soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 1 (2008) / Rubrik "Thema"
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/72/87.pdf


Vorbemerkung
Dieser Text hat bei einem unserer Beiräte keine Zustimmung zur Veröffentlichung erhalten, das zweite Beiratsmitglied attestierte, dass er "fraglos veröffentlichkeitswürdig" ist. Für uns Redaktionsmitglieder stellte sich die Frage, wie wir in diesem Fall vorgehen sollten: zunächst ersuchten wir den Autor, einige Passagen zu überarbeiten. Auch nach dieser Überarbeitung blieben grundsätzliche Kritik und Bedenken bestehen. Nach vielen Diskussionen entschieden wir nach dem Grundsatz: Im Zweifel für die Veröffentlichung!

Was sprach dafür, was spricht dagegen? Gegen die Veröffentlichung spricht, dass der Text sich in einigen Passagen gegen gut argumentierte und übliche Formen wissenschaftlichen Arbeitens stellt: er verdichtet Argumentationsketten, wird manchmal schwer, wenn nicht unverständlich; die Fragestellungen, die ihn leiten werden nicht so herausgearbeitet, dass es darauf lineare Antworten geben kann usw. Auch Bourdieu, auf dessen 1997 herausgegebenes "opus magnum" sich der Text Egon Leitners in der Hauptsache bezieht, kann nicht als "Säulenheiliger" der Sozialwissenschaften herhalten, auch an ihn müssen Fragen methodologischer Art gestellt werden dürfen. Weiters sprach dagegen, dass die Auswirkungen Bourdieuscher Gesellschaftskritik auf die Theorienbildung der Sozialarbeitsforschung und -wissenschaft im von Egon Leitner vorgelegten Text nur skizziert werden.

Diese Feststellung spricht aber zugleich für die Veröffentlichung der Arbeit Leitners, wenn wir annehmen, dass gerade das Unfertige die Leserinnen und Leser anregt, ihre Erfahrungen und Konzepte zu reflektieren und weiter zu denken. Das ist auch das stärkste Argument für die Veröffentlichung des Textes: es gelingt dem Autor in überdurchschnittlichem Maße zu provozieren, etwas bei den Leserinnen und Lesern hervorzurufen, was bisher nicht gedacht wurde. Das muss keine neue Wahrheit sein, aber es ist jedenfalls ein Anstoß dazu.

Wir hoffen, dass mit der Veröffentlichung nicht der Fall eintritt, dass ein solides Verständnis von Wissenschaft und wissenschaftlichem Arbeiten desavouiert wird, wir verbinden mit der Veröffentlichung des Textes vielmehr die Hoffung, dass unsere Leserinnen und Leser angeregt werden, sich an der Weiterentwicklung einer kritischen Sozialarbeitswissenschaft aktiv zu beteiligen.

Die Redaktion



Egon Christian Leitner:

Was jetzt, was tun? - Bourdieu, Wegwerfleben, Geistesgegenwart und Sozialarbeit


1. Was heißt Wissenschaft?
Wer aus Gewissensgründen der intellektuellen Redlichkeit vor den folgenden Ausführungen zurückschrecken zu müssen meint, sei vorweg mit Folgendem zu beruhigen versucht: Max Weber wird zwar zumeist gegen Linke beschworen, und zwar dann, wenn es um objektive, seriöse WissenschafterInnen geht oder um seriöse PolitikerInnen mit Augenmaß. Was aber zumeist in solchen Zusammenhängen nicht gesagt wird, ist, dass Webers wertfreie, objektive, autonome Wissenschaft sich einmischte in die Welt und Zeit, in der er lebte. Worum es Weber als Wissenschafter ging, war, Menschen die Freiheit der Wahl zu ermöglichen. Wissenschaft soll laut Webers Gesammelten Schriften zur Wissenschaftslehre mithelfen, Menschen bewusst zu machen, was Menschen eigentlich wollen und ob sie das auch wirklich wollen, was sie zu wollen meinen, und was die Konsequenzen ihrer Wertungen und Wollungen sind und was die Mittel sind, die Menschen zum Erreichen ihrer Ziele und zum Realisieren ihrer Werte einsetzen müssen, und wo es dabei zu ungewollten Widersprüchen und zu ungewollten Konsequenzen kommt und wie Alternativen aussehen und aussehen könnten. Webers autonomer Wissenschafter treibt insofern Politik, als er die freie Wahl Menschen zu ermöglichen versucht. Das tut er, indem er klärt, was Menschen wollen, und indem er Widersprüche, Folgen und Alternativen klarmacht, und zwar gerade dann, wenn man solche Wahrheiten weder finden noch hören will. Das ist seine Pflicht, Arbeit, Autonomie und Deplaziertheit.

Der Machtkampftheoretiker Max Weber1, der zwischenzeitlich infolge der politischen und wissenschaftsinstitutionellen Verhältnisse immer wieder unter Burnouts litt - damals hieß das "seelische Impotenz" (vgl. Schöllgen, 1998: 19f.) - und der sein Wissenschaftsvorhaben unter anderem "Kenntnis der Bedeutung des Gewollten" nannte, (vgl. Weber, 1973: 150) verbrachte die vielleicht schönste Zeit seines Lebens in Österreich, in Wien, wo er nach dem Ersten Weltkrieg Vorlesungen zur Nationalökonomie abhielt. Damals war er, wiewohl in die Jahre gekommen, jung verliebt. Von den Österreichern sagte er - keineswegs aus Gründen verschmähter Liebe - sie seien hier alle sehr nett, solange man nur nichts wolle, und warnte vor der "Verösterreicherung" der europäischen, insbesondere deutschen Politik. (Vgl. Ehrle, 1991: 157; Baumgarten, 1964: 503) Karl Kraus nannte Österreich in ähnlichem Sinne bekanntlich "Versuchsstation für Weltuntergang" (vgl. Johnston, 1992: 15) und erklärte hingegen seinen eigenen Spruch, er weigere sich, immer nur die Wahl zwischen zwei Übeln zu haben, einem größeren und einem kleineren, zum Lebensprinzip. Ausdrücklich unter Bezugnahme auf den österreichischen Satiriker Karl Kraus tat das auch Pierre Bourdieu. (Vgl. Bourdieu, 1996: 78) Ein solches Wissenschaftsverständnis jedenfalls wie das Webers, nämlich der Klärung des Gewollten, sprich: "Kenntnis der Bedeutung des Gewollten", und dass die Soziologie es, Abhilfe schaffend, mit Menschen zu tun habe, die schicksalsartig nicht wissen, was sie tun, und auch nicht, was sie wirklich wollen, steht dem Wissenschaftsverständnis Bourdieus sehr nahe. Dass WissenschafterInnen dazu beitragen sollen, Wahlfreiheit zu ermöglichen, mag hiermit zu erwähnen gestattet sein. Desgleichen, dass Weber von BerufspolitikerInnen Realitätssinn, "echte Leidenschaft", Verantwortungsgefühl und Einfühlungsvermögen verlangt. (Vgl. Baumgarten, 1964: 614) Nicht zuletzt, um den Realitätssinn, das Einfühlungsvermögen und das Verantwortungsgefühl von PolitikerInnen nachzuschulen, ist Das Elend der Welt verfasst worden. Bourdieu lernte übrigens in den 1960er Jahren in Algerien Deutsch, um Weber lesen zu können, und Weber, insbesondere dessen Religionssoziologie, versuchte er zu lesen, um einen algerischen Wüsten- und Nomadenstamm zu verstehen. Der Antimarxist Raymond Aron, dessen Assistent Bourdieu später war, untersagte ihm, Übungen zu Weber abzuhalten, weil er Bourdieu vorwarf, dieser wolle aus Weber einen Linken machen. (Vgl. Bourdieu, 2000: 111ff.) Bourdieu selber, der gegen Ende seines Lebens gern als letzter Marxist bezeichnet wurde, sagte von sich, niemals Marxist gewesen zu sein, weit eher sei er Weberianer. Denn Weber habe die Arbeit getan, die eigentlich Marx hätte tun müssen. (Vgl. Bourdieu, 2001: 176; Bourdieu, 1997b: 44f.) Weber, sagte Bourdieu, sei für ihn selber Wissenschaft in bestem Sinne. (Vgl. Bourdieu, 2000: 129)

Weber übrigens, der sich entschieden weigerte, Sozialist oder ähnliches zu werden und diesbezüglich empört ausrief, nein, in diese Kirche gehe er nicht, setzte sich couragiert für den österreichischen Sozialdemokraten Otto Neurath ein, als dieser nach dem Scheitern der Münchner Räterepublik von Staats wegen vom Tode bedroht war, sozusagen für einen Freund und Schüler. Zugleich warnte Weber trefflich, die Kommunisten werden den Sozialismus auf hundert Jahre diskreditieren, ebenso bemerkenswert allerdings ist Webers Wort, dass man den Sozialismus niemals aus der Welt werde schaffen können. (Vgl. Baumgarten, 1964: 532f.; Weber, 1995: 37, 118f.) Wichtige antisozialistische Vordenker, Wegbereiter und sehr wohl auch Durchpeitscher des Neoliberalismus waren bekanntlich Österreicher, der Neoliberalismus wurde von Österreichern erfunden. (Vgl. Leitner 2002a: passim) Jahrzehnte später dann, im Jahr 2000 erklärte der Klubobmann (später Nationalratspräsident) der damaligen österreichischen Kanzlerpartei: "Wir regieren neoliberal" und prägte die Fügung "neoliberale ökosoziale Marktwirtschaft", und der Finanzminister des Jahres 2000 bekannte ausdrücklich, er arbeite an einem "Staat mit New-Economy-Strukturen". (Vgl. Leitner, 2003: 103) Bourdieu jedenfalls, der nicht erst gegen Ende seines Lebens vor einer "neoliberalen Invasion" warnte und den Neoliberalismus mit einem Wüstensturm verglich, der überall den Sand zum Eindringen bringe und vor dem man keinen Schutz finde, verband mit Österreich neben Karl Kraus auch Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Und sein früh verstorbener österreichischer Schüler Michael Pollak, der ein Buch mit dem Titel Wien 1900. Ein verletzte Identität verfasste. Dies ist ein Buch darüber, wie Menschen missbraucht zu werden pfleg(t)en. Im wahrsten Sinne des Wortes wie im übertragenen. In letzterem handelt es von einer missbrauchenden und misshandelnden Gesellschaft. Im speziellen Fall: österreichischen.2

