soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 19 (2018) / Rubrik "Werkstatt" / Standort Innsbruck
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/558/1012.pdf
Paul Klumpner:
1. Das Projekt
Im Rahmen einer Projektarbeit im Masterstudiengang Soziale Arbeit, Sozialpolitik und -management haben Studierende des Management Center Innsbruck (MCI) ein Jahr lang zu den Themen Gemeinwesenarbeit (GWA), Kulturarbeit und Integration auf Stadtteilebene geforscht und gearbeitet. Untersucht wurde eine Nachbarschaft im Bereich der Grassmayrstraße im Innsbrucker Stadtteil Wilten. Dort befindet sich eine neue Unterkunft für etwa 320 Menschen auf der Flucht. Die BewohnerInnen der Unterkunft warten auf ihren Asylbescheid und leben durchschnittlich 12 bis 14 Monate im Stadtteil. Die zentrale Fragestellung lautete: Inwieweit können Gemeinwesen- und Kulturarbeit einen Beitrag zu einer integrativen sozialen Stadtteilentwicklung in Stadtteilen leisten, in denen kurz- und mittelfristig viele Flüchtlinge aus derzeitigen Kriegs- und Krisengebieten untergebracht werden? Die Studierenden haben hierfür unter dem Projektnamen „AktiWilten“ eine qualitative Erhebung (Aktivierende Befragung) durchgeführt und einen Beteiligungsprozess vor Ort umgesetzt. Ziel war neben dem Sammeln von neuen Erkenntnissen zum Themenkomplex GWA, Kulturarbeit und Integration auch das Setzen eines tatsächlichen Impulses im Stadtteil.
Der Fokus in diesem Beitrag liegt auf Ergebnissen, die direkt oder indirekt in Zusammenhang mit dem besonderen Kontext im Untersuchungsgebiet stehen, der dortigen Unterkunft für Menschen auf der Flucht. So sollen die besonderen Herausforderungen und Potenziale, die sich für ein GWA-Projekt unter den gegebenen Bedingungen ergeben, dargestellt werden. Die ausführlichen Ergebnisse der Untersuchung liegen in einem Abschlussbericht vor (vgl. Klumpner et al. 2017: 26f).
KooperationspartnerInnen für das Projekt waren gemeinsam mit dem MCI die Stadt Innsbruck, die das Projekt über ihre Integrationsstelle finanziell und logistisch unterstützt hat, der Verein Brache sowie die Tiroler Sozialen Dienste als Träger der Unterkunft für Menschen auf der Flucht. Ein weiterer wichtiger Kooperationspartner war das neue Stadtteilzentrum Wilten, das im Frühjahr 2017 eröffnet wurde.
2. Ein Modellprozess als Testballon
Im Zuge des Projekts im Studienjahr 2016/17 wurden die Potenziale von GWA und Kulturarbeit für eine bessere Integration von Menschen auf der Flucht vor Ort auf Stadtteilebene erprobt und in einem modellhaften Beteiligungsprozess weiterentwickelt. Dabei sollte eine mögliche Strategie für Institutionen und BürgerInneninitiativen evaluiert werden, die darauf abzielt, neu ankommenden Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen einen erleichterten Zugang zu einem lokalen Gemeinwesen zu ermöglichen. Entwickelt wurde der Ansatz in dieser Form im Zuge einer temporären Nutzung durch den Verein Brache auf dem Areal der heutigen Unterkunft für Menschen auf der Flucht bis Januar 2016 (vgl. Klumpner/Kovacs/Mell 2016: 4f). Für Städte und Gemeinden kann der erprobte Ansatz eine Möglichkeit darstellen, einen konstruktiven Umgang mit geflüchteten Menschen mit einer integrierten, sozialen Stadtteil- oder Gemeindeentwicklung zu verbinden. Er kombiniert Methoden von Gemeinwesen- und Kulturarbeit mit einer temporären Nutzung (von in diesem Fall öffentlichen Grünflächen) in direkter Nachbarschaft der Unterkunft für Menschen auf der Flucht.
GWA verstehen wir für das Projekt als ganzheitliche, sozialräumliche Strategie, die politisch engagiert und auf Selbstermächtigung abzielend mit den Themen und Ressourcen der BewohnerInnen eines Stadtteils oder einer Gemeinde arbeitet und diese nutzt (vgl. Oelschlägel 2013: 50f). Setzt man diesen Ansatz konsequent um, werden die BewohnerInnen der Unterkunft für Menschen auf der Flucht genauso angesprochen wie die „alteingesessenen“ WiltenerInnen, als AnwohnerInnen im untersuchten Stadtteil. Die Schaffung von Rahmenbedingungen für ein funktionierendes Zusammenleben stellt Stadtteile und Gemeinden aktuell allerdings bereits unabhängig von der Thematik Flucht und Migration vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen (vgl. Ziegler 2011: 334). Die Schwierigkeiten und Chancen, die sich mit dem verstärkten Zuzug von Menschen auf der Flucht ergeben, können vor Ort nur mit ganzheitlichen, sozialräumlichen Strategien sinnvoll angegangen, respektive genutzt werden. GWA befördert in vielerlei Hinsicht die Integration von neu zugezogenen BewohnerInnen in Stadtteilen und Gemeinden. Sie wird häufig dort angewandt, wo ein besonders weitreichender struktureller Wandel stattfindet oder stattgefunden hat. Insbesondere Konflikte im Zusammenhang mit dem Zuzug einer großen Zahl neuer BewohnerInnen, der häufig kritisch von der „alteingesessenen“ Bevölkerung gesehen wird, können mit Mitteln der GWA entschärft werden.
Gleichzeitig sind Kulturarbeit, Kunst und Musik ein gutes Vehikel für transkulturellen Austausch, insbesondere wenn AkteurInnen verschiedene Sprachen sprechen. Der erprobte Ansatz setzt auf die integrative Wirkung von Kulturarbeit und bringt neu Zugezogene und „Alteingesessene“ so durch gemeinsames Handeln zusammen. GWA und bürgerschaftliches Engagement auf Stadtteilebene funktionieren darüber hinaus deutlich besser, wenn sich diese an einem physischen Ort im Stadtteil manifestieren können. Im Zuge des Projekts wurde daher eine kleine städtische Grünfläche neben der neuen Unterkunft für Menschen auf der Flucht für Veranstaltungen und Aktionen genutzt. (vgl. Klumpner/Kovacs/Mell 2016: 4f)
Das Projekt umfasste sowohl einen empirischen Forschungsteil in Form einer Sozialraumanalyse, als auch die Initiierung von Aktivitäten gemeinsam mit BewohnerInnen im Stadtteil. Herzstück der Sozialraumanalyse war eine Aktivierende Befragung. Die Studierenden führten qualitative Interviews mit 96 BewohnerInnen in einem Untersuchungsgebiet mit etwa 300 Haushalten durch.
Abbildung 1: Das Untersuchungsgebiet im Innsbrucker Stadtteil Wilten (openstreetmap.org/eigene Darstellung)
Der Terminus „aktivierend“ deutet hier bereits auf eine für GWA-Projekte charakteristische Verbindung von empirischer Forschungsarbeit und sozialarbeiterischer Praxis hin (vgl. Lüttringhaus 2003: 235). So wurden mit der Befragung zwei Ziele verfolgt: das Sammeln von aussagekräftigen Datenmaterial in Form eines Textkörpers und die Initiierung eines Beteiligungsprozesses im untersuchten Sozialraum. Ein solcher Prozess kann mit Hilfe von drei chronologischen Schritten ins Leben gerufen werden. Am Anfang steht eine Sozialraumanalyse mit einer aktivierenden Befragung. Die Ergebnisse der Befragung werden in einem zweiten Schritt bei einer Akteurskonferenz als „Stadtteilthemen“ vorgestellt und diskutiert. Dabei bildet bzw. bilden sich eine oder mehrere BewohnerInnengruppe(n), die sich zu bestimmten Themen engagieren. Diese für ein GWA-Projekt gängige Vorgehensweise wurde auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung angewandt. (vgl. Klumpner/Steiner 2016: 20)
Abbildung 2: Prozessverlauf eines klassischen GWA-Beteiligungsprozesses im ersten Jahr (Klumpner/Steiner 2016)
3. Stadtteilthemen im Kontext
Die „Stadtteilthemen“, die durch die aktivierende Befragung im Zuge der Studie ermittelt wurden, ähneln in vielerlei Hinsicht den Themen, die sich häufig in vergleichbaren Stadtteilen ohne eine große Unterkunft für Menschen auf der Flucht herauskristallisieren. Lärmbelastung, Verkehr, ein Mangel an Leben im öffentlichen Raum und Sicherheit als problematische Punkte, gute nachbarschaftliche Beziehungen, Freizeitmöglichkeiten sowie Natur- und Zentrumsnähe als positive Eigenschaften des Stadtteils. Mit 177 gegenüber 55 Nennungen überwiegen die positiven Aspekte im Stadtteil aus Sicht der Befragten. Verbesserungsvorschläge liegen überwiegend in den Bereichen Infrastruktur, Zusammenleben und Angebote für Kinder und Familien (vgl. Klumpner et al. 2017: 26f).
3.1 Grundsätzlich positive Haltung der Befragten gegenüber der neuen Unterkunft
Gefragt nach den negativen Aspekten und aus ihrer Sicht problematischen Themen in ihrer Nachbarschaft, nannten vier der 96 Befragten die neue Unterkunft für Menschen auf der Flucht. Dem gegenüber stehen acht Nennungen, die selbige als explizit positiv und bereichernd darstellen. Grundsätzlich ist die Unterkunft für Menschen auf der Flucht als „Stadtteilthema“ präsent, aber nicht dominierend. Als im November 2015 bekannt wurde, dass eine neue Einrichtung dieser Größenordnung im Stadtteil angesiedelt wird, löste diese Nachricht ein beträchtliches Echo bei der BewohnerInnenschaft und in den lokalen Medien aus. Von Angst und Ablehnung geprägte Infoabende und die Gründung einer „Interessengemeinschaft“ gegen das Projekt in dieser Größenordnung waren die Folge. Trotz der weiteren Ablehnung bei einigen wenigen Befragten gegenüber der Unterkunft ist davon heute, etwa zwei Jahre später, nur noch wenig zu spüren. Die Ergebnisse der Befragung bestätigen diesen Eindruck. Von den Befragten, die die Unterkunft positiv sehen, wird diese als angenehm und insbesondere das vermehrte Leben auf der Straße, u. a. durch spielende Kinder, als bereichernd beschrieben.
3.2 Wahrnehmung der Unterkunft als im Stadtteil isoliert und Wunsch nach mehr Austausch
Immer wieder geht aus den Aussagen der Befragten hervor, dass die Unterkunft für Menschen auf der Flucht und ihre BewohnerInnen relativ isoliert im Stadtteil existieren. Die BewohnerInnen der Unterkunft äußern sich gegenüber ihren „alteingesessenen“ Nachbarn durchweg positiv, sagen aber auch, dass sie wenig Bezug zu ihrer direkten Umgebung haben. Gleichzeitig würden sie sich mehr Kontakt wünschen, z. B. in Form von gemeinsamen sportlichen Aktivitäten oder einer Nachbarschaftshilfe. Dasselbe gilt mit sieben expliziten Nennungen zumindest für einen Teil der Befragten, die nicht in der Unterkunft leben.
3.3 Bürgerschaftliches Engagement und Möglichkeiten der Teilhabe
Der Begriff des „Ehrenamts“ als unentgeltliche gemeinnützige Arbeit hat im europäischen Kulturkreis einen anderen gesellschaftlichen Entwicklungshintergrund, und somit auch eine andere Bedeutung, als in den Herkunftsländern der Befragten aus der Unterkunft für Menschen auf der Flucht (vgl. Hollstein 2015: 20). Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, sich ehrenamtlich in der Nachbarschaft zu engagieren, antworteten gut 85% der Befragten in der Unterkunft für Menschen auf der Flucht mit „ja“ (gegenüber gut 58% im restlichen Stadtteil). Wiederum fast alle Befragten aus der Unterkunft, die mit „ja“ geantwortet haben, gaben in der Folge ihre beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen an, die sie gerne im Zuge eines Engagements für den Stadtteil einbringen möchten. Die mitgebrachten professionellen Fähigkeiten der zugezogenen Menschen auf der Flucht können klarerweise eine wertvolle Ressource für das lokale Gemeinwesen sein. Gleichzeitig wurde in den Gesprächen aber deutlich, dass sich die Befragten verständlicherweise baldmöglichst eine entlohnte Erwerbstätigkeit, die ihren mitgebrachten Fähigkeiten entspricht, erhoffen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen lassen dies aber (bis auf vereinzelte Ausnahmen) bekanntermaßen nicht vor einem positiven Asylbescheid zu. Im Rahmen des beschriebenen Projekts konnten solche Hoffnungen allein auf Grund dieses Umstands nicht erfüllt werden.
Hier wird ein grundsätzliches Problem in der GWA mit Menschen auf der Flucht deutlich. Der Ansatz kann schon MuttersprachlerInnen häufig nur schwer in wenigen Sätzen erklärt werden. Die bestehende Kultur- und Sprachbarriere sowie der besondere rechtliche Status der BewohnerInnen der Unterkunft erschweren dies zusätzlich. Es galt, sich mit dieser Gruppe entsprechend Zeit zu nehmen und immer wieder (teilweise mit ÜbersetzerInnen) auf Chancen und Angebote hinzuweisen und über Schwierigkeiten aufzuklären.
3.4 Flucht und gegenwärtige Situation der Geflüchteten als ein zentraler Themenkomplex
Obwohl während der Interviews weder nach den biografischen Hintergründen und individuellen Fluchtgeschichten noch nach der aktuellen Situation der Interviewten in Österreich gefragt wurde, waren diese Themen bei den 48 Befragten in der Unterkunft allgegenwertig. Somit musste im Zuge der Codierung des Textkörpers die eigene Kategorie „Situation von Menschen auf der Flucht“ eingeführt werden. Die Nennungen innerhalb dieser Kategorie bezogen sich überwiegend auf die schwierige Situation der BewohnerInnen der Unterkunft, wie z. B. wirtschaftliche Abhängigkeit und Unsicherheit, ungewisse Zukunft, Wohnbedingungen und teilweise Traumatisierung.
Dies macht deutlich, dass sich die Ausnahmesituation in der sich die Betroffenen befinden, unabhängig von der Fragestellung, in einer solchen Untersuchung klarerweise niederschlagen muss. Ein GWA-Projekt – so sinnvoll es einerseits gerade für Menschen auf der Flucht, die eine Beschäftigung und einen Anknüpfungspunkt suchen, sein mag – kann vor diesem Hintergrund sicher nur einen Teil zur Unterstützung der Befragten beitragen. Beispielhaft kann hier die Vermittlung von entsprechenden Beratungsangeboten genannt werden.
Dieser Umstand führt zusätzlich zu einer methodischen Fragestellung: Ist es in der beschriebenen Situation fachlich vertretbar, die grundsätzliche Sozialraumorientierung gegenüber einem klientelbezogenen Ansatz aufrecht zu erhalten? Letztlich schließen sich die beiden Ansätze nicht aus. Gerade bei sozialräumlich ausgerichteten Ansätzen gilt es, disziplinübergreifend zu arbeiten, alle relevanten Ressourcen zu nutzen und benötigte Fachkräfte mit einzubinden. Klarerweise kann ein auf Aktivierung und bürgerschaftliches Engagement ausgerichteter GWA-Prozess nicht auf Fachkräfte, wie in diesem Fall aus der Flüchtlingsarbeit, verzichten.
Die Herkunft und Situation der Befragten aus der Unterkunft für Menschen auf der Flucht hatte aber natürlich auch ganz praktische Konsequenzen im Zuge der Durchführung der Untersuchung. So galt es mit Blick auf ausstehende Asylbescheide, die Hintergründe und Intentionen der Untersuchung klar und verständlich zu kommunizieren sowie die Sicherstellung der Anonymität der TeilnehmerInnen besonders gewissenhaft zu gewährleisten. Um die Befragung sinnvoll durchzuführen wurde außerdem mit ÜbersetzerInnen zusammengearbeitet.
4. Bilddialog und Straßenfest
Eine große Stärke von Beteiligungsprozessen auf Stadtteilebene liegt, das wurde im Zuge des Projekts immer wieder deutlich, im Abbau von Ängsten und Vorurteilen durch gemeinsame nachbarschaftliche Aktivitäten. Insbesondere beim abschließenden Straßenfest und im Zuge eines als partizipatives Fotoprojekt ausgelegten Bilddialogs war dies möglich (vgl. Brandner 2016: 12f). Der Bilddialog wurde über einen Zeitraum von sechs Wochen im Frühjahr 2017 mit einer Gruppe bestehend aus sieben Personen durchgeführt. Teilgenommen haben „alteingesessene“ WiltenerInnen, BewohnerInnen der Unterkunft für Menschen auf der Flucht und TeilnehmerInnen des Projektkurses, die selbst in Wilten leben.
Der Bilddialog ermöglichte in Gesprächsrunden rund um von den TeilnehmerInnen gemachte Fotos aus ihrer Lebenswelt in Wilten einen vertieften Austausch zwischen BewohnerInnen, die sich andernfalls nicht so intensiv kennengelernt hätten. Gerade die verschiedenen Perspektiven der BewohnerInnen der Unterkunft und der „alteingesessenen“ WiltenerInnen auf das Leben im Stadtteil waren für alle Beteiligten bereichernd. So wurden beispielsweise die Themen abendlicher Lärm, Leben im öffentlichen Raum, aber auch Polizeipräsenz und Sicherheit mit teilweise überraschenden Ergebnissen und Wendungen besprochen. Die gemachten Fotos wurden dann beim Straßenfest ausgestellt.
Das gut besuchte Straßenfest hatte einen hohen symbolischen Wert für die Nachbarschaft. Gemeinsam feierten „Alteingesessene“ und Menschen auf der Flucht auf der ansonsten wenig genutzten Grünfläche direkt neben der Unterkunft. Die Veranstaltung brachte viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Geschichten im öffentlichen Raum zusammen. Von den entstandenen Kontakten kann die Nachbarschaft auch in Zukunft profitieren.
Abbildung 3: Das Straßenfest auf dem Frauenanger direkt neben der Unterkunft für Menschen auf der Flucht (Foto: Patrik Wagner)
5. Überwindung von Ängsten und Vorurteilen durch gemeinsames Handeln
Die Ergebnisse der aktivierenden Befragung und die Erfahrungen, die alle Beteiligten im Zuge der gemeinsamen Aktivitäten machen konnten, lassen folgende Rückschlüsse zu: Es besteht ein starker Bedarf nach Austausch und Öffnung, insbesondere aus Sicht der BewohnerInnen der Unterkunft für Menschen auf der Flucht. Auch die „alteingesessenen“ BewohnerInnen im Untersuchungsgebiet sehen die Unterkunft als isoliert und gleichzeitig überwiegend als positiv. Auch bei dieser Gruppe wird ein Wunsch nach mehr Austausch und Interaktion artikuliert. Hier kann mit der Initiierung von Beteiligungsprozessen und dem Methodenbaukasten der GWA ein wichtiger Beitrag geleistet werden. Dies hat sich im Zuge des beschriebenen Projekts besonders beim gemeinsam umgesetzten Straßenfest und im – mit einer bunt gemischten Gruppe durchgeführten – Bilddialog gezeigt. Die Kontakte, die so geknüpft wurden, und die Barrieren, die abgebaut werden konnten, wirken sich nachhaltig positiv auf das Zusammenleben in der Nachbarschaft aus. GWA kann so Potenziale und Ressourcen, die sich mit den neuen BewohnerInnen im Stadtteil ergeben, sichtbar machen und so einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass den Herausforderungen im Zusammenhang mit den Themen Flucht und Migration positiv und konstruktiv begegnet wird.
Mit dem Projekt konnte dennoch nicht mehr als die Erprobung eines bestimmten Ansatzes in einem besonderen Kontext geleistet werden. Um eine nachhaltige Aktivierung und damit Wirkung im untersuchten Stadtteil zu erreichen, bedarf es längerfristig zur Verfügung gestellte Ressourcen. Nicht zuletzt die zusätzlichen fachlichen Herausforderungen im Kontext der Arbeit mit Menschen auf der Flucht spielen hierbei eine Rolle. Sozialräumliche Ansätze müssen grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet sein und Know-how aus den unterschiedlichsten Bereichen vereinen. Im Kontext von Migration und Flucht wurde dies im Rahmen des Projekts zusätzlich deutlich. Gleichzeitig waren die Potenziale und Chancen, die sich mit dem Ansatz ergeben, im Zuge des Prozesses immer wieder klar ersichtlich. Durch gemeinsame Aktivitäten konnten Barrieren und Ängste abgebaut werden. Überdies konnten durch den Beteiligungsprozess und die damit verbundene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowohl die Innen- als auch die Außenwahrnehmung des untersuchten Stadtteils und der Unterkunft für Menschen auf der Flucht verbessert werden.
Verweise
1 Das Projekt „Gemeinwesen- und Kulturarbeit als Vehikel für soziale Stadtteilentwicklung und Integration von Menschen auf der Flucht. Konzepterprobung und Weiterentwicklung“ wurde durchgeführt am Management Center Innsbruck (MCI) unter der Leitung von Mag. Paul Klumpner. Am Projekt mitgewirkt haben folgende Studierende: Teresa Gstöttner, Maximilian Hagn, Carina Heigl, Fenja Hörold, Sabine Kringel, Franziska Kull, Raimund Lusser, Natascha Mair, Christin Neum, Moritz Reisberger, Jonas Volpers und Lisa Wenk.
Literatur
Brandner, Vera (2016): „Die Bilder der Anderen erforschen“. Generative Bildarbeit: Das transformative Potential fotografischer Praxis in Situationen kultureller Differenz. Dissertation, Leuphana Universität Lüneburg.
Hollstein, Bettina (2015): Ehrenamt verstehen. Eine handlungstheoretische Analyse. Frankfurt am Main: Campus.
Klumpner, Paul / Gstöttner, Teresa / Hagn, Maximilian / Heigl, Carina / Hörold, Fenja / Kringel, Sabine / Kull, Franziska / Lusser, Raimund / Mair, Natascha / Neum, Christin / Reisberger, Moritz / Volpers, Jonas / Wenk, Lisa (2017): Gemeinwesen- und Kulturarbeit als Vehikel für soziale Stadtteilentwicklung und Integration von Menschen auf der Flucht. Konzepterprobung und Weiterentwicklung. Innsbruck: Eigenveröffentlichung.
Klumpner, Paul / Kovacs, Julia / Mell, Vinzenz (2016): Das Motel – Integrative Unterkunft für Menschen auf der Flucht, Plattform für Kultur, Begegnung und bürgerschaftliches Engagement. Innsbruck: Eigenveröffentlichung.
Klumpner, Paul / Steiner, Martina (2016): Soziale Stadtteil- und Gemeindeentwicklung in Tirol. Leitfaden für Gemeinden. Innsbruck: Land Tirol, Geschäftsstelle für Dorferneuerung.
Lüttringhaus, Maria (2003): Handbuch aktivierende Befragung – Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit.
Oelschlägel, Dieter (2013): Soziale Arbeit und Stadtentwicklung aus einer parteilichen Perspektive. In: Drilling, Matthias / Oehler, Patrick, (Hg.): Soziale Arbeit und Stadtentwicklung. Wiesbaden: Springer, S. 45-56.
Ziegler, Holger (2011): Gemeinwesenarbeit. In: Dahme, Hans-Jürgen / Wohfahrt, Norbert (Hg.): Handbuch Kommunale Sozialpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 330-344.
Über den Autor
Mag. Paul Klumpner
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