soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort Eisenstadt
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/000/000.pdf


Karin Schmid:

Wenn es ohne fremde Hilfe nicht mehr geht

Beratung zu Pflegeoptionen und Einzugsmanagment bei der Aufnahme in ein Pflegeheim als Aufträge an die Soziale Arbeit


1. Einleitung

Eine demographische Studie der Statistik Austria (2019), betreffend die Bevölkerungsentwicklung Österreichs von 2018 bis 2100, zeigt die Relevanz des Themas Pflege auf der Makroebene: Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren in der gesamten Bevölkerung Österreichs wird voraussichtlich bis 2050 von derzeit 19 auf 28 Prozent steigen. Wird die Altersgruppe der 80-Jährigen und Älteren betrachtet, sind in etwa 30 Jahren 1.070.000 Menschen unmittelbar vom Thema Betreuung und Pflege betroffen; mit ihnen, mittelbar, ihre Angehörigen. Auf Mikroebene bedeutet das Thema Pflege oftmals eine Überforderung der Betroffenen. Divergente Sichtweisen, Vorstellungen oder Erwartungen an die Pflege bedingen unterschiedlichste Präferenzen. Finden diese bei der Entscheidung für eine Pflegealternative Berücksichtigung, kann daraus Zufriedenheit und ein gelingendes Leben resultieren.

Mit dem Thema Pflege und Betreuung habe ich mich während meiner Tätigkeit in einem Pflegeheim auseinandergesetzt und die von Sabine Altmann (2014) beschriebenen Phasen einer Übersiedlung sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für die Betroffenen beobachtet. Meine Wahrnehmungen im Kontext einer neu in das Pflegeheim gezogenen Bewohnerin haben folgende Forschungsfragen aufgeworfen: Welche Kriterien beeinflussten Frau K. bei der Auswahl des Pflegeheimes? Kann eine Verbindung zwischen den nach den ersten Monaten beobachteten physischen und psychischen Veränderungen und dem Einzug in das Pflegeheim hergestellt werden? Welche Aufgaben leiten sich aus den Antworten auf diese Fragen für die Soziale Arbeit ab? Die Fragen deuten zum einen auf die sozialarbeiterischen Arbeitsbereiche in der Erwachsenensozialarbeit, im Speziellen mit alten und älteren, pflegebedürftigen Menschen hin. Zum anderen können die Ergebnisse der durchgeführten Fallstudie als Grundlage für eine zukünftige Planung von Pflegeeinrichtungen dienen. Zur Datenerhebung wurden mit der Adressatin und – zur Generierung von Vergleichswerten – mit sieben weiteren älteren Personen Interviews geführt. Ethnografische Beobachtungen im Pflegeheim ergänzen die Studie.

Bevor die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert werden, werden mögliche Einflussfaktoren auf individuelle Entscheidungen hinsichtlich Pflege und Betreuung umrissen. Die Wahl für eine bestimmte Pflegeform wird etwa durch Erlebnisse während der gesamten Lebensspanne, durch entwickelte Copingstrategien oder Veränderungen im Alter, wie sie zum Beispiel Krankheiten bedingen, beeinflusst. Subjektive Wirklichkeiten, basierend auf individuellen Wahrnehmungen wirken prägend und werden im Folgenden mit Alterstheorien in Verbindung gebracht. Die Vielzahl an Einflussfaktoren und die daraus resultierenden Präferenzen werden zudem im Kontext des Aufgabengebietes der Sozialen Arbeit betrachtet. Im Anschluss an die Darstellung des Forschungsdesigns erfolgt die Präsentation der Fallvignette sowie der generierten Ergebnisse mittels derer die formulierten Forschungsfragen beantwortet werden.


2. Theoriebezüge

2.1 Einflüsse auf subjektive Entscheidungskriterien bezüglich Betreuung und Pflege

Im Kontext der zunehmenden Individualisierung können bei älteren Menschen höhere Ansprüche in Bezug auf eine selbstbestimmte Lebensgestaltung und Lebensweise beobachtet werden. Dies beeinflusst die Auswahlfaktoren für Betreuung und Pflege (vgl. Thiersch 2012: 159–162). Entscheidungskriterien werden unter anderem von den Lebensereignissen bestimmt, wie einige Beispiele zeigen werden.

Pflege im Allgemeinen und Pflegeheime im Besonderen haben eine historisch belastete Vergangenheit, welche viele der aktuell pflegebedürftigen Menschen noch unmittelbar miterlebt haben. Pflegeheime, die als Einrichtungen für unwertes Leben gesehen wurden und deren Bewohner*innen Opfer der Euthanasieprogramme der Nationalsozialist*innen wurden (vgl. Mettauer 2017; vgl. Land Burgenland 2020), sind nach wie vor im Bewusstsein präsent. Nach dem Ende des Nationalsozialismus waren Pflegeheime als Armenhäuser bekannt, welche ausschließlich von finanziell benachteiligten Menschen aufgrund mangelnder Alternativen in Anspruch genommen wurden. Diese Situation brachte eine gesellschaftliche Stigmatisierung der Pflegeheimbewohner*innen mit sich. Erving Goffman beschreibt in seinem Buch Asyle (2018) Merkmale psychiatrischer Kliniken und Gefängnisse und bezeichnet diese Einrichtungen als Totale Institutionen. Goffman (2018: 16) schreibt Pflegeheimen ähnliche Eigenschaften zu, wobei er als Hauptmerkmale den ständigen Aufenthalt der Insass*innen in der Institution und die Unterscheidung aller Mitglieder in Stab und Insass*innen nennt.

