soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 22 (2019) / Rubrik "Junge Wissenschaft" / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/643/1157.pdf
Isabelle Zingg:
1. Einleitung
Die Soziale Arbeit definiert sich als Menschenrechtsprofession mit einem Berufsbild, dessen ethische Ausrichtung sich an den als unveräußerlich geltenden Menschenrechten orientiert. Sie verschreibt sich der Stärkung der Autonomie und der Selbstbestimmung von Menschen (vgl. OBDS 2017). Sozialarbeiter_innen verstehen sich als Begleitung in schwierigen Lebensphasen, wollen unterstützend handeln und Menschen befähigen, in Würde und selbstbestimmt zu leben. Wenn dieser Anspruch in einer ganzheitlichen Interpretation implementiert wird, verwundert es jedoch einigermaßen, dass das Lebensende, die Themen Tod und Trauer nicht angemessen diskutiert werden. Der Tod gehört unabdingbar zum Leben – muss dann zu einem gelungenen Leben nicht auch ein friedvoller und, wenn dies gewünscht wird, begleiteter Tod gezählt werden?
Grundsätzlich stellt sich die Frage nach einer Definition des Begriffs Würde und wie sie im Einzelfall gewahrt werden kann. Durch den Konnex von Leben und Tod kann die Würde im Leben nicht ohne Würde im Sterben gedacht werden. Konsequenterweise bedarf es deshalb auch Überlegungen, wie die Soziale Arbeit das Lebensende eines Menschen begleiten kann und welche persönlichen und beruflichen Fähigkeiten dazu nötig sind. Der Idee eines selbstbestimmten Lebens und Todes in Würde folgend, werden zwei unterschiedliche Arten von Hilfe und Unterstützung am Lebensende vorgestellt: die Palliative Care/Hospizarbeit sowie die (aktive) Sterbehilfe. Schließlich wird diskutiert, welche Fähigkeiten und Kompetenzen während des Studiums erworben und gelehrt werden, die angehende Sozialarbeiter_innen befähigen, Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt und deren Angehörige zu begleiten. Die folgenden Ausführungen basieren auf den Ergebnissen meiner Bachelorarbeit und wurden für den vorliegenden Beitrag überarbeitet und zusammengefasst (vgl. Zingg 2019).
2. Würde und würdevoll Sterben
Die Bezeichnungen Würde des Menschen oder Menschenwürde sind als Schlagwörter weitgehend bekannt. Ihre Bedeutung wird von den Vereinten Nationen in der Präambel der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (Artikel 1) bekräftigt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“. Wenn sich die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession versteht, ist die Würde des Menschen und deren Wahrung ein Bestandteil der täglichen Arbeit. Zu diskutieren ist, ob Würde und Sterben sich gegenseitig ausschließen, oder ob die Begriffe im Sinne eines würdevollen Sterbens vereinbar sind.
Im römischen Sprachgebrauch bezog sich das Wort dignitas (lat. für Würde, Tüchtigkeit, Ehrgefühl) auf die Herkunft einer Person, auf das von ihr ausgeübte Amt und die moralische Integrität des einzelnen Menschen (vgl. Stammkötter 1999: 672). Cicero erweitert den Begriff philosophisch, indem er die Würde von der menschlichen Natur ableitet, also der Sonderstellung des Menschen aufgrund seiner Geisteskraft und der Wesensähnlichkeit mit Gott (vgl. ebd.: 672). August Buck (1990: XVIII) begründet die Würde des Menschen mit seiner gottgegebenen Freiheit, als einziges Wesen sein Schicksal bewusst zu steuern. Und Giovanni Pico della Mirandola (1990: 7) schreibt 1486, Gott habe Adam nicht fertig geformt erschaffen, sondern ihm die Möglichkeit und die Vernunft gegeben, sich selber auszugestalten. Im Wandel der Zeit wurde also die Würde nicht mehr als nur gottgegeben gesehen, sondern durch das zusätzliche Element der Vernunft als eine vom Menschen selbst formbare Eigenschaft.
Ein Beispiel für eine aktuelle Diskussion der Würde ist Peter Bieri (2013: 12f.), der die Würde als Lebensform zeichnet, in welcher drei unterschiedliche Dimensionen zu betrachten sind. Einerseits die Art, wie andere Menschen mich behandeln, also in Abhängigkeit von anderen Personen. Zweitens geht es darum, wie ich agiere und welche Einstellung ich zu meinem Umfeld habe. Hier hängt also meine Würde allein von mir ab, ich bin selber dafür verantwortlich. Die dritte Dimension beinhaltet meine Haltung zu mir selbst, wie ich mich sehe und mit mir umgehe (vgl. Bieri 2013: 13). Durch die Abhängigkeit unserer Würde von uns selber und unserer Umwelt wird deutlich, dass die Menschenwürde ein schützenswertes, zerbrechliches Gut ist. Diesen Schutz können wir nach Bieri (2013: 14f.) unserem Dasein geben, indem wir unser Leben selbstbewusst führen. Unsere Würde hängt also von unserem Selbstbewusstsein und der damit einhergehenden Freiheit ab, Entscheidungen zu treffen. Letztere hat jedoch Grenzen, da unsere vermeintlich freien Entscheidungen immer auch andere Menschen betreffen und sie beschämen, anekeln oder erfreuen und so auch deren Würde tangieren können.
