soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort Eisenstadt
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/678/1260.pdf


Markus Deutsch:

Das Bedingungslose Grundeinkommen – eine Chance für die Soziale Arbeit?


1. Einleitung

Dieser Artikel befasst sich mit der Theorie und der Praxis des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) und möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Soziale Arbeit, die die Einführung einer solchen Absicherung mit sich bringen würde.1 Es wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf die Aufgaben Sozialer Arbeit und die Lebenswelt ihrer Klientel hätte. Hierbei wird auf verschiedene Modellversuche einer bedingungslosen finanziellen Absicherung eingegangen. Mögliche Veränderungen des Auftrags Sozialer Arbeit und der Entwicklung der Arbeitsweise hin zu einer emanzipatorischen und befähigenden Sozialen Arbeit, die mit der Einführung eines BGE möglich wären, werden dargestellt.

Die Arbeit wurde vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verfasst und kann daher nur auszugsweise die gesellschaftlichen, sozialen und materiellen Folgen der Pandemie miteinbeziehen. Die Corona-Krise zeigt jedoch die Krise des neoliberalen Kapitalismus und die herrschenden Widersprüche und Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems auf. Welche konkreten sozialen, ökonomischen und auch ökologischen Folgen diese Krise haben wird, wer die Kosten tragen wird und inwiefern sich gesellschaftliche Herrschaftsdynamiken verändern werden, ist jetzt noch nicht feststellbar. Obwohl nun Debatten etwa über Verstaatlichung und die neoliberalen Einsparungen im Gesundheitssystem auch in einer breiten Öffentlichkeit geführt werden, bedeutet die Krise in erster Linie für einen großen Teil der Bevölkerung ökonomischen Abstieg und Unsicherheit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit mit all ihren sozialen, ökonomischen und psychischen Folgen. Ebenso besteht die Gefahr, dass Frauen wieder vermehrt in klassische Geschlechterrollen zurückgedrängt werden, unbezahlte Care-Arbeit verrichten und die größten VerliererInnen dieser Krise sind. Im Lichte der Corona-Krise will diese Arbeit den Nutzen eines Bedingungslosen Grundeinkommens zeigen und mögliche gesellschaftliche Auswirkungen auf Armut, die Praxis Sozialer Arbeit und ihr Klientel thematisieren.


2. Begriffsdefinitionen und Erläuterungen

2.1 Bedingungsloses Grundeinkommen

Es gibt viele verschiedene Modelle und Konzepte eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Das als BGE abgekürzte Bedingungslose Grundeinkommen ist die Idee einer bedingungslosen und einheitlichen Geldleistung für alle BürgerInnen einer politischen Gemeinschaft – beispielsweise eines Staates oder der Europäischen Union. Das BGE soll unabhängig von der jeweiligen finanziellen Lage und ohne eine an die Gewährung geknüpfte Gegenleistung ausgezahlt werden (vgl. Attac 2010: o.S.). Es existieren verschiedene Vorstellungen zur Höhe, zu Finanzierungsmodellen und zur praktischen Umsetzung dieses Konzeptes. Emanzipatorische Varianten orientieren sich an der Armutsrisikogrenze der Europäischen Union – dies sind 60 % des Nettoäquivalenzeinkommens des jeweiligen Mitgliedstaates (vgl. ebd.).


2.2 Soziale Arbeit und Armutsverwaltung

Nach der Definition der International Federation of Social Work

„fördert [Soziale Arbeit] als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“(OBDS 2017: 2)

Soziale Arbeit ermöglicht nach dem Berufsbild des Österreichischen Berufsverbandes gesellschaftliche Teilhabe und fördert sozialen Wandel (vgl. ebd.: 3). Innerhalb der Profession existiert eine umfassende nationale und internationale Debatte über Mandat, Aufgaben und Ziele derselben (vgl. hierzu beispielsweise Kleve 2009; Krauß/Möller/Münchmeier 2007).

Gegenwärtig mehren sich Stimmen, die die Rolle und Entwicklung der Sozialen Arbeit im Neoliberalismus kritisch betrachten (vgl. Galuske 2007). Dabei wird davon ausgegangen, dass sich in der neoliberalen Phase des Kapitalismus der befriedete Sozialstaat hin zu einem aktivierenden Wohlfahrtsstaat transformiert (vgl. ebd.: 340). Dies führt zu einer Ökonomisierung und Funktionsverlagerung der Sozialen Arbeit, die sich in einer zunehmenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von SozialarbeiterInnen und einer Transformation der Hilfeangebote zeigt (vgl. ebd.: 362). Hohe Fallzahlen, ein dadurch entstehender Belastungsdruck und fehlende finanzielle Mittel prägen den Alltag vieler SozialarbeiterInnen. Oftmals ist nur Zeit für die Bewerkstelligung der existenziellen Absicherung der KlientInnen und die Bearbeitung der drängendsten Probleme. Psychosoziale Beratung, Beziehungsarbeit oder gar das Einsetzen für die Interessen der KlientInnen auf gesellschaftspolitischer Ebene bleiben so oftmals auf der Strecke.

