soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 17 (2017) / Rubrik "News" / Redaktion soziales_kapital


Verleihung:

1. Wissenschaftspreis für Soziale Arbeit 2016/17

27.3.2017, im Rahmen der OGSA-Tagung an der FH St. Pölten



PreisträgerInnen des Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/2017
Die PreisträgerInnen des Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/2017: v.l.n.r. Waltraud Grillitsch, Gertraud Pantucek, Mark Diebäcker, Tina Füchslbauer, Marie-Therese Sagl, Michaela Moser, Michael Wrentschur, Iris Kohlfürst; nicht am Foto: Theresa Wagner
(Foto: FH St. Pölten | Alice Thörisch)


Der Wissenschaftspreis wurde 2016 erstmals vom Online-Journal soziales_kapital ausgeschrieben. Es wurden österreichweit Bachelor- und Master-Arbeiten sowie Dissertationen mit Sozialarbeitsbezug eingereicht. Die Jury – bestehend aus den FH-ProfessorInnen Waltraud Grillitsch, Marc Diebäcker und Gertraud Pantucek – prämierte die besten Arbeiten mit Preisen in der Gesamthöhe von € 3500.-.

Zusätzlich wurde auch ein von Michaela Moser und Michael Wrentschur publizierter Beitrag zum Empowerment von benachteiligten Jugendlichen geehrt.

„Die Idee des Wissenschaftspreises ist, dass damit aktuell beforschte Themen des Sozialbereichs sichtbar und exzellent gelungene Arbeiten vorgestellt werden. Damit wird eingeladen, Erkenntnisse aus diesen Arbeiten als Inspiration für weitere Forschungsprojekte zu nutzen und in die Ausbildung von SozialarbeiterInnen bzw. in den Diskurs der Sozialarbeitswissenschaft einfließen zu lassen.“, so Gertraud Pantucek.


Die GewinnerInnen des Wissenschaftspreises 2017 im Überblick

Bachelorarbeit
Theresa Wagner, BA:
„Effekte von kurzen Jugendhaftstrafen aus Sicht der biopsychosozialen Theorie“

Masterarbeit
DASin. Tina Füchslbauer MA:
„Über die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Ein- und Ausschlüsse in der Migrantinnen*beratung und Möglichkeiten feministischen und rassismuskritischen Arbeitens“

Publikation zu Sozialer Arbeit/Fachbeitrag
Michael Wrentschur und Michaela Moser:
„‘Stop: Now we are speaking!’ A creative and dissident approach of empowering disadvantaged young people“
Publiziert in International Social Work 2014, Vol. 57(4) 398–410.

Dissertationen
Dipl.Soz.Päd.in (FH) Mag.a Dr.in Iris Kohlfürst:
„Die moralische Landschaft der Sozialen Arbeit – eine empirische Analyse der Umsetzung von Werten und Normen im beruflichen Alltag“

Mag.a Dr.in Marie-Therese Sagl:
„Soziale Nachhaltigkeit und architektonische Gestaltung. Eine Analyse zum Einfluss baulicher Strukturen auf soziale Ressourcen im Wohnbau am Beispiel von sieben Grazer Stadtquartieren“



Begründungen der Jury


Begründung der Jury zur Verleihung des Österreichischen Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/17 in der Kategorie „Bachelorarbeiten“ an

Theresa Wagner, BA

„Effekte von kurzen Jugendhaftstrafen aus Sicht der biopsychosozialen Theorie“

(verfasst im Bachelorstudium „Soziale Arbeit“ am Management Center Innsbruck)

Die Bachelorarbeit setzt sich aus einer systemischen Perspektive mit Jugendkriminalität auseinander und diskutiert Vor- und Nachteile von kurzen Jugendhaftstrafen. Mittels der biopsychosozialen Theorie von Werner Obrecht wird eine ganzheitliche und bedürfnisorientierte Analyseperspektive entwickelt und ein breiter Korpus an Fachliteratur diskutiert, um begründete Antworten auf die Frage nach Effekten von kurzen Jugendhaftstrafen auf die Jugendlichen zu finden. Mit dieser bedürfnistheoretischen Perspektive Sozialer Arbeit diskutiert Theresa Wagner die Effekte von kurzen Jugendhaftstrafen auf einer Wahrnehmungs-, Handlungs-, Interaktions- und Positionsebene. Sie resümiert u.a., dass der Verlust der sozialen Außenwelt die Bedürfnisbefriedigung nach emotionaler Zuwendung, Zugehörigkeit, Identität und sozialer Anerkennung einschränkt und dass „Machtstrukturen, Tabuisierungen und Irritationen, denen Jugendliche in Justizanstalten ausgesetzt sind“, die Autonomie- und Persönlichkeitsentwicklung sowie das Bewältigen der Lebenssituation nach der Entlassung stark beeinträchtigen.

