soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/701/1258.pdf
Monica Brunner & Verena Hofer:
1. Einleitung
In den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße lassen sich häufiger Kleinkinder beim Spielen mit dem Smartphone beobachten. Diese auf den ersten Blick irritierende Beobachtung war für uns der Ausgangspunkt für die Frage, in welchem Ausmaß Kinder im Alter von null bis sechs Jahren digitale Medien im familiären Alltag nutzen. Diese Frage beantworteten wir im Rahmen des Forschungsprojekts „Nutzung digitaler Medien von Kleinkindern im familiären Alltag“, dessen Ergebnisse im nachfolgenden Beitrag vorgestellt werden. Dieses Projekt wurde von den Autorinnen, zwei Studierenden des Studiengangs Sozialmanagement in der Elementarpädagogik an der FH Campus Wien, durchgeführt.
Das Thema digitale Medien im Zusammenhang mit jungen Kindern polarisiert sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Es gibt unterschiedliche Positionen z.B., dass Kinder so lange wie möglich von digitalen Medien ferngehalten werden sollten. Andere gehen davon aus, dass Kinder möglichst früh an diese herangeführt werden sollten, um einen adäquaten Umgang damit zu lernen. Interessant ist in diesem Zusammenhang unter anderem, ob Eltern ihre Kinder von digitalen Medien fernhalten bzw. ob diese ihre Kinder überhaupt von diesen fernhalten können, wie viele Kinder in der Altersgruppe der Null- bis Sechsjährigen also tatsächlich noch gar keinen Umgang mit dem einen oder anderen digitalen Gerät haben. Weiters war für das Forschungsprojekt von Interesse, zu welchem Zweck bzw. zu welchen Zeitpunkten im Verlauf des Tages Kinder digitale Medien nutzen dürfen.
2. Digitale Medien und Kleinkinder
Das Wort Medien lässt sich nach Helen Knauf (2010) vom lateinischen medium ableiten und kann demnach als Vermittler verstanden werden. Dabei wird häufig zwischen alten und neuen Medien unterschieden. Zu alten Medien wird beispielsweise das Buch gezählt, der Computer sowie das Smartphone, jedoch ist eine eindeutige Zuordnung nicht möglich. Die Autor*innen von Bildung im Zeitalter der Digitalisierung verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die Begrifflichkeiten neue Medien und digitale Medien sowohl in der Literatur als auch in der Alltagssprache synonym verwendet werden (vgl. Brandhofer/Baumgartner/Ebner/Köberer/Trültzsch-Wijnen/Wiesner 2019: 311). In diesem Beitrag werden unter digitalen Medien der Laptop, das Smartphone, das Tablet, die Smartwatch, der digitale Fernseher – also Fernseher, welche mit dem Internet verbunden werden können – und Streamingdienste sowie diverse Spielekonsolen (z.B. Nintendo Switch) und Hörspiele (via Toniebox oder Smartphone) verstanden.