Pollaks Thema erinnert mit gutem Grund an Michel Foucault. Dieser hat erfolgreich Bourdieus Kandidatur ans Collège de France unterstützt. Mit Foucault zusammen engagierte sich Bourdieu für die bedrohte polnische Solidarnosc. Verschiedene späte Arbeiten Bourdieus scheinen aus gemeinsamen Vorhaben mit Foucault herzurühren, etwa die eines kollektiven Einmischungsbuches wie Das Elend der Welt oder Gegenfeuer. (Vgl. Leitner; Petzold, 2005: 62; Eribon, 1991: 427-444) Auch hielt Bourdieu 1984 die Ehrenrede am Grab des Paul Michel Foucault, welchem ebenso Richard Sennett in Freundschaft und Kooperation verbunden war. Sennett wiederum berichtet über Foucault, dieser habe immer Angst vor Komplizenschaft gehabt, wollte nie Gefahr laufen, Komplize von Herrschenden und Unterdrückern sein zu müssen, habe sich zusammen mit Sennett um die Erforschung von Einsamkeit in der modernen Gesellschaft bemüht, also um das Ich; es gebe, so Foucault, die Einsamkeit, die von der Macht aufgezwungen sei, also die der Isolation und der Anomie und des Opfers. Dann gebe es die Einsamkeit, die bei den Mächtigen Furcht auslöse, die des homme revolté. Die dritte Einsamkeit sei das Gespür, ein inneres Leben zu haben, das mehr sei als die Spiegelung der Leben der anderen. (Vgl. Breuer, 1996: 174; Leitner, 2002: 291) Bourdieu sieht die Dinge ähnlich, nämlich im wahrsten geistesgeschichtlichen Sinne stoisch, (vgl. Bourdieu, 1997: 788; 1997a: 99; 1997b: 190) betont jedoch die Leitthemen anders. Vom Individuum zu reden sei oft bloß das Opfer beschuldigen und ihm die Hilfe verweigern. (Vgl. Bourdieu, 1997a: 156) Denn Freiheit könne nie alleine, sondern immer nur gemeinsam erobert werden, sagt er. Man überschätze die eigenen individuellen Möglichkeiten, unterschätze die kollektiven, lasse sie ungenutzt. Solidarische Bewegungen seien unwahrscheinlich, zerbrechlich, kleine soziale Wunder und Kostbarkeiten. (Vgl. Bourdieu: 1998: 103) Man müsse zu deren Erhalt das Konkurrenzprinzip wenigsten zeitweise außer Kraft setzen. Und man müsse Institutionen bewerkstelligen, die ein Lebensinteresse an moralischem Handeln haben. Der Sozialstaat habe "ein mitfühlender Staat" zu sein. (Vgl. Bourdieu, 1997b: 176) Er sei ein Produkt der Evolution. Es habe dementsprechend lange und beschwerlich und gefährlich gedauert, bis es ihn endlich gab - und dementsprechend Gewaltiges stehe jetzt auf dem Spiel.

Wer ob solcher politischer Ideen Bourdieus Wissenschaftsverständnis nach wie vor als unwissenschaftlich aburteilen will, kann nicht nur auf Weber weiter- und rückverwiesen werden. Seitens der Wissenschaftstheorie und namhafter Wissenschaftsforschung, zum Beispiel von Gerhard Fröhlich, wurde nämlich auf die Affinität von Bourdieus Methode akkurat zum alles anderen als linken Karl Popper aufmerksam gemacht (vgl. Fröhlich, 2003: passim), einerseits aufgrund von Bourdieus eigenen Äußerungen zu Poppers Objektiver Erkenntnis - Bourdieu verweist dabei auf Poppers wissenschaftliche Regelentsprechungen zu Durkheim -, andererseits infolge der Ähnlichkeit zwischen Bourdieus Begriff "Bruch" und Poppers Falsifikation. (Vgl. Leitner, 2000: 68f., 72, 110) Bourdieu meinte freilich, von einem Sozialwissenschafter wie ihm zu verlangen, er dürfe sich nicht in die Politik einmischen, sei so absurd und pervers, wie wenn ein Ingenieur Stillschweigen bewahren solle, weil er wisse, dass eine Brücke einstürzen wird, oder wie wenn ein Meteorologe den Mund hält, obwohl er weiß, dass in einem bestimmten Gebiet demnächst Lawinen abgehen werden. (Vgl. Bourdieu, 2001a: 37ff.)

Apropos Komplizenschaft: Bei Bourdieu taucht immer wieder das Paradox des Widerstandes und der Mittäterschaft auf. Es gelte für Jugendliche, für Frauen, für jegliche unterdrückte Minderheit und auch für Ausübende der helfenden Berufe: "Wenn ich, um Widerstand zu leisten, kein anderes Mittel habe, als mich zu eben jenen Eigenschaften zu bekennen, die mich als Beherrschten kennzeichnen, und mich (...) laut und deutlich auf sie zu berufen (...) ist das dann noch Widerstand?" (Bourdieu, 1996: 46) - "Opponiert man (...) in Form von Krawallen und Delinquenz [beispielsweise] gegen das Bildungssystem, sperrt man sich damit aus ihm aus und in die Situation des Beherrschten ein, läßt man sich umgekehrt darauf ein, sich [beispielsweise] durch (...) Schulbildung zu assimilieren, wird man von der Institution vereinnahmt." (Bourdieu, 1996: 111) "Widerspruch", so Bourdieu, "kann entfremdend wirken und Unterwerfung befreiend. Darin besteht das Paradox der Beherrschten, und ihm entkommt man nicht." (Bourdieu, 1996: 46) Bourdieu freilich ist dem die Widerstandsmöglichkeiten zerbrechenden Paradox der Beherrschten immer wieder entkommen, indem er sich selber nicht ausgeschlossen hat und zugleich inmitten von Eliten mit Hilfe elitärer Mittel und gemeinsam mit anderen Menschen für Aufregung sorgte. Ihn interessieren, sagte Bourdieu, nicht die Generalsideen, sondern die kleinen Leute, die dafür den Kopf hinhalten müssen. (Vgl. Bourdieu, 1997a: 43) Bourdieu scheint die Widerstands-Quadratur des Kreises immer wieder gelungen zu sein, ein Sowohl-als-Auch und ein Weder-Noch zugleich. Was ist die Moral von der Geschichte? Weder sich selber aussperren noch sich unterwerfen. Bourdieus keineswegs elitäre Sozioanalyse diene, heißt es, dazu, das Leben, das man führen muss, erträglich zu machen - und sich nicht einsperren zu lassen und sich nicht aussperren zu lassen. Sich weder einsperren zu lassen noch sich aussperren zu lassen ist eine Bourdieusche Antwort auf die jeweilige alltägliche Situation des Beherrschtwerdens.


2. Was heißt Sozialarbeit?
"Die Lähmung der Gesellschaft funktioniert über das Berufsgeheimnis", heißt es bei Bourdieu. (Bourdieu, 1997: 675) Als Beispiel nennt er die Sozialarbeit samt Sozialarbeiterschaft. Zu diesen zählt er nicht alleine ErzieherInnen, Streetworker, BewährungshelferInnen, Heimpersonal samt leitenden FunktionärInnen, sondern genauso Krankenschwestern, Pfleger, LehrerInnen. (Vgl. Bourdieu, 1997: 592) Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind für ihn "Staatsadel". Zwar in der Hierarchie zwangsläufig "niederer Staatsadel" - aber doch "Staatsadel". Besagte niederadelige SozialarbeiterInnen sind für ihn "die linke Hand des Staates". (Vgl. Bourdieu, 1998: 12f., 118) Seine eigene Art und Weise der Sozialforschung nennt Bourdieu "Praxeologie" und, in Analogie zur Psychoanalyse, "Sozioanalysen". Eine Zeitlang wollte Bourdieu SozioanalytikerInnen als Berufsgruppe und -stand ins Leben rufen, mit Praxen usw. Wieder in Analogie zu den PsychoanalytikerInnen. Und als Ergänzung, mitunter als Ersatz. (Den Unterschied zwischen Psycho- und Sozioanalyse, verdeutlicht vielleicht am besten Bourdieus Bonmot, erstere vergesse immer darauf, dass Oedipus ein Königssohn war.) Man müsse, so das Ziel von Sozioanalyse verstehen, wie und warum man dazu wurde, was man ist und nicht so wie die anderen - und worin man sich entgegen den eigenen Illusionen der Besonderheit und der Freiheit überhaupt nicht unterscheidet. (Vgl. Bourdieu, 1997: 755) Sozioanalysen sind nicht zuletzt Selbstanalysen, und sie sollen nicht zuletzt den Ausübenden helfender Berufe helfen, zu überleben. (Vgl. Bourdieu, 1997: 657) Statt "überleben" verwendet Bourdieu auch das Wort "Nichtausgelöschtwerden". (Bourdieu, 1997: 726) Die Sozioanalyse sei gleichsam die Chance auf ein zweites Leben. (Vgl. Bourdieu, 1997: 755) Anderes, vielleicht neues, vielleicht besseres, da vielleicht ein wenig freieres. In Bourdieus et aliorum Elend der Welt kann man eine Sozialarbeiterin sagen hören: "Es gibt Leute, die lässt man kämpfen und arbeiten, aber sie dürfen auf keinen Fall erfolgreich sein." (Bourdieu, 1997: 403) Und es gebe, sagt sie und rechnet sich selber dazu, Menschen, die das tun, was die von der Gesellschaft eigentlich dafür und noch dazu weit besser bezahlten Leute nicht tun. (Vgl. Bourdieu, 1997: 409)

