soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 1 (2008) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standortredaktion Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/58/62.pdf
Rainer Loidl-Keil:
Wie können sozialwirtschaftliche Unternehmen die von ihnen geleisteten sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Werte abbilden?
Verfahren zur Bewertung von Unternehmen und Unternehmensleistungen verweisen inzwischen auf eine lange Tradition, welche sich vorwiegend aus der Betriebswirtschaftslehre speist. Und die traditionelle Betriebswirtschaftslehre hat nicht erkannt, dass auch sozialwirtschaftliche Unternehmen Wertschöpfungen hervorbringen. Dieses theoretische Defizit zeigt sich z.B. in dem häufig gehörten Argument: Wir, die Industrie, schaffen die Werte, die im Wohlfahrtssystem dann wieder vernichtet werden.
In der Sozialwirtschaft und im Organisationsfeld Sozialer Dienste wird auf der Suche nach Beurteilungsgrundlagen zur Bestimmung sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer Werte zusehends ein leistungs- und wirkungsorientierter Evaluationsbedarf konstatiert. Die Evaluationslandschaft blüht, ausgeklügelte Bewertungsarchitekturen werden kreiert, Nachhaltigkeiten werden strapaziert, Berechnungen spitzen sich zu. Wenn alleine moralische oder soziale Missionen nicht mehr ausreichend die unternehmerische Existenz legitimieren können, und wenn offenkundig variierende organisatorische Leistungsfähigkeiten und betriebswirtschaftliche Defizite in Sozialen Diensten erkannt werden, dann sollen nunmehr Unternehmen in der Sozialwirtschaftsszene ihre wirtschaftlichen und sozialen Leistungen und Wirkungen messen, beurteilen und - besser noch - beweisen. Günstigerweise erlauben die entwickelten Konzepte und Methoden darüber hinaus Kosten und Nutzen, Investitionen und Returns präzise gegenüberzustellen. Am Ende des Tunnels der "Black Box" stünde dann bestenfalls eine Art "TÜV-Siegel", welches dem Sozialen Dienst bzw. Sozialen Unternehmen nicht nur seine Wirkung bescheinigt, sondern für Unternehmen, Gemeinden und Politik auch darüber mitteilt, welchen sozial-ökonomischen Profit und welchen "Gegen-Wert" eine Finanzierung erwarten lässt.
Außerhalb betriebswirtschaftlicher Logiken fällt eine grundsätzliche Wertebestimmung freilich schwer; in den Belehrungen einer einschränkenden betrieblichen Wirtschaft werden simplifizierende Bewertungsarchitekturen erdacht, die den Leistungsmerkmalen und -vollzügen in personenbezogenen sozialen Diensten nur unzureichend gerecht werden. Die Bestrebungen werden skizziert in Gütesiegeln, Qualitätserfüllungen, Social Accounting, Social Audits, Monitoring-Systemen, Performance Measuring in Nonprofits u.v.a.m. Dennoch bleibt die Frage nach der Bestimmung der in sozialen bzw. sozialökonomischen Diensten geleisteten "Werte" virulent, wollen diese für die Öffentlichkeit, Fördergeber und Investoren sowie für die Organisationen selbst aufgezeigt und belegt werden. Wenn wir davon ausgehen müssen, dass in Sozialen Diensten "Werte" geschaffen werden - so etwa der Wert einer geringeren Beeinträchtigung eines Menschen in seiner Lebensführung, oder einer körperlichen bzw. seelischen Genesung / Verbesserung, oder eine leichtere Beschäftigbarkeit und erhöhte Leistungsfähigkeit eines Menschen mit den damit einhergehenden individuellen und kollektiven Wertschöpfungen - , so wird zudem ein anderes inzwischen nur zu breit getretenes Konzept brüchig: Soziale Dienste sind eben keine "Non-Profit" Organisationen, sie schaffen Werte, und zwar gesellschaftliche, organisatorische sowie individuelle.
