soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 20 (2018) / Rubrik "Rezensionen" / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/585/1066.pdf


Lütjen, Jutta (Hg.) (2018): Aufklärung im Licht der Pädagogik – Möglichkeitsräume durch genuine Perspektiven. Zur Kritik des Reduktionismus in Bildung und Erziehung. Eine Festschrift anlässlich der Emeritierung von Peter Rödler. Gießen: Psychosozial-Verlag.


269 Seiten / 33,90 EUR

Bei der besprochenen Publikation handelt es sich um eine Festschrift anlässlich der Emeritierung von Peter Rödler, einem Erziehungswissenschaftler, der als Professor für Allgemeine Sonderpädagogik an der Universität Koblenz-Landau tätig war. Er war Mitglied des EU-Sokrates-Projektes INTEGER zur Erarbeitung eines Hochschulcurriculums für Inclusive Education, des EU-Sokrates-Projektes ODL: inclusive zur Erarbeitung eines Selbst- und Fernstudienmoduls zu den Grundlagen von Inclusive Education und Schriftleiter der Fachzeitschrift Behindertenpädagogik.

Die Festschriftbeginnt mit Zitaten, die dem geehrten emeritierten Professor Rödel zugeschrieben werden. Vermutlich muss man ihn kennen, um den Zusammenhang mit dem Begriff „Aufklärung“ herstellen zu können, der im Titel der Festschrift verwendet wird. Auch der zweite Beitrag von Winfried Rösler mutete wie ein wildes Sammelsurium von Zitaten, Gedanken etc. an – so bunt wie es in einer Festschrift eben zugehen kann. Aber dann… stoßen wir auf Georg Feuser und seine Auseinandersetzung mit dem Begriff Inklusion. Ja: „Inklusion ist der Kern einer humanen und demokratischen Pädagogik“! (Lüdjen 2018: 37) Aber die Realität ist nach Feuser „Inklusionismus“, was er als Integration der Inklusion in Segregation beschreibt. Sein Artikel rüttelt an allen halbherzigen Praxen der Sozialen Arbeit und kritisiert das schulische Funktionsmodell der Nutzbarmachung von Humanressourcen, das auf Selektion und nicht Inklusion ausgerichtet ist. Schon allein dieser Artikel ist es Wert, das Buch in die Hand zu nehmen. Feuser geht in weiterer Folge auf die Bedeutung der UN-BRK ein, sieht den Bedarf einer revolutionären Transformation des Bildungssystems, um zu Bildungsgerechtigkeit zu gelangen.

Winfried Gebhardt fürchtet, dass aktuelle Karriereleitbilder nur mehr von Rationalität und Effizienz dominiert sind und dem Menschentyp des „Machers“ beste Chancen einräumen. Geben wir uns wirklich damit zufrieden uns von gut ausgebildeten Machern führen zu lassen, so Gebhardt, werden wir in Zukunft verwaltet, aber die Zukunft wird nicht verantwortungsvoll gestaltet. Genial setzt Nicole Hoffmann im folgenden Beitrag anstelle von Josef K. (aus Franz Kafkas Der Prozess) Alma M. (für Alma Mater) und unterzieht den Bologna-Prozess einer kritischen Analyse. Unter Heranziehung weiterer Autor*innen zieht sie den Schluss, dass nicht alles rund und verständlich läuft bei Bologna, es sich aber lohnt, nach den Potentialen zu suchen und sie zu nützen.

Silke Doherr und Klaus Finke sehen Inklusion als soziale Leitidee, die für alle Menschen gilt. Für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist der Auftrag an professionelle Helfer*innen, die Bedürfnisartikulation der Betroffenen zu unterstützen und Selbstbestimmung und individuelle Teilhabe zu begleiten. Wie erfolgreich die Begleitung auch jener Menschen ist, die sich sprachlich und auch sonst schwer ausdrücken können, hängt von der Haltung der Helfer*innen ab, stellt Andrea Alfaré im folgenden Beitrag fest. Zum Thema Sprache eröffnet Andreas Möckel nicht-alltägliche Einsichten. Sprache aus einem ganz anderen Blickwinkel spielt auch im Artikel von Wiebke Lohfeld über jüdische Flüchtlinge in Singapur eine Rolle.

Silka Allmann gibt uns einen Einblick in das Kameradschaftsgericht im von Janusz Koczak geführten Heim, in dem Kinder als Aufklärer agieren. Otto Speck plädiert für eine neue Balance von Herz und Kopf, Gefühl und Vernunft und bereitet diese These unter Zuhilfenahme zahlreicher Philosophen auf. Im Artikel von Norbert Neumann, der sich mit Geld auseinandersetzt, scheint ein Vergleich der Methoden der Sozialarbeit mit Methoden, Menschen das Sparen beizubringen, doch etwas weit hergeholt.

Soweit einige Highlights aus einer vielfältigen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten von Menschen, mündig und eigenständig zu denken, zu entscheiden und zu leben. Der abschließende Beitrag der Herausgeberin Jutta Lütjen gibt uns Kostproben von Rödlers Werken und Überlegungen, stellt uns Pioniere der Aufklärung vor und teilt im Epilog Gruppenergebnisse von Studierenden zum Dialogischen Lernmodell. Zusammengefasst sagt Lütjen zur Umsetzung dieses Lernmodells: „Solch ein generiertes eigenes Wissen wirkt objektivierenden Verdinglichungs- und Entfremdungsprozessen entgegen“ und führt „zur Persönlichkeitsbildung und zur Ausbildung von Menschen, die urteilsfähig sind im Sinne der von Sokrates, Kant, Mendelssohn, Schiller, Humboldt, Freire etc. erklärten Mündigkeit.“ (Lütjen 2018: 258/259) So umgesetzt bräuchten wir uns keine Sorge um die Zukunft machen.

Insgesamt kann zu dieser Festschrift gesagt werden, dass sie nicht immer einfach zu lesen ist und nicht aus allem konnte ich mir etwas mitnehmen – aber das Denken soll ja herausgefordert werden.



Monika Vyslouzil / monika.vyslouzil@fhstp.ac.at