soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Thema“ / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/692/1233.pdf


Christoph Redelsteiner, Jakob Fischer, Gerlinde Pollak, Lisa Maria Redelsteiner, Lukas Pollak & Hannah Tischler:

Vom Tablett zum Tablet

Implementierungserfahrungen von Seniorinnen und deren sozialem Umfeld


1. Einleitung

Der Begriff Tablett stammt vom lateinischen tabula, also eine Tafel. Er wird zur Bezeichnung einer flachen, mit den Händen tragbaren Arbeitsplatte verwendet. Der englische Begriff tablet steht für Notizblock, Tafel aber auch Tablette und wurde in den deutschen Sprachgebrauch übernommen, um einen flachen, mit einer Hand tragbaren Computer, der ohne Tastatur mittels Fingerberührungen des Bildschirmes bedient werden kann, zu bezeichnen. Wird der Begriff soziales Netzwerk in diesem Beitrag verwendet, so ist damit kein Onlinedienst gemeint, sondern der sozialarbeiterisch/soziologische Begriff: als Geflecht von Menschen, die miteinander kommunizieren und interagieren.

Während bei Kindern und Jugendlichen der zu häufige, manchmal auch süchtige Umgang mit Smartphones und Tablets moniert wird und diese Tools oft schon ab der Volksschule alltagsbegleitend sind, ist die Verwendung dieser Kommunikationswerkzeuge bei Senior*innen (noch) nicht sehr verbreitet. Für diese könnte die Verwendung dieser Technologien aber einen einfachen Zugang zu Informationsressourcen und bessere Kommunikationsmöglichkeiten mit den jüngeren Generationen bedeuten. Anhand von zwei Fallgeschichten wird der Weg von zwei Seniorinnen – via Tablet ins Internet und zu sozialen Nachrichtendiensten – beschrieben und deren Erfahrungen festgehalten. Auch die Perspektive der beiden Enkel, die als Brückenpersonen zur Technologie durch die konkrete Einschulung und Begleitung essenziell waren, werden dargestellt.


2. Fragestellungen

Die Fragestellungen des Forscher*innenteams, das auch aus den involvierten Enkelkindern bestand, lauteten:


3. Methodische Vorgehensweise

Der Gedanke, die Erfahrungen mit der Implementierung der Tablets festzuhalten, kam erst, nachdem diese erfolgreich eingeführt worden waren. Sieben bzw. drei Jahre nach Beginn der Tablet-Verwendung von den zwei Seniorinnen, wurden diese von zwei Enkelkindern, die nicht unmittelbar am Einschulungsprozess für das Gerät beteiligt waren, anhand eines teilstandardisierten Fragebogens interviewt. Die wesentlichen Inhalte der Gespräche wurden unmittelbar handschriftlich aufgezeichnet, eine Tonbandaufzeichnung mit Transkription wurde nicht durchgeführt. Die zwei Enkel, die jeweils als primäre Personen bei ihren Großmüttern den Einschulungsprozess begleiteten, antworteten per E-Mail auf einen schriftlichen teilstandardisierten Fragebogen. Das Einverständnis aller Beteiligten zur Veröffentlichung liegt vor. Die Ergebnisse wurden in Bereiche wie Widerstände, Herstellen der Motivation, Hilfestellungen oder Anwendungserfahrungen mit kritischen Erfolgsfaktoren kategorisiert. Eine Literaturrecherche wurde nicht durchgeführt, da primär das Festhalten der subjektiven Erfahrungen der Nutzerinnen und deren Umfeld im Sinne von Fallberichten im Fokus stand.


4. Ausgangssituationen der Seniorinnen

Frau A ist 81 Jahre alt, gelernte Sekretärin und war ab ihrem 24. Lebensjahr Hausfrau. Sie ist verheiratet, ihr Mann (80) verwendet seit zehn Jahren einen Computer und hat dadurch auch Zugang zum Internet via LAN und benützt E-Mail. Beide verwenden ein Fahrrad zum Einkauf im unmittelbaren Radius von ca. vier Kilometern, Herr A verwendet ein Auto für weitere Strecken. Das Festnetztelefon ist die primäre Methode zur Kommunikation mit den jeweils entfernter lebenden Kindern und Enkeln (über 140 km vom Wohnort des Paars entfernt); wenn beide unterwegs sind, verwenden sie ein einfaches Mobiltelefon mit Tasten. Das Ehepaar hat zwei Kinder (57w, 54m) und vier Enkelkinder (27m, 26w, 24m, 20m) und lebt alleine in einem Haus in einer Gemeinde mit 208 Einwohner*innen pro km2. Enkel E1 ist 27 Jahre und Student, er war in der Zeit der Tablet-Einführung Zivildiener und besuchte seine Großeltern rund ein Mal pro Woche, wobei er eine Fahrtzeit von ca. einer Stunde hatte. Er ist die Brückenperson zur neuen Technologie. Alle Kinder, Schwieger- und Enkelkinder benützen Smartphones bzw. Tablets mit Telefonnetzanbindung. Der Ausbau der Mobiltelefonnetze in der Region ist bei allen Anbietern sehr gut, es steht durchgängig LTE (Long Term Evolution, ein Mobilnetz mit ausreichend Downloadraten zur Verwendung von Internet bzw. auch Videoanwendungen) zur Verfügung. Ein Hausnotrufgerät wird nicht verwendet.

Frau B ist 77 Jahre alt, Landwirtin und Hausfrau und benützt ein Festnetztelefon. Sie ist verwitwet, hat vier Kinder (56m, 54m, 52w, 48w) und vier Enkelkinder (29m, 27w, 18w, 15m). Die Seniorin ist noch am Hof aktiv, fährt aber nur noch am Feld mit dem Auto und Traktor. Drei der vier Kinder wohnen im näheren Umkreis von maximal neun Kilometern. Enkel E2, die Brückenperson, lebt zusammen mit seinen Eltern, zwei Minuten Gehzeit entfernt gleich neben dem Hof der Großmutter und besucht sie fast täglich. Er und seine Mutter benutzen Smartphones und haben einen Internetzugang, der nicht bis zum Hof von Frau B reicht. Alle vier Kinder benützen Mobiltelefone, die zwei Töchter in Form eines Smartphones. Drei der vier Schwiegerkinder benützen ebenfalls Smartphones, ein Schwiegersohn ein einfaches Tastenhandy. Alle Enkelkinder verwenden Smartphones. Frau B lebt in einer Gemeinde mit 24 Einwohner*innen pro km2 in der Grenzregion zu Tschechien. Die Netzabdeckung mit LTE ist durch die leichte Tallage der Ortschaft und einen entfernten Handymasten nur bei einem Anbieter verlässlich möglich, gelegentlich wird man in tschechische Netze eingebucht. Die Seniorin hat ein Hausnotrufgerät, das dazugehörige Armband hängt in der Nähe der Badewanne. Eine ständige Verwendung des Notrufgeräts im Alltag erfolgt nicht, da das Design nach außen auf eine Hilfsbedürftigkeit hinweist, die Frau B nicht aufweist.


5. Die Phase der Erwägung – Widerstände

Jeweils ein Kind hatte die Idee, „die Mutter ans Tablet zu bringen“. Erste vorsichtige Andeutungen bei diesen verursachten spontane ablehnende Reaktionen von „bin zu alt“, „bringe ich nicht mehr zusammen“ bis „brauche ich nicht mehr“. Hier wurden die Prognose der vermuteten weiteren Lebensdauer und die Selbsteinschätzung hinsichtlich der Erlernbarkeit und Anpassungsfähigkeit an eine neue Technologie mitverhandelt. Auch im Verwandtensystem gab es Skepsis, ob das Tablet nicht nur unbenützt herumliegen würde, insbesondere bei Personen, die selber keine regelmäßige Anbindung an diese Form der Kommunikation als für sich erforderlich bzw. sinnvoll erachteten. Auch das Aufzwingen einer Technologie gegen den Willen einer Person wurde als Argument eingebracht und ebenso, dass „es eben auch so geht, Bankomatkarte haben und brauchen sie ja auch nicht“.

Als Gegenargumente wurde die teilweise geringe Kommunikation zwischen manchen Enkeln und Großeltern, die sich auf Festtagsbesuche, wenige Anrufe und vereinzelte Postkarten aus Urlauben beschränkten, eingebracht. „Wie schreibt man da die Adresse drauf, welche Postleitzahl hat Oma?“ Es sei an der Zeit, die Enkeln mit den Großeltern zeitgemäß zu vernetzen, um häufiger kurze Infos, insbesondere Fotos auszutauschen. Letztlich wurden daher Weihnachten und Geburtstage als Anlässe genommen, den Großeltern ein Tablet zu schenken. Bei den Verwandten wurde dafür gesammelt und zugesichert, dass bei Nichtverwendung bzw. Nichtakzeptanz des Tablets dieses nach einem Jahr vom jeweils initiierenden Kind zurückgenommen und das Bargeld an die Mutter gegeben würde.


6. Die Phase der Übergabe: Ein trojanisches Tablet?

Bei den jeweiligen Festen wurde den Omas das Tablet überreicht. Mit den vorhandenen Blumen allein hätte man dasselbe Ausmaß an Freude erreicht, die initiale Skepsis dem Tablett gegenüber war groß. In beiden Fällen wurde klar kommuniziert: 1.) Wir helfen dir beim Einrichten und bei der Verwendung des Tablets, 2.) insbesondere E1 bzw. E2 stehen direkt und regelmäßig zur Verfügung. Scherzhaft wurde 3.) angemerkt: „Notfalls nur als Tablett verwenden und nicht als Tablet“. Bei Nichtgefallen nach einem Jahr wurde 4.) zugesichert, dass das Gerät zurückgegeben werden kann und der jeweilige Betrag in Bar überreicht wird.

Auf beiden Tablets waren vorab zahlreiche gescannte Fotos aus der Kindheit der Beteiligten und viele, vor allem unbekannte Fotos aus dem bisherigen Lebensweg der Enkelkinder gespeichert. Bei Seniorin B waren auch kurze Videos von musikalischen Auftritten von Kindern und Enkeln hochgeladen worden. Das Tablet wurde also primär als Bildplatte und Unterhaltungsmedium präsentiert und durch die Foto- und Videoauswahl ein emotionaler Bezug hergestellt. Ebenso wurde in beiden Fällen das Tablet zur Bilddokumentation der Familienfeier verwendet und die neue Userin auch gleich selbst als Fotografin aktiv.


7. Die Phase der Einschulung: Kein Stress, nur Ausprobieren

7.1 Erste Schritte

Für die ersten Tage der Anwendung standen E1 und E2 regelmäßig und kurzfristig zur Verfügung. Sie übernahmen die Erstinstallation: das Einlegen von externen Teilen wie SIM- und SD-Karte, das Anlegen des benötigten Accounts zur Anwendung bestimmter Applikationen und der E-Mail-Funktion (Google-Account), die Herstellung der Verbindung zum W-LAN bzw. zum Mobiltelefonnetz im Rahmen des Setups. WhatsApp wurde als der verbreitetste Messenger-Dienst unter den Verwandten installiert und jeweils eine Familiengruppe, d.h. ein gemeinsamer Chat, eingerichtet. Weiters wurden nach und nach ein paar gängige Apps vorgestellt und dann z.B. die ORF-TV Thek eingerichtet. Ebenso wurden unmittelbar erste WhatsApp Nachrichten gepostet und so eine rasche erfolgreiche Anwendung erzielt. Insbesondere die weiteren Enkelkinder gaben bisher unbekannte Einblicke in ihre Lebenswelten, indem sie z.B. Fotos aus ihrem Alltag schickten. Als hilfreich haben sich auch WhatsApp-Icons auf der obersten Bildschirmfläche für die einzelnen Familienmitglieder erwiesen, damit ein einfaches und direktes Anschreiben per Knopfdruck möglich wurde.