Ein seit dem Jahr 2002 auch in Deutschland und Österreich in Diskussion und Verwendung gelangendes Konzept für eine solche "Wertbestimmung" ist der SROI - Social Return on Investment; ein für Soziale Unternehmen adaptiertes Investitionsrechnungsverfahren, welches in der Praxis hierzulande bislang allerdings nur vereinzelt Anwendung findet. In Folge möchte ich hier nicht auf das Verfahren SROI an sich, sondern auf seine Modellarchitektur und dessen Implikationen eingehen. Die Methodik zu einem Konzept des SROI wurde mehrfach dargestellt, Literatur hierzu liegt vor. Beispielsweise zur Lektüre des Modells möchte ich auf die Detailbeschreibung vom REDF (2002)1 bzw. deren Übersetzung ins Deutsche von Laskowski/Loidl-Keil (2005)2 oder auf den Modellüberblick von Olsen/Nicholls (2005)3 verweisen; zudem auf einführende Beiträge von Loidl-Keil/Laskowski (2004, 2005)4 zur ersten Verortung des SROI-Modells in Österreich bzw. Scholten (2005)5 etwas allgemeiner für die Niederlanden näher eingehen. Des Weiteren informieren einige Plätze im Internet über das SROI-Modell.6
Einschränkungen im Modell "Social Return on Investment" (SROI)
In einer Aktualisierung zu Diskussion und Geschehen rund um den SROI stellen sich zusehends grundsätzlichere Fragen, und zwar nach der Einordnung und Beurteilung des Konzepts SROI und danach, wie seine Praxistauglichkeit und seine Eignung zur Abbildung der "Werte" im sozialwirtschaftlichen Organisationsfeld überprüft werden kann. Sich mit dem Konzept SROI zu beschäftigen, bedeutet also keinesfalls diesem quasi ungehindert den Weg in die Praxisanwendung zu bereiten. Ich gehe viel mehr davon aus, dass es einer kritischen und reflektierenden Würdigung des Konzepts SROI bedarf. Die der Architektur "SROI" zugrundeliegende Logik in der Wertbestimmung soll überdacht und herausgearbeitet werden, um die Wirkweisen und Implikationen durch den Einsatz dieses Konzepts vorab begründen zu können. Was könnte im Zuge einer Infiltration einer Bewertungsarchitektur SROI in Soziale Dienste und in die Sozialwirtschaft passieren? Welche Geschehnisse und Entwicklungen ranken sich um den SROI?
In erster Linie begleitet das Konzept SROI zunächst eine 20jährige Geschichte - begründet in den 1980er und 1990er Jahren von Seiten der USA -, sodass wir gerade in den vergangenen sieben, vielleicht acht Jahren erstmals steigernde Aktivitäten beobachten, insbesondere in Europa. Diese Aktivitäten erfassen zwar vereinzelt auch universitäre Einrichtungen (z.B. für Europa die London Business School, für die USA die Stanford University), gehen jedoch massiv von Unternehmensberatungen aus. Offenbar greift hier die Beratungsszene einen aktuellen Bedarf zur Entwicklung von Bewertungsgrundlagen und Denkmodellen für einen "Sozialprofit" zwischen Profit und Moral bereitwillig auf. Das dabei das Modell SROI zum hochpotentiellen Hoffnungsträger und deswegen zum florierenden und forcierten Geschäft wird, ist offenkundig. Des Weiteren formieren sich zum einen sowohl nationale als auch internationale Diskussions- und Implementationsarenen, die zum Teil zur Verbreitung des Modells führen, z.B. das "ESROIN" - European SROI Network. Zum anderen wird das SROI-Modell zusehends auf Fachtagungen von Praxis und Forschung thematisiert, wie es in der vorjährigen Jahrestagung der DeGEval der Fall war.7 Zudem wird das SROI-Modell auch in der Praxis vereinzelt erprobt.8
