soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 21 (2019) / Rubrik "Rezensionen" / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/607/1119.pdf


Leuzinger-Bohleber, Marianne/Hettich, Nora (2018): „Fremd bin ich eingezogen…“. STEP-BY-STEP: Ein Pilotprojekt zur Unterstützung von Geflüchteten in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Gießen: Psychosozial-Verlag.


209 Seiten / EUR 24,90


Entstanden ist das Buch als Dokumentation von einem Pilotprojekt in Darmstadt. Als 2015 viele geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen, wurde eine der Autorinnen beauftragt ein Konzept zur Versorgung von traumatisierten Geflüchteten zu entwerfen. Das psychoanalytisch ausgerichtete Projekt wurde in Folge für 15 Monate finanziert. Eineinhalb Jahre später wurde es wieder geschlossen. Zusätzlich enthält das Buch die vertiefte Auseinandersetzung mit spezifischen Situationen bzw. Personengruppen aus psychoanalytischer Sicht.

Die Lektüre war ungeheuer spannend und gleichzeitig frustrierend, denn all die wohlüberlegten, theoretisch fundierten und erfolgreichen Betreuungs- und Therapieansätze waren schon beim Erscheinen des Buchs nur mehr Theorie, da das Projekt nicht weiter finanziert wurde. Angesichts der politischen Entwicklungen in Europa besteht auch wenig Hoffnung, dass sie wieder bzw. anderswo finanziert werden.

Dennoch ist die Lektüre Menschen – sowohl professionellen wie auch ehrenamtlichen Helfer*innen –, die mit geflüchteten Menschen zu tun haben oder die mit Unverständnis gegenüber geflüchteten Menschen konfrontiert sind, absolut zu empfehlen. Nicht leicht nachvollziehbare Verhaltensweisen von geflüchteten Menschen werden mithilfe psychoanalytischer Deutungen verständlicher und damit der Bearbeitung zugänglicher – zumindest werden sie erklärbarer, was im Kontakt mit den betroffenen geflüchteten Menschen eine positive Basis schaffen kann.

Einleitend werden Daten zu den Migrationsbewegungen nach Europa der jüngsten Vergangenheit zusammengefasst. Neben der größten Fluchtursache, kriegerischen Auseinandersetzungen, wird auch auf Perspektivlosigkeit bei großen sozialen Ungleichheiten, Umweltzerstörung und Klimawandel hingewiesen. Fragen, die einer weltpolitischen Lösung bedürfen. Im ersten Teil des Buches, dem Projektbericht, werden zentrale Begriffe ausführlich erläutert, methodische Ansätze ausgeführt und die Wichtigkeit einer guten Begleitung der Betreuungsteams hervorgehoben. Die fünf konzeptuellen Grundlinien der Einrichtung lauteten wie folgt:

Zur Orientierung in den Strukturen der Einrichtung wurde u.a. mit Piktogrammen gearbeitet, um schnell auch alle informieren zu können, bei denen sprachliche Hürden bestanden. Diese wurden ausgedruckt und konnten von den Bewohner*innen in ihre Zimmer mitgenommen werden. Es wurden Möglichkeiten gesucht, dass die geflüchteten Menschen aktiv etwas zur Gemeinschaft beitragen konnten. Fallgeschichten veranschaulichen die theoretisch beschriebenen psychoanalytischen Therapieansätze und die Wirkungen.

Im zweiten Teil wird in einzelnen Kapiteln auf Sondersituationen eingegangen. Wir lernen über die frühe Mutter-Kind-Beziehung in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Nutzung psychoanalytischen Wissens zur Unterstützung bei den Auswirkung von Migration, Flucht und Trauma bei früher Elternschaft. Ein weiteres Kapitel geht auf die besonderen Herausforderungen für Jugendliche ein, wobei neben der psychoanalytisch orientierten Traumafolgenbearbeitung auch die psychoanalytische Adoleszenztheorie in der Betreuung berücksichtigt wird. Völlig neue Herausforderungen warten auf die geflüchteten Menschen, wenn sie die Einrichtung verlassen. Um sie auch beim Leben „draußen“ zu unterstützen, wurde ein Patenschaftsprogramm ins Leben gerufen. Die Auswahl der Pat*innen und deren professioneller Begleitung unter Einbezug psychoanalytischen Wissens wird ebenfalls vorgestellt.

Das Buch gibt gut nachvollziehbare Konzepte vor, die Grundlage für vergleichbare Angebote sein könnten. Die Finanzierung dafür zu finden, bleibt den Leser*innen überlassen.



Monika Vyslouzil / monika.vyslouzil@fhstp.ac.at