soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 19 (2018) / Rubrik "Werkstatt" / Standort Feldkirchen
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/556/1000.pdf


Helmut Spitzer, Heinz Gabler, Marijana Grandits & Renate Schneider:

Praktika im Globalen Süden

15 Jahre gelebte Praxis internationaler Sozialer Arbeit


1. Einleitung

Auslandspraktika sind ein bedeutsamer Bestandteil der Praxis internationaler Sozialer Arbeit. Sie bekommen eine besondere Relevanz, wenn die Praxiserfahrung in einem Land des Globalen Südens (hier verstanden als Afrika, Asien und Lateinamerika) angesiedelt ist. So ein Praktikum beinhaltet vielfältige Lernerfahrungen und Entwicklungspotenziale fachlicher und persönlicher Natur. Die gesammelten Erfahrungen können sich auf die Herausbildung einer professionellen Identität als Sozialarbeiter_in, auf die eigene Lebenspraxis und auf mögliche bürgerschaftliche Rollen in der multikulturellen Gesellschaft konstruktiv auswirken.

In diesem Beitrag wird das Programm „Sozial.EZA-Praktika in Afrika, Asien und Lateinamerika“ (EZA steht für Entwicklungszusammenarbeit) vorgestellt, das seit dem Jahr 2003 läuft und eine umfangreiche Vorbereitung, Begleitung und Reflexion von Berufspraktika österreichischer Studierender der Sozialen Arbeit in sogenannten Entwicklungsländern umfasst. Es werden die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Potenziale und Grenzen solcher Praktika diskutiert. Zunächst gehen wir kurz auf die vielschichtigen Dimensionen internationaler Sozialer Arbeit ein und verorten darin die Bedeutung von Praktika in Ländern des Südens. In einem zweiten Schritt wird das Praktikum im Spannungsfeld von Kulturschock- und Selbsterfahrungsprozessen besprochen. Schließlich wird das Programm Sozial.EZA-Praktika genauer vorgestellt und im Hinblick auf seine Nachhaltigkeit und einige Herausforderungen kritisch erörtert.


2. Internationale Soziale Arbeit: ein breites Feld

Internationale Soziale Arbeit ist ein vielschichtiges Feld. Sie verortet sich im Hinblick auf Herausforderungen, die mit Prozessen von Globalisierung, Migration und Flucht einhergehen, und die damit im Zusammenhang stehenden transkulturellen und transnationalen Kommunikations- und Sozialräume sowie Problem- und Konfliktfelder. Sie hat gleichermaßen eine Innenperspektive im Sinne interkultureller Sozialer Arbeit im eigenen nationalen Kontext und eine Außenperspektive grenzüberschreitender Praxis und internationaler Diskurse. Theoretisch, professionspolitisch und praktisch ist internationale Soziale Arbeit in historische Verflechtungen kolonialer Erfahrungen und unterdrückter Wissenssysteme in den Ländern des Südens und hegemonialer Positionen seitens der industriekapitalistischen Länder eingebettet, die – zumindest teilweise – bis heute andauern. James Midgley (1981) hat für den unkritischen Export europäischer und US-amerikanischer Theorien, Konzepte und Methoden Sozialer Arbeit in die vormals als „Dritte Welt“ bezeichneten Länder des Südens den Begriff „Professional Imperialism“ geprägt. Laut Lutz und Stauss (2016: 544) bewegt sich internationale Soziale Arbeit gegenwärtig in einem Spannungsverhältnis zwischen der Internationalisierung von Sichtweisen des „Globalen Nordens“ und deren Relativierung durch eine intensivere Berücksichtigung von Perspektiven des „Globalen Südens“. Das Nachdenken über die Verwobenheit Sozialer Arbeit in historische und globale Prozesse von Ungleichheit und Machtasymmetrien vor dem Hintergrund eigener eurozentrischer Sichtweisen und manifest oder latent vorhandener „imperialistischer“ Ambitionen gehört aus unserer Sicht zum immanenten Repertoire internationaler Sozialer Arbeit und zur Herausbildung einer professionellen Identität, die sich nicht nur bewusst dem Korsett einer rein nationalstaatlich orientierten Denk- und Handlungspraxis entzieht, sondern diese wiederum einer kritischen Reflexion unterzieht. Für europäische Kolleg_innen und Studierende, die mehr über die spezifischen Ausprägungsformen Sozialer Arbeit in den Ländern des Südens wissen wollen, ist es ratsam und aufschlussreich, sich mit Literatur aus den jeweiligen Ländern zu beschäftigen und/oder sich über persönlichen Austausch und kooperative Forschung ein Bild von der Indigenisierung der Profession in anderen Kulturen zu machen (vgl. Spitzer 2014).

Angelehnt an Healy (2008) und Cox und Pawar (2013) können fünf Dimensionen internationaler Sozialer Arbeit unterschieden werden:

  1. Interkulturelle Soziale Arbeit im nationalen Kontext (z. B. Migrationssozialarbeit, Flüchtlingshilfe, internationale Adoptionsverfahren usw.)
  2. Internationaler Wissens- und Erfahrungsaustausch (z. B. durch internationale Konferenzen, Fachpublikationen, Gastlektorate, Partnerschaften usw.)
  3. Internationale Praxis durch Berufstätigkeit und freiwillige Auslandseinsätze (z. B. im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe, aber auch durch internationale Praktika)
  4. Internationale politische und anwaltschaftliche Arbeit (z. B. Menschenrechtsarbeit, Lobbying für bestimmte Bevölkerungsgruppen und Anliegen usw.)
  5. Stärkung und Professionalisierung Sozialer Arbeit auf globaler Ebene (z. B. durch die Formulierung internationaler Dokumente wie die Global Agenda for Social Work and Social Development, Aktivitäten rund um den World Social Work Day oder die Zusammenarbeit mit Organen der Vereinten Nationen)

