soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 19 (2018) / Rubrik "Thema" / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/559/998.pdf


Anna Riegler & Helga Moser:

Ein standpunktsensibler Blick auf Anerkennung und Diskriminierung im Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft


1. Einleitung

Wie kann Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationsbiografie in einer Gesellschaft funktionieren, in welcher ein dichotomisierender Blick auf das Wir und das Andere1 als Norm und Ideologie in „symbolischen Repräsentationen“ (Winker/Degele 2009: 20) selbstverständlich vorherrschend zu sein scheint. Was kann Soziale Arbeit und vor allem Gemeinwesenarbeit hier leisten? Diesen Fragen soll mit Blick auf Ergebnisse aus dem von den Autorinnen durchgeführten Forschungsprojekt „Anerkennung und Partizipation von Migrant*innen. Ein Beitrag zur Verflüssigung von stereotypen Ausgrenzungsmustern“ (vgl. Mikula et al. 2017) nachgegangen werden. Dabei ist zunächst die Bedeutung eines standpunktsensiblen Blickes auf Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit in Bezug auf ausgrenzende Stereotypisierungen herauszuarbeiten. Anschließend werden anerkennende und diskriminierende Dynamiken im Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft anhand beispielhaft hervorgehobener Forschungsergebnisse behandelt. Die Fragen nach der Rolle der Sozialen Arbeit – insbesondere der Gemeinwesenarbeit – und der Rolle von Ausbildung für ein Zusammenleben unter Bedingungen menschenwürdiger Prämissen der Gleichwertigkeit und der anerkennenden Begegnung bilden schließlich den Abschluss dieses Beitrages.


2. Die Bedeutung der Standpunktsensibilität in Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit

Aktuell ist in öffentlichen Diskursen oft von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede. Es wird dabei unter anderem davon ausgegangen, dass hier die Einen wären, die kritisch reflexiv denken und für Vielfalt und Offenheit gegenüber sogenannten „Migrationsanderen“ (vgl. Mecheril et al. 2010) sind und dort die Anderen, die das ihnen Fremde stereotypisierend abwerten und ausgrenzen. Dies lässt die in der Profession der Sozialen Arbeit Tätigen scheinbar in Sicherheit wiegen, denn Sozialarbeiter*innen bzw. Sozialforscher*innen zählen sich selbst in der Regel zu den kritisch reflexiv handelnden Menschen. Die Autorinnen gehen jedoch davon aus, dass sie selbst und alle in der Praxis und Forschung der Sozialen Arbeit Handelnden oft einen unbewusst wirkenden Blick auf Migrant*innen und Asylwerber*innen einnehmen und selbst an der (Re-)Produktion von ausgrenzenden Differenzsetzungen beteiligt sind.2 Die Spaltung der Gesellschaft findet aktuell durch das Antreiben eines öffentlichen Diskurses mit extremen Standpunkten statt. Es ist aber auch zu prüfen, wieweit unbewusste soziale Praktiken einer solchen Entwicklung nicht Vorschub leisten. Es könnte dann von einer (un-)bewussten Kompliz*innenschaft geredet werden, die die Mittäter*innenschaft bei der Diskriminierung und Ausgrenzung von bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund bestimmter zugeschriebener Merkmale begründet.

Diskriminierung von Personen bzw. Personengruppen zielt auf benachteiligende, herabsetzende und ausgrenzende Behandlung. Durch die Diskriminierung aufgrund zugeschriebener Merkmale kommt es zu einer Ungleichbehandlung im kommunikativen, im sozialen und im ökonomischen Sinn (vgl. Giddens 1999: 235). Dabei geht es subjektiv und interaktiv um Projektionen von Merkmalen, die jemand an sich selbst als negativ ablehnt und aburteilt, auf andere. Diese negativen Merkmale werden dann im Anderen bekämpft (vgl. Adorno 1950/2013: 52). Damit wird der oder die Andere moralisierend abgeurteilt3. Judith Butler (2007) spricht in der Tradition der Psychoanalyse in diesem Zusammenhang von einer moralisierenden Nichtanerkennung, die sich darin zeigt, dass jemand einen Aspekt von sich selbst abspaltet, auf den Anderen projiziert und dann verdammt (vgl. Butler 2007: 65). Es sind also Affekte wie beispielsweise Aggression, Feindseligkeit oder Wut im Spiel, die sich auf jemand richten, der nicht die eigentliche Ursache für dieses aggressive Verhalten ist. Diesem Verhalten liegen Ängste gegenüber der eigenen Fehler- und Triebhaftigkeit zugrunde, die bei sich selbst verdrängt und auf andere projiziert und dort bekämpft werden. Dieser Mechanismus trifft auf ethnozentristische Ablehnung gegenüber „Fremden“ zu, wie allgemein auf alle Gruppen, die als Übertreter*innen konventioneller Normen identifiziert werden und als solche, in der Überzeugung diese konventionelle Ordnung aufrecht erhalten zu müssen, bestraft werden (vgl. Adorno 1950/2013: 51).

Mit einem standpunktsensiblen Blick sollte sich die Profession der Sozialarbeiter*innen und Forscher*innen dann mit der eigenen historisch zu verortenden sozialen Position, mit historisch gewachsenen strukturellen Bedingungen, mit unreflektierten Handlungen und Interaktionen vor diesem Hintergrund in der Gesellschaft kritisch reflektierend beschäftigen, damit bestehende Ausgrenzungsmechanismen auch über Forschung und Soziale Arbeit nicht weiter bekräftigt werden. Es ist dabei die Frage zu stellen, wie man sich in der täglichen praktischen Arbeit und in der Forschung eine theoretische Sensibilität für eigene rassistisch konnotierte Wahrnehmungsstrukturen erarbeiten kann.