Seithe (2012: 124) beschreibt die aktuellen ökonomischen Transformationsprozesse als Verschiebung des sozialen Bereichs in Richtung des freien Marktes und weg vom öffentlichen Sektor. Unter dem Primat der ökonomischen Effizienz kommt es zu einer Gefährdung der fachlichen Standards Sozialer Arbeit. Für ein aktives Eintreten für bessere Lebensbedingungen und gesellschaftliche Veränderungen im Sinne des politischen Mandats der Sozialen Arbeit bleibt nach Seithe oftmals schlichtweg keine Zeit (vgl. ebd.: 164–165). Damit verändert sich die Funktion der Sozialen Arbeit in der Praxis: Nicht mehr lebensweltliche Unterstützung der NutzerInnen ist primäres Ziel, sondern die Verwahrung der „Unproduktiven“ und die Aktivierung bestimmter Verhaltensweisen bei KlientInnen, die diese wieder zu produktiven Mitgliedern der Gesellschaft im angeblichen Interesse aller machen sollen (vgl. ebd.: 255).


2.3 Armut

Nach der Definition der Europäischen Union liegt die Armutsrisikogrenze bei einem Haushaltsnettoeinkommen unter 60 % des Nettoäquivalenzeinkommens. In Österreich liegt die festgelegte Armutsgefährdungsschwelle bei 1.259 € für einen Einpersonen-haushalt, für eine Familie mit zwei Kindern liegt sie bei 2.643 € (vgl. Armutskonferenz 2019: o.S.). 17,5 % der österreichischen Bevölkerung, also etwa 1.512.000 Menschen, sind laut den Daten des EU-SILC Berichts 2018 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet (vgl. ebd.).

Als ausgrenzungsgefährdet gelten jene Personen, die materiell stark eingeschränkt sind oder in einem Haushalt mit keiner beziehungsweise geringer Erwerbsintensität leben. Von akuter Armut wird gesprochen, wenn aufgrund der materiellen Situation die Deckung elementarer Lebensbedürfnisse eingeschränkt beziehungsweise gefährdet ist. Hierzu zählen zum Beispiel, das Heizen der Wohnung zu bewerkstelligen, die Miete rechtzeitig zu begleichen oder unerwartete Ausgaben, etwa die Reparatur der Waschmaschine, stemmen zu können. Wer von akuter Armut betroffen ist, kann sich oftmals notwendige Arztbesuche oder den Kauf neuer benötigter Kleidung nicht leisten. Nach österreichischer Definition gilt als akut arm, wer für zwei dieser hier aufgelisteten Grundbedürfnisse nicht die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung hat (vgl. ebd.: 14).


2.4 Der österreichische Sozialstaat und Armutspolitik

Der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung fördert gesellschaftliche Inklusion unter den Bedingungen kapitalistischer Marktwirtschaft und der ihr inhärenten Verwertungslogik (vgl. Tálos/Kronauer 2011: 23). Der Zweck von Wohlfahrtsstaaten im Allgemeinen ist der Schutz des Individuums vor Marktabhängigkeiten (vgl. ebd.: 24). Länder wie Österreich und Deutschland sind nach der Typologie von Esping-Andersen als konservativ-korporatistische wohlfahrtsstaatliche Regime einzuordnen (vgl. Tálos/Kronauer 2011: 27). Sozialstaatliche Leistungen erfolgen dabei im Wesentlichen in zwei Formen. Einerseits durch erwerbsarbeitsbezogene Leistungen aus der Sozialversicherung wie etwa der Arbeitslosenversicherung oder der Krankenversicherung. Die zweite Form sind einkommens- und erwerbsunabhängige, bedarfsgeprüfte Leistungen wie die Mindestsicherung, Sozialhilfe oder die Familienbeihilfe (vgl. Tálos/Kronauer 2011: 27).

Wohlfahrtsstaaten des konservativ-korporatistischen Typs zeichneten sich im 20. Jahrhundert durch eine Arbeitsmarktintegration entlang von Normalarbeitsverhältnissen aus. Darunter versteht man kontinuierliche, arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse auf Vollzeitbasis. Diese Form der Lohnarbeit verüben insbesondere Männer; Frauen erreichen oftmals keine Erwerbsbiografie von 45 Jahren, da sie sich häufig in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen und prekären Jobs wiederfinden (vgl. ebd.).

Seit den 1980er Jahren ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu beobachten, die sich nach der Weltwirtschaftskrise 2009 nochmals verschärfte. Arbeitslosigkeit, insbesondere das erhöhte Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und die Verbreitung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen sind relevante arbeitsmarktpolitische und sozioökonomische Entwicklungen. Zu den atypischen Arbeitsformen zählen Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigungen, Leiharbeit und Beschäftigungen als freie/r DienstnehmerIn. Nicht nur erwerbslose Menschen, sondern auch Erwerbstätige sind von Armut betroffen: die sogenannten working poor sind die größte Gruppe der Armutsgefährdeten im erwerbsfähigen Alter (vgl. ebd.: 30). Derzeit (Stand April 2020) liegt aufgrund der ökonomischen Folgen der Corona-Krise die Arbeitslosenquote bei einem Höchststand von 12,2 %, über 560.000 Menschen sind ohne Beschäftigung, über 600.000 Menschen sind in Kurzarbeit (vgl. AMS 2020: 1).

