soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 18 (2017) / Rubrik "Thema" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/529/953.pdf
Anna Riegler & Klaus Posch:
1. Was bedeutet „Anerkennung“?
Die Theorie der Anerkennung, wie sie Axel Honneth (vgl. 1994, 2010, 2011) entwickelt hat, besagt in groben Zügen folgendes:
Dem steht gegenüber, was die neuesten Ergebnisse der Studie der UNESCO zur Kinderarmut in 41 Industrienationen (EU und OECD) zu Tage gebracht haben (vgl. dazu und im Weiteren: APA 2017a). Diese lassen darauf schließen, dass Kinder auch in reichen Industrienationen wie Österreich in Verhältnissen leben, die in der Theorie Honneths (1994) als „missachtende Verhältnisse“ bezeichnet werden:
Das Leben in prekären Verhältnissen der Armut bzw. Armutsgefährdung korrespondiert unmittelbar mit Aspekten einer gerechten Chance auf Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der Anspruch an die Kinder- und Jugendhilfe wäre, diese Möglichkeiten auf gerechtere Entwicklungschancen im Sinne der Gewährleistung des Kindeswohls subsidiär zur Verfügung zu stellen.
Ausgehend von diesen eher skizzenhaften Anmerkungen stellen wir im Folgenden einen Analyserahmen vor, der es ermöglichen soll, Anerkennung und Missachtung in der Kinder- und Jugendhilfe angelehnt an die Anerkennungstheorie Honneths zu erkennen:
In diesem theoretischen Rahmen können Dynamiken der Anerkennung und Missachtung auf den Ebenen der rechtlichen, strukturellen und institutionellen Ebene, auf der Ebene des sozialen Miteinanders und auf der Ebene der direkten Beziehungsgestaltung diskutiert werden, welche den Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern und anderen Pflege- und Obsorgeberechtigten Erfahrungen der Anerkennung ermöglichen können, unter anderem die Erfahrung sich als ein wertvolles Mitglied einer solidarischen Gemeinschaft und Gesellschaft erleben zu können und sich in diese einbringen zu können bzw. zu wollen.
Dieser Theorie folgend wird nach Möglichkeiten und Ansprüchen der Anerkennung in der Kinder- und Jugendhilfe unter mehreren Gesichtspunkten gefragt:
Aktuelle Bedingungen können exemplarisch unter diesem Analyserahmen systematisch diskutiert, Ansprüche an die Kinder- und Jugendhilfe gestellt sowie mit vorhandenen Möglichkeiten kontrastierend in Beziehung gesetzt werden. Ein erster kritischer Blick gilt dem Zugriff wohlfahrtsstaatlicher Eingriffe und ihrer theoretischen Begründungen auf Kinder und Jugendliche, die in ihren Ursprungsfamilien leben.
2. Exkludierend wirkende Diskurse in Sozialarbeit und Öffentlichkeit: Familien als Zielgruppen der Kinder- und Jugendhilfe
In einer APA Meldung wird auf die derzeit zuständige Familienministerin Rendi-Wagner Bezug genommen, wenn geschrieben wird: „‚Frühzeitige, maßgeschneiderte Angebote ohne Holschuld der Mütter oder Familien’ sollen die Frühen Hilfen jungen Familien bieten“1 (APA 2017b). Was bedeutet „ohne Holschuld“? Holschuld zu haben bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich Eltern deklarieren müssen, wonach sie in der Pflege und Erziehung ihrer Kinder mehr Hilfe bräuchten als andere, welche diese Hilfe nicht in Anspruch nehmen; damit wird ein Stigmatisierungsprozess ausgelöst, bei dem bestimmten Zielgruppen ein Mangel an pflegerischen und erzieherischen Kompetenzen zugeschrieben wird. Dies wird mit Recht hinterfragt, allerdings wird diese Überlegung gleich wieder aufgehoben:
„Verstärkt genutzt werden diese von sozial benachteiligten Familien, Eltern mit Migrationshintergrund und Alleinerzieherinnen. Das habe eine Studie zu Wirkung und Nutzen der Initiative, die von Bund, Ländern und Sozialversicherung getragen wird, über die vergangenen fünf Jahre gezeigt. Außerdem habe man eine sehr genaue Trefferquote.“ (ebd.)
Auch wenn eine Studie die Trefferquote für diese Zielgruppe bescheinigt, wäre im Sinne einer einzunehmenden Standpunktsensibilität zu hinterfragen, was erhoben wurde, welche Fragen gestellt wurden und wie das Ergebnis dann im öffentlichen Diskurs transportiert wird (vgl. Schimpf/Stehr 2012). Denn dieser öffentliche Diskurs schreibt sich unbewusst bzw. unreflektiert in derart produzierte Stereotype ein: diesen mit bestimmten Merkmalen versehenen Familien wird dann zugeschrieben, dass sie eher frühe Hilfen brauchen, also einen Mangel aufweisen und daher einen sozialen Status zugewiesen bekommen, der exkludierend wirkt. Damit wird stereotypisierend auf bestimmte Familien geblickt, was ausgehend vom politischen Diskurs zur Diskriminierung dieser Familien über ausführende Institutionen führen kann. Denn „Institutionelle Diskriminierung resultiert aus dem ‚Normalvollzug’ etablierter politischer und ökonomischer Strukturen. Sie erfolgt möglicherweise unbewusst und ohne an konkrete Vorurteile gebunden zu sein“ (Sprung 2013: o. S.).2 Vielmehr wäre in konsequenter Weise an den Wörtern „ohne Holschuld“ zu arbeiten: Frühe Hilfen wären ohne ein unterstelltes Manko und eine stereotypisierend wirkende Beschreibung anzubieten. Das Attribut Migration würde dann nicht assoziiert werden damit, dass Familien mit diesem Merkmal frühe Hilfen mehr in Anspruch nehmen würden als „normale“3 Familien, womit die stereotype Annahme verbunden wird, dass in diesen Familien Überforderung, mangelnde Erziehungskompetenzen und mangelndes Selbstvertrauen vorherrschen (vgl. Redl 2015). Warum müssen die Merkmale Migrant_in, Alleinerzieher_in und sozial Benachteiligte über eine Studie quasi legitimiert werden zu einem scheinbar fachlichen Blick der kategorialen Wahrnehmung von Familien? Damit wird suggeriert, Familien mit diesen Merkmalen würden frühe Hilfen eher brauchen. Mit dieser Zuschreibung findet gleichzeitig eine Diskriminierung im Sinne eines defizitären Blicks auf bestimmte Familien statt. Würde es in diesen Diskursen nicht reichen, auf die Zielgruppe aller jungen Familien hinzuweisen, welche durch Geburt und Elternschaft vor neuen Herausforderungen stehen, d. h. normalisierend auf alle Familien blickend, die sich Herausforderungen der Geburt und der Kindererziehung stellen müssen, egal in welcher Familienkonstellation bzw. egal unter welchen Merkmalen der Herkunft diese kategorisierbar wären? Hier taucht die Frage auf, wieweit sich dieser Diskurs nicht auf Praktiken der Sozialen Arbeit mit Familien unbewusst und unreflektiert auswirkt. Denn durch die beschriebene Stereotypisierung findet mit den Worten der Anerkennungstheorie auf der Ebene des Verdienstes, des sozialen Miteinanders Exklusion statt: Bestimmten Menschen mit bestimmten Merkmalen werden Eigenschaften zugeschrieben, die ihnen eine bestimmte Position im sozialen Gefüge zuweisen. Allen Menschen mit diesen Eigenschaften werden mangelnde Fähigkeiten zugeschrieben, anstatt auf befähigende Bedingungen zu achten. Die Gerechtigkeitstheorien Amartya Sens (2010) und Martha Nussbaums (1999) weisen auf die Wechselwirkung der befähigenden strukturellen Bedingungen und der Möglichkeit der Entwicklung von individuellen Fähigkeiten im Sinne eines „mehr an Gerechtigkeit“ im alltäglich gelebten Leben hin. Dieser Blick geht jedoch leider im beständigen Handlungsdruck der Sozialen Arbeit leicht unter.
3. Der Appell an den „Willen“ als Anpassungsforderung: Das Recht auf Kindeswohl, Anerkennung und Menschenwürde im Kontext sozialer Ausgrenzung
Kritisch zu reflektieren ist die gegenwärtige Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, die unter dem Aspekt der Frage nach der Bedeutung des Konstruktes des „Willens“ gehandhabt wird, wie es im Konzept der Sozialraumorientierung nach Wolfgang Hinte (2004) umgesetzt wird. Hier ist die Frage zu stellen, inwiefern dies zu Exklusion führen kann. Mit dem Begriff des Willens ist u. a. die Aktivierung von Hilfeempfänger_innen zur Zielformulierung und Zielerreichung, um passives Leistungsempfangen zu vermeiden, gemeint (vgl. Hinte 2004: 24)4. Im Umkehrschluss ist anzunehmen, dass passive Leistungsempfänger_innen in der Kinder- und Jugendhilfe eher keine Hilfe erhalten, solange sie nicht zur aktiven Mitarbeit bereit sind oder scheinen. An dieser Stelle ist jedoch zu fragen, wie weit Menschen zu einer aktiven Mitarbeit befähigt sind: Stimmen die Voraussetzungen und Bedingungen, sodass betroffene Eltern sich einlassen können bzw. können sich Eltern auf Hilfe einlassen? Die erste Richtung der vorhergehenden Frage zielt darauf ab zu fragen, ob Helfer_innen in diesen Systemen dazu angeleitet werden, ihre Vorgangsweisen und ihre Hilfekonzepte zu hinterfragen: was kann und muss ich als Sozialarbeiter_in tun, was kann und muss an Bedingungen vorhanden sein, damit sich jemand auf Hilfe einlassen kann und weniger zu fragen, was muss ein Hilfeempfänger tun, um erfolgreich zu sein oder weiterhin zu scheitern, worauf die zweite Frage abzielt. Im Zeitalter der Individualisierung (vgl. Beck 1986) scheint dieses Risiko von den Betroffenen selbst bewältigt werden zu müssen, es werden von Familien erhöhte Anstrengungen erwartet, um bereits bestehende Mängellagen auszugleichen – ein Widerspruch in sich. Es wird weniger darüber nachgedacht, wie Strukturen und institutionelle Angebote beschaffen sein müssen, damit Anschlüsse möglich sind. In diesen Familien herrscht zwar das meist von der Kinder- und Jugendhilfe