Ist ein Sterben in Würde prinzipiell noch möglich, wenn letztere als Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung sowie Selbständigkeit in Abhängigkeit von anderen Personen gedacht wird? Der Arzt und Chirurg Sherwin B. Nuland (1994: 18) merkt dazu an, dass der Verlust der körperlichen Funktionsfähigkeit die Selbstbestimmung einschränkt und dass eben dies zum Verlust der Würde führt. Im Kampf um das Leben eines Menschen wird der_die Patient_in zu einem zunehmend komplizierten „Fall“ für Ärzt_innen – und damit entmenschlicht und der Würde beraubt (vgl. Nuland 1994: 227). Es gilt also, die Würde eines sterbenden Menschen auch durch Wahrung seines Rechtes auf Selbstbestimmung zu achten und den Betroffenen das Recht zuzusprechen ihr Ende zu gestalten. Dies inkludiert die Pflicht von Medizin, Angehörigen und begleitenden Professionen, einen Menschen seinen Wünschen entsprechend sterben zu lassen. Bieri (2013: 353) erweitert dies um den Verweis, dass die Würde einer_s Sterbenden auch darin liegt, den eigenen Tod zu akzeptieren und sich nicht dagegen zu stemmen. Diese Überlegungen führen wieder zu Bieris Ausgangsthese zurück, dass die Würde des Menschen immer abhängig von der eigenen Einstellung zu sich, zur Umwelt und deren Einstellung zu uns ist (vgl. Bieri 2013: 12f.).
3. Begleitung und Sterbebegleitung
Die Soziale Arbeit versteht sich in ihrer professionellen Haltung laut dem Berufsbild der Sozialen Arbeit des OBDS (2017: 2f.) als Begleitung von Menschen in schwierigen Lebensphasen, mit dem Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Die Begleitung soll Klient_innen durch einen ganzheitlichen Ansatz helfen, „ihren Lebensentwurf gelingend zu verfolgen“ (vgl. ebd.: 3). Bemerkenswert ist das Fehlen einer Erwähnung der letzten Lebensphase und des Sterbens. Es scheint, dass die gesellschaftliche Tendenz, das Sterben abgekoppelt vom Leben zu sehen und den Tod respektive die letzte Lebensphase zu tabuisieren, auch vor der Sozialen Arbeit nicht Halt macht. Wenn zum Leben aber unweigerlich auch der Tod gehört, müsste dann die Lebensbegleitung nicht auch Sterbebegleitung umfassen?
Viele Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt möchten nicht alleingelassen und damit verdrängt und ausgegrenzt werden. Sterbende sind nicht per se eine Randgruppe, werden aber durch die gesellschaftliche Negierung des Themas Tod vom Leben und der Teilhabe daran ausgeschlossen. Dadurch werden sie letztendlich zum Klientel der Sozialen Arbeit (vgl. Homfeldt/Mühlum 2004: 10). Herauszustreichen ist, dass Sozialarbeiter_innen nicht nur in naheliegenden Handlungsfeldern wie der Arbeit mit Suchtkranken oder älteren Menschen mit dem Tod und Sterben konfrontiert werden können, sondern in allen Bereichen.
Um Klient_innen in den schwierigen Zeiten der Trauer und des Sterbens gut verstehen und begleiten zu können, ist es hilfreich sich mit den verschiedenen psychischen Phasen von Trauer- und Sterbeprozessen vertraut zu machen. Diese Prozesse werden in der Literatur unterschiedlich benannt, die Merkmale von Trauer und Sterben ähneln sich aber. Beiden ist gemeinsam, dass am Anfang das Gefühl des Nicht-wahr-haben-Wollens steht. Emotionen wie Wut, Zorn, Trauer und Niedergeschlagenheit brechen auf und es muss Abschied genommen werden. Für die Begleitung von Sterbenden scheint das Modell der Sterbephasen von Elisabeth Kübler-Ross (2001: 62ff.) geeignet, die unterschiedlichen emotionalen Zustände und Verfassungen der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verstehen und entsprechend damit umzugehen.
