soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/703/1264.pdf


Verena Hrdlicka:

Blackbox Dokumentation

Von Partizipationsmöglichkeiten und -hindernissen in der Dokumentation


1. Einleitung

So unterschiedlich die Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit auch sind, das adressat*innenbezogene Dokumentieren stellt eine Gemeinsamkeit innerhalb der sozialarbeiterischen Praxis dar. Von Professionist*innen wird Dokumentation mitunter als administrative Last wahrgenommen: Sie nimmt zeitliche Ressourcen in Anspruch, die schlussendlich bei den Adressat*innen fehlen. Tatsächlich bedeutet Dokumentation weitaus mehr. Sie dient als Kommunikationstool zur Erfüllung diverser Funktionen wie Information, Argumentation, Reflexion und Legitimation (vgl. Reichmann 2016: 7, 37; Sidell 2011: 3). Verortet im Spannungsfeld verschiedener Interessen bleiben den Betroffenen die Inhalte der Dokumentation – die wie eine Art Blackbox funktioniert – meist verborgen, was eine Machtasymmetrie zwischen Professionist*in und Adressat*in zur Folge hat.

Obwohl Partizipation ein in der Sozialen Arbeit allgegenwärtiger Begriff ist, wird sie nur selten im Zusammenhang mit Dokumentation thematisiert. Diese fehlende Verknüpfung spiegelt sich auch in der Fachliteratur wider: Während der Transparenz im Sinne von Zugangs- und Einsichtsrechten noch in kurzen Unterkapiteln Aufmerksamkeit geschenkt wird, bleibt eine Auseinandersetzung mit Partizipation in der Dokumentation meist aus. Eine Begründung dafür könnte im fehlenden wissenschaftlichen Diskurs liegen, denn nur wenige Publikationen beschäftigen sich mit der aktiven Involvierung von Adressat*innen im Dokumentationsprozess (vgl. Sidell 2011: 191). Zu beobachten ist dieser Umstand nicht nur im wissenschaftlichen Kontext, sondern auch anhand der Ethikrichtlinien des Österreichischen Berufsverbandes der Sozialen Arbeit (OBDS). Obwohl Beteiligung und Selbstbestimmung der Adressat*innen vom Berufsverband gefordert werden und ein primäres Charakteristikum sozialarbeiterischen Handelns darstellen, gilt dieser Anspruch nicht für den Dokumentationsprozess. Hervorgehoben werden im Ethikkodex das Recht auf Einsicht der Adressat*innen in die Dokumentation und eine anzustrebende Datenminimierung, das Dokumentieren und Evaluieren von Arbeitsschritten bleibt jedoch den Professionist*innen vorbehalten (vgl. OBDS 2004).

In meiner Bachelorarbeit mit dem Titel Blackbox Dokumentation (2019) bin ich daher der Frage nachgegangen, welche Partizipationsmöglichkeiten und -hindernisse für Adressat*innen der Sozialen Arbeit im Rahmen der personenbezogenen Dokumentation bestehen. Der folgende Artikel beinhaltet eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse und möchte die Chancen einer partizipativen Dokumentationspraxis aufzeigen sowie einen Impuls zum Diskurs bieten.

Bevor partizipative Dokumentation näher beleuchtet wird, widmen sich die ersten zwei Abschnitte des Artikels den Bestandteilen des Begriffes, nämlich Dokumentation und Partizipation. Neben deren Definition werden ihr Stellenwert für die Soziale Arbeit als auch die mit ihnen zusammenhängenden Herausforderungen skizziert, um anschließend den Bogen zur partizipativen Dokumentation spannen zu können. Die in der Dokumentation manifesten Machtstrukturen zwischen Professionist*in und Adressat*in werden hier aufgezeigt und die Partizipation der Adressat*innen als mögliche Demokratisierung des Dokumentationsprozesses diskutiert. Diesbezüglich ist die Bedeutung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als gesetzliche Basis elementar, weshalb deren Anforderungen an Dokumentation und Soziale Arbeit in einem eigenen Abschnitt dargestellt werden.


2. Dokumentation in der Sozialen Arbeit

Im Zuge der Qualitätssicherung und Professionalisierung von Sozialer Arbeit entwickelte sich das Dokumentieren zu einem wesentlichen Bestandteil des beruflichen Alltags von Sozialarbeiter*innen (vgl. Merchel 2018: 15; Reichmann 2016: 12). Obwohl Professionist*innen die Schreibarbeit oft als Belastung empfinden, scheint keine breite kritische Auseinandersetzung mit Dokumentation stattzufinden (vgl. Merchel 2018: 16).

Über die reine Informationssammlung hinaus dient Dokumentation in der Sozialen Arbeit dem Festhalten von Sachverhalten, die die Ausgangslage für weitere Schritte darstellen. Dokumentation ist als Kommunikationsinstrument zu verstehen, das wiederum selbst in ein umfassenderes Kommunikationsgefüge implementiert ist (vgl. Moch 2018: 60; Sidell 2011: 9). Dokumentation tritt in der sozialarbeiterischen Praxis in vielfältigen Formen auf: von handschriftlich bis elektronisch, von Entwicklungsberichten über Gesprächsprotokolle bis hin zu biographischen Interviews und Hilfeplänen (vgl. Blandow 2018: 44ff.; Busch 2018: 78). Während Dokumentation meist mit schriftlichen Aufzeichnungen in Verbindung gebracht wird, verweisen sowohl Kaspar Geiser (2009: 45) als auch Jürgen Blandow (2018: 48) auch auf visuelle und akustische Dokumente wie Fotos, Zeichnungen oder Videos. Jill Doner Kagle und Sandra Kopels (2008) sehen die Diversität der Gestaltungsmöglichkeiten von Dokumentation in der Heterogenität der Handlungs- und Aufgabenfelder der Sozialen Arbeit begründet. Die Rahmenbedingungen von Dokumentation auf inhaltlicher sowie struktureller Ebene werden durch verschiedenste Faktoren beeinflusst und können von Organisation zu Organisation aufgrund unterschiedlicher institutioneller Aufträge und organisatorischer Strukturen variieren (vgl. ebd.: 9).

Darüber hinaus unterliegen die der Dokumentation zugrundeliegenden Zwecke übergeordneten Interessen, die politischer, administrativer, fachlicher als auch rechtlicher oder persönlicher Natur sein können und bereits vor dem Schreibprozess ihren Inhalt sowie ihre Form maßgeblich prägen. Diese Kumulation von Einflussfaktoren zeigt, dass Dokumentieren weit mehr als „einfältiges“ Schreiben ist und in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen verortet ist (vgl. Blandow 2018: 43).

Carolyn Taylor und Susan White (2000) schreiben der Dokumentation neben einer gedächtnisstützenden auch eine kontrollierende und legitimierende Funktion zu. Mit dem Schreibprozess werden Kommunikationsstrukturen geschaffen und reproduziert, die direkte Auswirkungen auf das sozialarbeiterische Handeln haben (vgl. Reichmann 2016: 7). Ute Reichmann (2016: 37) unterscheidet zwischen acht Funktionen von Dokumentation im institutionellen Kontext: Information, Argumentation, Reflexion, Arbeitsorganisation, Legitimation, Verpflichtung, Evaluation und Sozialplanung.

Dokumentation als systematische Informationsverarbeitung kann die Ausgangslage für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Professionist*innen und Adressat*innen, Institutionen sowie innerhalb eines Teams sein (vgl. Reichmann 2016: 38). Während mit Hilfe dokumentierter Informationen die Erhaltung von Wissen und des Status quo sichergestellt werden, können Dokumentationsinhalte darüber hinaus als Grundlage für Entscheidungen oder Empfehlungen herangezogen werden. Dokumentation kommt somit eine Argumentationsfunktion zu, die sowohl innerhalb eines Teams, institutionsübergreifend oder auch gegenüber Adressat*innen bedeutsam ist. Das Festhalten von Arbeitsschritten und vom eigenen professionellen Tun kann im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen als Nachweis für die Einhaltung fachlicher Standards dienen, es kann jedoch auch Verstöße gegen ebendiese aufzeigen. Plakativ formuliert, fungiert Dokumentation als Legitimation für das eigene Handeln (vgl. ebd.: 39; Merchel 2018: 20).

Mit der fortschreitenden Ökonomisierung und Professionalisierung der Sozialen Arbeit veränderten sich allerdings die Funktionen von Dokumentation, sodass die Legitimierung von Finanzen und die Einhaltung der Qualitätsstandards beinahe flächendeckend zum Muss geworden sind (vgl. Kreidenweis 2018: 244f.). EDV-basierte Dokumentation bietet hier im Gegensatz zur analogen Erledigung weitaus mehr Potential zur Multifunktionalität. Fachliche wie auch betriebswirtschaftliche Komponenten werden mithilfe von Fachsoftware miteinander vereint (vgl. Kreidenweis 2018: 246; Ley/Seelmeyer 2014: 52). Während nicht-EDV-gestützte Dokumentation noch eine gewisse Flexibilität betreffend Form und Ausmaß zugelassen hat, bedeuten digitale Dokumentationssysteme meist eine (Teil-)Standardisierung (vgl. Kreidenweis 2018: 243). Dokumentation erfüllt dadurch immer häufiger den Zweck der Datenerfassung und nimmt gleichzeitig den Raum für Narratives. Durch die Reduktion komplexer Darstellungen mithilfe standardisierter Masken entsteht eine Barriere zwischen Professionist*in und Adressat*in (vgl. Munro 2004: 1074, zit.n. Lewis 2016: 55).

Dokumentation erfüllt in der sozialarbeiterischen Praxis eine Vielzahl an Funktionen, die unterschiedlichen Interessen geschuldet sind. Diese teilweise divergierenden Absichten können mitunter in einem Spannungsverhältnis stehen, inmitten dessen die Dokumentierenden zu entscheiden haben, was, wann, wie und warum dokumentiert werden soll. Antonia Zauner (2016: 187) erkennt vor allem in der Legitimationsfunktion eine Komplexität, die Dokumentation in ein „Spannungsfeld zwischen Transparenz und Kontrolle“ rückt. Es ist genau dieses Spannungsfeld, in dem auch das Mehrfachmandat der Sozialen Arbeit verortet ist. Dokumentation als Kommunikationsinstrument besitzt daher das Potential, die Beziehung zwischen Professionist*in und Adressat*in maßgeblich zu beeinflussen – sowohl positiv als auch negativ (vgl. Kagle/Kopels 2008: 15). Beim Dokumentieren erfassen Professionist*innen persönliche Informationen von Adressat*innen, deren Zugang zu den Dokumenten allerdings oftmals beschränkt ist, wodurch Adressat*innen „im wahrsten Sinne zu ‚Betroffenen‘ der Aktenführung“ (Merchel 2018: 24) werden. Die von Blandow (2018: 47) vorgeschlagene „Ko-Produzent*innenschaft“ könnte hier eine Möglichkeit darstellen, mehr Transparenz zu schaffen: Adressat*innen gestalten Dokumentation als Ko-Produzent*innen mit, was bedeutet, dass sie aktiv in den Dokumentationsprozess miteingebunden werden.


3. Partizipation in der Sozialen Arbeit

Obwohl der Begriff Partizipation und sinnverwandte Bezeichnungen in den 1970er Jahren einen Aufschwung innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erlebten, konnte sich bis heute keine eindeutige Definition von Partizipation durchsetzen (vgl. Scheu/Autrata 2013: 11). Ausgehend von der demokratietheoretischen Begründung des Partizipationsbegriffes kann Partizipation als Beteiligung der Bürger*innen an politischen Prozessen verstanden werden. Wie weit die politische Teilhabe schlussendlich reicht, ist wiederum vom jeweiligen Demokratieverständnis abhängig (vgl. Hobi/Pomey 2013: 123). Partizipation kann als Chance begriffen werden, Demokratie und Transparenz zu stärken, „um mehr Gerechtigkeit in Machtsystemen zu erlangen“ (ebd.: 123).

Bei der Partizipation, verstanden als aktive Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, agieren Bürger*innen als „freie und gleichberechtigte Subjekte“ (Moser 2010: 73), da ihnen das Recht zukommt, ebendiese mitgestalten zu können. Infolge ihrer vielfältigen Formen betrifft Partizipation etliche Lebensbereiche, weshalb Meike Nieß (2016: 68) Partizipation als „Struktur- und Handlungsprinzip“ betrachtet. Im Zusammenhang mit sozialer Partizipation eröffnen sich darüber hinaus Diskurse über die Verteilung von Ressourcen sowie gesellschaftliche Ausschlussmechanismen (vgl. ebd.: 68), die wiederum für die Soziale Arbeit von Bedeutung sind. Das Lernen von Partizipation gestaltet sich als Prozess, in dessen Mittelpunkt das Erleben von Partizipation durch aktives Tun und Handeln steht. Für das Gelingen von Partizipation formuliert Sonja Moser (2010: 73f.) daher folgende Voraussetzungen: das Zurverfügungstellen von Informationen, die Rücksichtnahme auf individuelle Ressourcen und das Rückmelden der Auswirkungen von partizipativen Handlungen.

Dem Anspruch auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, der auch die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie der Adressat*innen beinhaltet (vgl. OBDS 2017: 2), wird die sozialarbeiterische Praxis allerdings häufig nicht gerecht, so die Einschätzung von Bringfriede Scheu und Otger Autrata (2013). Das Maß an Beteiligung wird noch immer von Professionist*innen bestimmt, stellen die Autor*innen fest. Sie sehen im Erfragen der Meinung oder in einer beschränkten Mitbestimmung zwar einen Fortschritt hinsichtlich der Einbindung der Adressat*innen, jedoch nicht eigentlich deren Partizipation (vgl. ebd.: 279). Wie das Modell von Sherry Arnstein (1969) verdeutlicht, braucht es einen genauen Blick auf den Grad der Beteiligung, um zwischen scheinbarer und uneingeschränkter Partizipation unterscheiden zu können. Ihr Modell umfasst drei Kategorien anhand derer das Ausmaß der Beteiligung abzuleiten ist: Nonparticipation (Nicht-Partizipation), Degrees of tokenism (Alibi-Politik) und Degrees of citizen power (Bürger*innenmacht) (vgl. ebd.: 217). Das Vorliegen von Partizipation ist nach Arnstein erst dann gegeben, wenn Adressat*innen die Handlungsmacht besitzen, Einfluss auf das Ergebnis nehmen und dieses mitgestalten zu können.

Um das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und gelebter Praxis erfassen zu können, bedarf es eines erweiterten Blicks über die individuelle Ebene hinaus. Neben der Verankerung als fachliches Leitprinzip der Sozialen Arbeit ist für die Umsetzung von Partizipation eine Implementierung auf struktureller Ebene, nämlich in Abläufen der Institutionen, vonnöten (vgl. Straßburger/Rieger 2014: 237). Partizipation impliziert einen gewissen Grad an Unberechenbarkeit. Standardisierte Prozesse sind unter Berücksichtigung von Partizipation allerdings nicht umsetzbar, wodurch Partizipation mit den zunehmenden neoliberalen Tendenzen in der Sozialen Arbeit immer weniger vereinbar zu sein scheint (vgl. Hobi/Pomey 2013: 138f.). Um dem Anwachsen der Machtasymmetrie entgegen zu wirken, kann Partizipation in dialogisch-professionellen Beziehungsverhältnissen dazu beitragen, die Asymmetrie zugunsten der Adressat*innen zu reduzieren.


4. Partizipative Dokumentation als Chance zum Machtausgleich

Zwischen Adressat*in und Professionist*in lässt sich ein ungleiches Machtverhältnis in der sozialarbeiterischen Praxis und hinsichtlich der Dokumentation erkennen. Obwohl die Adressat*innen im Mittelpunkt der Dokumentation stehen, bleibt das Privileg der Deutungsmacht den Professionist*innen vorbehalten, stellt Liz O’Rourke (2010: 29) fest und beschreibt Dokumentation treffend als „exercise in power“.

Während des Dokumentationsprozesses werden Segmente der Lebensrealitäten von Adressat*innen verschriftlicht, die einer selektiven Auswahl durch Professionist*innen unterliegen und zur Legitimation sozialarbeiterischen Handelns oder anderer Zwecke dienen. Der Anspruch, die soziale Wirklichkeit der Adressat*innen abbilden zu können, entpuppt sich jedoch als Trugschluss, da aufgrund der einseitigen Beobachtung und Wahrnehmung ausschließlich die Perspektive der Fachkräfte wiedergegeben wird. Durch die Interpretation und Deutung von Beobachtungen wird eine soziale Wirklichkeit der Adressat*innen konstruiert, die keinen Objektivitätskriterien entspricht (vgl. Merchel 2018: 22). Ein wesentlicher Einflussfaktor ist der Organisationsrahmen, innerhalb dessen die Professionist*innen agieren, da die Dokumentationsform und somit auch die Konstruktion von Wirklichkeit von diesem bestimmt werden. Die Berücksichtigung der Adressat*innenperspektive bleibt dabei meist außen vor, was den konstruierenden Charakter der Dokumentation verstärkt und das Risiko etikettierender Zuschreibungen birgt (vgl. Merchel 2018: 23). Etikettierungen als „Selektionsmechanismus für Wahrnehmungen“ (ebd.: 24) können das Fremd- und Selbstbild der Adressat*innen beeinflussen, was letztendlich die Gefahr einer Stigmatisierung mit sich bringt.

Ein geeignetes Mittel, um Wirklichkeitskonstruktionen und Etikettierungen entgegenwirken zu können, ist die Darstellung mehrerer Perspektiven und somit die Einbeziehung von Adressat*innen in den Dokumentationsprozess (vgl. Moch 2018: 71). Eine sichtbare Adressat*innenperspektive kann zwar ein Indiz für eine partizipative Dokumentationspraxis sein, sie garantiert selbige aber nicht, da von der Einbindung der Adressat*innen in die Dokumentation nicht zwangsläufig auf eine partizipative Dokumentationsmethode geschlossen werden kann (vgl. Roose/Mottart/Dejonckheere/van Nijnatten/De Bie 2009: 322). Die uneinheitliche Verwendung des Partizipationsbegriffes spiegelt sich auch in der Interpretation von partizipativer Dokumentation wider. Einerseits wird damit das Recht auf Einsicht und Zugriff der Adressat*innen beschrieben sowie die damit verbundene Freiheit, Inhalte der Dokumentation infrage stellen und darüber diskutieren zu können. Andererseits wird darunter die Partizipation der Adressat*innen beim Schreibprozess selbst verstanden. Die unterschiedlichen Methoden in der sozialarbeiterischen Praxis reichen von der nachträglichen Diskussion bereits geschriebener Dokumentation mit Adressat*innen, bis hin zur Ko-Autor*innenschaft, also der Dokumentation im Beisein der Adressat*innen, die selbst Inputs zum Inhalt beisteuern (vgl. Roose et al. 2009: 325). Johanna Kandler (2018: 7), die als Erste im deutschsprachigen Raum den Begriff der partizipativen Dokumentation definiert hat, versteht darunter genau dies, nämlich das gemeinsame Verfassen der Dokumentation.

Durch die Involvierung von Adressat*innen erhält Dokumentation einen dynamischeren Charakter, der mitunter eine Neuausrichtung des Fokus sozialarbeiterischen Handelns bewirken kann (vgl. Wilczynski 1981: 314). Die Forschungsarbeit von Kandler (2018) zeigt, dass sich beim partizipativen Dokumentieren der Schwerpunkt auf jene Themen verlagert, die zum aktuellen Zeitpunkt für die Lebenswelt der Adressat*innen von Bedeutung sind, anstatt jener, die von den Professionist*innen bestimmt und oft negativ konnotiert sind (vgl. ebd.: 77). Als Beispiel für bereits vorhandene partizipative Momente beschreibt Antje Lewis (2016: 60) Sozialarbeiter*innen, die in Eigeninitiative „Formulare vor, während und nach dem Ausfüllen offen herzeigen und den Klient*innen sogar den Stift oder die Maus in die Hand zu nehmen anbieten oder bitten“. Das partnerschaftliche Dokumentieren kann ebenso als Chance begriffen werden, eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Dokumentationssystemen zu initiieren und gemeinsam mögliche fehlende Dokumentationsfelder zu diskutieren (vgl. ebd.: 63f.).

Die Machtungleichheit zwischen Adressat*in und Sozialarbeiter*in weicht allerdings nicht bloß aufgrund der gemeinsamen Dokumentation. Vielmehr besteht sogar die Möglichkeit einer Stärkung der Handlungsmacht von Professionist*innen, da die Einladung zur Partizipation von ihnen initiiert wird (vgl. Cruikshank 1993; Baistow 1994, zit.n. Roose et al. 2009: 324). Partizipation kann in diesem Zusammenhang als gemeinschaftlicher Lernprozess verstanden werden, denn um eine Partnerschaftlichkeit erreichen zu können, müssen Professionist*innen lernen ihre Macht zu teilen (vgl. Frankford 1997 zit.n. Roose et al. 2009: 324). Ein Gelingen partizipativer Dokumentation erfordert beiderseitiges Zuhören. Der entstandene Dialog setzt bestenfalls einen Prozess in Gang, der eine Reflexion sowie Diskussion zwischen Adressat*in und Sozialarbeiter*in ermöglicht, und darüber hinaus einen positiven Beitrag auf der Beziehungsebene leisten kann, nämlich die Entwicklung von Vertrauen (vgl. Roose et al. 2009: 324; Kandler 2018: 7, 78).


5. Datenschutz und Dokumentation

In Hinblick auf mögliche Etikettierungen und Machtasymmetrien im Rahmen der Dokumentation spielt der Datenschutz eine bedeutsame Rolle. Besonders aufgrund der hohen Reichweite und der zugrundeliegenden Funktionen von elektronischer Dokumentation bedarf es eines Datenschutzkonzeptes, um Datensicherheit gewährleisten zu können (vgl. Busch 2018: 84).

Auf europäischer Ebene haben die Speicherung und Verarbeitung von hochsensiblen personenbezogenen Daten durch das Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine neue gesetzliche Grundlage erhalten, die von Institutionen der Soziallandschaft seit 25. Mai 2018 anzuwenden ist. Die DSGVO, auch EU-Verordnung 2016/679 genannt, beinhaltet Vorschriften „zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten“ (DSB 2018) und bildet damit das Fundament des europäischen Datenschutzes. Verankert in §1 des Datenschutzgesetzes (DSG), stellt Datenschutz ein Grundrecht dar und ist somit ein in der Verfassung geregeltes subjektives Recht, das jeder einzelnen Person zukommt (vgl. Ucakar/Gschiegl 2010: 72).


5.1 DSGVO – Ein Anlass zum Diskurs

Als Ursache für die Erarbeitung eines einheitlichen europäischen Datenschutzes werden der rasante technologische Fortschritt und die dadurch entstandenen Herausforderungen genannt. Technische Systeme ermöglichen neue Dimensionen der Speicherung und Verarbeitung von Daten, wodurch „private Unternehmen und Behörden im Rahmen ihrer Tätigkeiten in einem noch nie dagewesenen Umfang auf personenbezogene Daten zurückgreifen“ (EU-DSGVO) können. In der Sozialen Arbeit können die Auswirkungen dieser Entwicklungen besonders im Rahmen der Dokumentation beobachtet werden, weshalb eine Auseinandersetzung mit Datenschutz für Professionist*innen besonders relevant ist. Darüber hinaus kann die neue gesetzliche Grundlage einen Anlass bieten, bestehende Prozesse im Rahmen der Dokumentation zu überdenken.

Den Kern der DSGVO bilden die Rechte von Betroffenen und die Pflichten der Verantwortlichen. Die Informationspflicht, geregelt in Art. 13 und 14 der DSGVO, stellt sicher, dass Betroffene „in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache“ (EU-DSGVO, Art. 12, Abs. 1) aufgeklärt werden, von wem und zu welchem Zweck die personenbezogenen Daten verarbeitet werden. Die Rechte auf Auskunft (Art. 15), Berichtigung (Art. 16), Löschung (Art. 17), Widerspruch (Art. 21) sowie Einschränkung der Verarbeitung (Art. 18) sind wesentliche Elemente der Betroffenenrechte. Betroffene Personen verfügen über den Anspruch, unrichtige oder nicht vollständige personenbezogene Daten von Verantwortlichen berichtigen zu lassen. Drei im zweiten Kapitel der DSGVO verankerten Grundsätze schaffen das Fundament für die Verarbeitung personenbezogener Daten: Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben sowie Transparenz, die im vorangegangenen Datenschutzgesetz noch keine ausdrückliche Berücksichtigung gefunden hatte. Eine Rechtmäßigkeit der Verarbeitung liegt nur dann vor, wenn Betroffene ihre, auf Freiwilligkeit basierende Einwilligung gegeben haben (vgl. EU-DSGVO, Art. 6). Insbesondere bei ungleichen Machtverhältnissen zwischen Verantwortlichen und Betroffenen ist sicherzustellen, dass die Einwilligung freiwillig passiert ist.

Datenschutz als Grund- sowie Persönlichkeitsrecht betrifft jede*n Einzelne*n. In der Sozialen Arbeit wird der Schutz von personenbezogenen Daten allerdings auch als Erschwernis im Arbeitsalltag erlebt, so Manfred Busch (2018: 79). Er betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass „ein aktiv betriebener Datenschutz von besonderer Bedeutung für die Fachlichkeit ist“ (ebd.: 79).


5.2 Transparenz und Zugang zur Dokumentation

Die Forderung nach Transparenz bei der Verarbeitung personenbezogener Daten wurde zwar erstmals in der DSGVO explizit gesetzlich verankert, allerdings waren Informations- und Auskunftspflicht bereits vor Inkrafttreten der neuen Verordnung relevante Aspekte des vorangegangenen Datenschutzgesetzes. Trotz dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen sind Adressat*innen beim Zugang zu ihrer Dokumentation in der Praxis mit Barrieren konfrontiert, so Joachim Merchel (2018: 24). Die von O’Rourke (2010) interviewten Professionist*innen bestätigen Merchels Einschätzung: Während Adressat*innen meist eine Kopie der Hilfepläne ausgehändigt wird, ermöglicht erst eine offizielle Anfrage über die Rechtsabteilung der Institutionen Zugang zur restlichen Akte (vgl. ebd.: 56f.).

Wie sich der Zugang von Adressat*innen zur sie betreffenden Dokumentation gestaltet, haben Marina Morgenshtern und Nilan Yu (2018) in ihrer Studie näher beleuchtet. Die Autor*innen kommen zum Schluss, dass sich die befragten Sozialarbeiter*innen zwar mit den berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit identifizieren und auch den Zugang von Adressat*innen zur Dokumentation begrüßen, dass sich diese Haltung jedoch nicht im sozialarbeiterischen Tun widerspiegelt. Beim Dokumentieren wird laut Morgenshtern und Yu jener Anspruch an Partnerschaftlichkeit und Partizipation, der im Unterstützungsprozess befürwortet wird, nicht verfolgt, was mitunter mit der Sorge um einen Kontrollverlust bei der Dokumentation begründet wird. Bevor Adressat*innen tatsächlich Einsicht in ihre Dokumentation nehmen können, braucht es als Voraussetzung das Wissen über diese Möglichkeit. Darüber hinaus kann ein umfassendes Verständnis über die Reichweite und den Umfang von Dokumentation erst dann entstehen, wenn Adressat*innen faktisch in den Erstellungsprozess miteinbezogen werden, so das Resümee. Eine weitere Erklärung der befragten Professionist*innen dafür, warum sie ihren Adressat*innen keine Einsicht in deren Dokumentation gewähren, ist, dass diese nicht danach fragen würden. Diese Antworten zum Anlass nehmend, erinnern Morgenshtern/Yu an die Überlegungen Sheldon R. Gelmans. Dieser nannte bereits 1991 verschiedene Gründe für die mangelnde Nachfrage der Adressat*innen: fehlendes Wissen über ihre Auskunftsrechte; Mangel an Interesse; Sorge, dass die Anfrage als unhöflich wahrgenommen wird; die fehlende Möglichkeit, sich aufgrund von Behinderung am Prozess zu beteiligen. Ausgehend von diesen Überlegungen ziehen die Autor*innen das Fazit, dass es in der Verantwortung der Professionist*innen liegt, Beteiligungsprozesse zu initiieren (vgl. ebd.: 11f.).


6. Fazit

In der fachlichen Auseinandersetzung mit Dokumentation darf die Perspektive der Adressat*innen nicht verloren gehen. Sie sind es, deren Lebensgeschichte und Identität in den sozialarbeiterischen Dokumenten festgehalten und weiterverarbeitet werden. Aufgrund ihres Potentials, soziale Wirklichkeit zu konstruieren, besteht im Rahmen der Dokumentation die Gefahr der (Re-)Produktion von Stigmatisierung und Etikettierung von Adressat*innen. Eine objektive Schreibweise muss darum die wichtigste Prämisse des Dokumentierens sein. Mit dem Festhalten der Adressat*innenperspektive durch Professionist*innen kann dieser Anforderung nicht nachgekommen werden, da die Perspektive der Adressat*innen ausschließlich eine Interpretation der Professionist*innen bleibt. Adressat*innen partizipativ an der Dokumentation zu beteiligen, könnte gewährleisten, dass die Dokumentation tatsächlich multiperspektivisch abgebildet wird.

Der Zugang zu den, die eigene Person betreffenden Dokumenten gestaltet sich für Adressat*innen weder barrierefrei noch formlos, da in den meisten Fällen erst eine offizielle Anfrage gestellt werden muss, um Einsicht in diese erhalten zu können. Die Geltendmachung des Auskunftsrechts stellt vielfach eine immense Hürde dar: einerseits aufgrund des bürokratischen Aufwandes für Adressat*innen und andererseits wegen bestehender Machtasymmetrien zwischen Professionist*in oder sozialer Organisation und Adressat*in. Das in der DSGVO verbriefte Auskunftsrecht ermöglicht den Zugang und die Einsicht in die Dokumentation, allerdings keine Partizipation. Das Recht auf Berichtigung hingegen könnte eine Möglichkeit der Mitbestimmung darstellen.

Die Geltendmachung von Rechten ist immer auch mit dem Wissen über ebendiese verbunden – Information ist Macht, was in diesem Kontext besonders deutlich wird. Ein Recht auf Berichtigung kann also erst dann geltend gemacht werden, wenn Einsicht in die eigene Dokumentation genommen wurde. Nur in diesem Fall wäre ein Feststellen fehlender oder falscher personenbezogener Daten überhaupt für Adressat*innen möglich. Betrachtet man nun das Auskunftsrecht, welches die rechtliche Grundlage für die Einsichtnahme in dokumentierte Inhalte ist, kann vermutet werden, dass dieses das Recht auf Berichtigung bedingt. Eine Auseinandersetzung mit partizipativer Dokumentation wird daher in der sozialarbeiterischen Praxis erst dann konkret werden können, wenn Adressat*innen am Anfang der Zusammenarbeit umfangreich und transparent über Dokumentation und ihre Rechte gemäß DSGVO-Informationspflicht aufgeklärt werden. Eine bloß von den Adressat*innen unterschriebene Datenschutzerklärung ohne weitere Aufklärung wird nicht für die Erfüllung der Transparenzanforderungen der DSGVO ausreichend sein.

Die DSGVO könnte und sollte aus meiner Sicht einen Anlass bieten, um den fachlichen Diskurs für eine Auseinandersetzung mit Partizipationsmöglichkeiten in der Dokumentation zu eröffnen. Die bisher mangelnde Präsenz der Thematik ist möglicherweise auch auf das Image der Dokumentation unter Professionist*innen zurückzuführen, da Dokumentieren mehr als administrative Last, denn fachliche Bereicherung empfunden wird. Argumentiert wird häufig mit fehlenden Zeitressourcen. Allerdings bedeutet partizipatives Dokumentieren nicht zwangsläufig mehr Zeitaufwand, vor allem dann nicht, wenn Partizipation zu einem Teil des Beratungs- oder Betreuungsprozesses wird. Das Miteinander beim Dokumentieren bietet die Möglichkeit einer gemeinsamen Aktivität, bei der durch das Abgleichen von Sichtweisen sowie das Aushandeln relevanter Informationen sowohl die Selbstbestimmung der Adressat*innen als auch das Vertrauen gestärkt werden können. Mit partizipativer Dokumentation könnte eine unliebsame Verpflichtung zum Gestaltungsmittel werden und möglicherweise eine neue Funktion von Dokumentation erschließen, nämlich jene der Beziehungsstärkung zwischen Adressat*in und Professionist*in.

Partizipative Momente im Dokumentationsprozess sind für Professionist*innen durchaus bereits gelebte Praxis. Insofern organisatorische Rahmenbedingungen Form und Inhalt von Dokumentation beeinflussen, sollte partizipatives Handeln allerdings nicht bloß den Einzelnen überlassen werden. Viel eher müsste dieses Aufnahme in interne Handlungsanweisungen oder Qualitätshandbücher finden. Idealerweise klären organisationsinterne Dokumente ebenso darüber auf, wie im Rahmen der Informationspflicht und des Transparenzanspruches über die Verarbeitung personenbezogener Daten und Dokumentation zu informieren ist. Allerdings ist der Interpretationsspielraum bei der Umsetzung der DSGVO für Verantwortliche recht breit und leider gilt: Wo kein*e Kläger*in, da kein*e Richter*in. Hier könnte Sozialarbeiter*innen eine Schlüsselfunktion zukommen, indem sie Adressat*innen über ihre Rechte als Bürger*innen aufklären und bei der Geltendmachung unterstützen. Aufgrund ihrer Verpflichtung gegenüber berufsethischen Prinzipien, sind Sozialarbeiter*innen dazu angehalten, Selbstbestimmung und Teilhabe zu fördern. Dieser Grundsatz sollte bei der Dokumentation nicht vergessen werden. Partizipation von Adressat*innen wird nur dann möglich, wenn Professionist*innen eine entsprechende Haltung vertreten und bereit sind, ihre Machtposition zu teilen.

Mit der Frage, wie Partizipation von Adressat*innen beim Dokumentieren in den verschiedenen Bereichen Sozialer Arbeit aussehen kann, hat sich die Forschung bislang noch kaum auseinandergesetzt. Die wenigen vorhandenen Studien (u.a. Roose et al. 2009; Kandler 2018) beziehen sich auf den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Erforderlich wäre, auch andere Bereiche für diesen Forschungsschwerpunkt zu öffnen, um Konzepte erarbeiten und Diskurse anregen zu können.


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Über die Autorin


Verena Hrdlicka, BA BA (FH)
v.hrdlicka@gmx.at

Absolventin des Bachelorstudiums Soziale Arbeit an der FH Campus Wien sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien; Sozialarbeiterin in einer Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe.