soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 16 (2016) / Rubrik "Rezensionen" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/492/874.pdf


Gratz, Wolfgang (2016): Das Management der Flüchtlingskrise. Never let a good crises go to waste. Wien/Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag.


221 Seiten / EUR 29,80

„Never let a good crises go to waste!“ Winston Churchill, dem dieser Satz zugeschrieben wird, meinte damit, dass es sich jedenfalls lohnt, aus Krisen zu lernen – auch dann, wenn sie nicht gut gemanagt wurden und/oder nicht gut ausgegangen sind. Es lohnt sich – so Churchill – jedenfalls, über Krisen und deren Management auch im Nachhinein nachzudenken, oder anders gesagt wissenschaftlich zu reflektieren.

Wolfgang Gratz legt im jüngst erschienenen Buch eine sozialwissenschaftliche Untersuchung der Flüchtlingskrise und ihres Managements vor – so schnell kann Forschung abgewickelt werden, wenn sie gut organisiert ist! Die Initiative dazu kam aus dem „Führungsforum Innovative Verwaltung“. Interviewt wurden 41 Personen, die im Krisenmanagement auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen tätig waren und sind, sowie 52 TeilnehmerInnen von drei Workshops, die zum Thema organisiert wurden. Die Grundlage der Forschung bildeten narrative Interviews, die nach den Grundsätzen der Grounded Theory ausgewertet wurden. Theoretischer Hintergrund der Forschung ist eine Theorie des Managements „ultrakomplexer Krisen“, wie wir sie aus verschiedenen Bereichen der Sozialarbeit kennen. Unter anderem wurden folgende Forschungsfragen behandelt:

Wie wird die aktuelle bzw. kurz zurückliegende Praxis im Hinblick auf Kommunikation, Kooperation, Entscheidungsprozesse und operatives Vorgehen von den AkteurInnen des öffentlichen Sektors und von ExpertInnen in der Bewältigung von Krisen erlebt?

Wie gestalten sich Kooperationen des öffentlichen Sektors mit NGOs und AkteurInnen der Zivilgesellschaft?

Was sind Erfolgsfaktoren in der Krisenarbeit?

Wo wird welcher Entwicklungsbedarf gesehen?

Der Forschungsbericht ist übersichtlich und verständlich gegliedert: nach einer Einleitung in die Studie selbst und in ihre Grundlagen sowie in die Vorgeschichte der keineswegs unerwartbaren Flüchtlingskrise (Kap. 1), werden ihre Schauplätze gegliedert in die Transitsphäre und die Sphäre von Grundversorgung und Asylwesen (Kap. 2), eine Darstellung der handelnden Personen (Kap. 3), die von den Interviewten angeführten Themenbereiche wie Rolle der Politik, Verhältnis Bund-Länder, Führung, „pluraler“ Sektor (Kap. 4) und zuletzt das Management „ultrakomplexer Krisen“ (Kap. 5) behandelt. Viele Kapitel werden mit einer übersichtlichen Zusammenfassung abgeschlossen, was das Lesen nicht nur erleichtert, sondern vergnüglich macht, weil man zwischen den Perspektiven konkreter Aussagen der interviewten Personen einerseits und ihrer Bearbeitung durch den Forscher andrerseits ohne große Anstrengung hin- und her wechseln kann.

Es zeigt sich gut belegt, dass die Flüchtlingskrise nicht unerwartet entstand und das Unerwartete nicht immer gut gemanagt wurde. Der theoretische Bezug zu Karl Weicks Klassiker „Das Unerwartete managen“ steht im Hintergrund von Empirie und Theorie.

Im abschließenden 5. Kapitel werden die Forschungsergebnisse einerseits detailliert und anderseits pointiert zusammengefasst: in der Flüchtlingskrise zeigte sich die Krise der Politik, die sich in der Hauptsache als „politics“, als politische Kleingeldfuchserei zur Machtakkumulation versteht, deutlich sichtbar: analytische Schwächen, Entscheidungsschwächen, Führungsschwächen, Kooperationsdefizite usw. hervorgerufen durch Überregulierung einerseits und strukturelle Diffusionen („Föderalismus-Falle“) andrerseits. Diese sind die Ursachen dafür, dass in vergleichbaren Ländern mit der Flüchtlingskrise erfolgreicher umgegangen werden konnte. Es zeigte sich weiters ein Mangel an politischer Leadership und Unklarheiten in den Strukturen des „Followership“: der Wunsch der herrschenden Eliten nach mehr Untertanenmentalität, der im politischen Alltag Österreichs stets diffus präsent ist, wurde im Zuge der Flüchtlingskrise in vielen Punkten überdeutlich und verstärkte den Wunsch von Teilen der Bevölkerung nach dem „starken Mann“. Von vielen führenden Köpfen der öffentlichen Verwaltung wird nach Strukturen gerufen, in denen die Beteiligten auf Augenhöhe lösungsorientiert zusammenarbeiten können. Erfreulicher hingegen das Agieren der Organisationen aus dem „pluralen Sektor“, aus dem heraus sich an manchen Orten sehr schnell erfolgreiche Hilfestrukturen entwickelt haben. Die Konflikte zwischen Vertretern des öffentlichen Sektors und des pluralen Sektors sind Symptome eines nach wie vor wenig ausgeprägten demokratischen Verständnisses von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und deren Zusammenwirken. Im Vordergrund standen gar nicht selten – so die interviewten Personen – das Austragen von sinnlosen Wettbewerben und bisweilen „ridiküles“ Dominanzstreben. Zuletzt stand ein beschämender medialer Wettbewerb: wer den Flüchtlingen am wenigsten zu geben bereit ist, sei der Sieger. Die Kommunikation über das Internet und den „sozialen“ Medien führte zur Entwicklung von Parallelwelten, die mit den realen Vorgängen im Transit und in der Integration wenig zu tun haben.

Dieses Buch ist allen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, sowohl den Praxis-, wie den Organisations- und TheorieexpertInnen, ans Herz gelegt, die im Bereich der Sozialarbeit mit Menschen auf der Flucht arbeiten: es zeigt neben den Fallen auch die Möglichkeiten „guter“, an den Bedürfnissen der KlientInnen orientierter Sozialarbeit auf. Es gibt ausreichend Ressourcen in finanzieller, organisatorischer und konzeptiver Hinsicht. Und es zeigt einerseits, wovor sich die Sozialarbeit auch in diesem Handlungsfeld u. a. hüten soll: vor sinnlosem Wettbewerb. Und andererseits zeigt sich auf der Grundlage der Forschung, dass es in den öffentlichen, privaten und pluralen Sektoren der österreichischen Gesellschaft genügend Ressourcen gibt, die Flüchtlingskrise erfolgreich zu meistern.



Klaus Posch / Klaus.Posch@fh-joanneum.at