festgestellte Risiko vor, dass das Kindeswohl nicht ausreichend gewährleistet ist, es ist dann aber doch eine Holschuld, d. h. es ist der „Wille“ zu bekunden, sich entsprechender Hilfe bedienen zu wollen oder bei Widerstand eben selbst damit zurechtkommen zu müssen.5 An dieser Stelle ist aber nach dem Können und nicht nach dem Willen, sich diese Hilfe zu organisieren, zu fragen. Es ist die Frage zu stellen, ob Familien vom Risiko- in den Gefährdungsbereich abrutschen müssen, um dann mit Krisenintervention an akuten, hoch belastenden Situationen für alle Beteiligten im Zwangskontext zu arbeiten? Widerspricht dieser Ansatz nicht dem genannten Angebot der präventiven Hilfen, ohne Holschuld, Leistungen in Anspruch nehmen zu können, sich nicht selbst als mangelhaft und inkompetent deklarieren zu müssen, um Angebote der Kinder- und Jugendhilfe als Unterstützung annehmen zu können? Dabei ist vor allem zu fragen, was kann von Seiten wohlfahrtsstaatlicher Institutionen angeboten werden, ohne diskriminierend zu wirken, damit die scheinbar unveränderbare Dynamik einer generativen Fortführung von Belastungssituationen in Familien, wie sie auch in der Mehrgenerationenperspektive nach Manfred Cierpka (2003) theoretisch behandelt wird und von Praktiker_innen mehrfach in der Weise festgestellt wird, wonach Familien über Generationen hinweg in Jugendämtern bekannt sind, beendet werden kann? Betrachtet man den Begriff des frei[willig]en Willens im lebensweltlichen Kontext des „Adaptionsphänomens“6 (vgl. Sen 2010: 311), welches bedeutet, dass Menschen sich nicht mehr wünschen, als es ihre soziale Rahmung vorgibt, dann kann man davon ausgehen, dass gerade Menschen, die beispielsweise den Wirkmechanismen der Gewalt, Vernachlässigung, Krankheit oder Armut unterliegen, den Willen zur Zusammenarbeit verweigern, weil allein das Angewiesen-Sein auf staatliche Unterstützung einer weiteren Demütigung im Sinne einer Zuschreibung eines massiven Mangels, d. h. eines Erlebens der Missachtung gleichkommt (vgl. Honneth 1994: 223). Den Willen zur Veränderung zu verlangen, kann als eine heteronome Zumutung erlebt werden. Dieses Ansinnen wird zurecht mit Widerstand als Versuch, seine Selbstachtung würdevoll zu präsentieren (vgl. ebd.: 194), zurückgewiesen. Widerstand und Protest bringen dem Menschen seine Würde und seine Selbstachtung zurück. Das Erleben von Selbstachtung ist Voraussetzung dafür, Verantwortung übernehmen zu können, d. h. sich mit seinen Fähigkeiten in das Gemeinwesen einbringen zu können bzw. zu wollen und somit als zurechnungsfähiges Subjekt (Vgl. ebd.: 180-195) in der Kommunikation beispielsweise von Sozialarbeiter_innen des Amtes für Jugend und Familie anerkannt zu werden bzw. sich als solches vor diesem Amt behaupten zu können. Es bedarf dazu eines reflexiven Umgangs mit Haltungen, die bis in die innersten Schichten von Systemen und Personen wirken und Interaktion scheinbar unbewusst mitbestimmen. Unter der Anwendung der Wahrnehmungsfolie des in uns allen wirkenden „Adaptionsphänomens“ wird dann die historische Gewachsenheit der Erwartungshaltungen von Menschen in sozialen Kontexten berücksichtigt. Anerkennende Verhältnisse entstehen in Wechselwirkung befähigender Bedingungen und dem Interesse des Abbaus von Asymmetrien zwischen Hilfeempfänger_innen und Helfenden. Das selbstbestimmte und „Gute Leben“ (vgl. Nussbaum 1999: 64) ist für die Menschen dann unter befähigenden Bedingungen – wie beispielsweise antidiskriminierenden Zugangschancen, einem Recht auf Menschenwürde und Selbstachtung, einem Recht auf respektvolle Begegnung vor dem Hintergrund der Hürden der lebensweltlichen Begrenztheit und mit einem selbstreflexiven Umgang mit Kategorisierungen, Stereotypisierungen in Bezug auf betroffene Familien – seitens der Gesellschaft und staatlicher Repräsentanten und Institutionen zu gewährleisten. Der öffentliche Diskurs ist dabei wegzubringen von sogenannten „passiven Leistungsempfängern“, das Bild des „schmarotzendes Sozialhilfeempfängers“ ist zu ersetzen mit dem Menschen, der in Würde7 leben können muss, dem in seiner Würde begegnet werden muss, d. h. dessen Autonomie bestmöglich gewahrt wird und welchem mit möglichst wenig8 Zwang begegnet wird9, sowie auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch begegnet wird. Denn Verletzbarkeit, Vulnerabilität, Schwäche, Mängel etc. gehören zur Normalität der menschlichen Existenz (vgl. Butler 2007: 135-137). Wenn Menschen einander in ihrer im Menschsein begründeten „Verwundbarkeit und Einzigartigkeit“ (vgl. ebd.: 46) wechselseitig anerkennen, dann besteht eine Chance auf einen menschenwürdigen Umgang miteinander, ohne vorhergehende soziale Vorverurteilungen (vgl. ebd.: 136). Kritisch-reflexive Kinder- und Jugendhilfe kann dazu einen Beitrag leisten, indem nicht bewusst ideologisierend und/oder unbewusst von einem Idealbild des beschäftigungsfähigen, erziehungskompetenten Menschen ausgegangen wird, sondern von Menschen, welche unter bestimmten Umständen daran gehindert werden, sich ihren Aufgaben und der Lebensbewältigung in entsprechender Weise zu widmen. Hilfen sind dann allen anzubieten, vor allem den „Willen Verweigernden“, ohne paternalistisch vorzuschreiben, was ein gutes Leben für diese Zielgruppen wäre, sondern in anerkennenden Verhältnissen und Beziehungen (vgl. Riegler 2016). Es sind dabei exkludierend wirkende Begriffe, Konzepte und Sichtweisen und daraus entstehende Praktiken des Umgangs miteinander, über die Bereitschaft zur Selbstreflexion – auf individueller professioneller Ebene und auf organisationsbezogener, institutioneller Ebene – zu schaffen, damit inkludierend gemeinte Maßnahmen nicht exkludierend wirken. Es mag die Angst vor der Begegnung auf Augenhöhe sein, weil ich mich als professionell Helfende_r dann meiner eigenen Verwundbarkeit, Unvollkommenheit, Mangelhaftigkeit und Schwäche stellen muss, und es könnte wieder individualisierend verlangt werden, hier als Sozialarbeiter_in doch entsprechend zu funktionieren, aus der Abwehr vor einer Begegnung auf der Ebene des Mensch-Seins herauszutreten.10 Vielmehr ist diese Widersprüchlichkeit jedoch aufzulösen, indem Institutionen aus ihrer Unbewusstheit des exkludierend wirkenden (Nicht-)Angebotes heraustreten und Maßnahmen ergreifen, exkludierend wirkende Rahmenbedingungen und Mechanismen sowie daraus resultierende Handlungen zu hinterfragen und organisiert der „institutionellen Diskriminierung“ auf die Spur zu kommen und entgegenzutreten. Organisationen haben sich zu fragen, wie sie Mitarbeiter_innen fördern können, damit diese in anerkennende Beziehungen (vgl. Riegler 2016) zu ihren Klient_innen einsteigen können. Dafür muss vor allem Zeit zum Zuhören und Sich-Erzählen-Können gewährleistet werden, denn jemand, der sich erklären und im Spiegel des Anderen verstehen und annehmen kann (vgl. Stojanov 2006: 110), dem wird selbstbewusst gewahr, was getan werden kann und wie Hilfe angenommen werden kann.
Gegenwärtige Tendenzen in der Organisation des Wohlfahrts- und Sozialstaates verführen Sozialarbeiter_innen als „Sozial- und/oder Casemanager_innen“ dazu, Hilfe als eine Leistung zu verwalten, die nach Effektivität (Treffsicherheit) und Effizienz (kostensparend) quantifizierbar gemacht wird, weil sie selbst darüber Anerkennung erhalten. Es wird dann stolz auf Einsparungen verwiesen, anstatt stolz darauf hinzuweisen, dass es Sozialarbeiter_innen gelingt, Menschen in Kontakt zu halten, Menschen Anerkennung zu geben, ein weiteres Exkludieren durch stabilisierende Maßnahmen zu vermeiden, Strukturen verändert zu haben, die nicht die Ärmsten gegen die Armen gegenrechnen, sondern stolz auf einen fortschrittlichen Sozialstaat der solidarischen Verhältnisse verweisen und ungerechte Mittelverteilung dort anprangern wo dies hingehört: Es sollte viel eher das eingetretene Stillschwiegen über versenkte Milliardenbeträge im Zuge von staatlichen Haftungen für Bankenpleiten gebrochen werden, zu deren Deckung steuerliche Leistungen jedes Einzelnen über Jahrzehnte herangezogen werden. Sozialarbeiter_innen und Sozialpädagog_innen könnten sich so mit großer Wahrscheinlichkeit eher vom unbewussten „Mittäter_innentum“ des diskriminierenden Blicks auf Benachteiligung und daraus resultierenden exkludierend wirkenden Rahmenbedingungen und Handlungen lösen. Dieses akzeptierende, anerkennende Zugehen auf die Klient_innen der Sozialen Arbeit würde auch einen Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendhilfe bedeuten, sich betroffenen Zielgruppen vorurteilsfrei zu nähern und deren Widerstand als größte Ressource und als Ausdruck der Kraft zur Würde anzuerkennen. Denn in Freiheit, ausgestattet mit gerechten Zugangschancen und unter Aspekten der Autonomie entscheiden zu können, was ein gutes Leben ist, nicht im Sinne einer vorgegebenen normativen Festlegung (vgl. Riegler 2016: 24) würde per se einen würdevolleren Umgang seitens der Institution und den darin Beschäftigten mitbewirken helfen. Es würden damit zwei grundlegende Aufgaben von Kinder- und Jugendhilfe erfüllt werden, Klient_innen würden nicht in ihrem Mangel verwaltet, obzwar in gegenwärtig vorherrschenden Konzepten der Kinder- und Jugendhilfe (Sozialraumorientierung, Case Management) hauptsächlich von der Ressourcenorientierung (persönliche, familiäre, soziale etc. Ressourcen, wobei auch von Hilfesystemen dabei kaum über den Sozialraum bzw. die Lebenswelt der Betroffenen hinaus gedacht wird) ausgegangen wird, sondern es würde zu einem Wandel der von Klient_innen empfundenen bevormundenden und damit abgelehnten „Fürsorge“ der Jugendwohlfahrtsbehörde führen, hin zu einem Blick auf die Bedeutung eines Problems für eine Familie, hin zu Angeboten, die eine Überschreitung der lebensweltlichen Begrenzungen im Sinne gerechterer Zugangschancen ermöglichen könnten. So könnten betroffene Menschen ohne Scham am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt partizipieren (vgl. Honneth 2003: 201-224) und ein Versuch gestartet werden, die generative Überlieferung der Exklusion aufzubrechen. Der demokratische Rechtsstaat hat hierbei eine regulierende Funktion (vgl. Honneth 2010: 69). Die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe wäre es dann, um eine Abwehr der „Genügsamkeit von Verhältnissen“ (Thiersch/Grundwald/Köngeter 2012: 185) bemüht zu sein. Durch ein Erkennen und Anerkennen des Anderen mit dessen Weltbezügen kann dann eine Überschreitung der jeweiligen Umwelten bzw. lebensweltlichen Begrenzungen stattfinden (vgl. Stojanov 2006: 115-155). Nicht nur die Klient_innen erschließen sich neue Verstehens- und Handlungsbezüge, sondern auch die professionell Handelnden. Es handelt sich dann um einen wechselseitigen Prozess des Verstehens und des Sich-Verständlich-Machens, des Erzählens und Zuhörens (vgl. Riegler 2016: 72-83) und damit des Anerkennens. Menschen fügen sich dann nicht mehr unreflektiert und in Abhängigkeit in das Unausweichliche ein (vgl. Bourdieu 2009: 168).
