soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 16 (2016) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/477/858.pdf


Anna Larcher:

Jugendliche erfahren Empowerment

Eine Begleitforschung des Theaterstücks „Ausblick nach oben“


1. Einleitung

Jugendliche befinden sich zwischen Kindheit und Erwachsensein, werden mit spezifischen Verhaltensmustern assoziiert und können als Reflexionsfeld sozialer Probleme betrachtet werden. Ihre Position in der Gesellschaft ist ambivalent, konfliktreich und prekär. In der Jugendphase muss gesellschaftliche Integration sowie persönliche Individuation erfolgen, gleichzeitig treffen Jugendliche regelmäßig auf Vorurteile, Exklusion sowie Benachteiligung – oftmals aufgrund von individuellen Faktoren, aber eben auch aufgrund der ihnen zugeschriebenen Rolle als UnruhestifterInnen, ProvokateurInnen oder Nichtsnutz.

Im Rahmen des Theaterstücks „Ausblick nach oben“, welches im November 2015 als Produktion des Volkstheaters im Volx/Margareten in Wien uraufgeführt wurde, standen fünfzehn Jugendliche zwischen zehn und neunzehn Jahren auf der Bühne und erzählten von ihren Visionen, Ängsten und Träumen. Sie wurden ernst genommen und dazu aufgefordert, Erwachsenen ihre jugendliche Lebenswelt zu zeigen und Alternativen für unser gesellschaftliches System zu entwickeln. Dieses Theaterstück wurde aus klinisch-sozialarbeiterischer Perspektive im Rahmen einer Masterarbeit (Larcher 2016) qualitativ beforscht. Diese beschäftigte sich mit der Frage, welche Erfahrungsräume für die teilnehmenden Jugendlichen durch das Theaterstück „Ausblich nach oben“ entstehen und inwiefern dadurch bemächtigende Prozesse ermöglicht werden. Die Arbeitsweisen des Theaterstücks sollten weiterführend hinsichtlich deren Potenzials für den klinisch-sozialarbeiterischen Umgang mit Jugendlichen bearbeitet werden. Durch eine ethnografische Begleitung des Theaterstücks, konkret durch teilnehmende Beobachtung bei Proben und Aufführungen sowie qualitativen Interviews mit sechs spielenden Jugendlichen, wurden die Forschungsfragen untersucht.

Dieser Artikel präsentiert die erwähnte Masterarbeit in verkürzter Form und gewährt Einblick in relevante theoretische Auseinandersetzungen in Bezug auf das Thema sowie empirische Ergebnisse der Begleitforschung. Wesentlich ist die Verknüpfung von Erfahrungsorientierung als klinisch-sozialarbeiterisches Konzept, Empowerment und Jugendkulturarbeit. Speziell in der klinischen Sozialen Arbeit ist eine Verbindung mit Theaterarbeit noch wenig untersucht worden – dies unterstreicht den innovativen Zugang der Masterarbeit.


1.1 Erfahrungen als essenzieller Bestandteil (klinischer) Sozialer Arbeit

Aus sozialarbeiterischer Sicht ist das Erfahren neuer Perspektiven, Sichtweisen und Bewertungen enorm wichtig, denn dadurch werden Veränderungswünsche und Motivation initiiert. Erfahrungen sind dynamische Prozesse, die keine geschlossenen Einheiten bilden, sondern lückenhaft und unvollendet sind. (vgl. u. a. Göhlich 2007, Neuser 2013) Durch Erfahrungen werden Erlebnisse er- und verarbeitet und bilden einen biografischen Wissensvorrat. Reflexion wird möglich gemacht und Selbst- und Fremddeutungen entstehen. (vgl. Treptow 2011: 231) Die Möglichkeit, unterschiedlichste Erfahrungsräume zu entdecken, beeinflusst Identität, Entwicklung und Lebenslauf. Ohne sie sind Lernprozesse und entwicklungspsychologische Fortschritte nicht möglich. (vgl. Hüther 2000, Morasch 2013, Miller 2009) Teilhabe und Eigenverantwortung entstehen durch neue Erfahrungen und sind essenzielle sozialarbeiterische Konzepte in der Arbeit mit KlientInnen. (vgl. Peskoller 2013: 53)