Zweitens kann nicht mehr ohne weiteres von "einem" SROI gesprochen werden, da inzwischen verschiedene "Modellierungen" vorliegen - etwa das Modell des "REDF" (vgl. Jed Emerson et al, 1997), der "nef" (new economics foundation, 2002), des "ETP-Returns on Employment Training Programs" (Dennis K. Benson, 1999), oder der "Community-SROI" (Betty J. Richmond et al., 1998) -, die zwar die Grundidee der Zusammenführung sozialer und wirtschaftlicher Kenngrößen teilen, sich aber in der konkreten Anwendung als auch in ihrem Umfang unterscheiden. Problematisch wird dies einerseits sowohl für Konzept als auch Bewertung, wenn ausschließliche in jenem Modell bestimmte Kenngrößen integriert werden. Andererseits werden einzelne Kenngrößen unterschiedlich berechnet und somit bewertet. Darauf basierend ergibt sich eine Ermittlung des "Wertes" für die Integrationsleistung eines Beschäftigungsbetriebes einerseits, wenn über eine Outcome-basierte Maßzahl und andererseits über eine Impact-basierte Maßzahl berechnet wird. Diese verschieden ausgelegten und konzeptuell erfassten Bewertungsdimensionen führen dazu, dass die "Werte" bzw. Indices in den verschiedenen SROI-Modellen und Anwendungen nicht einander gegenübergestellt werden können. Allein die Idee eines vergleichenden Benchmarking der Zahlen aus dann unterschiedlichen Berechnungsmodi wäre fatal.
Drittens kristallisiert sich durchgehend ein spezifisches Organisationsfeld heraus, für den die Bewertungsarchitektur des SROI als geeignet erachtet wird. Wie an anderer Stelle ausgeführt, wird das Verfahren SROI vorrangig im Feld "Sozialer Integrationsunternehmen" (in Österreich: Sozialökonomische Betriebe, Gemeinnützige Beschäftigungsbetriebe usw.) eingesetzt; also jener - üblicherweise dem Aktionskreis der aktiven Arbeitsmarktpolitik zugerechneten - Betriebe, die ein arbeitsmarkt- und/oder sozialpolitisches Klientel (Langzeitarbeitslosigkeit, andere Benachteiligungen) beschäftigen und mit diesen zusammen Produkte bzw. Dienstleistungen erstellen und am freien Markt anbieten.9 Dieser Anwendungsfokus des Modells dürfte darin begründet sein, dass für die Berechnung des SROI erforderlichen, zentralen "Werte" in Sozialen Integrationsunternehmen - z.B. Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Schulungen, Einkommensänderungen, Steuern und Steuersätze, Lohnsteigerungen u.a. - noch eher monetarisiert werden können als andere. Ein auch nur ansatzweise ähnliches Unterfangen hat in den meisten anderen Feldern Sozialer Dienste eine Niederlage zur Folge, da nur in wenigen Leistungsbereichen den von den Sozialen Diensten erbrachten "Wertschöpfungen" - etwa in der Sozialisation im Kinder- und Jugendbereich, oder im Therapiebereich in der Betreuung Kranker, oder in Infrastrukturbereitstellungen im Bereich Älterer - ähnlich ökonomisierbare und monetarisierbare Werte gegenübergestellt werden können, die dann in den Berechnungsmodus des SROI-Modells eingehen. Zudem stellt sich hier ein massives methodologisches Problem dar: in den meisten Bereichen können die "Wirkungen" - die als Maßzahlen bzw. Kennziffern in die SROI Berechnungen eingehen - nicht so ohne Weiteres auf die Leistungen und Wirkweisen der Organisation kontiert werden.
Viertens wurden konzeptuelle Defizite des Modells SROI erkannt, was den notwendigen Ausschlag für einige Modellweiterentwicklungen und seine Präzisierung und Differenzierung gab. Das Vorgehen SROI wird dabei als "Tool" verstanden und gehandelt, welches optimiert werden kann. Es soll die betrieblichen Leistungen und Wertschöpfungen in den besagten Unternehmenstypen besser abbilden, nun auch die sozialen bzw. sozialökonomischen Wertschöpfungsprozesse und -kennzahlen integrieren und diese zusammen mit den betriebswirtschaftlichen in nur einer Indexzahl anführen. Dieses Werkzeugdenken basiert auf dem Glauben an eine Monetarisierung "aller" (wesentlichen) Dimensionen und der damit verbundenen umfassenden Wirkung des SROI - Index, der eine Gegenüberstellung von errechneten Returns und Investitionsbeziehungen a la "benchmarking" erlaubt.