Eine wichtige Position nimmt der Bereich der internationalen Forschung ein, der sich als Querschnittsmaterie über die fünf obig genannten Dimensionen erstreckt. Internationale Praktika in Ländern des Südens finden sich einerseits explizit im Bereich der internationalen Sozialarbeitspraxis, stellen aber andererseits einen Ausgangspunkt und ein mögliches „Sprungbrett“ in alle anderen Bereiche dar. Dies zeigt ein erster empirischer Blick auf die Absolvent_innen der Sozial.EZA-Praktika: Die Palette von Tätigkeiten, die mehr oder weniger explizit durch das Auslandspraktikum evoziert worden sind, reicht von typischen Handlungsfeldern der Migrationssozialarbeit und Flüchtlingshilfe über bürgerschaftliches Engagement für Asyl suchende Menschen in Österreich, die Initiierung von Sozialprojekten im Gastland bis hin zur vorübergehenden oder dauerhaften Übersiedelung in das Gastland mit Berufstätigkeit in der Sozialen Arbeit.


3. Sozialarbeitspraktika zwischen Kulturschock und Selbsterfahrung

Praktika sind essentielle Bestandteile des Curriculums Sozialer Arbeit. Sie sind eine wichtige Schnittstelle im Theorie-Praxis-Kontinuum und bieten den Studierenden die Möglichkeit, ihr bisher erworbenes Wissen und ihre Handlungskompetenzen zu erproben, in ausgewählte Handlungsfelder hinein zu schnuppern und dabei Erfahrungen in der Herausbildung einer professionellen Identität zu sammeln. Reitermeier und Frey (2013) akzentuieren das Sozialarbeitspraktikum als „Statuspassage“ (Übergang vom Status des Hochschulstudierenden zur professionellen Fachkraft), welche durchaus zu einem krisenhaften Erfahrungsprozess werden kann, vor allem, wenn notwendige Reflexionsmöglichkeiten nicht gegeben sind. Rauschenbach (2013: 684) bezeichnet Praktikumserfahrungen als „wichtige Quelle der Konfrontation von diffusen Hoffnungen, Vorstellungen und Wünschen künftiger Berufsträger mit den Realitäten einer vielfach ernüchternden Praxis“, die zu einer produktiven Auseinandersetzung mit dem „Praxisschock“ vor dem Eintritt ins sozialberufliche Leben führen können.

All diese Faktoren bekommen eine besondere Dimension, wenn die Praktikumserfahrung in einem anderen kulturellen und fremdsprachigen Kontext angesiedelt ist. Die Studierenden sind dabei in der Regel nicht nur mit einem Praxisschock konfrontiert, sondern parallel dazu auch einem Kulturschock ausgesetzt. In der Begegnung mit beidem – der oftmals befremdlichen Praxis in einem fremdkulturellen Kontext – sind sie nicht selten in erheblichem Maße auf sich selbst zurückgeworfen und kommen dabei manchmal mit befremdlichen Anteilen ihrer eigenen Persönlichkeit in Berührung. In diesem Sinne stellt das Auslandspraktikum auch eine wichtige Folie zur Persönlichkeitsbildung und Selbsterfahrung dar. Die langjährige Begleitung von Studierenden bei ihren individuellen Lernprozessen hat gezeigt, dass die persönliche Begegnung mit konkreten Manifestationen von absoluter Armut und zum Teil extremen Menschenrechtsverletzungen in den Ländern des Südens zur Erschütterung des bisherigen Weltbildes und zu Persönlichkeits- und Wertvorstellungskrisen führen kann. So sind Auslandspraktikant_innen in einem lateinamerikanischen Slum oder im afrikanischen Busch vielfältigen psychischen Anpassungsherausforderungen ausgesetzt, auf die sie nur bedingt vorbereitet sind und die zu Fremdheits-, Aggressions-, Ohnmachts- und Angstgefühlen führen können. Die Veränderung der eigenen Persönlichkeit in der Konfrontation mit dem Fremden vollzieht sich dabei in verschiedenen Phasen des Wohlfühlens oder auch des Abwehrens, die sich höchst individuell ausgestalten können (vgl. Friesenhahn/Kniephoff-Knebel/Rickert 2009).

„Solche Prozesse können – zumindest teilweise – benannt werden, wenn zum Beispiel an erster Stelle die Begeisterung und Freude über das neue Land steht, gefolgt von eventuellem Heimweh und dem Gefühl nie mehr aus der neuen Heimat zurück in die alte zu wollen.“ (ebd.: 258)

Bei kürzeren Aufenthalten – Oberg (2006) geht von bis zu sechs Monaten aus – bleiben die Betroffenen oft in der sogenannten Honeymoon-Phase stecken, in der der fremdkulturelle Kontext tendenziell idealisiert wird. Aber auch die Rückkehr ins eigene Herkunftsland kann Teil eines Kulturschocks sein: So kann die Begegnung mit bisher vertrauten Menschen und deren Normvorstellungen, Lebensstilen und Meinungen vor dem Hintergrund der eigenen Persönlichkeitsveränderung als irritierend erlebt werden und zu neuerlichen Fremdheitserfahrungen führen. Mit Friesenhahn, Kniephoff-Knebel und Rickert (2009: 260) sei aber festgehalten, dass ein Kulturschock erfahrungsgemäß eine Durchgangsphase ist, die zumeist gut bewältigt werden kann und sich stärkend und bereichernd auf die Person und ihren Auslandsaufenthalt auswirkt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Sozialarbeitspraktika in Ländern des Südens eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringen, für die beteiligten Studierenden in der Regel aber eine große persönliche, kulturelle und fachliche Horizonterweiterung bedeuten (vgl. Kruse 2015b). Die Schaffung der organisatorischen, institutionellen, administrativen und inhaltlichen Voraussetzungen eines Programms, das sich explizit der Förderung solcher Praktika widmet, ist zeitaufwendig und erfordert personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen (vgl. Lager/Mathiesen 2012). Diese gehen zumeist über den regulären Möglichkeitsrahmen von Fachhochschulstudiengängen hinaus.