Speziell in der psychosozialen Fallarbeit hat sich eine therapeutische Grundrichtung herausgebildet, die sich konkret mit der Erfahrungsebene von KlientInnen beschäftigt. Bei dieser Perspektive geht es allgemein um einen humanistischen Ansatz, der auf die Person fokussiert und diese als eigenständig, verantwortlich, kreativ und gestalterisch in ihrem Umfeld begreift. (vgl. Pauls 2013: 172) Laut Pauls (2013) ist das eigene, aktive Erleben der KlientInnen zentral, welches Veränderung initiieren kann. Durch Erfahrungsräume, die innerhalb der Beziehung mit der psychosozialen Fachkraft entstehen, wird Selbstentfaltung angestrebt. Konkrete sozialarbeiterische Methoden der erfahrungsorientierten Perspektive lehnen sich an Elemente der Gestalttherapie an, wie zum Beispiel (spielerische) Arbeit mit Bewegung und Ausdruck. Weiters sind ein gestaltbarer Raum, Eigenintention und Selbstbestimmung der KlientInnen wesentlich. Pauls und Reicherts (2013) sehen innerhalb der erfahrungsorientierten methodischen Praxis Verbindungen zum Empowermentkonzept, da Selbstbestimmung und Bemächtigung von KlientInnen im Mittelpunkt stehen. (vgl. Pauls/Reicherts 2013: 83) Historisch gesehen basiert der erfahrungsorientierte Ansatz unter anderem auf der funktionalen Schule des Social Caseworks von Robinson und Taft, die zeitgleich zur diagnostischen Schule, angelehnt an Freud, entstand. Die beiden Forscherinnen arbeiteten am Anfang des 20. Jahrhunderts an einem neuen humanistischen Menschenbild in der Sozialen Arbeit, mit dem Fokus auf freien Willen und Verantwortung der KlientInnen. Im Gegensatz zur diagnostischen Schule konzentrierten sich Robinson und Taft auf kurzfristige Behandlungen im Hier und Jetzt ohne längerfristige therapeutische Konzepte oder gründliche Untersuchung der Lebensgeschichte. (vgl. Lloyd 2008: 54-59) Neben Robinson und Taft sind Theorien von Dewey für die erfahrungsorientierte klinische Soziale Arbeit prägend. Er entwickelte ebenfalls am Anfang des 20. Jahrhunderts die Erfahrungsorientierung als konkrete pädagogische Methodik. (vgl. Oelkers/Dewey 2011)

Wie sich auch Erfahrungen gestalten, ob bewusst oder unbewusst wahrgenommen, sie sind untrennbar mit dem eigenen Körper verbunden. (vgl. Peskoller 2013) Speziell in der Theaterarbeit lässt sich eine enge Verbindung zwischen Körper und Erfahrung beobachten. Hierbei handelt es sich vor allem um jene Erfahrungen, die durch eine intensive und vielfältige emotionale Komponente ausgezeichnet sind. Ästhetische Erfahrungen zeichnen sich durch eine hohe Prozesshaftigkeit, Interaktion und Flexibilität aus und sind vor allem in der Jugendarbeit, die nachfolgend näher vorgestellt wird, relevant. (vgl. u. a. Seitz 2013)


1.2 Empowerment – mehr als nur individuelle Stärke

Das Empowermentkonzept allgemein fokussiert die Aktivierung von Ressourcen und Stärken. Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Selbstveränderung sind Ziele dieses Ansatzes und sollen durch professionelle Fachkräfte initiiert und unterstützt werden. Für Herriger (2014) betont Empowerment das Prozesshafte und die aktive Rolle der KlientInnen in Bezug auf ihren konkreten Alltag. (vgl. Herriger 2014: 15-22) Neue (positive) Erfahrungen stellen für diese bemächtigenden Prozesse einen relevanten Aspekt dar. Am Beginn von helfender, psychosozialer Beziehung stehen hauptsächlich negative Erfahrungen, wie Ohnmacht oder Entfremdung, die nach heilsamen Erfahrungen verlangen. Für Herriger ist daher das Empowermentkonzept vor allem dahingehend gefragt, Räume zu ermöglichen, in denen Erfahrungen von Stärke und Solidarität gemacht werden können. (vgl. ebd.: 73) Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass Empowerment ebenfalls erfahrungsorientiert vorgeht.

Parsloe (1996, zit. nach Adams 2008) betont, dass Empowerment in der Sozialen Arbeit ein westliches Konzept ist, welches von einem zentralen Verständnis über Individualismus, Wahlfreiheit und Fortschritt geprägt ist. In vielen anderen kulturellen Settings jedoch wird Empowerment immer in Bezug auf die Gemeinschaft und das gegenseitige Ermächtigen und Helfen gesehen. (vgl. ebd.: 25) Auch historisch ist dies zu beobachten, da Empowerment als Konzept vor allem durch zivilgesellschaftliche Bewegungen entwickelt wurde. Herriger betont die kollektive Ebene von Empowerment besonders, da er sie als zentrales Ergebnis von bemächtigenden Prozessen definiert. Schon Deneke et al. (1985, zit. nach Herriger 2014: 187) haben erkannt, dass Empowerment nicht nur Selbstveränderung sondern auch Sozialveränderung bedeutet. Entscheidend ist, dass sich beide Aspekte wechselwirkend beeinflussen und sich gegenseitig zu einem höheren Niveau an Empowerment verhelfen1. Speziell der Schritt aus der sozialen Isolation hin zu einem solidarischen Erfahrungsraum ist laut Herriger vielversprechend für eine neue Lebensqualität. Im Gegensatz zum psychologischen Empowerment entsteht die Erfahrung von Selbstbestimmung und -gestaltung nicht aus der Persönlichkeit, sondern aus dem Kollektiv. Gelingendes politisches Empowerment ist nicht nur die individuelle Kraft in der Alltagsgestaltung, sondern die Entwicklung eines Gemeinsinns. (vgl. ebd.: 205-206)

Auch für Jugendliche stellt sich das politische Empowerment, bei dem es sehr stark um Partizipation geht, als bedeutend heraus. Hierbei nennt Buchkremer (2009: 362) speziell zwei Aspekte, die in der politisch-bemächtigenden Jugendarbeit zentral sind: die Verantwortungsübernahme für das eigene und gemeinschaftliche Leben zu fördern sowie Jugendliche als ExpertInnen ihrer eigenen Lebenswirklichkeiten anzusehen und sie an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.


