soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 24 (2020) / Rubrik „Rezensionen“ / Standort Wien
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/705/1290.pdf
322 Seiten / 19,75 Euro
Persson Perry Baumgartinger legt mit seinem Buch eine kritische Einführung in die im deutschsprachigen Raum eher marginal diskutierten Trans Studies vor. Er beschreibt diese als kritische Forschungsrichtung, die sich in Auseinandersetzung mit, Kritik von und Abgrenzung zu einer fremdbestimmten, pathologisierenden Forschung entwickelt hat, und dabei auf die Erfahrungen aus einer langen Geschichte von Selbstorganisierung und Aktivismus zurückgreifen kann. Nicht zuletzt dadurch, darauf weist Baumgartinger mehrfach hin, waren und sind die Trans Studies immer schon Teil eines politischen Projekts, das Machtverhältnisse und Ungleichheitsbedingungen in den Blick nimmt. In seinem Anliegen, Trans sichtbar zu machen, verweist er auf Momente der Unsichtbarmachung in etablierten Wissenschaften, aber auch auf Kämpfe innerhalb emanzipatorischer Bewegungen.
Baumgartinger liefert einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Trans Studies und fragt danach, wie sie sich zukünftig gegen Vereinnahmungen wehren und trotz fortschreitender Akademisierung kritisch und emanzipativ bleiben können. Zudem macht er deutlich, dass Wissenschaft und Aktivismus sich nicht voneinander trennen lassen. Dies wird auch in der Auswahl der Literatur deutlich, die Baumgartinger heranzieht. So setzt er sich nicht nur mit „etablierten“ wissenschaftlichen Arbeiten auseinander, sondern verweist laufend auf Quellen wie Flyer, Blog-Einträge und Websites und gibt dadurch gleichzeitig einen Überblick über Aktivist*innen und selbstorganisierten Gruppen.
Zu Beginn führt Baumgartinger in die Vielfalt von Begrifflichkeiten ein, die sich rund um das Thema Trans entwickelt haben. Dabei legt er keine Chronologie der Begriffsentwicklung vor, sondern verweist in einer genealogischen Herangehensweise auf die vielen Verknüpfungen, Reibungen und Kritiken, wie auch auf Verletzungen und diskriminierende Zuschreibungen in der Entwicklung und durch die Verwendung von Begriffen. Er geht dabei der Frage nach, mit welchen Ideen von Geschlechtervielfalt Begrifflichkeiten jeweils verbunden sind. Dabei werden Verknüpfungen und Diskussionen zwischen Inter- und Transaktivist*innen deutlich, aber auch die Diversität jener Personen (und deren Identitäten, Lebensweisen und -realitäten), die sich unter dem Überbegriff Trans(gender) sammeln. Mit dieser Genealogie liefert Baumgartinger den Lesenden einen wertvollen Überblick über die historischen und aktuellen Bedeutungen von Fremd- und Selbstbezeichnungen und macht deutlich, dass keine dieser Benennungen richtig oder unproblematisch ist, da mit ihnen verschiedenste Kämpfe, Versuche der Aneignung wie auch Praxen der Ein- und Ausschließung verbunden sind. Baumgartinger plädiert daraus folgend für ein ständiges Hinterfragen, Diskutieren und Neuentwickeln von Bezeichnungen und Begriffen.
Im zweiten Kapitel legt Baumgartinger eine differenzierte Geschichte der Trans Studies vor. TransAktivismus und TransSelbstorganisation legt er dabei als Grundlagen der Trans Studies fest. Diese bauen auf fremdbestimmten psychomedizinischen Modellen auf, die sich seit den 1950er Jahren in den USA entwickelten, und die Geschlechtsidentitäten jenseits des binären Modells von Mann und Frau pathologisierten und kriminalisierten. So wird gezeigt, dass die wissenschaftliche Kategorisierung von Identitäten wesentlich dazu beigetragen hat, staatliche Regulierung bis hin zu eugenischen Programmen, (Zwangs-)Behandlungen und Heilungsversuchen von TransPersonen zu entwickeln. Die diskursiven Verknüpfungen von Pathologisierung und Kriminalisierung spiegeln sich schließlich in gesellschaftlichen Diskriminieren wider.
Ab den späten 1980er Jahren entwickelten sich in den USA und Großbritannien aus der Transbewegung heraus Gegenentwürfe zu den pathologisierenden Zugängen. Innerhalb der Community kam es zu Auseinandersetzungen mit staatlichen und medizinischen Unterdrückungsmechanismen, Pathologisierungs-Theorien und gesellschaftlicher Unsichtbarmachung. Aus dieser Auseinandersetzung ging etwa 1988 das Manifest The Empire strikes back von Sandy Stones hervor, gefolgt von Texten von Leslie Feinberg, Kate Bornstein und Susan Stryker, die mit jeweils verschiedener Fokussierung, aber dem gemeinsamen Ziel des Empowerments, eine neue Wissensformation in den Diskurs einbrachten. Inspiriert waren die Zugänge von rassismus- und klassismuskritischen und feministischen Ansätzen sowie den kritischen Sexualwissenschaften. Im Fokus stand die Frage der gesellschaftlichen Herstellung von Geschlecht und das Begreifen von Geschlecht als ein Spektrum von verschiedenen Geschlechterformen. Dabei hinterfrag(t)en die Trans Studies gesellschaftliche Normen und kämpf(t)en für Anerkennung, Selbstbestimmung und Menschenrechte. Baumgartinger zeigt auch Konflikte innerhalb der Community auf, wenn er die Vereinnahmung von Personen bei Forschungsprojekten oder Medienberichten ebenso kritisiert wie das Unsichtbarmachen von spezifischen TransThemen, die Ausschlüsse von TransPersonen aus feministischen Frauenräumen oder auch Rassismus innerhalb der TransCommunity.
In Österreich organisierten sich TransPersonen ab Ende der 1980er Jahre in Selbsthilfegruppen und Vereinen, die zuerst v.a. dem Austausch über (Diskriminierungs-)Erfahrungen dienten. Aktivist*innen begannen zunehmend, gemeinsam mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen und in herrschende Narrative einzugreifen. So wurde in die diskriminierende Berichterstattung über Transthemen interveniert und vor Gericht für TransRechte gekämpft. Baumgartinger verortet die TransBewegung dabei stets als Teil emanzipativer sozialer Bewegungen. Ab den 1990ern intervenierten TransPersonen in Österreich schließlich in den akademischen Forschungsstand, stellten pathologisierenden Forschungen Gegenentwürfe entgegen und entwickelten eigene Theorien. Baumgartinger gibt in den Kapiteln vier und fünf einen Überblick über den Forschungsstand zu Trans in Österreich, mit einem Fokus auf Ansätze aus dem aktivistischen Kontext.
Die traditionell problematisierend ausgerichteten Zugänge aus Justiz, Medizin und Psychiatrie können dabei aber nicht ausgeblendet werden. Denn auch bei kritisch ausgerichteten Arbeiten, so macht Baumgartinger deutlich, greifen Autor*innen immer wieder auf pathologisierende Grundlagenwerke bzw. Logiken zurück. Baumgartinger macht hier gut nachvollziehbar, wie wirkmächtig und gewaltvoll die Diskurse sind, die Trans als Krankheit oder Persönlichkeitsstörung darstellen, TransPersonen einen Leidensdruck und Zwang zuweisen und darauf aufbauend paternalistische Behandlungsmethoden erarbeiten. TransPersonen wird damit nicht nur ihre Selbstbestimmung, sondern auch ihre eigene Wahrnehmung abgesprochen, was zu einer gewaltvollen staatlichen Verwaltung von Trans führt und weitreichende Folgen für die Situation und Lebensqualität der Betroffenen hat.
Im letzten Kapitel plädiert der Autor noch einmal für eine emanzipatorische Wissenschaft als soziale Praxis, die sich der Verantwortung bewusst ist, Wissen und Macht zu verteilen, und ruft zur Reflexion der eigenen Position im Forschungsfeld auf. Er appelliert an die Verantwortung der Forschenden und betont die Prozesshaftigkeit sich ständig verändernder Wissensbestände. Er fordert, anschließend an Ruth Wodak, sich für Komplexität zu öffnen, Machtbeziehungen und Strukturen offenzulegen und Alternativen zu entwickeln. Seine Vision ist eine selbstbestimmte Wissensproduktion, in der Brüche und Verknüpfungsmomente in den Mittelpunkt gestellt, Blickwinkel geändert, Analysekategorien wie Geschlecht herausgefordert und eine Verschiebung der Auseinandersetzung von sex/gender hin zu Trans ermöglicht werden.
Auch wenn Soziale Arbeit in diesem Buch kaum erwähnt wird, kann aus sozialarbeiterischer Perspektive gerade an der Idee einer kritisch-emanzipatorischen Wissenschaft angeknüpft werden. Neben einem breiten Wissen über gesellschaftliche wie persönliche Problemlagen, die aufgrund von Diskriminierung entstehen, bietet Baumgartinger wertvolle Gedanken zur Etablierung emanzipativer und kritischer Forschung, die die selbstbestimmten Sichtweisen und Wissensbestände marginalisierter Personengruppen in Forschungsprozesse einbezieht und sichtbar macht. Da Soziale Arbeit zudem laufend auf Wissen von Nachbardisziplinen wie Psychologie, Medizin und Rechtswissenschaften zurückgreift, ist es notwendig, sich mit den darin vorherrschenden Logiken kritisch auseinanderzusetzen und sich bewusst zu sein, dass diese Logiken auch in der Sozialen Arbeit weit verbreitet sind. Baumgartinger macht deutlich, dass Sprachverwendungen, Vorstellungen von gesund und krank, staatliche Regulierungen sowie die Verwaltung von Geschlechternormen bis hin zu Zwangsmaßnahmen Teile eines Unterdrückungsregimes sind, die aufeinander aufbauen, ineinandergreifen und sich gegenseitig stützen. Gewalt und bürokratische Hürden durch Institutionen schreiben geschlechterbinäre und heteronormative Bedingungen und Erwartungen fest, weshalb in der Sozialen Arbeit vorherrschende Kategorisierungen hinterfragt, die Bedeutung von Diskriminierung durch Sprache, Formulare und Verwaltung wahrgenommen und (eigene) Normen selbstkritisch reflektiert werden müssen.
Baumgartinger stellt seinen Kapiteln zudem jeweils Forschungstagebuch-Eintragungen voran, die deutlich machen, wie sehr die – auch akademische – Bearbeitung dieser Themen mit Gefühlen wie Schmerz und Wut, aber auch dem Wille zur Veränderung zusammenhängen. Er formuliert damit ein Plädoyer dafür, die Expertise der Betroffenen ernst zu nehmen und den (wissenschaftlichen) Blick selbstreflexiv nach innen zu richten. Nur so lässt sich erkennen, dass TransPersonen – und diese Perspektive lässt sich auf diverse Zielgruppen Sozialer Arbeit erweitern – nicht an ihrer Identität oder Lebensweise leiden, sondern an der diskriminierenden Gesellschaftsordnung, in der sie leben.
Manuela Hofer – manuela.hofer@fh-campuswien.ac.at