Im Folgenden wird eine Initiative vorgestellt, die genau an dieser Stelle ansetzt.


4. Sozial.EZA-Praktika in Afrika, Asien und Lateinamerika

4.1 Organisationsstruktur, Zielsetzung und Rahmenbedingungen

Das Vorhaben wurde 2003 zunächst als Pilotprojekt an der Fachhochschule Campus Wien gestartet. Im Laufe der Jahre wurde das Vorbereitungsprogramm für Sozialarbeitspraktika in Ländern des Südens sukzessive auf andere Studiengänge für Soziale Arbeit ausgeweitet. Inzwischen sind Fachhochschulen aus allen Bundesländern beteiligt, so dass von einem gesamtösterreichischen Programm gesprochen werden kann.

Die FH Campus Wien fungiert als Träger. Ein Projektteam koordiniert den Programmablauf in Kooperation mit den Studiengängen (und fallweise den Internationalen Büros) der beteiligten FHs sowie den österreichischen Einsatzorganisationen. In den vergangenen Jahren waren dies die Dreikönigsaktion (DKA), der Verein INTERSOL, OSECA (Büro für Wissenschaftskooperation und Bildungszusammenarbeit mit Afrika an der FH Kärnten) und Leon/Nicaragua. Diese Organisationen arbeiten ihrerseits mit den Praxiseinrichtungen in den Partnerländern zusammen und sind für die konkrete Vermittlungstätigkeit der Praktika zuständig. Die Praxisstellen in den Ländern des Südens sind Einrichtungen der Sozialen Arbeit in verschiedenen Handlungsfeldern, zum Großteil Nichtregierungsorganisationen.

Das Programm wird aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit durch die Austrian Development Agency (ADA) gefördert. Die Finanzierung erfolgt überdies durch eine Selbstkostenbeteiligung der Studierenden und FHs, wobei dies von Standort zu Standort unterschiedlich gehandhabt wird. Es besteht eine Übereinkunft der beteiligten Hochschulen, dass die Teilnahme ihrer Studierenden an den Vorbereitungs-, Begleit- und Nachbereitungsmaßnahmen eine Voraussetzung für die Anerkennung von Berufspraktika in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas darstellt.

Das Programm zielt auf eine professionelle und qualitätsvolle Vermittlung, Vorbereitung, Begleitung und Reflexion von Langzeitpraktika im Globalen Süden ab. Dadurch sollen zukünftige Sozialarbeiter_innen für die Anliegen des interkulturellen und globalen Lernens, der internationalen Sozialen Arbeit und der Entwicklungspolitik sensibilisiert und qualifiziert werden und sich in der Folge als Multiplikator_innen in der österreichischen Gesellschaft und darüber hinaus engagieren. Auf institutioneller Ebene soll durch kontinuierliche Austausch- und Vernetzungstreffen aller beteiligten Akteur_innen auch ein Beitrag zur Internationalisierung der Ausbildung Sozialer Arbeit und der Schaffung von Synergieeffekten für entwicklungspolitische Bildungs- und Kulturarbeit geleistet werden.

Die Dauer der Sozial.EZA-Praktika beträgt 15 Wochen, kann aber im Fall von berufsbegleitend Studierenden auf zehn Wochen verkürzt werden. Für die Studierenden bedeutet dies in der Regel eine längere Praktikumsdauer als bei einem Praktikum in Österreich oder einem anderen EU-Land, so dass sie oftmals einige Wochen ihrer Ferienzeit heranziehen müssen. Da das Erlernen der Sprache des Gastlandes (zumindest einer offiziellen Verkehrssprache) unabdingbar ist, müssen interessierte Studierende für eine allfällige zusätzliche Sprachvorbereitung ebenfalls ihre Ferienzeit verwenden. Einige absolvieren beispielsweise einen Sprachkurs im Gastland und erhalten so einen ersten Zugang zur Kultur und sozialen Alltagspraxis im Kontext ihres Praktikums.


4.2 Vorbereitung, Begleitung und Reflexion

Das Programm besteht aus modular aufgebauten, mehrtägigen Vor- und Nachbereitungsseminaren, bei denen die Studierenden aus allen österreichischen Studiengängen für Soziale Arbeit zusammenkommen. Fallweise, wenn in einem Jahrgang sehr viele Teilnehmer_innen sind, werden die Seminare gesplittet. Parallel zu den Seminaren läuft ein österreichweiter Moodle-Kurs über die FH Campus Wien, in dem die gesamte Dokumentation zusammenläuft und alle relevanten Informationen für die beteiligten Akteur_innen abrufbar sind.

