soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Nachbarschaft“ / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/685/1284.pdf
Sabine Klinger, Andrea Mayr, Romana Rauter & Anita Lerch:
1. Einleitung
Auch wenn die Relevanz von Digitalisierung für unsere Gesellschaft und für die Soziale Arbeit außer Frage steht, lohnt sich eine intensive Auseinandersetzung in diesem Bereich, da Einsatz- und Anwendungsgebiete variieren (vgl. Klinger/Mayr/Sackl-Sharif 2019: 113). Die zunehmende Digitalisierung des Alltags in zeitlicher, räumlicher und sozialer Hinsicht wird auch als digitale Transformation bezeichnet (vgl. Beranek/Hammerschmidt/Hill/Sagebiel 2018: 24). Der damit einhergehende Wandel, der primär durch technologische Innovationen im Bereich der Informationstechnologie (vgl. Kreidenweis 2018: 11) eingeleitet wurde und der nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, passiert auf unterschiedlichen Ebenen und manifestiert sich in Form von Geräten (Computer, Tablets, Smartphones), Infrastrukturen (Netzwerke) und Anwendungen (Software) (vgl. Beranek et al. 2018: 9).
In einer digitalisierten und virtuellen Gesellschaft transformiert sich auch die Arbeit im Bereich der sozialen Dienstleistungen grundlegend. In diesem Bereich steht nicht, wie in anderen Bereichen (z.B. Industrie, Fertigung), die Frage nach der Substituierbarkeit von Tätigkeiten im Zentrum, sondern vielmehr die Frage, wie sich der soziale Dienstleistungsbereich durch diese Transformation verändert. Dies gilt für die Ereignisse und Umstände, auf die soziale Dienstleistungen eine Reaktion darstellen, für die Formen, in denen sie ihren Gegenstand bearbeiten, und für die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich vollziehen (vgl. Kutscher/Ley/Seelmeyer 2015: 3). Prozesse der Digitalisierung verändern die Arbeitsbedingungen und -instrumente der Mitarbeiter_innen sowie die Organisationskultur. Zudem eröffnen sich neue Formen der Zusammenarbeit von Fachkräften. So entstehen bei der Falladministration neben Face-to-Face-Interaktionen in Teams auch „virtuelle Teams“ (Zierer 2018: 14). Gleichzeitig lassen sich Hürden identifizieren, welche der Digitalisierung entgegenstehen. Bei Non-Profit-Organisationen sind dies vor allem mangelnde Ressourcen sowie hohe Anfangsinvestitionen und ein erhöhter Arbeitsaufwand in der Einführungsphase (vgl. Dufft/Keutter/Peters/Olfe 2017: 21). Veränderungen durch die Digitalisierung werden für diese Organisationen in den kommenden Jahren vor allem in einer erhöhten Transparenz und einer effizienteren Abwicklung administrativer Tätigkeiten gesehen. Außerdem könnten Mitarbeiter_innen dadurch flexibler arbeiten und die Vernetzung zwischen verschiedenen Organisationen würde gefördert.
Bajwa, Lewis, Pervan und Lai (2014: 54) fanden anhand von Fallstudien mit Organisationen in Australien und Hong Kong heraus, dass kollaborative digitale Tools vor allem mit dem Zweck der Kommunikation, Informationsverbreitung, Berichtslegung oder Terminkoordination eingesetzt werden. Allerdings kann der Einsatz von digitalen Tools bzw. von Social Media laut Gebhardt (2017: 4ff.) auch unternehmensinterne Strukturen und Hierarchien durcheinanderbringen. Durch den Einsatz neuer Technologien findet eine Beschleunigung statt, Abläufe werden transparenter, Kontakte werden direkter, die Nutzung ist prinzipiell offen zugänglich und die Benutzung der Tools ist meist einfach möglich.