7.2 Einschulungsdauer

Die grundlegende Nutzung von WhatsApp – passiv Nachrichten empfangen und aktiv Nachrichten schreiben – wurde von beiden Seniorinnen innerhalb von einer Woche, inklusive dem Verschicken von Fotos, erlernt. YouTube als breite Unterhaltungsplattform wurde ebenso rasch nach der Installation benutzt. Das Erlernen der Informationsbeschaffung via Internetsuche hat ein paar Tage länger gedauert, da sich beide auch mit den grundlegenden Techniken der Onlinerecherche vertraut machen mussten, beispielsweise dem Erkennen von nichtrelevanter Werbung nach einer Browsersuche. Individuelle Schwerpunkte des Interesses an Zugängen zu Themen und Informationen via Tablet haben sich innerhalb der ersten zwei Monate entwickelt. Die Funktion, Tonaufnahmen zu versenden, statt zu schreiben, wurde von den Seniorinnen nicht verwendet, die Funktion der Videotelefonie wurde erst nach drei Jahren während der Corona-Pandemie erprobt.


8. Häufige Anwendungen

In der Folge ergaben sich individuelle Interessenschwerpunkte. Bei einer Person waren dies das morgendliche Betrachten der Livekamera vom Lieblingsberg – per Direktlink am Desktop des Tablets installiert – und das Betrachten von Livestreams von diversen Bergen weltweit, inklusive der Skifahrer*innen bei Schnee im Winter und der Sterne bei Dunkelheit. Im anderen Fall lag ein Schwerpunkt beim Besuch von Online-Gottesdiensten mit zeitgemäßen und verständlichen Predigten. Weiters wird das Tablet zum Nachschauen und Nachhören bestimmter TV- und Radiosendungen verwendet. Eine Seniorin verfolgt Talkshows, auch zu Themen mit persönlichem Bezug wie „Wie schaffe ich es, gelassen alt zu werden?“, mit großem Interesse. Urlaubsorte von Verwandten werden auf Landkarten gesucht und Wettervorhersagen und -warnungen vorab als Nachrichten an die Urlauber*innen geappt oder auch Informationen zu konkreten Sehenswürdigkeiten erfragt. Ebenso verwendet eine der Seniorinnen das Tablet, um Informationen zur eigenen Medikation und Videos zu einem Krankheitsbild nachzusehen. Bei einer Seniorin löste das Tablet, auch durch die gute Bildqualität, den digitalen Fotoapparat ab. Ebenso wird das Tablet zur raschen Informationssuche allgemein benützt, in einem Fall tritt dadurch auch der Computer des Mannes in den Hintergrund, der erst länger hochgefahren werden müsste. Kochrezepte werden über Tablet gesucht, Musik via YouTube gehört, ORF und die lokalen Zeitungen gelesen und Shows- und Musiksendungen nachgeschaut. Erst mit dem Beginn der Corona-Zeit ergaben sich Videoanrufe.

Als häufigste Anwendungen geben beide Seniorinnen die Anwendung von WhatsApp und das digitale Fotoalbum an. Spezielle Apps, die eventuell den Lebensalltag unterstützen wie Erinnerungen für die Medikamenteneinnahme oder Onlinebanking, wurden nicht eingerichtet. Beide Seniorinnen verwenden auch nach wie vor keine Bankomatkarte und überweisen mit Zahlschein bzw. Bankeinzug.


9. Allgemeine Tipps, wie man ältere Menschen auf Tablets einschult aus Sicht der Nutzerinnen und der beiden Brückenpersonen

Folgende Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Implementierung eines Tablets bei Senior*innen wurden in den Interviews geäußert:


10. Herausforderungen, Stolpersteine und Schwierigkeiten

Ebenso ergaben sich einige Herausforderungen und Schwierigkeiten, die wertvolle Lernerfahrungen darstellen:


11. Das Tablet ist defekt

Für eine Seniorin wurde ein günstiges Tablet via Internet angeschafft, das knapp vor Ablauf der Gewährleistungsfrist kaputt ging. Ein Umstieg auf ein Smartphone wurde verworfen, da nur eine Bildschirmgröße von zumindest zehn Zoll eine gute Bedienbarkeit, Lesbarkeit und ausreichende Übersicht ermöglicht. Die Seniorin war bereits sehr mit ihrem Tablet vertraut und wünschte sich dasselbe Modell. Dieses war allerdings nur mehr begrenzt erhältlich. Durch Kontakt mit dem Hersteller und nach der Erklärung der Situation, konnte ein vergleichbares Tablet organisiert werden, ohne dass neue Kosten angefallen sind. Ein Umstieg auf ein anderes Tablet mit anderen Bedienungslogiken hätte wieder einen neuen Einschulungsprozess erfordert. E1 hätte im Unterschied zur betroffenen Seniorin diesen Weg und den Umstieg auf ein hochwertigeres Tablet gewählt:

„Ich würde den Umstieg auf ein neues Tablet empfehlen, da es meiner Meinung nach eine weniger große Umstellung für die Benutzer darstellt. Zum Beispiel, dass die verschiedenen Menüs möglichst gleich wie vorher ausschauen/an den gleichen Positionen sind. Dadurch können die alten Vorgangsweisen vielleicht ohne Änderung beibehalten werden.“ (E 1)

Die zweite Seniorin benützt von Beginn an und ohne technische Probleme ein Marken-Tablet. Wäre der Defekt des Gerätes von Seniorin 2 nach der Gewährleistung erfolgt und hätte zur Neuanschaffung eines vergleichbaren Tablets geführt, wäre in Summe für beide Seniorinnen letztlich derselbe Geldbetrag ausgegeben worden.


12. Wie motiviert man andere Senior*innen zur Benützung eines Tablets – Gedanken der Nutzerinnen und der Brückenpersonen

Die Seniorinnen versuchten in der Folge auch Freundinnen und andere jüngere und ältere Verwandte zur Verwendung eines Tablets zu motivieren. Damit wurden sie zu Multiplikator*innen. Die Funktion eines Peers, die andere als Brückenperson bei der Anwendung der neuen Technologie unterstützt, ergab sich durch die räumlichen Distanzen zu diesen Personen nicht.

Seniorin A sieht das Tablet als „Tor in die Welt“ und sei es auch, um das Wetter und damit die Natur in weit entfernten Gebieten live anzusehen. Freundinnen versuchte sie mit den Argumenten zu motivieren, dass man viele Informationen gratis aus der Region erhält, Gemeindeinfos ansehen kann und sogar nachlesen kann, was der Pfarrer predigt. Ihre beste Freundin aus Internatszeiten besitzt auch ein Tablet, eine Kommunikation über diesen Weg gelang bisher aber nicht. Es wird vermutet, dass nicht entsprechend engmaschig Brückenpersonen zur Einschulung und Motivation zur Verfügung standen. Seniorin A macht auch Fotos von Familienereignissen und mailt diese ihrem Mann. Dieser druckt sie dann aus, stellt sie auf und mailt manche Bilder auch an zwei seiner ehemaligen Klassenkollegen in den USA und Australien. Damit kommen Menschen wieder in Verbindung zueinander. Die Idee, dass Familienmitglieder und Freund*innen für ein Tablet zusammenlegen, führt auch zu einer Diskussion über die Funktion und Bedeutung von Online-Netzwerken für ältere Menschen und über die Motivation bei der Anwendung sowie die leichtere Akzeptanz der Technologie.

Seniorin B bezeichnet das Tablet als Mittel zur Einsamkeitsreduktion und als „nicht lebensnotwendig, aber sehr hilfreich, insbesondere jetzt in der Corona-Krise, um sicher mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben, sich mit ihnen zu unterhalten“. Sie benützt das Tablet mehrere Stunden täglich und hält WhatsApp und Videoanrufe für sehr wichtig für ältere Menschen. Unter Anleitung hat sie auch schon an einer Videokonferenz teilgenommen. Das Vorhandensein von W-LAN im Haus hält sie für sehr wichtig, um einfache Videoanwendungen einsetzen zu können und weniger Gebühren für Mobiltelefonie zu zahlen. In ihrem Fall erfolgte die Installation eines W-LAN ca. eineinhalb Jahre nach der Schenkung des Tablets. Davor wurde an schönen Tagen das angrenzende Haus des Sohnes, in dem auch Enkel E2 lebt, aufgesucht bzw. auch dessen W-LAN Radius auf der angrenzenden Wiese ausgenutzt. Mit Beteiligung von Seniorin A wurde dem jüngeren Sohn ein Smartphone geschenkt, auch er ist nun mit seiner Mutter per WhatsApp verbunden und in Bildkontakt. Die zweite Großmutter von E2 wurde in der Folge ebenfalls mit einem Tablet beschenkt, hier gestaltete sich durch die weitere Entfernung und geringere Anleitungsmöglichkeit die Anwendung schwieriger. Seniorin B meint zusammenfassend: „Ich kann es jedem nur empfehlen. Wenn die Kinder oder junge Generation aber nicht dahinter sind, ist es fast unmöglich, ein Tablet zu haben und zu verstehen.“


