soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Thema“ / Standort Salzburg
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/689/1227.pdf
Petra Burgstaller & Pamela Heil:
1. Einleitung1
„Fad ist es“, sagt Anika, „wir wollen raus, mit Freunden abhängen, aber das geht derzeit nicht.“ Ihre Freundinnen trifft die 14-Jährige normalerweise im Jugendzentrum Lehen, dort gibt es jeden Freitagnachmittag eine Mädchenrunde. Der Mädchentreff ist während der Covid-19-Pandemie ins Internet übersiedelt. Mehrmals pro Woche sehen sich die Besucherinnen mittels Videokonferenz. „Das klappt ganz gut“, berichtet Anika, „aber natürlich sind bei den virtuellen Treffen weniger dabei als bei den echten“ (vgl. Prlic 2020: 11). Achmad aus der Neuen Mittelschule schreibt der Schulsozialarbeiterin: „Hallo Lea, ich kann mich bei Office 365 nicht anmelden, kannst du mir bitte helfen.“ Ein Kollege postet auf Instagram „Ihr erreicht mich auch weiterhin telefonisch, per Mail, WhatsApp, auf Insta oder Facebook“ und erhält dafür viele Likes.
Der social-profit Verein Spektrum vernetzt, kooperiert und setzt seit 1978 Angebote der soziokulturellen Stadtteilarbeit und Offenen Kinder- und Jugendarbeit in dicht besiedelten und mehrfach belasteten Vierteln Salzburgs.2 Aus diesem unentbehrlichen Bestandteil sozialer Infrastruktur hat sich zudem seit 2010 das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit mit dem Projekt „jetzt – Soziale Arbeit in der Schule“ entwickelt. Das Konzept orientiert sich stark entlang der Prinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und forciert einen Lebenswelt- und Sozialraumbezug in der Schule. Gemeinsamer Nenner beider Tätigkeitsfelder sind die Bedürfnislagen und Perspektiven der Kinder und Jugendlichen, mit denen wir arbeiten. Unterschiede gibt es bei der regionalen Verortung: Die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit finden in vier Stadtteilen der Stadt Salzburg statt, die Reichweite von „jetzt – Soziale Arbeit in der Schule“ erstreckt sich auf ausgewählte Schulen im gesamten Bundesland Salzburg (mit Ausnahme des Lungau).3
Digitale Jugendarbeit wurde seit Beginn der 2000er-Jahre im Verein entwickelt, ist in der Methodenvielfalt unserer Arbeit aber nie im Fokus gestanden, lange blieb sie eine Randerscheinung. Mit den Einschränkungen der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 ging ein Ruck durch die digitale Jugendarbeit: Was als Anhängsel der Angebote vor Ort erlebt wurde, nie aus dem Schatten kreativer Medienprojekte treten konnte oder im Beratungsalltag ein nice-to-have in der Kommunikation mit der Zielgruppe war, wurde für acht Wochen zum tragfähigen Konstrukt, um in Beziehung mit vielen Kindern und Jugendlichen zu bleiben. Möglich war das, weil die notwendigen Strukturen bereits angelegt und bekannt waren.4
Im folgenden Beitrag berichten wir – mit Fokus auf die Zeit des Lockdowns im Frühjahr 2020 – von unseren Erfahrungen mit digitalen Angeboten aus der Praxis der Offenen Kinder- und Jugendarbeit5 und der Schulsozialarbeit. Der erste Teil ist einer Beschreibung vieler Praxisbeispiele der digitalen Jugendarbeit in beiden Handlungsfeldern gewidmet. Im zweiten Teil geben wir eine differenzierte Einschätzung über Chancen und Risiken digitaler Angebote für die Zielgruppe genauso wie für die beteiligten Sozialarbeiter*innen.
2. Kinder- und Jugendarbeit in der virtuellen Lebenswelt
Digitale Jugendarbeit beinhaltet als Überbegriff jede Form der handlungsorientierten Medienarbeit mit jungen Menschen:
„Dort, wo Medien zum Thema gemacht werden, wo sich junge Menschen inhaltlich mit Medien beschäftigen, in und mit Medien kreativ werden und dort, wo kritische Medienauseinandersetzung passiert, spricht man von handlungsorientierter Medienarbeit. Digitale Medien dienen der Jugendarbeit als Werkzeug, um sich gemeinsam mit Jugendlichen aktiv damit zu beschäftigen.“ (Stainer 2020: 21)
Die Auseinandersetzung mit virtuellen Lebensräumen von Heranwachsenden und die Umsetzung von Online-Angeboten ist Teil der Konzepte der Kinder- und Jugendarbeit und entspricht deren Bildungsanspruch. Die digitale Jugendarbeit stellt ein komplementäres Handlungsfeld zur „analogen“ Jugendarbeit dar und versteht virtuelle Räume als Interaktionsräume zwischen Individuum und Umwelt, die zur persönlichen Entwicklung und Identitätsfindung in der Gesellschaft beitragen.
Wir leben in einer mediatisierten Lebenswelt, die Jugendliche sich aneignen und wiederum mitgestalten. Im Kontext von Social Media werden durch Interaktion und Beziehung von Subjekten neue Sozialräume geschaffen. Diese sind für Kinder und Jugendliche kommunikative Begegnungs- und Aktionsräume, in denen Gefühlswelten, Alltagsprobleme und Lebensentwürfe verhandelt werden, als Erweiterung analoger Kommunikationsstrukturen. Durch die Nutzung von Smartphones und Internet fließen Medien- und Alltagshandeln ineinander.