Rassismus ist ein Akt der Markierung von Unterschieden, die unveränderbar scheinen und dem Zweck der Ausschließung dienen, wobei die Ausschließenden einen privilegierten Zugang zu Ressourcen haben (vgl. Tißberger 2017b: o. S.). Der Begriff „Rasse“ war historisch gesehen mit biologischen Merkmalen verknüpft. In seiner Weiterentwicklung als „kultureller Rassismus“ wird er auch heute unter dem Deckmantel von Kultur, Ethnie und Religion verwendet. Rassismus ist dabei nicht die Ausnahme, die rechten bzw. rechtsextremen Gruppierungen zugeschrieben werden kann, sondern ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Als Forscher*in und Praktiker*in sollte man sich daher, wie in den Critical-Whiteness-Studien4 vorgeschlagen, eine selbstreflexive Haltung erarbeiten. Whiteness ist dabei als ein strukturierendes Moment einer Herrschaftsdimension zu verstehen. Als weißer Mensch muss ich nichts tun, um rassistisch zu sein und um Zugang zu Privilegien zu haben (vgl. Tißberger 2017a: 23-25). Das Wissen über unser eigenes Beteiligt-Sein, dies zu reflektieren ist also Grundvoraussetzung, um diese Herrschaftsstrukturen als Grundlage stereotyper Ausgrenzungsmuster zu entdecken. Es gilt dabei vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte die eigene Verwobenheit in Kolonialismus, die rassistisch motivierte Ausmerzung von Juden und Jüdinnen und anderen rassistisch und als nicht lebenswert markierten Menschen im Nationalsozialismus (vgl. Melter 2016: 143-158) zu erkennen. Hierbei ist mit dem eigenen „Weißsein“, der europäischen, normalisierenden Perspektive des sogenannten aufgeklärten Menschen, in der Tradition des christlichen Abendlandes in Abgrenzung zu anderen, zugezogenen, Schwarzen*5 Menschen, Menschen denen aufgrund bestimmter äußerer Merkmale und bestimmter nationaler oder religiöser Zugehörigkeiten, rassistisch begegnet wird, kritisch umzugehen. Wie begegnen wir beispielsweise Menschen mit muslimischem Glauben in Bezug auf eine nicht-thematisierte Normalisierungsfolie – weiß, europäisch in der Tradition des christlichen Abendlandes, in der Tradition der Aufklärung und mit westlichen feministischen Ansprüchen (vgl. Rommelspacher 1998)?

Schließlich sind im Rahmen dieses kritisch-reflexiven Diskurses Forschungen zu erwähnen, die sich diesem komplexen Themenbereich über eine intersektionale6 Perspektive annähern. Demnach ist beispielsweise nicht nur Gender als dominanter Diskriminierungsgrund anzusehen, sondern komplexe gesellschaftliche Machtverhältnisse werden zueinander in Beziehung gesetzt, wie beispielsweise Rassismus, Sexismus, Klassismus (vgl. Prasad 2015: 129). Die jeweiligen Narrationen der Interviewpartner*innen, die im bereits erwähnten Forschungsprojekt präsentiert wurden (vgl. Mikula et al. 2017), werden also vor diesem Hintergrund gedeutet. Es wurde dabei also eine gegenüber Rassismus kritische, eine „diskriminierungs- und herrschaftskritische Perspektive“ (Melter 2016: 145) eingenommen, die es ermöglichte, den Umgang mit Ausgrenzung vor dem Hintergrund von Anerkennungs- und Missachtungsverhältnissen zu deuten.


3. Umgang mit Anerkennung und Diskriminierung

Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Anerkennung und kann in seiner Entwicklung erheblichen Schaden erleiden, wenn Anerkennungsverhältnisse missachtet werden. Nach Axel Honneth (1994) sollen im Sinne einer Gerechtigkeit anerkennende Verhältnisse für jeden Menschen auf drei Ebenen zur Verfügung stehen: Erstens auf der Ebene des Rechts (rechtliche, sozialstaatliche, institutionelle, strukturelle Ebene, Partizipationsvoraussetzungen), zweitens auf der Ebene des Verdienstes (soziales Miteinander, Status, sich mit anerkennenswerten Leistungen einbringen können, partizipieren können) und drittens auf der Ebene der Liebe (das Selbst im Spiegel des Anderen anerkennen). In diesen drei Sphären der Anerkennung können ebenso Erfahrungen von Missachtung stattfinden, die die Menschen in unterschiedliche emotionale und psychische Zustände sowie soziale Positionen bringen (vgl. Riegler 2016: 42-54). Die Folgen der Missachtung in der Sphäre des Rechts sind Formen der Erniedrigung, die sich durch strukturellen Ausschluss zeigen. Das Individuum kann also durch diese Missachtung an der gemeinsamen Entwicklung von Gesellschaft nicht partizipieren. Dem Subjekt wird zudem die Fähigkeit zur moralischen Urteilsbildung aberkannt. Beispiele dafür wären das derzeit fehlende Recht für Asylwerber*innen in Österreich erwerbstätig zu sein bzw. das eingeschränkte Wahlrecht für Migrant*innen, sowie die aktuellen bzw. geplanten Änderungen im Bereich der Mindestsicherung. Mit diesen Erfahrungen der Entrechtung geht der Verlust der Selbstachtung einher (vgl. Honneth 1994: 216). Widerstand ist ein Ausdruck dafür, sich in seiner Würde und Selbstachtung wiederzufinden. Die Folgen der Missachtung in der Sphäre der sozialen Wertschätzung, in Form der „kulturellen Herabwürdigung“ werden als „Kränkung“ durch Demütigung, Entwürdigung und Diskriminierung erfahren (vgl. ebd.: 223). Diese Kränkungen können zu einem Minderwertigkeitsgefühl führen, das dem Subjekt die Möglichkeit nimmt, sich in seinen Fähigkeiten auszudrücken. Aus einer erfahrenen sozialen Kränkung kann aber ebenso Widerstand entstehen (vgl. ebd.: 225). Die Missachtung in der Sphäre der Liebe spielt sich auf der Ebene der körperlichen, psychischen und seelischen Integrität ab. Eine Missachtungserfahrung in dieser Sphäre ist zum Beispiel die Erfahrung von Gewalt. Die Folgen dieser Missachtung meinen, den „Verlust an Selbst- und Weltvertrauen, der bis in die leiblichen Schichten des praktischen Umgangs mit anderen Subjekten hineinreicht“ (ebd.: 214) und einem Menschen die Möglichkeit einer gleichwertigen gesellschaftlichen Partizipation nimmt.