Das Modell des österreichischen Wohlfahrtsstaates trägt wesentlich zur Armutsreduktion bei. Ohne sozialstaatliche Leistungen wären 43 % der ÖsterreicherInnen armutsgefährdet (vgl. Tálos/Kronauer 2011: 33–34). Jedoch verhindert dieses Modell nicht das grundsätzliche gesellschaftliche Problem von Armut in kapitalistischen Gesellschaften. Die staatlichen Sozial- und Transferleistungen sind erwerbszentriert organisiert und knüpfen die Gewährung einer Leistung oftmals an ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis beziehungsweise das Vorhandensein von „Arbeitswilligkeit“. Insbesondere Frauen, Jugendliche und MigrantInnen sind häufig aus den bestehenden Sicherungssystemen ausgeschlossen (vgl. ebd.: 40).


2.5 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Digitalisierung beschreibt den „Prozess des sozio-ökonomischen Wandels […], der durch Einführung digitaler Technologien, darauf aufbauender Anwendungssysteme und […] ihrer Vernetzung angestoßen wird“ (Hirsch-Kreinsen 2015: 10). Die Digitalisierung verändert Arbeitsverhältnisse und die Arbeitswelt weitreichend. Sie löst große Veränderungen im Produktionsprozess nahezu aller Sektoren und Branchen aus, etwa durch die Automatisierung von Prozessen und die Erledigung bestimmter Aufgaben durch digitale Systeme, die autonom entscheiden und sich dabei stetig selbst optimieren (vgl. Raehlmann 2019: 20). Über die zukünftigen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Veränderung der Gesellschafts- und Arbeitsverhältnisse können keine empirisch abgesicherten Prognosen gestellt werden, jedoch lassen sich wissenschaftlich fundierte Annahmen treffen (vgl. ebd.: 25). Mögliche Folgen einer digitalisierten Produktionsweise sind Raehlmann entsprechend steigende Erwerbslosigkeit sowie eine Senkung der Löhne und der Arbeitsstandards (vgl. ebd.: 26). Im Gegensatz dazu argumentiert Vobruba (2018: 213), dass mit der zunehmenden Digitalisierung der kapitalistischen Produktionsweise ebenso die Schaffung neuer Arbeitsplätze und -formen einhergeht. Als wesentliche gesellschaftliche Herausforderung sieht er die notwendige Anpassungsleistung, also entsprechende neue Ausbildungen und Qualifikationen, die die Digitalisierung erfordert (vgl. ebd.).

In einer Studie zum Einfluss der Digitalisierung auf den österreichischen Arbeitsmarkt im Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2015 kommt Streissler-Führer (2016) zu ähnlichen Ergebnissen: Digitalisierung kann die Beschäftigung durch neue Branchen und Arbeitsbereiche erhöhen, diese jedoch auch senken, wenn vor allem einfache, vormals von Menschen erledigte Tätigkeiten durch Maschinen und Automatisierung ersetzt werden. Eine weitere Gruppe von ForscherInnen untersucht das Automatisierungsrisiko verschiedener Berufsgruppen in Österreich (vgl. Nagl/Titelbach/Valkova 2017). Laut den Ergebnissen dieser Studie sind 9 % aller Erwerbstätigen von einem hohen Risiko betroffen, durch Maschinen ersetzt zu werden. Potenziell am stärksten betroffen sind Berufsgruppen wie HilfsarbeiterInnen, HandwerkerInnen und MaschinenbedienerInnen. Das geringste Risiko, von Maschinen und künstlicher Intelligenz ersetzt zu werden, haben AkademikerInnen. Für die Mehrheit der Beschäftigten – 79,5 % – besteht ein mittleres Automatisierungsrisiko zwischen 30 % und 70 % (vgl. ebd.: 23). Keine Berücksichtigung finden in dieser Studie mögliche Beschäftigungspotenziale, die die Digitalisierung mit sich bringt.

Insgesamt lassen sich wenig bis keine eindeutigen Vorhersagen treffen. Es ist jedoch mit starken Veränderungen und Umschichtungen in der Arbeitswelt zu rechnen. Insbesondere Niedrigqualifizierte werden die Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren bekommen. Hier wird es Aufgabe sozialstaatlicher Politik und Sozialer Arbeit sein, sich diesen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen.