Die Bachelorarbeit leistet damit einen professionstheoretisch spannenden Beitrag, der deutlich macht, dass kurze Haftstrafen nicht nur den Strafzweck verfehlen, sondern sich schädigend auf die Lebenssituation der Jugendlichen auswirken – das Konzept der Jugendhaftstrafen als „Resozialisierungsmodell“ also fehlgeleitet ist. Mit der Reflexion des Konzepts des Restorative Justice arbeitet die Autorin zudem eine Alternative zur Inhaftierung von Jugendlichen aus, die wesentlich bessere Voraussetzungen für die Bedürfnisbefriedigung und die Bearbeitung sozialer Probleme bietet.


Begründung der Jury zur Verleihung des Österreichischen Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/17 in der Kategorie „Masterarbeiten“ an

DSAin Tina Füchslbauer MA

„Über die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Ein- und Ausschlüsse in der Migrantinnen*beratung und Möglichkeiten feministischen und rassismuskritischen Arbeitens“

(Verfasst in der Studienrichtung Gender Studies der Universität Wien)

Die Masterarbeit fokussiert auf die Verbindung von feministischen und antirassistischen Ansätzen in der Sozialen Arbeit, was in theoretischer und empirischer Hinsicht gegenwärtig eine Forschungslücke im deutschsprachigen Raum darstellt. In ihrer theoretischen Analyse arbeitet die Autorin aus einer intersektionalen und postkolonialen Perspektive Spannungsverhältnisse und Wechselbeziehungen zwischen Sozialer Arbeit, struktureller Unterdrückung und Diskriminierung auf und entwickelt eine kritische, feministisch-antirassistische Analysefolie für den Kontext der Migrant*innenberatung. Die empirische Erhebung beruht auf fünf qualitativen Interviews mit Expertinnen*, die in Wiener Frauen*- und/oder Mädchenberatungsstellen* arbeiten und in diesem Setting Migrantinnen* beraten.

In ihrer Masterarbeit entwickelt Tina Füchslbauer auf eindrucksvolle Weise eine feministisch-antirassistische Analyseperspektive, die für die beratende Praxis mit Migrant*innen in der Sozialen Arbeit ein kritisch-reflexives Angebot darstellt. Das Forschungsvorhaben ist sowohl für eine wissenschaftliche als auch für eine professionelle Praxis Sozialer Arbeit in hohem Maße produktiv, um das Beteiligtsein in der (Re)Produktion von Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausschlüssen in der Migrationsgesellschaft zu reflektieren und rassismuskritische Handlungsstrategien zu entwickeln. Die empirischen Ergebnisse zeigen beispielsweise, dass Sozialarbeiter*innen in ihrer Haltung einen hohen Solidarisierungsgrad mit Rassismusbetroffenen ausdrücken, zugleich Migrantinnen* dennoch vielfach als die „Anderen“ dargestellt werden und dies auf othering-Prozessen beruht.


Begründung der Jury zur Verleihung des Österreichischen Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/17 in der Kategorie „Besondere Beiträge wissenschaftlicher Forschung“ an

Mag. Dr. Michael Wrentschur und FH-Prof.in Mag.a Dr.in Michaela Moser

„‘Stop: Now we are speaking!’ A creative and dissident approach of empowering disadvantaged young people“

(Publiziert in International Social Work 2014, Vol. 57(4), 398-410)

Der Fachartikel „‘Stop: Now we are speaking!’ A creative and dissident approach of empowering disadvantaged young people“ präsentiert und reflektiert die Ergebnisse eines partizipatorischen Projekts, das die persönlichen Benachteiligungssituationen von jungen Leuten sowie die strukturellen sozio-ökonomischen und politischen Hintergründe in den Mittelpunkt rückt. Das Vorhaben verfolgte einen multimethodischen Ansatz und kombinierte partizipative Theatermethoden, selbstreflexive und freizeitpädagogische Aktivitäten, sozialarbeiterische Begleitung bei persönlichen Entwicklungsplänen und die kollektivierende Suche nach politischen Alternativen, um sowohl die Lebensqualität der Beteiligten zu verbessern, als auch konkrete politische Veränderungen zu erzielen.

Die Publikation von Michael Wrentschur und Michaela Moser stellt mit dem angewandt-partizipatorischen Zugang, der sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Begleitung sowie der Förderung politischer Handlungsfähigkeit der Teilnehmer*innen einen innovativen Beitrag für die Profession Sozialer Arbeit dar. Das transdisziplinäre Vorhaben zeigt eindrucksvoll wie ein methodisch komplexer Befähigungsansatz mit sozialpolitischer Innovation verbunden werden kann, ohne die Spannungen zwischen Normalisierungsanforderungen, sozialen Unterstützungsleistungen und institutioneller bzw. struktureller Benachteiligung aus dem Blick zu verlieren.


