soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 16 (2016) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standort Eisenstadt
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/472/848.pdf


Marlies Wallner:

„Im Endeffekt gewinnt der Ehrenamtliche“

Spannungsfelder im Rahmen der Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlichen RettungssanitäterInnen am Beispiel der Bezirksstelle Rotes Kreuz Wiener Neustadt


1. Einleitende theoretische und ökonomische Bezüge des Spannungsfelds

Das Ehrenamt ist im Rettungsdienst des Österreichischen Roten Kreuz fest verankert, zumal dieser bei seinen Anfängen im 19. Jahrhundert als reines Freiwilligensystem organisiert war. Erst im 20. Jahrhundert wurden nach und nach berufliche Arbeitskräfte eingesetzt, um eine flächendeckende bedarfsorientierte Versorgung gewährleisten zu können. Die Freiwilligen sind aber „nach wie vor eine der wichtigsten Säulen für den funktionierenden Rettungsdienst“ (Österreichisches Rotes Kreuz 2012),

„Freiwilligkeit ist das ‚Grundnahrungsmittel‘ einer funktionierenden Gesellschaft! Ohne Freiwillige sind Rettungsdienst und Katastrophenhilfe in der derzeitigen Form nicht aufrecht zu erhalten“ (ebd.).

Im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll nicht nur jene Grundhaltung des Roten Kreuz zum Ehrenamt kritisch hinterfragt werden, sondern auch die Rolle des Ehrenamts im bestehenden System aus der Sicht der AkteurInnen und die daraus folgenden Konsequenzen beleuchtet werden.

Grundsätzlich weist die Forschungslage zum Thema Ehrenamt Defizite auf, es können keine einheitlichen Ergebnisse vorgefunden werden. Gründe hierfür können in den variierenden Definitionen des Begriffs Ehrenamt, den verschiedenen Einsatzbereichen oder auch in der divergenten Deutung von Untersuchungsergebnissen liegen, genauso wie politische Interessen Einfluss üben können. Vorhandene Forschungen unterscheiden sich auch im Aufbau und in den Methoden, einzelne Studien beleuchten nur ausgewählte Bereiche des Ehrenamts und liefern daher nur beschränkt allgemeingültige Erkenntnisse. Die Betrachtung isolierter Ausprägungen des Ehrenamts in den verschiedenen Sparten des Einsatzes von Freiwilligenarbeit ist aber wesentlich, um das Ehrenamt letztlich in seiner Gesamtheit erfassen und analysieren zu können (vgl. Peglow 2002: 16f).

“Conventional wisdom has held that volunteer programs spare agency budgets and raise the level of services that organizations are able to provide, but jeopardize paid positions and relationships with staff“ (Brudney/Gazley 2002: 525f).

Jene „Hausverstands-These“ ist zwar nicht wissenschaftlich belegt, zeigt aber auf, dass allein die gegebenen Umstände der Zusammenarbeit von Hauptberuflichen und Freiwilligen Potenzial für Diskrepanzen aufweisen.

“The interface of volunteers with paid staff may be particularly important to explore because an ongoing theme in the volunteerism literature is that paid staff often resist the presence of volunteers“ (Netting et al. 2005: 183).

Gerade jene oder ähnliche Textpassagen in der themenbezogenen Literatur lassen einen genaueren Blick auf die verschiedenen Einsatzfelder des Ehrenamts und neue wissenschaftliche Erkenntnisse unerlässlich erscheinen, um die Zusammenarbeit genauer beschreiben, mögliche Spannungsfelder identifizieren und dadurch eventuellen Handlungsbedarf begründen zu können.


2. Das Nebeneinander von Haupt- und Ehrenamt

Das Bestehen von Freiwilligenarbeit neben hauptamtlicher, bezahlter Arbeit ist charakteristisch für viele Organisationen im Sozialbereich und genau deshalb ein Thema, dem sich die Disziplin Soziale Arbeit in den nächsten Jahren verstärkt widmen muss. Die Beziehung zwischen den beiden MitarbeiterInnen-Gruppen ist sowohl während des Ausübens der Tätigkeit, als auch grundsätzlich für die Etablierung des Ehrenamts von Bedeutung (vgl. Bußmann/Stöbe-Blossey 2003: 135). Otto (1998) weist darauf hin, dass eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen nur möglich ist, „wenn alle Beteiligten im Engagementprozeß entsprechende Haltungen, Kompetenzen und Aktivitäten entwickeln“ (Otto 1998: 11) und das Etablieren des Ehrenamts mit einem grundlegenden „Lern-[,] Kommunikations-, Führungs- und Managementprogramm“ (ebd.: 11) einhergeht. All dies wäre jedoch hinfällig, wenn nicht folgende Voraussetzung gegeben wäre: „Man muß es wirklich wollen, das Engagement“ (ebd.: 11f) – womit alle Beteiligten gemeint sind. Rosenkranz und Weber (2012) gehen diesbezüglich auf die Notwendigkeit der entsprechenden Schulung der Hauptamtlichen und ihr Einbeziehen in die Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen ein, um ihr Gelingen zu ermöglichen (vgl. Rosenkranz/Weber 2012: 11). Die Praxis Sozialer Arbeit ist nach wie vor von der Annahme beherrscht, in erster Linie wären die Ehrenamtlichen Schulungen und Qualifikationsmaßnahmen zu unterziehen.