1.3 Jugendkulturarbeit

Laut Aslan und Sass (2013) ist Jugendarbeit nur innerhalb eines kulturellen Settings denkbar. Ob es sich um musikalische, filmische, theatrale oder tänzerische Elemente handelt, Arbeit mit Jugendlichen ist geprägt von künstlerischen Ausdrucksformen. (vgl. Aslan/Sass 2013: 238-243) Laut Treptow (2011) kann Jugendkulturarbeit die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen, indem Sinneserfahrung und Reflexion sowie die Erfahrung der Veränderung von Dingen, Bewegungs- und Ausdrucksformen im Mittelpunkt stehen. (vgl. Treptow 2011: 143ff, 169ff) Daraus entstehen wiederum neue Bewusstseinsprozesse und Umdeutungen, die wesentlich sind. (vgl. Jäger/Kuckhermann 2004: 34) Kulturarbeit kann also ästhetisch-mediale Praxis und eine sozialarbeiterische Verknüpfung ermöglichen. Vor allem bei Jugendlichen sieht Treptow das Potenzial, da bei deren kultureller Teilhabe die Bedürfnisse nach sozialer Vergemeinschaftung, Gruppenerlebnissen, Sicherheit und Zugehörigkeit sowie Anerkennung dominieren. Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen können durch Kulturarbeit einbezogen und zu einem Austausch ermutigt werden. (vgl. Treptow 2011: 149ff) Dies ist bedeutend, da Jugendliche von Separation und Homogenisierungstendenzen betroffen sind und ein gegenseitiger Austausch für Perspektivenentwicklung sowie kollektive Stärke essentiell ist. Empowerment in der Jugendkulturarbeit findet auf einer ganz speziellen Ebene statt, bei der Jugendliche Partizipation erfahren. Die konkret entwickelten Fähigkeiten sind auf der persönlichen, sozialen, kulturellen und instrumentellen Ebene zu finden und zeichnen sich durch eine hohe lebensweltliche und erfahrungsbezogene Orientierung aus. Durch Reflexion, Provokation und Distanzierung wird neben einem persönlich-kulturellen Bewusstsein auch ein gesellschaftliches geschaffen. Gerade bei Jugendlichen zeigt sich die Kombination von sozialarbeiterischer und kultureller Praxis als vielversprechend und als mögliche Form, Erfahrungen von psychologischem und politischem Empowerment zu machen.

Jugendliche sind in der (klinischen) Sozialen Arbeit eine relevante Zielgruppe, gerade aufgrund der weitreichenden gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen von (versäumter) Arbeit. Laut Andresen (2005) spiegelt diese konfliktreiche Lebensspanne gesellschaftliche Themen wieder und kann als „Reflexionsfeld sozialer Probleme“ gesehen werden. (vgl. Andresen 2005: 40). Deshalb ist es notwendig, sich mit dieser sozialen Gruppe im Besonderen zu beschäftigen, ihre Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen und ihre Position in der Gesellschaft zu stärken. (vgl. Böhnisch 2008) Laut Mienert (2008) werden die Meinung und das Engagement von Jugendlichen überwiegend als naiv, radikal oder unwichtig erachtet und von der Gesellschaft stark unterbunden. Wichtig ist allerdings, dass längerfristige Beteiligung an gesellschaftlichen Thematiken nur dann entsteht, wenn Jugendliche in ihrer Position beachtet werden. Dies war auch Ziel des untersuchten Theaterstücks „Ausblick nach oben“.


2. Ethnografische Begleitung des Theaterstücks „Ausblick nach oben“

2.1 Forschungsfrage und methodisches Vorgehen
Für die wissenschaftliche Begleitung des Theaterstücks „Ausblick nach oben“ wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, welches sich durch Offenheit und Flexibilität auszeichnet. Die konkreten Forschungsfragen lauten:

Wie gestaltet sich der Erfahrungsraum Theater für die teilnehmenden Jugendlichen am Theaterstück „Ausblick nach oben“? Handelt es sich hierbei um bemächtigende Prozesse, sprich Empowerment? Welches Potenzial hat diese Arbeitsweise für die klinische Soziale Arbeit?

Die Jugendlichen standen im Fokus der Erhebung und wurden durch teilnehmende Beobachtung sowie qualitative Interviews untersucht. Die Datenerhebung erfolgte von August bis November 2015.

Der Zugang zum Theaterprojekt erfolgte über eine Ausschreibung des Studiengangs Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit der FH Campus Wien, in der nach einer wissenschaftlichen Begleitung für das Theaterstück gesucht wurde. Das Stück ist eine Produktion des jungen Volkstheaters in Wien, die Regie wurde von Constance Cauers geleitet. Es handelte sich um eine sogenannte theatrale Feldforschung, da Visionen, Ängste und Träume von Jugendlichen selbst beforscht und auf die Bühne gebracht wurden. Somit konnten die Jugendlichen selbst als ForscherInnen ihrer eigenen Lebenswelt aktiv tätig werden. Parallel dazu konnte durch das Projekt wiederum ein Forschungsprozess über dieses aktive Forschen der Jugendlichen stattfinden. Die Arbeitsweise des Theaterstücks orientierte sich an pädagogischen und sozialarbeiterischen Ansätzen, zum Beispiel an der Lebensweltorientierung, Biografiearbeit und am Empowermentkonzept. Die Besetzung des Stückes erfolgte durch diverse Institutionen und öffentliche Ausschreibungen. Das Sample der Untersuchung umfasste die 15 spielenden Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren. Die soziale Situation der Jugendlichen variierte hinsichtlich ihrer Wohnsituation, ihrer finanziellen Möglichkeiten, der Herkunftsländer, der Ausbildungssituation, der theatralen Vorkenntnisse und der körperlichen Verfassung.