13. Weitere Anwendungserfahrungen

Als besonders hilfreich erwiesen sich die Tablets bei drei Krankenhausaufenthalten der Seniorinnen. Bevor man direkt am Tablet anruft, ist eine App-Anfrage möglich, ob es gerade passt. Auch in der Phase unmittelbar nach Operationen kann die technisch generierte Auskunft über die empfangene und gelesene Nachricht für die Angehörigen schon beruhigend sein. Seniorin B erhielt bei einem längeren Krankenhausaufenthalt auch regelmäßig bewunderndes Feedback der Zimmerbewohnerinnen und des Pflegepersonals, das in einem besonderen Lob gipfelte: „Eine Schwester meinte zu mir sogar: ‚Was sie mit ihren über 70 Jahren können, kann ja nicht mal ich mit meinen 45!‘“ Die Mitsprache eines der Kinder bei Visiten per Videoanruf wurde angedacht, war letztlich aber nicht erforderlich. Auch wenn es in den jeweiligen Krankenhäusern W-LAN gab, waren die Seniorinnen nicht mit den Kenntnissen vertraut, um sich in ein fremdes W-LAN einzuloggen. Hier bewährte sich, dass beide Geräte auch über SIM-Karten verfügen.

Perfekt bewährt haben sich die Tablets ab dem Beginn der Corona-Krise. Bei allen Personen im Verwandtschaftssystem war der Satz zu hören: „Gottseidank benützt Oma ein Tablet.“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren damit alle familiären Skeptiker*innen im Boot, die Kommunikation war bereits eingespielt und wurde z.B. auch zum Singen von Geburtstagsliedern ausgebaut. Eine komplexere Videokonferenz-Feier mit mehreren Teilnehmer*innen scheiterte am Messenger-Dienst. Ein nutzerfreundliches Konferenztool war nicht installiert und die Installation nicht so einfach aus der Ferne erklärbar. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, vorab diese Tools zu installieren und deren Anwendung zu üben und regelmäßig zu praktizieren.


14. Auswirkungen auf das soziale Netzwerk

Ob die Verwendung eines Tablets eine Verdichtung des sozialen Netzwerks bewirkt, könnte mit einer prospektiven Längsschnittstudie durch das Anfertigen von Vorher-/Nachher-Netzwerkkarten nach Pantuček-Eisenbacher erhoben werden. Die aktive und passive Kontaktfrequenz und die Zahl der Kontakte könnten durch Auswertung der WhatsApp-Nachrichten der beiden Seniorinnen erhoben werden. Das erstgenannte Studiendesign war zeitlich nicht mehr möglich zu realisieren, das zweite Studiendesign wäre technisch einfach und durch Produktion quantitativer Daten auch inhaltlich ergänzend relevant. Nachdem die Forscher*innen Teil des familiären Systems sind, daher keine entsprechende Felddistanz und Anonymisierung möglich sind, wurde dieser Auswertungszugang letztlich verworfen und es wurden die rein qualitativen Aussagen der Nutzerinnen und ihres Umfeldes verwendet.

Die Benützung des Tablets stärkt jedenfalls das soziale Netzwerk der Nutzerinnen. Seniorin B äußert hierzu: „Ich bin mit meiner ganzen Familie und mit älteren Personen, die auch ein Tablet besitzen, stärker in Kontakt gekommen.“ Oder Seniorin A: „Ich bin mit der jüngeren Generation der Familie stärker und mit [NNs = S B] Mutter direkter in Kontakt gekommen.“

Abbildung 1
Abbildung 1: Seniorinnen am Tablet – Fachsimpeln über unterschiedliche Anwendungen (eigene Aufnahme).


Weiters intensiviert sich der Kontakt durch das gemeinsame Erlernen der neuen Technologie mit der jeweiligen Brückenperson: „Es gab stärkeren Kontakt, wobei das auch in Kombination mit dem PC von Opa war, wenn er z.B. Hilfe am PC brauchte und Oma am Tablet.“ (E 1) Ebenso entsteht ein gemeinsames generationsübergreifendes neues Gesprächsthema, das auch die Enkelgeneration zu Expert*innen macht: „Wir konnten uns über etwas Gemeinsames unterhalten, da war Omas Tablet sehr hilfreich.“ Insgesamt verdichtete sich die Kommunikationsfrequenz insbesondere zu den Enkelkindern, von den selteneren persönlichen auf häufigere digitale Kontakte. Seniorin A ist mittlerweile Urgroßmutter geworden und verfolgt mit ihrem Mann anhand von Fotos und Videos fast täglich die Entwicklung des Urenkels. Auch ihr erstes Videotelefonat war mit dem brabbelnden Urenkel, für den dies auch die erstmalige Benützung dieser Technologie darstellte. Seniorin A ist auch nach einem persönlichen Besuch bei Seniorin B, bei dem unter anderem Erfahrungen und Tricks in Bezug auf das Tablet ausgetauscht wurden, via Tablet und regulärem Telefon in Kontakt mit ihr geblieben. Neue WhatsApp-Vernetzungen in der Nachbarschaft haben sich auch in der Corona-Zeit bisher nicht ergeben, hier greift man auf das reguläre Telefon zurück oder tauscht sich bei zufälligen Begegnungen aus.


15. Zusammenfassung

Die Benützung des Tablets wird von beiden Seniorinnen und deren Umfeld als sinnvoll und die Einführung als Erfolg bezeichnet und sie trägt zur Erhöhung der Lebensqualität bei. Die Bedeutung einer rasch verfügbaren Brückenperson in der Einführungsphase kann nicht genug betont werden. Erforderliche Empathie, Geduld und pädagogische Kompetenzen waren bei beiden lehrenden Enkeln vorhanden. Seniorin 2 hält fest: „Ich liebe mein Tablet und verbringe einige Stunden täglich damit. Es ist eine gute Zerstreuung.“ Die andere Seniorin meint, dass, neben der Stärkung der sozialen Kontakte, „meine Neugierde, dass man nachschauen kann und alles herausfinden kann, was man will“, entscheidend ist. Letztlich sind die Verwendung von Tablets und Smartphones Kulturtechniken die idealerweise möglichst früh erlernt werden, um Bedienlogiken, Vor- und Nachteile, Anwendungsbereiche und -kontexte zu verstehen. So kann – nicht nur in Zeiten von reduzierten persönlichen sozialen Kontakten – ein dichtes soziales Netzwerk gesichert werden. Ein breiter Zugang zu diesen Kommunikations- und Informationsgeräten sollte insbesondere auch für ältere Menschen gewährleistet werden, um Exklusion im Sinne eines „digitalen Darwinismus“ zu vermeiden.


Interviewverzeichnis

E 1 – Enkel 1, Interview 22.03.2020.

E 2 – Enkel 2, Interview 19.03.2020.

S A – Seniorin A, Interview 24.03.2020.

S B – Seniorin B, Interview 21.03.2020.


Über die Autor_innen

FH-Prof. DSA Mag.(FH) Dr. PhDr. Christoph Redelsteiner, MSc
christoph.redelsteiner@fhstp.ac.at

ist Sozialarbeiter, Notfallsanitäter und Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Masterstudienganges Soziale Arbeit an der FH St. Pölten.


Jakob Fischer, BSc

ist Informatikstudent an der Technischen Universität Wien, Studiengang Software und Information Engineering.


Mag.a Gerlinde Maria Pollak

ist Philosophin und Pädagogin an einer Wiener Mittelschule.


Lisa Maria Redelsteiner, BA

ist Elementar- und Hortpädagogin und Sozialarbeiterin in Wien.


Hannah Tischler

ist Schülerin der HLW Freistadt, Schwerpunkt Kommunikations- und Mediendesign.


Lukas Pollak

ist Lehrling bei einem Energieversorgungsunternehmen in NÖ.