Zu Beginn bekunden die Studierenden ihr Interesse mit einem persönlichen Motivationsschreiben und dem Lebenslauf, die idealerweise in englischer bzw. spanischer Sprache verfasst werden und der jeweiligen Praktikumsstelle im Süden zukommen. Damit werden den Kolleg_innen in den Partnerländern Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt, wen sie vorübergehend ins Team aufnehmen oder nicht. Idealerweise finden dazu auch persönliche Abklärungsgespräche sowohl mit den Praxislektor_innen als auch mit den Einsatzorganisationen statt. Diese Motivationsabklärung erfolgt oft im Spannungsfeld von „lernen wollen“ versus „helfen wollen“: Während bei Studierenden, die ihr Praktikum in Österreich absolvieren möchten, der Lernaspekt im Vordergrund steht, spielt bei den an den Auslandspraktika Interessierten tendenziell der Hilfeaspekt eine größere Rolle. Es gilt, diese Motivationslage ernst zu nehmen, aufzugreifen und kritisch zu reflektieren. Ein anderer wichtiger Punkt, der im Vorfeld geklärt werden muss, ist die Frage, ob man alleine, zu zweit oder gar zu dritt in dieselbe Praktikumsstelle gehen soll. Diese Varianten haben Vor- und Nachteile: Während das Single-Praktikum zumeist einen besseren kulturellen und sprachlichen Zugang zum Gastkontext erschließt, bietet die Teamkonstellation die Möglichkeit der muttersprachlichen und vertrauten Reflexion von oft befremdlichen, schwer einzuordnenden Eindrücken. Dabei besteht jedoch das Risiko, dass sich die Ingroup-Orientierung von mehreren Studierenden als hinderlich für die Öffnung zum kulturellen Umfeld erweist.

Im Rahmen von zwei allgemeinen Seminaren und speziellen Vorbereitungstreffen mit den Einsatzorganisationen befassen sich die Studierenden mit den globalen, regionalen und lokalen Dimensionen von Entwicklung, mit Grundfragen interkulturellen Lernens, internationaler und länderspezifischer Sozialer Arbeit sowie praktischen Aspekten des Auslandsaufenthalts (Einreisebestimmungen, Gesundheitsvorsorge, persönliche Sicherheit). Dabei wird auch auf die große Anzahl ehemaliger Praktikant_innen zurückgegriffen, die ihr erworbenes Fach- und Erfahrungswissen einbringen und mit den Ausreisenden teilen. Des Weiteren erstellen die Studierenden einen individuellen Plan zur Vorbereitung ihres Praktikums.

Im Rahmen der Vorbereitung sollen die Studierenden mit den notwendigen Informationen für ihren Auslandsaufenthalt ausgestattet und dafür sensibilisiert und befähigt werden, offen für interkulturelle Kommunikation in ihre Praktikumskontexte nach Afrika, Asien und Lateinamerika zu reisen und fremden Kulturen auf solidarische, wertschätzende Art zu begegnen. Pädagogisch stützt sich das Programm dabei auf Ansätze transkulturellen Lernens nach dem Modell von Durchdringungen und Verflechtungen von Kulturen (Welsch 2010) sowie auf Methoden globalen Lernens, in dem weltgesellschaftliche Zusammenhänge und Probleme handlungstheoretisch erschlossen und selbstreflexiv und dialogisch mit dem Ziel erörtert werden, den eigenen alltagspraktischen und zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum zu erweitern (vgl. Hartmeyer 2012). Ergänzt werden sie durch theaterpädagogische Elemente, die sich mit den Haltungen und Erwartungen der Studierenden auseinandersetzen.

Die Begleitung während des Praktikums erfolgt einerseits durch die österreichischen Einsatzorganisationen und Praxislektor_innen an den FHs, zumeist in Form digitaler Medien, beispielsweise Skype-Konferenzen. Andererseits erfolgt die kontinuierliche Reflexion vor Ort mit einer qualifizierten Anleitungsperson, die idealerweise aus dem Bereich der Sozialen Arbeit kommt. Wenn eine Kooperation zwischen der österreichischen Ausbildungsstätte und einer Partnerhochschule im Süden besteht, ist es sinnvoll, den Praktikumsprozess institutionell rückzukoppeln und mit den universitären Kolleg_innen im Gastland zusätzliche Reflexionsmöglichkeiten zu schaffen. Damit wäre das Praktikum auch in ein breiteres Theorie-Praxis-Verhältnis eingebettet. An der Fachhochschule Kärnten gibt es diesbezüglich positive Erfahrungen mit Partnerhochschulen in Tansania und Uganda, an der FH Campus Wien mit El Salvador.

Nach dem Praktikum werden die gemachten Erfahrungen in einem zweitägigen Reflexionsseminar aufgearbeitet und reflektiert. Dabei hat es sich als sinnvoll herausgestellt, die Erfahrungen aus unterschiedlichen geographischen und soziokulturellen Kontexten miteinander in Bezug zu bringen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und in globale Zusammenhänge einzubetten. Dies ist auch insofern wichtig, als dass Studierende bei ihrer Reflexion nicht auf der Mikroebene ihrer Erfahrungen stecken bleiben, sondern in der Lage sein sollten, diese auch auf meso- und makrostrukturelle Ebenen umzulegen. Um ein Beispiel zu nennen: Bei einem Praktikum mit Straßenkindern sollten auch die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe, das sozialpolitische System des Gastlandes, die gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen des Aufwachsens sowie politische und rechtliche Aspekte – beispielsweise Kinderrechte – berücksichtigt werden.

Bei der Reflexionsarbeit geht es auch um das Aufarbeiten von Frust und anderen negativen Gefühlen, z. B. im Zusammenhang mit Korruption oder anderen Zeit- und Organisationsmustern. Durch den Einsatz kreativer Methoden (z. B. Festhalten der zentralen Erfahrungen auf einem Plakat) und durch das Teilen in der Gruppe sollen die eigenen Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven reflektiert und so wichtige Integrationsimpulse für den gegenwärtigen Lebenszusammenhang erreicht werden.

An einigen Fachhochschulen erhalten die Praktikant_innen für diese besonderen Leistungen zusätzliche ECTS-Punkte. Aus dem Programm erfolgt ein finanzieller Zuschuss zu den speziellen Vorbereitungs- und Praktikumskosten, sofern sie einen solchen nicht aus anderen öffentlichen Förderungen erhalten.