2.2 Explorativer Einstieg – Auszüge aus der teilnehmenden Beobachtung

Die Proben waren sehr unterschiedlich gestaltet. Da das Stück mit den Jugendlichen zusammen erarbeitet wurde, stand anfangs die Produktion und Entwicklung von Material im Vordergrund. Es wurden immer wieder inhaltliche Diskussionsrunden veranstaltet, die den Jugendlichen die Möglichkeit gaben, ihre Gedanken einzubringen und sich mit verschiedenen Themen verstärkt zu beschäftigen. Innerhalb der ersten Probenwoche waren die Jugendlichen gefordert, sich ständig auf ungewohnte Dinge einzulassen und dies in einer fremden, heterogenen Gruppe. Dazu gehörten körperliche und inhaltliche Aufwärmübungen, szenische Anordnungen, sprachliches Experimentieren, Ausdruck von Emotionen und Körperkontakt mit anderen. Weiters mussten die Jugendlichen ihre Erwartungen an ein Theaterprojekt revidieren und sich mit der andersartigen Arbeitsweise anfreunden. Es wurden keine fertigen Texte und Rollen verteilt, sondern diese erst durch den Input der Jugendlichen entwickelt.

Im Laufe der Proben änderten sich die Arbeitsform und die Anforderungen an die Jugendlichen. Standen am Beginn das Kennenlernen und der explorative Zugang zu bestimmten Thematiken im Fokus, wurde später die Konkretisierung des ganzen Stücks in den Mittelpunkt gerückt. Die Jugendlichen mussten die Texte und die Anordnung der schon gebauten Szenen lernen und gleichzeitig für Änderungen offen sein. Vielen ihrer eigenen Aussagen, die sie speziell in den Sommermonaten getätigt hatten, standen die Jugendlichen kritischer gegenüber und waren unzufrieden, diese im konkreten Stück wiederzufinden. Sie mussten lernen, dass diese Aussagen nicht mehr für sie persönlich standen und die Verwendung im Stück akzeptieren. Gefühle wurden zu einem wichtigen Bestandteil bei der Arbeit mit den Jugendlichen, Diskriminierungserfahrungen wurden ausgetauscht und Freundschaften gebildet. Weiters konnte eine aktive Teilnahme auch bei der Entwicklung des Stücks beobachtet werden – nicht nur bei der Produktion von Texten oder Szenen, sondern auch durch Einbringung von Ideen bezüglich Bühnenausstattung, Szenenabfolge oder Rollenmerkmalen.

Die politische Ebene des Stückes wurde im Laufe der Proben immer wichtiger und sichtbarer. Anfangs ging es vor allem um allgemeine Themen wie Berufswünsche oder Träume, im späteren Verlauf jedoch sollten Entwürfe für gesellschaftliche Systeme entwickelt werden, ohne Anspruch auf Verwirklichung und Realisierbarkeit. Anfangs waren die Jugendlichen damit überfordert und verstanden die Anliegen der Regie bezüglich Systemkritik oder gesellschaftlichen Utopien nicht. Die Gespräche fanden nur sehr beschränkt statt, Ideen wurden sofort wieder verworfen und das bestehende System nicht in Frage gestellt. Die Regie versuchte die Jugendlichen zu provozieren und sie zu fordern, um ihre Kreativität und Innovation anzukurbeln. Zentral war, Fantasien und Wünsche zuzulassen. Dabei wurde Verantwortung übertragen und ihnen klar gemacht, dass sie zur nächsten Generation gehören und die Macht haben, bestehende Strukturen zu verändern. Sie sollten sich selbst als Auserwählte sehen und überlegen, was sie gerne an der Gesellschaft ändern möchten.

Die heterogene Gruppe führte zu sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen und Bedürfnissen. Manche Jugendliche brauchten sprachliche Unterstützung, andere wiederum benötigten Hilfe bei körperlichen Übungen. Einige Inhalte wurden von manchen gar nicht verstanden und mussten extra erklärt werden. Die Eltern beziehungsweise allgemein das soziale Umfeld bedeutete Beistand und Ermunterung, für andere aber auch Hindernis und Beeinträchtigung. Manche Jugendlichen konnten mit dem Druck, der sich durch die Professionalität des Stücks ergab, besser umgehen als andere. Von den Jugendlichen wurde Veränderungskompetenz und Anpassungsfähigkeit verlangt.

Bei allen Jugendlichen konnte man einen Wandel zwischen Beginn und Ende der Probenzeit beobachten, bei manchen allerdings war die Veränderung stärker als bei anderen. Es entstanden viel seltener Momente, in denen sie peinlich berührt waren oder zu schüchtern waren, um Aufgaben der Regie auszuführen. Die Anspannung und der Druck nahmen zu und schon in den ersten Probenwochen kristallisierte sich immer stärker heraus, wer bei der Aufführung des Stücks tatsächlich dabei bleiben würde. Die teilnehmenden Jugendlichen reduzierten sich schlussendlich von neunzehn auf fünfzehn Spielende. Die genauen Gründe für die Beendigung der Teilnahme können aufgrund der Zusicherung von Anonymisierung nicht im Detail erläutert werden. Allerdings stellt der Ausfall der vier Jugendlichen einen weiteren wesentlichen Interpretationsraum der teilnehmenden Beobachtung dar. Insgesamt können folgende vier Punkte für die erfolgreiche und anhaltende Teilnahme am Theaterstück genannt werden: unterstützendes soziales Netzwerk, persönliches Durchhaltevermögen und Interesse an der Produktion sowie psychische beziehungsweise emotionale Stabilität.