4. Ansprüche an die Praxis der Sozialarbeit in der kritisch-reflexiven Kinder- und Jugendhilfe
Praktiken der Kinder- und Jugendhilfe sollten durchforstet werden nach Einschätzungsmöglichkeiten relativer Armut, nach Einschätzungsmöglichkeiten ungleicher infrastruktureller und institutioneller Anschlussmöglichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Familien, nach diskriminierenden Bedingungen, beispielsweise mit einem rassismuskritischen Blick, um ungerechte Bedingungen verändern zu können. Es sollten zudem allgemeine Lebensbedingungen in Regionen als Maßstab von Förderrichtlinien für gleiche Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden, um höhere Fördertöpfe für in diesem Sinne (sozial-)räumlich benachteiligte Familien lukrieren zu können und im Sinne einer rechtlichen Anerkennung, dem Solidarprinzip der gleichen Zugangschancen aufgrund sozialstaatlicher (rechtlicher) Grundlagen begegnen zu können. Dies bedarf eines umsichtigen kritisch-reflexiven Zusammenwirkens von Verwaltung, Politik, Praktiker_innen der Sozialen Arbeit, Vertreter_innen von Ausbildungsinstitutionen der Sozialen Arbeit in Kooperationen mit sozialwissenschaftlichen Expert_innen für die Thematik der Anerkennung von marginalisierten Kindern, Jugendlichen und deren Familien.
In der täglichen Praxis der Krisenintervention sind Konzepte der Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe, von der Sprengelsozialarbeit über Case Management bis hin zur Sozialraumorientierung als institutionelle Brille und Handlungsmaxime im Sinne des Rechtes auf ein Kindeswohl hin permanent zu hinterfragen und damit einer fachlichen Weiterentwicklung zu unterziehen. Denn die Praxis der Umsetzung dieser Konzepte verweist auf Dynamiken der Aus- bzw. Eingrenzung von Kindern, Jugendlichen und Familien, welche sich in blinden Flecken von Analyseinstrumenten und -techniken zur Einschätzung des Kindeswohls finden, wie auch in blinden Flecken der persönlichen Einschätzung, zwar im Vieraugenprinzip aber doch gefangen in täglichen Routinen der bestmöglichen Handhabbarkeit, welche das Recht auf die Anerkennung als Mensch an sich in seiner Würde, das Recht auf Partizipation oft in den Hintergrund geraten lässt. So wäre beispielsweise in sogenannten Hilfekonferenzen, an welchen auch Klient_innen der Sozialen Arbeit teilnehmen, z. B.: Jugendliche, darauf zu achten, wie gut sind diese Kinder und Jugendlichen, die Eltern auf eine Begegnung mit einem Expert_innenteam (nicht selten 4 bis 8 Leute) vorbereitet, um sich in gleichberechtigter Weise, mit gleichen Befähigungen zur Artikulation (Fachsprache, Alltagssprache, die Macht der Amtssprache etc.) einbringen zu können. Wie und von wem werden die Klient_innen auf diese Konferenzen vorbereitet, so dass sie sich nicht wie auf einer Anklagebank fühlen, vor der sie sich in ihrem Fehlverhalten und empfundenen fehlerhaften Sein rechtfertigen müssen, ihren sogenannten „Willen“ zur Zusammenarbeit bekunden müssen, um nicht aus Unterstützungsleistungen herauszufallen bzw. Maßnahmen zu unterliegen, welche sie möglicherweise weder verstehen noch akzeptieren wollen oder können.