Die Schulsozialarbeit passt ihre medienpädagogischen Workshops für Schulklassen den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen an, es geht um Kettenbriefe, Sicherheitseinstellungen, das Verhalten auf Social Media-Plattformen, Tik Tok-Videos, Rechte aufs eigene Bild und vieles mehr. Aus Gruppentreffen ergeben sich immer wieder Beratungsgespräche im Einzelsetting und umgekehrt. Sowohl dort als auch in der Offenen Jugendarbeit greifen die Teams die Interessen und Bedürfnisse Heranwachsender auf, unterstützen den Erwerb von Wissens-, Bewertungs- und Handlungskompetenzen von Medien und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Mediensozialisation. Dabei gelten, wie auch in der täglichen Arbeit vor Ort, die Prinzipien der Offenheit, Freiwilligkeit, Niederschwelligkeit, Partizipation und Geschlechtergerechtigkeit.
3. Die Covid-19-Pandemie als Entwicklungsmotor für die digitale Jugendarbeit
3.1 Die Lage von Kindern und Jugendlichen während des Lockdowns in Salzburg
Die strengen Ausgangsbeschränkungen vom 14. März bis 30. April 2020 und die bis Mitte Mai geschlossenen Schulen und Freizeiteinrichtungen haben viele Familien vor eine große Herausforderung gestellt. Neben den Bildungseinrichtungen, der Freizeitgestaltung in Vereinen, den Treffpunktmöglichkeiten im öffentlichen Raum, in Einkaufszentren und der Gastronomie fehlten auch geöffnete Kinder- und Jugendzentren – zumindest die vor Ort.
Junge gesunde Menschen gehören nicht der Risikogruppe an, damit bedeutet richtiges Verhalten in der Ausnahmesituation, Verzicht auf entscheidende Entwicklungsfaktoren wie soziale Kontakte, Freund*innen, Bewegung und Spiele. Für viele Kinder und Jugendliche in den Stadtteilen Lehen, Taxham, Maxglan und der Forellenwegsiedlung in Liefering stellen unsere Einrichtungen eine gewohnte Anlaufstelle im Alltag dar. Gerade in Krisenzeiten sind Sozialarbeiter*innen und die Peergroup wichtige Kontakte. Kinder- und Jugendarbeit orientiert sich – online oder offline – an den Interessen und Bedürfnissen Heranwachsender und richtet sich mit ihren Programmen an diese. Das heißt auch, dass sich Praxiskonzepte in Aushandlungsprozessen entwickeln. Verändern sich die Rahmenbedingungen und gibt es neue Impulse, kommt auch gelebte Praxis in Bewegung, wie es sich während der strengen Ausgangsregelungen deutlich zeigte.
3.2 Virtuelle Angebote
Neue virtuelle Öffnungszeiten der Kinder- und Jugendzentren des Vereins Spektrum waren eine unmittelbare Reaktion auf die Schließung der Einrichtungen und stellten einen Ersatz für die realen Treffpunkte dar. Diese Angebote wurden durch eine Intensivierung der Social Media-Präsenz auf sämtlichen Kanälen unterstützt. In allen Kontakten ging es neben einem Infoaustausch zur aktuellen Gesundheitskrise vor allem darum, gemeinsam eine coole Zeit mit Live-Chats, Spielen, Kreativem und Tipps aller Art (Rezepte, Musik, Filme, Serien, Bücher, Links…) zu verbringen. Weitere Inhalte waren Rätsel, Workouts, Sport- und Geschicklichkeits-Challenges, Beratungen, Umfragen, Lernsupport oder das Teilen eigener Wissensbeiträge und Videoclips. Das Mitmachen im virtuellen JUZ war für Jugendliche ein wichtiger Aktionsraum. Die Treffpunkte waren individuell gestaltbar, je nachdem wer das Angebot machte und wer es nutzte – wie in den Einrichtungen selbst.
Digitale Jugendarbeit hat im Zuge der Covid-19-Pandemie eine neue Bedeutung erhalten und es wurde die zentrale Möglichkeit geschaffen, Kindern und Jugendlichen einen verlässlichen Treffpunkt im virtuellen Raum anzubieten. Über zielgruppenadäquate Kanäle und Plattformen6 konnten wir sowohl in der außerschulischen Jugendarbeit als auch in der Schulsozialarbeit abseits von physischen Treffpunkten einen virtuellen Handlungs- und Begegnungsraum schaffen, der Kommunikation, gemeinsame Freizeitgestaltung und damit eine verlässliche Beziehung mit den Sozialarbeiter*innen ermöglicht hat.
4. Zielgruppen
Generell und auch in der Zeit der Covid-19-Einschränkungen sind die Adressat*innen der Schulsozialarbeit alle Schüler*innen eines Schulstandortes. Die medienpädagogischen Workshops richten sich an Schulklassen im Volks-, Mittel- und Sonderschulbereich. Die digitalen Aktivitäten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit richten sich zunächst an alle Besucher*innen der Kinder- und Jugendzentren zwischen zehn und 18 Jahren (jüngere Kinder sind online schwieriger zu erreichen) und all jene, die uns online folgen. Damit gelingt es, Beziehungskontinuität aufrecht zu halten.
Wer online präsent ist, weicht oft vom analogen Angebot ab. Alle bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass digitale Angebote im Vergleich zu den Öffnungszeiten vor Ort weniger, mitunter auch andere Besucher*innen erreicht und nicht alle, die Bedarf hätten. Das hat die Dokumentation der Lockdown-Phase bestätigt. Dabei ist es letztlich auch geglückt, neue Kinder und Jugendliche und frühere Besucher*innen anzusprechen. Ob die Gruppen „elternfreie Zone“ bleiben oder nicht, ist offen. Vielfach erreichten uns Fragen wie: „Meine Mama findet die Rezepte gut, darf sie in die Gruppe?“ Auf jeden Fall bieten wir die Möglichkeit zum Gespräch auch für Eltern.
In beiden Handlungsfeldern haben wir es mit Kindern und Jugendlichen aus sozioökonomisch belasteten Familien zu tun, für die schwierige finanzielle Verhältnisse und prekäre Wohnsituationen, familiäre Krisen, Lernschwierigkeiten, fehlende Unterstützung und/oder eine Migrationsgeschichte charakteristisch sind. Viele Kinder und Jugendliche haben kein eigenes Zimmer und keinen ungestörten Rückzugsort, keinen Zugang zu Tablet, Laptop oder Computer, keinen Internetzugang, fehlendes Datenvolumen oder kein Guthaben fürs Handy. Besonders Mädchen entkommen ihren gewohnten Rollen (Haushalt, Babysitting…) kaum. Zusätzlich können Eltern oder andere Bezugspersonen die Kinder bei den schulischen Aufgabenstellungen nicht ausreichend unterstützen. Die verstärkte Mediennutzung war für viele gewöhnungsbedürftig. Gerade im Bereich der Digitalisierung werden die ungleiche Chancenverteilung und Zugangsmöglichkeiten radikal sichtbar.
5. Herausforderungen & Grenzen digitaler Jugendarbeit
Vorhergehend wurde bereits auf die Medienarbeit und -nutzung bzw. konkrete digitale Angebote des Verein Spektrum eingegangen. Welche Rückschlüsse sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre, vor allem aber der Phase der Covid-19-Einschränkungen ziehen lassen, beschreiben wir in den nächsten beiden Kapiteln. Auf Überlegungen zu den Herausforderungen und Grenzen folgt eine Darstellung der Chancen digitaler Jugendarbeit. Dabei skizzieren wir die Blickwinkel beider Player der digitalen Angebote – also der Sozialarbeiter*innen und der jungen Klientel, deren Voraussetzungen, Zugangsbarrieren, Wünsche und Ziele sich naturgemäß unterscheiden.
5.1 Perspektive der Organisation und unserer Teams
Der Verein Spektrum und die Teams der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit sahen sich zu Beginn der Covid-19-Beschränkungen mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die von technischer Infrastruktur über rechtliche Voraussetzungen zum Datenschutz, die Arbeitsbedingungen, Know-how in einem neuen Metier bis hin zur Aufbereitung adäquater, relevanter und interessanter Inhalte reichten.
Technische Ressourcen: Auch in ihrer digitalen Form stellt sich in der Jugendarbeit die Frage nach den Ressourcen – in der Soft- wie auch in der Hardware. Die notwendige technische Ausstattung (Diensthandys, Laptops, Tablets etc.) und die Wartung dieser sind Kostenstellen, die häufig nicht durch Fördermittel explizit gedeckt sind. Auch ist zu überlegen, welche Infrastruktur im operativen Alltag nötig ist. Während jede*r Schulsozialarbeiter*in ein Diensthandy hat, macht in der Offenen Arbeit ein Journaldiensthandy Sinn, denn hier ist die Organisation der Übergabe (Infos und Kontaktverläufe) wesentlich.
Datenschutzbestimmungen und sichere Angebote: Um Jugendliche im virtuellen Raum zu erreichen, müssen wir auch Plattformen nutzen, die datenschutzrechtlich fragwürdig sind. Es gilt den Spagat zu schaffen, Jugendliche dort abzuholen, wo sie sind (im datenschutzrechtlichen Nirwana), sie aufzuklären und ihnen sichere Alternativen anzubieten. Achtgeben muss man beispielsweise auch auf In-Game-Käufe.7
Arbeitsbedingungen: Wie organisiert man die Erreichbarkeit, ohne permanent zur Verfügung stehen zu müssen? Suggeriert man der Zielgruppe endlose Erreichbarkeit? Die Entgrenzung der Arbeitszeit haben die Kolleg*innen während der Zeit des Lockdowns als herausfordernd beschrieben. Eine Schulsozialarbeiterin berichtete:
„Es war schwierig Zeiten mit den Kindern zu vereinbaren, um sich online zu treffen. Ich hatte den Eindruck, ich müsste rund um die Uhr online sein, damit sie sich jederzeit melden können, damit es klappt. Besser funktioniert hat für mich der schriftliche Kontakt über WhatsApp.“
Digitale Jugendarbeit ist nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden, weil Jugendliche, die Unterstützung suchen, sich dann melden, wenn es brennt und sich weniger an Öffnungszeiten oder Beratungsstunden orientieren.
Digitale Kompetenzen und Know-how: Das Interesse und Medienkompetenzen der Teams sind unterschiedlich. Während sich die einen überwinden müssen online unterwegs zu sein, bringen die anderen ihr privates Know-how gern in den beruflichen Kontext ein. Digitaltechnologien werden immer stärker in Arbeitsprozesse und Handlungskontexte integriert und die Digitalisierung schafft neue Problemlagen, mit denen wir als Fachkräfte auch in unserem Rollenverständnis gefordert sind. Um uns daher von einer rein individuellen Auseinandersetzung mit diesen Prozessen zu entlasten, ist es wichtig, den Teams eine Orientierung für ihr Handeln zu geben und konzeptionelle Antworten auf viele praktische, rechtliche und ethische Fragen zu finden (vgl. Schulze 2020: S. 238ff.): Inwieweit können wir, müssen wir bei den Entwicklungen mit? Was ist unser Kernauftrag? Was nehmen die Kinder und Jugendlichen an? Welche Fortbildungen und Selbstaneignungsprozesse sind zu initiieren? Was bedeuten die Datenschutzanforderungen für die tägliche Arbeit? Welche Richtlinien müssen festgelegt werden?
Informationen über Aktivitäten: Jugendliche beziehen Informationen primär über soziale Online-Netzwerke. Eine Hürde dabei sind textlastige Seiten, auch bei der Präsentation der eigenen Einrichtung. Umgekehrt ist es eine große Herausforderung, in Bildern und verkürzten Inhalten zu kommunizieren.
Pädagogische Frage nach geschützten Räumen: Es ist unsere Aufgabe Schutzräume zu eröffnen, in denen Kinder und Jugendliche experimentieren und ihre Selbstwirksamkeit entfalten können – immer Handlungsprinzipien wie Freiwilligkeit, Offenheit etc. folgend. Sowohl in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als auch in der Schulsozialarbeit haben wir dazu Regeln und Rahmenbedingungen mit unseren Adressat*innen ausverhandelt. Im World Wide Web aber stoßen wir an Grenzen. Es ist nicht möglich, online ausschließlich geschützte Freiräume anzubieten, jedenfalls nicht rund um die Uhr. „So wie Heranwachsende immer früher und autonomer in der vernetzen Welt agieren, wird der von uns in der Vergangenheit noch sorgfältig abgegrenzte Schonraum Kindheit immer durchlässiger und der Experimentierraum Jugend immer riskanter.“ (Hajok 2020: 13, Herv. i.O.) Wenn wir sichere Räume also nur bedingt herstellen können, dann müssen Kinder und Jugendliche selbst in der Lage sein, das zu tun. Hier entsteht ein Spannungsfeld: Medienkompetent zu handeln setzt voraus, eigenes Medienverhalten reflektieren und steuern zu können. Dies steht im Gegensatz zur Entwicklungsaufgabe der Heranwachsenden, nämlich sich auszuprobieren, Fehler zu machen, Grenzen zu überschreiten. Das Internet aber vergisst nicht. Und da stellt sich die Frage, inwieweit die Jugendarbeit in einem Raum, den sie kaum kontrollieren kann, aktiv Angebote setzt und ob es gelingt, in „Zeiten riskanter medialer Experimentierräume, Jugendliche frühzeitig für einen souveränen Medienumgang stark zu machen.“ (Hajok 2020: 14).
5.2 Bedarf und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen
Um zwei zentrale Themen dreht sich unserer Einschätzung nach die Diskussion um Herausforderungen, wenn es um die Perspektive der Zielgruppe und ihre Bedürfnisse geht. Ein Knackpunkt ist die vorhandene – oder eben nicht vorhandene – technische Ausstattung. Ein zweiter sind die Risiken, die Social Media-Nutzung oft mit sich bringt, wie die exzessive Nutzung, Internet- und Gaming-Sucht, Vereinsamung, Cyber-Mobbing.
Technische Ressourcen: Jugendliche und auch viele Kinder besitzen Smartphones, darüber hinaus sind sie aber schlecht ausgestattet. Einige Schüler*innen berichteten, dass sie nur am Handy lernen und es anstrengend sei auf den kleinen Bildschirmen zu arbeiten. Das geringe Datenvolumen war schnell aufgebraucht. In einigen Familien teilten sich mehrere Schulkinder einen Laptop. Die Hardware zur Verfügung zu stellen, löste in vielen Fällen das Problem nicht: Es fehlte an W-LAN, Software, Druckern, Scannern, digitaler Grundbildung, Kenntnissen über E-Learning-Programme, Email-Adressen etc.
Datenschutz: Kinder und Jugendliche erstellen zwar in Windeseile einen Social Media-Account, laden Fotos hoch und geben Daten ein – jedoch ohne weitere Kenntnisse über deren Schutz und ihre Privatsphäre. Vergessene Passwörter und gehackte Accounts stehen auf unserer Tagesordnung.
Erreichbarkeit: Die Tagesstruktur vieler Jugendlicher hat sich während der Zeit der Schulschließungen stark verändert: schlafen bis Mittag, essen und Familienzeit, lernen am Abend. Die Kontaktzeiten in sozialen Netzwerken fand meist in der Nacht statt. So erreichte uns die Frage eines 11-Jährigen: „Könnt ihr online-KIZ von 20–23 Uhr machen, bitte?“
Beziehungsgestaltung: Jugendliche erleben laut ihren eigenen Aussagen Videoberatungen als unpersönlicher, sie würden sich komisch anfühlen. Das liegt zum einen an (noch) fehlenden Tools in der Beratung, zum anderen sind sie kürzer und weniger intensiv. Es braucht neue icebreaker: mit einem Jungen beispielsweise waren Gespräche kaum möglich, da er das Bild der Sozialarbeiterin stark zoomte, sich dann in Details ihres Gesichts verlor und schließlich aus Unsicherheit nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Trotz der Bedeutung des Visuellen oder des Emotionellen (z.B. in Form von Emojis) gehen digitale Beziehungen mit einer Reduktion der Sinneseindrücke einher. Zwischenmenschliches, Nähe- und Distanz-Verhalten im Raum, Gerüche, Bewegungen, Berührungen bleiben aus. Online-Beziehungen lassen mehr Platz für Fantasien und Interpretationen. Diesbezüglich ist Vorsicht geboten, damit Jugendliche sich nicht zu sehr im virtuellen Raum aufgefangen fühlen und in der realen vereinsamen. Auf lange Sicht ist eine digitale Beziehung einer persönlichen nicht gleichwertig.
Suchtpotenzial: Die hohe Faszination des Internets und aller Social Media-Plattformen führt schnell zu zeitintensivem Medienkonsum und häufig auch zu einer Abkapselung. Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie online was drauf haben, beispielsweise in Computerspielen erfolgreich sind oder viele Likes haben, und ihre Fähigkeiten im Gegensatz dazu im realen Leben nicht gefragt sind, bewegen sie sich natürlich lieber dort, wo sie Akzeptanz erleben und sich kompetent fühlen. Es ist an uns Erwachsenen – Eltern, Lehrer*innen, Jugendarbeiter*innen etc. –, Kindern und Jugendlichen dieses Gefühl auch außerhalb der virtuellen Welt zu vermitteln.
Identitätsbildung: Selfies, Fake-Profile, Nicknames, Likes etc.: Contents sind heute beliebig produzier- und veränderbar. „Manche Mädchen bespielen mehrere Insta-Accounts – und das nach Lust und Laune, genauso wie sie heute ein schwarzes und morgen ein buntes T-Shirt anziehen“, stellt eine Schulsozialarbeiterin fest. Hajok (2020: 15) spricht hier von einer „Patchwork-Identität“ und verweist auf das Social Web als neuen Ort für Artikulation, Selbstthematisierung und Feedback. Die neuen Technologien arbeiten diesbezüglich nicht mehr nur mit Sprache, sondern mit der Kraft der Bilder. Was nicht passt, wird passend gemacht. Medien wirken deshalb mehr denn je bei der Identitätsbildung mit und fungieren als Projektionsfläche für eigene Wünsche und Sehnsüchte (vgl. Böhnisch 2016: 75–78).
Cybermobbing: Im Internet sinkt die Hemmschwelle zu beschimpfen und auszugrenzen. Schon vor Corona war Cybermobbing ein Thema und während des Lockdowns erst recht: beleidigende Kommentare, gemeine, unerlaubte Fotos, beschämende Videos, Terror über WhatsApp und so weiter. Für viele Kinder und Jugendliche gehört Cybermobbing zum Alltag und das rund um die Uhr: rasend schnell, schwer einzufangen, in wechselnden Rollen, kaum steuerbar und ohne jegliches Mitgefühl. Seit 2015 stellt das unter Umständen auch einen Straftatbestand dar. Wichtig für uns: Genau hinschauen, differenzieren (nicht jeder Konflikt ist gleich Mobbing) und im Rahmen unserer Möglichkeiten tätig werden.
6. Chancen digitaler Jugendarbeit
In der aktuellen Literatur wird digitale Jugendarbeit als Antwort auf neue Herausforderungen des Aufwachsens junger Menschen beschrieben. Ohne diesen Arbeitsaspekt würden wir einen wesentlichen „Aufenthaltsort“ junger Menschen links liegen lassen. Dazu sind es unserer Erfahrungen nach vor allem folgende Faktoren, die eine Fortsetzung unserer digitalen Aktivitäten nahelegen und gleichzeitig die Gelingens-Kriterien digitaler Jugendarbeit darstellen.
Virtuelle Aufenthaltsorte nutzen: Jugendliche halten sich täglich im digitalen Raum auf, da macht es natürlich Sinn, wenn die Jugendarbeit das nutzt.
Niederschwelligkeit: Online-Angebote haben kaum Zugangsbarrieren für Kinder und Jugendliche. Damit kommen sie dem Bedürfnis Jugendlicher nach unkomplizierten Unterstützungsmöglichkeiten nach: Bekannte Kommunikationswege, Anonymität, wenig Bürokratie, keine Terminvereinbarung, keine Wartezeiten, keine festgelegte Dauer, Ortsungebundenheit und geringe Hemmschwellen (vgl. Neumann 2016: 114–117). Bei Gruppenangeboten kann man kommen und gehen, wann man möchte, eine Parallele zum realen JUZ-Betrieb. Zwei Rückmeldungen von Kindern machen aber klar, wie ernst sie die Öffnungszeiten nehmen bzw. wie gern sie von Anfang an dabei sind. Eine Zwölfjährige schreibt per WhatsApp: „Sorry Sarah, ich weiß jetzt nicht, ob ich um Punkt 16:00 im online Bunker sein kann, aber ich komm dann gleich.“ Samy fragt: „Wann sperrt online-KIZ heute auf?“ In der Schulsozialarbeit wurden wir auf Kinder und Jugendliche aufmerksam, die im schulischen Alltag unscheinbar, zurückhaltend und schüchtern waren, dafür technikaffin und Profis im Umgang mit Medien. Online Kontakte zu knüpfen scheint also für manche leichter, für sie wäre ein breiteres Online-Beratungsangebot ideal.
Alternative Treffpunkte schaffen: Digitale Jugendarbeit hat während des Lockdowns in der Covid-19-Krise gezeigt, was sie leisten kann. Wenn der persönliche Kontakt unmöglich ist, hat sie die Chance, über digitale Kanäle jene zu erreichen, die durch den Stopp des gesellschaftlichen, schulischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in prekäre Situationen gekommen sind. Für Kinder und Jugendliche, deren Familien an räumliche, technische, gesundheitliche, ökonomische, soziale oder lernpsychologische Grenzen stießen, konnte es sehr hilfreich sein, Hilfestellungen auf digitalem Weg anzubieten.
Bekanntes gibt Sicherheit: Kinder und Jugendliche freuen sich über die Angebote ihrer Schulsozialarbeiter*innen oder ihres Kinder- und Jugendzentrums. Bekannte Gesichter, Usernamen und die Peergroup vermitteln Sicherheit, Zugehörigkeit und Spaß. Um in Kontakt zu bleiben, ist der digitale Weg unkompliziert, direkt und variantenreich möglich. Natürlich ist es angenehm, eine*n Sozialarbeiter*in bereits zu kennen und Vertrauen zu haben, bevor Beziehung im virtuellen Raum stattfindet. Die Kinder nehmen auch immer wieder Bezug auf gemeinsam Erlebtes oder die Sozialarbeiter*innen. „Ich hab dich unter Karo Karotte eingespeichert, weil du orange Haare hast :D“, berichtet Sumeye. Nach und nach bildeten sich auch virtuelle Stammgruppen bei unterschiedlichen Formaten. Der Transfer bekannter Programme und das Anknüpfen an die vereinbarten Regeln im JUZ-Betrieb funktioniert. „Wie läuft das in der Gruppe mit Verwarnungen, muss man hier auch Pause machen?“, fragt ein KIZ-Besucher.
Die Authentizität und Kreativität der Sozialarbeiter*innen ist für die Beziehungsarbeit online unverzichtbar. Manche haben Fotos über eigene Aktivitäten geteilt und damit Ideen gegeben. Eine Kollegin hat einen Stop-Motion-Film gemacht, eine andere Comics zum Thema „Self Care“ und „Hilfe holen“ während des Lockdowns gezeichnet und diese auf ihrem beruflichen Instagram-Account gepostet. Andere Kolleg*innen haben diese Inhalte dann geteilt. Auf jeden Fall verlangt es kreativer und neuer Herangehensweisen, um täglich attraktive und unterstützende Angebote zu machen.
Gut angeleitete Partizipation und Beteiligung funktioniert auch online. Das Mitmachen im virtuellen Kinder- und Jugendzentrum, die Mitgestaltung von Öffnungszeiten, Programmpunkten und Medieninhalten ist für viele ein wichtiger Aktionsraum.
Vermittlungsrolle: Auch digital kann die Jugendarbeit ihre Aufgabe der Vermittlung zu anderen Institutionen oder Ämtern wahrnehmen.
Möglichkeiten der Mediennutzung: Medien spielen für junge Menschen eine wichtige Rolle und erfüllen Bedürfnisse wie Unterhaltung, Informationsgewinn, Entspannung, Kommunikation und bieten Kontakt-, Freundschafts- und Präsentationsmöglichkeiten. Mit Fotos, Videos und dem Teilen von Erlebnissen gelingt es, eine eigene Identität zu erschaffen und sich auf der medialen Bühne ins Rampenlicht zu rücken. Darüber hinaus lassen sich einfach Beziehungen knüpfen und lose fortsetzen. Besonders empfänglich sind viele für Bilder, Videos und Spiele, mittels Texten erreicht man sie weniger leicht. Die Fülle an Informationen im Internet erfordert Know-how und Zeit, um sie zu filtern. Für junge Menschen ist es hilfreich, Strategien und digitale Kompetenzen im Umgang mit Medien zu entwickeln, die die Bandbreite ihrer Handlungsmöglichkeiten erweitern. Dazu bieten wir Projekte an, bei denen junge Menschen kreativ mit Medien arbeiten können, und suchen Wege für die Zusammenarbeit zwischen Schule und Offener Jugendarbeit, die auf den Leitprinzipien der außerschulischen Medienarbeit wie Freiwilligkeit, Partizipation und Lebensweltorientierung basieren fokussieren (vgl. Liese 2018: 216).
Resilienzförderung: Wir unterstützen oftmals Kinder und Jugendliche, die in schwierigen Situationen aufwachsen und steigern ihre Fähigkeit, Krisen zu bewältigen, mit Stress umzugehen und Widerstandskraft zu entwickeln. Gerade da, wo andere Institutionen es nicht schaffen, soziale Benachteiligung auszugleichen, agieren wir lebenswelt- und ressourcenorientiert, was von großer Bedeutung für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen ist. Die Phase der Covid-19-Einschränkungen hat gezeigt, dass wir Kinder und Jugendliche, zu denen eine Beziehung besteht, auch über digitale Kanäle erreichen und dass es gelingt, ihre Ressourcen zu mobilisieren. Es sind oft die Minderjährigen, die – wie auch medial mittlerweile thematisiert – die Schulschließungen mangels ausreichender familiärer und institutionalisierter Support-Systeme am härtesten getroffen hat.
Verschränkte Lebenswelten: Für Jugendliche besteht der Alltag aus Begegnungen mit physischen Personen und Begegnungen im digitalen Raum. Beide Handlungsräume können auch in der Jugendarbeit ineinandergreifen, eine Abgrenzung ist nicht notwendig. Die digitale Möglichkeit sollten wir gerade für benachteiligte Jugendliche aus bildungsfernen Familien als weitere Alternative nutzen, wenn herkömmliche Zugangsmöglichkeiten schwierig sind oder viel Zeit kosten. Eine Mischform von analog und digital, bei der situationsbezogen der passende Kommunikationskanal gewählt wird, ist ein Gewinn für die Zielgruppe und die Sozialarbeiter*innen (vgl. Stainer 2020: 40). Ein Beispiel dafür ist die Situation von Anikas 15-jähriger Freundin Aylin, die mit ihrer Familie nach Oberösterreich gezogen ist. Manchmal setzt Aylin sich in den Zug und kommt zum Mädchentreff. Dazwischen erleichtern ihr die Freundinnen und Sozialarbeiterinnen mit Chats, Videoclips und bei gemeinsamen Spielen die Übergangsphase.
Jugendpolitische Dimension: Allein durch die Mediatisierung der Lebenswelt ist die Medienpädagogik zu einer grundlegenden Aufgabe in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geworden. Offene Kinder- und Jugendarbeit darf in ihrer Rolle der Anwaltschaft für die junge Generation die digitale Welt nicht ausklammern, wenn sie eben dieser gerecht werden will. Katrin Valentin (2016: 17) stellt in Frage, ob das ausreichend passiert und vermisst „Positionspapiere, Stellungnahmen und Kampagnen, welche die Rechte der Kinder und Jugendlichen einfordern und sich zum digitalen Wandel unserer Gesellschaft verhalten“. Sie fordert einen offenen Umgang mit neu zu verhandelnden rechtlichen Fragestellungen. Trotzdem wäre es ein Irrglaube, dass digitale Räume reale Orte ersetzen könnten oder eingeschränkter Platz für Kinder in der Stadt, im öffentlichen Raum und in der Gesellschaft durch virtuelle Räume ausgeglichen werden kann. Da heißt es für die Offene Kinder- und Jugendarbeit nach wie vor, Lobbyarbeit für ihre Zielgruppe zu betreiben und sich nicht aus dem öffentlichen Raum vertreiben zu lassen.
Die digitale Jugendarbeit bietet vielfältige Möglichkeiten: Zielgruppenadäquate Kontaktaufnahme und -pflege, Ressourcen von Beziehungen und sozialen Netzwerken, Informationsvermittlung, Anlässe, um mit jungen Menschen zu reflektieren, Vermittlung von Kompetenzen, die im Bildungsbereich und am Arbeitsmarkt unerlässlich sind. Gleichzeitig hat sie selbst die Chance von Kindern und Jugendlichen zu lernen, welche Kanäle für sie aktuell wichtig sind und gewinnt dadurch Einblick in ihre virtuelle Lebenswelt und virtuelle Trends.
7. Schlussbemerkungen
Digitale Aktivitäten sozialer Einrichtungen und ihre Präsenz auf Social Media-Plattformen sind zunächst operative Notwendigkeiten, um Informationen zu erhalten und Netzwerke entstehen zu lassen (vgl. Pöyskö 2020: 78–81). In der Sozialen Arbeit mit jungen Menschen – sei es in Kinder- und Jugendzentren oder in der Schule – wollen wir darüber hinaus auch mit digitalen Angeboten nah an der Zielgruppe sein und einen Beitrag zur Medienbildung sowie Chancengleichheit leisten. Dieser Ansatz begleitet uns seit vielen Jahren, hat aber während der Zeit der Einschränkungen im Zuge der Covid-19-Pandemie 2020 an Bedeutung gewonnen. Primäres Ziel ist es dabei immer, ein an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiertes Online-Angebot zu schaffen. Diese virtuellen Informations- und Interaktionsräume sind im Verein Spektrum in Einzel- und Gruppenangeboten realisiert und ermöglichen den Austausch über die aktuelle öffentliche Situation und private Lage der Kinder und Jugendlichen.
Unserer Zielgruppe vermitteln wir durch unsere Angebote Sozial- und Medienkompetenz. Wenn die Beziehung stimmt und die Kinder und Jugendlichen uns als versierte und empathische Gesprächspartner*innen erleben, können wir uns darauf verlassen, dass sie sich an uns wenden. Neben allen kommunikativen, kreativen und gestalterischen Inhalten betreiben wir häufig Schadensbegrenzung. Wir versuchen die Probleme und Sorgen unserer Zielgruppe in ihren Freundschaften und Beziehungen von der virtuellen in die reale Welt zu holen und unterstützen dabei Lösungen zu finden, wir begleiten und strukturieren. Dabei stoßen wir auch an Grenzen, können aber auf Netzwerke und Kooperationspartner zurückgreifen. Durch den entgrenzten Charakter digitaler Kommunikation sind für uns fachliche Überlegungen zu Privatheit und Professionalität, Nähe und Distanz sowie Arbeitszeiten und technischer Ausstattung zentral (vgl. Rösch 2017: 270). Diese Überlegungen müssen in Zukunft auch bei Budgetentscheidungen Berücksichtigung finden und weitere Ressourcen für digitale Angebote müssen bereitgestellt werden.
Ein realer Treffpunkt oder ein persönliches Gespräch im Beratungsraum der Schulsozialarbeit bleibt dennoch unerlässlich. Im Verlauf des Lockdowns wurden Einzelgespräche und eine physische Öffnung der Einrichtungen bzw. persönlicher Beratung mit zunehmender Dauer häufiger und dringlicher von der Zielgruppe gefordert. Ergänzend ist digitale Jugendarbeit ein wichtiger Teil des Angebotes. Man darf auf das Durchhaltevermögen, die Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit, die die Kinder- und Jugendarbeit in ihrer historischen Genese immer wieder gezeigt hat, vertrauen (vgl. Valentin 2016: 175). Eike Rösch (2017: 271) tituliert passend: „Machen!“ „Nicht überfordern.“ „Kooperationen eingehen.“ Oder wie Anika sagt: „Online treffen ist besser als gar nicht treffen.“
Verweise
1 Unsere Erfahrungen in der digitalen Jugendarbeit in den beiden Handlungsfeldern haben wir auch in der 12. Ausgabe des Online-Journals sozialraum.de im Oktober 2020 mit dem Titel „Gemma online!“ – Digitale Kinder- und Jugendarbeit im Verein Spektrum veröffentlicht (vgl. Burgstaller/Fuchs/Heil 2020).
2 In diesem Rahmen hat der Verein Spektrum mit verschiedenen Partnerorganisationen in den letzten Jahrzehnten mit Kindern und Jugendlichen den kreativen Umgang und projektorientiertes Experimentieren mit Medien forciert, in Form von Fotostudios, Stadtteil-CD-ROMs, mit dem Medienmobil „ibus“, Kinderzeitungen, Radioproduktionen, Film- und Videoprojekten, Trickfilmstudios, Blogs u.v.m.
3 „jetzt – Soziale Arbeit in der Schule“ agiert in enger Abstimmung mit der Salzburger Bildungsdirektion und wird von der Bildungsabteilung des Landes finanziert. Eine taxative Aufzählung der begleiteten Schulen findet sich auf www.spektrum.at/jetzt.
4 Social Media-Aktivitäten wie Facebook- und Instagram-Accounts haben die einzelnen Kinder- und Jugendzentren wie auch die Schulsozialarbeiter*innen seit Jahren angelegt, um die jungen Leute wie ihre Eltern über Angebote zu informieren, Aktivitäten zu dokumentieren, Jugendliche an Projekten teilhaben zu lassen, wenn sie einmal nicht dabei sein konnten, und für alle Interessierten auf virtuellem Weg ansprechbar zu sein. Darüber hinaus gibt es telefonische und SMS-Kontakte sowie WhatsApp-Gruppen mit über 16-Jährigen, um diese direkt zu Veranstaltungen einzuladen bzw. um außerhalb der Öffnungszeiten in Notsituationen erreichbar zu sein.
5 Das Resümee der Online-Jugendarbeit der Wiener Jugendzentren des ersten Halbjahrs 2020 fällt in vielen Punkten ähnlich aus (vgl. Himmelfreundpointner 2020).
6 Unsere Kanäle sind: Instagram (Umfragen, Quiz, Infostorys zu verschiedenen Themen, Beiträge, Chats), Messenger-Dienste (Einzel- und Gruppenchats mit und ohne Video, Lernen), Social Media (Infos, Kommunikation mit Institutionen), Houseparty, Skype, Teams, Zoom (Gruppenchats), YouTube (Vorlesevideos), Mails (Infos, Hilfestellungen beim Lernen), Telefonate, Online-Gaming (FIFA, Werwölfe, Scribble, Schiffe versenken, Skip-Bo, Backgammon, Stadt-Land-Fluss, Draw something, Scribble, Duolingo, Kahoot, Quizduell) oder die Kinderzeitung Plaudertasche online (www.plaudertasche-online.at).
7 In-Game-Käufe sind Käufe, die während eines Spiels getätigt werden und Nutzer*innen regelmäßig animieren, neue Spielfunktionen einzukaufen, um bessere oder schnellere Erfolge zu haben. Diese Vorgangsweise gibt es auch bei zunächst kostenlos zu installierenden Spielen oder Apps. Wenn wir Online-Spiele anbieten, prüfen wir vorab auf den Websites oder durch Bewertungen, dass sie nicht nach diesem Prinzip funktionieren. Auch welche Daten abgefragt werden, klären wir vor dem Download.
Link zur Fotogallery
Literatur
Böhnisch, Lothar (2016): Lebensbewältigung. Ein Konzept für die Soziale Arbeit. Weinheim/Basel: Beltz Juventa. Burgstaller, Petra/Fuchs, Marlene/Heil, Pamela (2020): „Gemma online!“ – Digitale Kinder- und Jugendarbeit im Verein Spektrum. In: sozialraum.de, 12, 1/2020. https://www.sozialraum.de/gemma-online.php (01.10.2020).
Hajok, Daniel (2020): Alles anders? Wie sich Jugend in der digitalen Welt gewandelt hat. In: deutsche jugend. Zeitschrift für die Jugendarbeit, 68. Jg, S. 11–18.
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Über die Autorinnen
DSA Mag.a Petra Burgstaller
pburgstaller@spektrum.at
Sozialarbeiterin und Pädagogin, Mitglied im Vorstand und Projektleiterin im Verein Spektrum. Arbeitsbereiche: Soziokulturelle Projektarbeit, kulturelle Bildung, Personalentwicklung.
Mag.a (FH) Pamela Heil
pheil@spektrum.at
Sozialarbeiterin, Mitglied im Vorstand und Teamleiterin im Verein Spektrum, externe Lehrbeauftragte am Studiengang Soziale Arbeit der FH Salzburg. Arbeitsbereiche: Offene Kinder- und Jugendarbeit, Soziale Arbeit in der Schule.