soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 20 (2018) / Rubrik "Werkstatt" / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/583/1060.pdf
Nina Eckstein & Florian Zahorka:
1. Einleitung
Dieser Beitrag unternimmt eine Gratwanderung zwischen theoretischer Auseinandersetzung und persönlichem Bericht. Konkret geht es um die Verwirklichung von Inklusion und Barrierefreiheit im wissenschaftlichen Lehrbetrieb bzw. in Lehrveranstaltungen. Der persönliche Bezug ist die starke beidseitige Hörbeeinträchtigung von mir als Lehrender im Department Soziales an der FH St. Pölten im Rahmen der Lehrveranstaltung „Menschenrechte“.
Interessant bei der Literaturrecherche war, dass Inklusionsthematiken im Kontext von Bildungssystemen und Bildungseinrichtungen vorrangig auf Schüler_innen und Studierende mit Behinderung fokussieren. (vgl. u.a. Ditschek/Meisel 2012, vgl. BMBWF 2018 oder Ombudsstelle für Studierende 2016 u.v.m.) In Bezug auf Lehrende mit Behinderung im Wissenschaftsbetrieb findet sich bis dato wenig. Eine Ausnahme stellt die im Auftrag des Sozialministeriumsservice von bundessache 2016 durchgeführte Studie PädagogInnen mit Behinderungen. Teilhabe im österreichischen Bildungssystem? dar. (vgl. Zamarin 2016) Erhoben wurden die Faktoren, warum es im österreichischen Bildungssystem nach wie vor so wenige Lehrkräfte mit (Sinnes)Behinderung gibt und wie die Zugänge zum Studium besser gestaltet werden können.
Der vorliegende Beitrag verbindet die theoretischen und rechtlichen Konzepte von Inklusion und Barrierefreiheit mit persönlichen Erfahrungen in Hinblick auf die Lehrtätigkeit und fragt schließlich danach, welche digitalen und technischen Unterstützungsmöglichkeiten im Unterricht für Lehrende mit einer Hörbeeinträchtigung förderlich sein können, um dadurch gelebte Inklusion und Barrierefreiheit zu ermöglichen.
Zu Beginn wird die UN-Behindertenrechtskonvention allgemein vorgestellt, um dann im Detail auf die Begriffe Inklusion und Barrierefreiheit einzugehen. Im Anschluss erfolgt ein persönlicher Erfahrungsbericht hinsichtlich der Chancen und Schwierigkeiten als Lehrender mit einer Hörbeeinträchtigung. Anschließend werden einige ausgewählte technische Kommunikationstools vorgestellt, die in Lehrveranstaltungen zum Einsatz kommen können bzw. auch tatsächlich schon zum Einsatz kamen und mit deren Hilfe Barrierefreiheit und Inklusion im Lehrbetrieb erweitert wurde. Ein Fazit rundet vorliegenden Beitrag schließlich ab.
2. Inklusion und Barrierefreiheit in der UN-Behindertenrechtskonvention
2.1 Die grundlegenden Eckpunkte der UN-Behindertenrechtskonvention
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) stellt einen wegweisenden Meilenstein für die Rechte von Menschen mit Behinderung dar. (vgl. UN-BRK) 2006 wurde sie von der UN-Generalversammlung verabschiedet und von einer Reihe an Staaten in einem kurzen Zeitraum unterzeichnet. Auch Österreich unterzeichnete die Konvention samt Zusatzprotokoll erstaunlich rasch und ratifizierte sie 2008. Seit 2008 hat die UN-BRK nun Geltung in Österreich und verpflichtet Österreich zur entsprechenden innerstaatlichen Umsetzung.
Die Konvention gilt aus mehreren Gründen als wegweisendes Dokument. Nicht nur, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung damit explizit festgehalten werden. Sie etabliert auch eine gänzlich andere Sichtweise auf Behinderung: weg von einer ausschließlich medizinisch-defizitorientierten Perspektive hin zu einem strukturell und in seiner Gesamtheit verankerten, sozialen und menschenrechtlich orientierten Modell von Behinderung. (vgl. Degener 2015: 55)
In Artikel 3 UN-BRK werden die allgemeinen Grundsätze der Konvention formuliert, ausgehend von den Postulaten der Menschenwürde sowie der Achtung der Autonomie bis hin zu Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. (UN-BRK, Art. 3) Weitere essentielle Grundsätze sind auch das Prinzip der Nichtdiskriminierung sowie Barrierefreiheit und letztlich Teilhabe an der Gesellschaft und Inklusion in die Gesellschaft. (vgl. detailliert dazu Degener 2009: 204ff)
Die in Artikel 3 postulierten allgemeinen Grundsätze zeigen den ganzheitlichen und alle Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung umfassenden Wesensgehalt der Konvention und stellen damit einen Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderung dar. Als Zeichen dieses Paradigmenwechsels kann auch der Umstand verstanden werden, dass in Artikel 1 der Konvention keine konkrete Definition von Behinderung zu finden ist, sondern eine nicht abgeschlossene Umschreibung. Dieser entsprechend ist Behinderung als eine Verschränkung von mehreren Dimensionen zu qualifizieren und betrifft
„Menschen[, die] aufgrund langfristiger körperlicher, psychischer, intellektueller Behinderung oder aufgrund von Sinnesbeeinträchtigungen durch Wechselwirkung mit verschiedensten Barrieren an ihrer vollen und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden.“ (UN-BRK, Art. 1)
In dieser nicht abschließenden und bewusst offen gehaltenen Formulierung findet sich der elementare Ansatzpunkt der Konvention wieder, dem entsprechend Behinderung in unmittelbarem Zusammenhang mit gesellschaftlichen und strukturellen Hürden steht, die aus einer individuellen Beeinträchtigung erst eine Behinderung machen. Dies entspricht dem eingangs schon erwähnten sozialen bzw. menschenrechtsorientierten Modell von Behinderung, das durch die Behindertenrechtskonvention erstmals auch rechtlich ins Zentrum gerückt wurde. (vgl. Degener 2015: 55ff)
Die Behindertenrechtskonvention enthält sowohl politische, als auch soziale Menschenrechte und verpflichtet die Vertragsstaaten und sohin auch Österreich zu einem aktiven Tun hinsichtlich der nationalen Umsetzung, um die Rechte von Menschen mit Behinderung adäquat zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten (UN-BRK Art. 1, 1.Satz). Die Konvention enthält – erstmalig in der Geschichte der internationalen Menschenrechtsabkommen – auch die Verpflichtung, nationale Überwachungsgremien zu schaffen, die die Umsetzung der Konvention begleiten. In Österreich wurde hierfür der sogenannte Monitoringausschuss implementiert. (vgl. Unabhängiger Monitoringausschuss o. A.) Ein weiterer, überstaatlicher Überwachungsmechanismus hinsichtlich der Umsetzung der UN-BRK ist das Staatenberichtsverfahren. Dieses verpflichtet alle Vertragsstaaten, in regelmäßigen Abständen Staatenberichte an das Behindertenrechtskomitee zu übermitteln, um die Fortschritte in der Weiterentwicklung von Behindertenrechten zu dokumentieren. Österreich hat seinen ersten Staatenbericht 2010 an das Behindertenrechtskomitee der UN übermittelt und ist 2018 verpflichtet, den nächsten zu übermitteln. (vgl. BMASK 2010) Das Behindertenrechtskomitee stellt in den so genannten „Abschließenden Bemerkungen“ fest, wie der Umsetzungsstand eines Landes in Bezug auf die UN-BRK gegeben ist. Für Österreich ergaben sich zahlreiche Punkte im Zuge der Überprüfung des 1. Staatenberichts 2013. (vgl. Bizeps 2013) Eine Konsequenz der Rückmeldungen des Komitees an Österreich war beispielsweise die Überarbeitung des geltenden Sachwalterschaftsrechts, das aufgrund seines entmündigenden Charakters nicht mit der UN-BRK im Einklang stand. Die Anmerkung des Komitees führten schließlich zur Überarbeitung des gesamten Sachwalterschaftsrechts und zum neuen Erwachsenenvertretungsrecht, das am 01.07.18 in Kraft getreten ist und in seiner novellierten Fassung dem Artikel 19 der Konvention (Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft) gerecht werden soll. (vgl. 2. Erwachsenenschutzgesetz)
Ein anderes wichtiges Instrument zur Überwachung der Staaten ist die im Zusatzprotokoll zur UN-BRK verankerte Möglichkeit einer Individualbeschwerde an das Behindertenrechtskomitee. Demnach kann sich die_der Einzelne unmittelbar vor dem Komitee beschweren, wenn sie_er sich in ihren_seinen in der Konvention verankerten Rechten verletzt fühlt. Da Österreich dieses Zusatzprotokoll ebenfalls ratifiziert hat, können sich Menschen mit Behinderung auch in Österreich unmittelbar an das Komitee wenden.1
2.2 Inklusion und Barrierefreiheit im Kontext der Konvention
In Artikel 3 wird als ein allgemeiner Grundsatz der Behindertenrechtskonvention die Inklusion von Menschen mit Behinderung als einer der zentralen Angelpunkte genannt. Um Inklusion verwirklichen zu können, muss allerdings auch Barrierefreiheit gegeben sein. Beides ist eng miteinander verknüpft und steht in Wechselwirkung miteinander. Nachstehend werden beide Begriffe im Verständnis der Behindertenrechtskonvention näher ausgeleuchtet.
2.2.1 Inklusion im Kontext der UN-BRK
Inklusion ist ein Begriff, der außerhalb des Wissenschaftskontextes noch vor einiger Zeit wenig bekannt war, mittlerweile aber immer mehr zum Mainstream wird. (vgl. Wansing 2015: 43, vgl. auch Bielefeldt 2017: 61) Inklusion als Begriff und Konzept wird aber nicht erst seit der Behindertenrechtskonvention verwendet, sondern fand davor schon in vielen wissenschaftlichen Disziplinen Eingang. Vorrangig in der Soziologie war die wissenschaftliche Auseinandersetzung in den letzten Jahrzehnten damit befasst, gesellschaftliche Mechanismen zu beschreiben, die Ein- und Ausschlüsse und damit einhergehende soziale Ungleichheit produzieren. (vgl. z.B. Stichweh 2016)2 Eine besondere Rolle spielt das Begriffspaar Inklusion-Exklusion vor allem auch für die Systemtheorie von Luhmann (2005, 1975/2005 und 1995/2005) und in den nachfolgenden systemtheoretischen Weiterentwicklungen. (vgl. z.B. Kneer/Nassehi 1997, vgl. auch Farzin 2006) Auch in den Sozialarbeitswissenschaften spielten Inklusion und Exklusion im Zusammenhang mit Adressat_innen von Sozialer Arbeit und dem professionellen Mandat von Sozialer Arbeit schon vor Einführung des Begriffs durch die UN-BRK eine relevante Rolle. (vgl. Merten/Scherr 2004, Scherr 2004, Mayrhofer 2009, Moser et al. 2013)
Der Begriff Inklusion wird im Kontext von Behinderung häufig vor allem im Zusammenhang mit Bildung und pädagogischen Konzepten besprochen und ist in der Mehrheitsgesellschaft vor allem unter dem Gesichtspunkt eines inklusiven Bildungssystems oder inklusiver Pädagogik am ehesten vertraut. Wenngleich die Behindertenrechtskonvention den Begriff Inklusion selbst im Zusammenhang mit Bildung in Artikel 24 nennt, ist Inklusion nicht ausschließlich auf Bildungskontexte beschränkt, sondern als ein Menschenrecht konzipiert, das alle gesellschaftlichen Lebensbereiche erfasst. Das Deutsche Institut für Menschenrechte definiert Inklusion nach der Konvention folgendermaßen: „Inklusion bedeutet, dass kein Mensch ausgeschlossen, ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt werden darf. Als Menschenrecht ist Inklusion unmittelbar verknüpft mit den Ansprüchen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität“. (Deutsches Institut für Menschenrechte 2016) Inklusion wird hier also in Verbindung gebracht mit Freiheit und Gleichheit sowie Solidarität. Damit eng verbunden ist auch die Forderung nach Selbstbestimmung und Autonomie, denn die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist nur möglich, wenn diese selbstbestimmt und frei entscheiden können. (vgl. Bielefeldt 2017: 71) Inklusion im Verständnis der UN-BRK geht aber noch weiter und impliziert ein vollkommen anderes Gesellschaftskonzept. Nicht die individuelle Dimension wird in den Blick genommen wird, sondern die Strukturen und Normen rücken ins Zentrum, die Hürden darstellen und Ausschluss bedingen und dementsprechend verändert werden müssen, um die Achtung und Anerkennung von jedweden individuellen Lebensentwürfen zu gewährleisten.
Bielefeldt (2017) drückt dies bildhaft auf den Punkt gebracht folgendermaßen aus: „Statt lediglich ein paar Türen zu öffnen gilt es, Wände zu verstellen und manche Mauern einzureißen“ (ebd.: 61). Nicht Anpassung von behinderten Menschen an die nicht-behinderten Normen oder an die nicht-behinderte Mehrheitsgesellschaft sind der Schlüssel, sondern die Überwindung behindernder Strukturen stehen im Vordergrund. Dies bleibt natürlich auf den ersten Blick eher unkonkret und vage, weil für jede Einzelfallproblematik andere Voraussetzungen zur Veränderung von Strukturen notwendig sind. Inklusion ist insofern weniger als Ziel, denn als Prozess zu begreifen. Dies unterscheidet sie aber gleichzeitig auch vom Begriff Integration, der von den Noch-nicht-Integrierten eine zumeist große Anpassungsleistung an bestehende Systeme erfordert und einen einseitigen Prozess darstellt. (vgl. zur Definition des Begriffs Duden-Wörterbuch o.A.)
In der Behindertenrechtskonvention zieht sich Inklusion als Begriff und Leitprinzip wörtlich in der englischsprachigen Fassung durch, wiewohl sich keine konkrete Definition des Begriffs Inklusion findet. Bezeichnend ist, dass die erste deutsche Übersetzung des englischsprachigen Dokuments das englische Inclusion erst recht wieder mit dem Begriff Integration übersetzte. Erst auf Betreiben und nach vehementer Kritik seitens des Behindertenrechtskomitees und von Behindertenvertreter_innen wurde 2016 eine zweite deutschsprachige Übersetzung angefertigt, die nun auch in der deutschsprachigen Version für Österreich den Begriff Inklusion verwendet.
Wie vorhergehend bereits dargestellt, ist Inklusion als ein Prozess zu verstehen. Um Inklusion tatsächlich verwirklichen zu können, müssen jedoch weitere Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sein. Selbstbestimmung und Entscheidungsfähigkeit sind dabei wesentliche Elemente für die tatsächliche Verwirklichung von Inklusion. Eng verbunden ist aber auch die in Artikel 9 der UN-BRK verankerte Barrierefreiheit.
2.3 Der Begriff Barrierefreiheit im Kontext der Konvention
Um Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben und die volle Teilhabe an allen Lebensbereichen zu ermöglichen (UN-BRK, Art. 9, 1. Satz), sind entsprechende Maßnahmen in folgenden Bereichen zu treffen: physische Umwelt, Beförderung, Information und Kommunikation sowie Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für diese bereitgestellt werden. (vgl. Bethke et al. 2015: 170ff) Ebenso wie beim Begriff Inklusion findet sich also auch im Zusammenhang mit dem Begriff Barrierefreiheit keine konkrete und abschließende Definition in der Behindertenrechtskonvention, sondern wird ein Konzept umschrieben, durch welches äußere Hürden in den jeweiligen Bereichen abgebaut werden sollen und sohin für Menschen mit Behinderung Zugang geschaffen wird. Die Vertragsstaaten sind demnach allgemein verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Umsetzung von Barrierefreiheit zu ergreifen. In welcher Form dies geschieht, bleibt grundsätzlich ihnen überlassen, allerdings konkretisiert Artikel 9 bestimmte Maßnahmen, die sich auf alle Bereiche übertragen lassen: Art. 9 Abs. 2 sieht u.a. vor, dass geeignete Maßnahmen zu treffen sind, damit Mindeststandards und Leitlinien für Barrierefreiheit von Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offenstehen, ausgearbeitet und umgesetzt sowie entsprechend überwacht werden. (UN-BRK, Art. 9, Abs. 2) Dies gilt auch für private Rechtsträger wie z.B. Bildungseinrichtungen mit privatrechtlichem Charakter. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass die Staaten dafür Sorge zu tragen haben, dass entsprechende Sensibilisierungen und Schulungen im Zusammenhang mit Barrierefreiheit gewährleistet sind. (vgl. Bethke et al. 2015: 173)
Das Prinzip der Barrierefreiheit ist sehr weit gefasst und meint nicht ausschließlich die in der breiten Öffentlichkeit am ehesten thematisierte bauliche Barrierefreiheit. Diese betrifft vor allem Hürden für mobilitätseingeschränkte Personen, also beispielsweise die mangelnde Zugänglichkeit von Gebäuden, die nicht rollstuhlgerecht sind. Nach der Konvention sind allerdings eben nicht nur diese Barrieren erfasst, sondern auch alle anderen Arten von umweltbedingten Barrieren (rechtliche, finanzielle, soziale usw.), die den Zugang erschweren oder verunmöglichen. Für gehörlose Menschen oder Menschen mit Schwerhörigkeit ist beispielsweise vor allem akustische Barrierefreiheit von Belang. (Näheres dazu im nachfolgenden Kapitel) Wesentlich in Zusammenhang mit Artikel 9 ist, dass eine Umsetzung von Barrierefreiheit vor allem den Staat und seine für ihn agierenden Träger im weitesten Sinn betrifft. Wie schwierig und komplex sich diese Vorgabe jedoch darstellt, zeigt schon der Umstand, wie lange in Österreich mittlerweile allein der Prozess andauert, alle öffentlichen Gebäude tatsächlich barrierefrei zu gestalten.
Die Verwirklichung von Barrierefreiheit obliegt primär den Staaten, Menschen mit Behinderung können grundsätzlich nicht unmittelbar darauf Bezug nehmen. Allerdings stehen mit der in Artikel 9 verbrieften Barrierefreiheit zwei andere wesentliche Aspekte der Behindertenrechtskonvention in engem Konnex. Diese finden sich in Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) der Konvention. Neben den konkreten Definitionen von Kommunikation und Sprache enthält dieser Artikel auch eine konkrete Beschreibung, was unter Diskriminierung im Sinne der UN-BRK zu verstehen ist:
„Diskriminierung aufgrund von Behinderung ist jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen.“ (UN-BRK, Art. 2, Herv. NE)
Die „Versagung angemessener Vorkehrungen“ ist in Zusammenhang mit Barrierefreiheit von Bedeutung, weil demnach die Nicht-Beseitigung von Barrieren eine Diskriminierung von Personen mit Behinderung darstellen kann und in diesem Fall Menschen mit Behinderung individuell betroffen sind. (vgl. Welti 2013: 27) „Angemessene Vorkehrungen“ wird folgender Maßen definiert:
„[N]otwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können.“ (UN-BRK, Art. 2, 4. Satz)
Dieser Definition zufolge besteht die Verpflichtung, Barrieren – in welcher Form auch immer – so weit zu beseitigen und abzubauen, als es für Träger und Einrichtungen nicht zu unverhältnismäßigem Mehraufwand kommt.
Wie anhand dieser Ausführungen erkennbar ist, sind Inklusion und Barrierefreiheit nicht nur zwei Begriffe bzw. Konzepte, die in unmittelbarem Zusammenhang zueinanderstehen, sondern nach der Behindertenrechtskonvention auch tatsächlich zentral zu berücksichtigen und zu verwirklichen sind. Die praktischen Implikationen ergeben sich aber natürlich meistens anhand konkreter Beispiele und werfen erst dort konkrete Problem- und Fragestellungen auf, für die Lösungen und Konzepte erarbeitet werden müssen. Eines dieser konkreten Praxisbeispiele mit allen zusammenhängenden Frage- und Problemstellungen sowie entsprechenden Lösungsansätzen soll im folgenden Kapitel näher dargestellt werden.
3. Praktische Implikationen zu Inklusion und Barrierefreiheit in der Lehre aus der Perspektive einer hörbeeinträchtigen Lehrenden
Nach den rechtlichen und theoretischen Ausführungen hinsichtlich Inklusion und Barrierefreiheit im bisherigen Beitrag erfolgt in diesem Kapitel meine persönliche Auseinandersetzung, die die unmittelbaren und konkreten Problematiken einer Behinderung im praktischen Alltag im wissenschaftlichen Lehrbetrieb veranschaulichen soll.
Als Lehrende mit einer mittel- bis hochgradigen beidseitigen Hörbeeinträchtigung im Masterstudiengang Soziale Arbeit an der FH St. Pölten ergeben sich für mich im Lehrbetrieb Hürden, die sich so wahrscheinlich für Lehrende ohne Hörminderung nicht stellen. Eine Hörbeeinträchtigung erschwert und verändert zuerst einmal unmittelbar die Kommunikation mit anderen. In Lehrveranstaltungen betrifft dies die Kommunikation zwischen der Lehrenden und den Studierenden. Gerade dann, wenn es sich didaktisch nicht ausschließlich um Frontalunterricht handelt, sondern Austausch und Diskussion im Vordergrund stehen, bedeutet dies für eine hörbeeinträchtigte Person eine äußerst unstrukturierte Art des gemeinsamen Kommunizierens. Für eine Lehrende mit Hörbeeinträchtigung ist allerdings jede Form unstrukturierter, assoziativer Kommunikation nur schwer akustisch nachvollziehbar. Im Unterrichtssetting hat dies zur Folge, dass Diskussionsverläufen nicht ständig akustisch gefolgt werden kann.
Für Menschen mit Hörbeeinträchtigung ist aber nicht nur die Art der Kommunikation entscheidend, sondern auch die Größe der Gruppe an Menschen, die miteinander kommunizieren. In Lehrveranstaltungen, in denen eine größere Gruppe zusammenkommt und über 30 Personen im Raum anwesend sind, wie in den Lehrveranstaltungen von mir, kommt eine Lehrende mit Hörbeeinträchtigung unter Druck. Dies steht auch mit den räumlichen Gegebenheiten in Zusammenhang, denn eine größere Gruppe benötigt auch einen größeren Unterrichtsraum. Je größer allerdings die Raummaße sind, desto weniger lässt sich eine Hörbeeinträchtigung überbrücken. Das bedeutet im Konkreten beispielsweise, dass Fragen seitens der Studierenden in den letzten Sitzreihen akustisch nicht mehr verstanden werden können und dementsprechend auch nicht adäquat auf sie eingegangen werden kann. Bauliche Gegebenheiten sind generell ein entscheidendes Kriterium für die Kommunikation: Ob ein Raum hallt oder nicht, hat unmittelbare Konsequenzen auf die Verstehbarkeit für eine hörbeeinträchtige Person. Auch die Lichtverhältnisse in Unterrichtsräumen stellen ein nicht unwesentliches Kriterium für bessere Verstehbarkeit von hörbeeinträchtigen Personen dar, denn da der akustische Sinneskanal nicht gut funktioniert, wird der visuelle Sinneskanal von größerer Bedeutung. Je mehr man als hörbeeinträchtigte Person die Körpersprache und Mimik sowie Mundbewegungen der Studierenden mit in die gesamte Kommunikation einbeziehen kann, umso eher können die formulierten Inhalte auch verstanden werden. All dies erfordert jedoch verschiedenste Unterstützungsformen. Hier beginnt der gelebte Prozess der Inklusion.
Zum einen ist natürlich die organisatorische Ebene gefragt. Ohne gemeinsames Gespräch und gemeinsame Überlegungen mit der Leitungsebene darüber, wie eine größere Barrierefreiheit in Lehrveranstaltungen verwirklicht werden kann, kann ein Veränderungsprozess nicht in Gang kommen. Daneben ist natürlich auch die Studierendenebene von Bedeutung. Diese sind in den Lehrveranstaltungen unmittelbar mit der Hörbeeinträchtigung der Lehrenden konfrontiert. Um Kommunikationsprobleme und Missverständnisse zu minimieren, ist ein Höchstmaß an Transparenz erforderlich. Die Studierenden müssen also über die Art der Behinderung in Kenntnis gesetzt werden, um bei ihnen Verständnis zu erzeugen und Unsicherheit abzubauen. Darüber hinaus bedingt die behinderungsspezifische Vulnerabilität, dass sich das Verhältnis Lehrende-Studierende ein Stück weit ändert, denn ich bin nicht unerheblich auf konkrete Unterstützung, Verständnis und Solidarität seitens der Studierenden angewiesen. Der direkte Einbezug von Studierenden ist also nahezu unerlässlich und versetzt Studierenden in eine andere Rolle.
Konkret wurde in den Lehrveranstaltungen der letzten beiden Semester der Versuch unternommen, Studierende bzw. Jahrgangsvertreter_innen unmittelbar vor Ort in der Lehrveranstaltung als Assistenz hinsichtlich der Strukturierung und Moderation von Diskussionen und Kommunikationsverläufen zu beteiligen und diese Funktionen auch von Beginn an auszuweisen. Wie die Rückmeldungen der Studierenden zeigen, fand dies insofern Anklang, als dadurch auch automatisch ein Lernprozess stattfindet und soziale Kompetenzen trainiert und erweitert werden können.3 Studierende meldeten am Ende der Lehrveranstaltung oftmals zurück, dass sie nun nicht nur anders auf Kommunikationsabläufe achten würden, sondern auch ihr Verständnis und ihre Sensibilität hinsichtlich einer Hörbehinderung weiterentwickeln konnten und überdies anschaulicher wurde, wie eine helfende Beziehung gestaltet werden kann. Dieser Aspekt wurde gerade von jenen Studierenden formuliert, die sozialarbeiterische Quereinsteiger_innen waren und einen anderen professionellen Hintergrund mitbrachten. Aus meiner Perspektive bedeutet die studentische Unterstützung eine große Entlastung und der transparente Umgang in der Lehrveranstaltung einen freieren und unbelasteteren Raum für Austausch.
Eine weitere entscheidende Komponente im Zusammenhang mit Behinderungen im Allgemeinen und mit einer Hörbeeinträchtigung im Besonderen ist die technische. Selten kommt man als Person mit Hörbeeinträchtigung ohne zusätzliche technische Assistenz aus. Im konkreten Fall ging und geht es darum, wie in Lehrveranstaltungen der Kommunikationsfluss unter den Studierenden und vor allem mit mir als Lehrender technisch zusätzlich unterstützt, sprich, vor allem so weit wie möglich visualisiert dargestellt werden kann.4 An dieser Stelle sei erwähnt, dass Schriftdolmetsch mittlerweile eines der hilfreichsten unterstützenden Kommunikationstools für hörbeeinträchtigte Personen ist, allerdings kostenintensiv ist und in den hier vorgestellten Lehrveranstaltungen nicht eingebaut werden konnte. (vgl. trans.SCRIPT Austria o.A.)
4. Exkurs: Barrierefreiheit und Inklusion mithilfe technischer Unterstützungstools im wissenschaftlichen Lehrbetrieb5
Digitale Medien können sich insbesondere bei der Gestaltung des Lehrbetriebs als inklusionsförderlich erweisen – vorausgesetzt ihre Verwendung gestaltet sich möglichst leichtgängig. Davis (1989) konnte bereits vor etwa 30 Jahren aufzeigen, dass ein erfolgreicher Einsatz von digitalen Technologien von der subjektiv wahrgenommenen Einfachheit und Nützlichkeit technischer Hilfsmittel abhängt. Seiner Ansicht nach handelt es sich dabei um die zentralen Prädikatoren für die Akzeptanz von Technologien. Daher laufen technisch komplizierte und insbesondere für Nutzer_innen anspruchsvolle Lösungen Gefahr, nicht im Regellehrbetrieb eingesetzt zu werden. Nicht zuletzt stellt dabei die Organisation von zusätzlichem technisch geschulten Personal ökonomische Zusatzaufwendungen dar. Somit bleibt jenen Assistenztechnologien die verbreitete Nutzung vielfach verwehrt.
Dem Gedanken der Einfachheit und Nützlichkeit folgend zeigen nachfolgende Beispiele, wie durch kostengünstige und einfach handhabbare Anwendungen Lehrveranstaltungen hinsichtlich der Barrierefreiheit optimiert und Inklusion vorangetrieben werden können, wenngleich nicht alle der hier vorgestellten Varianten auch bisher tatsächlich Eingang in die Lehrveranstaltungen der hörbeeinträchtigten Lehrenden fanden.
4.1 Slido – Sammlung und Echtzeit-Visualisierung von Fragen/Kommentaren/Umfragen
Als sogenanntes Audience Interaction Tool bietet Slido die Möglichkeit, Fragen, die im Rahmen einer Konferenz bzw. eines Vortrages auftreten, mittels Smartphone oder Notebook zu stellen und auf einer Weboberfläche zu sammeln. Dies ermöglicht die Integration eines interaktiven Teils von Vorträgen in die didaktische Planung und reduziert Frageredundanzen, systematisiert Unterbrechungen und vermindert Schweigen am Ende von Vorträgen. Von Seiten der_s Vortragenden können auch Umfragen an Zuhörer_innen gestellt und so in Echtzeit die Abstimmung mitverfolgt werden. Voraussetzungen für Slido ist auf Seiten des/der Vortragenden ein kostenloser Account und ein multimedial ausgestatteter Raum. Die Nutzer_innen erhalten einen 4-stelligen Code, mit dem sie sich ohne Registrierung einloggen.
Slido kam als unterstützendes Kommunikationstool in mehreren Lehrveranstaltungen von Nina Eckstein zum Einsatz. Auf der Suche nach geeigneten Unterstützungstools zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Lehrender und Studierenden bot sich dieses Instrument besonders an. Mit Slido wird insbesondere bei unstrukturierten Diskussionen sowie Fragen seitens der Studierenden die Möglichkeit gewährleistet, dies live zu visualisieren und zu strukturieren. Studierende können Fragen stellen oder Kommentare abgeben, die dann in Echtzeit auf der jeweiligen Projektionsfläche sichtbar werden. Außerdem lassen sich über Slido Umfragen gestalten, deren Visualisierung ebenfalls in Echtzeit verläuft. Das Tool ermöglicht, dass Fragen seitens der Lehrenden allen Studierenden gleichzeitig gestellt werden und umgehend zurückgepostet und mitgelesen werden kann.
Diese visualisierte Möglichkeit von Diskussionsbeiträgen und Fragen weist ein enormes Unterstützungspotential im Lehrveranstaltungsablauf in Hinblick auf Kommunikationsprobleme aufgrund einer Hörminderung auf. Insbesondere die subjektiv empfundene vereinfachte Möglichkeit, den Diskussionen aufgrund der zusätzlich in Echtzeit visualisierten Diskussion zu folgen, galt als zentraler Faktor der Vereinfachung. Positiv rückgemeldet wurde auch die kostenlose und registrierungsfreie Möglichkeit der Nutzung bei den Studierenden. Außerdem zeigte sich, dass durch Slido auch wertschätzendes Feedback an die Vortragende visualisiert wurde, welches für die Fortdauer der Lehrveranstaltung für ein angenehmes Lehr- und Lernklima sorgte.
4.2 Padlet.com – Zum Einsatz virtueller Whiteboards
In einem anderen Kontext wurde gemeinsam mit Teilnehmer_innen aus der Sozialen Arbeit zum Thema Digitalisierung gearbeitet. Diese waren sowohl am Veranstaltungsort präsent, als auch per Videokonferenz zugeschaltet. Die gegenseitige Vorstellung wurde im Vorfeld über Padlet realisiert, somit konnte am Lehrveranstaltungstag direkt mit einer Vertiefungsrunde begonnen werden. Padlet, als ein Vertreter von digitalen Whiteboards, stellt eine Art digitale Pinnwand dar. Auf so etwas wie Notizzetteln können neben einfachem Text auch Medien (Bild, Ton, Video, Links) eingebunden werden. Darüber hinaus ist es möglich, visuelle Verknüpfungen zwischen den einzelnen Fragmenten herzustellen. Während der Lehrveranstaltung wurden verschiedene Padlets zu Themenbereichen gefüllt und diese teils live in Ihrer Erstellung über die Projektoren visualisiert.
Auch Padlet ist ein nützliches technisches Tool, das einerseits zur Vertiefung der Kontakte unter den Studierenden, aber auch zwischen Studierenden und Lehrenden führt. Andererseits entfaltet es eine inkludierende Wirkung, da es auch für Lehrende möglich ist, auf die Inhalte von Padlet zuzugreifen und dort Informationen von und über Studierende vorab nachzulesen. Gerade im Zusammenhang mit einer Hörbeeinträchtigung sind alle vorab vorhandenen und nachlesbaren Informationen von umso größerer Bedeutung, weil auf Basis dieser Vorinformationen Inhalte und Inputs der Studierenden in der Lehrveranstaltung adäquater und besser nachvollzogen werden können, Informationen bereits in einen Kontext eingebettet sind und damit auch akustisch leichter eingeordnet und verarbeitet werden können.
Darüber hinaus werden Whiteboards auch in einer zunehmend von Digitalisierung durchdrungenen Lehre weiterhin eine Rolle spielen. Insbesondere in der Online-Variante können sie vielseitig eingesetzt werden. Padlet bietet die Möglichkeit, ein frei gestaltbares und skalierbares Whiteboard zu entwickeln, um somit von der Selbstvorstellung bis zum Ideenbrainstorming als Projektionsfläche zu dienen
4.3 Video Konferenz-Lösungen
Video Konferenz-Lösungen stellen gerade für hörbeeinträchtigte Personen immer eine optimale Lösung dar, da das Sichtbarmachen der Kommunikationspartner_innen von entscheidender Bedeutung ist. Inhalte werden nämlich besonders stark auch über Lippenlesen, Gestik und Mimik nachvollzogen. Diese Praktiken stellen damit eine essentielle Voraussetzung für nachvollziehbare Kommunikation dar. Erfahrungsgemäß gestalten sich Video-Konferenz-Lösungen gerade in der Lehre derzeit allerdings noch vielfach fehlerbehaftet und sind nicht immer praktikabel. Die Beseitigung von möglichen Störquellen sowie der Umgang mit Verzögerung (Bild- und Ton) führen zumeist zu großer Frustration. Vielfach unbekannt ist bei Nutzer_innen der Aspekt, dass am eigenen Gerät geöffnete Anwendungen einen erheblichen Teil dieser Probleme zumindest mitbewirken. Von Vorteil erweist sich auch die Verwendung eines Headsets und einer externen Kamera. Abschließend spielt jedenfalls die verfügbare Internetbandbreite aller teilnehmender Gesprächspartner_innen eine ausschlaggebende Rolle für eine störungsfreie Übertragung.
Die einer analogen Telefontechnologie nachempfundene Anwendung Skype bietet teilweise erhebliche Nachteile für eine produktive Zusammenarbeit. Diese reichen von mangelnder Auffindbarkeit von Kontaktpartner_innen, über Plattformabhängigkeit und damit auch Installationszwang bis zu einer Vielzahl von Problemen mit Bild- und Tonübertragung. Die Suche und Behebung von Fehlern werden oft schnell aufgegeben. Durch die vielfach daraus folgende Rückkehr zu Präsenztreffen wird allerdings Gefahr gelaufen, dass geographisch entfernten Personen die Teilnahme erschwert wird.
Alternativ zur weit verbreiteten Videokonferenzplattform Skype kann die rein browserbasierte, Open-Source-Anwendung jitsi verwendet werden. Teilnehmer_innen erhalten einen Einladungslink und wählen sich so plattformunabhängig in die laufende Konferenz ein. Weiters wurden in jitsi Funktionen wie ein virtuelles Hand-Heben, Sprechstatistiken und künftig auch die Einbindung von Telefonpartner_innen integriert. Abschließend muss noch unterstrichen werden, dass insbesondere die Rolle der Moderation während Videokonferenzen ein wichtiges Bindeglied zwischen on- und offline Teilnehmer_innen darstellt.
5. Fazit
Inklusion und Barrierefreiheit, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht, sind keine abstrakten Begriffe oder Konzepte, sondern Rechte, die allerdings erst durch entsprechende Konkretisierungen und durch gelebte Prozesse zur Geltung kommen. Dies ist selbstverständlich nicht immer einfach und bedarf immer einer Einzelfallbetrachtung und -lösung.
Gerade im wissenschaftlichen Lehrbetrieb wird das Thema Behinderung vorrangig im Hinblick auf Studierende thematisiert, die Sphäre der Lehrenden ist auch in Publikationen bislang wenig präsent. Sinnesbehinderungen, wie im Beitrag im Zusammenhang mit einer Hörbeeinträchtigung konkret veranschaulicht, erschweren in der Regel vor allem die zwischenmenschliche Kommunikation. Das ist besonders in Seminarsettings ein Hindernis, weil gerade dort Lernprozesse durch gemeinsamen Austausch im Vordergrund stehen. Um Lehrveranstaltungen inklusiv zu gestalten und Barrieren abzubauen (für Lehrende mit einer Hörbeeinträchtigung), bedarf es neben anderen Faktoren auch zusätzlicher Unterstützung durch technische und digitale Tools.
Lehre befindet sich durch die zunehmende Digitalisierung generell in einem weniger inhaltlichen, sondern vielmehr methodischen Wandel. Insbesondere Konzepte wie Inverted Classroom sind der Versuch, den Lehr- und Lernprozess breiter aufzustellen und klassische Wissensvermittlung in Form von Vorlesungen und Seminaren aufzuweichen (Bucher/Freisleben-Teutscher/Haag/Rauscher 2018). Dies kann durchaus auch mit inklusiven Lehrkonzepten korrelieren und dienlich sein, um Barrierefreiheit zu fördern.6
Wie im Beitrag dargestellt, bestehen mittlerweile etliche technische Angebote, die gerade in Hinblick auf inklusive Lehre von Bedeutung sein können. Als bislang am besten bewährt hat sich in der Lehrveranstaltung die Livesammlung Slido, weil mit diesem technischen Tool mündliche Kommunikation im Hörsaal lesbar gemacht werden kann und damit für eine hörbeeinträchtigte Lehrende besser nachvollziehbar wird. Die anderen vorgestellten technischen Zusatzunterstützungen in diesem Beitrag kamen zum Teil noch nicht im Rahmen von Lehrveranstaltungen zum Einsatz, könnten aber durchaus weiteres Potential zur Verwirklichung von Barrierefreiheit und Inklusion darstellen.
Hinsichtlich der grundsätzlichen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Allgemeinen sowie bezüglich der Verwirklichung von Inklusion und Barrierefreiheit im Speziellen ist in Österreich noch viel zu tun. Eine wesentliche Erkenntnis dabei ist, dass Inklusion und Barrierefreiheit im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention nur gelingen können, wenn gerade im beruflichen Kontext Sensibilisierung und Wertschätzung gegenüber Mitarbeiter_innen mit Behinderung existieren, entsprechende Strukturen und Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden und Inklusion als ein beidseitiger Prozess verstanden wird. Vielfalt und Heterogenität gerade im wissenschaftlichen Lehrbetrieb sind unabdingbare Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnisse und Qualität. Dazu gehören auch die Erfahrungen und Sichtweisen von Lehrenden mit Behinderung. Inklusion umfasst zum einen die Person mit Behinderung und zum anderen jene Strukturen und Rahmenbedingungen, z.B. im Lehrbetrieb, die behindernd wirken.
Verweise
1 Aus Österreich gibt es seit Ratifikation der Konvention zwei Individualbeschwerden an das Komitee. Die Beschwerde eines sehbehinderten Mannes wurde 2014 positiv vom Komitee erledigt und Österreich aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zu setzen. Eine weitere Beschwerde eines Rollstuhlfahrers ist derzeit anhängig. (vgl. zu den Details die Homepage des Klagsverbands)
2 Aus Platzgründen kann in diesem Beitrag nicht näher auf die breite Palette an wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Inklusion und Exklusion eingegangen werden.
3 An dieser Stelle ist einerseits den Studierenden der MSO-Jahrgänge 2016 und 2017 ganz besonderer Dank für ihr Verständnis und die Bereitschaft zur Unterstützung auszusprechen. Andererseits ist mit Bedauern anzumerken, dass aufgrund der knappen zeitlichen Ressourcen leider nun nicht die unmittelbaren Eindrücke und Rückmeldungen der studentischen Unterstützer_innen mit einfließen konnten.
4 Ich möchte Florian Zahorka meinen herzlichen Dank aussprechen, der mich in den letzten Semestern technisch unterstützt und mir sein Wissen zur Verfügung gestellt hat.
5 Vorliegendes Kapitel wurde von Florian Zahorka verfasst.
6 Zum Thema Inverted Classroom fand am 20. & 21.02.2018 die gleichnamige Konferenz an der Fachhochschule St. Pölten statt. (vgl. Bucher et al. 2018)
Literatur
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Zamarin, Gregor (2016): PädagogInnen mit Behinderungen. Teilhabe im österreichischen Bildungssystem? Behindertenpolitisches Grundlagenpapier und Abschlussbericht 2013–2016 im Auftrag des Sozialministeriumsservice, durchgeführt von WienWork im Rahmen des Projekts „bundessache“.
Weiterführende Links
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Über die AutorInnen
Mag.a Nina Eckstein, MA
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Florian Zahorka, BA MA
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