3. Geschichte und Modelle des Bedingungslosen Grundeinkommens

3.1 Die Geschichte des BGE

Die Grundidee eines Bedingungslosen Grundeinkommens und die Utopie einer Gesellschaft ohne Armut gibt es bereits bei verschiedenen PhilosophInnen in der Zeit des Renaissancehumanismus um 1500. So beschreibt Thomas Morus in seinem Roman Utopia aus dem Jahr 1517 eine utopische Gesellschaft mit gleichem Arbeitszwang für alle und einer sozialen Grundsicherung (vgl. Morus 1983). Die Diskussion über ein Grundeinkommen kam verstärkt in den 1980er Jahren wieder auf. Àndre Gorz lieferte hier wesentliche Impulse. Der technische Fortschritt des modernen Industriekapitalismus und die damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen führen nach Gorz zu einer Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeit hin zu einer Lebensarbeitszeit von 20.000 Stunden pro Person. Dies würde beispielsweise die Möglichkeit einer Kombination von Lohnarbeit und anderen Tätigkeitsformen, etwa ehrenamtliche, kreative oder Care-Tätigkeiten, ermöglichen (Gorz zit. n. Vobruba 2018: 66).

Heutige Diskussionen und Debatten über ein BGE haben insbesondere wichtige Parameter wie Höhe, Auszahlungsform und Art der Finanzierung zu berücksichtigen. Da es nicht das eine Bedingungslose Grundeinkommen gibt, sondern viele verschiedene Modelle, die teils als BGE, aber teils auch unter dem Begriff Bürgereinkommen verhandelt werden, wird folgend ein exemplarischer Überblick gegeben. Dabei werden zwei Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens aus Deutschland und Österreich vorgestellt, wobei vor allem armutsbekämpfende und als emanzipatorisch einzustufende Modelle gewählt wurden.


3.2 Modelle des BGEs

3.2.1 BGE als Forderung in Parteiprogrammen

Die Partei die LINKE in Deutschland hat keine eindeutige Position zum BGE. Jedoch beschäftigt sich der Bundesarbeitskreis Grundeinkommen innerhalb der Linkspartei mit dem Konzept eines Grundeinkommens und strebt die Aufnahme eines solchen in das Parteiprogramm an (vgl. Blaschke 2014: o.S.). Das Konzept soll ein Anstoß hin zur Transformation und Überwindung „kapitalistischer und patriarchalischer Herrschaftsverhältnisse“ (Wolf 2020: 1) sein. Mithilfe des Grundeinkommens wird eine bessere Verteilung der Arbeitszeit, der Wegfall des Zwangs zum Verkauf der Arbeitskraft zu (fast) jedem Preis und eine demokratischere Gestaltung der Produktionsweise angestrebt. Das Grundeinkommen soll im Sinne einer gesellschaftlichen Umverteilung und besseren Verteilung von Arbeitszeiten Erwerbslose dazu motivieren, eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, und Vollzeitbeschäftigte anregen, ihre Arbeitszeiten zu verkürzen (vgl. ebd.).

Entsprechend dem Konzept soll das Grundeinkommen an die Höhe des Volkseinkommens gekoppelt sein und in Verbindung mit einem gesetzlichen Mindeststundenlohn von 13 Euro brutto eingeführt werden. Die Höhe des Grundeinkommens beträgt die Hälfte des Volkseinkommens. Für das Jahr 2017 ergab sich ein Grundeinkommensanspruch von 1.180 € für alle über 16-Jährigen. Für Kinder ist ein Beitrag in der Höhe von 50 % des Grundeinkommens, also 590 €, vorgesehen. Neben dem Grundeinkommen und dem gesetzlichen Mindestlohn ist die Schaffung einer bundesweiten und kostenlosen Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs Teil des Konzepts (vgl. ebd.: 2).

Der Nettofinanzierungsbedarf für ein bundesweites BGE in Deutschland liegt laut Konzept bei rund 988 Milliarden Euro pro Jahr – der Wegfall von Leistungen, die durch das BGE ersetzt werden, ist hier bereits eingerechnet (vgl. ebd.: 4). Die Finanzierung soll durch eine radikale Umwälzung des Steuersystems erfolgen. Eine „BGE-Abgabe auf alle steuerpflichtigen Primäreinkommen der privaten Haushalte […] von 35 Prozent“ (ebd.: 7) soll ca. 680 Milliarden Euro bringen. Eine als Sachkapitalabgabe bezeichnete Form der Vermögens- und Immobiliensteuer in der Höhe von 2,5 % des Nettovermögenswertes eines Sachkapitals, beispielsweise einer Immobilie, soll zusätzlich ca. 147 Milliarden Euro einbringen. Insgesamt wird durch neue Besteuerungen mit Gesamteinnahmen von 1.007 Milliarden Euro gerechnet (vgl. ebd.).

In Österreich gibt es derzeit keine im Parlament vertretene Partei, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen fordert. Die nicht im Nationalrat, aber im Steirischen Landtag und im Grazer Gemeinderat vertretene KPÖ fordert ein personenbezogenes Bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe (vgl. kpoe.at 2020: o.S.).