Die wissenschaftliche Kritik an der Darstellung von Kübler-Ross (konzeptionelle und methodische Schwächen, keine Beweise der Existenz der beschriebenen Phasen, subjektive Interpretation der Verhaltensweisen; vgl. Ochsmann 2008: 218f.) mag berechtigt sein. Trotzdem sind Kenntnisse über die von ihr aufgezeigten Verhaltensweisen von sterbenden Menschen hilfreich für Begleitende, um von Ausbrüchen, depressiven Zuständen oder dem psychischen Rückzug von Patient_innen nicht überrascht zu werden und sich im Voraus ein Handlungsrepertoire aneignen zu können. Die Phasen sind als Modell zu betrachten und treffen keineswegs pauschal auf alle Menschen zu. Es ist nicht die Aufgabe von Begleitenden, sterbende Menschen an die Hand zu nehmen und sie Schritt für Schritt durch diese Stadien zu führen. Vielmehr dient das Erkennen des jeweiligen Abschnittes als Entscheidungshilfe, wie am besten beigestanden werden kann. Begleitung braucht vor allem viel Zeit, aufmerksames Zuhören, Nachspüren sowie ehrliches und direktes Fragen. Nicht zu vergessen ist dabei, dass Angehörige ebenso Unterstützung und Beistand benötigen. Leider fehlt im beruflichen Alltag oft gerade die Zeit, was zur Folge hat, dass Klient_innen sich nicht verstanden oder allein gelassen fühlen.
Die Gespräche während des Berufspraktikums in einem Pensionist_innen-Wohnheim haben mir genau diese Problematik deutlich aufgezeigt. Der Umzug aus der eigenen Wohnung in ein Wohn- oder Pflegeheim stellt einen massiven Einschnitt und eine große Belastung für ältere Menschen und ihre Angehörigen dar. Pensionist_innen lassen ein Stück Autonomie und Vertrautheit zurück und befinden sich in ihrer letzten Lebensphase. Die_der Sozialarbeiter_in wird in dieser Zeit zu einer Stütze und in vielen Fällen zu einer Vertrauensperson. Oft sind die Menschen einsam, brauchen eine_n Gesprächspartner_in und Hilfe in praktischen Belangen (Sortieren der Post, Wegbegleitungen, Informationen zu Patient_innenverfügungen und Testament-/Vorsorgevollmachterstellung, Beratung von Angehörigen). Der Betreuungsschlüssel ist allerdings so gestaltet, dass im Normalfall keine Zeit für ausführliche Gespräche und die nötige Zuwendung vorhanden ist. Hier sind Kolleg_innen in Hospizteams im Vorteil. Sie stehen weniger unter Zeitdruck, was eine ganzheitliche Begleitung und das Knüpfen eines Betreuungsnetzes für die Patient_innen sowie die Angehörigen besser möglich macht. Dabei werden Kontakte zu Ämtern übernommen oder hergestellt und Formulare ausgefüllt und an die entsprechenden Stellen weitergeleitet. So kann die Angst, Formulare falsch/unvollständig auszufüllen und dadurch die Nichtbewilligung von (finanzieller) Unterstützung zu riskieren, genommen werden. Auch die Übernahme des Kontaktes zum Amt für Jugend und Familie, welches von den Betroffenen oft als Gegner betrachtet wird, bedeutet eine große Entlastung des Familiensystems.
In Zeiten großer Krisen dürfen die Angehörigen von unmittelbar Betroffenen nicht außer Acht gelassen werden. Diese befinden sich ebenfalls in einer schwierigen Lebenssituation und brauchen gegebenenfalls mehr Unterstützung als die kranke/sterbende Person. Sie kämpfen mit der Angst vor dem Ungewissen, der fehlenden Erfahrung mit dem Sterben und dem Tod, damit, das Leiden eines geliebten Menschen hilflos erleben zu müssen oder mit Trennungs- und Verlustängsten. Hinzu kommt die hohe Anforderung an sich selber, nicht zu versagen und den eigenen Leidensdruck nicht zu zeigen (vgl. Student et al. 2004: 55ff.). Hilfe für sie kann das Anbieten oder Vermitteln von Selbsthilfegruppen oder Gesprächsrunden mit anderen Angehörigen sein.
Dies zeigt bereits, dass eine gute Begleitung ein Sterben in Würde und Selbstbestimmung einfacher machen kann. Es wird aber auch deutlich, dass der Prozess viele Facetten hat und von Helfenden und Begleitenden eine hohe Bereitschaft verlangt, sich auf andere Menschen und ihre Probleme, Wünsche, Ängste und Sorgen einzulassen, Gefühlsausbrüche wie Zorn, Weinen oder Schweigen auszuhalten und sich nicht abzuwenden, auch wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Des Weiteren sind gute Fachkenntnisse bezüglich der Ansprüche auf finanzielle Unterstützung, Familienrecht und Amtswesen, eine hohe Gesprächsführungskompetenz, die nicht einfach nur beschwichtigt und tröstet, sowie Vermittlungsqualitäten nötig. Der Schlüsselfaktor in der (Sterbe-)Begleitung ist aber, Zeit zur Verfügung zu haben, was in Krankenhäusern, Wohn- und Pflegeheimen durch eng gefasste Betreuungsschlüssel oft nicht der Fall ist.
4. Hilfe zum Sterben – Formen der Sterbehilfe
Selbstbestimmung und damit einhergehend Würde werden uns in unserer letzten Lebensphase oft abgesprochen. Wir dürfen nicht mehr selber entscheiden, wie und wann wir sterben wollen. Sterben ist zudem kein öffentlich diskutiertes Thema. Medien und Werbung aber auch der medizinische Fortschritt gaukeln uns ein langes Leben bei guter Gesundheit und voller Aktivität vor – Gedanken an den Tod rücken in weite Ferne.