4.3 Statistischer Überblick

Von den Jahrgängen 2003 bis 2017 haben insgesamt 503 Studierende das Berufspraktikum im Rahmen des Programms absolviert. Davon waren 397 weiblich und 106 männlich. Im ersten Durchgang waren es acht Studierende, im Jahr 2017 bereits 45. Durchschnittlich reisten 33 Studierende pro Jahr aus. Sechs Studierende kamen aus anderen Studienrichtungen als Soziale Arbeit.

102 weitere Studierende waren beim Programm fix angemeldet, ohne anschließend das Praktikum anzutreten. Sie haben diverse Vorbereitungsaufgaben erledigt, an einem oder beiden Vorbereitungsseminaren teilgenommen, sich beraten lassen, ihre Motivation und Ängste überprüft, sind aber dann letztlich nicht ausgereist. Hier zeigt sich, wie wichtig eine fundierte Auseinandersetzung mit einem biografisch doch einschneidenden Entscheidungsprozess ist.

Die Praktikant_innen kamen aus allen österreichischen Studiengängen für Soziale Arbeit und teilen sich wie folgt auf: 3 aus dem Burgenland (seit 2017), 69 aus Kärnten, 32 aus Niederösterreich, 59 aus Oberösterreich, 5 aus Salzburg (seit 2015), 52 aus der Steiermark, 13 aus Tirol, 23 aus Vorarlberg und 247 aus Wien. Bezogen auf Kontinente sieht das Bild wie folgt aus: 197 Studierende (40%) reisten nach Afrika aus, 131 (26%) nach Asien und 170 (34%) nach Lateinamerika (auf länderspezifische Angaben wird hier verzichtet). In fünf Fällen wurde ein Praktikum in Südosteuropa genehmigt.

In Bezug auf Handlungsfelder ist eine Angabe schwierig, weil eine trennscharfe Abgrenzung in der Praxis oft schwer möglich ist und viele Einrichtungen Aufgaben in mehreren Bereichen umfassen. Dennoch bieten wir hier einen groben Überblick. Daraus ist ersichtlich, dass ein großer Teil der Ausreisenden (35%) für ihr Praktikum das breite Feld der Kinder- und Jugendarbeit wählten (dazu zählen wir stationäre Kinderhilfseinrichtungen, die Arbeit mit Straßenkindern, Jugendkulturarbeit, staatliche Jugendwohlfahrt und Familienhilfe). Weitere 23% waren in der sozialen Entwicklungsarbeit tätig, z. B. im Bereich der Dorf- oder Slumentwicklung und in der Gemeinwesenarbeit. 16% betätigten sich in Handlungsfeldern der Frauenförderung (z. B. Frauenhäuser, Beratungsstellen, Empowerment von Frauen und Mädchen), 7% in der Gesundheitsförderung (z. B. AIDS-Prävention, Krankenhaussozialarbeit, Drogenhilfe, Arbeit mit Leprakranken), je 4% in der Menschenrechts- und Bildungsarbeit, 3% in der Straffälligenhilfe und 2% in der sozialen Altenarbeit. Weitere Handlungsfelder sind psychosoziale Beratung, Gewalt- und Suchtprävention, Streetwork, Wohnungslosenhilfe und Behindertenarbeit (gesamt 6%). Die Unterschiede bezogen auf Kontinente sind in Tabelle 1 ersichtlich.

Handlungsfeld Afrika Asien Lateinamerika gesamt
Kinder- und Jugendarbeit 48 42 19 35
Soziale Entwicklungsarbeit 20 23 27 23
Frauenförderung 8 19 21 16
Gesundheitsförderung 8 5 9 7
Menschenrechtsarbeit 2 5 6 4
Bildungsarbeit 4 6 3 4
Straffälligenhilfe 4 2 2 3
Soziale Altenarbeit 5 0 0 2
Sonstige 1 0 12 6

Tabelle 1: Überblick über Handlungsfelder nach Kontinenten (in gerundeten %, n = 444) (eigene Berechnung auf Basis von 444 zugeordneten Praktikumsstellen)


5. Nachhaltigkeit und Herausforderungen

Im Folgenden werden einige Erkenntnisse aus dem Sozial.EZA-Programm genannt und erörtert. Zum einen fragen wir dabei nach dem „Mehrwert“ eines solchen Projekts im Hinblick auf die eingangs genannten Lernerfahrungen und deren Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche der beteiligten Studierenden, aber auch in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Mit anderen Worten: Worin besteht die entwicklungspolitisch und gesellschaftlich erwartete Nachhaltigkeit von Sozialarbeitspraktika in Ländern des Südens? Zum anderen werden einige Herausforderungen genannt und Überlegungen angestellt, welche Komponenten bei einem Projekt wie diesem in Zukunft verbessert werden könnten. Empirisch beziehen wir uns dabei auf die Informationen von Studierenden aus 33 Reflexionsseminaren und hunderten Reflexionsberichten, auf unzählige persönliche Feedbackgespräche, auf die Ergebnisse einer Evaluation im Jahr 2011 sowie auf die Rückmeldungen von 32 ehemaligen Praktikant_innen bei einem Austauschtreffen im November 2017. Bei besagter Evaluation wurden 214 Teilnehmer_innen der Ausreisejahrgänge 2003 bis 2010 mittels Fragebogen angeschrieben, die Rücklaufquote betrug 51%. Der Fragebogen umfasste quantitative und qualitative Fragen zu sozialarbeiterischen, entwicklungspolitischen, interkulturellen und persönlichen Themenbereichen1.