Sloan (1985, zit. nach Netting et al. 2004) liefert unterschiedliche Erklärungsansätze für das komplexe Beziehungsgeflecht aus der Sicht der Hauptamtlichen, gerade wenn Freiwillige ähnliche oder dieselben Tätigkeitsbereiche übernehmen. So könnte die zu geringe Einbindung der Ehrenamtlichen in die institutionellen Rahmenbedingungen eine Herausforderung für Hauptamtliche bei der Zusammenarbeit mit freiwilligen HelferInnen darstellen, genauso wie ihnen in manchen Fällen eine mangelnde Identifikation mit der Vision der Organisation unterstellt werden könnte. Außerdem kann ihnen vorgeworfen werden, mehr Ressourcen zu kosten als sie an Nutzen einbringen, zu wenig qualifiziert zu sein, und auch ihre Arbeit könnte wegen der fehlenden Bezahlung als weniger wertvoll angesehen werden. Sie könnten hohe Ansprüche stellen und deren Erfüllung als Druckmittel einsetzen, eben weil sie ihre Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung stellen, und das Ehrenamt an sich könnte eine Bedrohung für bezahlte Arbeitsplätze darstellen. Dieses Verdrängungspotenzial sorgt dafür, dass die Rolle der Hauptamtlichen nicht nur ökonomisch, sondern auch statusbezogen Abwertung erfährt und auch die Legitimität in Frage gestellt wird (vgl. ebd.: 83). Dass weniger qualifizierte Ehrenamtliche die Arbeit besser oder zu geringeren Kosten erbringen würden, scheint die Akzeptanz der Berufskräfte zu trüben (vgl. Heimgartner 2004: 139).

Aber es ist eben nicht nur die Akzeptanz der bezahlten Arbeitskräfte gegenüber dem Ehrenamt wesentlich, denn die Zusammenarbeit kann ebenso durch Vorbehalte der Freiwilligen gegenüber den Hauptamtlichen belastet werden. Sloan (1985, zit. nach Netting et al. 2004) nennt hierzu drei Beispiele: Ehrenamtliche könnten ihren bezahlten KollegInnen unterstellen, nur für die Entlohnung und nicht aus ehrbaren Motiven der Tätigkeit nachzugehen, dadurch im Gegensatz zu den Ehrenamtlichen einen gefärbten Blick auf die Realität zu haben oder dazu zu neigen, die Kontrolle über die Aktivitäten übernehmen zu wollen (vgl. ebd.: 83).

Die oben angeführten Aspekte verdeutlichen, welche unterschiedlichen Haltungen, Annahmen, Wahrnehmungen und Umstände Einfluss auf die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen üben können. Weil das Ehrenamt gleichzeitig als Kapital und Belastung für eine Organisation betrachtet werden kann, wird es als zweischneidiges Schwert angesehen, das für Spannungen in der Zusammenarbeit sorgen kann, selbst wenn das Ehrenamt grundsätzlich befürwortet wird. (vgl. Netting et al. 2004: 84)

In der Literatur werden demnach Hinweise darauf gefunden, dass die Zusammenarbeit von Hauptamtlichen und Freiwilligen Spannungspotential birgt, wobei Spannungen „kaum durch sachlich-rationale Auseinandersetzungen“ (Pradel 1993: 97), sondern „vielmehr (…) über die Gefühlsebene“ (ebd.) als „Ausdruck nicht-befriedigter Erwartungen und nicht-erfahrener Anerkennung“ (ebd.) entstehen. Otto-Schindler (1996) geht überhaupt davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen nicht gelingen kann (vgl. ebd.: 164), was durch Niederbrühls (1996, zit. nach Heimgartner 2004) Annahme, Hauptamtliche würden Ehrenamtliche als lästige und die Arbeit erschwerende Partizipierende wahrnehmen, bestärkt wird (ebd.: 137). Birnkraut (2013) führt hingegen einige Voraussetzungen an, die ein funktionierendes Miteinander ermöglichen würden: So sind gegenseitiger Respekt, Dank und Anerkennung wesentlich, genauso wie eine präzise Aufgabenverteilung und ein abwechslungsreiches Tätigkeitsprofil oder eine klare Positionierung der Führungskräfte zu den Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit. Diese Aspekte sollten den persönlichen Kontakt zwischen den Haupt- und Ehrenamtlichen begünstigen, der für den Zusammenhalt und das gegenseitige Verstehen entscheidend ist (vgl. ebd.: 216f).


3. Aspekt der Deprofessionalisierung

„Denn einerseits haftet an der Sozialen Arbeit der Geburtsfehler und Makel ihrer laienhaften Herkunft. Andererseits wurde die alte, unbezahlte Ehrenamtlichkeit von der Politik und den Medien jüngst wieder entdeckt (…). Wozu bedarf es der besonderen Ausbildung für einen Bereich, wo früher nur Laien tätig waren und wo auch heute noch Laien anscheinend genauso gut (oder schlecht und gegebenenfalls sogar besser) mitzuarbeiten in der Lage sind?“ (Bauer 1998: 13)