Eine weitere negative Konnotation verursachte der Lainzer Pflegeskandal im Jahr 1989. Die Willkür und Brutalität von Seiten der Pflegkräfte führten bis zum Tod von zu pflegenden Personen. Die Erinnerung an solche Zustände kann noch heute Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit hervorrufen. Pflegeheime werden nach wie vor zumindest mit Einbußen der persönlichen Freiheit in Verbindung gebracht oder als Endstation mit dem Pflegeauftrag „Satt-Sauber-Still“ gesehen beziehungsweise gefürchtet (vgl. Altmann 2014: 26–27). Diese Ereignisse sind durch gesellschaftliche oder kulturelle Begebenheiten bedingt und beeinflussen die Lebenssituation vieler, teilweise mittelbar betroffener Menschen. Daraus kann die Betroffenheit ganzer Alterskohorten resultieren.

Erwartbare und unerwartete individuelle, kritische Lebensereignisse wie etwa der Tod der*des Partner*in oder des eigenen Kindes (vgl. Hof/Maier-Gutheil 2014: 148–149) sowie Übergänge zwischen Lebensphasen (vgl. Kricheldorff/Aner/Himmelsbach/Thiesemann 2015: 751) können weitere Einflussfaktoren auf die individuelle Entscheidung für Betreuung sein. Der Übertritt in den Ruhestand stellt einen solchen Übergang dar und hat weitreichende Folgen für die*den Einzelnen, wie etwa den Rollenverlust als angesehene*r und geschätzte*r Mitarbeiter*in eines Betriebes. Diese Ereignisse beeinflussen im Gegensatz zu den gesellschaftlichen oder kulturellen die Lebensspanne einzelner, davon unmittelbar betroffener Personen (vgl. Kricheldorff et al. 2015: 751; vgl. Laukel-Pfeiffer 2005: 113–118).

Weitere Einflussfaktoren auf die Auswahl einer Betreuungs- und Pflegealternative sind die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen oder deren Berufstätigkeit. Darüber hinaus wird die Entscheidung für die stationäre Pflege unter anderem durch die Wohnsituation, etwa nicht barrierefreie Gebäude (vgl. Altmann 2014: 43–44; vgl. Laukel-Pfeiffer 2005: 112–113) oder die Größe der Wohnung, bedingt. Eine mangelnde oder fehlende Infrastruktur – naheliegende Einkaufsmöglichkeiten oder Ärzt*innen – beeinflussen ebenso die Entscheidung, wie die Frage der Leistbarkeit einer Betreuungs- und Pflegealternative. Die genannten Aspekte stellen Einflussfaktoren auf Meso- und Mikroebene dar (vgl. Altmann 2014: 42–43).

Alterstheorien versuchen, die aus den verschiedensten Lebensereignissen entwickelten, individuellen Handlungsstrategien zu beschreiben und zu erklären.


2.2 Alterstheorien

Durch die individuelle Verarbeitung bestimmter Lebensereignisse entstehen vielfältige Copingstrategien (vgl. Hof/Maier-Gutheil 2014: 148), die in wissenschaftlichen Alterstheorien beschrieben und konzeptualisiert wurden. Alterstheorien sind Konstruktionen der Wirklichkeit, welche im Speziellen Veränderungen der sozialen Beziehungen und Netzwerke älterer Menschen beschreiben und gleichzeitig die Ursachen für diese Veränderungen zu erfassen versuchen (vgl. Tesch-Römer 2010: 41). Die Vielzahl existierender Alterstheorien lässt auf die Individualität der Menschen schließen. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf zwei Theorien: die Aktivitätstheorie (vgl. Tesch-Römer 2010: 52–53; vgl. Kricheldorff et al. 2015: 754) und die Kontinuitätstheorie (vgl. Tesch-Römer 2010: 53–54). Auf beide kann in der vorliegenden case study Rückschluss gezogen werden.

Die von Rudolf Tartler entwickelte Aktivitätstheorie geht von Rollenverlusten, sozialem Rückzug und einer Abnahme sozialer Kontakte älter werdender Menschen aus. Dies wird nicht als gewünschter Prozess, sondern als negativer Faktor für das subjektive Wohlbefinden beschrieben. Es ist dieser Theorie zufolge erforderlich, die verlorenen Rollen und Aktivitäten durch andere, neue zu ersetzen und dadurch ein positives Selbstbild zu generieren (vgl. Tesch-Römer 2010: 52–53; vgl. Kricheldorff et al. 2015: 754). Im Gegensatz dazu geht Robert Atchley in seiner Kontinuitätstheorie von einem gelingenden, zufriedenen Leben aus, sofern die Kontinuität und Struktur des Lebens aufrechterhalten werden kann. Zufriedenheit wird zum Beispiel dann als gegeben angenommen, wenn der gewünschte Lebensstil über die verschiedenen Lebensphasen beibehalten werden kann. Diese Annahme schließt Veränderungen jedoch nicht aus, vielmehr werden sie in das bestehende Leben integriert, wodurch Kontinuität empfunden werden kann. Die Kontinuitätstheorie geht von einem selbstbestimmten Lebensstil aus, Individualität im Altersprozess wird betont (vgl. Tesch-Römer 2010: 53–54; vgl. Kricheldorff et al. 2015: 754).