2.3 Theaterwelterfahrung, Beziehungserfahrung, Selbsterfahrung – Jugendliche erzählen

Die Erfahrungen der Jugendlichen waren sehr vielschichtig, fanden auf der psychischen, physischen und sozialen Ebene statt und können in die Bereiche Theaterwelterfahrung, Beziehungserfahrung und Selbsterfahrung eingeordnet werden2. Verantwortungsübernahme, Vertrauen in sich selbst und andere, Selbsteinschätzung, unbekannte Herausforderungen und emotionale Offenheit waren einige der Aspekte, die durch die Theaterproduktion entwickelt und gefördert wurden. Bei einigen Erfahrungen standen der Körper und die leibliche Dimension im Vordergrund, bei anderen wiederum überwog die kognitiv-geistige Dimension. Bestimmte Erfahrungen wurden passiv erlebt, der Großteil jedoch aktiv und im Rahmen von klarer Partizipation und Mitgestaltung. Obwohl es teilweise auch anstrengende und schwierige Erfahrungen waren, ermöglichten sie Persönlichkeitsentwicklung und -wachstum. Es kam zu neuen Selbst- und Fremddeutungen, verstärkter Reflexion sowie kollektivem Bewusstsein und Zusammenhalt. Für die erfolgreiche Verankerung der positiven Erfahrungen waren alle vier Aspekte gegeben: die Erfahrungen wurden im jugendlichen Alter gemacht; sie waren von hoher Emotionalität und Intensität geprägt; die Häufigkeit war durch die lange Probenzeit und die immer wiederkehrenden Aufführungen gegeben; und die Erfahrungen waren mehrdimensional und vielfältig3.

Zentral war, dass die Jugendlichen ein Bewusstsein für sich selbst, sprich für die eigenen Kompetenzen, aber auch für die eigene soziale Situation und für die Gesellschaft entwickelten. Es kann zumindest aus unmittelbarer Sicht davon ausgegangen werden, dass die Jugendlichen durch die Teilnahme an der Theaterproduktion nicht nur psychologisch empowert, also psychisch bemächtigt wurden, sondern auch ein politisches Empowerment erfuhren. Die Perspektive von Empowerment, weg von den Defiziten hin zu den Ressourcen, war Sicht- und Herangehensweise der Theaterproduktion. Die Jugendlichen wurden als gestalterisch und selbstbestimmt wahrgenommen; ihre Biografie und ihre daraus resultierenden Einstellungen wurden als wichtig erachtet. Es wurden gemeinsam Kräfte entwickelt, Fähigkeiten bewusst gemacht und ein Raum ermöglicht, in dem Stärke und Solidarität erfahren wurde. Im Rahmen der Beobachtung, aber auch innerhalb der Interviews, wurden diese Erfahrungsräume genannt. Die Jugendlichen fühlten sich, wie vor allem durch die Interviews deutlich wurde, als soweit gestärkt, dass sie weiterhin im Theater arbeiten, sich sozial engagieren und politisch Position ergreifen möchten. Daher können die Erfahrungen der Jugendlichen als bemächtigend gesehen werden.

Die Jugendlichen konnten durch das Stück „Ausblick nach oben“ intensiv in die Theaterwelt eintauchen und Aspekte dieses Erfahrungsraums kennenlernen, ausprobieren und für ihre eigene Lebenswelt übernehmen. Konkret nannten die Jugendlichen dazu vor allem die präsente Haltung, die Stimmübungen für eine laute und deutliche Stimme und die Professionalität des Stücks. Sie betonten in den Interviews, dass es sich nicht um eine Schulaufführung oder einen Theaterworkshop für Kinder handelte, sondern um eine professionelle Produktion. Die Jugendlichen nannten in diesem Zusammenhang unter anderem den Druck und den Stress sowie die große Anstrengung, die nötig war, um dieses Stück zu erarbeiten und folglich aufführen zu können.

Die spezifische Arbeitsweise der Produktion, sprich die Selbsterarbeitung der Texte sowie die biografische Vorgehensweise, waren innerhalb der Interviews ebenso relevant. Die Jugendlichen empfanden die erste Phase sehr unterschiedlich. Für manche der Interviewten war es anstrengend und herausfordernd, da sie selbst den Text erst produzieren mussten und persönlich sehr gefordert wurden. Andere sahen dies als angenehme Gelegenheit sich auszutauschen und unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen. Durch die Heterogenität der Jugendlichen knüpften viele erstmalig Kontakt mit Personen aus komplett anderen sozialen Situationen. Dies führte zu einem regen Perspektivenaustausch und kurbelte reflexive Prozesse an. Die Jugendlichen sagten Folgendes dazu:

„Ja also ich wusste schon wenn man irgendwie einen Migrationshintergrund hat oder so ist es halt schwer in Österreich irgendwas jetzt irgendeine Arbeit zu finden oder Freunde unter Anführungszeichen zu finden und jetzt hab ich gesehen dass es tatsächlich noch ärger ist als ich mir das gedacht habe und auch den Grund warum manche nach Österreich gekommen sind hab ich jetzt vielleicht auch noch ein bisschen genauer gesehen als ich das vorher hatte.“ (Larcher 2016: 72)