3.2.2 Das Modell der Kindergrundsicherung der Volkshilfe – Theorie und Praxis

Die Kindergrundsicherung ist ein Modell zur Bekämpfung von Kinderarmut, welches von der Nichtregierungsorganisation Volkshilfe Österreich entwickelt wurde. Mithilfe eines monatlichen Geldbetrages, der als kindsbezogene Transferleistung gewährt wird, soll die soziale und gesellschaftliche Teilhabe von allen Kindern in Österreich gewährt werden. Die Entwicklungsmöglichkeiten und Zukunftschancen der Kinder sollen so nicht mehr ausschließlich von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängig sein. Insbesondere die vier Dimensionen kindlicher Entwicklung – materielle Versorgung, Bildungschancen, soziale Teilhabe und gesundheitliche Entwicklung – sollen durch die Kindergrundsicherung sichergestellt und gefördert werden (vgl. Fenninger/Ranftler/Fenninger-Bucher 2018: o.S.).

Die Kindergrundsicherung soll zwölfmal jährlich gewährt werden. Anspruchsberechtigt sind laut Konzept alle in Österreich lebenden minderjährigen Kinder. AnspruchsberechtigteR ist das jeweilige Kind, die Auszahlung erfolgt an die Erziehungsberechtigten. Im Gegensatz zur Sozialleistung der Familienbeihilfe ist keine Staffelung der Höhe nach Alter oder Anzahl der Kinder vorgesehen. Die Höhe dieser angedachten Unterstützungsleistung soll anhand einer universellen und einer einkommensgeprüften Komponente festgelegt werden. Den universellen Grundbetrag in der Höhe von 200 € sollen alle Kinder erhalten. Dieser Betrag setzt sich aus dem monatlichen Grundbetrag der Familienbeihilfe (141,50 €) und dem monatlichen Kinderabsetzbetrag (58,40 €) zusammen und soll diese pauschalisierten Leistungen ersetzen. Der einkommensgeprüfte Teil beträgt maximal 425 € pro Kind und richtet sich nach dem Familieneinkommen. Kinder aus armutsgefährdeten Familien mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 20.000 € jährlich sollen jeweils 625 € monatlich bekommen, bei einem Familieneinkommen über 35.000 € erhalten die Kinder den Universalbetrag von 200 € (vgl. ebd.).

Die Einführung der Kindergrundsicherung würde laut Volkshilfe Kosten von ca. 2 Milliarden Euro verursachen. Rund 1,5 Millionen Kinder wären anspruchsberechtigt, etwa 45 % der Kinder würden einen Betrag über dem Universalbetrag von 200 € erhalten. Ein Fünftel aller Kinder in Österreich, also jene aus stark armutsbetroffenen Familien, würden den Maximalbetrag von 625 € erhalten. Laut den Berechnungen der Volkshilfe würde die durchschnittliche Höhe bei 334 € pro Monat liegen. Die Kindergrundsicherung wird seit Jänner 2019 in einem Modellprojekt der Volkshilfe erprobt: 23 armutsbetroffene Kinder aus ganz Österreich werden zwei Jahre lang unterstützt und begleitet (vgl. volkshilfe.at 2020: o.S.). Die Familien – häufig alleinerziehende Mütter oder Väter – werden finanziell unterstützt und sozialarbeiterisch begleitet. Das Modellprojekt wird von einer wissenschaftlichen Studie kontrolliert. Schon jetzt lassen sich positive Veränderungen bei den Kindern beobachten. Sie zeigen etwa gesteigerte Kommunikationsfähigkeiten und werden in ihrem Selbstbewusstsein und ihren Teilhabe Möglichkeiten gestärkt und ermächtigt (vgl. ebd.).


4. Praxisbeispiele

Nachfolgend werden zwei Praxisbeispiele eines Grundeinkommens aus verschiedenen nationalen und internationalen Projekten vorgestellt. Ein Projekt aus dem österreichischen Waldviertel, welches den Nutzen eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Zusammenhang mit Armutsbekämpfung und der Reintegration von Langzeitarbeitslosen aufzeigt, wird näher beschrieben. Als internationales Praxisprojekt der Armutsbekämpfung wird die Arbeit der Organisation Give Directly vorgestellt, welche das Potenzial von monatlichen Zahlungen in der Entwicklungszusammenarbeit aufzeigt.


4.1 AMS Projekt im Waldviertel „Sinnvoll tätig sein“

In Heidenreichstein im Oberen Waldviertel gab es zwischen Frühjahr 2017 und Herbst 2018 ein – unter anderem durch das AMS und die Initiative Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel finanziertes – Projekt, welches Langzeitarbeitslosen neue Perspektiven zu eröffnen versuchte. Jenseits von Druck und Beschämung durch das Arbeitsmarktservice, wie etwa durch sinnbefreite Weiterbildungskurse und Bewerbungszwang für aussichtslose Stellen, stand die Frage nach einer sinnhaften Tätigkeit im Vordergrund, die nicht zwangsweise in Form von Lohnarbeit zu erfolgen hat. Der Arbeitslosenbezug erfolgte über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren, also in Form eines garantierten und bedingungslosen Grundeinkommens (vgl. Dimmel/Immervoll/Schandl 2019: 15).

