soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 18 (2017) / Rubrik "Rezensionen" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/531/975.pdf
180 Seiten / EUR 19,80
„Zur Erprobung innovativer Ansätze in der Sozialpolitik sollen neue Finanzierungsquellen für NGO-Projekte zu gesellschaftlichen Problemfeldern (…) erschlossen werden. Mittels Social Impact Bonds finanzieren gemeinnützige Stiftungen Projekte. Wird durch deren (nachweislich messbare) Wirkung eine Ersparnis für die öffentliche Hand nachgewiesen, refundiert diese der gemeinnützigen Stiftung die Investition“ (Bundesregierung 2013: 56).
Mit diesen Worten schrieb sich die österreichische Bundesregierung im Dezember 2013 ein ambitioniertes Vorhaben für den Bereich sozialer Dienstleistungen in das Regierungsprogramm der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Mit Stichwörtern wie Wirkungsorientierung oder soziale Innovation griff sie zugleich zentrale Aspekte der Debatte um Social Impact Bonds (SIBs) – auch Soziale Wirkungskredite genannt – auf.
Das Konzept verweist auf eine neue Finanzierungsform – konkret übernimmt im Rahmen von SIBs privates Kapital (z. B. Stiftungen, Banken) die Rolle des (Vor-)Finanziers sozialer Dienste. Werden vorab festgelegte Wirkungsziele erreicht (z. B. eine genau definierte Reduktion der Rückfallquote von Haftentlassenen durch Maßnahmen sozialer DienstleisterInnen), erfolgt eine Re-Finanzierung durch die öffentliche Hand. Das heißt, der Staat erstattet den InvestorInnen das vorgeschossene Kapital i.d.R. inklusive einer vereinbarten Rendite zurück. Häufig tritt in Gestalt sogenannter Intermediäre noch eine vierte Partei hinzu, die für das Zustandekommen des Vertragsverhältnisses zwischen den drei genannten Parteien (Staat, InvestorInnen, DienstleisterInnen) und für dessen Abwicklung verantwortlich ist.
Ein neuer Sammelband macht die sozialwissenschaftliche Debatte um SIBs in kritischer Intention nun erstmals auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Basierend auf einer Tagung an der Universität Leicester versammelt das Buch zehn Beiträge, die in drei Abschnitten Soziale Wirkungskredite zuerst in internationaler Perspektive darstellen, sodann ihre sozialpolitischen Auswirkungen untersuchen und schließlich nach Folgen für die Soziale Arbeit fragen. Einen Ausgangspunkt bildet die u. a. von den HerausgeberInnen des Bandes in ihrem einleitenden Beitrag formulierte Überlegung, dass die Diskussionen um dieses neue Finanzierungsinstrument in übergreifende Prozesse sozialstaatlichen Wandels eingebettet und mit daraus resultierenden Versprechungen verbunden sind: An vorderster Stelle zu nennen ist hier der Kurs verschärfter Austerität, wie er infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab etwa 2010 vor allem seitens der Europäischen Union verfolgt wird.
In diesem Rahmen stellen Finanzierungsinstrumente wie SIBs privaten Ausgleich für öffentliche Einsparungen im Sozialbereich in Aussicht, versprechen zugleich aber auch soziale Innovation. Damit suggeriert wird insofern eine Win-win-win-Situation, als aufgrund der gleichzeitigen Orientierung an wirtschaftlichen und sozialen Wirkungszielen der Staat (durch fiskalische Einsparungen), die InvestorInnen (durch finanzielle Rendite) und die Gesellschaft (durch sozialen Fortschritt) profitieren sollen. Der Sammelband macht jedoch deutlich, dass Soziale Wirkungskredite diesen Ansprüchen in der Praxis häufig nicht gerecht werden. Das gilt, wie David Harvie und Robert Ogman in ihrem Beitrag zeigen, auch für das weltweit erste SIB-Projekt, das ab 2010 in der Haftanstalt Peterborough im Osten Englands umgesetzt wurde und eine Reduktion von Rückfallquoten intendierte.
Hier deutet sich an, dass SIBs vor allem in liberalen Wohlfahrtsstaaten wie den USA und insbesondere Großbritannien verbreitet sind, wo die neoliberale Restrukturierung des öffentlichen Sektors am weitesten fortgeschritten ist. So verweist etwa Dexter Whitfield in seinem Beitrag zur internationalen politischen Ökonomie privat finanzierter sozialer Dienste darauf, dass von den 61 im Jahr 2016 weltweit aktiven SIB-Projekten über die Hälfte in Großbritannien lokalisiert war. In den vergangenen Jahren haben Soziale Wirkungskredite und vergleichbare Instrumente jedoch eine globale Ausdehnung – und zum Teil Verbreitung in benachbarten Feldern wie der Umweltpolitik und der Entwicklungszusammenarbeit – erfahren. Dafür verantwortlich sind neben den skizzierten politökonomischen Faktoren auch aktiv betriebene Prozesse der Politikdiffusion durch internationale Organisationen wie G8 oder OECD.