Werden gesellschaftliche, kulturelle und soziale Einflussfaktoren und Überlegungen aus den Alterstheorien bei der Beratung berücksichtigt, können optimale Voraussetzungen geschaffen werden, damit ältere Menschen ein gelingendes Leben führen können. Der dafür erforderliche holistische Blick stellt eine Kernkompetenz der Profession Soziale Arbeit dar.


2.3 Aufgaben der Sozialen Arbeit im Kontakt mit älteren Menschen

Erwachsenensozialarbeit, im Speziellen mit älteren Menschen, bietet nach wie vor Entwicklungspotential. Eine Ursache dafür ist historisch bedingt, da die Altenarbeit die längste Zeit ausschließlich von Pflegeberufen übernommen wurde. Die Versorgung konzentrierte sich auf die körperlichen Defizite, ganzheitliche Ansätze unter Berücksichtigung psychosozialer Aspekte entwickelten sich erst allmählich.

Soziale Arbeit mit älteren Menschen bedarf besonderer Konzepte, etwa in Hinblick auf die Zielformulierung, welche zum Beispiel von Kindern oder jüngeren Erwachsenen als Adressat*innen abweicht. Progredienz in der Entwicklung der betroffenen Personen ist in nur wenigen Fällen erwartbar, das Ziel ist eher Regredienz zu minimieren. Dies spiegelt sich in den drei für ältere und pflegebedürftige Menschen beschriebenen Zielkategorien wider: Wachstum, Aufrechterhaltung einschließlich Wiederherstellung des Status quo und Regulation von Verlusten (vgl. Oswald/Franke 2014: 187). Für eine gelungene Formulierung von Zielen durch die betroffenen Personen und ihre Angehörigen gemeinsam mit der Sozialen Arbeit, ist eine Vielzahl an Schritten erforderlich. Information und Beratung umfassen eine ressourcenorientierte Erarbeitung von alternativen Lösungs- und Handlungsansätzen, Themenbereiche sind zum Beispiel sozialrechtlicher und finanzieller Natur, die Gestaltung einer barrierefreien Wohnung, Netzwerkarbeit sowie die Pflege im organisatorischen Sinn. Bei einem Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung ist zum einen die Vorbereitung dieser Übersiedlung inklusive der erforderlichen Formalitäten und die psychosoziale Betreuung der betroffenen Person und deren Angehöriger indiziert. Zum anderen ist eine Begleitung während der ersten Wochen nach dem Umzug angebracht. Speziell in Pflegeheimen kann die Beratung und Betreuung der Pflegekräfte und die Leitung der Einrichtung sowie des ehrenamtlichen Teams zu den Aufgaben der Sozialen Arbeit zählen (vgl. Kricheldorff et al. 2015: 752–753; vgl. Vogel 2010: 152–154).


2.4 Forschungsdesign

Die für die Beantwortung der eingangs formulierten Fragen erforderlichen Daten wurden zum einen durch Literaturrecherche, zum anderen in Form eines narrativen Interviews (K1) sowie eines fokussierten Interviews (K2) mit Frau K., einer Bewohnerin in einer Pflegeeinrichtung, erhoben. Zudem wurde ein leitfadengestütztes Interview mit der Pflegemanagerin (PM) eines Pflegeheimes geführt und es wurden ethnografische Beobachtungen (Feldnotizen) gemacht. Um divergente Perspektiven auf die individuellen Präferenzen hinsichtlich der Pflege zu erlangen, wurden ergänzend Einzel- und Paarinterviews mit älteren, nicht pflegebedürftigen Personen geführt. Informationen zu den weiteren Interviewpartner*innen finden sich in der nachfolgenden Tabelle:

Interviewpartner*innen Familienstand Alter Pflegestufe Wohnform
Frau K. Verwitwet 76 6 Pflegeheim
Pflegemanagerin (PM)
IP2 Verwitwet 80 0 Einfamilienhaus
IP3 Ledig 61 0 Wohnung
IP4 geschieden 69 0 Wohnung
IP5a und IP5b Partnerschaft 67/77 0/0 Kleingartenhaus
IP6a und IP6b Ehepaar 65/63 0/0 Wohnung

Tabelle 1: Interviewpartner*innen.


Die aus den Interviews mit Frau K. und den ethnografischen Beobachtungen generierten Daten wurden mittels Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996), die weiteren Interviews mittels Themenanalyse (vgl. Froschauer/Lueger 2003: 158–165) ausgewertet.