Die Ergebnisse der begleitenden wissenschaftlichen Studie zeigen, dass einige Personen sich während des Projekts ehrenamtlich engagieren, andere wagten den Schritt in die Selbstständigkeit und meldeten ein Gewerbe an (vgl. ebd.: 42). Das Engagement bei gemeinnützigen Einrichtungen und Vereinen stieg an, TeilnehmerInnen begannen Ausbildungen, die soziale Teilhabe wurde erhöht und die Netzwerke der Betroffenen konnten ausgeweitet werden (vgl. ebd.: 44). Ein Viertel der TeilnehmerInnen konnte durch das Projekt Arbeit finden oder sich selbständig machen (vgl. ebd.: 45).

Von den Betroffenen wurde insbesondere der Wegfall der Angst vor möglichen Repressalien und Kürzungen beziehungsweise Streichung des Arbeitslosengeldes als entlastend beschrieben und geschätzt. Die Verwaltung und soziale Kontrolle von erwerbslosen Menschen verhinderten oftmals ihre Selbstständigkeit, erzeugten Abhängigkeiten und gesellschaftliche Ausgrenzung. Von den Betroffenen wurden die Arbeitslosigkeit und der damit einhergehende Kontakt mit dem AMS und den Behörden als „Deklassierung […], Entwertung und Entwürdigung“ (ebd.: 53) erlebt. Ebenso waren die Überwindung von Isolation und Vereinzelung und die Erfahrung von praktischer Solidarität wichtige Ziele des Projekts, die erfolgreich umgesetzt wurden (vgl. ebd.).

Insgesamt nahmen 40 Langzeitarbeitslose, ein Prozent der Bevölkerung von Heidenreichstein, an dem Projekt teil. Die gleiche Anzahl an Vertrauenspersonen wurde vierteljährlich über den Verlauf und mögliche Probleme informiert, um die Bevölkerung von Heidenreichstein – eine Gemeinde mit rund 4.000 EinwohnerInnen – aktiv einzubinden und eine mehrheitlich akzeptierende Haltung im Ort zu erzeugen (vgl. ebd.: 63).


4.2 Armutsbekämpfung in Kenia durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Armutsbekämpfung im globalen Süden ist vor allem durch Organisationen und Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit geprägt. Seit einigen Jahren werden in der Entwicklungszusammenarbeit, etwa mit ostafrikanischen Staaten, Formen der Armutsbekämpfung erprobt, die auf eine Art Bedingungsloses Grundeinkommen in Form von Direktzahlungen setzen (vgl. Bregman 2019: 38). Die erwachsenen BewohnerInnen des Dorfes Makanga in Kenia erhalten seit Oktober 2016 jeden Monat 22 $ von der amerikanischen Spendenorganisation Give Directly. Im Rahmen dieser langfristig angelegten Studie zur Effektivität von Armutsbekämpfung durch ein BGE sollen mindestens 6.000 KenianerInnen in einigen hundert Dörfern zwölf Jahre lang den oben genannten Betrag direkt und monatlich erhalten. Dieser liegt knapp über der kenianischen Armutsschwelle von 20 $ im Monat. Mit Hilfe von drei Untersuchungsgruppen sollen die Auswirkungen und die Effektivität des „kenianischen BGEs“ erforscht werden (vgl. Dörrie 2017.: o.S.).

Entgegen der weitverbreiteten Vorstellung, arme Menschen könnten nicht mit Geld umgehen und würden es für sinnlose Dinge ausgeben, liefert das Experiment in Kenia interessante Ergebnisse: Die ZahlungsempfängerInnen geben das Geld primär für Dinge des täglichen Bedarfs – Lebensmittel, Schulgebühren und Medikamente – aus, sparen einen Teil davon an oder tätigen mit den gewährten finanziellen Mitteln unternehmerische Investitionen (vgl. Bregman 2019: 35). Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology über die Auswirkungen von Direktzahlungen in Entwicklungsländern durch Give Directly belegt die positiven ökonomischen und sozialen Wirkungen (vgl. Haushofer/Shapiro 2013). Wohneigentum und Besitztum stiegen im Durchschnitt um 58 %. Zusätzlich wurde die Anzahl der Tage, an denen Kinder hungern mussten, um 42 % verringert. Das psychische und physische Wohlbefinden der ausgewählten Familien stieg an. Eine Veränderung in den Ausgaben für Alkohol oder Tabakwaren konnte nicht festgestellt werden (vgl. ebd.: 2–3).