„Ich hab noch nie vorher wirklich so richtig Kinder die okay ich sag das jetzt einmal banal Kinder die arm sind kennengelernt ich kannte das aus dem Fernsehen ich kannte das aber so richtig kennengelernt hab ich die noch nie also für mich war das schon sehr wichtig (…) wenn man sie näher kennenlernt und (…) wenn man mit ihnen über die Gesellschaft von heutzutage redet haben die einen ganz anderen Zugang dazu (…).“ (ebd.: 73)

„Früher hab ich nie über so was eigentlich nachgedacht (…) ich meine manche jetzt in der Gruppe hab ich mir gedacht so oh mein Gott so dass man halt schon so jung ist und schon so gut drüber reden kann über solche Sachen das fand ich schon sehr faszinierend.“ (ebd.)

„Also ich hatte jetzt nicht das Gefühl das es so was wie Status gibt (…) aber man hat schon gemerkt wenn man dann so privat wurde weil man irgendwie gemeinsam zur U-Bahn geht oder was auch immer man halt macht dass wenn erzählt wird dann merkt man Unterschiede aber ich hatte nicht das Gefühl dass untereinander ein Unterschied gemacht wurde (…) da hatte ich ja Anfangs ein bisschen Angst dass man anfängt sich ein bisschen zu besticheln und so weil es ja Kinder gibt die aus Familien kommen wo irgendwie alles ein bisschen sicherer ist als in anderen da habe ich mir am Anfang so gedacht uh aber das ist nicht passiert und darüber bin ich sehr froh.“ (ebd.)

Die intensive Arbeit in der Gruppe bedeutete für jede einzelne Person das Kennenlernen von unterschiedlichen Perspektiven und Einstellungen. Die Jugendlichen mussten sich auf Personen einlassen, die ein anderes Alter hatten, ein anderes Geschlecht, eine andere nationale Zugehörigkeit, andere Sprachkenntnisse sowie andere Vorstellungen von der Welt, von Ängsten oder Zukunftswünschen. Das gegenseitige Inspirieren war ein wesentlicher Aspekt davon, Utopien zu entwickeln und ein Skript zu erarbeiten. Verantwortung wurde übernommen, nicht nur für das Theaterstück, sondern auch für die Gruppe und für sich selbst.

Ein ganz zentraler Aspekt der Selbsterfahrungen war das neu entstandene politische Bewusstsein, das viele der Jugendlichen von sich aus immer wieder während der Interviews thematisierten. Es entstand ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderbarkeit. Viele der Jugendlichen wurden das erste Mal dazu ermutigt, sich über Politik oder Wirtschaft Gedanken zu machen und diese Systeme anzuzweifeln. Die Wichtigkeit dessen wurde vor allem dadurch transportiert, dass sie über ihre eigene, ganz spezifische Situation reflektierten. Wie anhand der Aussagen veranschaulicht, nahmen sich die Jugendlichen einerseits als selbstwirksam wahr, andererseits erlebten sie die sozialen Strukturen und Verhältnisse, denen sie tagtäglich ausgesetzt sind, als veränderbar. Eine interviewte Person beschrieb diese Wahrnehmung auch als gewissen Druck, vor allem im Hinblick darauf, ihre persönliche Situation verändern zu müssen.

„Also das Stück an sich also die Themen also die wir da auch besprechen mit Armut und so (…) das Leben ist gar nicht so schön wie ich gedacht habe und jetzt hab ich halt immer mehr angefangen halt drüber nachzudenken weil früher wo wir angefangen haben mit dem Stück und so hab ich immer gedacht ja passt alles ist okay wo wir dann über diese Themen geredet haben gings mir schon sehr nah (…) weil es mich selber auch betrifft und ja halt wo wir dann mit diesem also dass man den sozialen Status der Eltern vererbt das kann bei mir wirklich sehr leicht passieren ich hab auch nachgedacht und mir gesagt wenn ich das nicht schaffe dann passiert mir genau dasselbe jetzt fang ich halt an mich noch mehr anzustrengen weil wenn ich es nicht schaffe dann passiert mir auch das gleiche.“ (ebd.: 71)

„Während dem Stück hab ich also hab ich mich zum ersten Mal angefangen für Politik zu interessieren (…) und dann dieses zusammen neue Sachen entwickeln war für mich schon auch toll ich wusste nichts über solche Dinge bedingungsloses Grundeinkommen hatte ich noch nie gehört ich hab mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen können so dass unser System grundsätzlich also die ganze Basis unseres Systems weg und was völlig Neues zu kreieren daran hab ich noch nie gedacht gehabt (…).“ (ebd.: 80)

„Weil wenn ich jetzt mir keine Gedanken über so was mache und später kommt mal etwas so auf mich zu dann denk ich mir so ach Mist ich hab eigentlich noch nie richtig drüber nachgedacht was mach ich jetzt man muss sich halt schon vorher Gedanken machen was passiert (…).“ (ebd.)