4. Forschungsergebnisse „Anerkennung und Partizipation von Migrant*innen“

Anschließend werden nun exemplarisch einige Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Anerkennung & Migration“7 (vgl. Mikula et al. 2017: 13-35), das im Zeitraum 2015 bis 2017 durchgeführt wurde, vorgestellt. Das Ziel dieser Forschung war es, mit Hilfe der Perspektive von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen mit Migration8, deren Erfahrungen und den Umgang mit Anerkennung und Missachtung aufzudecken, dahinterliegende Stereotypisierungen zu analysieren, um auf dieser Basis bestehende Exklusionsstrukturen sichtbar zu machen und Bedingungen für ein gelingendes Zusammenleben zu extrahieren.


4.1 Strukturelle Mängel werden durch individuelle Über-Anstrengung kompensiert

Die meisten Befragten (unabhängig von Erfahrungen mit Migration) brachten zum Ausdruck, dass strukturelle Mängel von Einzelnen durch erhöhtes individuelles Engagement kompensiert werden müssten. Migrationsbetroffene zeigten dabei durchgängig, dass sie es als selbstverständlich ansehen, sich besonders anstrengen zu müssen, um anerkannt zu werden. Die einer neoliberalen Ordnung und Risikogesellschaft (vgl. Beck 1986) geschuldeten Strukturen der Individualisierung sind hier bereits habitualisiert. Diese Haltungen und Werte werden unhinterfragt übernommen und als allgemein anerkennbare Norm akzeptiert und in das eigene Handeln integriert. Beispielsweise werden Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt durch besondere Leistung kompensiert. Restriktive bzw. komplizierte Anerkennungsverfahren werden zwar beklagt, es wird aber stolz festgestellt, es mit besonderer Anstrengung geschafft zu haben. Und diese Anstrengung wird als selbstverständlich vorausgesetzt (vgl. Herr H., Frau B.)9. Dabei wird von Vertreter*innen der aufnehmenden Gesellschaft Anpassung und Assimilation an eine deutschsprachige und an eine an sogenannten westlichen Werten orientierte, dominante Kultur gefordert (modern, aufgeklärt, emanzipiert, europäisch, christlich, beschäftigungsfähig, leistungsbereit). Frau B., eine in Österreich lebende Kroatin berichtet beispielsweise darüber, dass sie für ihre Leistungen im Erwerbsleben und ihrem Bildungsaufstieg viel Anerkennung erhalten und gleichsam eine hohe Leistungsorientierung internalisiert habe:

„(…) ich gebe in einem Unternehmen nicht nur hundert Prozent, sondern fünfhundert Prozent.“ (Frau B.: Z. 160-161)

Für Frau B. besteht ein direkter Zusammenhang zwischen ihrer Leistungsbereitschaft und ihrer empfundenen Zugehörigkeit und erhaltenen Anerkennung:

„(…) meine Arbeitskolleginnen haben mich nie als, ah, wie sagt man, Ausländerin betrachtet (…) und das war für mich auch dieses Stück Anerkennung, Respekt und ich fühle mich richtig wohl.“ (Frau B.: Z. 67-68)

Nicht als „Ausländerin“ und damit als Fremde adressiert bzw. wahrgenommen zu werden und die damit verbundene (empfundene) Zugehörigkeit scheint letztlich auf der Anerkennung ihrer erbrachten (Anpassungs-)Leistungen zu basieren.


4.2 Es findet eine Über-Anpassung und eine Entsolidarisierung statt

Die Notwendigkeit einer erhöhten Leistungsbereitschaft und Anpassung wird in einigen Interviews also auch von Migrant*nnen unterstrichen. Dabei wird diskriminierenden Erfahrungen und strukturellen Mängeln seitens der Migrant*innen zudem mit der Forderung nach Binnen-Differenzierung (vgl. Frau K.) begegnet. Man grenzt sich untereinander ab, hier jene, die leistungsbereit sind und jene die nicht dankbar sind und scheinbar nichts leisten wollen, hier findet Entsolidarisierung statt. Es findet eine Differenzsetzung in sogenannte „gute“ und „schlechte“ Migrant*innen statt. „Gute“ Migrant*innen wären dankbar und leistungsbereit, „schlechte“ Migrant*innen seien undankbar und bedürften daher keiner Hilfe bzw. sollten diese dann wieder in ihre Herkunftsländer zurückgehen (vgl. Frau A.). Auffallend ist, dass diese Meinung nicht von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft geäußert werden, sondern von Migrant*innen in Bezug auf Asylwerber*innen (vgl. Frau A., Frau E.). Um dazu zu gehören, werden also einerseits besondere Anstrengungen unternommen, wobei gleichzeitig auf andere entsolidarisierend geblickt wird.


4.3 Nicht die Abschaffung ungerechter Verhältnisse wird gefordert, sondern ungerechte Verhältnisse sollen von Einzelnen überwunden werden

Die Verantwortung für die Überwindung ungerechter Verhältnisse wird also Einzelnen auferlegt, dabei werden Migrant*innen, Flüchtlinge und Asylwerber*innen gegen von Armut betroffene Menschen ausgespielt. Migrant*innen wird beispielsweise aus der Perspektive eines in Österreich geborenen und lebenden Pensionisten, welcher selbst Migrant in 2. Generation ist, die Schuld an ungerechten Teilhabechancen für Österreicher*innen am Arbeitsmarkt bzw. in Bezug auf sozialstaatliche Leistungen zugeschoben (vgl. Herr H.). Der öffentliche Diskurs spiegelt sich hier wider. Anstatt zu argumentieren, es müsse Armut behoben werden, wird der Diskurs auf Schuldzuweisungen marginalisierter Gruppen untereinander gelenkt. Dies geht mit stereotypen Abwertungen der Migrant*innen einher:

„(…) die werden alle maximal Kellner.“ (Herr H.: Z. 66)

Der Beruf des Kellners wird mit dem Wort maximal abgewertet bzw. werden Migrant*innen pauschal keine höheren Ausbildungen und Berufsabschlüsse zugetraut.

Ebenso wird für die Behebung strukturell begründbarer Zugangsbarrieren für Frauen mit muslimischem Glauben am Arbeitsmarkt die Verantwortung an die Betroffenen delegiert: Es wird darüber gesprochen, dass Frauen, die aus Familienverbänden kommen, die der Religion des Islam zugehörig sind, ohnehin sehr schwer einen Zugang zum Arbeitsmarkt fänden (vgl. Herr H.). Dies wird nicht mit institutionellem Rassismus und stereotyper Ausgrenzung u. a. gegenüber Kopftuch tragenden Frauen argumentiert, sondern damit begründet, dass deren Ehemänner diesen das Arbeiten verbieten würden:

„Ja, weil der Mann die nicht lasst, nicht?“ (Herr H.: Z. 867)

Die Ursache wird dabei stereotypisierend in einem patriarchalen Familiensystem gesehen, welches wiederum ausschließlich der Glaubensrichtung des Islam zugeordnet wird.


4.4 Einseitige Anpassungserwartung versus Mehrsprachigkeit

Von mehreren Befragten mit Migrationserfahrung wird die mangelnde Bereitschaft des Aufnahmelandes, Mehrsprachigkeit zu fördern bzw. als Einzelne mehrere Sprachen zu können, angesprochen. Anpassungsleistungen in Bezug auf Sprache werden hauptsächlich von Migrant*innen gefordert, erwartet und auch geleistet. Einige Interviewpartner*innen berichten über ihre Bemühungen, perfekt Deutsch zu sprechen, um nicht als fremd wahrgenommen zu werden, um Diskriminierungserfahrungen vorzubeugen. Denn laut Frau E., eine vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien geflüchtete Bosnierin, erlange man als Migrantin Respekt und Freundlichkeit über das Beherrschen der Sprache, denn wenn man in gebrochenem Deutsch spreche, dann begegneten einem die Menschen unfreundlich. Die mangelhafte Bereitschaft, Mehrsprachigkeit in Institutionen, Einrichtungen, Organisationen, Behörden und Schulen anzubieten, wird ängstlich aufgenommen:

„Oh mein Gott, ich komme jetzt in eine Sonderschule, weil ich kein Deutsch spreche.“ (Frau E.: Z. 454)

Frau E. fürchtete sich also, aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse aus ihrer Schule ausgeschlossen zu werden. Das könnte umgekehrt bedeuten: es könnte emotionale Sicherheit schaffen, wenn in Institutionen Mehrsprachigkeit angeboten werden würde bzw. muttersprachliche Bildung breit gefördert werden würde.


4.5 Sich sprachlich verständigen können schafft Zugehörigkeit

Frau J., eine vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien geflüchtete Bosnierin, berichtet davon, dass ihr das Erlernen der deutschen Sprache als Kind leichtgefallen sei. Sie habe beim Lernen der deutschen Sprache auch Anerkennung und Zugehörigkeit in der Nachbarschaft erfahren. Zivilgesellschaftliches Engagement leistet hier also Zusätzliches für das Erleben von Zugehörigkeit, was sich auch in Begegnungen über das freiwillige Engagement vieler Menschen im Rahmen der Flüchtlingsbewegungen 2015 gezeigt hat.


4.6 Anerkennung des lebensgeschichtlich erworbenen Status vor der Migration bzw. Flucht

Migrant*innen, Asylwerber*innen und anerkannte Flüchtlinge unternehmen im sozialen Miteinander den Versuch, Missachtungserfahrungen – bisherige Leistungen wurden durch den Krieg zunichtegemacht und werden von der aufnehmenden Gesellschaft nicht entsprechend gewürdigt – in Anerkennungserfahrungen umzuwandeln. Sie strengen sich enorm an und versuchen, frühere Leistungen nicht nur rechtlich über Nostrifizierungs- und Nostrifikationsverfahren anerkannt zu bekommen, sondern auch für Leistungen vor der Flucht sozial anerkannt zu werden bzw. dafür, dass sie diese Flucht nicht freiwillig angetreten haben. Es besteht das Bedürfnis, sich zu erzählen (vgl. Herr M.). Für ein gelingendes Zusammenleben scheint also ein Interesse an den Lebensgeschichten der einzelnen Menschen von großer Bedeutung für die soziale Anerkennung zu sein, d. h. nicht nur im Status der Migrierten bzw. Geflüchteten wahrgenommen zu werden.


4.7 Menschen, die nach Österreich migriert bzw. geflüchtet sind, möchten etwas zurückgeben

Die Befragten reden darüber, etwas zurückgeben zu wollen und dankbar zu sein für die Aufnahme im Land. Dankbarkeit muss jedoch aus verschiedenen Blickwinkeln kritisch betrachtet werden: Dankbarkeit wird nämlich einerseits von der aufnehmenden Gesellschaft als eine Kategorie der guten Anpassung gesehen. Es handelt sich dabei um ein asymmetrisches Verhältnis im Geben und Empfangen. In dieser erwarteten Dankbarkeit kann die hegemoniale Struktur der Hilfe als Wohltat und nicht als ein Menschenrecht erkannt werden. Dies führt zu weiteren Missachtungen und Diskriminierungserfahrungen, nämlich wie oben beschrieben, Flüchtende in gute, also dankbare Flüchtende und schlechte, also undankbare Flüchtende einzuteilen, wobei letztere es nicht verdient hätten, aufgenommen zu werden. Migrant*innen, Asylwerber*innen und Flüchtlinge hingegen wollen etwas zurückgeben und sich damit auf Augenhöhe mit den Hilfeleistenden bringen. Bei letzterem geht es um das Bestreben nach wechselseitiger Anerkennung. Dadurch, dass etwas zurückgegeben werden will, wird versucht, in ein symmetrisches Verhältnis (vgl. Ricoeur 2006: 303ff) mit der aufnehmenden Gesellschaft zu kommen.

„Ja I like helfen. Und kein Problem in [Gemeinde] (…) everywhere“ (Frau F.: Z. 389)

Diese Aussage der 2015 aus Syrien geflüchteten jungen Frau F. ist stellvertretend für viele Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind bzw. als Migrant*innen hier leben. Dass Asylwerber*innen, Flüchtlinge und Migrant*innen sich in gemeinnütziger Arbeit und in sogenannter Freiwilligenarbeit einbringen, verweist auf deren enorme individuelle Bestrebungen nach Zugehörigkeit und deren Bereitschaft, sich ins Gemeinwesen einbringen zu wollen. Gemeinnützige Tätigkeit wird dabei – wie in der oben zitierten Aussage einer syrischen Frau – selbstbewusst als Hilfe für die Gemeinde gesehen, welche gerne geleistet würde. Der Wert der Möglichkeit, einer bezahlten Lohnarbeit nachgehen zu können und damit ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, kann jedoch nicht durch gemeinnützige Tätigkeit und freiwilliges Engagement kompensiert werden.


4.8 Diskriminierende Erfahrungen führen zu Empörung, Wut oder Scham

Auf diskriminierende Erfahrungen wird entweder mit Scham und Rückzug oder mit Wut und Empörung reagiert (vgl. Honneth 1994). Beides führt nicht zu Inklusion, sondern lässt die Betroffenen eher in der Exklusion verharren, einmal im verschämten Rückzug (wenn sich Betroffene die Schuld selbst zuschreiben), was zu mangelndem Selbstwert führt und ein andermal im empörten Widerstand (wenn das Verschulden Anderen zugeschrieben wird) (vgl. Honneth 1994), um sich gegen diesen Ausschluss zu wehren und sich selbst wieder achten zu können. Beides kann wie in einem Teufelskreis von der aufnehmenden Gesellschaft wieder als mangelnde Motivation sich anzupassen im Falle des Rückzugs und als unmäßige Zumutung im Falle der geäußerten Empörung interpretiert werden und zu weiteren Ressentiments führen. Rechtssicherheit wird als Forderung nach einem menschenwürdigen Umgang entgegen diskriminierender Erfahrungen geäußert. Herr T., ein aus Tschetschenien kommender anerkannter Flüchtling, wehrt sich beispielsweise mit großem (juristischem) Wissen über seine Rechte vor Anfeindungen gegen sich und seine Frau auf einem Flohmarkt. Sich seiner Rechte bewusst zu sein und diese auch im sozialen Miteinander einzufordern, kann nach Axel Honneth (1994) auch als Rückgewinn der Würde und Selbstachtung verstanden werden (vgl. Honneth 1994: 192).


4.9 Es wird eine Normalisierung im Umgang miteinander angestrebt

Menschen, die nach Österreich geflüchtet bzw. migriert sind, wollen und brauchen eine Normalisierung im Umgang miteinander: Im sozialen Miteinander wird ein nicht besonderer Umgang als Anerkennung erlebt. Das heißt u. a. nicht ständigen Fragen nach Herkunft ausgesetzt sein zu wollen und damit auf Herkunft reduziert zu werden, aber selbstbewusst auf Herkunft auch stolz sein zu können, ohne sich vor Diskriminierung fürchten zu müssen. Und das bedeutet Zugehörigkeit zu erfahren, indem jemand als „eine bzw. einer von uns“ gesehen wird. Menschen wollen selbstbewusst, gleichwertig, mit Würde und Respekt anerkannt werden, egal woher sie kommen. Frau J. beispielsweise ist stolz auf ihre Herkunft, streicht diese als Besonderheit heraus bei gleichzeitigen Bemühungen um Zugehörigkeit. Für sie sind

„alle gleich, alle haben dieselben Bedürfnisse, und es gibt keinen Grund da Angst zu haben“ (Frau J.: Z. 117-118)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Tendenz vorherrscht, pauschalierend, missachtend und abwertend auf Migrant*innen, Flüchtlinge und Asylwerber*innen, insbesondere in Bezug auf Herkunft, Klasse, Sprachkenntnisse, Religion und Geschlecht, zu blicken. Die von Diskriminierung betroffenen Menschen reagieren darauf mit erhöhter Leistungsbereitschaft, mit Überanpassung, mit Entsolidarisierung, aber auch mit Kritik an rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen. Betroffene Migrant*innen, Asylwerber*innen und Flüchtlinge erleben Zugehörigkeit durch Sprache, sie sind bereit die deutsche Sprache perfekt zu lernen, um nicht als fremd wahrgenommen zu werden. Aber auch die Förderung von Mehrsprachigkeit wird als anerkennend empfunden. Zudem wird Zugehörigkeit durch nachbarschaftliche Hilfestellungen beim Erlernen der deutschen Sprache erfahren. Schließlich wirkt die Anerkennung eines lebensgeschichtlich erworbenen Status, d. h. nicht nur als Flüchtling wahrgenommen zu werden, sowie eine Normalisierung im Umgang miteinander, d. h. nicht ständig auf Herkunft reduziert zu werden, aber auch stolz auf Herkunft sein zu können, fördernd auf ein Zugehörigkeitsgefühl. Diese Erfahrungen können für ein gelingendes Zusammenleben genutzt werden und sollten auch in der Ausbildung zur bzw. in der Praxis einer rassismuskritischen Sozialen Arbeit Berücksichtigung finden.


5. Die Rolle der Sozialen Arbeit und Ausbildung

Die aufnehmende Gesellschaft und ihre Institutionen sind gefordert, unterschiedlichste anerkennende Bedingungen für Asylwerber*innen, Flüchtlinge und Migrant*innen zu schaffen, die vor Diskriminierung schützen und Partizipation ermöglichen. Hier ist auch die Soziale Arbeit mit entsprechenden Community-Development-Projekten gefordert. Neben der Orientierung der Sozialen Arbeit am Individuum und dessen gesellschaftlichen Geworden-Sein und deren strukturellen Bedingungen, fördert die Gemeinwesenarbeit (GWA) diesbezüglich „die Entwicklung gemeinsamer Handlungsfähigkeit und kollektives Empowerment bezüglich der Gestaltung bzw. Veränderung von infrastrukturellen, politischen und sozialen Lebensbedingungen“ (Stövesand/Stoik 2013: 16). Bezugnehmend auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts, in dem deutlich wurde, dass strukturelle Mängel durch individuelle Über-Anstrengung und Anpassung kompensiert werden, gilt es nach den Möglichkeiten und Potenzialen einer Gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit, die den Fokus auf kollektives Empowerment richtet, zu fragen. Welche Themen und Bedarfe lassen sich hier bezugnehmend auf die hier herausgearbeiteten Anerkennungs- und Missachtungsphänomene in der Migrationsgesellschaft benennen?

Menschen, die nach Österreich geflüchtet bzw. migriert sind, wollen und brauchen eine Normalisierung im Umgang miteinander. Menschen wollen selbstbewusst, gleichwertig, mit Würde und Respekt anerkannt werden, egal woher sie kommen. Auf der Suche nach Identität stellen Gelegenheiten, sich (wechselseitig) erzählen zu können, sinnstiftende Begegnungen dar. Dies wirkt sich in der Folge auch auf die Bereitschaft aus, sich in einer Gemeinschaft einbringen zu wollen. Dem ist verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen, denn es ist im Sinne der gegenseitigen Wertschätzung wichtig, sich als geflüchtete, migrierte aber auch nicht-migrierte Person mit der gesamten Lebensgeschichte zwischen Hoffnung und Resignation sozial verorten zu können. Fremd-Sein kann so in Vertraut-Werden verwandelt werden. Dass sich Menschen mit der österreichischen Gesellschaft verbunden fühlen, scheint eine wesentliche Rolle im Zusammenleben zu spielen. Das Inklusionsbegehren sowie der Wunsch nach Zugehörigkeit der Befragten sind groß. Hier könnten z. B. sogenannte „Erzählräume“, „Begegnungsräume“, „Erzählcafés“, in denen Biografiearbeit möglich ist, in der Gemeinwesenarbeit eingesetzt werden.

Sprachliche Vielfalt ist als Ressource zu verstehen. Es wird vorgeschlagen, Projekte in der Gemeinwesenarbeit in diesem Bereich zu fördern. Damit Menschen nicht nur im Umkreis ihrer Herkunftssprache und -kultur verbleiben, ist es notwendig, die Verständigung untereinander zu fördern. Konflikte, die das Miteinander belasten, können so bearbeitet und gemindert werden, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Je besser das sogenannte „Fremde“ wechselseitig kennengelernt wird, desto eher kann Verständnis und Zusammenhalt entstehen. Sprachliche Vielfalt kann schließlich das Zusammenleben erleichtern; dabei scheint es wichtig zu sein, die Anerkennung der Erstsprachen zu fördern, aber es ist auch von Bedeutung, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Dazu sollten Begegnungsstätten geschaffen werden, um ein Miteinander zu realisieren und den Zusammenhalt zu stärken. Das Motto dafür könnte lauten: Gemeinsamkeit fördern, statt Unterschiede zu betonen. Um nachbarschaftliche Kontakte zu fördern, könnten Ressourcen durch in verschiedenen Herkunftsländern erworbenen Qualifikationen von Betroffenen – auch in regulären Arbeitsverhältnissen – in Projekten der Gemeinwesenarbeit genutzt werden, wie beispielsweise Lehrerinnen mit Migrationserfahrung arbeiten in Sprachkursen für migrierte bzw. geflüchtete Frauen, Sozialarbeiter*innen mit Migrationshintergrund sind in der Jugendarbeit tätig u.v.m.

Es ist Aufklärungsarbeit (Fakten statt Gerüchte) zum Thema Flüchtlinge und Migrant*innen zu institutionellem Rassismus zu leisten. Die Informationsarbeit ist zu verstärken, um nicht unterschiedliche marginalisierte Menschengruppen (z. B. Syrer*innen, Bosnier*innen, in Armut Lebende) untereinander auszuspielen und sie verantwortlich für mangelnde Ressourcen (z. B. Arbeitsplätze) zu machen. Diesbezüglich braucht es sachliche Debatten. Im öffentlichen Diskurs geht es verstärkt um Aufklärungsarbeit für alle, dass allen Menschen ein Recht auf ein würdevolles Leben in Respekt und Anerkennung zusteht. Man könnte sagen: Persönliche Begegnungen verbinden und „übers Reden kommen die Leute zusammen“. Daher sind vor allem in den Kommunen Begegnungsstätten zu fördern, die ein gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen. Damit kann das Bedürfnis, einander zu achten und zu respektieren, gefördert werden.

Wie auch Ottersbach (2012) feststellt, ist der öffentliche Diskurs auf Abwehr und Diffamierung eingestellt. Darin liegt für ihn ein aktueller und zentraler Auftrag der Gemeinwesenarbeit (GWA), es geht um die Unterstützung der Menschen, die marginalisiert und stigmatisiert sind (vgl. Ottersbach 2012: 60). Er identifiziert dabei zwei Bereiche: einerseits die „Defizite der Politik (Sozial-, Bildungs-, Wohnungs-, Integrationspolitik etc.) und die damit verbundenen strukturellen, teils auch individuellen Defizite der Bewohner(innen) marginalisierter Quartiere“ (ebd.: 60), und auf der anderen Seite ist es Aufgabe der GWA „die (öffentliche) Stigmatisierung marginalisierter Gruppen in bestimmten Sozialräumen“ (ebd.: 61) zu bekämpfen. Das professionelle Handeln der Gemeinwesenarbeit bezieht sich häufig auf benachteiligte Stadtteile, v. a. in (Groß-)Städten. In Städten wohnt auch der überwiegende Anteil von Migrant*innen, aufgrund ihrer schwierigen ökonomischen Situation oftmals in marginalisierten Quartieren mit schlechtem Wohnstandard (vgl. Statistik Austria 2016: 78 und 80). Aber auch im ländlichen Raum ist die Zuwanderung von Menschen mit Migrationshintergrund ein zunehmend wichtiges Thema (vgl. Gruber 2012, 2013). Viele Gemeinden sind mit aus dem Ausland zugezogenen neuen Bewohner*innen u. a. durch die Unterbringung von Asylwerber*innen befasst. Die oftmals weit abgelegenen Unterkünfte befinden sich in infrastrukturell schwach ausgestatteten Gebieten (vgl. Rosenberger 2010). Hier gibt es einen großen Handlungsbedarf in der Unterstützung der Gemeinden; diese werden u. a. durch gemeinwesenorientierte Projekte beantwortet (vgl. den Artikel von Bretterklieber 2018 in dieser Ausgabe). Auf lokaler Ebene hat sich darüber hinaus eine große Zahl an zivilgesellschaftlichen Initiativen gebildet, die die Geflüchteten unterstützen und vielfältigste Projekte ins Leben riefen (vgl. Sprung/Kukovetz/Tinauer 2017, Schiffauer/Eilert/Rudloff 2017). Dies wurde auch in unserem Forschungsprojekt in den Interviews mit den Ehrenamtlichen, welche in der Hilfe für Geflüchtete tätig waren, deutlich.

Bei der Umsetzung von Community-Development-Projekten ist unseres Erachtens auf einen breiten Blick bezüglich Ausgrenzung und Benachteiligung zu achten, damit dieses seinem Anspruch gerecht wird, zur Bearbeitung und Veränderung von sozialen Problemen und zum Abbau von Diskriminierung beizutragen. Wir gehen dabei mit Sabine Stövesand und Christoph Stoik (2013: 29) einher, die bezüglich der Weiterentwicklung von GWA betonen, dass eine intersektionale Perspektive, die die Verwobenheit von Geschlecht mit Ethnizität und Klasse einbezieht, notwendig ist.

Einen wichtigen Bereich stellt zudem die Ausbildung von Sozialarbeiter*innen dar. Einerseits ist in der Lehre die Thematisierung von Diskriminierung, Rassismus und eine kritische Auseinandersetzung mit Migrations- und Integrationsdiskursen und -politik notwendig. Im Sinn des Ansatzes der Migrationspädagogik bzw. einer rassismuskritischen Bildungsarbeit sollte der Fokus nicht auf das Lernen „über Migrant*innen“, sondern über gesellschaftliche Verhältnisse, die „Migrationsandere“ konstruieren und markieren, gelegt werden (vgl. Mecheril et al. 2010, Scharathow/Leiprecht 2011). Um auch entsprechend eines Intersektionalitätsansatzes verschiedene Diskriminierungsformen in den Blick zu bekommen, erscheint der Trainingsansatz von „Social Justice und Diversity“ (Czollek/Perko/Weinbach 2012) gewinnbringend. Andererseits stellt sich – gemäß dem Ansatz der Interkulturellen Öffnung – die Frage des Zugangs bzw. der Zugangsbarrieren zu Hochschulen (vgl. Kaufmann 2014). Erleichterte Zugänge für Migrant*innen zu Aus- und Weiterbildungseinrichtungen (Schulen, Fachausbildungen, Hochschulen und Universitäten), aber auch zum Arbeitsmarkt durch gesetzliche und strukturelle Maßnahmen, ermöglichen erst eine autonome Lebensführung.

Letztlich ist die Politik gefordert, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung auf EU-, Bundes-, Landes- und Gemeindeebene zu forcieren, um ein Zusammenleben auf Basis von Gerechtigkeit, auf dem Fundament der Menschenrechte, der Menschenwürde und der Anerkennung zu ermöglichen. Dazu bedarf es fairer Chancen zur Entwicklung persönlicher Fähigkeiten, zur ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Teilhabe und zur Freiheit (vgl. Honneth 1994).


6. Ausblick

Soziale Arbeit ist eine Profession, die in ihrer Tradition des Eintretens für Menschenrechte und Menschenwürde nicht nur in der Interaktion zu ihren Klient*innen hin einen standpunktsensiblen Blick einnehmen muss, sondern vor allem in der Bewertung und im Aufmerksam-Machen auf gesellschaftliche und soziale Missstände aktiv werden muss. Soziale Arbeit kann in diesem Sinne nicht unpolitisch sein. Denn, wenn ich als Sozialarbeiter*in oder Sozialforscher*in nicht kritisch reflexiv auf meine Position in der Gesellschaft schaue, wenn ich nicht Position beziehe bzw. diese Position kläre, wenn ich mich nicht für Interessen einsetze, verhalte ich mich politisch, indem ich so Herrschaft bzw. herrschende Verhältnisse anerkenne und stabilisiere. Soziale Arbeit ist also als politische Profession (vgl. Dischler 2014) zu verstehen, die entweder herrschaftsstabilisierend wirkt oder kritisch reflexiv und standpunktsensibel Position bezieht und so solidarisch gegen ungerechte missachtende Verhältnisse aktiv werden kann und muss.