Tillmann und Hugger (2014: 31) verweisen darauf, dass digitale Medien heute ein alltäglicher Begleiter von Kindern sind. Laut Theunert (2015: 136) findet der Erstkontakt bei den meisten Kindern bereits ab dem ersten Lebenstag zu Hause und innerhalb der Familie statt. Mehrere Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum zeigen, dass Kinder ab zwei Jahren in ihrem Zuhause von einer Vielzahl von digitalen Medien wie beispielsweise dem Fernseher, dem Computer/Laptop, Internetzugang oder Smartphone umgeben sind (vgl. mpfs 2015; mpfs 2017; Education Group 2018a; Education Group 2018b). Das bedeutsamste Medium für Kinder zwischen zwei und fünf Jahren stellt der Fernseher dar, welchen bereits 44 Prozent der Kinder laut miniKIM-Studie fast täglich nutzen dürfen (vgl. mpfs 2015: 7). Diesen nutzen sie gemeinsam mit ihren Eltern vor allem am Abend. Die Eltern hingegen können am wenigsten auf ihr Smartphone verzichten (vgl. Education Group 2018b). Hinsichtlich des Zwecks der Nutzung von digitalen Medien zeigt die DIVSI U9-Studie (vgl. DIVSI 2015: 65), dass Kinder im Vorschulalter digitale Medien vor allem für Lernspiele nutzen und weniger zur Unterhaltung. Außerdem dürfen Kinder zum Teil digitale Medien nutzen, damit ihre Eltern Zeit für sich haben bzw. um stressige Momente des Alltags zu bewältigen (vgl. DIVSI 2015: 121). Auch die Autor*innen der Studie Medienrituale und ihre Bedeutung für Kinder und Eltern stellen fest, dass Eltern digitale Medien unter anderem als Babysitter nutzen: um Zeit für andere Tätigkeiten zu haben, um Ausruhen zu können oder um Wartezeiten zu überwinden (vgl. Oberlinner/Eggert/Schubert/Jochim/Brüggen 2018: 18). So kommt es auch, dass Kinder am Wochenende, vor allem bei Schlechtwetter, häufiger und/oder länger digitale Medien verwenden als unter der Woche (vgl. DIVSI 2015: 64).
Zusammenfassend wird deutlich, dass ein Großteil der Kinder ab zwei Jahren bereits digitale Medien nutzt. Der Fernseher stellt dabei das wichtigste Medium dar, er wird vor allem gemeinsam am Abend genutzt. Die Nutzungsdauer, aber auch welche digitalen Medien genutzt werden, ist vom Alter der Kinder abhängig. Kinder im Vorschulalter nutzen häufig Lernspiele und Eltern setzen digitale Medien unter anderem zur Beschäftigung ihrer Kinder ein. Ob und inwiefern Kinder unter zwei Jahren digitale Medien nutzen, geht aus den hier dargestellten Studienergebnissen nicht hervor.
3. Beschreibung und Begründung des Designs
Um die Frage beantworten zu können, ob und in welchem Ausmaß digitale Medien im Alltag von Kindern genutzt werden, wurde eine explorative Untersuchung zum Ist-Stand der Nutzung digitaler Medien bei Kindern von null bis sechs Jahren im familiären Alltag durchgeführt. Für dieses Forschungsvorhaben wurde ein Methodenmix gewählt, um auf unterschiedliche Art und Weise Daten aus verschiedenen Perspektiven zu generieren. Im quantitativen Teil der Untersuchung erfolgte eine Fragebogenerhebung und im qualitativen Teil wurde ein Interview durchgeführt. Im besten Fall ergänzen sich die quantitativen und qualitativen Forschungsergebnisse (vgl. Kelle 2014: 156f.). Mithilfe der Fragebogenerhebung konnte eine Vielzahl an Eltern erreicht werden und konnten grundlegende Daten, beispielsweise ob und welche digitalen Medien von Kindern in dieser Altersgruppe genutzt werden, generiert werden. Das Interview diente der Ergänzung bzw. Vertiefung der zuvor erhobenen Daten. Die Erhebungen fanden in Form einer Querschnittsanalyse von November 2019 bis Jänner 2020 in Wien statt. Der Fragebogen beinhaltete geschlossene Fragen, bei welchen vorgegebene Antwortmöglichkeiten anzukreuzen waren, und Mischfragen, bei denen zusätzlich eine frei geschriebene Antwort gegeben werden konnte (vgl. Raab-Steiner/Benesch 2012: 51).
Die Stichprobe umfasste erziehungsberechtigte Personen, die ein oder mehrere Kinder in einer Kindertageseinrichtung der Stadt Wien betreuen lassen. Die Stichprobe – sowohl der quantitativen als auch der qualitativen Datenerhebung – ist jedoch zu gering, um von dieser auf die Gesamtpopulation Österreichs schließen zu können. Im Großen und Ganzen handelt es sich bei unserem Sample um eine Zufallsstichprobe (vgl. Raab-Steiner/Benesch 2012: 19).
Die teilnehmenden Kindergärten wurden an einem Tag von uns besucht, um die Fragebogenerhebung durchzuführen bzw. um möglichst viele ausgefüllte Fragebögen in einer möglichst kurzen Zeit zu erhalten. So konnte unser geplantes Forschungsvorhaben in der uns zur Verfügung stehenden Zeit durchgeführt werden. Die Bewilligung unserer Forschung bei den Trägern in Wien nahm deutlich mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich von uns geplant. Schlussendlich konnten wir unsere Fragebogenerhebung mit Unterstützung der Stadt Wien-Kindergärten durchführen, welche uns an vier Kindergärten weiterverwiesen. Zwei davon wurden jeweils von einer Forscherin in der Bringzeit, die anderen zwei Einrichtungen in der Abholzeit besucht. Die erziehungsberechtigten Personen wurden direkt angesprochen und gefragt, ob sie bereit sind bei dem Forschungsvorhaben mitzuwirken und einen Fragebogen auszufüllen. Von den insgesamt 60 vorbereiteten Fragebögen wurden 44 ausgefüllt. Die Rücklaufquote betrug somit knapp zwei Drittel. Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mittels deskriptiver Statistik. Da der Fragebogen ausschließlich in deutscher Sprache verfasst war, besteht die Möglichkeit, dass sich das Ausfüllen für Erziehungsberechtigte mit einer anderen Erstsprache schwierig gestaltet hat und einzelne Fragen schwer zu verstehen waren.
Zur Erhebung der qualitativen Daten wurde ein Leitfaden entwickelt, welcher auf der deskriptiven Auswertung der Fragebogenerhebung basiert. Mittels eines Begleitschreibens, welches dem Fragebogen beigelegt wurde, wurden die Eltern gebeten, sich für ein ergänzendes Interview zur Verfügung zu stellen. Auf diesem Begleitschreiben konnten sie ihre E-Mail-Adresse bekanntgeben und wurden von uns kontaktiert. Die Rücklaufquote, also die Bereitschaft, an einem Interview teilzunehmen, betrug 2,2 Prozent (fünf Personen). Von diesen fünf Eltern haben drei auf die E-Mail-Anfrage nicht geantwortet, ein Elternteil war zum vereinbarten Termin verhindert, wodurch schlussendlich nur ein Interview stattgefunden hat. Das Interview fand im Jänner 2020 mit einem Vater von zwei Kindern (sechs und zehn Jahre) aus unserer Stichprobe stattfand und wurde standardisiert narrativ geführt. Es dauerte etwa 50 Minuten und wurde im Kindergarten durchgeführt. Bei der Transkription des Interviews wurde nur der Inhalt wiedergegeben, latente Hinweise wie beispielsweise Lachen, Zwinkern, Stottern etc. wurden nicht berücksichtigt.
Zur Auswertung des Interviews wurde die Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt. Mayring unterscheidet drei Formen der qualitativen Inhaltsanalyse: die Strukturierung, die Zusammenfassung und die Explikation (vgl. Mayring 2002: 115, zit.n. Denz 2005: 75). Für dieses Interview eignete sich die Form der Strukturierung. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden sowohl deduktive als auch induktive Kategorien gebildet. Das Interview wurde paraphrasiert und reduziert, damit wesentliche Aussagen herausgefiltert und den Kategorien zugeordnet werden konnten. Die induktiven Kategorien, die gebildet wurden, sind: Medien als Babysitter, Gleichberechtigung und neues Medienverhalten. Die deduktiven Kategorien wurden von theoretischen Überlegungen – in Anlehnung an die Fragen des Fragebogens – abgeleitet und die induktiven Kategorien entstanden beim ersten Durcharbeiten des Interviews. Die deduktiven Kategorien wurden wie folgt benannt: Welche digitalen Medien werden genutzt?, Nutzung im Tagesverlauf, Dauer der Nutzung, Zweck der Nutzung und Nutzung der Eltern.
4. Deskriptive Ergebnisse der Fragebogenerhebung
Insgesamt haben 42 erziehungsberechtigte Personen, welche ihr Kind im Alter von einem bis sechs Jahren in einem Kindergarten in Wien betreuen lassen, an der quantitativen Fragebogenerhebung teilgenommen. Das Durchschnittsalter der Kinder der Befragten liegt bei 4,5 Jahren (N = 42, M = 4,51, SD = 1,31), die Geschlechterverteilung der Kinder liegt bei 15 Mädchen und 27 Buben.
Grundsätzlich zeigt die deskriptive Auswertung, dass die meisten Haushalte mit vielfältigen Medien ausgestattet sind. Fast alle Eltern gaben an, zumindest ein Smartphone, einen Laptop sowie einen digitalen Fernseher zu besitzen.
Abbildung 1: Medienbesitz der Eltern.
Außerdem gaben 83 Prozent der befragten Eltern an, dass ihre Kinder im Alltag digitale Medien nutzen. Doch welche digitalen Medien nutzen die Kinder genau? Hier zeigt die Auswertung ein klares Bild: 60 Prozent der Kinder dürfen den digitalen Fernseher nutzen, 48 Prozent Hörspiele sowie 33 Prozent das Smartphone. Die folgende Grafik zeigt jedoch auch deutlich, dass einige digitale Medien, wie beispielsweise die Smartwatch, der Laptop oder die Spielekonsole, von Kindern im Alter von null bis sechs Jahren noch kaum oder gar nicht verwendet werden.
Abbildung 2: Nutzung von digitalen Medien.
Eine weitere Frage der Fragebogenerhebung betraf die Nutzung digitaler Medien im Verlauf des Tages, also wann genau bzw. in welchen Situationen im Tagesverlauf die Kinder digitale Medien nutzen dürfen. Die am häufigsten verwendeten digitalen Medien, den digitalen Fernseher, Hörspiele sowie das Smartphone, dürfen die Kinder laut Angabe ihrer Eltern vor allem zum Zeitvertreib verwenden.
Abbildung 3: Nutzung digitaler Medien im Verlauf des Tages.
Der digitale Fernseher wird vor allem zum Anschauen von Serien und/oder Filmen verwendet, zudem zum Hören von Musik sowie für Lernspiele. Das Smartphone wird vor allem für Spiele sowie das Sehen von Serien und/oder Filmen genutzt, aber auch für Lernspiele, zum Hören von Musik sowie für anderes wie beispielsweise, um Fotos anzusehen.
Abbildung 4: Nutzungsart.
5. Qualitative Ergebnisse des Interviews
Der interviewte Vater zweier Kinder (sechs und zehn Jahre) äußerte hinsichtlich der allgemeinen Nutzung, dass sein sechsjähriges Kind vor allem den Fernseher sowie die Spielekonsole nutzt (vgl. Iv 1: Z 5–8). Aber auch Hörspiele, das Smartphone und das Tablet darf seine Tochter benützen (vgl. Iv 1: Z 55–61, 159–163). In Bezug auf den Zeitpunkt der Nutzung, dürfen die Kinder den Fernseher sowohl unter der Woche, vor dem Schlafengehen als auch am Wochenende beispielsweise zum Zeitvertreib nutzen (vgl. ebd.: Z 95–100, 107–109). Das Smartphone und die Spielekonsole werden hingegen kaum unter der Woche verwendet, sondern überwiegend am Wochenende (vgl. ebd.: Z 109–110). Das Smartphone