Die Aufgabe der Sozialen Arbeit ist einerseits die Förderung der Selbstbestimmung und andererseits das Anstoßen gesellschaftlicher Veränderungen und sozialer Entwicklungen (vgl. OBDS 2017: 2). Somit gehört es auch zu ihren Aufgaben, das Lebensende zu thematisieren und die Diskussion über verschiedene Möglichkeiten zu seiner Gestaltung aufrechtzuhalten. Dabei sind die Palliative Care/Hospizarbeit und die (aktive) Sterbehilfe als vermeintliche Gegenpole herauszustreichen. Die vorhergehend beschriebenen Unterstützungen und Hilfen seitens der Sozialen Arbeit sind in beiden Fällen wichtig – naturgemäß sind sie in der Palliative Care/Hospizarbeit intensiver als bei Inanspruchnahme von Sterbehilfe.
4.1 Palliative Care/Hospiz
Die heutige Palliativmedizin und Hospizarbeit gehen in Europa auf Dame Cicely Saunders (1918–2005) zurück. Die ausgebildete Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin eröffnete im Jahr 1967 das St. Christopher´s Hospice in London, das sich auf bessere Schmerzlinderung und -behandlung für terminal erkrankte Patient_innen spezialisierte (vgl. Cicely Saunders International 2018). Bis heute liegen die Schwerpunkte der Hospizarbeit in der psychosozialen und spirituellen Begleitung, der Trauerbegleitung sowie der Palliativmedizin (vgl. Student et al. 2004: 27). In einem Hospizumfeld ist die Medizin (mit einem Fokus auf Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin) also nur ein Pfeiler der Betreuung. Dafür war ein konzeptionelles Umdenken in der Medizin nötig: weg von einer auf Heilung ausgerichteten kurativen Medizin hin zu einer symptomlindernden Behandlung, welche dann einsetzt, wenn eine Heilung nicht mehr möglich erscheint (vgl. Student et al. 2004: 32).
In der Hospizarbeit sind unterschiedliche Berufsgruppen (Ärzt_innen, Pflegepersonal, Psychotherapeut_innen, Sozialarbeiter_innen) sowie ehrenamtliche Mitarbeiter_innen in interdisziplinären Teams tätig (vgl. Hospiz Österreich 2018a), mit Sozialarbeiter_innen als koordinativen Fachpersonen (vgl. Student et al. 2004: 42). Die Aufgabe besteht darin, ein Betreuungsnetzwerk zu knüpfen, außenstehende Institutionen einzubeziehen und die Koordination zwischen den Stellen zu übernehmen.
In der Palliative Care distanziert man sich von aktiver Sterbehilfe (vgl. Hospiz Österreich 2015), weil davon ausgegangen wird, dass Menschen mit guter Betreuung und Begleitung ihr Lebensende nicht künstlich herbeiführen möchten. Es wird aber im Sinne der besseren Lebensqualität in Kauf genommen, dass die verabreichten schmerzlindernden Medikamente die Lebenszeit verkürzen (vgl. Borasio 2014: 52).
Im Jahr 2014 wurde die Bioethik-Kommission von der damaligen Bundesregierung beauftragt zu erörtern, ob und wie ein Grundrecht auf Sterben in Würde ausgestaltet werden kann. In ihren abschließenden Empfehlungen forderte die Kommission eine flächendeckende Versorgung im Palliativ- und Hospizbereich inklusive einer einheitlichen Regelfinanzierung für alle Leistungen der mobilen und stationären Palliativversorgung (vgl. Bundeskanzleramt – Bioethikkommission 2015: 29). Anlässlich seines 25-jährigen Bestehens formulierte der Dachverband Hospiz im November 2018 seine Visionen zur Umsetzung einer flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung und forderte die Etablierung einer ausreichenden öffentlichen Finanzierung und einen rechtlichen Anspruch auf die Betreuungsangebote (vgl. Hospiz Österreich 2018b). Bis heute besteht nur für Palliativstationen eine Regelfinanzierung. Die anderen Angebote werden in den Bundesländern unterschiedlich aus öffentlichen Geldern unterstützt. Viele Einrichtungen sind aber auf Spendengelder und jährliche Förderungen angewiesen, um ihre Arbeit fortführen zu können (vgl. Hospiz Österreich 2018a). Im Regierungsprogramm der inzwischen abgesetzten türkis-blauen Koalition wird ein weiterer Ausbau der Kapazitäten für Hospiz- und Palliativpflege und deren Finanzierung ab dem Jahr 2022 festgehalten (vgl. Bundeskanzleramt 2017: 119). Es bleibt abzuwarten, ob eine neu gewählte Regierung sich dieses Themas aktiv annehmen wird.
4.2 Sterbehilfe (aktiv)
Die aktive Sterbehilfe sowie die Tötung auf Verlangen sind in Österreich verboten und werden mit einer Freiheitsstrafe geahndet (vgl. StGB, §§77/78). Menschen, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen möchten, sind daher gezwungen, Suizid zu begehen und die sie auffindenden Personen einem möglichen Trauma auszusetzen. Ist ein solcher Tod würdevoll? Wäre es nicht vielmehr nötig, hier eine Möglichkeit zu schaffen, in einer angenehmen Atmosphäre, nachdem die eigenen Verhältnisse geordnet wurden und eine Verabschiedung von den Angehörigen stattgefunden hat, sterben zu können? Welchen Personen soll dieser Weg offenstehen? Ist die Angst, dass durch eine Legalisierung von Sterbehilfe ein Dammbruch im Sinne einer massenhaften Anwendung stattfinden könnte, berechtigt? Wird mit einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einmal mehr eine Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Dasein geschaffen?
In einem Dialog über das Altwerden zwischen einem Ehepaar lässt Bieri (2013: 336f.) seinen Protagonisten erklären, dass er sterben möchte und bereit ist, das dafür Nötige zu tun, wenn z.B. aufgrund einer Demenzerkrankung zu befürchten wäre, sich selber oder die Selbständigkeit zu verlieren und in Abhängigkeit zu geraten. Dieser Ohnmacht gedenkt „er“ durch einen vorzeitigen Tod auszuweichen. Ob auch mit einer Demenzerkrankung ein gutes Leben geführt werden kann, kann nur fallweise individuell und persönlich bewertet werden. Borasio (2014: 15) weist darauf hin, dass der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe aus der Angst vor dem Sterben bzw. einem qualvollen Ende resultiert. Diese Angst ist anscheinend unbegründet, da großes Leiden in vielen Fällen durch die Palliativmedizin gelindert bzw. verhindert werden kann (vgl. Borasio 2014: 62f.; Eibach 2015: 189). Schneeweiß (2016: 81) weist darauf hin, dass auch Menschen, welche palliativ betreut werden, Sozialarbeiter_innen gegenüber den Wunsch nach Sterbehilfe äußern – und damit ihre Angehörigen unter Druck setzen können (vgl. Kriesi 2012: 87). In diesen Situationen gilt es, vermittelnd innerhalb des Patient_innensystems zu wirken, die Ursache des Wunsches zu ergründen und allenfalls zu informieren, wo und wie dieser zu erfüllen ist (vgl. Schneeweiß 2016: 88).
Als Argument gegen Sterbehilfe gilt oft die geringe Zahl an Inanspruchnahmen. In der Schweiz, wo die Beihilfe zum Suizid nur unter Strafe steht, wenn sie aus selbstsüchtigen Beweggründen geleistet wird (vgl. Schw. StGB, Art. 115), sind nur etwa 0,7% der Todesfälle einem assistierten Suizid zuzuordnen (vgl. Borasio 2014: 41). Diese geringe Zahl rechtfertigt aber nicht die Verweigerung der entsprechenden Debatte. Weitere Kritik kommt von christlicher Seite, welche dem Menschen das Recht zur Selbsttötung grundsätzlich mit der Begründung abspricht, dass der Mensch über das Leben als göttliche Leihgabe nicht frei verfügen könne (vgl. Eibach 2015: 200). Die Haltung kann aber auch auf der Furcht basieren, dass auf ältere Personen oder Menschen mit Behinderung Druck ausgeübt wird, „sozialverträglich“, also die Allgemeinheit und das Gesundheitswesen nicht durch Alter und Krankheit belastend, zu sterben (vgl. Borasio 2014: 26f.; 111). Diese Position scheint stark von der speziellen Geschichte Deutschlands und Österreichs während der Nazi-Diktatur und deren „Euthanasie“-Programmen geprägt zu sein. Dabei wurden Menschen aber nicht nach ihrem ausdrücklich geäußerten Willen, sondern dagegen getötet. Mit dem Gedanken der Sterbehilfe (die ausdrücklich auf dem freien Willen des Menschen gründet) ist dies nicht vereinbar.
Bei all den unterschiedlichen Positionen, Meinungen und Befürchtungen hinsichtlich der Sterbehilfe könnte das Thema durch einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen von Schrecken befreit werden. Borasio (2014: 100) vertritt den Standpunkt, eine Regelung für den assistierten Suizid sei nötig, um sich wichtigeren Dingen am Lebensende zu widmen. Fehlende Richtlinien und Regeln würden Ärzt_innen verunsichern zu entscheiden, was ihnen erlaubt oder verboten ist. Darüber hinaus würden Patient_innen sich scheuen, mit ihren Ärzt_innen über ihre Suizidwünsche zu sprechen. Sie befürchten, nicht ernst genommen oder in psychiatrische Kliniken eingewiesen zu werden. Die Unmöglichkeit, Beihilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen, kann zu gewaltsamen, die Angehörigen stark belastenden Suizidformen führen (vgl. Borasio 2014: 102f.). Michael de Ridder (2012: 25) plädiert engagiert dafür, schwer kranke und leidende Patient_innen nicht medizinisch nicht ausgebildetem Personal zu überlassen, sondern Ärzt_innen zu verpflichten, ihnen beim Sterben zu helfen. Dabei sollen strenge Maßstäbe angelegt werden, da auch diese Hilfe einen Eingriff darstellt.