Organisationstheoretische Kritik der Bewertungsarchitektur des SROI- bzw. ROIModells
Obwohl die Notwendigkeit und Wichtigkeit der vorher genannten Entwicklungen nicht angezweifelt wird, verstummen ihre Aussagen jedoch nach einer kritischen Betrachtung ihrer "Architektur". Ein Werkzeug kann nur das, wozu es geschaffen wurde. Im Fall eines zu simplen Verständnisses gibt meines Erachtens das SROI-Modell letztlich mehr vor, als es zu leisten vermag. Diese Kritik gilt nicht nur für das SROI, sondern für das ROI-Konzept an sich, dessen geschichtlicher Ursprung in den1920er Jahren verankert ist. Was leistet die Bewertungsarchitektur ROI bzw. SROI? Aus organisationstheoretischer Sicht gehe ich mit Schreyögg (1999: 138ff)10 davon aus, dass ein Merkmal des SROI/ROI darin liegt, dass dieses Konzept die Erfolgsverantwortlichkeit ausschließlich in den Unternehmen definiert. Vorrangig handelt es sich hierbei um unternehmensstrategische Anliegen und Fragen der Finanzierung, für die in Anbetracht der Entwicklung der Geschäfte und Wertschöpfungen, ein ausgefeiltes Instrumentarium und Berichtswesen geschaffen wird, wodurch sich das Controlling deutlich etabliert. Das ROI (Return on Investment) ist ein bekanntes "Kontrollrezept". Das Konzept basiert letztlich auf einem rein formalen Soll/Ist-Vergleich; die Eigentümer geben über die Geschäftsleitung eine Planrentabilität ROI für das eingesetzte Kapital vor und prüfen, inwieweit es gelingt, dieses Rentabilitätsziel zu erreichen oder zu übertreffen. Steuernde Eingriffe erfolgen nur bei negativer Abweichung über eine bestimmte Größenordnung hinaus ("Management by Exception"). Wie der ROI ist daher auch der SROI sowohl Beurteilungsgrundlage als auch Kontroll- und Motivationsinstrument zu bezeichnen. Seit den 1970er Jahren allerdings ist - zumindest in der Organisationslehre - bekannt, dass der ROI als Steuerungskennzahl eine Reihe von strukturellen Problemen und unerwünschten Nebenwirkungen mit sich bringt. "Neben dem Kernproblem, dass der Soll/Ist-Vergleich immer nur historische Daten liefern kann, die für eine aktuelle Steuerung häufig zu spät kommen, verleitet der ROI zu eher kurzfristigem Handeln. Viel studiert und kritisiert wurden auch Maßnahmen der Divisionsleitung, die zwar den ROI steigen lassen, die aber nicht im Gesamtinteresse des Unternehmens liegen (...). Als ein weiteres Grundproblem ist die Fokussierung auf das Formalziel Rentabilität zu sehen, das viele Steuerungsziele, vor allem solche, die weit in die Zukunft greifen, nicht abbilden kann." (Schreyögg ebd.) Bereits Anfang der 1980er Jahre (Lüder, 1981) wurde vorgeschlagen, den ROI durch ein differenzierteres Konzept zu ersetzen.
Ich finde es bemerkenswert, dass ein Konzept, welches in der Organisationslehre durchaus schon geraume Zeit kritisch diskutiert und als ablösungsbedürftig bezeichnet wird, in eben dieser Zeit zu einer vieldiskutierten Bewertungsarchitektur im Feld sozialwirtschaftlicher Dienstleistungen avancierte.