Übrigens haben kleine Wörtchen, die im gegenwärtigen Sprachgebrauch üblicherweise bloß als überflüssige Füllsel und als Verlegenheitsfloskel gebraucht und empfunden werden, in Bourdieus Schriften und Aufrufen eine beträchtliche programmatische Bedeutung, zum Beispiel die Adverbien "wirklich", "rechtzeitig", gemeinsam", "zusammen". Bourdieus Elend der Welt handelt von Notsituationen an schwierigen sozialen Orten und ist der Versuch, etwas wirklich richtig zu machen. Rechtzeitig. Zusammen. Sozusagen: trotzdem und endlich einmal. Im Elend der Welt sind Ausweglosigkeit noch und noch, freilich aber auch kleine Auswege beschrieben. Heraus aus unterlassener Hilfeleistung und aus erlernter Hilflosigkeit. Das Elend der Welt ist, diese scheinbare, pathetisch anmutende Wertung von Bourdieus Absicht sei mir gestattet, ein liebevolles Buch - liebevoll bei Bourdieu ausdrücklich im Sinne Baruch de Spinozas, der geistesgeschichtlich den forschungsethischen Grundsatz von Bourdieus Elend der Welt geliefert hat, nämlich: "Nicht bemitleiden, nicht auslachen, nicht verabscheuen, sondern verstehen." (Bourdieu, 1997: 13) In Bourdieus Worten heißt das auch: "nicht instrumentalisieren, sondern zur Verfügung stehen" (Bourdieu, 1997: 829) - ein liebevolles, wie gesagt, und zugleich schonungsloses Buch (schonungslos der Politik und deren Gliederungen, sprich: abhängigen Institutionen, sprich: Hilfseinrichtungen, gegenüber), und manchmal wird von denen, die ihr eigenes Leben erzählen, aufgelacht, sei es infolge von Hoffnung, sei es aus Tapferkeit, sei es aus Wut oder Verzweiflung oder Klugheit. "Mein Leben ist okay", sagt einer, der nicht viele Chancen hat, und lacht. Und eine, als sie alles verliert, nichts mehr ist und nichts mehr hat, die Leiterin einer Hilfseinrichtung war sie. (Vgl. Bourdieu, 1997: 399) Und einer lacht über seine Kindheit, sein Zittern damals, seine Sturheit heute, die gut für den Beruf ist. (Vgl. Bourdieu, 1997: 677) Und eine, als sie ins Heim muss. (Vgl. Bourdieu, 1997: 772, 777) Und eine über die vielen leeren Versprechen und weil es ihr schlecht geht und es keine Wunder gibt und keine Hilfe kommt. (Vgl. Bourdieu, 1997: 452) Und eine, als die ihre Stelle, ihren Beruf aufgeben muss - eine Sozialarbeiterin. (Vgl. Bourdieu, 1997: 221)

Das Elend der Welt ist zuhauf eine Dokumentation von Ohnmachtsgefühlen und dem Empfinden, betrogen zu werden und unausweichlicher Gewalt ausgesetzt zu sein oder geopfert zu werden. (Vgl. Bourdieu, 1997: 681, 685) Und davon, wie beschaffen, also wie betrügerisch und gewalttätig die dazugehörige, diese Gefühle verursachende Realität für gewöhnlich wirklich ist. Wo die Ursachen und bei wem die Verantwortung für die Vis (die Gewalt) und den Dolus (den Betrug) liegen. Bourdieu nennt diese Frage unerlaubt (vgl. Bourdieu, 1997: 253f.) und stellt sie ununterbrochen. Aber den Richtigen statt den Falschen. Und zwar mittels seines Gesamtlebenswerkes. Das Elend der Welt nun will das Zusammenleben von Menschen wahrheitsgemäß wiedergeben. Dieses Zusammen-Leben, das Zusammen-Arbeiten, Zusammen-Wohnen, Zusammen-zur-Schule-Gehen, zeigt sich laut Bourdieu beständig als ein in Wahrheit brutales, erniedrigendes Zusammenprallen - mit allen unmittelbaren wie auch langfristigen Konsequenzen. Das alltägliche Miteinander, und zwar das private und gar intime genauso wie das öffentliche, ist, laut Bourdieu, aufgrund der tagtäglichen, sich nicht und nicht ändernden äußeren, durch die Politik verursachten Lebensumstände zugleich ein sich andauernd wiederholendes Gegeneinander. (Vgl. Bourdieu: 1997a: 17f.) Gegenwärtig gelte ungebrochen der "Gewalterhaltungssatz": "Gewalt geht nie verloren, die strukturelle Gewalt, die von den Finanzmärkten ausgeübt wird, der Zwang zu Entlassungen und die tiefgreifende Verunsicherung der Lebensverhältnisse, schlägt auf lange Sicht als Selbstmord, Straffälligkeit, Drogenmissbrauch, Alkoholismus zurück, in all den kleinen und großen Gewalttätigkeiten des Alltags." (Bourdieu, 1998: 49) In Bordieus Elend der Welt geben voneinander grundverschiedene und einander hart gegensätzliche Menschen, denen aber allesamt für gewöhnlich ausdrücklich gesagt oder zumindest eindrücklich zu verstehen gegeben wird, dass es nun einmal in ihrem Falle nicht anders gehe und sie auch keinen nennenswerten Grund haben, sich zu beklagen, und es doch wohl wirklich Schlimmeres gebe als die Banalitäten, über die sie jammern und sich wichtig machen und aufregen und kränken, (vgl. Bourdieu, 1997: 19) aufgrund von Vertrauensverhältnissen vertrauliche Mitteilung. (Vgl. Bourdieu, 1997: 13) Die Menschen in den vertraulichen Gesprächen sind zumeist solche, die Schwierigkeiten haben zu existieren und denen für gewöhnlich in gewissem Sinne sogar die Existenzberechtigung abgesprochen wird. (Vgl. Bourdieu, 1997: 22) Immer jedenfalls sind es aber Menschen, deren Leben an der Kippe stand oder steht und die zugleich aber als de facto unwichtig gelten oder galten. "Absturzexistenzen", bald gut, bald schlecht situierte, bald solche, die es einmal heraus und hinauf geschafft haben, bald solche, die es - rebus sic stantibus - nie schaffen werden.

"Absturzexistenzen" ist ein Begriff, den Jahoda ,Lazersfeld und Zeisel geprägt haben. Bourdieus Elend der Welt (1997) versteht sich, obwohl es sich dabei erklärtermaßen um keine Armuts- und Arbeitslosigkeitsstudie handelt, ausdrücklich als gegenwärtige Entsprechung zur Marienthalstudie aus den 1930er Jahren. (Bourdieu, 1997b: 12) Nämlich als Werk über und gegen die infolge neoliberaler rechter wie linker Politik akut drohende und ständig mehr zur Wirklichkeit werdende gegenwärtige Verdrittweltlichung der sogenannten Ersten Welt. (Vgl. Bourdieu, 1997: 175) Es ist übrigens naheliegend, dass der Bestseller Das Elend der Welt als Buch wie auch in den Theateraufführungen und vor allem in der Serienverfilmung auf der Grundlage von Bourdieus Interviewnebennotizen und Regieanweisungen viele LeserInnen und ZuschauerInnen an Paolo Freires Pädagogik der Unterdrückten und Augusto Boals Theater der Unterdrückten erinnert. Auch handelt es sich bei besagtem Werk ausdrücklich um die, Bourdieus Freund Jürgen Habermas, aber auch dem Schicht-, Milieu- und Ghettosprachenforscher William Labov wahlverwandte, Bemühung, gewalt- und herrschaftsfreie Kommunikation zu ermöglichen und vorbildartig zu verwirklichen. Allerdings scheint im Elend der Welt laut Bourdieu vieles nicht auf, weil es zu niederschmetternde, schicksalhafte, für die Leser zu belastende Lebensläufe gewesen wären. Mit diesen wiederum wollte er einen europäischen Atlas des Elends grundlegen. (Vgl. Leitner, 2002: 174) Die Politik jedenfalls reagierte auf Bourdieus Werk gereizt, Jospin und Müntefering zum Beispiel sagten, sie können sich nicht um jedes Elend der Welt kümmern. Und ähnlich verordnete hierzulande, allerdings in völliger Unkenntnis in puncto Bourdieu, die vergangene Regierungspolitik bekanntlich "Nichtraunzerzonen" oder verbat sich die jetzige "Gesudere". Aus dem Metier, das die Leserinnen und Leser dieses meines Essays ausüben, sei hiermit folgende Kollegenschaft aus dem Elend der Welt genannt:

Die Sozialarbeiterin, die für das Requirieren, Sanieren und die Vergabe von Wohnungen sowie für die Erstellung von Verträgen und die Gewährung von Zuschüssen zuständig ist. Die Aufgaben werden für sie mit der Zeit unlösbar. Sie hat eine Bedarfs- und Bedürfnisanalyse für das Stadtviertel, für das sie zuständig war, in die Wege geleitet. Ebenso die nahezu kostenlose Weiterverwertung und Verteilung von intakten, aber abgelaufenen Supermarktwaren, die ansonsten weggeworfen würden, an Arme und Bedürftige. Im Laufe der Jahre sei es ihr unerträglich geworden, wofür Geld da sei und für wen nicht. Und dass die KlientInnen in ein Schema passen müssen, ansonsten verloren seien. Und zwar geschehe das trotz und gerade wegen des Gießkannenprinzips. Sie sei körperlich schockiert, ertrage die Funktionäre und deren Empfinden von Glück nicht. (Vgl. Bourdieu, 1997: 217-235)

Der Streetworker, der mit einer Krankenschwester verheiratet ist und für die ihm anvertrauten Sucht- und Aidskranken jederzeit verfügbar sein und schnell handeln muss, sagt über seine Funktion, er sei gleichsam ein Drogenkranker, der sich im Gegensatz zu seiner Klientel ausdrücken und helfen könne und nicht so ohnmächtig sei wie diese. Seine Schutzbefohlenen haben Sehnsucht, meint er, nach einem Zuhause, nach Arbeit, Kindern. Er versuche, solche winzigen Welten mitaufzubauen. Ihm gehe es darum, seinen KlientInnen gegenüber Gefühle entwickeln zu können und als jemand anerkannt zu werden, der helfen kann. Anders könne er seine Arbeit nicht tun. Er habe sehr wohl schöne Erfolge vorzuweisen. Und er sehe sich als das gute und zugleich das schlechte Gewissen der öffentlichen Institutionen. Gewissermaßen als deren Alibi. Die vielen kleinen und großen Chefs und Möchtegerne in den Hilfseinrichtungen seien ihm nicht sonderlich sympathisch, weil nicht ausreichend hilfreich oder verlässlich, sondern unredlich und untätig. (Vgl. Bourdieu, 1997: 237-249)

Die Fürsorgerin, die sich sowohl in der Hauptstadt als auch in der Provinz ihr Leben lang mit den Problemen anderer beschäftigt hat, jetzt selber in einer Notsituation ist und keinen Ausweg findet und aufgrund ihrer Berufserfahrung um die Enge und den Mangel und um die Hilflosigkeit von Institutionen, Personal und Klientel weiß, weiß das alles jetzt just auch in ihrem eigenen Fall. Sie plaudert und plaudert und vertuscht damit ihre Erschütterung und lacht. Sie sagt: "Ich habe ja Freunde, ich habe Glück." Aber das stimmt so nicht und nützt ihr nichts. In ihrem Beruf pflegte sie zu fragen: "Was möchtest du, dass ich für dich tue", und braucht jetzt selber Hilfe, sucht nach Ressourcen und Stützen, aber da ist nichts. Nichts wirklich. Sie will keine Belastung sein, hat eine Psychologin in der nächsten Verwandtschaft. Die Psychologin sagt zu ihr, sie solle sich nicht alles gefallen lassen, aber mehr Hilfe kommt nicht von ihr. Die Fürsorgerin sagt zu ihr: "Weißt du, Mut hab' ich genug gehabt, und jetzt reicht's einmal." Sie sagt, man könne das nicht mehr Leben nennen. (Vgl. Bourdieu, 1997: 769-778)

Der Schuldirektor, der es in seiner Problemschule schafft, die Schlägereien und Messerstechereien und die Drogen im Vergleich zur Zeit vor seiner Amtsinhabe fast völlig abzustellen, und zwar ohne dass er die Schule in eine Polizeistation umfunktioniert hat. Also keine Messerstiche mehr, weder in den Bauch noch sonst wohin. Und auch kein einziges brennendes Klassenzimmer mehr. Aber der Direktor muss jetzt nach Jahren Dauerstress ständig zum Arzt und kommt ohne Schlafmittel nicht mehr zur Ruhe. Einmal zum Beispiel da schützt er eine Lehrerin, wirft einen Vater hinaus, der die Lehrerin ordinär beschimpft, einmal da hilft er einer Mutter, ihre misshandelte Tochter vor dem Vater wirklich zu schützen, einmal da schützt er einen Vater vor den Schlägen des Sohnes. Der Direktor sagt von sich, es gebe Dinge, die über seinen Verstand gehen, und dass es oft Tage gebe, an denen er gerne ganz woanders und weit weg wäre. Und dass er mit den verschiedensten Personen und Gruppen oft Dialoge bis zum Erbrechen führe. Ganz schlecht ertrage er, wie schlecht sich die LehrerInnen untereinander vertragen. Deren Differenzen erscheinen ihm oft völlig irrational und nie und nimmer pädagogischer Natur, nicht einmal politischer, sondern als durch und durch emotional und infantil. Die lehrkörperinternen Probleme erscheinen ihm offensichtlich als schwerer lösbar als die Gewalt- und Betäubungs- und Suchtprobleme der Jugendlichen. Deren Probleme versteht er offensichtlich auch weit besser. Er meint, die Jugendlichen sagen sich, die Schule tue nichts für sie. Und dass das oft wahr sei, meint er auch. Er hat großen Respekt vor den kleinen Leuten, den SchülerInnen, Eltern und dem schulischen Hauspersonal gegenüber. Den hat er von seiner Mutter her, die Abwaschfrau war. Und er hat denselben Respekt den Lehrerinnen und Lehrern gegenüber, wenn sie von Schülerseite Demütigungen erfahren müssen. Über die Gewalt in der Schule und unter den Kindern und Jugendlichen sagt er: "Sie wünschen der Schule den Tod, weil ihnen die Schule nicht hilft." Er sieht sich selber als jemanden, der sich trotz allem nicht entzieht und nicht auf Distanz geht. Und er ist überzeugt, dass es Lösungen gibt. Zum Beispiel dürfe man Menschen nicht zusammenpferchen, sondern müsse ihnen Raum zum Atmen geben. (Vgl. Bourdieu, 1997: 627-647)

Die Frau, die aus einer Selbsthilfegruppe heraus ein Frauenhaus aufgebaut hat, nach zehn Jahren dieses ihr Lebenswerk aufgrund von Intrigen gegen sie verliert, da die weibliche Prominenz und Intelligenzija nicht auf ihrer Seite ist; die Frau sagt, die Aktivistinnen und Feministinnen und Akademikerinnen, denen sie im Machtkampf ums Frauenhaus unterliege, denken und agieren hierarchisch und wollen von den wirklichen Problemen der Frauen im Frauenhaus gar nichts wissen, sagen, solche Geschichten gehen sie nichts an und interessieren sie überhaupt nicht. Aber sie reden lauter und besser, behauptet sie, manipulieren, haben die angesehenere Bildung und die angeblich wertvolleren Abschlüsse. Und dass diese Frauen aber in Wahrheit gar nicht im Frauenhaus arbeiten können und dass sie die Frauen im Frauenhaus erniedrigen. Sie sagt, sie sei entsetzlich müde, erzählt von den Hilferufen an sie in all den Jahren, auch Frauen von Juristen und von Ärzten hätte sich in ihrer Not ans Frauenhaus um Hilfe gewandt. Und dass sie noch ein Frauenhaus aufbauen wollte. Sie erzählt von den Vorwürfen, die ihr gemacht werden, weil sie dafür sorgt, dass Frauen, die sich an sie wenden, wirklich frei entscheiden können, ob sie abtreiben lassen oder nicht. Sie sei stolz auf ihr Patenkind und freue sich zusammen mit der Mutter über es. Das Kind ist sehr wohl auch deshalb auf der Welt, weil die Frauenhausleiterin jede ideologische Einflussnahme auf die schwangeren Frauen zu verhindern versucht habe. Sie berichtet auch von den Schwierigkeiten, die sie manchmal mit Sozialarbeiterinnen hatte, weil diese falsch entschieden haben, nämlich langsam und zögerlich, und damit die Frauen in großer Gefahr allein gelassen haben, nämlich bei ihren Männern. Man müsse die Opfer retten, um nichts sonst dürfe es gehen, meint sie. Sie sagt, man müsse Phantasie haben, um kämpfen zu können. Und sie tue nun einmal oft das Gegenteil von dem, was die anderen tun. (Vgl. Bourdieu, 1997: 399-420)

Nicht so sehr als Beispiele für Sozialarbeit, wohl aber für die linke Hand des Staates, besser gesagt: für die Koordinationsprobleme zwischen linker und rechter Hand - die rechte Hand sind für Bourdieu Exekutive, Jurisprudenz, Finanz und Ökonomie - stehen im Elend der Welt eine junge Polizistin und ein Richter: Die junge Polizistin, deren Eltern eigentlich gewollt haben, dass sie Kindergärtnerin oder Familienhelferin oder Krankenschwester wird, und die gerne im Betrugs- und Fälschungsdezernat arbeiten möchte, ärgert sich über die Unverschämtheit und Unverfrorenheit von Tätern, aber auch über die Willensschwäche von Kollegen, Bequemlichkeit von Vorgesetzten, den Mangel an Koordination und den Zeitverlust. Und das Trinken. Sie bewundert korrekte und engagierte Vorgesetzte und Kollegen, hat Angst, Fehler zu machen. Sehr oft hat sie Mitgefühl mit den jungen Leuten, die sie vor Gericht bringt, will wissen, was aus ihnen dann geworden ist und ob ihnen die Polizeiarbeit, die sie geleistet hat, vielleicht geholfen hat, auf den rechten Weg zurückzufinden. Manchmal denkt sie sich, jemand habe keine Wahl gehabt, manchmal, jemand hätte nur eine Arbeit zu bekommen brauchen und alles wäre in Ordnung gekommen und man hätte kein Gericht und keine Haft gebraucht. (Vgl. Bourdieu, 1997: 265-281) Der Richter, der ein Buch über Normalität und zwangsläufige Missstände schreiben will und von sich sagt, er sei im Beruf bei lebendigem Leib gehäutet worden. Sein Großvater habe ihm als sehr jungen Menschen das Memoirenbuch eines Untersuchungsrichters geschenkt. Dieser sei dann immer das Vorbild des Richters gewesen. Der junge Richter nennt andere Richter, die er bewundert, weil sie sich an die Spielregeln halten und Urteile niemals in Hinblick auf den eigenen Karriereverlauf fällen. Er überlegt jetzt, ob er in den Anwaltsberuf wechseln soll, sagt, er sei nicht dafür da, um Menschen Leid zuzufügen. Resozialisierung sei das Wichtige und Haftunfähigkeit und sehr wohl auch "in dubio pro reo" werden seiner Meinung nach zu selten gewährt. Er ist in Schwierigkeiten geraten, weil er in einem Prozess als Zeuge gegen ein paar Polizisten und einen Staatsanwalt ausgesagt hat, was dann zu deren Verurteilung geführt hat. Bei seiner Gewerkschaft findet er offensichtlich nicht die Unterstützung, die er sich einmal erhofft hat. Er nennt sie faul. (Vgl. Bourdieu, 1997: 283-304)

Zur linken Hand des Staates zählt Bourdieu selbstverständlich die Gewerkschafter. Freilich andere als den ebenso hilfreichen wie legendären, für die politische Sozialarbeit nach wie vor wichtigen, jedoch aus vielen Gründen heftig umstrittenen, militanten amerikanischen Gewerkschafter Saul Alinsky. (Vgl. Müller W. 1999, 114ff.) Als Beispiel nun für das gegenwärtige Desaster nennt Das Elend der Welt Gewerkschafter in zwei Autofabriken, die seit Jahrzehnten im selben Betrieb arbeiten und große Erfahrung haben, auch in Streiks, und die fassungslos mitansehen müssen, wie die Gewerkschaftsarbeit immer schwieriger und nahezu unmöglich wird. Das Betriebsklima verfalle, zum Beispiel werfen ein paar Arbeiter einander vorgeblich Spaßes halber Schrauben an die Köpfe, sodass es sogar Verletzte gibt. Man könne niemandem mehr vertrauen. Die Hoffnung verschwinde, der Neid nehme zu. Der Lohnzettel und die Prämien seien das Wichtigste geworden. Niemand dürfe mehr krank werden, verdiene sonst seinen Arbeitsplatz nicht mehr. Als Vorbild gelte den Managern zur Zeit Japan. Und die Fabriken werden jetzt mit billigen und rechtlosen Leiharbeitern en masse überschwemmt. Das damit verbundene Dumping verunmögliche die Gewerkschaftsarbeit, da die Solidarität der Arbeiter untereinander zerstört wird. Man sei jetzt mit der Betriebsleitung solidarisch, nicht mit Seinesgleichen. Wer Schwierigkeiten habe oder mache, sei eine Gefahr für alle und jeden. Und zwar sowohl in puncto Lohn als auch in puncto Arbeitsplatz überhaupt. Ein Gewerkschafter will der Zerstörung des Gemeinschaftsgefühles, das bisher sehr wohl in seinem Betrieb vorhanden gewesen sei, entgegenarbeiten, indem er noch mehr als bisher schon bei den Arbeitern anwesend ist, obwohl er von diesen gesagt bekomme, dass er ja sein Maul halten solle. (Vgl. Bourdieu, 1997: 307-340)

Als mustergültig vorbildliche Situations-, Selbst- und Gesellschaftsanalysen, und zum Teil und in gewissem Sinne auch als Beispiel für gelungene sozialarbeiterische Intervention, werden im Elend der Welt die beiden folgenden Flüchtlingsleben genannt: Der angesehene, gläubige alte Gastarbeiter, der seit 40 Jahren im Gastland lebt und jetzt sagt, seine Emigration sei ein Fehler und ein Fluch, Schuld und Schande, und das Heimweh sei für ihn stets körperlicher Schmerz gewesen. Aber zu Hause haben damals Hunger, Krankheit und Krieg geherrscht. Und sein Vater, der im Elend zurückblieb und sehr korantreu und auch durch seine geschickte, fleißige Arbeit sehr angesehen und beliebt und bekannt war und nicht wollte, dass der Sohn fortgeht, und dem Sohn sagte, er wolle das Geld, das der Sohn in der Fremde verdiene und als Hilfe für die Familie heimschicke, nicht, denn es sei der fremden Herren Geld und unehrenhaft, sei dann damals im Krieg umgebracht worden. Der alte Gastarbeiter nennt Auswanderer Waisen und Witwen, die Männer seien (zu Lebzeiten schon) die Witwen ihrer Frauen und die Waisen der eigenen Kinder. Sein ältester Sohn habe studiert und seine lange Zeit kranke Tochter, auf die er sehr stolz sei, habe es sehr schwer gehabt, habe sich aber mutig ohne Ausbildung eine Arbeit gesucht und sei jetzt ihm selber gleichgestellt. Er gebe niemandem die Schuld an seinem Leben, gehe auf niemanden los, er sagt alle Menschen seien in derselben Situation, der Himmel sei schuld und man sei wie vom Schnee überrascht und in ihn in einem endlosen Winter eingesperrt. (Vgl. Bourdieu, 1997: 725-752) Das den Eltern gegenüber feindselige junge Migrantenmädchen, das nichts isst und nicht schläft und weder den eigenen Geburtstag noch den Geburtsort weiß und lacht und den Vater hasst, weil "der Vater denkt, der Vater will, der Vater sagt" und das Mädchen daher das Leben einer Larve führen muss, zuhause wie in einem Kloster eingesperrt ist - ihre Beine dürfen nicht gehen, trotzdem darf es nicht den Kopf verlieren -, wird von der Mutter verflucht, als sei es das Böse in Person. Die Eltern geben der Schule die Schuld, wollen die anderen Töchter daher von der Schule nehmen. Das Mädchen ergreift lange nicht die Flucht von zu Hause, weil es seine Geschwister nicht im Stich lassen will und auch, weil es von draußen keine Hilfe bekommt. Es wird von der Mutter erpresst. Es bricht zusammen, muss alles von Grund auf neu lernen: normal reden und ohne zu zittern zuhören und denken und im wahrsten Sinne des Wortes die eigenen Beine benutzen. Bei einem Spitalsaufenthalt beginnt sie zu lesen, was sie nur findet. Sie verbündet sich mit den Geschwistern und geht alleine fort. Bricht ihnen damit einen Weg. Die Schwestern können studieren, sie wird und bleibt dann eine kleine Sekretärin, ist aber immer zufrieden, verdient ihr eigenes Geld, ist nie arbeitslos, versöhnt sich mit der inzwischen schwer leberkranken Mutter, ist vielleicht ihre einzige Hilfe und bringt sie hinaus in die kleinen Freiheiten, ins Kino, zum Essen, zu Flussfahrten. Die Mutter weiß, dass die Tochter da ist, wenn sie sie braucht, und hat keine fixen Ideen und Angstattacken mehr. Eine Sozialarbeiterin hat dem Mädchen geholfen. War da. Im Spital damals. (Vgl. Bourdieu, 1997: 753-767)


3. Was heißt Helferhilflosigkeit?
Der Geistesgegenwart und dem Andenken an Hans Georg Zilian sollen meine Ausführungen hiermit gewidmet sein, und zwar nicht als Immunisierungsstrategie gegen Kritik, sondern weil der Grazer Philosoph, Sozialforscher, Goffman- und Krausspezialist und gelernte Jurist Zilian, von der Vernunft öffentlich Gebrauch machend, öffentlich folgende Frage zu stellen pflegte: "Wie kommt es, dass so viele gute Menschen so viel schlechte Politik produzieren?" Zilian tat dabei für gewöhnlich folgende grundsätzliche Aporien auf: (vgl. Leitner, 2000: 71)

  1. Lobbying helfe in Wirklichkeit nur denen, die es betreiben; also NGO-, NPO- und GONGO-Engagement nur deren FunktionärInnen. Oft verringern die HelferInnen den Handlungsspielraum der KlientInnen, statt ihn zu erweitern.
  2. Den, z. B. in Studien, Befragten nütze es in Wirklichkeit nichts, wenn sie sich äußern. Im Fall der Jugendlichen sei das beispielsweise so. Und Bourdieus Gesprächsmethode im Elend der Welt sei besserwisserisch.
  3. Widerstand gegen die gegenwärtige Politik sei in Wirklichkeit nicht organisierbar, weil wir Herren und Knechte zugleich seien. Es könne uns zum Beispiel passieren, dass die Firmenaktien, die wir gekauft haben, auch für uns gewinnbringend in die Höhe schnellen, weil wir von der Firma entlassen wurden. Widerstand leisten könne man vermutlich überhaupt nur, wenn man es sich leisten könne oder wenn man nichts zu verlieren habe.
  4. Eulenspiegel, so eine von Zilians Geschichten zur Illustration von gegenwärtiger Solidarität, verspricht einem Spitalsleiter, gegen Entgelt alle Kranken gesund zu machen. Denen erzählt Eulenspiegel, er würde den Kränkesten verbrennen und aus dessen Asche Tabletten herstellen, durch die alle anderen geheilt werden. Natürlich verlässt sofort jeder das Krankenhaus. (Vgl. Zilian; Flecker, 1997: 27f.)
  5. Die rechtsextreme Selbstinszenierung von Jugendlichen sei, so Zilian, zuallererst ein Symptom. Die wirkliche Ursache liege darin, dass man Jugendlichen die Geborgenheit verweigere und dadurch der rechtsextremen Szene die Kanäle der Nachwuchsrekrutierung öffne. (Vgl. Zilian, 1998: 183)
  6. Das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen nannte Zilian als die wichtigste Lösung der durch den Gegenwartskapitalismus verursachten sozialen Probleme und als die größte Erfindung der Menschheit nach dem Rad. Daher aber tue man sich mit der Einführung so schwer.
  7. Es gebe im öffentlichen Rechts- und Sozialstaat mitunter keine andere Möglichkeit, Menschen in Sicherheit zu bringen und ihnen wirklich zu helfen, als die Adoption, also die Aufnahme in die eigene, private Familie. (Vgl. Zilian, 2005: 141)
  8. Als Franz Schultheis, der Herausgeber der deutschen Fassung von La Misère du Monde und jetzige Präsident der Bourdieustiftung, in Vorbereitung des Wienbesuchs Bourdieus im Oktober 2000 auch nach Graz kam, wurde er in der Diskussion vom bourdieukritischen Moderator Zilian gleich eingangs wohlweislich gefragt, wie dieses Bourdieusche Vorhaben in Österreich denn überhaupt gelingen können solle: Erstens träfen, so in etwa Zilians Einwände, die französischen BourdieuanerInnen in Österreich auf alternativ-soziale Gruppen, die ihre Einzelinteressen massiv und egoistisch anderen, konkurrierenden Gruppierungen gegenüber durchzusetzen gewohnt und willens seien. Zweitens träfen die französischen BourdieuanerInnen lediglich aufs andere Österreich, aufs andere Wien, aufs andere Graz, also auf ohnehin alternativ gesinnte Minderheiten, die mit der Mehrheit nur schwer kommunizieren können, keine breite Öffentlichkeit finden und sich natürlich auch nicht bei der Mehrheit durchzusetzen vermögen. Drittens seien weitreichende politische Veränderungen wie vergleichsweise in Südafrika stets nur durch das breite Volk und von unten vor sich gegangen und geglückt, nicht durch eine schmale Schicht von angeblichen intellektuellen Eliten. (Vgl. Leitner, 2002: 100f.)

Zilians prophylaktische Grazer Fragen trafen jedwede Grundanliegen von Bourdieus Raisons d'agir, sozusagen der kleinen älteren Schwester von ATTAC, und stellten massiv in Frage, dass diese Grundanliegen realisierbar seien, nämlich. 1. kreatives Kooperieren statt Konkurrenz, 2. gegenseitige Hilfestellung von unabhängigen WissenschafterInnen und KünstlerInnen einerseits, NGOs und sozialen Bewegungen andererseits, um beiderseitige Defizite und Defekte zu beheben, 3. Isolation und Getthoisierung durchbrechen, um Öffentlichkeit, Verständnis und Zustimmung auch unter der Bevölkerungsmehrheit zu finden, 4. eine europäische Sozialcharta samt europäischer Volksabstimmung. Was Raisons d'agir anlangt, hat Zilian recht behalten. Bourdieu hat freilich auch Attac mitbegründet und das Bourdieuanum war an vielen Orten für die Attacis genauso wie für die Sozialforen ein wichtiger Katalysator. Auch wurden wichtige Schriftwerke von Attac, z.B. über Aktienspekulationssteuer oder über das Pensionssystem und künftige Börsecrashs in der Buchreihe von Raisons d'agir neben Bourdieus Gegenfeuer publiziert. Zilians Aporien bleiben trotzdem als Warnung bestehen. Denn sie geben die internen Gründe an, wann immer in alternativen sozialen Bewegungen, antikapitalistischer, antirassistischer Politik, engagierten Sozialvereinen, öffentlichen und halböffentlichen Hilfseinrichtungen die jeweiligen Ziele - das Menschenwohl - nicht (wirklich) erreicht werden. Zilian formulierte solche und ähnliche kontraproduktive Widersprüche von Hilfssystemen sehr oft unter Rückgriff auf Goffman, (vgl. Zilian, 1996: 55ff.; 1999: 143, 171) von dem die Begriffe "Unterleben" ("underlife") und "Looping" stammen. (Vgl. Willems, 1997: 110, 132f.) Die KlientInnen, also die Hilfsbedürftigen, überleben laut Goffman, indem sie in den Hilfseinrichtungen, denen sie zugeteilt sind, unterleben. Auf diese Weise überleben sie auch die Hilfseinrichtungen, nicht nur die Welt draußen. Dasselbe gilt für die HelferInnen. Die geraten allerdings mitunter leicht ins Trudeln, ins Looping eben, und stürzen ab. Was wie eine hochprofessionelle Kunstfigur aussieht, wird zur Todesfalle. Zum Looping gehört, dass die Falschen, z. B. die Engagierten, für die Fehler der anderen, etwa der Vorgesetzten oder gar des Systems, büßen müssen. Unter den hochangesehenen Preisen, mit denen Bourdieu ausgezeichnet wurde, findet sich neben dem Ernst-Bloch-Preis für das gegenwärtige Erkennen von sozialstaatlichen Realutopien (Bloch sprach bekanntlich nicht nur vom "Noch-nicht", sondern gab auch den programmatischen Spruch "Da ist überall der Wurm drinnen" von sich) auch der Goffmanpreis für den umsichtigen Umgang mit institutionellen Aporien, Anomien und Maskeraden. Was bei Goffman Unterleben und Looping heißt, nennt man für gewöhnlich Helferhilflosigkeit.

Wer vom Helfen redet, muss sich ja gefallen lassen, schnell und süffisant gefragt zu werden, ob er, ob sie an einem Helfersyndrom leide. Der Begriff stammt bekanntlich vom Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer, desgleichen die Formel von den hilflosen Helfern. Schmidbauer verwahrte sich wiederholt dagegen, dass man seine Worte so verstehe, als seien Menschen, die anderen selbstlos und bedingungslos zu helfen bereit sind, in Wahrheit bloß infantil neurotisch, narzisstisch und destruktiv oder lebensunerfahren und unprofessionell, und dass die, die nicht entschieden zu helfen gewillt sind, eigentlich die seelisch Gesunden seien - und professionell, weil sich abgrenzen könnend. Laut Schmidbauer ist Helferhilflosigkeit nämlich unter anderem dadurch verursacht, dass die HelferInnen ihre Schwäche nicht zugeben können oder dürfen. Sie können sie nicht zugeben, weil die Hochleistungsgesellschaft und militarisierte Arbeitswelt, in der die HelferInnen leben und arbeiten müssen, auch in ihrem Inneren herrscht und sie selber wie hilfsbedürftige, abhängige, gehorsame Kinder sind. An dieser Hilflosigkeit aber und an dieser Gehorsamsbereitschaft nehmen andere Menschen Schaden, KlientInnen, PatientInnen, Schutzbefohlene. Für Schmidbauer kommen die, die helfende Berufe ihren Schutzbefohlenen gegenüber gewissenhaft ausüben wollen, nicht umhin, sich politisch einzusetzen. Der politische Einsatz wird somit zur Berufspflicht eines jeglichen Helfers. Der keineswegs linke Philosoph André Glucksmann hat den HelferInnen bekanntlich vorgeworfen, dass sie zwar unmittelbar und kurzfristig helfen, dafür aber, als eine Art Gegenleistung, den Mund halten. Sie akzeptieren untragbare Situationen und Strukturen, wenn ihnen seitens der jeweiligen Machthaber ermöglicht wird, ihren Job zu tun und ihren Beruf auszuüben. Die HelferInnen verpflichten sich sozusagen zum Stillschweigen, dadurch aber machen sie sich mitschuldig und perpetuieren die untragbare Situation, schützen und stützen schadhafte und Schaden stiftende Strukturen anstatt die ihnen anvertrauten Menschen. (Vgl. Breuer, 1996b: 144f.) Gerade solchen Komplizen- und Mitwisserschaften samt Gewissenskonflikten will Schmidbauer ein Ende setzen. Dasselbe wollte Bourdieu.

Wie auch immer, es könnten, folgt man Schmidbauer, gerade aus den helfenden Berufen kraft der gewissenhaften Erfüllung der Berufspflicht menschenfreundliche politische Aufstände zum Besseren erwachsen, schlichtweg im Interesse der Schutzbefohlenen und Hilfesuchenden. Würde beispielsweise die Medizin wirklich alle anderen Interessen für das Wohl der Kranken zurückstellen, wäre sie, so Schmidbauer, eine radikale Macht, deren Forderungen über das hinausgingen, was etwa Alternativgruppen verlangen, sowohl im Umwelt-, Patienten- und Konsumentenschutz, als auch im Verkehrs- und Erziehungswesen. Zumeist jedoch schweige die Ärzteschaft, dulden und unterstützen BerufshelferInnen somit das, was ihre Schutzbefohlenen krank mache, meint Schmidbauer in etwa, dem es, wie gesagt, nicht darum geht, Helferinnen und Helfer abzuwerten oder verächtlich zu machen, sondern darum, dass selbige ihre Chancen auf Selbstbefreiung und Systemveränderung innerhalb ihrer Institutionen wehrhaft wahrnehmen und ihre Rücksichtnahme, Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft kreativ, ehrlich und uneingeschüchtert zu entfalten vermögen. Selbstredend verlangt Schmidbauer weit verstärkter psychologische Betreuung und Super- und Intervision in Hilfseinrichtungen sichergestellt zu sehen, im Herzen und Gehirn, nicht an der Hautoberfläche der von Menschen geschaffenen Institutionen, wie er sagt, doch warnt er zugleich vor der Fürchterlichkeit, Mineralwasser, also PsychotherapeutInnen und Super- und IntervisorInnen zu empfehlen, weil man auf das Trink- und Leitungswasser einfach nicht mehr vertrauen könne. (Vgl. Schmidbauer, 1996: 174, 232f.)

Überhaupt ist, meine ich, das Vertrauen in das Helfersystem der SupervisorInnen und IntervisorInnen vielleicht gar nicht sonderlich gut begründbar. (Vgl. Leitner, 2002: 90f.) Infolge der Spitalskatastrophe im oberösterreichischen Freistadt beispielsweise wurde das Krankenhauspersonal ein Jahr lang hospitiert - und legte danach nicht mehr den geringsten Wert darauf. Der Grund: Die Spitalsleitung, die Spitalsverwaltung, also die politische Bürokratie wurde und wird nicht mitsupervidiert. ÄrztInnen, PflegerInnen, BetriebsrätInnen verweigern daher eine weitere Supervision, können in einer solchen keinerlei Hilfe erkennen; um die zermürbenden Probleme wissen sie ohnehin besser als die SupervisorInnen Bescheid, die ihnen, wie gesagt, keine Hilfe, keine politische Hilfe zu sein vermögen. Vorm vielbeschworenen Lainz übrigens, vor einer Systemkatastrophe dortselbst, waren die verantwortlichen sozialdemokratischen Gesundheitspolitiker bis hin zum sozialdemokratischen Bürgermeister durch einen hartnäckigen Supervisor, Petzold mit Namen, nachweislich gewarnt worden, ohne geringsten Effekt. (Vgl. Petzold; Orth, 1999: 118f.)

Dass Politik die HelferInnen zum Schaden der Schutzbefohlenen hilflos macht, dagegen ist Bourdieu ein Gegenmittel. Dazu freilich müssten HelferInnen öffentlich erzählen, von denen, die ihnen anvertraut und in Gefahr sind und von sich selber. Aber wie das tun unter Schweigepflicht? Übrigens soll einmal ein Pfleger zum vorgesetzten Leiter gegangen sein und gesagt haben, er, der Pfleger, könne so nicht weiterarbeiten, auf der Station herrsche "gefährliche Pflege". Der Vorgesetzte antwortete dem Pfleger, er müsse unverzüglich damit aufhören, gefährliche Pflege zu betreiben, sonst müsse er ihn wegen gefährlicher Pflege zur Anzeige bringen. Der Vorgesetzte ging wohlgemerkt nicht gegen das "Organisationsverschulden" vor, sondern gegen einen geständigen und Hilfe suchenden Einzelnen, der den Dienstweg einhielt. Noch ein Beispiel: Im Februar 2001 sprach man in Stoibers Bayern in aller Öffentlichkeit entsetzt über das Elend der Altenheime und der Pflegekräfte. Die zuständige Ministerin der Regierung Stoiber war anwesend und widersprach den Schilderungen des Elends und der Helferhilflosigkeit nicht. Stoiber lehnt ja, nebenbei sei's vermerkt, eine allgemeine, voraussetzungslose Grundrente, ein Grundeinkommen für alte Menschen ab, da derlei das Prinzip der Eigenvorsorge konterkariere und ein Privileg sei. Der von den verantwortlichen RessortpolitikerInnen unwidersprochene Inhalt der öffentlichen Debatte nun war, dass Heiminsassen aus Geld- und Personalmangel, allein was die Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit betrifft, sehr oft Ärgeres erleiden müssen als Menschen in Eritrea. Für die Grundversorgung ist im schwarzen katholischen Bayern unwidersprochen kein Geld vorhanden. Dass Menschen selber, im eigenen Kau- und Schlucktempo, essen und trinken dürfen, einmal in der Woche in den Garten geführt werden und man ihnen beim Sterben die Hand hält, ist erklärtermaßen Luxus. Soviel zum Sozialstaat unter sparsam christlich-sozialer Regierung. Und zu schweigsamer Helferhilflosigkeit. Vielleicht sollten die Ausübenden helfender Berufe endlich öffentlich zu erzählen beginnen, was sie in ihren Verantwortungsbereichen an Grundversorgung denn überhaupt erbringen können, in Wahrheit, aus Gewissensgründen, in Ausübung der Berufs- und Schutzpflicht. Das ist ein Bourdieusches Grundanliegen im Elend der Welt. Wie viel die öffentliche Diskussion nützt, ist eine andere Sache. Denn vom Pflegenotstand in Österreich fing man erst Jahre später zu reden an (vom Abhilfe schaffenden Handeln ganz zu schweigen), obwohl Bayern und die BRD diesbezüglich genug an abschreckendem Beispiel gewesen wären. Dasselbe gilt von der Explosion der Kindestötungen in der BRD. Man fragte sich ganz offensichtlich in Österreich weder in der Pflege noch in der Jugendwohlfahrt auch nur annähernd ausreichend, ob solche Fälle und Geschehnisse samt dazugehöriger Helferhilflosigkeit in Österreich möglich oder gar Wirklichkeit und wie zu verhindern sind. Oder irre ich mich? Zilian übrigens sagte einmal, alle reden vom Totschweigen, ein Totreden gebe es aber auch. Und Bourdieu beklagte, dass beständig über die falschen Probleme geredet und nur mehr über Scheinkonflikte diskutiert werde, anstatt dass man elementare Fragen stelle. (Vgl. Bourdieu, 1996: 216-219)

Ob man diesem Totschweigen und Totreden, dem Diskutieren über Scheinkonflikte und falsche Probleme mit öffentlich dargebrachtem Humor auch nur annähernd wirksam entgegenzutreten vermag, wie freilich Zilian das immer wieder tat, und zwar unter anderem mit Hilfe von Kraus, Kästner, Eulenspiegel oder Schwejk oder Hellers Catch 22, wage ich jedoch zu bezweifeln. Der Eulenspiegel zum Beispiel wurde vom hohen städtischen Verwaltungsbeamten und Braunschweigschen Zollschreiber Bote, welcher auch Landrichter war und gegen die Unterschicht wie auch gegen aufständische Handwerkerzünfte entschieden vorzugehen gewohnt und verpflichtet war, allen Ernstes als abschreckendes Beispiel für kriminelles Handeln verfasst. Für Bote war Eulenspiegel der Kriminelle schlechthin. (Vgl. Nusser, 1992: 350) Und der Verfasser des Schwejk, welcher letzterer angeblich vorführt, wie man sich behaupten kann, nämlich durch Sichblödstellen, hatte selber alles andere als ein leichtes Leben. Deshalb geriet es auch so kurz. Der Soziologe, meint Bourdieu, ähnle dem Komödienschreiber, der die "Aufzwingungen, Einschüchterungen, Tricks und Schwindeleien., die die Mächtigen und Wichtigen aller Zeiten ausmachen", mit den Mitteln der Parodie und Übertreibung demaskiere. Jedoch liegen, so Bourdieu, "das Komische und das Tragische eng beieinander." (Bourdieu, 1993: 58) Es sei die Arbeit der Soziologie nämlich dergestalt, als ob Herr Molière Stücke zur Aufführung bringe. Allerdings verlor Molière, der immer wollte, dass seine Schauspieler ihre Kinder zu den Stücken mitnehmen, damit er an den Kindern sehe, ob die Stücke etwas taugen, aufgrund seines Der Bürger als Edelmann die Gunst seines Königs und des adeligen Publikums. Bourdieus Komiker sind ausdrücklich das Andersensche Märchenkind, das aufschreit, der Kaiser sei ja nackt, und der gegenwärtige französische Schauspieler Colouche, der zum Spaß und mit Bourdieus Unterstützung für hohe Staatsämter kandidierte. Molières Tartuffe gilt als Schlüssel zum Verständnis von Bourdieus Sicht von Eliten. (Vgl. Jurt, 1995: 72f.) Die beste filmische Darstellung von Bourdieus lebenslänglichen Versuchen gibt neben der Dokumentation von Pierre Carles La sociologie est un sport de combat ein Spielfilm eines Sohnes von Pierre Bourdieu - Emannuel Bourdieus angebliche Komödie Nicht zu verheiraten, fertiggestellt ein Jahr nach dem Tod des Vaters. Erzählt wird, wie ein junger Soziologe zufällig zurück in seine Heimatgegend kommt und dort alle möglichen Leute miteinander verheiraten will. Bourdieu stammte aus kleinen bäuerlichen Verhältnissen, der Vater, den er sehr schätzte, war Postler und im Krieg auf Seiten der Resistance gewesen. Solche bäuerlichen Verhältnisse beschrieb Bourdieu zeit seines Lebens, im Großen wie im Kleinen. Im Großen den Feudalismus.