Als besonderes Charakteristikum von SIBs lassen sich – was u. a. Julian Müller in seinem Beitrag deutlich macht – die durch sie vorangetriebenen Prozesse der „Finanzialisierung“ bestimmen. Das heißt, sie erschließen dem zinstragenden Kapital ein (weiteres) Feld der (vormals) öffentlichen Daseinsvorsorge als spekulative Anlagesphäre und bedingen so eine Ausdehnung von Finanzmarktlogiken auf neue Bereiche der Gesellschaft. Die besondere Ironie von SIBs besteht im Umstand, dass der mit ihnen verbundene Schritt der Finanzialisierung just in dem Moment vollzogen wird, als der finanzdominierte Kapitalismus (seit 2007/08) in einer tiefen Krise steckt. Darüber hinaus wird in diesem Rahmen – wie Nikolaus Dimmel es in seinem Beitrag zu „Social Impact Bonds in Österreich“ formuliert – „der Verursacher der Finanzkrise zum Retter der daraus resultierenden Finanzierungskrise des Sozialstaates erkoren“ (S. 82).
Davon abgesehen sind SIBs in der Praxis aber häufig durchaus pragmatisch aufgestellt, was Dimmel am Beispiel des ersten solcherart finanzierten Projekts in Österreich deutlich macht. Dieses zielt auf eine Vermittlung gewaltbetroffener Frauen in existenzsichernde Beschäftigung und wird aktuell mit einer Laufzeit von 2015 bis 2018 in Oberösterreich realisiert. Wie der Autor zeigt, beschreitet das Projekt aber lediglich hinsichtlich seiner Finanzierung „innovative“ Wege; Wobei das Kapital ausschließlich von gemeinnützigen Stiftungen stammt und nicht etwa wie bei vergleichbaren Projekten in den USA von global agierenden Banken oder RisikokapitalgeberInnen wie Goldman Sachs oder Bank of America Merrill Lynch. In struktureller und prozessualer Hinsicht hingegen verlässt sich das Projekt weitgehend auf altbewährte Mittel, die wohl ebenso gut auf konventionellem Weg finanziert werden hätten können.
Nichtsdestotrotz haben SIBs, wie etwa Monika Burmester und Norbert Wohlfahrt in ihrem Beitrag darlegen, insofern Auswirkungen auf die Soziale Arbeit, als sie Wirkungsfragen und Investitionsfragen miteinander verknüpfen. Um als Maßstab für Investitionsentscheidungen privaten Kapitals dienen zu können, muss der durch SIB-finanzierte Projekte angestrebte Impact nämlich klar quantifizierbar und in Geldeinheiten darstellbar sein. Die solcherart – unter dem konzeptionellen Einfluss privater InvestorInnen – definierten Wirkungskriterien fungieren zugleich jedoch als Steuerungsinstrument bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen mit potenziell weitreichenden Implikationen für fachliche Fragen in der Sozialen Arbeit. Auswirkungen auf die Qualität solcher Dienstleistungen oder gar auf die Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten finden in der SIB-Debatte aber kaum Erwähnung und sind bislang weitgehend unerforscht.
Letzteres mag der zentrale Grund dafür sein, warum in den abschließenden Beiträgen des Sammelbands – vor allem in denen von PraktikerInnen aus Wohlfahrtsverbänden (Joachim Rock) und Gewerkschaften (Sylvia Bühler) – gerade diese aus kritischer Perspektive zentralen Aspekte nicht systematisch behandelt werden. Das gilt in vergleichbarer Form auch für die beiden anderen Beiträge im Schlussteil des Bandes, die auf Konzepte der wirkungsorientierten Steuerung in verschiedenen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit fokussieren: Michael Weber setzt sich mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung auseinander; Andreas Polutta richtet den Blick auf Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Vor allem der Beitrag Poluttas ist im Hinblick auf Fragen der Wirkungsorientierung und deren Implikationen für die Soziale Arbeit zwar durchaus lehrreich, ob die mit SIBs verbundene Finanzierungsform hier spezifische Auswirkungen zeitigt, wird aber nur am Rande behandelt.
Alles in allem bietet der Sammelband nichtsdestotrotz eine ebenso vielfältige wie kompakte Einführung in die Debatte um Soziale Wirkungskredite. Mit seinem interdisziplinären Zugang und seiner kritischen Perspektive füllt er so eine bedeutende Lücke in der deutschsprachigen Sozialpolitikforschung. Wie sich das Phänomen der SIBs selbst fortentwickeln wird, lässt das Buch jedoch weitgehend offen. Dass FinanzmarktakteurInnen wie Pensionsfonds und Versicherungen, aber auch Banken und RisikokapitalgeberInnen in größerem Umfang in diesen Markt drängen werden, ist schließlich unwahrscheinlich, solange das hier projektierte Investitionsvolumen bescheiden ist, die zu erzielenden Rendite unter marktüblichem Niveau liegen und kein Sekundärmarkt für den Handel mit SIB-Anleihen existiert. Aufseiten des Staates hat sich zudem gezeigt, dass die intendierten Einsparungen aufgrund nicht berücksichtigter Kosten (z. B. Transaktions- und Umbaukosten) vielfach nicht realisiert werden konnten. Darüber hinaus ist es auch mit dem „sozialen Innovationsgehalt“ SIB-finanzierter Projekte häufig nicht weit her.
Letztlich wirkt sich die SIB-Debatte so möglicherweise am weitreichendsten – wie u. a. Dimmel und Burmester/Wohlfahrt in ihren Beiträgen nahelegen – auf diskursiver bzw. ideologischer Ebene aus: Im Rahmen einer übergreifenden Transformation des Sozialstaats treibt die Debatte Prozesse der „Vermarktlichung“ und „Verwettbewerblichung“ des Sozialen voran und flankiert so rhetorisch die fortschreitende Privatisierung von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Markus Griesser / markus.griesser@univie.ac.at
Literatur
Bundesregierung (2013): Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013-2018: Erfolgreich – Österreich. Wien. https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264 (30.08.2017).