5.1 Nachhaltigkeit von Praktika im Süden auf dem Prüfstand

Zunächst kann festgehalten werden, dass ein Großteil der beteiligten Studierenden die gemachten Erfahrungen positiv bewertete. Bei der Evaluation beschrieben zwei Drittel (65%) der befragten Absolvent_innen ein großes Veränderungspotenzial in Bezug auf persönliche, fachliche und politische Aspekte. Dabei wurden mehrere zentrale Ergebnisse sichtbar: Erstens, Studierende zeigen nach so einem Praktikum mehr Interesse bzw. entwickeln neue Sichtweisen für globale Themen und internationale Entwicklungsfragen. Zweitens, Studierende erleben eine starke persönliche Entwicklung. Drittens, sie erlangen ein breiteres Verständnis von Sozialer Arbeit, und viertens, sie erfahren eine Politisierung ihrer Ansichten und Meinungen (im Sinne von Global Citizenship).

Im Hinblick auf das gewonnene Verständnis von globalen Zusammenhängen und die Erkenntnis über die Komplexität der Thematik bezogen sich die Studierenden vorwiegend auf soziale, politische und wirtschaftliche Systemfragen und Verflechtungen, die durch das Kennenlernen der Lebensbedingungen im Gastland erleb- und erklärbar geworden sind. Beschrieben wurde vor allem die Problematik der Armut, die Ungleichheiten zwischen Nord und Süd sowie das Erleben von den (negativen) Folgen der Globalisierung. Die eigene hautnahe Erfahrung wurde für die Erklärung von internationalen Entwicklungsfragen nach ihrer Rückkehr nach Österreich als hilfreich beschrieben. Dazu ein Zitat einer Studierenden:

„[Es ergibt sich ein] besserer Einblick in Themen, über die man ansonsten nur von der Ferne urteilen kann. Man lebt mit Problematiken wie z. B. Wasserknappheit, Umweltverschmutzung und erlebt die Unterschiede in einer anderen Kultur hautnah. (…) Man kann zuhause besser argumentieren, hat einfach Erfahrung und weiß worüber man spricht.“

Folgendes Zitat einer Studentin ist besonders aufschlussreich in Bezug auf interkulturelle Lernprozesse:

„Am einprägsamsten war die Erfahrung, fremd zu sein.“

Viele Rückkehrer_innen bezeichneten die Erfahrung der Fremdheit als signifikantesten Aspekt ihres Praktikums, sowohl für ihre persönlichen Lebenszusammenhänge als auch für die spätere berufliche Tätigkeit.

In Bezug auf Soziale Arbeit fällt auf, dass der zeitliche Aspekt der Distanzierung vom Auslandspraktikum offenbar eine große Rolle spielt. Die Aussage „Sozialarbeiterisch habe ich wenig gelernt“, die eine Studierende nach ihrer Rückkehr bei einem Reflexionsseminar tätigte, ist charakteristisch für die ambivalente Beurteilung von vielen Studierenden, wonach der persönliche Mehrwert des Praktikums zwar als hoch, der fachliche Nutzen aber zunächst als eher gering eingeschätzt wird. Das ändert sich im Laufe der Zeit. Beim Austauschtreffen 2017 bewerteten die ehemaligen Sozial.EZA-Praktikant_innen ihre gemachten Auslandserfahrungen unisono als förderlich für die eigene sozialberufliche Praxis.

Bezogen auf persönliche Lernerfahrungen gaben 83% der Befragten unterschiedliche Aspekte an, die sie besonders geprägt hatten. Abschließend ein Zitat aus dem Reflexionsbericht einer Studierenden, in dem der Zusammenhang von fachlichen, persönlichen und strukturellen Aspekten des Auslandspraktikums deutlich wird. Auch die oben dargestellte Ambivalenz zwischen dem Lern- und Hilfeaspekt wird dabei angesprochen. Diese stellt sich im retrospektiven Blick auf die Praxiserfahrung zumeist in einem anderen Licht dar.

„Meine Ansicht von ‚Hilfe‘ hat sich komplett verändert. Was bedeutet Hilfe? Kann man wirklich helfen? (…) Bei Entwicklungsarbeit geht es meiner Meinung nach um Empowerment und Hilfe zur Selbsthilfe. Der Gedanke, dass man nach Afrika geht um zu helfen, darf niemals entstehen und ist auch komplett falsch. Ich musste in der Arbeit mit den Straßenkindern erleben, dass ich eigentlich keine Ahnung habe. Ich habe keine Lösung, ich kenne mich nicht so gut in dem gesamten System aus, so dass ich wirklich eine Hilfe darstellen könnte. Bei einem Praktikum wie diesem ist der persönliche Lerneffekt der größte.“


5.2 Herausforderungen und Problembereiche

Im Laufe der Jahre wurden durch das Feedback der Studierenden, durch Austauschtreffen der beteiligten Akteur_innen in Österreich und durch Rückmeldungen von den Praxiseinrichtungen in den Partnerländern eine Reihe von Problemen und Herausforderungen sichtbar. Nachfolgend werden dazu einige zentrale Aspekte genannt.


5.2.1 Dauer des Praktikums

Der zeitliche Rahmen von 15 Wochen lässt durchaus einen Einblick in die Strukturen eines Handlungsfeldes Sozialer Arbeit und in einen bestimmten kulturellen Kontext zu, ist aber für ein vertieftes Verständnis in der Regel zu kurz. Rückkehrer_innen berichteten oftmals, dass sie eine Verlängerung des Praktikums benötigt hätten, um die jeweiligen Lebenskonzepte, Kulturpraktiken und fachlichen Methoden besser verstehen zu können. Manchmal fehlt den Studierenden durch die begrenzte Dauer (zusammen mit anderen Faktoren) der Blick für die Hintergründe eines Projekts und die zugrundeliegende Motivation bestimmter Verhaltensweisen, die in der Folge stereotyp interpretiert werden. (Zitat einer Studentin: „Die Sozialarbeiter sitzen oft stundenlang nur herum und tun gar nichts.“). Oft sind die Studierenden auch nicht in der Lage zu erkennen, dass nicht nur die Klient_innen, sondern auch die Sozialarbeiter_innen und Praxiseinrichtungen von den Auswirkungen weitverbreiteter Armut, sozialer Ungleichheit und der Abhängigkeit von Geldgebern aus dem Globalen Norden betroffen sind (vgl. Heron 2005: 789).

Freilich ist die Praktikumsdauer von den allgemeinen curricularen Möglichkeiten eines Studiengangs abhängig – wenn möglich sollte versucht werden, den Aufenthalt im Globalen Süden möglichst weit auszudehnen, beispielsweise durch den Besuch eines Sprachkurses im Vorfeld des Praktikums. An der Fachhochschule Kärnten wurde das Praktikum von einigen Studierenden mit einem Auslandssemester an der tansanischen Partnerhochschule, dem Institute of Social Work in Dar es Salaam, kombiniert. Sie verbrachten somit insgesamt zwischen acht und zehn Monate in dem Gastland (vgl. Spitzer 2011).


5.2.2 Sprachbarrieren

Die Kenntnis der Sprache(n) im Gastland ist von entscheidender Bedeutung im interkulturellen Verstehensprozess und im Zugang auf das sozialarbeiterische Handlungsfeld. Trotz Spracheinstufung der Kenntnis der Verkehrssprache im Gastland in der Vorbereitungsphase (vor Praktikumsbeginn soll ein Niveau von B2 nach dem europäischen Referenzrahmen gegeben sein) und trotz Sprachkursen, die manche Studierende noch vor ihrer Ausreise besuchen (beispielsweise in Swahili), bleibt der Zugang zu Lokalsprachen in der Regel verwehrt. Eine Empfehlung aus dem Reflexionstreffen mit ehemaligen Sozial.EZA-Praktikant_innen lautet, hier die Hürden höher anzusetzen und auch auf ein bestimmtes Sprachniveau in Lokalsprachen zu bestehen, das die direkte Kommunikation mit den Klient_innen ermöglicht.


5.2.3 Kommunikation mit Partnern im Süden

Lager und Mathiesen (2012) betonen die Wichtigkeit einer kontinuierlichen Kommunikation zwischen den beteiligten internationalen Akeur_innen eines Auslandspraktikums. In der Vergangenheit wurde von Studierenden immer wieder bemängelt, dass es zu wenig Kontakt zwischen ihrer Praktikumsstelle und den Betreuungspersonen in Österreich gibt. Eine intensivere Kommunikation würde zweifellos das wechselseitige Verständnis fördern und Einfluss auf die Qualität der Praxisanleitung auf beiden Seiten nehmen. Eine Möglichkeit, persönlichen Kontakt herzustellen und zu pflegen, besteht durch kooperative Forschungs- und Entwicklungsprojekte und in der Durchführung von Studien- und Begegnungsreisen, wie sie beispielsweise an der FH Kärnten, der FH Oberösterreich und von INTERSOL schon mehrmals durchgeführt wurden. Die DKA und INTERSOL laden immer wieder Projektpartner_innen zu ihren Vorbereitungen ein, was ebenso wertvolle Kommunikationskanäle eröffnet.

Die Einschätzung der Praktika seitens der Partnerinstitutionen im Globalen Süden bleibt in diesem Beitrag weitgehend ausgespart, weil es hierzu außer anekdotischer Rückmeldungen keine empirischen Daten gibt. Ein kursorischer Blick auf die Praktikumsbestätigungen rückgekehrter Studierender zeigt tendenziell ein sehr positives Bild. Hier liegt für die Zukunft Potenzial für eine eigene diesbezügliche Studie.


5.2.4 Einseitigkeit versus Austausch

Lager und Mathiesen (2012: 338) verorten internationale Sozialarbeitspraktika unter den Prinzipien von Wechselseitigkeit und Reziprozität, also im Verhältnis von Geben und Nehmen. Ein wesentlicher Kritikpunkt am Sozial.EZA-Programm ist die Einseitigkeit der Praktikumserfahrung. Wenngleich es schon Gegeneinladungen von Studierenden gegeben hat (beispielsweise von Tansania nach Österreich), scheitern solche Vorhaben zumeist an den Finanzen und erfordern obendrein ein hohes Maß an bürokratischem Einsatz (z. B. im Zusammenhang mit rigiden Visabestimmungen der österreichischen Migrationspolitik). Eine Orientierung an internationalen Austauschprogrammen in der Sozialen Arbeit (für einen Überblick vgl. Kruse 2015a), die auf Wechselseitigkeit beruhen, würde sicherlich eine komplette Neukonzeption mit erheblich größerem Budgetaufwand bedeuten.


5.2.5 Seminargestaltung und Seminarinhalte

Immer wieder wurde von Studierenden in der Vergangenheit Kritik an den Vorbereitungs- und Reflexionsseminaren geübt, sei es, was den tatsächlichen Mehraufwand betrifft (die Seminare finden an Wochenenden und teilweise in der Ferienzeit statt), im Hinblick auf den Verpflichtungscharakter, oder in Bezug auf bestimmte inhaltliche und didaktische Aspekte. Die bisherige Seminarreihe bewegte sich stets im Spannungsfeld der Vermittlung von einerseits allgemeinen und globalpolitischen Themen und andererseits von länderspezifischen und projektbezogenen Inhalten. „Warum muss ich mir etwas über Lateinamerika anhören, wenn ich nach Indien ausreise?“, meinte dazu ein Studierender im Rahmen der Feedbackschleife eines Reflexionsseminars. Der Schlüssel zur richtigen Balance zwischen allgemeinrelevanten Inhalten und individuellen Interessen der Studierenden liegt wohl in mehreren Faktoren. In erster Linie sind die inhaltliche und didaktische Kompetenz und Flexibilität der Seminarleitung und Vortragenden zu nennen, sowie das Austarieren eines pädagogischen Zugangs, der einerseits viel an Informationen vorgibt, die den Studierenden Orientierung und Sicherheit vermitteln sollen, und der andererseits genügend Raum für offene Lern- und Erkenntnisprozesse zulässt.


5.2.6 Warum nur Sozialarbeiter_innen?

Eine Frage, die auch immer wieder diskutiert wurde, ist die Öffnung des Programms für andere Studienrichtungen, seien es Gesundheitsberufe oder andere Fachrichtungen. Die in diesem Beitrag geschilderten Möglichkeiten und Lernprozesse, die ein Praktikum in einem Land des Südens mit sich bringen kann, würden sich womöglich sogar als Querschnittsthematik für alle Bereiche im österreichischen Hochschulsystem anbieten.


5.2.7 Identifikation auf institutioneller Ebene

Projekte stehen und fallen in der Praxis oft mit den beteiligten Einzelpersonen. Eine große Herausforderung bei einem komplexen Vorhaben mit vielen nationalen und internationalen Beteiligten besteht darin, hinreichend Unterstützung von den involvierten Institutionen zu erhalten. Das Sozial.EZA-Programm verfolgt unter anderem das Ziel, dass mit den internationalen Praktika nicht nur persönliche und fachliche Möglichkeiten für die beteiligten Studierenden verknüpft sind, sondern sich auch institutionelle Chancen für die Hochschulen auftun, sich jenseits von ERASMUS & Co. zu internationalisieren und dadurch einen Beitrag zur (leider äußerst schwach ausgeprägten) entwicklungspolitischen Kohärenz im österreichischen Hochschulsystem zu leisten. Um dies zu erreichen, sollte der institutionelle Identifikationsgrad – und mit ihm die einhergehende ideelle, personelle und finanzielle Unterstützung – möglichst hoch sein.


6. Fazit und Ausblick

Praktika im Globalen Süden sind ein immanenter Bestandteil internationaler Sozialer Arbeit und eröffnen vielfältige Chancen und Lernmöglichkeiten, wenn sie professionell begleitet und kritisch reflektiert werden. Sie tragen zur fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung der Studierenden bei, fördern interkulturelle Kompetenzen und bieten eine Gelegenheit zur politischen Bildung auf Basis unmittelbarer Erfahrungen. Lager und Mathiesen (2012: 342, mit Bezug auf Lough 2009) betonen den transformativen Charakter, den ein internationales Praktikum für angehende Sozialarbeiter_innen im Hinblick auf den Respekt vor Vielfalt und den Einsatz für soziale Gerechtigkeit haben kann. Das muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass jede_r, der einmal ein paar Monate in Afrika, Asien oder Lateinamerika als Praktikant_in tätig war, gleich die Gesellschaft verändern will. Aber in der Regel bleibt niemand davon unberührt, wenn man einmal für eine Zeitlang „die Nase in den Gestank der Armut gesteckt hat“, wie es Franz Nuscheler (1992: 357) einmal ausdrückte.

Es ist erfreulich, dass das Programm Sozial.EZA-Praktika, das seit 2003 läuft und bei dem bis dato mehr als 500 Studierende erfolgreich teilgenommen haben, auch für die nächsten drei Jahre durch Mittel der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich noch viele junge Menschen für so eine Möglichkeit begeistern können und in der Folge als Multiplikator_innen zu internationaler Solidarität, bürgerschaftlichem Engagement und einer gerechteren Gesellschaft beitragen.


Verweise
1 Die Fragebogenerhebung wurde von Raphael Ferbas und Heinz Gabler durchgeführt. Die Ergebnisse stehen den am Programm beteiligten Praxislektor_innen und Einsatzorganisationen im Moodle-Kurs zur Verfügung.


Literatur

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Über die AutorInnen

FH-Prof. Mag. Dr. Helmut Spitzer
spitzer@fh-kaernten.at

Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kärnten. Forschungs- und Publikationstätigkeit vorwiegend im Bereich internationaler Sozialer Arbeit mit Fokus auf Ostafrika. Arbeitet seit 2006 mit dem Team des Sozial.EZA-Praktika-Programms zusammen.

Dr. Heinz Gabler
heinz.gabler@chello.at

Theologiestudium, Ausbildung in Sozialarbeit, Diplomatische Akademie. Auslandseinsätze in Brasilien und Kap Verde. Geschäftsführer ÖIE und Südwind-Buchwelt, Unterricht an Akademien für Sozialarbeit, ehemals Verantwortlicher für Information und NGO-Förderung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. Von 2004 bis 2017 Mitarbeiter im Team der Sozial.EZA-Praktika.

Mag.a Marijana Grandits
marijana.grandits@univie.ac.at

Langjährige Berufserfahrung im Bereich der Entwicklungspolitik und Menschenrechtsarbeit. Akademische Koordinatorin des Vienna Master of Arts in Human Rights, Lehrbeauftragte für Entwicklungspolitik, Menschenrechte und Menschenwürde an verschiedenen Hochschulen in Österreich und international. Leitung des Sozial.EZA-Praktika-Programms (bis 2017).

Dkfm. Mag.a Renate Schneider
Renate-Schneider1@gmx.at

Studium der Handelswissenschaften, Ausbildung in Sozialarbeit. Langjährige Tätigkeit als Bildungsreferentin bei ÖIE, Südwind-Agentur und BAOBAB, ehemalige Obfrau von WIDE (Women in Development Europe). Von 2004 bis 2017 Mitarbeiterin im Team der Sozial.EZA-Praktika.