Felix Gutzwiller (2012: 42) vertritt den Standpunkt, dass Normen und gesetzliche Vorschriften aufgrund der Individualität der Menschen und deren Situationen wenig zielführend sind. In diesem Konflikt wird Borasios, gemeinsam mit drei anderen Wissenschaftlern für Deutschland erarbeiteter Gesetzesvorschlag interessant. Dem entsprechend würde die Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt, allerdings mit zwei klaren Ausnahmen: Erstens sollen Ärzt_innen unter Einhaltung von strengen Sorgfaltspflichten Beihilfe zum Suizid leisten dürfen und zweitens sollen Angehörige, die einem nach seinem Willen handelnden Erwachsenen Beihilfe leisten, von Strafe befreit sein (vgl. Borasio et al. 2014: 1). Die Ziele des Vorschlages sind:
„Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten [sic!], Fürsorge durch ärztliche Beratungspflicht, Schutz vor sozialem Druck auf Betroffene, Suizidprävention, Vermeidung einer Freigabe von Tötung auf Verlangen, Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten“. (Borasio 2014: 105f.)
In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind die Suizidprävention und das Vermeiden der Tötung auf Verlangen, wie es im US-Bundesstaat Oregon praktiziert wird. Hier wurde ein strenges Prüfverfahren zum assistierten Suizid etabliert und es zeigt sich, dass die Möglichkeit der Beihilfe zum Suizid einen suizidverhindernden Einfluss haben kann (vgl. Borasio 2014: 94f.): Für ungefähr ein Drittel der Menschen, welche das Prüfverfahren durchlaufen haben, reichte das Wissen um die Verfügbarkeit des tödlichen Medikamentes aus. Sie nahmen dieses schlussendlich nicht ein, sondern starben eines natürlichen Todes (vgl. de Ridder 2012: 30). Die Annahme, dass eine Legalisierung des assistierten Suizids eine Welle an Todesfällen bringt, ist damit mindestens in Frage gestellt. Die Forderung, die Tötung auf Verlangen grundsätzlich unter Strafe zu stellen, begründet Borasio (2014: 108) mit Rekurs auf Untersuchungen aus Belgien und den Niederlanden, in welchen diese Form der Sterbehilfe erlaubt ist. Diese zeigen, dass die Möglichkeit der Tötung auf Verlangen die Hemmschwelle hinsichtlich der Lebensverkürzung senkt. Die Patient_innen ziehen es vor, die Tötung nicht selber vorzunehmen, sondern sich auf den Beistand einer anderen Person zu verlassen (vgl. Borasio 2014: 104).
Bei der Diskussion treffen ethische und moralische Gründe für ein Verbot der Sterbehilfe aus unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Moralvorstellungen und Weltanschauungen auf die individuelle Situation des betroffenen Menschen. Wenn wir aber dessen Würde und Selbstbestimmung gerecht werden wollen, ist eine offene Debatte unabdingbar. Daher ist der Wunsch, den eigenen Todeszeitpunkt selber zu bestimmen, ernst zu nehmen, auch wenn er nur von wenigen Menschen geäußert wird. Eine gut durchdachte gesetzliche Regelung scheint daher angebracht und zeitgemäß.
5. Ausbildungsinhalte und Defizite
Einem sterbenden oder trauernden Menschen gegenüberzustehen, stellt Sozialarbeiter_innen vor große Herausforderungen, zu denen ohne eingehende Beschäftigung mit diesem Themenbereich hilfreiche Kompetenzen fehlen. Etliche Grundlagen, welche im Feld der Sozialen Arbeit mitzubringen sind, können kaum gelehrt werden, da diese in der Persönlichkeit eines Individuums angelegt sind. Dazu zählen die eigene seelische und körperliche Stabilität, die Fähigkeit zur Empathie und die Bereitschaft, anderen aufmerksam zuzuhören. Zusätzlich sind ein hohes Maß an Teamfähigkeit und Toleranz nötig, um die unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu akzeptieren und ihre Vielfalt anzuerkennen.
Auf den ersten Blick werden während des Studiums der Sozialen Arbeit wenig spezifische Inhalte vermittelt, welche für eine Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase hilfreich sind. Bei näherer Betrachtung der Anforderungen und Lehrinhalte kristallisieren sich aber Themenbereiche heraus, welche in schwierigen Lebenssituation nützlich sind. Unsere Ausbildung macht Generalist_innen aus uns, die sich in verschiedenen Handlungs- und Krisenfeldern kompetent bewegen können und fähig sind, sich zusätzliches Wissen anzueignen und in unsere Praxis einfließen zu lassen.