kommt unter anderem auch in Wartesituationen, wie beispielsweise beim Arzt oder in einem Restaurant, zur Überbrückung der Zeit zum Einsatz, aber auch als Babysitter bzw. zur Ablenkung, wenn die Kinder unruhig sind (vgl. ebd.: Z 64–66, 118–119). Die überwiegende Nutzung der digitalen Medien fällt laut Angaben des Vaters vor allem auf das Wochenende, Feiertage und Weihnachten (vgl. ebd.: Z 5–6, 112–113). Bezüglich der Dauer der Nutzung gibt der Vater an, dass er die Nutzung des Smartphones für etwa 20 bis 30 Minuten täglich für seine Tochter als angemessen empfindet, hinsichtlich des Fernsehens etwa eine Stunde oder eine Filmlänge (vgl. ebd.: Z 147–157). Darüber hinaus spricht der Vater auch darüber, dass seine Tochter im Sinne der Gleichberechtigung digitale Medien nutzen darf, wenn dies ihrem älteren Bruder auch gestattet ist (vgl. ebd.: Z 68–71, 203–204). Der Interviewte machte zudem Angaben darüber, wofür seine Tochter die digitalen Medien nutzt. Das Smartphone wird für Spiele, Lern-Apps sowie YouTube verwendet (vgl. ebd.: Z 37, 43, 79–87). Der Fernseher dient seiner Tochter ausschließlich zum Schauen von Serien und Filmen (vgl. ebd.: Z 50–51). Über die Spielekonsole darf sie Spiele spielen und das Tablet verwendet sie zum Ansehen von Serien (vgl. ebd.: Z 51–52, 160–163). In diesem Zusammenhang sprach der Vater das Medienverhalten seiner Tochter an, denn diese wählt gezielt Filme bzw. Serien aus und sieht sich nicht irgendetwas an (vgl. ebd.: Z 165–168). Der Vater machte zudem Aussagen zu seiner eigenen Nutzung von digitalen Medien (Nutzung der Eltern). Er verwendet das Smartphone sowie den Fernseher täglich (vgl. ebd.: Z 13, 153–155).
6. Diskussion der Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass das Zuhause von Kindern mit vielfältigen digitalen Medien ausgestattet ist. Vor allem das Smartphone, der Laptop und der digitale Fernseher finden sich in der Mehrheit der Haushalte. Diese Ergebnisse stimmen mit denen aus bereits vorhandenen Studien des deutschsprachigen Raums größtenteils überein. Lediglich die Reihung der einzelnen digitalen Medien unterscheidet sich in diesen, so nimmt das Smartphone in einigen Studien den zweiten Platz und in anderen den dritten ein (vgl. mpfs 2015; mpfs 2017; Education Group 2018b). Es zeigt sich in Hinblick auf die Ausstattung zudem die Bedeutsamkeit des Smartphones für die Eltern, welches fast alle der Befragten besitzen. Laut FIM-Studie 2016 (vgl. mpfs 2017: 49) hat für mehr als die Hälfte aller Eltern das Smartphone eine wichtige bis sehr wichtige Bedeutung hinsichtlich der Gestaltung des familiären Alltags. Das Smartphone ist zu jeder Zeit verfügbar und kann aufgrund seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, so Manfred Spitzer (2015: 54f.), als „Schweizer Taschenmesser“ der heutigen Zeit verstanden werden.
Die in Deutschland durchgeführte Studie miniKIM 2014, in welcher Eltern zur Mediennutzung ihrer Kindern befragt wurden, kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass für Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren das Fernsehen zu einer ihrer liebsten Beschäftigungen in der Freizeit zählt (vgl. mpfs 2015: 9). Die Ergebnisse des hier durchgeführten Forschungsprojekts ergeben ein ähnliches Bild. Fast alle der befragten Eltern, welche ihren Kindern erlauben digitale Medien im Alltag zu nutzen, gaben an, dass diese den Fernseher zum Ansehen von Serien und Filmen benützen. Ein durchaus überraschendes Ergebnis, da der digitale Fernseher nicht mehr konkurrenzlos ist. Das Smartphone, das Tablet und der Computer haben bzw. hätten großes Potential, den Fernseher hinsichtlich seiner Beliebtheit abzulösen. Es ist jedoch sehr gut möglich, dass die Eltern nicht nur den digitalen Fernseher berücksichtigt haben, sondern auch den analogen Fernseher. Knauf (2010:13) merkt dazu an, dass das Fernsehen mit seinen farbigen und bewegten Bildern eine hohe Anziehungskraft auf Kinder ausübt. Zudem ist der Fernseher ein Medium, welches Kinder bereits in sehr jungen Jahren allein nutzen bzw. benutzen können und/oder dürfen. Hingegen ist die autonome Nutzung des Smartphones, des Tablets und des Computers durch Kinder für viele Eltern mit einigen Sorgen verbunden (vgl. DIVSI 2015: 66). Viele Eltern möchten ihre Kinder möglichst lange vom Surfen im Internet fernhalten (vgl. ebd.: 97), vor allem weil sie befürchten, dass die Kinder unangemessene Inhalte konsumieren können, wie beispielsweise Gewaltdarstellungen (vgl. ebd.: 101). Trotz aller Skepsis nimmt das Smartphone unter den benutzten Medien bereits den dritten Platz ein.
Im ersten Bericht der Teilstudie Medienrituale und ihre Bedeutung für Kinder und Eltern wurde ein Schwerpunkt auf Rituale in der Familie in Bezug auf digitale Medien gelegt (vgl. Oberlinner et al. 2018: 5). Der Fernseher nimmt gemäß der Ergebnisdarstellung eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit Ritualen ein (vgl. ebd.: 10). Je nachdem, wie der digitale Fernseher in der Familie genutzt wird, zeigt sich eine Strukturierung entweder durch das Fernsehprogramm oder durch den Tagesablauf, wodurch sich im Verlauf der Zeit ein Ritual entwickelt. So wird beispielsweise jeden Tag die gleiche Serie zum gleichen Zeitpunkt angesehen. Unter einer Ritualisierung durch den Tagesablauf kann z.B. das tägliche Fernsehen nach dem nachhause Kommen verstanden werden (vgl. ebd.: 11). Auch im durchgeführten Interview zeigt sich dieses Phänomen, und zwar dürfen die Kinder unter der Woche vor dem Schlafengehen fernsehen (vgl. Iv 1: Z 107–109). Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung zeigen ebenfalls, dass das Fernsehen nicht nur als Zeitvertreib (z.B. um Zeit im Alltag zu überbrücken) verwendet wird, sondern z.B. auch vor dem Schlafen gehen. Der Fernseher übernimmt für einige Eltern demnach die Funktion, den Kindern zu vermitteln, dass es nach dem Film, der Serie etc. Zeit ist, um ins Bett zu gehen (vgl. Oberlinner et al. 2018: 19).
Hinsichtlich der Entstehung von Ritualen, die von Medien begleitet sind, wird in der Teilstudie unter anderem die Unterstützung bzw. Entlastung im Familienalltag von den Eltern angegeben: während die Kinder fernsehen, können die Eltern diese Zeit für andere Tätigkeiten nützen (vgl. ebd.: 16). Sowohl die Fragebogenerhebung als auch die Auswertung des Interviews zeigen ein ähnliches Ergebnis. Hinsichtlich des Zeitpunktes bzw. -raums der Nutzung des Fernsehers, von Hörspielen und des Smartphones zeigen die Ergebnisse, dass diese Nutzungsformen vor allem eine entlastende bzw. unterstützende Funktion haben. Die Kinder dürfen vor allem digitale Medien zum Zeitvertreib nutzen, jedoch auch beim Warten und unterwegs. Digitale Medien übernehmen für einige Eltern auch die Funktion eines Babysitters (vgl. Oberlinner et al. 2018: 18). Auch der interviewte Vater spricht davon, dass er digitale Medien auch dazu verwendet, um seine Kinder zu beschäftigen, damit er konzentriert einer anderen Tätigkeit nachgehen kann (vgl. Iv 1: Z 118–119). Viele Eltern üben jedoch auch Kritik an den selbst eingeführten Ritualen im Familienalltag (vgl. Oberlinner et al. 2018: 24). Vor allem hinsichtlich des Fernsehens zeigen sie eine kritische Haltung (vgl. ebd.: 25). Der interviewte Vater äußerte zu Beginn des Interviews, dass es häufig einem Kampf gleicht, den Fernseher auszuschalten (vgl. Iv 1: Z 5–9).
Generell zeigen die Ergebnisse des durchgeführten Forschungsprojekts, dass nur 17 Prozent der Eltern ihre Kinder tatsächlich von digitalen Medien fernhalten. Der Großteil der Kinder hat hingegen bereits Zugang zu einzelnen digitalen Medien. Im Rahmen einer weiteren Studie zur digitalen Medienbildung in Grundschule und Kindergarten wurden Eltern, Grundschullehrer*innen sowie Kindergartenpädagog*innen nach ihrer Sichtweise bezüglich der Wirkung von digitalen Medien auf die Entwicklung der Kinder gefragt (vgl. IfD-Allensbach 2014: 62). Nur 17 Prozent der befragten Eltern gaben an, dass digitale Medien sich positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirken (vgl. ebd.). Die Befürchtung einer möglichen negativen Wirkung auf die Entwicklung der Kinder kann ein Grund für Eltern sein, ihre Kinder so lange wie möglich von digitalen Medien fernzuhalten. Gleichzeitig erachten Eltern – in Hinblick auf eine möglichst gute Bildung sowie die zukünftige berufliche Karriere ihrer Kinder – einen möglichst frühen Zugang zu digitalen Medien als wesentlich (vgl. DIVSI 2015: 91).
7. Elementarpädagogische Konsequenzen
In Hinblick auf die soeben dargestellten Ergebnisse wird deutlich, dass Kinder bereits sehr früh in ihrem Leben mit den unterschiedlichsten digitalen Medien in Kontakt kommen. Der Kindergarten als familienergänzende Einrichtung kann Eltern dabei unterstützen, den Kindern einen angemessenen Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln. Helga Theunert (2015) spricht sich diesbezüglich deutlich dafür aus, dass die Verantwortung – hinsichtlich der Heranführung der Kinder an digitale Medien – nicht nur bei den Eltern liegt, sondern zu gleichen Teilen auch bei bildenden und erziehenden institutionellen Einrichtungen. Bedeutsam dabei ist, die Kinder zu begleiten, ihre Kompetenzen sowie ihren Entwicklungsstand – zur Vermeidung einer Überforderung – zu berücksichtigen und Gespräche über das mit den digitalen Medien Erlebte zu führen. Den Kindern kann dadurch vermittelt werden, dass digitale Medien nicht nur rein der Rezeption dienen, sondern auf vielfältige Art und Weise verwendet werden können, beispielsweise zur Aneignung von neuen oder vertiefenden Informationen. Auch Knauf (2010) weist hinsichtlich der Medienerziehung darauf hin, dass junge Kinder beim Medienumgang von Erwachsenen begleitet werden müssen und dass Gespräche über das Gesehene bzw. Erlebte für einen autonomeren Umgang der Kinder wesentlich sind.
Die institutionellen Gegebenheiten hemmen pädagogische Fachkräfte häufig darin, medienpädagogische Angebote im Kindergartenalltag umzusetzen und können zu einer negativen Haltung gegenüber digitalen Medien führen (vgl. Schubert/Eggert/Lohr/Oberlinner/Jochim/Brüggen 2018: 29f.). Eine unzureichende Ausstattung mit digitalen Medien, fehlende Aus- und Weiterbildungen der pädagogischen Fachkräfte, Angst vor der Reaktion der Eltern sowie die Gruppengröße können in diesem Zusammenhang als Gründe dafür angeführt werden (vgl. ebd.: 30). Medienaffine bzw. -kompetente Mitarbeiter*innen sowie vorhandenes Interesse an digitalen Medien sind hingegen förderliche Gegebenheiten für gelungene Medienerziehung (vgl. ebd.). Fachkräfte, welche es als ihre Aufgabe sehen die Kinder in der Medienaneignung zu unterstützen und zu fördern, werden vor allem durch ihre individuelle Einsatzbereitschaft und ihr Interesse angetrieben (vgl. ebd.).
Neben dem adäquaten Einsatz von digitalen Medien im Kindergartenalltag ist zudem die Zusammenarbeit mit den Eltern wesentlich. Eine Studie zu digitalen Medien in Kindertageseinrichtungen zeigt, dass viele pädagogische Mitarbeiter*innen die elterliche Nutzung von digitalen Medien im Kindergarten als negativ empfinden, weshalb die pädagogischen Mitarbeiter*innen diese überwiegend im Kindergarten verbieten (vgl. Schubert et al. 2018). Um eine angemessene Förderung der Kinder im Umgang mit digitalen Medien sicherstellen zu können, ist sowohl die Kenntnis über den familiären Mediengebrauch als auch die Herstellung einer positiven Beziehung auf Augenhöhe zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Eltern wesentlich. Seitens der pädagogischen Fachkräfte bedarf es diesbezüglich einer gewissen Unvoreingenommenheit bzw. Offenheit gegenüber dem familiären Gebrauch von digitalen Medien sowie einer transparenten Medienarbeit.
Naumann (2010) argumentiert, dass pädagogische Fachkräfte eine verstehende Haltung einnehmen sollten. Das bedeutet, dass Eltern nicht mit Ratschlägen oder Ge- und Verboten überhäuft werden, sondern ihnen zunächst zugehört wird und dadurch signalisiert wird, verstehen zu wollen. Durch diese Haltung kann ein Arbeitsbündnis zwischen den Eltern und pädagogischen Fachkräften geschlossen werden, durch welches „ein Weg der Verständigung über das Erleben des Kindes, der Eltern und des gemeinsamen Alltags“ (ebd.: 160) möglich wird. Dadurch können pädagogische Fachkräfte die Vorstellungen der Eltern besser verstehen, welche für deren erzieherisches Handeln leitend sind.
8. Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts hinsichtlich der Nutzung von digitalen Medien von Kindern im Alter von null bis sechs Jahren innerhalb der Familie mit den vorliegenden Studien überwiegend decken. Es wird vor allem sichtbar, dass der (digitale) Fernseher nach wie vor für Kinder in dieser Altersgruppe sehr bedeutsam ist. In Bezug auf den elementarpädagogischen Bereich erscheint es vor allem als wesentlich, dass sich pädagogische Fachkräfte mittels adäquater Fort- und Weiterbildungen neues Wissen aneignen können und bereits vorhandenes Wissen bezüglich digitaler Medien erweitern und vertiefen können. Dadurch wäre es pädagogischen Fachkräften möglich, eine positive Haltung gegenüber digitalen Medien einzunehmen sowie die Eltern und ihre Kinder bei der adäquaten Nutzung von unterschiedlichen digitalen Medien zu unterstützen. Um Kinder in der Aneignung von digitalen Medien angemessen unterstützen zu können, bedarf es zudem einer positiven Zusammenarbeit zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften, welche durch eine Haltung des Verstehens und das Schließen eines Arbeitsbündnisses aufgebaut werden kann.
Literatur
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Interviewverzeichnis
Iv 1 – Interview 1: Monica Brunner, Elementarpädagogin, geführt am 04.01.2020.
Über die Autorinnen
Monica Brunner
monica.brunner@stud.fh-campuswien.ac.at
Elementarpädagogin und Studierende des Bachelorstudiengangs „Sozialmanagement in der Elementarpädagogik“ an der FH Campus Wien.
Verena Hofer
verena.hofer@stud.fh-campuswien.ac.at
Elementarpädagogin und Studierende des Bachelorstudiengangs „Sozialmanagement in der Elementarpädagogik“ an der FH Campus Wien.