3. Fallstudie

Während meiner Tätigkeit in einem Pflegeheim konnte ich eine Bewohnerin unmittelbar nach Einzug in die Pflegeeinrichtung über drei Monate begleiten und ein narratives Interview, ein auf das Thema Heimeintritt und -aufenthalt fokussiertes Interview sowie zahlreiche Gespräche führen. Im Zuge der Interviews berichtete Frau K. im Jahr 2000, die Diagnose Morbus Parkinson (vgl. Georg/Hummel 2005: 155–159) erhalten zu haben (vgl. K1: 329–330). Krankheitssymptome, vor allem die Instabilität der Körperhaltung, führten zu motorischen Einschränkungen, sodass sie nur noch mit Hilfe des Rollators selbständig mobil war. Das Aufstehen während der Nacht und am Morgen wurde von Frau K. aufgrund der Steifheit der Muskulatur als sehr mühevoll bis unmöglich beschrieben. Kognitiv bestanden meines Erachtens nach keinerlei Beeinträchtigungen.

Frau K. entschied sich laut eigener Aussage zum Heimeintritt, um ihrer Familie nicht zur Last zu fallen. Sie wolle nicht laufend um Hilfe bitten müssen (vor allem nachts), zusätzlich beschreibt sie die Heimhilfe als nicht mehr ausreichende Unterstützung (vgl. K2: 25–28). Für eine 24-Stunden-Betreuung waren die räumlichen Voraussetzungen im Haus nicht gegeben, da der Enkel von Frau K. mit seiner Familie im gleichen Haus wohnte (vgl. K2: 14). Während des Tages war Frau K. allein, sie konnte aufgrund der baulichen Gegebenheiten das Haus nicht selbstständig verlassen. Die daraus resultierende Isolation war ein weiterer Grund für die Entscheidung zum Heimeintritt (vgl. Feldnotiz: 167–170).


3.1 Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich der Pflege

Die von Frau K. angeführten Gründe für die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung, wie Isolation, mangelnder Platz, unzureichende Unterstützung oder den Kindern nicht zur Last fallen zu wollen, wurden auch von den anderen Interviewpartner*innen genannt. Soziale Kontakte wurden zum Beispiel in den Interviews durchgängig als essentiell beschrieben, divergent war jedoch die Betrachtung, in welchem Umfeld diese zu finden sind. Zum einen wurden soziale Kontakte aus der privaten Umgebung als positiv beschrieben, professionelle tendenziell negativ. Zum anderen wurde die Intensität der Kontakte im institutionellen Kontext höher eingeschätzt als zu Hause und dementsprechend positiv bewertet.

Das Interviewpaar IP5 äußerte allerdings Bedenken, inwieweit alte und pflegebedürftige Menschen über soziale Kontakte verfügen. Entsprechend ihrer persönlichen Erfahrung seien diese Menschen oft allein, Angehörige würden arbeiten und sie höchstens am Abend besuchen (vgl. IP5b: 259–263). Auf die Frage, ob sich IP5a für die eigene Pflege ein Pflegeheim vorstellen könne, antwortete sie: „[I]ch kann es mir momentan jetzt nicht vorstellen […], wenn ich dann alleine bin kann ich mir dann schon vorstellen, dass ich in ein Heim gehe.“ (IP5a: 488–490)

Die Interviewten IP6a und IP6b beschrieben das Leben der Eltern aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen als sehr zurückgezogen, weiters wäre das Haus nicht rollstuhlgerecht, wodurch es von den Eltern ohne Unterstützung nicht verlassen werden konnte (vgl. IP6a: 103–107). Nachdem eine Heimhilfe nicht mehr ausreichend Unterstützung bieten konnte, entschieden sich IP6a und IP6b gemeinsam mit den Eltern für die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Betreuung (vgl. IP6a: 512–525). Diese Möglichkeit steht dem Interviewpaar IP5a und IP5b aufgrund der beengten Wohnsituation nicht zur Verfügung (vgl. IP5b: 100–101).

Als ein weiterer Punkt wurde von Frau K. angesprochen, dass sie ihrer Familie nicht zur Last fallen möchte. Diesen Aspekt führte auch der Interviewpartner IP6b hinsichtlich der Nachbar*innen an. Ebenso beurteilte IP3 die Situation. Sie möchte niemandem zur Last fallen und es soll alles geregelt sein. Sie erzählte, dass sie sich nicht fühlt, als würde sie jemanden belasten und belästigen, wenn zum Beispiel eine Krankenschwester für die Leistung bezahlt wird (vgl. IP3: 637–640).


3.2 Copingstrategien und Rollenverlust

Frau K. wirkte unmittelbar nach dem Einzug in das Pflegeheim positiv und war froh darüber, sich nicht mehr um alles kümmern zu müssen. Sie freute sich auch zu Bekannten wieder vermehrten Kontakt haben zu können, welche bereits im Pflegeheim wohnten. Frau K. sprach aufgrund ihres offenen, kommunikativen Wesens andere Menschen direkt an und suchte aktiv den Kontakt, sodass sie bereits innerhalb der ersten Woche weitere Bewohner*innen sowie Nachbar*innen des Pflegeheimes kennenlernte (vgl. Feldnotiz: 25). Frau K. verfügte früher über einen umfangreichen Freundes- und Bekanntenkreis. Mit Bezug auf die erwähnten Alterstheorien weist die aktive Kontaktaufnahme mit anderen Bewohner*innen und Nachbar*innen des Pflegeheimes hier also auf die Aktivitätstheorie nach Tartler hin. Frau K. versuchte die aufgrund des Umzuges in das Pflegeheim verloren gegangenen Kontakte, zum Beispiel zu ihren Nachbar*innen oder Freund*innen, durch ihre soziale Aktivität im Pflegeheim und in der Umgebung zumindest teilweise zu kompensieren.

Frau K. erzählte wiederholt von ihrem Garten, welcher für sie schon immer ein Platz zum Ablenken und Entspannen war (vgl. K1: 232–243). Nachdem sie diesen in den letzten Monaten zu Hause nur noch mit großem Aufwand und Unterstützung anderer betreten konnte, widmete sich Frau K. unmittelbar nach dem Umzug der Pflege der Grünanlagen und des Therapiegartens rund um das Pflegeheim. Dies wurde von ihr sehr positiv beschrieben: sie genieße die wiedererlangte Freiheit, denn hier könne sie sich mit Unterstützung ihres Rollators selbstständig bewegen (vgl. Feldnotiz: 70, 128–130). Frau K. konnte trotz der massiven Veränderungen ihres Umfelds subjektiv wichtige Tätigkeiten wieder ausüben und so ihrem Leben eine gewisse Kontinuität zurückgeben. Hierin wiederum zeigt sich eine Parallele zu der von Atchley entwickelten Kontinuitätstheorie. Sowohl die aktive Suche nach neuen sozialen Kontakten als auch die Wiederaufnahme von gewohnten Tätigkeiten können als erfolgreiche Versuche gesehen werden, das bisher gewohnte Leben in der veränderten Umgebung und Situation fortzuführen.

Die durch den Umzug entstandenen Rollenverluste beziehungsweise die damit einhergehende Stigmatisierung (vgl. Goffman 2018: 16–24) versuchte Frau K. durch Kontaktaufnahme mit den Angestellten des Pflegeheimes, zum Beispiel mit der Leitung oder dem Küchenchef, zu kompensieren respektive zu verhindern (vgl. Feldnotiz: 72–73). Sie unterstützte Pflegekräfte bei der sozialen Betreuung einzelner, ihr persönlich bekannter Bewohner*innen und ihrer Angehörigen (vgl. Feldnotiz: 63–65). Durch diese Kontaktaufnahmen beziehungsweise Übernahme von Rollen des Pflegeheimpersonals konnte sie der von Goffman beschriebenen Stigmatisierung als Insassin entgegenwirken (vgl. Goffman 2018: 158). Sie stieß dabei auf den Widerstand einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin, welche Frau K. mehrfach auf die ihr zugeschriebene Rolle verwies. Beispielsweise schob sie Frau K. mit dem Hinweis, mehr Platz am Tisch zu brauchen, gegen ihren deutlich geäußerten Willen mit dem Rollstuhl an einen anderen Tisch im Speisesaal (vgl. Feldnotiz: 87–97), wodurch sie Frau K. auf die Rolle der Insassin reduzierte.

Frau K. versuchte sich trotzdem aktiv in den Alltag einzubringen und Verbesserungen im Pflegeheim zu initiieren. Zum Beispiel machte sie der Leitung verschiedene Vorschläge zur Gestaltung der Kästen in den Zimmern, da diese in der aktuellen Form von ihr als Benutzerin eines Rollstuhles nicht erreicht werden konnten. Kleine Veränderungen, so merkte sie an, die im Zuge des Pflegeheimumbaus durchgeführt werden könnten, würden eine Erhöhung der Selbstständigkeit der Bewohner*innen bedeuten. Diese Vorschläge wurden von der Leitung des Pflegeheimes angehört, jedoch folgte nie eine entsprechende Nachfrage oder Umsetzung, obwohl Frau K. sehr konkrete Vorschläge gebracht hatte (vgl. K2: 62–86).

Während der Interviews erzählte Frau K., wenig Unterstützung von ihrer Familie erhalten zu haben, während sie selbst immer wieder allen geholfen habe. Sie habe zum Beispiel ihren Vater und ihre Mutter allein, ohne Unterstützung ihrer Geschwister gepflegt (vgl. K1: 173–174, 207–213, 342–343). Sie habe sich immer selbst geholfen, wäre immer sehr selbstständig und selbstbestimmt gewesen. Es hätte oftmals eine hohe Kraftanstrengung gebraucht, aber sie hätte sich dadurch ihren Stolz wahren können (vgl. K1: 207–215, 228–235). Dieses selbstbestimmte Leben wurde durch die Struktur des Pflegeheimes – als eine von Goffman (2018: 211) beschriebene Totale Institution – nahezu verunmöglicht. Ein Beispiel dafür sind die vorgegebenen gemeinsamen Essenszeiten, in Kombination mit Disziplinierungsmaßnahmen im Falle von deren Nichteinhaltung: bei nicht rechtzeitiger Anwesenheit wird das Essen in die Küche zurückgeschickt (vgl. K2: 116–119). Zum bisherigen selbstbestimmten Leben von Frau K. gehörte auch die Verantwortung für die Einnahme ihrer Medikamente, im Pflegeheim erfolgt die Gabe durch die Pflegekräfte. Frau K. reklamierte des Öfteren Tabletten zu spät zu erhalten, was speziell bei den Medikamenten für Morbus Parkinson, welche über den Tag einen gleichbleibenden Spiegel aufweisen müssen, ein Problem für sie gewesen sei (vgl. Feldnotiz: 7–13). Dieser beschriebene Verlust der Autonomie bei alltäglichen, selbstverständlichen Handlungen kann zu einem Ohnmachtsgefühl der Bewohner*innen führen (vgl. Goffman 2018: 48–52).