5. Soziale Arbeit und die Einführung eines BGE – mögliche Auswirkungen auf die Profession und die Klientel Sozialer Arbeit

Das Bedingungslose Grundeinkommen würde den bestehenden Sozialstaat und damit einhergehend auch die Soziale Arbeit grundlegend transformieren. Zur Frage nach den konkreten Auswirkungen existieren bisher wenige wissenschaftliche Arbeiten, da diese empirisch nicht eindeutig beantwortbar ist. Doch auch wenn nicht gesagt werden kann, wie genau sich Soziale Arbeit verändern würde, ist sicher, dass sie unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen ebenso Transformationsprozessen unterworfen wäre. Eine positive Veränderung wäre, dass Soziale Arbeit ihre Klientel nicht mehr in Richtung ökonomischer Verwertbarkeit drängen müsste. Die Gefahr der De-Professionalisierung durch eine Ökonomisierung der Sozialen Arbeit wäre unter veränderten, nicht mehr nur auf Erwerbsarbeit zentrierten gesellschaftlichen Verhältnissen weniger gegeben. Zudem wäre unter den Bedingungen einer wirklichen Existenz- und Teilhabesicherung der sozialarbeiterische Kampf mit den Behörden um die Bewilligung von Mindestsicherung, Arbeitslosengeld und anderen Leistungen nicht mehr in einem solchen Ausmaß wie bisher notwendig. Somit bliebe mehr Zeit für psychosoziale Beratung und sozialarbeiterische Unterstützungs- und Inklusionsarbeit (vgl. Blaschke 2016: o.S.).

Fischer (2015: 40) begreift Fürsorge – auch als care work bezeichnet – als eine zentrale und notwendige Aufgabe von Gesellschaften. Unter Fürsorge fasst sie die gesellschaftliche Reproduktion auf drei zentralen Ebenen zusammen: die sexuelle, soziale und materielle Aufrechterhaltung des Gemeinwesens. In modernen kapitalistischen Gesellschaften erfolgt die sexuelle Reproduktion nach Fischer innerhalb verschiedenartiger familiärer Zusammenhänge. Die soziale Reproduktion wird gesellschaftlich beziehungsweise staatlich organisiert, die materielle erfolgt in Form von marktförmig organisierten Arbeitsleistungen (vgl. ebd.: 40). Unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen wird Fürsorgearbeit als bezahlte Arbeit in Form von Erwerbstätigkeit oder in unbezahlter Form, wie zum Beispiel als Erledigung der Hausarbeit oder Erziehung der Kinder, geleistet. Frauen sind somit oftmals vom Einkommen des Mannes abhängig. Fürsorgetätigkeiten benötigen Zeit und Aufmerksamkeit, sie werden als eine Störung in der Erwerbsbiografie wahrgenommen und können die Erwerbschancen verschlechtern (vgl. ebd.: 41).

Ein BGE würde ein strukturelles Gleichgewicht zwischen marktförmiger sowie nicht marktförmiger organisierter Arbeit herstellen und die Wichtigkeit von Fürsorgearbeit hervortreten lassen. Um eine bessere Verteilung von Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen zu bewerkstelligen, müsste mit der Einführung eines Grundeinkommens auch die aktive Beteiligung von Männern an care work einhergehen. Somit könnten auch die Geschlechterverhältnisse transformiert werden (vgl. ebd.: 42).

Die Gewährung eines Grundeinkommens würde aber auch den derzeit notwendigen Vorgang der Bedürftigkeitsprüfung überflüssig machen. In weiterer Folge könnte das zu einer Entlastung von KlientInnen führen (vgl. Sunshine 2016: o.S.). Es ist damit zu rechnen, dass Soziale Arbeit unter dergestalt veränderten Bedingungen vermehrt ihr politisches Mandat, im Sinne einer Menschenrechtsprofession, wahrnehmen kann und autonomie- beziehungsweise inklusionsfördernde Maßnahmen der Profession wirkungsvoller werden (vgl. Staub-Bernasconi 2007: 20). Hierzu wäre eine Form des emanzipatorischen Grundeinkommens notwendig, welche die Autonomie von Menschen fördert. Ziele der Sozialen Arbeit sollten die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe – etwa durch Zugang zu Bildung, leistbares Wohnraum und Gesundheitsvorsorge – und die Förderung eines selbstbestimmten Lebens sein. Hierzu kann ein emanzipatorisches Grundeinkommen einen wertvollen Beitrag leisten.


6. Fazit

Es gibt kein einheitliches Konzept für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Es existieren verschiedene Varianten und Modelle zur Umsetzung. Unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte und Strömungen wie beispielsweise linke und emanzipatorische Bewegungen und Parteien, aber auch UnternehmerInnen globaler Konzerne wie Mark Zuckerberg und Elon Musk oder Parteien wie die liberale FDP befürworten die Einführung eines BGEs.