Zum einen mag sich dies darin begründen, dass sich sowohl im Feld kommerzieller Unternehmen, als auch in jenem von sozialwirtschaftlichen Unternehmen betriebswirtschaftliche Managementdefizite ergeben, die unter anderem auch in die unternehmerische Führungs- und Steuerungspraxis einfließen.
Zum anderen verändern sich im Organisationsumfeld Legitimationsgrundlagen, deren zentrale Botschaft Ökonomisierung heißt. Diese stellt für die Unternehmen einen Organisationskontext dar, in dem sie sich bewähren müssen. Ein so vereinfachtes Modell wie SROI verführt durch eine sich erfüllende Erwartung, da es scheinbar endlich die realen "Werte" und "Wertschöpfungen" in sozialwirtschaftlichen Unternehmen abbildet und uns mittels einer Zahl über die Leistungsfähigkeit und produzierten "Werte" informiert.
Welche Horizonte des SROI-Modells werden erkennbar? Bilanziere ich meine Beobachtungen und Erfahrungen, so deute ich SROI als "Zeitgeist", als gefällige Idee und Instrument in der Tradition einer eng gedachten Betriebswirtschaft. Der Wind weht hier aus Richtung der Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfer und der Neuen Sozialökonomie. Jedoch sind kommerzielle Unternehmen weder ausschließlich ökonomisch, noch sind soziale Unternehmen immer sozial. Lineare Muster wie diese sind eigentlich zu trivial, um sie zu kritisieren.
Zur Interpretationsbedürftigkeit des SROI - Index
Eine Bewertungsarchitektur wie SROI zielt auf die Finanzströme im Unternehmen ab, sie soll Finanzgebern gegenüber eine "Wertschöpfung" präsentieren. Nun basieren etliche Kenngrößen im SROI-Konzept auf Schätzungen, demzufolge verständlicherweise die SROI-Modelle und Anwendungen aber in ihren Grundannahmen über Erträge, Investitionen, Zeiträume und Prognosen variieren. Hinzu kommt, dass die Bewertungsgrundlagen aus verschiedenen Perspektiven konzipiert werden können und in diese unterschiedliche Interessen und Wertorientierungen einfließen. Konsequenterweise bleibt das "Messresultat" SROI in nur einer Kennzahl höchst interpretationsbedürftig, weshalb eine komplexere Abbildung der in den Unternehmen geschaffenen Werte möglicherweise - zwar nicht praktischer, aber - wesentlich realistischer erscheint, da es dem Wesen sozialer und sozialökonomischer Dienstleistungen entsprechen würde.
SROI als verantwortungsvolle organisatorische Berichterstattung - Bewahren komplexer Leistungen, Wirkungen und Wertzusammensetzungen
Die Ausgangsposition in Konzeption und Anwendung einer solchen Bewertungsarchitektur vertritt zum einen die Pflicht und Verantwortung der Unternehmen gegenüber ihren "stakeholdern" beziehungsweise gegenüber dem Gemeinwesen. Zum anderen soll sie als unternehmensstrategisches Instrument dienen. Bestrebt eine solche Berichterstattung aktuell, steuerungs- und finanzierungsrelevant zu sein, dann dürfte offenkundig sein, was das SROI-Konzept beitragen kann.
In erster Linie schafft es neue und dringliche Perspektiven, macht aus Förderungen Investitionen, ergänzt wirtschaftliche um soziale bzw. sozialökonomische Kenngrößen und macht diese steuerungsrelevant. Das kann eine große Errungenschaft sein. Zugleich aber, wenn in einer eindimensionalen Logik soziale in ökonomische Werte übersetzt werden, erfolgt dann die Steuerung über finanztechnische, nicht mehr über soziale oder moralische Bewertungen. Gehen wir davon aus, dass sich noch weniger als in kommerziellen Betrieben in sozialwirtschaftlichen Unternehmen bzw. im Feld personenbezogener sozialer Dienstleistungen doch der eigentlich größere Teil der Wertschöpfungsprozesse einer Messung und noch viel mehr einer Monetarisierung - die aber Voraussetzung für die bisherigen SROI-Modelle ist - entzieht, so muss eine forsche Kritik laut werden.