Etwa einen Monat nach Umzug in das Pflegeheim traten wiederholt Probleme zwischen Frau K. und ihrer Zimmernachbarin auf. Diese schrie Frau K. wegen Belanglosigkeiten an oder beschuldigte sie des Diebstahls (vgl. K2: 78–79, 106–111). Obwohl ähnliche Vorfälle mit früheren Zimmernachbarinnen bereits bekannt waren, bekam Frau K. anfangs kaum Unterstützung durch die Pfleger*innen. Zu dieser Zeit war meines Erachtens eine Verschlechterung der körperlichen Verfassung feststellbar. Frau K. konnte aufgrund vermehrten Zitterns und erhöhter Instabilität des Körpers nur noch kurze Strecken innerhalb des Zimmers mit dem Rollator gehen, die überwiegende Zeit des Tages saß sie in ihrem Rollstuhl. Deutlich merkbar waren die Verschlechterungen bei Aufregung (vgl. Feldnotiz: 108–109). Während der beschriebenen Situationen konnte sich Frau K. nicht mit ihren angeeigneten Copingstrategien helfen, um sich ihre Selbstbestimmung zu wahren, sie war trotz aller Anstrengungen machtlos.

Die von Frau K. erlebten und beschriebenen Erfahrungen wurden von anderen Interviewten ebenfalls thematisiert. IP3 forderte zum Beispiel Selbstbestimmung, denn es wünsche sich kein Mensch, von jemand anderem abhängig zu sein. Vielmehr wünsche sie sich tun zu können, was sie wolle. Als Beispiele nannte sie basale Bedürfnisse wie schlafen zu gehen, wann sie selbst es wünscht, oder selbst entscheiden zu können, wie lange sie am Morgen schläft (vgl. IP3: 319–324). Unsicherheit und Hilflosigkeit wurden auch in Bezug auf effektive Pflegehandlungen von IP2 beschrieben. Sie fragte sich, wie sich fremde Menschen um sie kümmern würden, ob sie etwas zu essen bekommen würde und ihre Wünsche Berücksichtigung finden würden (vgl. IP2: 26–29).


3.3 Verletzter Stolz

Sich trotz aller Bemühungen um Selbstständigkeit und Selbstbestimmung in der inaktiven und machtlosen Rolle der Bewohnerin wiederzufinden und sich innerhalb dieser zu bewegen, verlangte von Frau K. eine hohe Anpassungsleistung. Um die benötigte Dienstleistung der Pflege zu erhalten, ist es nicht nur erforderlich dafür zu bezahlen, sondern es bedarf auch der Kenntnis über die Autoritäten und die Akzeptanz der Struktur, der Richtlinien und des definierten Regelwerks der Totalen Institution Pflegeheim (vgl. Goffman 2018: 48–50). Frau K. formulierte es so: „Jetzt muast Ess‘n geh’n, jetzt muast tringa, jetzt muast aufs Klo geh‘n‚ ‚weul daunn kumm i net‘ [Pflegekraft], des muast da ois einteun. […] do muast di scho übawind’n.“ (K2: 116–117, 119)

Frau K. erzählte auch von vereinbarten Terminen für die Körperpflege, die aber von den Pflegekräften verschoben oder abgesagt worden wären, ohne sie zu informieren (vgl. K2: 598–603). Frau K. reagierte darauf, indem sie sich selbstständig duschte. Es würde zwar eine große Anstrengung bedeuten sowie eine gewisse Unfallgefahr darstellen, aber sie wolle nicht immer nur bitten und warten müssen (vgl. K2: 584–594). Frau K. berichtete im fokussierten Interview darüber hinaus von einem Erlebnis, welches in den weiteren Gesprächen wiederholt von ihr thematisiert wurde. Sie ersuchte während der Nacht eine Pflegekraft um Unterstützung beim Aufstehen, da sie auf die Toilette musste. Diese meinte, sie solle selbständig aufstehen, sich bemühen. Dies war Frau K. jedoch aufgrund der Muskelsteifheit, einem typischen Morbus Parkinson Symptom, kaum möglich. Trotz wiederholter Bitte wurde Frau K. nicht geholfen. Ab diesem Moment hätte sie am Abend immer darauf geachtet, welche Pflegekraft im Nachtdienst ist. Sie hätte dieser Pflegerin nicht mehr geläutet, sondern wäre allein auf die Toilette gegangen. Dies stelle eine erhöhte Unfallgefahr analog dem selbstständigen Duschen dar, jedoch würde sie sich dieser entwürdigenden Situation nicht nochmals aussetzen wollen (vgl. K2: 414–421).

Erlebnisse, die mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Abhängigkeit von den Pflegekräften bei der Befriedigung basaler Bedürfnisse verbunden waren, oder die Machtlosigkeit beispielsweise gegenüber der ehrenamtlichen Mitarbeiterin verursachten für Frau K. Stress und Aufregung. Diese Situationen ließen sich nur sehr schwer in das Leben von Frau K. integrieren oder durch Copingstrategien bewältigen. Jeweils nach diesen Erlebnissen – das Verweisen auf die Rolle der Insassin durch die ehrenamtliche Mitarbeiterin, die fehlende Unterstützung der Pflegekräfte während der verbalen Angriffe ihrer Zimmernachbarin oder die Verweigerung der erforderlichen Hilfe bei basalen Bedürfnissen – ließen sich negative physische und psychische Veränderungen bei Frau K. beobachten. Die Instabilität des Körpers nahm zu, die Gespräche gestalteten sich im Vergleich zu denen kurz nach Einzug in das Pflegeheim deutlich verändert. Frau K. erzählte vorrangig von negativen Ereignissen, wirkte bedrückt und weinte (vgl. Feldnotiz: 138–142). Die oben angeführten Situationen wurden zum ständigen Gesprächsinhalt, ebenso einige Gründe für den Pflegeheimeinzug (vgl. K2: 174–177). Obwohl Frau K. der Meinung war, die Abläufe in einem Pflegeheim zu kennen, war sie auf die tatsächliche Situation nicht vorbereitet (vgl. K2: 335–365). Dies zeigt deutlich eine Leerstelle im Bereich der Arbeit mit älteren und alten Menschen auf.


3.4 Informations- und Beratungsstellen

Frau K. hatte sich bei der Wahl für das Pflegeheim bei keiner zentralen Informationsstelle bezüglich der bestehenden Angebote erkundigt, sie hat selbstständig verschiedene Pflegeheime besichtigt und sich dann für eines entschieden. Mögliche Alternativen wurden nicht in Betracht gezogen (vgl. K2: 39–50).

Eine zentrale Informations- und Beratungsstelle ist keiner*m der Interviewten bekannt gewesen. Keine umfassenden Auskünfte von einer Stelle zu erhalten, beschrieb ein Interviewpartner als „Hürdenlauf von einer Telefonnummer zur nächsten“ (IP5b: 123–127). Vorrangig wurde von den Interviewten von fehlender Unterstützung bei der Organisation der Pflege gesprochen. Es bestand kaum ein Bewusstsein, wie umfassend die Aufgaben der Sozialen Arbeit hier eigentlich wären und welche Unterstützungsmöglichkeiten geboten werden könnten. Die Aufgabengebiete der Sozialen Arbeit im Kontext des Pflegeheimeinzuges wurden Seitens der interviewten Pflegemanagerin dagegen deutlich hervorgestrichen. Ein funktionierendes Einzugsmanagement würde sowohl den pflegebedürftigen Menschen, deren Angehörigen als auch der Institution und deren Mitarbeiter*innen einen stressfreieren Umzug und in Folge ein gelingenderes Leben ermöglichen (vgl. PM: 58–61, 173–177, 198–200, 256–259). Jedoch sind bereits jetzt weder die organisationalen Anforderungen des Einzugs noch die individuellen Anforderungen der Betroffenen an die Pflegekräfte leistbar und bedingen vielfach eine Überforderung (vgl. PM: 514–521).


4. Zusammenfassung der Ergebnisse

Die für die Untersuchung leitenden Fragen bezogen sich auf die individuellen Kriterien bei der Auswahl des Pflegeheimes, auf die Verbindung zwischen den nach den ersten Monaten beobachteten physischen und psychischen Veränderungen und dem Einzug in das Pflegeheim von Frau K. und auf die Aufgaben der Sozialen Arbeit. Unter Bezugnahme auf das generierte Datenmaterial können diese nun wie folgt beantwortet werden.

Frau K. empfand die zu Hause in Anspruch genommene Unterstützung durch die Heimhilfe aufgrund der fortgeschrittenen Krankheit nicht mehr als ausreichend. Dies führte zur Entscheidung, in ein Pflegeheim zu ziehen. Weitere Ursachen waren die Sorge, ihrem Enkel zur Last zu fallen, die Isolation aufgrund ihrer mangelnden Mobilität und der Wunsch, eine zuverlässige professionelle Hilfe zu erhalten, ohne permanent darum bitten zu müssen. Die Entscheidung war selbstbestimmt – so wie Frau K.s bisheriges Leben auch –, von Freiwilligkeit kann jedoch in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. Der Aufenthalt im Pflegeheim bewegte sich, bedingt durch die Krankheit und deren Auswirkungen, vielmehr zwischen relativer Freiwilligkeit und Zwang.

Das durch das heimische Umfeld geprägte Selbstbild von Frau K. sowie ihre gewohnten Rollen gingen aufgrund des Umzuges respektive des Verlassens ihrer Lebenswelt in hohem Umfang verloren. Die Bewohnerin hatte sich bisher trotz Einschränkungen aufgrund ihrer Erkrankung als selbstbestimmte und starke Frau wahrgenommen, der niemand etwas geschenkt habe und die sich ihr Recht oftmals erkämpfen habe müssen. Dieses Selbstbild konnte aufgrund der strukturellen Gegebenheiten und Vorgaben des Pflegeheimes nicht mehr aufrechterhalten werden, selbst die Verantwortung für die Einnahme der eigenen Medikamente wurde ihr entzogen. Es handelt sich hierbei um unwiderrufliche Verluste, da der Einzug in das Pflegeheim den Eintritt in die unmittelbar letzte Lebensphase bedeutet und eine Rückkehr in das bis dahin gewohnte Lebensumfeld nicht vorgesehen ist. Durch den Aufbau eines sozialen Netzwerkes in ihrer neuen Lebenswelt, versuchte sich Frau K. von den anderen Bewohner*innen abzuheben und neue Rollen einzunehmen. Diese Strategie führte allerdings auch zu einer Konkurrenzsituation mit einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin.

Versuche, die in der bisherigen Lebenswelt entwickelte Copingstrategie Aktivität zu nutzen, waren nur bedingt hilfreich: Konkrete Ideen und Vorschläge, welche etwa eine höhere Autonomie der Bewohner*innen ermöglichen würden, wurden seitens der Institution nicht umgesetzt. Frau K. war es aus ihrer bisherigen Lebenswelt gewohnt, selbstbestimmt ihre Ideen zu realisieren, nun war sie bei der Ausführung auf die Verantwortlichen des Pflegeheims angewiesen. Frau K. konnte die Situation nicht bewältigen, vielmehr kam es zum Gefühl der Hilflosigkeit und zu Unverständnis. Diese Empfindungen wirkten sich verstärkend auf die Krankheitssymptome aus. Ähnliche Konsequenzen konnten in Situationen beobachtet werden, in denen sich Frau K. ungerecht behandelt oder nicht ausreichend unterstützt fühlte.

Die Befriedigung basaler Bedürfnisse wurde zudem von Frau K. als mangelhaft empfunden, was für sie mit dem Verlust der Würde verbunden war. Ein Grund, in das Pflegeheim zu ziehen, war für sie beispielsweise die fehlende Hilfe während der Nacht. Nachdem Frau K. nach der ablehnenden Haltung der Pflegekraft nachts zum Teil allein aufsteht, ist die Sinnhaftigkeit des Umzuges in Frage gestellt. Ein ähnliches Beispiel ist die Unterstützung beim Duschen: Während die Heimhilfe Frau K. zu Hause zur vereinbarten Zeit bei der Körperpflege unterstützt hatte, ist sie in der Pflegeeinrichtung immer wieder mit nicht kommunizierten Terminverschiebungen oder Absagen konfrontiert. Frau K. erlebte einen Verlust ihrer Autonomie und musste eine enorme Anpassungsleistung an die diversen vorgegebenen Richtlinien im Pflegeheim erbringen.


5. Fazit

Einige der zum Heimeintritt führenden Erwartungen und Bedürfnisse von Frau K., nämlich Reziprozität herzustellen oder auf ausreichende professionelle Hilfe zurückgreifen zu können, wurden nach dem Empfinden von Frau K. nicht erfüllt. Ursachen dafür sind unter anderem die von Goffman angeführten Charakteristika Totaler Institutionen. Nachdem Frau K. ihr bisheriges Leben selbstbestimmt geführt hatte, haben diese Veränderungen einen Autonomieverlust und das Empfinden von Ohnmacht bedingt. Bisher erfolgreich angewandte Copingstrategien waren für sie im neuen Umfeld nur begrenzt einsetzbar. Daraus resultierte verletzter Stolz, Stress und das Gefühl, die Würde zu verlieren. Zusätzlich zum chronisch progredienten Verlauf der Krankheit beeinflussten diese Empfindungen möglicherweise die Krankheitssymptome, sie können also mit der beobachteten Verschlechterung des physischen und psychischen Zustandes von Frau K. in Zusammenhang gebracht werden.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen lässt sich ein umfangreicher Arbeitsauftrag für die Soziale Arbeit formulieren. Das Aufgabenfeld müsste die Vermittlung umfassender Informationen über bestehende Pflegeangebote, die Beratung Betroffener bei der Entscheidung und eine Begleitung während der ersten Phase in einem Pflegeheim beinhalten. Die psychosoziale Betreuung der Bewohner*innen im Pflegeheim und ihrer Angehörigen fällt ebenso in den Kompetenzbereich Sozialer Arbeit wie die beratende Unterstützung der Pflegekräfte und des Pflegemanagements oder die Leitung der Einrichtung. Schlussendlich soll die Tätigkeit der Sozialen Arbeit zur Ermöglichung und Förderung eines eigensinnigen und gelingenden Alltags der Bewohner*innen führen.


Literatur

Altmann, Sabine (2014): Der letzte Umzug, Der Weg ins Altersheim für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Hamburg: disserta.

Froschauer, Ulrike/Lueger, Manfred (2003): Das qualitative Interview. Wien: UTB.

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Über die Autorin


Karin Schmid, BA
karin.schmid@fh-burgenland.at

ist ausgebildete Sozialarbeiterin und gerontopsychosoziale Beraterin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Soziales/FH Burgenland in diversen Forschungsprojekten (NEETs, Pflege und Betreuung, Gender und Diversity sowie Evaluation eines Jugendprojekts). Aktuell bildet sie sich im Master Studiengang Soziale Arbeit (FH St. Pölten) weiter. Sie ist ausgebildete Tanzleiterin des Bundesverband Seniorentanz Österreich und leitet die Tanzgruppe „Treffpunkt Tanz“ sowie diverse Workshops.