Die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse in ihrer aktuellen neoliberalen Ausprägung bringen notwendigerweise Zwang zur Lohnarbeit, lange Arbeitszeiten, psychischen Druck und (Selbst-)Ausbeutung für den Großteil der arbeitenden Bevölkerung mit sich. Die unteren sozioökonomischen Schichten beziehungsweise Klassen sind mit Deklassierung, niedrigen Löhnen sowie prekären und unsicheren Arbeitsverhältnissen und Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die Digitalisierung und die stetige Entwicklung der Produktivkräfte – also der technische Fortschritt in der Produktion – können das Problem der gesellschaftlichen Verteilung von Arbeitszeit und Reichtum weiter verschärfen. Ebenso lassen die sich derzeit auf einem Rekordstand befindenden Arbeitslosenzahlen aufgrund der Covid-19-Krise die Krisenhaftigkeit und Widersprüche des Kapitalismus stark hervortreten.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen bricht weder mit der kapitalistischen Logik des Marktes noch löst es alle bestehenden sozialen Probleme. In einer emanzipatorischen Variante, also mit einem Betrag, der über der Armutsschwelle angesetzt ist, würde es jedoch konkrete Verbesserungen der Lebensbedingungen vieler Menschen bedeuten. Eine finanzielle Absicherung, welche in Form eines garantierten Rechts jedem/r BürgerIn zusteht, erhöht die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und die Teilhabemöglichkeiten am sozialen und kulturellen Leben. Wie aus der Armutsforschung bekannt ist, wirkt sich Armut auch auf den Gesundheitszustand von Betroffenen aus; eine finanzielle Absicherung und ein Anspruch auf qualitative Gesundheitsversorgung für alle fördert die Gesundheit der unteren Einkommensschichten. Existenzängste, dadurch ausgelöste psychische Krankheiten und beispielsweise Kinderarmut könnten reduziert werden. Ebenso wäre die Soziale Arbeit nicht mehr so stark mit dem Kampf um das Mindeste – also minimale existenzsichernde Leistungen – beschäftigt und könnte sich vermehrt auf Beratungsleistungen, soziale Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe der KlientInnen konzentrieren.

Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn dies als Teil größerer gesellschaftlicher Transformationsprozesse geschieht. Ein BGE ohne Begleitmaßnahmen könnte beispielsweise dazu führen, dass der Mehrbetrag durch sinkende Löhne und erhöhte Lebenskosten wieder wegfällt. Sozialpolitische Maßnahmen wie ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr, starke Besteuerung von Grund und Vermögen und Reformen im Bereich der Bildung müssten gemeinsam mit der Einführung eines BGE forciert werden. Es ist fraglich, ob dies innerhalb der herrschenden Verhältnisse umsetzbar ist, und welche politischen und gesellschaftlichen Kräfte dies bewerkstelligen würden. Es existieren weder die politischen Mehrheitsverhältnisse in Österreich noch eine Zustimmung im überwiegenden Teil der Bevölkerung für solche Maßnahmen: Je nach Umfrage sind zwischen 46 % und 72 % der Bevölkerung für eine Vermögenssteuer ab einer Million Euro, zwischen 21 % und 40 % sind strikt dagegen (vgl. Dimmel 2019: 205). Vermögens- und Erbschaftssteuern, eine Grundsicherung für Kinder wie im Modell der Volkshilfe oder ein Bedingungsloses Grundeinkommen werden von keiner relevanten Partei vehement eingefordert. Viel eher werden sie von der – eine Politik des neoliberalen Marktes befürwortenden – Mehrheit aus ÖVP, FPÖ und NEOS abgelehnt und blockiert (vgl. ebd.: 205).

Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens bedeutet nicht die Abschaffung von Ausbeutung, Kapitalismus und sozialer Ungleichheit. Daher benötigt es weiterhin gesellschaftskritische Stimmen und Kräfte, die politische Kämpfe im Sinne einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der arbeitenden Menschen führen. Trotzdem könnte das BGE ein möglicher Zwischenschritt sein und den Diskurs über die Frage, wie wir leben wollen und was ein gutes Leben für alle ist, anregen und zu einer breiten Debatte und möglichen gesellschaftlichen Transformationsprozessen führen. Die Soziale Arbeit und ihre ProfessionistInnen sollten sich, trotz der Verstrickungen in das herrschende System, in den Diskurs über alternative Gesellschaftspraktiken und Formen der Ökonomie einbringen und sich für eine Verbesserung der Lebenswelt ihrer KlientInnen einzusetzen. Dies kann in vielfältiger Art und Weise geschehen, etwa über politisches Engagement in Gewerkschaften, Parteien oder sozialen Bewegungen, wie der Klimabewegung oder feministischen Initiativen, und über die Organisation im Berufsverband, in Basisinitiativen und politischen Gruppen. Mit Marx gesprochen, geht es um die Schärfung der „Waffen der Kritik“, um emanzipatorische Veränderungen und Kämpfe möglich zu machen.


Verweis
1 Der Artikel basiert auf der Seminararbeit Das Bedingungslose Grundeinkommen und die Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Soziale Arbeit, die bei Herrn DDR. Nikolaus Dimmel im Rahmen der Lehrveranstaltung „Politikwissenschaftliche und soziologische Perspektiven Sozialer Arbeit“ verfasst wurde.


Literatur

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Über den Autor


Markus Deutsch, BA, Jg. 1996

Studium der Sozialen Arbeit an der FH Burgenland. In der privaten Kinder- und Jugendhilfe (Flexible Hilfen) in der Steiermark tätig.