Und schließlich ist in einer kritisch-reflexiven Kinder- und Jugendhilfe daraufhin zu achten, dass nicht Bedingungen für fremduntergebrachte Kinder- und Jugendliche geschaffen bzw. fortgeführt werden, die es diesen verunmöglichen, an ihren erlittenen Traumata zu arbeiten, weil die Bedingungen in Einrichtungen sich nicht am Bedarf der Kinder und Jugendlichen orientieren, sondern Kinder- und Jugendliche sich an Bedingungen von Einrichtungen anzupassen haben, unabhängig davon, ob diese den Entwicklungen der Kinder förderlich oder abträglich sind. So werden beispielsweise Regeln und Strukturen in Einrichtungen für alle gleich gehandhabt, an denen aber sowohl Kinder als auch Helfer_innen oft scheitern (vgl. Baumann 2010). Es werden nicht individuell mit dem anerkennenden Anspruch der Einzigartigkeit gerade für die belasteten Kinder und Jugendlichen Bedingungen geschaffen sowie Beziehungen zur Verfügung gestellt, die es diesen etwa in der Tradition August Aichhorns (vgl. Aichhorn 2011, Aichhorn/Fallend 2015) ermöglichen würden, sich in der Beziehung zu einem erwachsenen Gegenüber und in förderlichen Peer-Beziehungen gesund entwickeln zu können. Es ist auch zu fragen, wie die Herkunftsfamilien dieser fremduntergebrachten Kinder und Jugendlichen weiter betreut werden (können), sodass für die Entwicklung hinderliche Beziehungsdynamiken unterbrochen werden können, d. h. anerkennend auf diese Beziehungen und deren Wert für ein gesundes Leben von Kindern und Jugendlichen geblickt werden kann.
In diesem Zusammenhang ist auch auf das missachtende Recht hinzuweisen, welchen Jugendlichen, die die Hilfe und Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe über das einundzwanzigste Lebensjahr hinaus brauchen würden, nicht gewährleisten kann11. Gerade die belastete Phase der Adoleszenz wird in sogenannten „normalen“ Familienverbänden durch verstärkte unterstützende Maßnahmen, durch die Möglichkeit, bei Schwierigkeiten sich der Unterstützung der Eltern gewiss zu sein, abgefangen. Belastete Jugendliche hingegen haben hier kein soziales Netz, auf welches sie zurückgreifen können. Widersinnigerweise wird gerade von diesen besonders vulnerablen jungen „Erwachsenen“ erwartet, sich selbst zu helfen, auf sich allein gestellt zu sein bzw. mit nicht adäquaten Angeboten der Erwachsenensozialarbeit zurecht zu kommen. Projekte in diesem Bereich sind Mangelware und müssten seitens der Kinder- und Jugendhilfe vermehrt konzipiert und eingefordert werden.
5. Geschichts- und gesichtslose oder kritisch-reflexive Sozialarbeit?
Affirmative Konzepte der Kinder- und Jugendhilfe, die ohne Bezugnahme auf eine Theorie der Anerkennung entwickelt und praktiziert wurden und werden, hatten und haben schwerwiegende negative Konsequenzen für die Chancen der betroffenen Kinder und Jugendlichen auf ein gelingendes Leben. Konsequenterweise werden kinder- und jugendfeindliche Auswüchse nicht zum Anlass für kritische Reflexion herangezogen, sondern verdrängt, verleugnet und abgespalten. Beispielhaft sei hier darauf verwiesen, dass es in der österreichischen Sozialarbeitswissenschaft bis heute keine ernstzunehmende Diskussion über die „Berichte zur Gewalt gegen Kinder in Erziehungsheimen der Stadt Wien“ (Sieder/Smioski 2012) und den „Endbericht der Kommission Wilhelminenberg“ (Helige et al. 2013) gab. Umgekehrt werden die Ansätze einer anerkennungsfundierten Kinder- und Jugendhilfe aus der Zwischenkriegszeit, die in der psychoanalytischen Sozialarbeit u. a. durch August Aichhorn und Siegfried Bernfeld theoretisch entwickelt und praktiziert wurden, bis heute nur von wenigen rezipiert. Dazu einige skizzenhafte Anmerkungen:
1918 ging August Aichhorn (so in seinem Bericht, 1946; dazu ausführlich: Aichhorn 2011)
„mit einer Schar junger, für ihre Arbeit begeisterter Lehrer und Lehrerinnen nach Oberhollabrunn. (…) Die Gemeinde Wien hatte diese Einrichtung geschaffen und das Jugendamt mit der Durchführung betraut. Wir sind der Gemeinde Wien noch heute dankbar, dass sie uns damals die Möglichkeit gab, den Nachweis zu liefern: In der Besserungsanstalt sind der prügelnde Aufseher und die Einzelzelle mit Arrestantenkost nicht notwendig, wenn diese mit tiefenpsychologischer Einsicht geführt wird. Uns war Freuds Lehre maßgebend: Nur dann gibt es eine wirkliche Behebung der Verwahrlosung, sonst: Das andere Verfahren führt letzten Endes nur zu einem Dissimulieren der Verwahrlosung, zu einem Vortäuschen des sozial Seins aus Angst.“
Ca. 1300 Kinder und Jugendliche wurden in Oberhollabrunn versorgt und nach Grundsätzen der psychoanalytischen Sozialarbeit betreut. 1921 wurde Oberhollabrunn, nicht zuletzt auf Anordnung Julius Tandlers als zuständigem Stadtrat Wiens, wieder geschlossen.
Im Rückblick formulierte Aichhorn die Grundannahmen seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen folgendermaßen:
„Bei uns gab es keine Anstaltsmauern, keine versperrten Türen, keine vergitterten Fenster, nur ebenerdige Baracken. Es gab weder Arrestantenzelle noch Arrestantenkost und auch keine Prügel. Wir nahmen uns auch vor kein böses Wort zu sagen, alles wurde restlos eingehalten. Oberster Grundsatz in Oberhollabrunn blieb: absolute Milde und Güte; nicht Anwalt der Gesellschaft, sondern Anwalt des Verwahrlosten zu sein. (…) Zunächst schienen die Verfechter der alten Methoden recht zu behalten: Unsere Zöglinge waren nach ihrem bisherigen Erleben auf Brutalitäten vorbereitet. Deren Ausbleiben hat dazu geführt, dass ihr Verhalten zunächst immer schlimmer wurde. Sie provozierten die Prügel. Unser geduldiges, konsequentes Festhalten an Milde und Güte hat aber schließlich den Widerstand in den weitaus meisten Fällen überwunden. Aus den verkommensten, unleidlichsten Verwahrlosten wurden lenkbare Kinder, die der Erziehung später nicht mehr Schwierigkeiten bereiteten, als die in jeder Kinderstube üblichen.“ (Aichhorn 1948, zit. nach Aichhorn 2011: 7f)
In der Sprache seiner Zeit formuliert, sind hier bereits die Grundannahmen einer kritisch-reflexiven anerkennungstheoretisch formulierten Sozialarbeit festgelegt:
Über das Leben im Kinderheim Wilhelminenberg in den Jahren 1948 bis 1977 liegt ein umfangreicher Bericht vor, der 2013 veröffentlicht wurde. Er basiert auf zahlreichen Interviews mit Personen, die in ihrer Kindheit dort leben mussten. Ein Beispiel:
„Die Erzieherin, die jene Zeugin aus dem Schlafsaal geholt hatte, habe sie auch wieder ins Bett zurückgebracht: ‚Und wenn die Sache erledigt war – ich kann nicht sagen, ob das eine halbe Stunde gedauert hat oder eine Stunde, es war eine Ewigkeit. Dann ist sie draußen gestanden, gib mir die Hand, jetzt gehen wir wieder zurück. Und unterwegs hat sie immer gesagt: Du brauchst gar nicht erzählen und schon gar nichts den anderen Mädchen.’ Und: ‚Wenn Du Dich entsprechend benimmst, dann wird es Dir gut gehen!’“ (Helige et al. 2013: 162)
Das widerfuhr einem Mädchen in den Siebzigerjahren. Die Vorfälle waren sowohl in der Verwaltung der Stadt Wien als auch in den Gerichten bekannt:
„Im Wiener Jugendgericht fand im Februar 1982 ein Prozess gegen vier weibliche Jugendliche aus dem Erziehungsheimmilieu statt. Den Jugendlichen wurde vorgeworfen, ein Mädchen in einem Wiener Lehrlingsheim schwer misshandelt und gefoltert zu haben. Das Opfer wird unter anderem mit nassen Geschirrtüchern mißhandelt [sic.]. Vom Staatsanwalt dazu befragt, gab eine der Täterinnen an: ‚Ich kam auf die Idee, weil ich selbst im Heim Wilhelminenberg von einem Erzieher auf diese Weise misshandelt wurde.’ Das Mädchen nannte dem Staatsanwalt, der im Prozess Maßnahmen gegen den Erzieher ankündigt, den Namen des beschuldigten Erziehers. Der Vorwurf bleibt ohne Konsequenzen. Weder wird der betroffene Erzieher einvernommen, noch werden andere Ermittlungsschritte gesetzt.“ (ebd.:. 187)
1975 erschien der sogenannte Karlsson-Bericht mit ausführlichen Berichten über den Umgang mit Kindern im Kinderheim Wilhelminenberg, der weitgehend folgenlos blieb. Als sich einer Rechtsanwältin die Gelegenheit bot, dem damaligen Bürgermeister Zilk in den Achtzigerjahren von den Erlebnissen eines Jugendlichen im Heim der Stadt Wien zu erzählen,
„habe dieser sehr schroff reagiert. Die Rechtsanwältin sei überrascht gewesen, weil dies untypisch für den ‚dynamischen und hilfsbereiten Politiker’, als den sie ihn kennengelernt habe, gewesen sei.“ (ebd.: 177)
Die geschilderten Vorgänge haben unterschiedliche Dimensionen. Aus der Perspektive einer anerkennungstheoretisch grundgelegten Sozialarbeit zeigt sich darin anstelle von Anerkennung Missachtung vonseiten der verantwortlichen Betreuungspersonen, Organisationsleitungen und gesellschaftspolitisch Verantwortlichen gegenüber den Kindern. Warum ist die Sozialarbeit in Theorie und Praxis offensichtlich anfällig für Gewalt gegenüber anerkennungsbedürftigen Kindern und Jugendlichen? Die Aufarbeitung der Geschichte mit einem kritisch-reflexiven Blick auf die eigene Tradition wäre daher nicht nur ausgehend von Skandalen wünschenswert, um präventiv gegen unbewusst belassene Diskriminierung wirken zu können. Dies würde bedeuten, sich auch der eigenen Geschichte im jeweils eigenen Jugendamt zu stellen und Forschungen in diesem Zusammenhang zu forcieren oder wenigstens zuzulassen.
6. Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Blick auf Anerkennung einige Aspekte der sich zu entwickelnden Kinder- und Jugendhilfe eröffnet, vor allem auch im kritisch-reflexiven Bewusstsein seiner jeweiligen Organisationsgeschichte; es geht dabei um rechtliche, strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen in Verwobenheit mit historischem Bewusstsein, Haltungen und Handlungsweisen in der direkten Begegnung mit Klient_innen. Einem Menschen in seiner Würde zu begegnen bedeutet dann, sich als Organisation, Institution und Person in dieser Verwobenheit reflektierend zu erkennen, um einen Spielraum für anerkennende, unterstützende Angebote für die Lebensbewältigung bzw. Subjektwerdung12 unter gerechteren Bedingungen zu ermöglichen. Nicht zuletzt schärft die Theorie der Anerkennung den Blick auf missachtende Handlungen und Haltungen von Subjekten und Organisationen gegenüber Kindern und Jugendlichen und wäre somit eine wichtige Säule kritisch-reflexiver Sozialarbeit.
Verweise
1 Auf diesen Aspekt der Anerkennung versus Missachtung hat mich Frau DSA Barbara Spirk hingewiesen.
2 „Institutionelle Diskriminierung ‚ist von Institutionen/Organisationen (durch Gesetze, Erlässe, Verordnungen, Zugangsregeln, Arbeitsweisen, Verfahrensregelungen oder Prozessabläufe) oder durch systematisch von Mitarbeitenden der Institutionen/Organisationen ausgeübtes oder zugelassenes ausgrenzendes, benachteiligendes oder unangemessenes und somit unprofessionelles Handeln gegenüber als nicht-zugehörig definierten Personen oder Gruppen’, so Melter (2006)“ (Sprung 2013: o. S.).
3 Mit der „Normalitätsfolie“ wurde im Zusammenhang mit zu Rassismus kritischen Forschungen festgestellt, dass Migrationshintergrund, Ethnie, Religion oft als Platzhalter für Rasse dienen: normal ist, was weiß, europäisch, christlich, aufgeklärt ist (vgl. Mecheril/Tißberger 2013: 60-63).
4 Im 2014 erschienen Buch „Sozialraumorientierung“, herausgegeben von Roland Fürst und Wolfgang Hinte wird u. a. von Julia Raspel die Frage aufgeworfen „Können Menschen wollen?“ und dazu kritische Perspektiven (Philosophie, Neurologie, Pädagogik) eingenommen, in welcher abschließend unter der Fragestellung „…und was heißt das für die Soziale Arbeit?“ auf die von Hinte selbst angeregte Weiterentwicklung des Konzeptes verwiesen wird sowie eine interdisziplinäre Forschung und Theorienentwicklung dazu angeregt wird (vgl. Raspel 2014: 67-80). Sie verweist dabei unter anderem auch auf Holger Zieglers (2010) Analysen, die diesen zu einer Unterscheidung der „Pädagogik der Ermöglichung“ (Ziegler 2010: 66, zit. nach Raspel 2014: 75) und der „Pädagogik der Anpassung“ (ebd.) bringen. Letztere orientiere sich am sogenannten „Willen“ der Klient_innen (vgl. Raspel 2014: 75).
5 Ideengeschichtlich wurden diese Überlegungen in den Dreißigerjahren in der Pennsylvania School of Social Work unter der Federführung von Otto Rank entwickelt. (Ausführlich dazu: Fallend 2012: 116-160)
6 Das Adaptionsphänomen bedeutet u. a., dass jemand, der unter ständiger Deprivation leidet, seine Ansprüche entsprechend herunterschraubt, um nicht permanenten Frustrationen ausgesetzt zu sein (vgl. Sen 2010: 311ff).
7 Zum Begriff von „Würde“ vgl. Bieri 2013
8 Das Begriffspaar „möglichst wenig“ bezieht sich hier auf die Tatsache, dass der Staat subsidiär Kindeswohl gewährleisten muss, d. h. auch in Zwangskontexten gehandelt werden muss.
9 Es geht dabei darum, in der professionellen Haltung zu unterscheiden, die rechtliche Notwendigkeit der Wahrung des Kindeswohles in den Vordergrund zu stellen und nicht die soziale Vorverurteilung.
10 In der Sozialen Arbeit ist anerkennende Beziehung dann eher möglich, wenn vor dem Hintergrund transparenter Funktion, an einem Abbau asymmetrischer Verhältnisse hin zu einer symmetrischen Begegnung von Mensch zu Mensch gearbeitet wird, wenn hier in einer flexiblen Rollengestaltung in der Beziehung von der/vom Sozialarbeiter_in hin zu der/zum Klient_in gearbeitet wird (vgl. Riegler 2016: 115-159).
11 Es ist bereits die Ausnahme, dass bis zum 21. Lebensjahr Hilfe gewährt wird und dies wird nur bei einer positiven Perspektive getan. Gerade solche jungen Erwachsenen mit schlechter Perspektive – wie keine Lehre, keine Arbeit etc. – erhalten keine Verlängerung. In Deutschland gibt es in einigen Bundesländern eine Verlängerungsmöglichkeit der Kinder- und Jugendhilfe bis zum 27. Lebensjahr. „Infolge der internationalen empirischen Befunde werden die Care Leaver in aller Regel als eine aufgrund ihrer psychosozialen Belastung vulnerable bzw. soziale benachteiligte und daher unterstützungsbedürftige Zielgruppe thematisiert“ (Sievers/Thomas/Zeller 2015: 21).
12 „Das Subjekt entwickelt sich über Sprache diskursiv und emanzipiert sich dadurch aus einer unbewusst verinnerlichten kulturellen Grammatik. Dafür verwendet Judith Butler (2001) den Begriff der Subjektivation. Die Subjektwerdung unterliegt also einem Prozess des Unterworfen-Seins und dem gleichzeitigen Prozess der Emanzipation aus dieser Unterwerfung (vgl. Butler 2001, S. 8). Anerkennende Kommunikation ist nach Judith Butler (2007) eine Möglichkeit, sich zu einem autonom handlungsfähigen Subjekt entwickeln zu können“ (Riegler 2016: 93-94).
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Über die AutorInnen
Mag.a Dr.in Anna Riegler
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FH-Prof. HR i.R. Mag. Dr. Klaus Posch, Jg. 1950
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