5.1 Ganzheitliche Betrachtung
Die ganzheitliche Betrachtung ist nicht auf einzelne Klient_innen und deren momentane Umstände beschränkt und ein „Fall“ in der Sozialen Arbeit ist meist nicht eine einzelne Person. In der Regel sind von einer schwierigen Lebenssituation eines einzelnen Individuums auch andere Menschen oder soziale Milieus betroffen. Es gilt daher bei einer Betreuung und Intervention das gesamte Umfeld der Klient_innen zu betrachten und mögliche Auswirkungen von Handlungen auf alle Beteiligten zu bedenken. Dies betrifft z.B. die Vermittlung zwischen Palliativ-Patient_innen mit dem Wunsch nach Sterbehilfe und deren Angehörigen. Eine ganzheitliche Betrachtung eines „Falles“ bedingt daher einen offenen Blick und ausreichend Fantasie, vernetzt zu denken, Angebote verschiedener Einrichtungen und Anlaufstellen zu kennen und in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich sind die individuellen Entscheidungen, welche Klient_innen getroffen haben, zu akzeptieren, Ressourcen zu erkennen und zu fördern und Leistungen anzuerkennen. Diese Fähigkeiten werden bereits ab dem ersten Semester vor allem in der Bearbeitung realer „Fälle“ in den entsprechenden Handlungsfeldern gelehrt und geschult.
5.2 Materielle Sicherung, rechtliche Grundlagen
Gerade wenn Menschen sich in einer Ausnahmesituation durch Konfrontation mit dem eigenen Tod oder dem eines/r Angehörigen befinden, ist der interdisziplinäre Überblick der Sozialen Arbeit hilfreich. Unterstützungsbedarf kann bestehen bezüglich finanzieller Probleme, rechtlicher Ansprüche, Obsorgepflichten oder Leistungsansprüchen aus Pflegegeld oder Pensionsversicherung. Vermittlung von Pflegeleistungen respektive die Herstellung eines Kontaktes zu entsprechenden Einrichtungen sind ebenso Bestandteil der Betreuung, wie die Information von Angehörigen, was im Todesfall zu tun ist. Das Curriculum des Studienganges vermittelt mit dem Handlungsfeld „Materielle Sicherung“ sowie einem Überblick über die rechtlichen Aspekte in Familien- und Sozialrecht inklusive dem Erwachsenenschutzgesetz nötige Kompetenzen (vgl. FH Campus Wien 2018).
5.3 Kommunikation, Gesprächsführung
Zwei der wichtigsten Komponenten einer Begleitung sind gute Gesprächsführung und aufmerksames Zuhören. Dafür sind theoretische Kenntnisse über Kommunikation sowie über die verschiedenen Ebenen menschlicher Kommunikation unerlässlich, damit die Vermittlung von Informationen gelingt. Personen in Krisensituationen sind oft nicht auf der Ebene des Verstandes erreichbar, sondern sind stark mit ihren Gefühlen und/oder deren Unterdrückung beschäftigt. Hier ist vor allem das in den Fächern „Kommunikation und Präsentation“ und „Beratung“ vermittelte Wissen hilfreich. Durch genaues und aktives Zuhören wird es möglich, Wünsche, Sorgen und Ressourcen von Klient_innen zu erkennen und zum richtigen Zeitpunkt anzusprechen und als Vermittler_in zwischen Klient_innen und Angehörigen zu wirken. Eine weitere wichtige Komponente in einer Kommunikation ist, Stille bisweilen auszuhalten und nicht rasch mit Gesprächsinhalten zu füllen, um Gesprächspartner_innen nicht zu überfordern oder sie zu Reaktionen zu drängen.
5.4 Reflexion
Die eigene Reflexionsfähigkeit wird vom Studienbeginn an geübt und gestärkt. Das Hinterfragen der eigenen Handlungen und Haltungen ist in allen Feldern der Sozialen Arbeit nötig und unterstützt die eigene Psychohygiene. Dies umfasst auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die Beschäftigung damit zeigt, wie schwierig es ist, nur zu beschreiben was sichtbar ist, aber nicht zu bewerten. Je besser diese Fähigkeit geschult ist, desto einfacher fallen Gesprächsführung und die ganzheitliche Betrachtung eines „Falles“. Das Auseinandersetzen mit den eigenen Wertehaltungen ist wesentlich, um Lebensentscheidungen von Klient_innen möglichst vorurteilsfrei zu betrachten und nicht darauf zu verfallen, eigene Vorstellungen über ein gutes und gelungenes Leben auf andere Menschen zu übertragen. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn die gewünschte Hilfestellung nicht mit dem eigenen Wertekompass korreliert. Diese Beschäftigung mit der eigenen Person und Lebenseinstellung ist herausfordernd, anstrengend und mitunter schmerzhaft und wird durch eine erfahrene Lehrperson angeleitet und begleitet.
5.5 Defizite
Die beschriebenen Lehrinhalte vermitteln Kompetenzen für eine Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase und deren Angehörigen. Ohne eine persönliche Schwerpunktsetzung über das Handlungsfeld „Ältere Menschen“ und ein Wahlseminar in Trauer- und Sterbebegleitung ist aber die curriculare Beschäftigung mit Sterben, Verlust und Trauer gering. Es findet kaum eine Sensibilisierung für diese schwierigen Themen statt, obwohl Verlusterfahrungen in vielen Berufsfeldern alltäglich sind (z.B. Kindsabnahmen, Ausweisungen, Jobverluste). Es ist daher für die Vorbereitung auf ein Berufsleben als Sozialarbeiter_in nicht ausreichend, die Sterbephasen nach Kübler-Ross kurz anzusprechen. Um ein gutes Handlungsrepertoire aufbauen zu können, wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Lebensende und der Trauer wünschenswert, z.B. durch Erfahrungsberichte und den Austausch von und mit erfahrenen Trauer-/Sterbebegleiter_innen und Seelsorger_innen. Auch die Beleuchtung von Sterbebegleitung in anderen Religionen und Kulturkreisen kann hilfreich und bereichernd sein.
6. Resümee
Sterben und Verluste sind schwere Krisen im Leben. Sie können niemandem abgenommen, aber durch Beistand, der viel Zeit und emotionale Stabilität braucht, gelindert werden. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie wichtig für angehende Sozialarbeiter_innen eine Beschäftigung mit dem Sterben und damit verbundenen Verlusterfahrungen ist, wie eine Begleitung durch die Soziale Arbeit in diesen Phasen möglich wäre und welche Fähigkeiten dazu nötig oder zumindest hilfreich sind.
Die Soziale Arbeit verschreibt sich dem Erhalt und der Förderung von Menschenrechten und damit der Wahrung der Würde des Menschen. Als Sozialarbeiter_innen geraten wir immer wieder in Konflikt zwischen unserer eigenen Würde und der unseres Gegenübers und müssen uns der Frage stellen, ob und wie beide geschützt werden können. Unsere Interventionen bedeuten immer ein Eingreifen in ein anderes Leben und tangieren damit potenziell die Integrität, Würde und Selbstbestimmung der Klient_innen. Im Sinne der Wahrung letzterer sollte daher der Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende nicht negiert und die Diskussion sowohl auf aktive Sterbehilfe und Palliative Care/Hospizarbeit (welche sich nicht ausschließen müssen) ausgeweitet werden. In beiden Formen der Sterbebegleitung kann Soziale Arbeit als generalistisch ausgerichtete Profession betreuend und unterstützend wirken.
Die eingehende Beschäftigung mit den Themen Würde, würdevolles Sterben, Verlust und Begleitung durch die Soziale Arbeit, ergibt folgendes Fazit: Es zeigt sich, dass Soziale Arbeit als generalistische Profession in Zeiten großer Krisen gebraucht wird und wertvolle Unterstützungsangebote bereitstellen kann. Defizite finden sich in einem nicht spezifisch auf die Bedürfnisse von sterbenden Menschen ausgerichteten Curriculum, was sich in einer wenig entwickelten Sensibilisierung für diese Bereiche zeigt. Dies kann meiner Meinung nach dadurch kompensiert werden, dass spezifische Fachthemen prominenter in das Curriculum eingearbeitet werden und nicht in Wahlhandlungsfelder und -seminare verdrängt werden. Der Diskurs über Formen der Hilfe beim/zum Sterben könnte zum Beispiel im Handlungsfeld Gesundheit aufgenommen werden, kommt jedoch ohne eine grundsätzliche Diskussion auf gesellschaftlicher und politischer Ebene nicht aus. Wenn über Kinder- und Jugendhilfe gesprochen wird, sollten Inhalte wie Trennungsschmerz und der Verlust der vertrauten Umgebung ausführlich diskutiert werden. Sozialarbeiter_innen sind in diesen Fällen oft die erste Anlaufstelle, eine eingehende Beschäftigung mit adäquaten Verhaltensweisen und Interventionen ist daher nötig. Menschen sterben nicht nur als zufriedene Omas und Opas, sondern auch als Klient_innen in allen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit. Ohne ein Gefühl für die Trauer des Gegenübers zu entwickeln, werden uns deren Reaktionen und Verhaltensweisen befremden und unverständlich bleiben. In der sozialarbeiterischen Praxis jedoch beeinträchtigen neben unvollständiger Vorbereitung durch das Studium zusätzlich knappe Zeitbudgets eine gute Betreuung sterbender Menschen.
Literatur
Bieri, Peter (2013): Eine Art zu Leben. Über die Vielfalt der menschlichen Würde. München: Carl Hanser.
Borasio, Gian Domenico (2014): selbst bestimmt sterben. Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können. München: C.H. Beck.
Borasio, Gian Domenico/Jox, Ralf J./Taupitz, Jochen/Wiesing Urban (2014): Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches „Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben. Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids“. https://blog.kohlhammer.de/wp-content/uploads/Pressemitteilung_Gesetzesvorschlag_assist_Suizid.pdf (05.12.2018).
Buck, August (1990): Einleitung. In: Pico della Mirandola, Giovanni (Hg.): Über die Würde des Menschen. Hamburg: Felix Meiner, S. VII–XXVII.
Bundeskanzleramt (2017): Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017–2022. Wien.
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Über die Autorin
Isabelle M. Zingg, BA
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