Um zu "vergleichbaren" Kennzahlensystemen bzw. Indizes zu gelangen, wäre eine konzeptuelle Standardisierung der integrierten Kenngrößen und deren Berechnung erforderlich. Diese würde allerdings - wie auch beim ROI - zu systematischen Verzerrungen, also Bevorzugungen und Benachteiligungen von Unternehmen und Leistungsbereichen unabhängig von deren Leistungsvermögen und tatsächlich geschaffenen Werten führen. Für grundsätzlich problematisch halte ich solche Bewertungsmodelle des Weiteren, wenn sie sich - der Funktionsweise des Modells folgend - auf die "messbaren" Dimensionen reduzieren, oder/und wenn sie zahlreiche für die Leistungsbewertung substantielle Dimensionen, unter anderem für ihre simple Praktikabilität, außer Acht lassen müssen. Dies hat eine dramatische Diskrepanz zur Folge, da das Modell einerseits nur mehr ein kleines Segment - möglicherweise mit mangelnder Relevanz - der betrieblichen Realität abbildet, aber andererseits zum durchdringenden Steuerungs- und Legitimationsinstrument wird.
Als Anspruch für eine Bewertungsarchitektur wie im SROI-Modell wären die Tatsachen gegeben, dass das Konzept für diese "Blindheit" offen bleiben müsste. Die für relevant erachteten, aber nicht in das Modell und die Berechnungen eingegangenen Wertdimensionen sollen angegeben werden, um Relationen aufbauen und die errechneten Kenngrößen und Indizes angemessener interpretieren zu können. Es handelt sich zentral um die Idee Referenzen aufzubauen, um zu verdeutlichen wie ein Kennzahlensystem gelesen werden kann. Gerade eine solche Überlegung für eine "Entsimplifizierung" eines Bewertungsmodells würde letztlich dazu führen, dass die Komplexität der Wirkweisen von sozialen und wirtschaftlichen Leistungen und Unternehmungen bewahrt und wieder besser abbildbar wird.
Als grundlegendes Problem des SROI-Modells sehe ich die Beschränkung auf die als Returns in der Erweiterung um "soziale" Kenngrößen ausgewiesenen und in die Berechnung eingehenden Werte. Der Bias ist hier so offenkundig wie fraglich, denn das Konzept gibt vor "soziale" Kenngrößen in der Wertschöpfung zu integrieren, was jedoch nur einseitig vollzogen wird. Wenn wir eingesetzte und geschaffene Werte weiter auslegen und soziale und sozialökonomische Kenngrößen mit berücksichtigen, dann müsste dies konsequenterweise doch auch seitens der "Aufwände" bei der Leistungserstellung gelten. Nicht nur geschaffene, sondern auch eingesetzte Ressourcen bzw. "Werte" würden in einem weiteren Verständnis einzubeziehen sein.
Explikation von Modellannahmen, Einbezug kontextueller Einflussgrößen und mehrdimensionale Wertbestimmung
Beurteilung setzt kein Messen im wissenschaftlichen Sinn voraus und kann auf unterschiedlichen Wertmaßstäben beruhen. Wenn aber ein Bewertungsmodell vorgibt, soziale und ökonomische Werte mit einer Zahl auf mindestens drei Kommastellen exakt zu ermitteln, und wenn dieses Verfahren beabsichtigt gleiche Werte abzubilden, dann ist es eklatant, dass geringste Unterschiede in den Modellannahmen oder in den Berechnungsmodalitäten weitgehende Konsequenzen haben werden. Darüber hinaus eckt die Modelllogik der unternehmerischen Eigenverantwortlichkeit - für die ich grundsätzlich plädiere - dann an, wenn Unternehmen in bürokratisch-administrativer Manier als "Vollzugsorgane" verstanden und ihnen keine Autonomien eingeräumt werden, sodass in einer "technischen" Reduktion der Kontext die eigentliche erfolgs- und misserfolgsdeterminierende Variable ist.
Gerade wenn es sich um "soziale" Größen, Wirkweisen, Ressourcen und Effekte handelt, sollten wir uns versichern, dass jeder "Wert" qualitativer Natur ist, und dass wir nur danach unterscheiden können, ob ein "Wert" quantifizierbar ist oder nicht. Denn selbst Kenngrößen wie der "Umsatz", der "Gewinn", der "Personalstand" eines Unternehmens markieren letztlich die "Qualitäten" bzw. Eigenschaften des Unternehmens.
Sowohl für die Unternehmen als auch die Investoren scheint mir die bessere Empfehlung zu sein, wenn die geschaffene Bewertungsarchitektur den zu bewertenden Prozessen, Leistungen und Wirkungen in ihrer Komplexität angemessen ist. Hier wäre die "Angemessenheit" konkret in ein komplexeres Tool überzuführen. Möglicherweise eben in ein komplexeres, mehrdimensionales SROI-Modell - Ansätze dazu gibt es, oder es können Anleihen aus der Evaluationsforschung genommen werden. Zudem halte ich es für unüberlegt, weder für einzelne Unternehmen noch für unsere Gesellschaft durch Transformation sozialer und ökonomischer Werte lediglich nur mehr finanztechnische und ökonomische Referenzgrößen als Beurteilungsgrundlage für soziale, moralische, ethische Werte zur Verfügung zu stellen.
Verweise
1REDF Roberts Enterprise Development Fund (Ed.) (2002): Social Return on Investment - Methodology. San Francisco: REDF. Verfügbar in Englisch auf der homepage www.redf.org
2Laskowski, Wolfgang; Loidl-Keil, Rainer (2005): SROI - Social Return on Investment. Methode. Deutsche Übersetzung. REDF Roberts Enterprise Development Fund: San Franciso, 2002. Verfügbar in Deutsch auf der homepage www.lquadrat.at.
3Olsen, Sara; Nicholls, Jeremy (2005): A framework for approaches to SROI. Draft for Haas Social Metrics Conference Reviewers.
4Loidl-Keil, Rainer; Laskowski, Wolfgang (2004): Zahlung gegen Wertschöpfung. Eine erste Erfahrungsbilanz zum SROI - Social Return on Investment in Österreich. In: Kontraste, Presse- und Informationsdienst für Sozialpolitik. Nummer 9, November 2004. S. 25-27. Loidl-Keil, Rainer; Laskowski Wolfgang (2005): Rentabilität: Leistungen bewerten. In: Sozialwirtschaft, Zeitschrift für Sozialmanagement. Jg. 15, 1/2005, S.8-9.
5Scholten, Peter (2005): Social Enterprises and Performance Measurement in the Netherlands. In: Evaluationen in Sozialen Integrationsunternehmen. Herausgegeben von Rainer Loidl-Keil und Wolfgang Laskowski. München; Mehring: Hampp. S. 131-144.
6Neben dem REDF www.redf.org für Europa insbesondere www.sroi-europe.org und www.neweconomics.org; für die Niederlande auch www.sroi.nl. Für Österreich und Deutschland auf www.sroi.at bzw. wwww.sroi.de .
7Loidl-Keil, Rainer: "Sozialökonomische Werte schaffen - Das Modell des SROI - Social Return on Investment" am Beispiel Sozialer Integrationsunternehmen". 8. Jahrestagung der DeGEval - Deutschen Gesellschaft für Evaluation, 12.-14. Oktober 2005, Universität Duisburg-Essen. Kellem, Ren L.; Laskowski, Wolfgang: Social Return on Investment (SROI) - Ein Vergleich von Modellen zur Darstellung sozial-ökonomischer Leistungen in sozialen Diensten. 8. Internationales Colloquium der NPO-Forscher im deutschsprachigen Raum, 17.-18. April 2008, Johannes Kepler Universität Linz.
