigung des eigenen Tuns gegenüber den Auftraggeber_innen gefördert werden, wenn diese etwa dem Nachweis dient, warum der oder die Klient_in auf sozialarbeiterische Beratung oder Betreuung „angewiesen“ ist. Der „ressourcenorientierte Blick“ auf Klient_innen, als fachlicher Anspruch Sozialer Arbeit, verwandelt sich so in eine defizitorientierte Berichterstattung, um Klient_innen den Zugang zu Leistungen zu ermöglichen.

Diese Bedingungen erfordern einen reflexiven Umgang mit Dokumentation, welcher die Mehrdeutigkeit von Dokumentationen wahrnimmt und die Konstruiertheit von „Fällen“ als solche ausweist. So besitzt Dokumentation auch das Potenzial „eine Transparenz der Fallkonstruktion herbeizuführen“ (Merchel 2004: 26) und Sozialarbeiter_innen in Hinblick auf den Umgang mit Sprache zu sensibilisieren.

Eine weitere Herausforderung stellt der Umgang mit personenbezogenen Daten in Bezug auf die Anonymität und Privatsphäre der Klient_innen dar.


3.2 Anonymität und Privatsphäre
Akten und Dokumentationen werden vielfach weitergegeben oder Informationen in Online-Datenbanken gesammelt. Mitarbeiter_innen einer Einrichtung sollten sich Klarheit darüber verschaffen, wer innerhalb, aber auch außerhalb der Einrichtung Zugang zu welchen Daten hat und zu welchem Zweck diese verwendet werden (vgl. Kreidenweis 2004: 248) sowie über den Datenschutz. In der Aufklärung von Klient_innen über den Datentransfer sehe ich des Weiteren eine wichtige Voraussetzung für ein angemessenes Dokumentieren. Um die Privatsphäre der Klient_innen zu schützen, sollten grundsätzlich, so auch der Österreichische Berufsverband der Sozialarbeiter_innen in seinen Ethik-Standards (OBDS 2004), nur jene Informationen festgehalten werden, welche tatsächlich für die Hilfeleistung erforderlich sind. Dies folgt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach welchem nur jene personenbezogenen Dokumentationen rechtmäßig sind, deren Erstellung tatsächlich der Aufgabenerfüllung dient. (vgl. Busch 2004: 79) In der Praxis tut sich hier ein Spannungsfeld auf, da die Frage, was für eine Hilfeleistung als relevant erachtet wird, von unterschiedlichen Interessen geleitet wird. Der grundsätzliche Anspruch, nur die für den Hilfeplan notwendigen Informationen zu dokumentieren, ist dennoch ein Wichtiger. Stellt doch das Sammeln von Daten auf Vorrat, wie auch die unstrukturierte Sammlung von Informationen eine datenschutzrechtliche, wie auch ethische Problematik dar. (vgl. Merchel 2004: 30)

Eine weitere Frage stellt sich hinsichtlich des Umgangs von Sozialarbeiter_innen mit bereits in der Datenbank festgehaltenen Informationen. Einmal gespeicherte Daten wecken Begehrlichkeiten, so Busch (2004: 78), verstärkt sich doch die Tendenz diese zu nutzen, sobald sie einmal vorhanden sind. Informieren sich Sozialarbeiter_innen also über eine Person vor dem Erstgespräch, oder wird eine Vorinformation bewusst vermieden, um eine Beeinflussung durch vorgefertigte „Bilder“ zu vermeiden?

Der fachliche Anspruch der Transparenz findet nicht in allen Fällen eine klare Antwort. Ein umfassend transparentes Vorgehen würde etwa bedeuten, die Klient_innen vor dem Gespräch darüber zu informieren, dass ihre Akte bereits gelesen wurde. Fraglich ist jedoch, ob ein solches Vorgehen nicht erst recht zu einer Stigmatisierung der Person beiträgt. Vor allem dann, wenn diese nicht weiß, was in den Akten bereits vermerkt wurde und auf deren Gestaltung kein Einfluss genommen werden konnte.


4. Resümee
Über Dokumentationen werden Beobachtungen festgehalten, Informationen weitergegeben und verarbeitet. Sie sind konstituierender Teil des professionellen und fachlichen Handelns. Gleichzeitig werden Klient_innen und deren Geschichten über Dokumentationen „festgeschrieben“, wird Legitimation der Sozialen Arbeit in unterschiedlichen Kontexten hergestellt etc. Dokumentation erzeugt damit Widersprüche und diese Widersprüche sind zumeist nicht auflösbar.

Auf welche Art und Weise Dokumentation steuernd eingreift, ob etwa in fachlicher, politischer, oder ökonomischer Hinsicht, hängt von den jeweiligen Interessen ab, die der Dokumentation zugrunde liegen. Für den Umgang mit Dokumentation in der Sozialen Arbeit ist es deshalb wichtig, sich immer auch der Interessen und Zwecke bewusst zu sein, welche hinter der Dokumentation stehen. Dadurch wird es erst möglich, so zu dokumentieren, dass auch die Bedürfnisse und Interessen der Klient_innen Berücksichtigung finden. Dokumentation muss in ihrer Art und Weise der Gestaltung, in ihren Zielen und Risiken hinterfragt werden: Wem dient die Dokumentation in welchem Kontext? Und dient die Dokumentation in der Form, wie sie gestaltet ist, auch den fachlichen Ansprüchen der Sozialen Arbeit? Kritik ist da geboten, wo Dokumentation auf Kosten ihrer Fachlichkeit betrieben wird. Die Soziale Arbeit kann dabei nicht umhin, sich der Ambivalenzen bewusst zu werden, in welche sie verstrickt ist. Fachlichkeit ist immer auch von politischen und ökonomischen Interessen geprägt. Die daraus entstehenden Widersprüche stellen für den Umgang mit der Dokumentation in der Praxis der Sozialen Arbeit eine große Herausforderung dar. Eine Lösung kann auf individueller Ebene und auch von den einzelnen Einrichtungen kaum gefunden werden. Es bedarf deshalb einer fachlichen Auseinandersetzung mit Potenzialen und Risiken, welche für die Dokumentation in der Sozialen Arbeit bestimmend sind. Dies schafft Voraussetzung für die Erarbeitung neuer Konzepte und Dokumentationsformen, welche den Fragen folgen: Wie kann Dokumentation in der Sozialen Arbeit in Zukunft gestaltet und wie mit Risiken ökonomischer und politischer Steuerung umgegangen werden? Welche Rahmenbedingungen und Ressourcen sind dafür notwendig und wie können diese eingefordert werden? Fachaustausch und Forschung sind wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung einer Dokumentation, welche die Interessen und Bedürfnisse der Klient_innen im Blick behält.

Literatur

Aigner, Doris (2014): KundInnen ohne Konsumentenschutzrechte. In: Sozialarbeit in Österreich, 2/2014, S. 26-28.

Bakic, Josef / Diebäcker, Marc / Hammer, Elisabeth (2008): Die Ökonomisierung Sozialer Arbeit in Österreich. Eine fachlich-kritische Herausforderung. In: Sozial Extra, 2(1), S. 52-55.

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Über die Autorin

BA Antonia Zauner
antonia.zauner@gmx.at

Studium der Sozialen Arbeit an der FH Campus Wien und Studium der Kultur- und Sozialanthropolgie an der Universität Wien; Spracherwerb Bosnisch/Kroatisch/Serbisch.
Bisherige Arbeits- und Themenschwerpunkte: Wohnungslosigkeit/Obdachlosigkeit, Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, häusliche Gewalt und Jugendarbeit.
Derzeit tätig in einem Notquartier für obdachlose Männer.