In diesem Zitat wird provokativ die Frage nach der Notwendigkeit der Professionalisierung im Bereich sozialer Dienstleistungen ausgesprochen, die im Folgenden behandelt werden soll. Müller (2005) weist auf zwei wesentliche Merkmale einer Profession hin – die besondere Kompetenz durch das Aneignen wissenschaftlich begründeten Wissens während der Ausbildung und die besondere Unabhängigkeit von jeglichen Instanzen und von den KlientInnen selbst, die durch die Orientierung an aus der wissenschaftlichen Fachkultur entwickelten Standards gegeben ist. Jene Standards würden nur über professionelle Privilegien, professionelle Selbstkontrolle und professionelle ethische Codes erreicht werden können. Dabei verweist er auf den über Zugangsvoraussetzungen kontrollierten Berufseinstieg und legt dar, dass das Eigeninteresse der professionell Tätigen ebenso kontrolliert sein muss, um Missbrauch zu vermeiden. (vgl. Müller 2005: 733f) Da das Ehrenamt diese Bedingungen nicht erfüllen kann, sich aber mitunter denselben Tätigkeitsfeldern wie die hauptamtlich Arbeitenden widmet, kommt ihm in der Professionalisierungsdebatte sozialer DienstleisterInnen ein hoher Stellenwert zu – auch aus dem Grund, weil das Streben der Fachkräfte nach Professionalisierung das Ehrenamt wiederum degradieren würde (vgl. Rabe-Kleberg 1992: 95).

Die Grenzziehung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen basiert zum einen auf einer formellen Ordnung, zum anderen auch auf unausgesprochenen, informellen Regeln. Letztere stehen nicht fest, sondern werden durch kontinuierliche Verletzungen immer neu verändert. Weil die hauptamtlichen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte für ihre Tätigkeit bezahlt werden, stehen sie unter dem Druck, ihre professionelle Überlegenheit zu beweisen und zu rechtfertigen, zum Teil auch um von den Freiwilligen anerkannt zu werden. Gerade im Sozialbereich erfährt die Ausbildung im Vergleich zur eigenen Lebenserfahrung Abwertung. Nicht selten wird „Fachwissen als im besten Fall nützlich, aber nicht wirklich notwendig“ (Nadai et al. 2005: 148) bewertet.

Wenn Lebenserfahrung und theorielose ‚Praxis‘ ins Zentrum gerückt werden, impliziert dies, dass sozialarbeiterisches Handeln sich einer systematischen methodischen Vorgehensweise entziehe“ (ebd.).

Zusätzlich werden bezahlte Arbeitskräfte im Sozialbereich durch die zunehmende Bürokratisierung in die Rolle der SachbearbeiterInnen gedrängt. Freiwilligenarbeit könnte hingegen durch den geringeren Grad an administrativen Beschränkungen und der damit nahezu bedingungslos möglichen Hingabe ihre Daseinsberechtigung ohne weiteres gegeben sehen (vgl. ebd.: 145ff).

„Mangelnde professionelle Identität ist eine Ursache für nicht gelingende Grenzziehung zu den Freiwilligen“ (ebd.: 149).

Für das Sichtbarmachen der Grenze bedarf es des Bewusstseins der bezahlten MitarbeiterInnen über deren wissenschaftlich begründetes Handeln. Ebenso notwendig ist das Inszenieren dieser nicht selbst erklärenden Leistung, um Zuständigkeiten auch nach außen hin festzustecken sowie die Anerkennung der Ehrenamtlichen zu ermöglichen (vgl. ebd.: 148f). Nur auf diesem Weg würde Freiwilligenarbeit im Sozialbereich das professionelle Berufsverständnis hauptamtlicher Dienste nicht gefährden, sondern vielmehr Voraussetzungen für eine konfliktreduzierte Zusammenarbeit schaffen.


4. Konkurrenz – Bedrohung – Verdrängung?

Die dem Haupt- und Ehrenamt zugeordneten Eigenschaften sollen an dieser Stelle aus der Perspektive des möglichen Gegen- statt Miteinanders beleuchtet werden.

Kühnlein und Böhle (2002) zeigen auf, dass in Untersuchungsergebnissen keine grundsätzliche Überlegenheit der qualifizierten Hauptamtlichen gegenüber den Ehrenamtlichen nachgewiesen werden konnte. Dieser Umstand bedingt eine Degradierung der Fachkräfte, die einerseits durch die sich teilweise kaum unterscheidenden Tätigkeitsfelder, andererseits aufgrund der den Freiwilligen unterstellten besonderen Qualitäten – wie Nähe, Unabhängigkeit oder der Begegnung auf gleicher Ebene – unter Legitimationsdruck geraten. Von diesem Druck ist das Ehrenamt befreit, da es die mit ihm in Verbindung gebrachten Eigenschaften nicht aus ökonomischen Gründen zu seiner Daseinsberechtigung beweisen muss. (vgl. Kühnlein/Böhle 2002: 100ff) Obwohl – oder vielleicht gerade weil – also viele Aspekte das Ehrenamt zu befürworten scheinen, ist seine Integration in das soziale Hilfssystem mit Widerständen verbunden. Weil die Professionalisierung noch nicht abgeschlossen ist, keine klaren Grenzen zu ähnlichen Berufsgruppen oder Tätigkeitsfeldern gezogen, beziehungsweise die Aufgabenbereiche nicht exakt definiert sind (vgl. Peglow 2002: 76f), liegt die Statusunsicherheit der Fachkräfte auf der Hand, die Ängste in Bezug auf die Substitution durch Ehrenamtliche zur Folge haben kann (vgl. ebd.: 113f).

Lehner (2000) verdeutlicht die Diskrepanz in der Wahrnehmung der Fachkräfte und Freiwilligen, indem er die VertreterInnen der beiden Gruppen in zwei Versionen jeweils einander entgegengesetzten Typen zuordnet:

„Version 1: hier der unzuverlässige, durch mangelnde Qualifikation mehr Schaden als Nutzen stiftende Dilettantismus Ehrenamtlicher – dort das methodisch geschulte, zielorientierte und verlässliche Handeln der Berufskräfte in der sozialen Arbeit. Version 2: hier die starre, unpersönliche und zudem teure Sozialbürokratie – dort das Ideal eines flexiblen, von persönlichem Engagement getragenen zivilgesellschaftlichen Engagements Freiwilliger“ (Lehner 2000: 16f).

Dass in ein und derselben Organisation von Fachkräften und Ehrenamtlichen in diesen unterschiedlichen Versionen gedacht werden kann, unterstreicht die unklaren, von der persönlichen Wahrnehmung abhängigen Rollenbilder. Reibungen in der Zusammenarbeit erscheinen naheliegend, da sich Erwartungen von Realitäten unterscheiden und Vorurteile bedient werden könnten (vgl. Peglow 2002: 76). So könnte beim Weiterführen des Gedankens der Version 1 von einer Abwehrhaltung der Berufskräfte gegenüber dem Ehrenamt ausgegangen werden, ebenso wie das Klientifizieren der Ehrenamtlichen – ihnen also beispielsweise ein HelferInnen-Syndrom zu unterstellen – ein naheliegender Schluss wäre (vgl. ebd.: 79). Umgekehrt könnten sich, wie die Version 2 andeutet, Ehrenamtliche den Hauptamtlichen überlegen fühlen. Konkurrenz zwischen den MitarbeiterInnen-Gruppen gilt somit – abgeleitet vom angeführten theoretischen Konstrukt – als wahrscheinlich. Dass diese Versionen lediglich zwei Ansätze widerspiegeln, in Wirklichkeit aber auch idealtypische haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen als Version 3, und unprofessionell agierende Berufskräfte und unfähige Freiwillige als Version 4, beziehungsweise alle vier Versionen nebeneinander vorgefunden werden können, zeigt die Komplexität und Unberechenbarkeit der Rollenbilder (vgl. Bendele 1988: 72). Eine Konsequenz dieses undurchsichtigen Beziehungsgeflechts könnten Konflikte aufgrund von Ansprüchen und Vorwürfen – und eben auch Verdrängungsängsten – sein.

Bisher wurden die einen von den anderen nicht verdrängt, was für die jeweils spezifischen Vorteile der beiden Formen der Hilfe spricht (vgl. Peglow 2002: 78). Die bei der Freiwilligenarbeit ausbleibende Bezahlung zeigt allerdings das Potenzial des Ehrenamts, das Hauptamt aus ökonomischen Gründen verdrängen zu können (vgl. Wessels 1994: 105). Außerdem führen die AutorInnen Handy, Mook und Quarter (vgl. 2008: 89) an, dass gerade die Ausübung gleicher Tätigkeiten sowohl durch das Haupt-, als auch durch das Ehrenamt ein Indiz für Substitution darstellt, wobei laut Wessels (vgl. 1994: 105) allerdings mit Qualitätseinbußen zu rechnen wäre.


5. Ergebnisse der empirischen Forschung an der Bezirksstelle Rotes Kreuz Wiener Neustadt

Im Rahmen der diesem Beitrag zugrunde liegenden empirischen Untersuchung wurden fünf Interviews mit hauptamtlichen RettungssanitäterInnen (HA 1-5) des Roten Kreuz Wiener Neustadt, sechs Interviews mit ehrenamtlichen RettungssanitäterInnen (EA 6-11) und zwei Interviews mit Experten auf dem Gebiet der Sanitätsdienstes geführt (Exp. 12 und 13). So konnten Ergebnisse aus unterschiedlichen Perspektiven gewonnen werden, die Auswertung der Interviews erfolgte anhand der Themenanalyse nach Froschauer und Lueger (vgl. Froschauer/Lueger 2003, 2009, Lueger 2010: 206).

Belege aus einschlägiger Fachliteratur zeigen bereits auf, dass prinzipiell strukturelle Unterschiede zwischen dem Hauptamt und dem Ehrenamt bestehen. Diese äußern sich in unterschiedlichen Kompetenzniveaus – u. a. aufgrund des Erfahrungsvorsprungs von Hauptamtlichen – und unterschiedlichen Arbeitseinstellungen oder Rückerstattungserwartungen. Sie stellen Nährböden für zwischenmenschliche Spannungen dar, da durch die darin begründeten Ungerechtigkeiten das Konfliktpotential erhöht wird.


5.1 Finanziell begründete Notwendigkeit des Ehrenamts – Behauptungsdruck des Hauptamts

Die professionelle Identität des Hauptamts leidet unter der Präsenz des Ehrenamts, da kontinuierlich Grenzen gezogen und verteidigt werden müssen und die Existenz des Hauptamts aus kostenorientierter Sicht gerechtfertigt werden muss. Gerade diese Sicht auf das Hauptamt wird von den interviewten Ehrenamtlichen stark vertreten. Aus dem Material geht hervor, dass das Hauptamt unter einem Behauptungsdruck steht, da von den Ehrenamtlichen die Devise „Ohne uns geht es nicht“ vertreten wird. Dies kann u. a. anhand folgender Zitate Ehrenamtlicher erkannt werden:

„[E]s wär wahrscheinlich unfinanzierbar, das [derzeitige Rettungssystem] ohne Ehrenamtliche zu betreiben“ (EA7: Z. 34f).

„[So] wie das System (…) momentan ist, geht es ohne diese [Anm.: die Ehrenamtlichen] nicht“ (EA9: Z. 282).

„Ohne Ehrenamt würde das System nicht funktionieren (…), es wäre nicht bezahlbar“ (EA10: Z. 201ff).

„Also ohne uns würde das Ganze nicht funktionieren, glaub ich. Glaub nicht, dass sich das Rote Kreuz leisten könnte, Tag und Nacht Hauptberufliche einzustellen“ (EA11: Z. 153ff).

Damit die Vorteile des Ehrenamts aber nicht zu einer Bedrohung des Hauptamts führen, bedarf es der Betrachtung des professionellen Dienstes nicht als reiner „Kostenbelastung“ und des Ehrenamts nicht ausschließlich als „Einsparungspotenzial“. So führt Exp. 13 beispielsweise an, dass eine gute Erstversorgung eine geringere Hospitalisierungsrate bedingen würde, und damit Folgekosten vermieden werden könnten, darin ist sich auch Exp. 12 sicher. Das derzeitige System wäre neben den qualitativen Einbußen eben wegen dieser auch viel zu teuer. Hinsichtlich der Aufwendungen für das Ehrenamt schildert HA2 folgende Überlegung:

„Man muss halt auch bedenken wie viel weniger es kosten wü̈rde, ohne Zehrgeld fü̈r 500 Leute, ohne Weihnachtsfeiern für 500 Leute, Uniformen und so weiter. Und natürlich ist die Ausbildung auch ein Faktor, der viel Geld kostet. Wenn ich das alles nicht mehr bräuchte, wie schlimm ist das dann noch?“ (HA2: Z. 452ff).

Demnach müssen die positiven volkswirtschaftlichen Effekte des Hauptamts und die Aufwendungen für den Einsatz des Ehrenamts einbezogen werden, um Wirkungsmechanismen und Finanzierungslogiken entsprechend abzubilden und strategische Entscheidungen für ehrenamtliches Personal begründen zu können.


5.2 Unterschiedliche Qualitätsansprüche an dieselbe Tätigkeit

Gerade im Feld des Sanitätsdienstes, wo ein Ungleichgewicht in den Handlungsmöglichkeiten der KlientInnen und Helfenden besteht und die KlientInnen in hohem Maße auf die Helfenden angewiesen sind, sind die Rahmenbedingungen des Ehrenamts kritisch zu hinterfragen. Denn die fehlende Möglichkeit der Verpflichtung Ehrenamtlicher zur Einhaltung von Vorgaben verhindert, den Qualitätsansprüchen gerecht werden zu können. Der Einsatz von ehrenamtlichen RettungssanitäterInnen steht somit nicht in Einklang mit einer klientInnenorientierten Ausrichtung des Sanitätsdienstes, da nicht das Wohl der Hilfeerhaltenden im Zentrum der Überlegungen steht. So kritisiert Exp. 13 die Reihenfolge an gesetzten Prioritäten im bestehenden Sanitätsdienst des Roten Kreuz: derzeit müsse zuallererst der ehrenamtliche Einsatz ermöglicht werden, danach ist wichtig, dass die Besetzung der Fahrzeuge gewährleistet ist, erst dann spielen Überlegungen zur Qualität eine Rolle. Das Ehrenamt geht somit traditionsbedingt dem PatientInnenwohl vor. Eben diesen Aspekten wird der Ausgleich über die hohe Versorgungsdichte durch die hohe Anzahl an Freiwilligen entgegengesetzt, die letztlich doch den KlientInnen zugutekommen würde:

„[Die Ehrenamtlichen] machen das vielleicht nicht ganz so 100% wie ein rein beruflicher Rettungsdienst, im Ergebnis machen sie‘s aber und vom Outcome her ist es bei uns ja nicht schlecht“ (EA6: Z. 234ff).

„[D]a bist du froh, wenn die [Anm.: freiwillige Hausfrau] den da hin fü̈hrt. Bevor du die Ortsstelle zusperren musst und du keine Leute hast“ (HA2: Z. 97f).

Argumente für gezielte Systemadaptierungen, die eine optimale Erstversorgung ermöglichen und durch die Folgekosten aufgrund höherer Hospitalisierungsraten vermieden werden können, werden in den Interviews nur von Hauptamtlichen angeführt.


5.3 Spannungsfelder gegenseitiger Wertschätzung und Umgang mit Leistungsmängeln

Voraussetzungen für eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen sind die gegenseitige Akzeptanz und der Wille zum Mit- und Nebeneinander. Aufgrund des hohen Stellenwerts des ehrenamtlichen Dienstes beim Roten Kreuz bei gleichzeitig aber nicht gesichertem Leistungsniveau – „Es gibt Leute hier herinnen, die können machen was sie wollen, ohne dass es Konsequenzen gibt“ (EA11: Z. 103f) – entsteht eine Diskrepanz. Das Ehrenamt weist subjektiv sowohl aus der Sicht der Hauptamtlichen, als auch der Ehrenamtlichen auf unterschiedlichen Ebenen Leistungsmängel auf, wie beispielsweise hinsichtlich der Kontinuität der Tätigkeit:

„[A]llein, dass sie [Anm.: die Hauptamtlichen] das jeden Tag machen, da haben sie einen ganz anderen Erfahrungsgrad und Routine als jemand, der sich einmal im Monat in der Nacht ins Auto setzt“ (EA8: Z. 154ff).

HA1 äußert dementsprechend Bedenken in Bezug auf die fehlende Praxiserfahrung in Krisensituationen:

„Na was will man von denen erwarten können, wie sollen die mit einem Notfall noch umgehen können, wenn die 2-3 Mal RTW [Anm.: Rettungswagen] gefahren sind und sonst nur KTW-B [Anm.: Krankentransportwagen], und einfach nie damit konfrontiert waren“ (HA1: Z. 51ff).

Im Gegensatz dazu wird an die Hauptamtlichen ein klarer Leistungsanspruch gestellt, „weil es ja doch ihr Job ist, für den sie bezahlt werden“ (EA11: Z. 52f), „Ehrenamtliche können das vielleicht ein bisschen weniger ernst nehmen“ (EA11: Z. 90).

Diese Diskrepanz wird durch die Geringschätzung der jeweiligen Ehrenamtlichen durch Hauptamtliche verschärft, denn es kommt Kritik an den Motiven mancher Ehrenamtlicher hinzu, beispielsweise wenn sie ihre Tätigkeit als Statussymbol betrachten, wie dies EA11 schildert:

„[E]s sind schon sehr viele, die nur da sind, dass sie (…) in einem Rettungsauto sitzen können, mit Blaulicht, und draußen sagen können ‚Wow, ich war dort und dort‘“ (EA11: Z. 196ff).

Ein anderer Beweggrund – das Befriedigen von Sensationslust – wird ebenso kritisiert:

„[M]an [Anm.: gemeint sind die Ehrenamtlichen] machts dann ja auch wegen der Action. ‚Ja das war leiwand dort, da is nur so das Blut geronnen!‘“ (HA1: Z. 195f).

Zudem findet eine Klientifizierung zumindest eines Teils der Ehrenamtlichen durch die Hauptamtlichen statt, die über das Motiv der sozialen Einbindung hinausgeht:

„Das merkt man immer wieder, dass Leute, die eigentlich eher die Hilfe brauchen wü̈rden, kommen und was machen, wo ma halt sagt, das ist eher problematisch (…). Wenn der keine Freunde hat, und wenn der so ganz am Rande der Gesellschaft (…) steht, ist das eher problematisch“ (HA3: Z. 321ff).

Durch den Vorwurf egoistischer Beweggründe kann deren Leistung Abwertung durch die Berufskräfte erfahren. Mit dieser Argumentation wird auch eine mögliche Gemeinsamkeit der MitarbeiterInnen-Gruppen – nämlich das Verfolgen des Grundgedankens des Roten Kreuz – verwehrt, die eigentlich zum Ausgleich der strukturellen Unterschiede beitragen könnte.

Auch den Hauptamtlichen wird teilweise mit reduzierter Wertschätzung begegnet, wenn Ehrenamtliche von den Berufskräften Dankbarkeit für deren Mithilfe voraussetzen:

„Natürlich können‘s froh sein, dass es uns gibt, sonst müssten sie Tag und Nacht fahren“ (EA11: Z. 248f).

„Der [Anm.: Hauptamtliche] soll lieber froh sein, dass die Freiwilligen Dienst machen, denn je mehr Freiwillige da sind, desto mehr Kohle können wir heranscheffeln und desto sicherer ist der Arbeitsplatz“ (EA10: Z. 400ff).

Einfluss auf die Zusammenarbeit übt auch der Umstand, dass sich Ehrenamtliche zum Teil als den Berufskräften gleichwertig ansehen. Dies wird oftmals mit der exakt selben Ausbildung von Haupt- und Ehrenamtlichen begründet. So geht EA10 davon aus, dass „alle, die wir hier tätig sind im Bereich des Rettungsdienstes, (…) als Professionisten“ (EA10: Z. 253f) angesehen werden können. Deshalb wird von den meisten Ehrenamtlichen Autonomie gefordert, gleichzeitig aber für das Investieren ihrer Freizeit bei fehlender monetärer Gegenleistung gewisse Freiheiten beansprucht. Die den Ehrenamtlichen gewährten Freiheiten führen dazu, dass „die Arbeit, die (…) tatsächlich gemacht wird, (…) oft nicht die gleiche“ (HA4: Z. 56f) ist, wodurch Ungerechtigkeit erlebt wird. Manche erwarten sich „so a bissl Extrawürstln eben weil sie Freiwillige sind“ (EA6: Z. 409f). Die vom Ehrenamt damit geforderte Sonderstellung wird ihm eingeräumt, somit „gewinnt (…) im Endeffekt (…) der Ehrenamtliche, weil er ehrenamtlich ist“ (EA8: Z. 110f). Kritik daran äußern vor allem Hauptamtliche:

„[W]er das alles [Anm.: den Rettungsdienst] mit Freiwilligen macht, lässt sich halt auch relativ gut erpressen“ (HA1: Z. 72f),

„[w]eil die Freiwilligen darf man nicht vergrämen, weil wir leben ja auch von den Freiwilligen“ (HA4: Z. 43f).


5.4 Sonderstellung des Ehrenamts

Insgesamt lassen sich also Spannungsfelder im Sanitätsdienst hinsichtlich der Grenzziehung, der Qualitätsansprüche und der gegenseitigen Wertschätzung zwischen Haupt- und Ehrenamt in der Literatur finden, die so auch die Situation an der Bezirksstelle Rotes Kreuz Wiener Neustadt widerspiegeln. Hinzu kommt die Bevorzugung der Ehrenamtlichen gegenüber den Hauptamtlichen in Bezug auf gewisse Aspekte, die sich beispielsweise im Zugeständnis von besonderen Freiheiten oder im Vernachlässigen von Konsequenzen bei Fehlverhalten zeigen. Da sie in den Interviews sehr präsent sind, sind die für die Zusammenarbeit relevanten Themen „Arbeitskleidung“ und das „Putzen der Autos“ an dieser Stelle anzuführen. Die Hauptamtlichen empfanden die Verwehrung ihres Wunsches nach einem neuen Kleidungsstück, dem erst nachgekommen wurde, als auch die Ehrenamtlichen dieses erhielten, als ungerecht. Bei der Vielzahl der Einsätze jedes Hauptamtlichen pro Woche würden Ehrenamtliche bei einer Gleichstellung in Bezug auf die Ausstattung an Arbeitskleidung bevorzugt werden (vgl. HA4: Z. 62ff). Ebenso kritisieren Hauptamtliche die fehlenden Konsequenzen bei von Ehrenamtlichen nicht in ordnungsgemäßem Zustand übergebenen Autos, wie dies auch viele Ehrenamtliche erleben:

„Es gibt genug Freiwillige, die steigen ins Auto ein und wieder aus und der Rest ist wurscht. Da wird das Auto nicht geputzt oder Sonstiges“ (EA11: Z. 53f).

Der „Vorrang der Ehrenamtlichen bei der Wahl des Autos“ und der dadurch gegebene Vorrang bei der Art des Einsatzes können als beispielhaft für die Ungleichbehandlung angesehen werden. Hier kommt es laufend zu Grenzübertritten, da die Ehrenamtlichen über die Macht verfügen, situationsbedingt über die Einsatzart von Hauptamtlichen zu entscheiden: „[W]enn der Ehrenamtliche ein Auto fahren will, dann muss der Hauptamtliche (…) verzichten“ (EA8: Z. 103ff), da die Ehrenamtlichen ihre Freizeit für Dienste nutzen und deshalb auch das Auto bekommen sollen, mit dem sie fahren möchten. Dies führt an sich schon zu Frustrationen, wird aber auch dadurch verstärkt, dass die eher unbeliebten Krankentransporte, bei denen weniger Fachwissen und Können gefordert wird, den Berufskräften überlassen werden. Der Krankentransport zählt zwar ebenso zum Tätigkeitsspektrum der Berufskräfte, es fallen allerdings die meisten Krankentransporte grundsätzlich tagsüber und somit in der Schicht der Berufskräfte an.

„[D]as schmeckt ihnen [Anm.: den Hauptamtlichen] halt oft nicht (…). Da sind sie teilweise schon sehr grantig, wenn sie Krankentransporte fahren müssen. Aber wenn sie angestellt sind als Rettungs- und Krankentransportdienst, dann müssen sie das halt auch machen“ (EA10: Z. 133ff).

Durch die Bevorzugung bei der Autowahl und damit der Wahl der Einsatzart greifen Ehrenamtliche letztlich in die Autonomie der Hauptamtlichen ein.


6. Bedeutung der Ergebnisse für die Zusammenarbeit an der Bezirksstelle Rotes Kreuz Wiener Neustadt

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass trotz der unterschiedlichen Perspektiven und Qualitätsansprüche und der sich daraus ergebenden Spannungsfelder die Zusammenarbeit zwischen den haupt- und ehrenamtlichen RettungssanitäterInnen an der Bezirksstelle Wr. Neustadt funktioniert. Die Gründe dafür können im als geradlinig beschriebenen und beide MitarbeiterInnen-Gruppen gleichermaßen wertschätzenden Führungsstil, den eigenen Verantwortungsbereichen der Hauptamtlichen, der anerkannten Erfahrung der Hauptamtlichen oder der hinreichenden Akzeptanz des Ehrenamts zur Aufrechterhaltung der Versorgung gesehen werden. Subjektiv werden zwar Mängel am ehrenamtlichen Sanitätsdienst aufgezeigt, die vermehrt damit begründet werden, dass wegen der fehlenden Bezahlung nicht die gleiche Leistung vorausgesetzt werden kann und darunter die Qualität leidet (vgl. HA2: Z. 559f). Das objektive Bestehen jener Mängel kann jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht bestätigt oder widerlegt werden.


7. Fazit: Hauptamtliche sehen Bedarf für Qualitätssicherung, eigene Verantwortungsbereiche stärken deren Position

Die folgende Aufbereitung der Erkenntnisse, die anhand der empirischen Daten gewonnen wurden, soll nun einen tieferen Einblick in die vorgefundenen Rahmenbedingungen geben:

Hauptamtliche weisen eine dem Ehrenamt gegenüber aufgeschlossene Haltung auf, sofern Qualitätsansprüche erfüllt werden. Eine negative Bewertung des ehrenamtlichen Sanitätsdienstes durch die Hauptamtlichen bezieht sich auf jene Ehrenamtliche, die das geforderte Leistungsniveau nicht erbringen. Der hohe Anspruch der Hauptamtlichen in Bezug auf die Qualität des Rettungsdienstes steht in Widerspruch zu den fehlenden Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung von Vorgaben. Hauptamtliche fordern das Überprüfen von Qualitätsstandards, um ein entsprechendes Leistungsniveau sicherzustellen, wenn der ehrenamtliche Sanitätsdienst aufrechterhalten wird. Die investierte Freizeit der Freiwilligen, ihre fehlende Entlohnung und die wahrgenommene Abhängigkeit vom Ehrenamt sollen aus der Sicht der interviewten Berufskräfte nicht mehr zugesprochene Freiheiten oder fehlende Konsequenzen bei Missachtung von Vorgaben rechtfertigen.