Nicht nur die Inhalte und die Arbeitsweise des Theaterstücks wurden als politisch wahrgenommen, sondern auch die Zusammensetzung der spielenden Jugendlichen. Für eine interviewte Person war zentral, dass es sich um Menschen handelte, die Erfahrungen von Benachteiligung, Exklusion und Zukunftsängsten gemacht hatten. Durch diese Perspektiven konnten vor allem Themen wie Chancenungleichheit behandelt werden. Doch nicht nur der soziale Hintergrund, sondern auch die Tatsache, dass es sich um Jugendliche handelte, wurde in den Interviews angesprochen. Die Interviewten fanden vor allem die Möglichkeit gut, Kindern und jungen Erwachsenen eine Stimme zu geben und eine Bühne anzubieten, auf der sie ihre Meinung darstellen konnten.

„Weil ich bin erst 14 und die sagen ja ah die hat nicht genug Lebenserfahrung und die weiß doch nicht wie das echte Leben ist ihre Probleme sind ja gar keine echten Probleme (…) die weiß nicht wie das echte Leben ist aber ich weiß wie es ist ich bin ja sozusagen so aufgewachsen und ich weiß wie es ist in Armut aufzuwachsen ich weiß wie es ist kein Geld zu haben (…) und dann denken sich die meisten aber die ist eh 14 die sind alle gleich die haben nix anderes im Kopf (…).“ (ebd.: 81)

„Naja ich find es super einmal Kinder nach ihrer Meinung zu fragen das ist etwas was generell viel zu wenig passiert die Leute [sagen] ja Jugendliche nein rauchen trinken nein die die nehmen wir nicht die vergessen wir vor allem Jugendliche aus armen Verhältnissen noch schlimmer junge Kriminelle das ist so die Haltung und die dann zu fragen was sie von unserer Gesellschaft halten macht schon etwas mit einem also es ist schon wichtig finde ich dass sich das mal so zu überlegen und auch für Erwachsene zu wissen ja die sind nicht blind und die sind nicht taub die haben auch einen Kopf zum Denken ja.“ (ebd.: 82).

Diese besondere Stellung im Stück wirkte sich auf verschiedensten Ebenen aus und brachte als Resultat Jugendliche hervor, die partizipieren, sich politisch interessieren und stolz darauf sind, Erwachsenen etwas Wichtiges erzählen zu können.


3. Fazit

Trotz ihrer relevanten Meinungen, Perspektiven und Erfahrungen werden Jugendliche allgemein nur selten als wichtig wahrgenommen und in politische Prozesse eingebunden. Durch die Besonderheit der theatralen Feldforschung und der Selbsterarbeitung des Theaterskripts waren die Jugendlichen bei „Ausblick nach oben“ aktiv daran beteiligt, ein Stück über ihre eigene, ganz besondere jugendliche Sichtweise zu produzieren. Dabei fanden politische, gesellschaftskritische und reflexive Prozesse statt, bei denen die Jugendlichen zentrale und starke AkteurInnen waren.

In Bezug auf die theoretischen Überlegungen gab es viele Überschneidungen und Verbindungen. Die Jugendlichen wurden in ihrer Verantwortlichkeit erkannt und als eigenständige Menschen ernst genommen. Außerdem nahmen sie kreative und gestalterische Positionen ein. Es wurde mit Bewegung und Ausdruck gearbeitet und Selbstbestimmung stand im Fokus. Wie Robinson und Taft (vgl. Lloyd 2008: 54-59) formulieren, standen das Hier und Jetzt und der freie Wille im Mittelpunkt. Es ging um unmittelbar präsentierte Probleme, im Fall des Theaterstücks um Visionen, Träume, Ängste, und nicht um die komplette bisherige Lebensgeschichte. Durch Erfahrungen wurde gelernt und mitbestimmt. Folglich können auch Verbindungen zu Dewey (vgl. Oelkers/Dewey 2011) gezogen werden. Die individuelle und gesellschaftliche Weiterentwicklung war eines der Resultate und die Jugendlichen wurden gefordert, ein Bewusstsein von Gesellschaft, Demokratie und Politik zu etablieren. Pauls (2013) betont Emotionen, das eigene Erleben und die Selbstentfaltung in der Erfahrungsorientierung. Diese drei Aspekte waren Teil der Erfahrungen der Jugendlichen. Auch Pauls (2013) Leitlinien der erfahrungsorientierten psychosozialen Praxis, wie emotionale Offenheit, Selbstwertschätzung und Verantwortungsübernahme, waren wesentliche Bestandteile des ausgewerteten Materials.

Theater, welches, wie „Ausblick nach oben“, biografisch, partizipatorisch sowie bemächtigend wirkt und zusätzlich benachteiligten Gruppen und Einzelpersonen eine politische Stimmte gibt, ist methodisch für die Soziale Arbeit relevant. Durch unterschiedliche Art und Weise wurden Bewusstseinsprozesse angekurbelt, die Selbsteinschätzung, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl initiierten oder verstärkten und einen kollektiven Zusammenhalt förderten. Wie auch Marx schon 1847 formulierte, ist ein Bewusstsein „für sich“ notwendig, um sich als Einheit zu fühlen, die fähig ist, politisch zu handeln. Nur durch solch ein Bewusstsein wird die gemeinsame Lage konkret wahrgenommen und die Möglichkeit geschaffen, gemeinsam zu handeln, zu kämpfen und zu erfahren. (vgl. Marx 1972) Jugendliche sind mit Homogenisierungstendenzen, Separation und sozialer Ungleichheit konfrontiert. Resultat sind in sich homogene Jugendgruppen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Dadurch wird ein starkes, gemeinsames Bewusstsein der benachteiligten Situation verhindert, welches jedoch für politisches Empowerment und Veränderungsmotivation wesentlich ist. Wie in der theoretischen Erläuterung zu Empowerment aufgezeigt, steht die politisch-kollektive Ebene in enger Wechselwirkung mit der psychologischen und ist für eine gelingende Lebensführung von Bedeutung. Dies ist für die durchgeführte Untersuchung relevant, denn es kann auch beim Theaterstück von einer Wechselwirkung zwischen politischem und psychologischem Empowerment ausgegangen werden.

In einem Artikel der Wiener Zeitung bezeichnet Paterno (2016) „Ausblick nach oben“ neben anderen Theaterproduktionen als neue Kunstform, welche sich sozial und politisch engagiert. Theater ist hierbei viel mehr als nur Kunst, es beinhaltet sozialarbeiterische und dokumentarische Methoden.

„International sind diese Formen des politischen Theaters im Vormarsch und verändern die Theaterlandschaft nachhaltig. Schon spricht man in den Geisteswissenschaften von einem ’social turn’. Im angloamerikanischen Raum, der mit der Tradition der Community Arts Center eine Vorreiterrolle einnimmt, hat sich der Sammelbegriff ’applied theatre’, angewandtes Theater, etabliert für Projekte mit explizit politischer, pädagogischer oder therapeutischer Intention.“ (Paterno 2016: 1)

Die Tatsache, dass sich Theater vermehrt mit Sozialer Arbeit verbindet, bedeutet eine zukünftig anwachsende theaterwissenschaftliche Beschäftigung, die laut Paterno vor allem im angloamerikanischen Raum schon begonnen hat. Umgekehrt verlangt dies ebenfalls von der Sozialen Arbeit eine Auseinandersetzung mit der ästhetischen Praxis und den Möglichkeiten einer Verbindung und Integration von künstlerischen und theaterpädagogischen Vorgehensweisen. Gerade wie auch von der Jugendkulturarbeit betont, ist vor allem bei Jugendlichen die Verknüpfung von kultureller und sozialarbeiterischer Herangehensweise sinnvoll.

Mit dieser Masterarbeit wurde ein partizipatives Theaterprojekt mit Jugendlichen ethnografisch untersucht. Für eine weiterführende Untersuchung wäre es relevant, die Jugendlichen auch künftig wissenschaftlich zu begleiten, um eine längerfristige Perspektive zu skizzieren. Es wäre wichtig, die Erziehungsberechtigten und das nahe soziale Umfeld der Jugendlichen in den Blick zu nehmen, eventuell Gruppendiskussionen zu veranstalten oder auch eine quantitative Erhebung zu bestimmten Aspekten durchzuführen. Notwendig wären weiters zusätzliche Forschungsprojekte, in denen Jugendliche aktiv zu Wort kommen und von ihren Bedürfnissen erzählen. Ein allgemeiner Paradigmenwechsel ist wünschenswert, sodass Jugendliche ernst genommen werden und ihr Potenzial erkannt wird.


Verweise
1 Herriger (2014) nennt hierbei die Studie von Zimmermann et al. aus dem Jahre 1990, bei der eine starke Verbindung zwischen bürgerschaftlichem Engagement und Erfahrungen von personaler und kollektiver Stärke nachgewiesen wurden. Für die AutorInnen der Studie wirkte sich die aktive Teilhabe an einer Gemeinschaft positiv auf die individuellen Kräfte und Kompetenzen aus, da ein kritisch-analytisches Verständnis von gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen, Wissen um bestehende individuelle und kollektive Ressourcen, positive Selbstwerterfahrungen, Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit und die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen, entstehen konnten. Konsequenzen davon waren unter anderem eine Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens, der psychischen Befindlichkeit und des sozialen Netzwerks. (vgl. Zimmermann et al. 1990, zit. nach Herriger 2014: 207-208)
2 Diese Einteilung orientierte sich an den Problemerfahrungsfeldern von Sander (1999).
3 Diese Definition ist bezogen auf Morasch 2013: 122.


Literatur

Adams, Robert (2008): Empowerment, Participation and Social Work. 4. Auflage, London: Pagrave Macmillian.

Andresen, Sabine (2005): Einführung in die Jugendforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Aslan, Bünyamin / Sass, Erich (2013): Kinder- und Jugendarbeit in kulturellen Einrichtungen und Initiativen. In: Borrmann, Stefan / Rauschenbach, Thomas (Hg.): Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendarbeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 238-262.

Böhnisch, Lothar (2008): Lebenslage Jugend, sozialer Wandel und Partizipation von Jugendlichen. In: Ködelpeter, Thomas / Nitschke, Ulrich (Hg.): Jugendliche planen und gestalten Lebenswelten. Partizipation als Antwort auf den gesellschaftlichen Wandel. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 25-41.

Buchkremer, Hansjosef (Hg.) (2009): Handbuch Sozialpädagogik. Ein Leitfaden in der sozialen Arbeit. 3. Auflage, Darmstadt: WBG.

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Über die Autorin

Anna Larcher, MA
anna.larcher@gmx.at

studierte Soziologie und klinische Soziale Arbeit, ist derzeit als Tanzlehrerin sowie als Freiwilligenkoordinatorin bei Flüchtlinge Willkommen tätig. Schwerpunkte sind Gender, Flucht & Migration sowie qualitative Sozialforschung.