Begründung der Jury zur Verleihung des Österreichischen Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/17 in der Kategorie „Dissertationen“ an

Dipl. Soz. Päd.in (FH) Mag.a Dr.in Iris Kohlfürst für

„Die moralische Landschaft der Sozialen Arbeit – eine empirische Analyse der Umsetzung von Werten und Normen im beruflichen Alltag“

(Verfasst am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Johannes Kepler Universität Linz)

Die Dissertation setzt sich mit der Anwendung des Internationalen Ethikkodexes für Soziale Arbeit in der Handlungspraxis von Sozialarbeitenden in Österreich auseinander. Neben den Erläuterungen zum theoretischen Bezugsrahmen zeichnet sich die Arbeit von Iris Kohlfürst durch eine breite empirische Analyse aus. So wurde eine Vorerhebung (n=30), eine schriftliche Befragung (n=380) und eine Expert*innenbefragung (n=17) mit Sozialarbeitenden miteinander kombiniert, um eine breite Datenbasis zu generieren. Die beiden erstgenannten Daten wurden im Rahmen eines dreisemestrigen studentischen Forschungsprojekts mit Studierenden der Sozialen Arbeit erhoben.

Aufgrund begrenzter empirischer Daten im deutschsprachigen Raum zu Professionsethik und Umsetzung des internationalen Ethikkodexes im beruflichen Alltag von Sozialarbeitenden leistet Iris Kohlfürst mit ihrer Dissertation einen wichtigen Anstoß zur Debatte um normative Orientierungen und Positionen im Feld Sozialer Arbeit. Sie kommt zum Schluss, dass der internationale Ethikkodex als „Professionsmoral“ im weiten Feld der Sozialen Arbeit unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt wird sowie Verstöße gegen diesen „Bestandteil des sozialarbeiterischen Alltags“ sind. Dies verortet die Autorin im Spannungsfeld zwischen individuellen Wertorientierungen sowie äußeren Rahmenbedingungen, die sie modellhaft über die Kategorien Wissen, Wollen, Können und Müssen reflektiert. Damit stellt Iris Kohlfürst einen theoretischen Rahmen zur Verfügung, mit dem situative Dilemmata in der Sozialen Arbeit besser reflektier- und diskutierbar werden.


Begründung der Jury zur Verleihung des Österreichischen Wissenschaftspreises für Soziale Arbeit 2016/17 in der Kategorie „Dissertationen“ an

Mag.a Dr.in Marie-Therese Sagl

„Soziale Nachhaltigkeit und architektonische Gestaltung. Eine Analyse zum Einfluss baulicher Strukturen auf soziale Ressourcen im Wohnbau am Beispiel von sieben Grazer Stadtquartieren“

(Verfasst am Institut für Soziologie der Karl-Franzens Universität Graz)

Die Dissertation setzt sich an der Schnittstelle von Architektur, Soziologie und Sozialer Arbeit mit dem Zusammenhang zwischen gebauter Umwelt und sozialem Verhalten auseinander. Die Autorin verbindet ihr theoretisches Erkenntnisinteresse mit einer aufwendigen empirischen Erhebung in sieben städtischen Siedlungen in Graz, indem sie eine quantitative Bewohner*innenbefragung (n=339) mit qualitativen Expert*inneninterviews (n=17) verbindet. Die Forschungsarbeit liefert eine theoretische Auseinandersetzung zu stadt-, raum- und architektursoziologischen Zugängen, sozialer Nachhaltigkeit und sozialen Ressourcen. Zugleich stellt die Forschungsarbeit anwendungsorientiertes Wissen bereit, um Konflikte bzw. Probleme im sozialen Gefüge, die im Wechselverhältnis zwischen gebautem und gelebtem Raum ihre Ursachen haben, verstehen zu können.

Mit Blick auf eine sozialraum- bzw. gemeinwesenorientierte Soziale Arbeit stellt die Dissertation eine bemerkenswerte disziplinäre Erweiterung dar. Insbesondere architektursoziologische Fragestellungen finden gegenwärtig kaum Berücksichtigung im sozialarbeiterischen Fachdiskurs. Für die professionelle Handlungsebene Sozialer Arbeit oder eine reflexive Praxis wohnraumpolitischer Akteur*innen stellen die anwendungsorientierten Ergebnisse und Empfehlungen zur Förderung sozialer Nachhaltigkeit im Quartier interessante Anregungen bereit. Aus ihren umfassenden Ergebnissen leitet Marie-Therese Sagl sechs zentrale Leitsätze ab, die für eine transdisziplinäre Auseinandersetzung mit sozialraumorientierter Sozialer Arbeit in Österreich in hohem Maße produktiv sind.



Für die Jury:

FH-Prof. Dipl.-Soz.-Wiss. Dr. Marc Diebäcker
FH-Prof.in MMag.a Dr.in Waltraud Grillitsch und
FH-Prof.in DSAin Mag.a Dr.in Gertraud Pantucek

St. Pölten, 27.03.2017