Vor diesem Hintergrund werden im Beitrag folgende Fragen diskutiert: Inwiefern ist Digitalisierung Teil der internen und externen Organisationsstrategie? Welche Bedeutung haben digitale Technologien für die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz heute und in naher Zukunft? In welchem Ausmaß werden für die Zusammenarbeit digitale Technologien eingesetzt? Welche Gründe gibt es für den Einsatz digitaler Technologien? Welche Hemmnisse und Risiken gibt es in Bezug auf den Einsatz digitaler Technologien? Welche Veränderungen ergeben sich durch den Einsatz digitaler Technologien für die Zusammenarbeit? Somit stehen auch die Formen der Zusammenarbeit im Zentrum. Dabei fokussieren wir auf die organisationale Zusammenarbeit, also auf die Interaktionen am Arbeitsplatz, welche zunehmend durch digitale Technologien unterstützt werden. Abhängig vom Intensitätsgrad der sozialen Interaktion können hierbei drei zentrale Prozesse unterschieden werden: 1.) Kommunikation, beispielsweise unterstützt durch E-Mail und Chats, 2.) Koordination, beispielsweise unterstützt durch Gruppenterminkalender oder Social Networking und 3.) Kollaboration, beispielsweise unterstützt durch Gruppeneditoren oder Wikis (vgl. Lerch/Dennerlein/Gutounig/Rauter 2019: 108). Digitale Technologien umfassen in unserer Studie demnach digitale Tools, digitale Medien und auch social-collaboration-Tools. Der Beitrag ist so aufgebaut, dass jeweils die Ergebnisse präsentiert und im Anschluss in der Zusammenschau diskutiert werden. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick und Handlungsempfehlungen.
2. Design: Mit welchen Methoden wurden die Daten erhoben?
Im Rahmen eines in Österreich durchgeführten Forschungsprojektes1 wurde eine Fragebogenerhebung in steirischen Betrieben und Organisationen durchgeführt, welcher ein Branchenmix von Non-Profit- und For-Profit-Organisationen zugrunde liegt. Mittels standardisiertem Telefoninterview wurden im Frühjahr 2019 in Summe n=179 Führungskräfte zum Stellenwert der Digitalisierung und von begleitenden Prozessen im Rahmen der Zusammenarbeit am Arbeitsplatz befragt.2 Dabei wurde u.a. erhoben, welche digitalen Technologien zum Einsatz kommen, aus welchen Überlegungen diese zum Einsatz kommen und welcher Nutzen sich für Unternehmen dadurch ergibt, welche Aspekte die Implementierung hemmen, wie die Kompetenz und Akzeptanz dieser Technologien unter Mitarbeiter_innen eingeschätzt wird und welche betrieblichen Veränderungen durch deren Einsatz zu beobachten sind.
In dem vorliegenden Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse in Bezug auf die Teilstichprobe der Organisationen aus den Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen3 und Bildung4 (n=87) dargestellt. Da sich in der Stichprobe nur zwei Organisationen dem Bereich Erziehung und Unterricht (ausschließlich tertiärer Bereich) zuordnen, wird in weiterer Folge die gesamte Stichprobe als Gesundheits- und Sozialwesen adressiert. Bei den teilnehmenden Führungspersonen liegt der Anteil der Geschäftsführungsmitglieder bei 36,8 Prozent. Weitere 35,6 Prozent der Befragten haben eine Leitungsfunktion im Pflegedienst oder der Verwaltung. 15 Prozent haben Leitungsfunktionen im IT- oder technischen Bereich sowie anderen Bereichen, wie z.B. im Marketing, in der Verwaltung oder im operativen Bereich. Die übrigen 12,6 Prozent der Teilnehmenden ordnen sich weder der Geschäftsführung zu noch geben sie an, eine Leitungsfunktion inne zu haben.
3. Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse anhand der oben formulierten Leitfragen beschrieben. Dabei stehen die Themen Relevanz von Digitalisierung für die Organisationsstrategie, die Bedeutung von digitalen Technologien für die Zusammenarbeit, Gründe für den Einsatz digitaler Technologien sowie Hemmnisse, Risiken und Veränderungen im Zentrum.
3.1 Inwiefern ist Digitalisierung Teil der Organisationsstrategie?
Rund 68 Prozent der befragten Organisationen (siehe Abbildung 1) bezeichnen das Thema Digitalisierung generell als expliziten Bestandteil der Organisationsstrategie. Weitere rund 14 Prozent sehen Digitalisierung teilweise in ihrer Organisationsstrategie verankert. In jenen Organisationen, in denen Digitalisierung nur teilweise strategisch verankert ist, bezieht sich Digitalisierung hauptsächlich auf die Bereiche Dokumentation/Pflegedokumentation, Kommunikation, Verwaltung/Administration und auf Bürotätigkeiten sowie auf Werbung/Marketing/PR. Rund 18 Prozent sehen das Thema Digitalisierung nicht als Bestandteil der Organisationsstrategie.
Abbildung 1: Digitalisierung als Teil der Organisationsstrategie (n=87); (drei Antwortmöglichkeiten: ja; nein; teilweise; eigene Darstellung).
3.2 Welche Bedeutung haben digitale Technologien für die Zusammenarbeit heute und in naher Zukunft?
Die befragten Organisationen messen digitalen Technologien überwiegend eine wichtige Bedeutung für die Zusammenarbeit zu (siehe Abbildung 2). Etwa 94 Prozent der befragten Organisationen attestieren digitalen Technologien in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung (41 Prozent sogar eine sehr wichtige) und nur rund 6 Prozent gehen von einer geringen Bedeutung aus. Es ist nicht auszuschließen, dass sozial erwünschtes Antwortverhalten auf Grund der Aktualität des Themas und des damit verbundenen Erwartungsdrucks das Zustandekommen dieses sehr hohen Werts beeinflusst hat.
Abbildung 2: Bedeutung digitaler Technologien bei der Zusammenarbeit (n=87) (fünf Antwortmöglichkeiten: eine sehr wichtige Bedeutung; eine wichtige Bedeutung; eine geringe Bedeutung; keine Bedeutung; kann ich nicht beurteilen; eigene Darstellung).
Die Studienteilnehmer_innen wurden auch gefragt, welche Bedeutung digitale Technologien künftig für die Zusammenarbeit haben werden. Rund 46 Prozent der befragten Organisationen bescheinigen diesen Technologien in den nächsten drei Jahren eine wichtigere Bedeutung als derzeit. Etwa ein Drittel geht davon aus, dass deren Bedeutung in ihrem Betrieb konstant bleiben wird. Hier gilt es darauf hinzuweisen, dass die Daten vor der Corona-Krise erhoben wurden und die Einschätzung der Befragten damit einhergehende Entwicklungen nicht miteinschließt.
Abbildung 3: Drei-Jahresperspektive der Bedeutung digitaler Technologien bei der Zusammenarbeit (n=87) (vier Antwortmöglichkeiten: eine wichtigere Bedeutung als jetzt; eine genauso wichtige Bedeutung wie jetzt; eine geringere Bedeutung als jetzt; kann ich nicht beurteilen; (eigene Darstellung).
3.3 In welchem Ausmaß werden für die Zusammenarbeit digitale Technologien eingesetzt?
Der Digitalisierungsgrad ist in Hinblick auf die Informationsbeschaffung, -suche und -weitergabe oftmals weit fortgeschritten: rund 70 Prozent arbeiten hier ausschließlich oder überwiegend in digitaler Form (siehe Abbildung 4). Für Organisationen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen scheint zudem die Falldokumentation einen zentralen Stellenwert im Digitalisierungsprozess einzunehmen. Rund 45 Prozent der befragten Organisationen arbeiten in diesem Kontext ausschließlich und weitere rund 22 Prozent überwiegend in digitaler Form. Diagnostische Prozesse als weiteres spezifisches Tätigkeitsfeld dieser Organisationen werden von 22 Prozent ausschließlich und von weiteren rund 9 Prozent überwiegend in digitaler Form durchgeführt. Bei knapp 70 Prozent der befragten Unternehmen erfolgt auch die Koordination (z.B. die Terminfindung und Aufgabenverwaltung) und bei nahezu 50 Prozent die Kollaboration (z.B. das gemeinsame Arbeiten an Projekten oder Dokumenten) ausschließlich oder überwiegend mit Hilfe von digitalen Technologien. Ein differenziertes Bild zeigt sich bei der Kommunikation: digitale Technologien kommen häufiger in der Kommunikation zwischen Mitarbeiter_innen und Kooperationspartner_innen zum Einsatz als in der Kommunikation mit Kund_innen/Adressat_innen (in etwa 60 Prozent der Fälle erfolgt die Kommunikation mit Kund_innen/Adressat_innen vorwiegend analog bzw. kaum über digitale Technologien).
Abbildung 4: Ausmaß der Verwendung digitaler Technologien bei unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen (n=87) (eigene Darstellung).
3.4 Welche Gründe gibt es für den Einsatz digitaler Technologien?
Die Interviewpartner_innen wurden zu den Gründen für den Einsatz von digitalen Technologien gefragt, wobei für fast 35 Prozent der Befragten die Vereinfachung bzw. Verbesserung der Kommunikation durch digitale Technologien eine zentrale Rolle spielt. Auch die Zeitersparnis (29,9 Prozent) sowie insgesamt eine Vereinfachung der Arbeit (24,1 Prozent) sowie die Dokumentation und Archivierung (24,1 Prozent) werden mit dem Einsatz digitaler Technologien in Verbindung gebracht. Der hohe Wert des letztgenannten Aspekts ist vor allem auf Organisationen aus dem Pflegebereich zurückzuführen. Zu berücksichtigen ist hier, dass Mehrfachnennungen möglich waren.
Im Zuge des Telefoninterviews wurde auch nachgefragt, was genau unter den Nennungen zu verstehen ist. Bei der Vereinfachung bzw. Verbesserung der Kommunikation werden u.a. zeitliche Vorteile im Sinne einer rascheren Kommunikation genannt: „Schnellere Kommunikation mit Eltern und Mitarbeitern.“ Darüber hinaus geben die Befragten an, dass Kommunikation (intern und extern) mit modernen digitalen Tools einfacher zu bewerkstelligen ist. Mitarbeiter_innen sind leichter erreichbar, die Kommunikation zwischen verschiedenen Standorten verbessert sich und die Kommunikation mit diesen Tools ist zudem kostenlos und unkompliziert möglich. Zeitersparnis bezieht sich für die Respondent_innen im Wesentlichen auf die Möglichkeit einer rascheren Kommunikation mit digitalen Technologien sowie auf schnelleres Arbeiten, schnelleren Zugriff auf Daten sowie eine raschere Vernetzung mit Kund_innen/Adressat_innen. Für viele Befragte ist demnach der Geschwindigkeitsvorteil, der sich mit digitalen Technologien im Vergleich zu herkömmlichen Methoden erreichen lässt, in vielen Bereichen von Relevanz. Folgendes ist dabei wesentlich: „Schneller Zugriff und Abruf von Patientendaten, schnellere Abläufe, da man alle Informationen, wie z.B. Teamplanung, per Mail verschicken kann“ und die „Zeitersparnis bei Dienstplanerstellung oder z.B. bei der Betreuungsdokumentation“.5
Eine Vereinfachung der Arbeit bzw. Arbeitserleichterungen bedeutet, dass damit alles schneller und auch einfacher bzw. weniger aufwändig funktioniert. Die Befragten formulierten dies folgendermaßen: „Vereinfachung der Arbeit – Dokumente sind übersichtlicher und schneller erfasst und geschrieben.“
3.5 Welche Hemmnisse und Risiken gibt es in Bezug auf den Einsatz digitaler Technologien?
Die Ergebnisse in Abbildung 5 zeigen, dass unter den vorgegebenen Hemmfaktoren die Entscheidung, bewusst analog zu bleiben, am stärksten ausgeprägt ist (MW=2,06; Zustimmung von 63 Prozent der Befragten). Alle anderen Aspekte werden jeweils nur von einer deutlichen Minderheit der Befragten als Hemmfaktor für eine Forcierung der Digitalisierung der Zusammenarbeit erwähnt. Neben der bereits genannten klar dominanten Entscheidung, im Rahmen der Zusammenarbeit bewusst analog zu bleiben, haben weitere Aspekte, wie erforderliche Anfangsinvestitionen (Zustimmung von 35 Prozent der Befragten), nicht absehbare Risiken (18 Prozent), fehlende Ressourcen (17 Prozent), fehlende Relevanz (15 Prozent) sowie technische Kompetenzen (9 Prozent) und fehlendes Know-how zur Initiierung entsprechender Maßnahmen (5 Prozent), in diesem Zusammenhang deutlich weniger Bedeutung.
Abbildung 5: Hemmfaktoren im Zusammenhang mit digitalen Technologien bei der Zusammenarbeit (n=87) (eigene Darstellung).
Gefragt nach den Risiken und Herausforderungen, die sich für die jeweilige Organisation durch den Einsatz von digitalen Technologien für die Zusammenarbeit ergeben können, formulieren die Befragten insbesondere Bedenken bezüglich des Datenschutzes. Jede/r zweite Befragte (51,7 Prozent) äußert sich diesbezüglich. Als zweithäufigster Risikofaktor bzw. als zweithäufigste Herausforderung werden die Abhängigkeit von der eingesetzten Technik bzw. mögliche Systemausfälle gesehen (16,1 Prozent). Dies verdeutlicht die teilweise begründete Angst, dass viele Arbeitsprozesse nicht mehr auf traditionelle Art und Weise durchgeführt werden können und man auf digitale Tools angewiesen ist. Sei es, um Zugriff auf Daten zu erlangen, um zu kommunizieren, um Berichte zu schreiben oder dergleichen mehr. Danach folgen die Themen Hackerangriffe sowie Datensicherheit (jeweils 12,6 Prozent). Auch ein erhöhter Stress/Druck für die Mitarbeiter_innen (10,3 Prozent) werden hier als Risiken bzw. Herausforderungen thematisiert. Immerhin 9 Prozent der Personen geben an, dass sie derzeit keine besonderen Risiken oder Herausforderungen für ihre Organisation ausmachen können.
Auch in diesem Zusammenhang hatten die Interviewpartner_innen die Möglichkeit, zu erläutern, worin genau die Herausforderungen für sie bestehen. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten betrachtet das Thema Datenschutz als relevantes Risiko im Unternehmen: Im Internet ist man angreifbar, sensible Daten können von unbefugten Personen ent- bzw. verwendet werden und eine Weitergabe von vertraulichen Daten auch durch eigene Mitarbeiter_innen ist nicht gänzlich auszuschließen. Konsequenterweise sehen es die Befragten im Zusammenhang mit Datenschutz als Herausforderung an, beständig für dessen Einhaltung zu sorgen (beispielsweise durch sichere Software bzw. Systeme, durch Datenschutzbestimmungen und -richtlinien oder auch durch Einschränkung des Zugriffs auf sensible Daten in der Organisation). Die Befragten schätzen dies beispielweise wie folgt ein: „Alles was mit Datenschutz zu tun hat, da viel mit sensiblen Daten hantiert wird“; „Die ganzen Verknüpfungen mit den Kassen sind gefährlich – bzw. der Gläserne Mensch.“
Der Begriff Datensicherheit hängt eng mit dem Begriff des Datenschutzes zusammen und so verwundert es nicht, dass viele Befragte beide Begriffe auf die Frage nach den Risiken und Herausforderungen nennen. Während unter Datenschutz allerdings typischerweise der Schutz von sensiblen (z.B. personenbezogenen) Daten vor missbräuchlicher Verwendung gemeint ist, bezieht sich Datensicherheit auf den technischen Aspekt der Sicherung der Daten beispielsweise vor Verlust (z.B. Löschung) oder Manipulation/Veränderung: „Die Daten sicher zu halten, damit sie nicht gefegt [Anm.: gelöscht] werden.“ Es geht aus den Angaben der Befragten nicht hervor, ob die Begriffe Datenschutz und Datensicherheit gemäß diesem Verständnis gebraucht wurden oder ob sie mehr oder weniger synonym verwendet wurden.
3.6 Welche Veränderungen ergeben sich durch den Einsatz digitaler Technologien für die Zusammenarbeit?
Die Ergebnisse zeigen unter den negativen Veränderungen die stärkste Zustimmung auf die Aussagen, dass durch den Einsatz digitaler Technologien für die Zusammenarbeit immer mehr Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten sind (MW=2,20), die zu bearbeitende Informationsmenge (MW=2,59) und der Termindruck zugenommen haben (MW=2,64) und die Ansprüche an die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit gestiegen sind (MW=2,92).Unter den positiven Veränderungen fällt die stärkste Zustimmung auf die Aussage, dass sich durch den Einsatz digitaler Technologien bei der Zusammenarbeit der Austausch zwischen Mitarbeiter_innen und Vorgesetzten verbessert hat (MW = 3,31; Zustimmung durch 48 Prozent) ebenso wie der Austausch zwischen Kolleg_innen (MW = 3,36; Zustimmung durch 45 Prozent).
Tabelle 1: Veränderungen von Arbeitsabläufen durch den Einsatz digitaler Technologien bei der Zusammenarbeit (eigene Darstellung).
4. Diskussion
Im Folgenden werden die Ergebnisse im Lichte bereits bestehender Studien und Beiträge nochmals zusammengefasst und diskutiert, um im Anschluss daran Handlungsempfehlungen zu skizzieren, die sich daraus ableiten lassen.
4.1 Was zeigen uns die Ergebnisse?
Eine Frage, die in dieser Studie gestellt wird, ist, inwiefern Digitalisierung Teil der Organisationsstrategie ist. Als Antwort zeichnet sich ab, dass die zunehmende Bedeutung von Digitalisierung in der Organisationsstrategie über alle Organisationsgrößen hinweg anerkannt wird. Fast alle befragten Organisationen messen digitalen Technologien (bereits vor den Veränderungen durch Covid-19) im Rahmen der Zusammenarbeit eine wichtige Bedeutung bei. Damit korrespondiert, dass bereits überwiegend digital gearbeitet wird, und zwar sowohl in den Tätigkeitsbereichen Informationssuche und -weitergabe wie auch in den Bereichen der Koordination und Falldokumentation. Standard sind dabei nach wie vor E-Mail-Programme, wie Microsoft Outlook, gefolgt von WhatsApp und dem Intranet.
Der zentrale Hemmfaktor, die Digitalisierung der Zusammenarbeit weiter voranzutreiben, ist das bewusste Commitment, in diesem Feld analog zu bleiben. Weitere – wenngleich deutlich schwächer ausgeprägte – Hemmfaktoren sind erforderliche Anfangsinvestitionen und fehlende Ressourcen, nicht absehbare Risiken, fehlende Relevanz und technische Kompetenzen sowie fehlendes Know-how zur Initiierung entsprechender Maßnahmen. Auch Dufft et al. (2017: 21) führen in ihrer Studie unter nicht-profitorientierten Organisationen insbesondere mangelnde Ressourcen sowie hohe Anfangsinvestitionen und erhöhten Arbeitsaufwand in der Einführungsphase als zentrale Hürden für die Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben an.
Die Frage nach den Gründen für den Einsatz digitaler Technologien wurde offen gestellt und hier waren die drei wichtigsten genannten Gründe Vereinfachung und Verbesserung der Kommunikation, Zeitersparnis sowie Dokumentation/Archivierung und die Vereinfachung der Arbeit. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Tatsache, dass sich Datensicherheit – sowohl in Bezug auf die Sicherheit der Daten als auch hinsichtlich des Umgangs mit den Daten – als wahrgenommenes Risiko herauskristallisiert hat. Diesbezüglich weisen auch Ley und Seelmeyer (2018: 24) auf die Bedeutung des kritischen Bewusstseins für die Spezifika digitaler Kommunikation und des Informationsaustauschs hin sowie auf die Auswirkungen algorithmischer (Entscheidungs-)Systeme. Auch sind hier zielgruppenbezogene Aspekte des Datenschutzes wesentlich, wie die Datensouveränität der Kund_innen-/Akteur_innengruppen sowie die Realisierung von Privatheit und geschützter Kommunikation zwischen Fachkräften und Kund_innen/Adressat_innen (vgl. Kutscher 2018: 1437).
Die wahrgenommenen Veränderungen durch Digitalisierung in der Zusammenarbeit sind, dass immer mehr Aufgaben gleichzeitig zu erledigen sind und der Termindruck zugenommen hat. Es kommt zu häufigeren Unterbrechungen und auch die Anforderungen an die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit haben sich geändert. Insbesondere beim letzten Aspekt zeigen sich neue bzw. andere Abgrenzungserfordernisse von beruflicher/institutioneller und privater Sphäre angesichts der zeitlichen und räumlichen Entgrenzungen im Zusammenhang mit der Nutzung mobiler und digitaler Technologien (vgl. Kutscher 2018: 1437). Positiv hingegen wird angeführt, dass sich der Austausch untereinander, auf unterschiedlichen Ebenen, verbessert hat.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Digitalisierung in Organisationen und digitale Technologien zur Unterstützung der Zusammenarbeit weit verbreitet sind und sich nicht nur als informelle Lösungen durchgesetzt haben. Somit sind diese in Organisationsstrukturen und -strategien sichtbar. Auf Basis der Ergebnisse werden wir abschließend Handlungsempfehlungen formulieren, um die Digitalisierung der Zusammenarbeit in Organisationen erfolgreich und nachhaltig implementieren zu können.
4.2 Welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten?
Digitalisierung hat alle Bereiche durchdrungen, die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz ist größtenteils digitalisiert, Entscheidungen, analog zu arbeiten, werden häufig bewusst getroffen und den Einschätzungen der befragten Führungskräfte zufolge wird die Bedeutung der Digitalisierung zukünftig zunehmen. Vor dem Hintergrund dieser zentralen Ergebnisse der Befragung lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten.
Um die Digitalisierung der Zusammenarbeit in Organisationen erfolgreich und nachhaltig implementieren zu können, ist eine entsprechende strategische Positionierung erforderlich. In jenen Bereichen, in welchen dies noch nicht vorhanden oder stark ausgeprägt ist, gilt es, Berufsbilder wie auch Tätigkeitsbereiche ‚digital zu denken’ und proaktiv zu gestalten, um die Logiken des jeweiligen Handlungsfeldes berücksichtigen zu können. Hierbei sind die Anforderungen und Rahmenbedingungen der Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen innerhalb der Organisation mitzudenken und auch kritisch zu hinterfragen. Dies kann mitunter auch bedeuten, sich in manchen Bereichen bewusst zu entscheiden, analog zu bleiben. Umgekehrt darf aber auch in Potenzialen gedacht werden: Welche neuen und kreativen Lösungen ergeben sich daraus auch für Bereiche, die bisher wenig digitalisiert waren und welcher Mehrwert kann damit erzielt werden? Eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit der Thematik und überlegte (partizipative) Entscheidungen innerhalb der bestehenden Gestaltungsräume sind zentral. Zudem wird empfohlen, die digitale Transformation strategisch wie transparent zu steuern. Dabei müssen vor allem auch die Arbeitsbedingungen von Fachkräften im Blick behalten werden, um adäquate Rahmenbedingungen für eine digitalisierte (Zusammen-)Arbeit zu schaffen.
Welche Entwicklungen die aktuelle Covid-19-Krise auf diese strategische Positionierung in Gang setzt und welche Potenziale und Herausforderungen damit für Organisationen im Gesundheits- und Sozialbereich einhergehen, gilt es in weiterer Folge gezielt in den Blick zu nehmen. Schließlich handelt es sich hierbei um einen systemerhaltenden Bereich, in dem der persönliche Kontakt nach wie vor relevant ist, in dem sich tendenziell aber auch noch vielfältige Gestaltungsräume vermuten lassen.
Verweise
1 Dieser Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Polaritäten und (un)geteilte Ziele: Auswirkungen und Potenziale digitaler Mediennutzung aus der Perspektive steirischer Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen“ (digi@work) (2018–2020) entstanden. Genaueres siehe unter: https://digital-at-work.uni-graz.at/.
2 Die Ergebnisse für den For-Profit-Bereich können im Artikel von Rauter et al. (im Erscheinen) nachgelesen werden.
3 Gesundheitswesen: Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen, Gesundheitswesen a.n.g.; Heime (ohne Erholungs- und Ferienheime): Pflegeheime, stationäre Einrichtungen zur psychosomatischen Betreuung, Suchtbekämpfung u.ä., Altenheime, Alten- und Behindertenwohnheime, sonstige Heime; Sozialwesen (ohne Heime): soziale Betreuung älterer Menschen und Behinderter, sonstiges Sozialwesen (ohne Heime) (vgl. Statistik Austria 2008).
4 Erziehung und Unterricht, ausschließlich tertiärer Bereich.
5 Dies sind Originalzitate der Respondent_innen und werden auch im Folgenden „in derselben Form“ gekennzeichnet.
Literatur
Bajwa, Deepinder/Lewis, Floyd/Pervan, Graham/Lai, Vincent (2014): E-Collaboration impacts in Australia and Hong Kong. In: Australasian Journal of Information Systems, 18. Jg., Nr. 2, S. 45–57.
Beranek, Angelika/Hammerschmidt, Peter/Hill, Burkhard/Sagebiel, Juliane Beate (2018): Einführung: Big Data, Facebook, Twitter & Co. Soziale Arbeit und digitale Transformation. In: Hammerschmidt, Peter/Sagebiel, Juliane Beate/Hill, Burkhard/Beranek Angelika (Hg): Big Data, Facebook, Twitter & Co und Soziale Arbeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 9–28.
Dufft, Nicole/Keutter, Peter/Peters, Stephan/Olfe, Frieder (2017): Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen. Strategie, Kultur und Kompetenzen im digitalen Wandel. https://www.haniel-stiftung.de/sites/haniel-stiftung.piipe.de/files/171207_Studie-Digitalisierung-in-Non-Profit-Organisationen.pdf (26.5.2019).
Gebhardt, Birgit (2017): Perspektivenwechsel. Leben und Arbeiten im Zeitalter der Vernetzung. In: OrganisationsEntwicklung, Nr. 4, S. 4–11.
Klinger, Sabine/Mayr, Andrea/Susanne Sackl-Sharif (2019): Digitalisierung in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. In: Griesbacher, Martin/Hödl, Josef/Muckenhuber, Johanna/Scaria-Braunstein, Karin (Hg.): Intensivierung der Arbeit. Perspektiven auf Arbeitszeit und technologischen Wandel. Wien: new academic press, S. 113–122.
Kreidenweis, Helmut (2018): Sozialwirtschaft im digitalen Wandel. In: Kreidenweis, Helmut (Hg.): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft. Grundlagen-Strategien-Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 11–26.
Kutscher, Nadia (2018): Soziale Arbeit und Digitalisierung. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit. München: KG Verlag, S. 1430–1439.
Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2015): Mediatisierung (in) der Sozialen Arbeit. In: Kutscher, Nadia/Ley, Thoma/Seelmeyer, Udo (Hg.): Mediatisierung (in) der Sozialen Arbeit. Baltmannsweiler: Schneider, S. 3–15.
Lerch, Anita/Dennerlein, Sebastian/Gutounig, Robert/Romana, Rauter (2019): Social Technologies und ihre Anwendung am Arbeitsplatz aus interdisziplinärer Perspektive. In: Griesbacher, Martin/Hödl, Josef/Muckenhuber, Johanna/Scaria-Braunstein, Karin (Hg.): Intensivierung der Arbeit. Perspektiven auf Arbeitszeit und technologischen Wandel. Wien: new academic press, S. 101–112.
Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2018): Der Wert der Sozialen Arbeit in der digitalen Gesellschaft. In: Sozial Extra, 4, S. 23–25.
Rauter, Romana/Lerch, Anita/Lederer-Hutsteiner, Thomas/Klinger, Sabine/Mayr, Andrea/Gutounig, Robert/Pammer-Schindler, Viktoria (2020): Digital und/oder analog? Zusammenarbeit am Arbeitsplatz aus der Perspektive österreichischer Unternehmen. Wirtschaftsinformatik & Management 2020, 12 (6) (im Erscheinen).
Statistik Austria (2008): Önace 2008. https://www.statistik.at/web_de/klassifikationen/oenace_2008/index.html (05.02.2018).
Zierer, Brigitta (2018): Analog und digital! – Den digitalen Wandel aktiv mitgestalten. In: SiO. Fachzeitschrift für Soziale Arbeit in Österreich, Heft 1, S. 11–16.
Über die Autorinnen
Mag. Dr. Sabine Klinger, MA
sabine.klinger@uni-graz.at
Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Abteilung Sozialpädagogik.
Mag. Dr. Andrea Mayr
andrea.mayr@uni-graz.at
Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft.
Ass.-Prof. Mag. Dr. Romana Rauter
romana.rauter@uni-graz.at
Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung.
Anita Lerch, BSc MSc
digiatwork@uni-graz.at
Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung.