soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 1 (2008) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standortredaktion St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/57/47.pdf


Carola Weiß:

Geburtenraten im Europäischen Vergleich


1. Einleitung
Die europäische Bevölkerung altert - eine unumstrittene Tatsache. Was dies jedoch für die davon betroffenen Staaten bzw. vielmehr deren Wirtschaft und Sozialversicherungssysteme insgesamt bedeuten wird, darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht so ganz einig. Einige Konsequenzen sind aber bereits spürbar. So wurden in den letzten Jahren in vielen Ländern wohlfahrtsstaatliche Leistungen nach und nach reduziert, was neben vielfältigen anderen Faktoren auch mit der Bevölkerungsalterung in Zusammenhang gebracht wird.

In Anbetracht dieser Tatsachen verwundert es nicht, dass die Geburtenrate, welche seit den 1960er Jahren in Europa stark gesunken ist (Cordón 2006: 31) und damit u. a. für diese Alterung verantwortlich gemacht wird, immer mehr ins Blickfeld von Wissenschaft und Politik rückt.

Im konkreten Fall wurde die Diplomarbeit zu diesem Thema von der NÖ Landesregierung gefördert.

Abb. 1: Gesamtfruchtbarkeitsraten in den EU-25, 1960-2006

Quelle: Eurostat 2008 - Bevölkerung und soziale Bedingungen

Aus der Sicht Österreichs, welches eine Gesamtfruchtbarkeitsrate unter dem EU Durchschnitt aufweist (Abbildung 1), stellt sich dabei besonders die Frage, warum diese in anderen Ländern Europas deutlich höher liegt als hier.

Um zu diesem Phänomen neue Erkenntnisse zu gewinnen, wurden in den Erhebungen zu dieser Diplomarbeit einerseits drei jener Länder untersucht, die eine vergleichsweise hohe Geburtenrate vorweisen können - Frankreich, Schweden und Irland. Andererseits sollten Hintergründe für die niedrige Fertilität in Österreich analysiert werden. Auf Basis der daraus gewonnenen Erfahrungen werden mögliche Handlungsfelder aufgezeigt, die eine Erholung der Geburtenzahlen in Österreich unterstützen könnten.


2. Entwicklung der vier untersuchten Länder
Die vier Länder präsentierten sich dabei sehr unterschiedlich, was bereits am Verlauf der demographischen Kennzahlen ersichtlich wird (Eurostat 2008). Beispielhaft sind in Abbildung 2 die Entwicklungen der endgültigen Kinderzahlen der Frauen in den untersuchten Ländern nach Geburtsjahrgängen zu sehen. Dieser Indikator gibt an, wie viele Kinder Frauen letztendlich tatsächlich zur Welt gebracht haben.

Abbildung 2: Endgültige Kinderzahlen nach Geburtskohorten, Jg. 1930-1965

Quelle: Eurostat 2008 - Bevölkerung und soziale Bedingungen

Besonders auffällig ist dabei etwa die Entwicklung in Irland (vgl. Abb. 2). Dieses Land hatte über Jahrzehnte hindurch die höchsten endgültigen Kinderzahlen in Europa. In den letzten Jahren entwickelten sich diese aber rapide in Richtung Angleichung an das übrige europäische Niveau.

In Schweden war genau die gegenteilige Entwicklung zu beobachten. Ausgehend von einer vergleichsweise niedrigen endgültigen Kinderzahl, bewirkte der eher moderate Rückgang, dass es nun im europäischen Spitzenfeld liegt.


3. Allgemeine Einflussfaktoren
Zur Frage, wie diese unterschiedlichen Geburtenraten zustande kommen, gibt es vielfältige Erklärungsansätze, die eine Vielzahl an Einflussfaktoren herausgearbeitet haben.

Zusammenfassend betreffen sie die folgenden Bereiche:


4. Thesen zu den einzelnen Ländern
Bei der genauen Betrachtung der Gegebenheiten in den vier Ländern finden sich eine Vielzahl an Indikatoren, die dem Vorhaben Kinder zu bekommen bzw. der Verwirklichung eines Kinderwunsches förderlich oder aber hinderlich sind:

Schweden nimmt sowohl bei den demographischen Veränderungen als auch bei den familienpolitischen Reaktionen darauf, eine Vorreiterrolle ein. Ein Rückgang der Geburtenrate, eine Abnahme der Eheschließungen, genauso wie ein Anstieg der Scheidungen und unehelichen Geburten, fand hier schon sehr früh statt (Eurostat 2008). Dementsprechend früh entwickelte sich dort eine Familienpolitik mit dem Ziel, die Gleichstellung der Geschlechter und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern (Bernhardt 2004:225-227). Eine Folge ist, dass vergleichsweise viele Mütter in Schweden heute erwerbstätig sind. In der Folge finden Eltern staatliche Unterstützung in Form flächendeckender, öffentlicher Kinderbetreuung für alle Altersgruppen als auch in sehr flexiblen Elternurlaubsregelungen (Dörfler 2004: 233-234). Zudem wird in Schweden ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für Kinder im Alter von 1 bis 15 Jahren gewährt (European Commission 2005: 37).