8Hierfür stellvertretend für Österreich Pilotprojekte in zwei Sozialen Integrationsunternehmen (Loidl-Keil, Laskowski 2003/2004) bzw. im Rahmen der EQUAL_2 Entwicklungspartnerschaft PSPP - Public Social Private Partnership (www.pspp.at) und in einer Einrichtung im Wohn- und Obdachlosenbereich.
9Dieser Organisationstypus "Soziale Integrationsunternehmen" im Feld Sozialer Unternehmen charakterisiert sich durch eine "double-bottom-line" (Alter, Sutia Kim: 2000; 2004) gekennzeichnet, also einer sowohl sozialen (Reintegration) als auch wirtschaftlichen (Eigenerwirtschaftung) Ziel- bzw. Zweckbeschaffenheit. Zum Evaluationsgeschehen im Feld Sozialer Integrationsunternehmen siehe auch Loidl-Keil/Laskowski (Hg.) (2005): Evaluationen in Sozialen Integrationsunternehmen. München; Mehring: Hampp.
10Organisationstheorie: Schreyögg, Georg (1999): Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung. Mit Fallstudien. 3. Auflage. Wiesbaden: Gabler.
Weiterführende Literatur
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Laskowski, Wolfgang & Loidl-Keil, Rainer (2004): SROI - Social Return on Investment in einem Sozialen Integrationsunternehmen. Unveröffentlichter Projektbericht. Neuhofen, 2004.
Laskowski, Wolfgang; Loidl-Keil, Rainer (2005): SROI - Social Return on Investment. Methodology. REDF Roberts Enterprise Development Fund. San Francisco: 2002. Übersetzung ins Deutsche.
Loidl-Keil, Rainer; Laskowski, Wolfgang (2003): SROI - Ein Konzept zur sozioökonomischen Bewertung sozialer Unternehmen. In: Kontraste, Presse- und Informationsdienst für Sozialpolitik. Nummer 7, September 2003.
Loidl-Keil, Rainer; Laskowski, Wolfgang (2004): Zahlung gegen Wertschöpfung. Eine erste Erfahrungsbilanz zum SROI - Social Return on Investment in Österreich. In: Kontraste, Presse- und Informationsdienst für Sozialpolitik. Nummer 9, November 2004. S. 25-27.
Olsen, Sara; Nicholls, Jeremy (2005): A framework for approaches to SROI. Draft for Haas Social Metrics Conference. Manuscript, März 2005.
Roberts Enterprise Development Fund (1996): SROI Methodology. Social Return on Investment. San Francisco.
Quarter, Jack; Mook, Laurie; Richmond, Betty Jane (2003): What Counts. Social Accounting for Nonprofits and Cooperatives. Ontario Institute for Studies in Education, University of Toronto. New Jersey: Prentice Hall.
Sachße, Christoph (2002): Die Zukunft der Sozialen Dienste. Expertenrunde der Schader-Stiftung. Gefunden auf: http://www.schader-stiftung.de/sachse_papier_soziale_dienste.pdf (Stand: 29.12.2006).
Schreyögg, Georg (2004): Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung. Mit Fallstudien. 4. Aufl. Wiesbaden: Gabler.
Schubert, Herbert (Hrsg.) (2005): Sozialmanagement. Zwischen Wirtschaftlichkeit und fachlichen Zielen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. VS - Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Schultze, Wolfgang (2003): Methoden der Unternehmensbewertung. Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Perspektiven. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage. IDW Verlag, Düsseldorf.
Rainer Loidl-Keil Soziologe, seit 2004 Professor (FH) an der Fachhochschule JOANNEUM Graz, Studiengang Sozialarbeit und Sozialmanagement. 4-jährige sozialpädagogische Tätigkeit im Jugendbereich. Seit 1994 in Sozialforschung und Evaluation tätig. 1997-2004 Assistent am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Seit 1998 LQUADRAT Sozialforschung, Evaluation und Unternehmensberatung.
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