Verweise
1 Dieses „Othering“ (Mecheril/Tißberger 2013: 63) meint eine ausgrenzend wirkende Dichotomisierung ausgehend von einer dominanten Perspektive (vgl. Rommelspacher 1998).
2 Dazu ist weiterführend auch der Artikel zu innerem Rassismus zu erwähnen. (vgl. Davids 2016)
3 In weiterer Folge und auch bei der Auswertung des empirischen Interviewmaterials wird und wurde vor allem auf interaktionelle Aspekte von Diskriminierung Bezug genommen. Wobei betont werden muss, dass die individuelle Bereitschaft zur Bevorzugung oder Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zusammen mit strukturellen Bedingungen von Institutionen und gesamtgesellschaftlichen Strukturen wirkt (vgl. Hormel 2007).
4 Die Critical-Whiteness-Studien finden ihren Ausgangspunkt in den 1990er-Jahren im Rahmen der sogenannten Black Studies im US-Amerikanischen Raum (vgl. Sow 2009: 274).
5 Mit dem Konstrukt Schwarz* werden in dieser Studie alle Menschen, die sogenannten „visible minorities“ (vgl. Amesberger/Halbmayr 2008: 61) angehören, gemeint. Denn die damit verbundenen „Bilder vom ‚exotischen Wilden‘ und vom ‚bösen Wilden‘, die zur Rechtfertigung von Ausbeutung und Unterdrückung (bis hin zur Vernichtung) konstruiert wurden“ (ebd.: 48) entstanden im Rahmen von westlichen Feudalmonarchien und im Rahmen der Kolonialisierung. „Europas Idee des Fremden [war] viele entscheidende Jahrhunderte auf die arabische Welt bezogen (…). Die ChristInnen entwarfen die islamisch Anderen als barbarisch und tyrannisch, als degeneriert und aggressiv, als sexuell verdorben und von ihrer ganzen Art her gewaltvoll“ (ebd.: 48-49). Edward Said (1981) prägte in seinen Forschungen den Orientalismusbegriff. Die Bilder des orientalen Fremden beinhalten demnach zwei dominante Stereotype, auf der einen Seite die exotischen Bilder einer mysteriösen, faszinierenden Welt rund um die Geschichten von „Tausend und eine Nacht“: „Wärme, Erotik, Harem, Luxus, Faszination und Wüste“ (Amesberger/Halbmayr 2008: 49) und andererseits die Klischees „des rückständigen, unterentwickelten, terroristischen Orients. Kopftuch, Schwert, Extremismus, ausschweifende und abnorme Sexualität, Terror, Tyrannei und Unterdrückung“ (ebd.: 50).
6 Laut Nivedita Prasad (2015) findet das Konzept der Intersektionalität bei Pionierinnen des Schwarzen* Feminismus in den USA in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts seinen Ursprung (vgl. Prasad 2015: 129)
7 Das Forschungsprojekt „Anerkennung und Partizipation von Migrant_innen. Ein Beitrag zur Verflüssigung von stereotypen Ausgrenzungsmustern“, welches im Kurztitel „Anerkennung und Migration“ genannt wurde (vgl. Mikula et al. 2017) wurde vom Land Steiermark gefördert und in Kooperation der Karl-Franzens-Universität Graz mit der FH JOANNEUM Gesellschaft mbH und ZEBRA – Interkulturelles Beratungs- und Therapiezentrum im Zeitraum 2015 bis 2017 durchgeführt.
8 Die Stichprobenauswahl erfolgte mit dem Ziel, eine hohe Diversität hinsichtlich der Lebens-, Arbeits- und Bildungswelt sowie den Erfahrungen mit Migration und Flucht zu erhalten. Insgesamt wurden 15 Interviews (7 Personen mit und 8 Personen ohne transnationale Migrationserfahrung), eine exemplarische Begleitung einer Asylwerberin in ihrer Lebenswelt und fünf fokussierte ethnografische Beobachtungen durchgeführt.
9 Die hier zitierten Interviews entstammen dem empirischen Datenmaterial des besprochenen Forschungsprojektes (vgl. Mikula et al. 2017: 13-35). Dazu kann auch auf die dortige Tabelle zur Beschreibung der Stichprobe verwiesen werden (vgl. ebd.: 45-46).


Literatur

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Über die Autorinnen

Mag.a Dr.in Ass.-Prof.in Anna Riegler
anna.riegler@fh-joanneum.at

Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin (Sozialpädagogik, Weiterbildung - Lebensbegleitende Bildung), Organisationsentwicklerin (im ÖAGG zertifiziert), Supervisorin (im ÖAGG zertifiziert), ordentliches Mitglied im ÖVS, Lehrsupervisorin bei der ARGE Bildungsmanagement Wien, hauptberuflich Lehrende und Forschende an der FH JOANNEUM Graz, am Studiengang Soziale Arbeit Bachelor und Master.

Schwerpunkte: Anerkennung und Beziehung in der Sozialen Arbeit, Migration, Rassismuskritik.

www.anna-riegler.at / www.fh-joanneum.at

Mag.a Helga Moser
helga.moser@fh-joanneum.at

Studium der Geschichte und Erziehungs- und Bildungswissenschaften (Erwachsenenbildung, Sozialpädagogik) an den Universitäten Graz und Maynooth/Irland. Langjährige Tätigkeit im Bildungsbereich und Projektmanagement bei ZEBRA – Interkulturelles Therapie- und Beratungszentrum. Hauptberufliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre an der FH JOANNEUM Graz, am Institut für Soziale Arbeit, Studiengänge Bachelor und Master.

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Migration, rassismuskritische Bildung, Differenzdiskurse.