Ehrenamtliche sind sich über den Erfahrungsvorsprung des Hauptamts bewusst, sehen im Vergleich zu den Hauptamtlichen aber keinen Handlungsbedarf zur Qualitätssicherung. Durch die hohe Anzahl an Freiwilligen wird eine entsprechende Versorgungsdichte erzielt – auf diese Weise würden quantitative Vorteile qualitative Mängel ausgleichen, da ein Krankenhaus schnell erreicht werden kann. Außerdem könne durch den Einsatz ehrenamtlicher Dienste und damit insgesamt kostengünstiger Versorgung auch Versorgungsgerechtigkeit durch das Verhindern eines Zwei-Klassen-Rettungsdienstes ermöglicht werden. Diese Argumentation steht in Widerspruch zu den Ausführungen der ersten sowie der zuletzt angeführten Erkenntnis und repräsentiert damit die unterschiedlichen Sichtweisen in Bezug auf die Rolle des Ehrenamts.

Der Führungsstil gilt als einflussreicher Faktor in Bezug auf das Funktionieren der Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlichem Sanitätspersonal. Die Situation an der Bezirksstelle wird als stabil wahrgenommen, es besteht nahezu keine Fluktuation der Berufskräfte und eine hohe Anzahl an Freiwilligen steht zur Verfügung. Dies wird unter anderem mit der klaren Haltung der Führungskräfte, der von ihnen gelebten Wertschätzung gegenüber beiden MitarbeiterInnen-Gruppen und dem Vertrauen in diese begründet. Damit wird zum Ausgleich bestehender Spannungen beigetragen.

Den Hauptamtlichen werden neben dem Einsatz bei Ausfahrten zusätzlich eigene Verantwortungsbereiche überlassen. Dieses Unterscheidungsmerkmal zum Ehrenamt mit dem Ziel der Grenzziehung soll deren Position stärken. Diese Maßnahme wurde aus dem Bewusstsein der Führungskräfte über die strukturellen Unterschiede und die Notwendigkeit einer klaren Grenze zwischen Haupt- und Ehrenamt gesetzt. Damit soll die professionelle Identität des Hauptamts gesichert, Zuständigkeiten legitimiert und folglich das Miteinander gefördert werden.

Das Ausführen der gleichen Tätigkeit von haupt- und ehrenamtlichem Sanitätspersonal wird auf den ersten Blick nicht als Indiz für Substitution gesehen, da sich beide Gruppen als wesentlich für das Aufrechterhalten der Versorgung wahrnehmen. Das Ehrenamt wird deshalb nicht als Bedrohung empfunden, allerdings gerät das Hauptamt unter Behauptungsdruck: Dadurch, dass Ehrenamtliche Sanitätsdienst ohne entsprechende Entlohnung leisten, werden an Hauptamtliche bei der Erbringung der Arbeit höhere Erwartungen als an die Freiwilligen gestellt.

Die geringe Bezahlung der Berufskräfte resultiert unter anderem aus der geringen Ausbildung als Voraussetzung zur Ausübung des Dienstes. Trotzdem ist anzuführen, dass das Lohnniveau aber auch deshalb niedrig gehalten werden kann, weil einer Ausschreibung mit niedrigem Arbeitsentgelt immer noch genügend Bewerbungen folgen würden (vgl. HA3: Z. 395f, sowie Exp. 13).

Die Abhängigkeit des Sanitätsdienstes vom Ehrenamt wird mit der sonst nicht finanzierbaren Aufrechterhaltung der Versorgung begründet. Das Ehrenamt wird auch als unverzichtbar für den Einsatz im Katastrophenfall bezeichnet. Gerade diese Abhängigkeit, wie sie auch von manchen dem Ehrenamt gegenüber kritischeren Stimmen wahrgenommen wird, trägt besonders zu den Spannungsfeldern zwischen haupt- und ehrenamtlichen RettungssanitäterInnen bei. Sie wird als Basis für die besondere Stellung des Ehrenamts – den Vorzügen und den ausbleibenden Konsequenzen bei Fehlverhalten – herangezogen. Wenngleich das untersuchte Feld kein klassisches Handlungsfeld Sozialer Arbeit ist, so können doch starke Parallelen zur Kooperation bzw. zum Konfliktspektrum zwischen Ehrenamtlichen und ausgebildeten hauptamtlichen SozialarbeiterInnen gezogen werden. Vor dem Hintergrund der sog. „Flüchtlingskrise“ wurde und wird dies seit 2015 zu einer der zentralsten Herausforderungen Sozialer Arbeit in Österreich und die geänderten Rahmenbedingungen und Teamstrukturen verlangen weitere Forschung auf diesem Feld.


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Über die Autorin

Marlies Wallner, MA
Marlies.Wallner@fh-burgenland.at

Bachelorstudium „Gesundheitsmanagement und -förderung“ an der FH Burgenland, Masterstudium „Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit“ an der FH Campus Wien, E.D.E. Heimleiterin (internat. PflegeheimleiterInnenausbildung)
Beruflicher Hintergrund: Tätigkeiten im Bereich der Pflegeprozesssteuerung, seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Soziales an der FH Burgenland und seit 2016 auch Lektorin am Department; Schwerpunkte: Pflege- und Gesundheitswissenschaft, Evaluierung Sozialer Arbeit