Ein ganz anderes Bild zeigt sich in Irland. Der enorme ökonomische Aufschwung, der dieses Land in den letzten Jahren auszeichnete, brachte vielfältige gesellschaftliche Veränderungen mit sich (Richardson 2004: 145). Anpassungen an geänderte Gegebenheiten finden in Irland in einem unvergleichlichen Tempo statt. Ein Rückgang der Geburtenraten ging einher mit einem Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus und der Erwerbsbeteiligung der Frauen. Gleichzeitig begannen sich die bis dorthin traditionellen Familienverhältnisse zu verändern, bemerkbar etwa an einem Anstieg an unehelichen Geburten (Eurostat 2008). Dies alles geschah trotz der traditionellen und religiösen Ausrichtung, die den Iren immer wieder nachgesagt wird und verlieh Irland damit eine Ausnahmestellung gegenüber den ebenfalls sehr katholischen Ländern im Süden Europas.

Obwohl der irische Staat traditionell wenig in die Angelegenheiten der Familien eingreift, führten diese Entwicklungen auch hier zur Entstehung von familienpolitischen Aktivitäten - wie etwa die Einführung von Elternurlaubsregelungen (1998) oder dem "Family-Friendly Workplace Day" (Richardson 2004: 147). Die wesentlichste Stütze für Eltern bei der Betreuung der - dort immer noch zahlreichen - Kinder sind aber nach wie vor die Frauen der älteren Generationen, für die die Erwerbsbeteiligung noch nicht so selbstverständlich war (OECD 2003: 25). Eine Abschätzung der zukünftigen Entwicklungen in Irland ist aufgrund dieser, sich erschöpfenden Ressource, besonders schwierig.

Interessante Ergebnisse bringt der Vergleich von Frankreich und Österreich. Auf der einen Seite gibt es in diesen beiden Ländern gewisse Parallelen, wie etwa die Orientierung an der traditionellen Kernfamilie (Dörfler 2004: 230, 232) oder die Ausgestaltung der derzeitigen Elternurlaubsregelungen (European Commission 2005: 49-59). Auch die demographischen Entwicklungen verliefen in diesen beiden Ländern zu Beginn der rückläufigen Gesamtfruchtbarkeitsraten (ab den 1960er Jahren) noch sehr ähnlich. Allerdings verlangsamte sich dieser Geburtenrückgang in Frankreich (ab 1975) um ca. 10 Jahre früher als in Österreich (Eurostat 2008). Gewisse Entwicklungen nehmen in Österreich mehr Zeit in Anspruch. So hat sich das Gebäralter im Vergleich zu Frankreich und Schweden bisher weniger erhöht, steigt aber nach wie vor stark. Ein ähnlich verspäteter Anstieg ist beim Anteil an unehelich geborenen Kindern, als Folge der gesunkenen Eheschließungen und steigenden Scheidungszahlen, zu beobachten.

Die Familienpolitik in Frankreich setzt stark auf eine umfangreiche und vielfältige Kinderbetreuung, um die Mütter zu entlasten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern (Martin 2004: 100-101). Darüber hinaus werden Mehrkindfamilien speziell gefördert (Dörfler 2004: 231).

In Österreich sind solche Maßnahmen erst im Entstehen bzw. orientiert sich das Ziel des "Lastenausgleiches" zwischen Kinderlosen und Familien mit Kindern sehr an finanziellen Transferleistungen (Richter 2004: 52).


5. Ansatz einer Synthese
Die Beispiele der hier beschriebenen Länder zeigen, dass negative Auswirkungen auf die Geburtenrate bzw. auf den Wunsch (weitere) Kinder zu bekommen, vor allem dort zu erwarten sind, wo trotz der steigenden Anforderungen an die Familien (steigende Frauenerwerbsbeteiligung, erhöhter Leistungsdruck im Berufsleben usw.), die Verantwortung für die Kinder bzw. deren Betreuung und Erziehung nach wie vor vorwiegend bei den Eltern - im speziellen den Frauen - liegt.


6. Mögliche Handlungsfelder für Österreich
Für Österreich wären daher, neben den vorhandenen umfangreichen finanziellen Transferleistungen, strukturelle Maßnahmen denkbar, um eine Erholung der Geburtenrate zu unterstützen:

Vorschläge dazu wären:

Dazu wären Unterstützungsmaßnahmen für junge Erwachsene notwendig, damit sich diese eine entsprechende Grundlage für die Familiengründung schaffen können (Engelhardt / Prskawetz 2005b: 13-15). Wesentlich dabei sind sichere Arbeitsplätze, anstelle der immer häufiger werdenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse.

Weiters könnte sich eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Elternschaft positiv auswirken, da auch in Österreich die durchschnittliche Zahl an Bildungsjahren steigt (Eurostat 2008).

All diese Maßnahmen würden vermutlich nicht plötzlich zu einem Anstieg des Kinderwunsches bei den Frauen und Männern in Österreich führen. Aber sie könnten die bestehende Wunschkinderzahl verwirklichen helfen, und damit die derzeit feststellbare Kluft zwischen der als ideal angesehenen und der tatsächlich realisierten Kinderzahl verringern.


Literatur
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Über die Autorin
Carola Weiß, Jg. 1979
carola.weiss@aon.at