Der Nobelpreisträger, Armuts- und Entwicklungsökonom Sen sieht die Dinge sehr ähnlich wie Bourdieu und pflegt zu sagen, dass man Probleme nur lösen könne, wenn man sie offen diskutiere. Er weist auf die vierzig Millionen US-AmerikanerInnen ohne Krankenversicherungsschutz hin und darauf, dass die Überlebenschance für schwarzfarbige US-AmerikanerInnen, beispielsweise in Los Angeles oder Washington D. C., schlechter ist als für ChinesInnen in China, Pakistani in Pakistan, InderInnen in Indien. Die amerikanische Arbeitslosigkeit nennt er Dynamit. Das Hauptproblem in der Welt, so Sen, seien aber nicht Kommunismus, Sozialismus oder Kapitalismus, sondern der Feudalismus. (Vgl. Leitner, 2000: 84-87) Die Feudalismen der Gegenwartsgesellschaft sind wie gesagt Bourdieus Thema seit seinen ersten Studien zum Tartuffe und zur Welt der Kabylen und den sogenannten kleinen Leute. Da trifft er sich in Theorie und Praxis durchaus mit dem österreichischen Alternativnobelpreisträger Leopold Kohr, dem viel belächelten "Small is beautiful"-Ökonomen, der auf Jimmy Carter hoffte, als Mensch weder Hammer noch Amboss sein wollte und dem man vorwarf, die Welt ins Mittelalter zurückkatapultieren zu wollen.4

Bourdieus Soziologie ist jedenfalls ausdrücklich antinarzisstisch. Für Bourdieu können auch Kollektive und Institutionen narzisstisch sein. Auch Hilfseinrichtungen. Es mag zwar mythologisch und psychologisch durchaus sein, dass Narziss unendlich liebesbedürftig war. Liebevoll war er aber nicht. Zahllose in ihn verliebte Mädchen und Jünglinge wies er ab, die behinderte Nymphe Echo erstarrte zu Stein, weil er sie nicht liebte, den Jüngling Ameinias trieb er in den Selbstmord. Die Christen freilich mochten den Narziss, in ihren Augen trieb er Gottesdienst. Es mag mythologisch auch so sein, dass Narziss im Wasser gar nicht sein eigenes Spiegelbild sah und es zärtlich berühren wollte, sondern seine verstorbene Schwester. Wie auch immer, Narziss kommt von narkan, und narkan heißt Krämpfe haben, erstarren und gelähmt werden. Der Name Narziss, das Wort Narzissmus bedeuten somit wohl Lähmung und Erstarrung. Soviel zum unnahbaren und ertrinkenden Sohn einer Nymphe und eines Flussgottes in heutiger narkotischer Zeit. (Vgl. Moormann; Uitterhoeve, 1995: 468ff.) Der Gegenwartsnarzissmus war bekanntlich auch Zilians Thema. Und der Fußball. Bei Bourdieu war es Rugby. Und das Spiel- und Kampffeld. So erklärt sich Bourdieus Feldbegriff, dem meines Wissens auch GestalttherapeutInnen und GruppendynamikerInnen einiges abzugewinnen vermögen. Eine Ähnlichkeit gibt es noch zwischen Bourdieu und Zilian - man bekam nicht das zu hören, was man wollte. Und hätten nicht so viele Linke zugeben müssen, dass Bourdieu alles sei, was ihnen geblieben war - sie hätten wohl ihn und sein Reden und Schreiben und gerade auch Das Elend der Welt als politisch unkorrekt klassifiziert. "Parrhesie" nannte Foucault ein solches freies, Bourdieusches Reden in Demokratie und Wissenschaft. (Vgl. Petzold, 2005: 148ff.)

Apropos Parrhesie, apropos Österreich: Dass hierzulande die Streikkassen des ÖGB leer seien; dass die Hedegefonds eine große Gefahr darstellen und hierzulande weder zugelassen noch beworben werden sollten; dass die Telekomaktie, die in Deutschland als Volksaktie beworben wurde und auch in Österreich zu ähnlichen Ehren und Renditen hätte kommen sollen, gefährlich überschätzt sei; dass das Platzen der Immobilienblase bevorstehe; dass eine Koalition zwischen einer Unternehmer- und Arbeitnehmerparteien nicht mehr gelinge; dass auch hierzulande die Verdrittweltlichung in vollem Gange sei, der Pflegenotstand herrsche und die Grundversorgung in der Jugendarbeit nicht gegeben sei - auf all das wurde von Bourdieuanerseite viele Jahre vor dem erschrockenen Aufwachen der breiten Öffentlichkeit hingewiesen. (Vgl. Leitner, 2002: 178, 265, 116f., 140ff., 9f., 69, 90, 117, 173; ders., 2005: 36ff.) Beispielsweise in Graz entfaltete das Bourdieuanum seine Wirksamkeit und Anschlussfähigkeit u.a. durch die Grazer Gründung von Bourdieus österreichischer Raisons d'agir - Stelle, durch die Fotoausstellung von Camera Austria zu Bourdieus Wahrnehmung von Algerien, durch die Publikation der ForscherInnengruppe um Katschnig-Fasch über das alltägliche Leid in Graz, ebenso durch die Publikationen der Hilfseinrichtung ISOP. Inwieweit all die besagten Veröffentlichungen in die Lage versetzt waren, auch die Gretchenfrage nach dem Underlife und dem Looping, also nach dem, was bei Bourdieu unter anderem "die Gewalt der Institutionen" heißt, zu stellen, entzieht sich meiner Kenntnis. Anschlussfähigkeit österreichweit ergab sich zum Beispiel auch zu Hilarion Petzold, zu Markus Marterbauer, Jörg Flecker. Also zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, mit Keynesianismus und mit SupervisorInnenausbildung. (Erwähnt seien bezüglich der österreichischen Bourdieurezeption hiermit auch die Wiener Neurath- und Bourdieuspezialistin Elisabeth Nemeth sozusagen eine Wahlalgerierin, sowie die jüngste, Aufsehen erregende Analyse des Klagenfurter Bachmannpreises mit Bourdieuschen Mitteln durch Kärntner GermanistInnen.)


4. Was heißt das - Elend der Welt?
Bourdieus Elend der Welt handelt vom Wegwerfleben. (Vgl. Petzold, 2003: 160) Erzählt wird, wie Menschen schweigen und sich klein machen lassen lernen, um die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, erträglicher zu machen. (Vgl. Bourdieu, 1997: 622; die in diesem Kapitel angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf genanntes Werk) Zum Beispiel von Systemen, in denen in kritischen Situationen keine Hilfe vorgesehen ist und das als normal angesehen wird. (Vgl. 574) Von immer wieder lügenden Institutionen und von Scheindemokratisierungen innerhalb derselben. (Vgl. 528, 531) Von der Logik der Dummheiten, die nach neuen Dummheiten verlangen. (Vgl. 537) Von einer verzweifelnden Sozialdemokratin, die meint, es muss sofort etwas geschehen, bevor es zu spät ist, und sich immer an die Stelle der anderen versetzt. (Vgl. 28) Davon, dass in Wahrheit die unscheinbaren Probleme die folgeschweren Probleme seien. (Vgl. 80) Von einem alten Sozialdemokraten, der sagt, er habe zu viel geglaubt, und wenn dann alles zusammenstürze, sei nichts mehr dahinter. (Vgl. 373) Von einem rechtsradikalen jungen Burschen, der von seinem linken Vater sagt, er sei ein Arschloch. (Vgl. 372) Von ein paar jungen Burschen, die sich nach der Liebe eines Mädchens sehnen, damit sie keine Dummheiten mehr machen. (Vgl. 90) Von einem Jugendlichen, der dauernd davonlaufen will. (Vgl. 536) Vom Leben, das erst um zehn Uhr abends anfängt. (Vgl. 37) Vom Dauerstress, weil die Zukunft auf dem Spiel steht. Vom Pech, wenn man nicht mithalten kann und davon, dass es heißt, man sei selber schuld. (Vgl. 565) Von Menschen, die ohnmächtig sind, aber einen klaren Blick haben, und die brutal sind, aber die Brutalität komme von außen in diese Menschen hinein und sie kehren sie wieder nach außen. (Vgl. 495f.)

Von - Bourdieu nannte das so - "tragischen Ich-bin-tot-Komödien". Von Menschen nämlich, die hoffen, doch noch eine Chance zu haben, weil letzte Reserven, ein paar Ressourcen noch, und zugleich genau wissen, dass diese demnächst erschöpft und nicht mehr da sind. Dann sind diese Menschen aber wirklich tot. (Vgl. 461) Und von den Depressionen, dem Nichtessen, den Selbstmordversuchen von blutjungen Leuten, die am Ende sind. (Vgl. 571ff.) Von Schulen, in denen irgendwas irgendwie gemacht wird und das Irgendwas und Irgendwie herrschen. (Vgl. 580) Von LehrerInnen, die sagen, die Zeugnisse seien wertlos geworden, und die das Gefühl haben, ihre SchülerInnen zu betrügen. (Vgl. 622) Nie sei etwas sicher, man müsse immer wieder von vorne anfangen, Vertrauen sei Zufall. (Vgl. 620) Von der kollektiven Katastrophe, welche eine Fabrikschließung und damit der Niedergang eines ganzen Industriegebietes bedeutet. (Vgl. 21) Und davon, dass neue Arbeitsplätze zu schaffen heißt, dass die alten zugesperrt werden. (Vgl. 32) Vom Leben zwischen unbezahlter Miete und unbezahlten Schulden. (Vgl. 26) Vom Arbeiten trotz Krankheit. (Vgl. 23) Von der völligen Entwertung der Lebens- und Berufserfahrung alter Betriebsmitarbeiter. (Vgl. 19) Von Umschulungen, die nichts nützen. (Vgl. 27) Vom MigrantenschülerInnenanteil von 80%. (Vgl. 28) Von Migrantenfamilien, die liebend gerne in die Heimat zurückwollten, aber es unmöglich können. (Vgl. 27, 725-752) Von der Angst um die Kinder und von der Hoffnung auf die Kinder und von Töchtern, die Krankenschwestern oder Lehrerinnen werden, und von Söhnen, die Polizisten oder Gendarmen werden. (Vgl. 30) Vom Lärm. (Vgl. 29) Von Essensgerüchen. (Vgl. 49) Von Sozialzentren vor der Schließung und von zerstochenen Reifen. (Vgl. 39) Von einer Moschee in einer Produktionsfabrik und dass man nie eine Kirche dorthin setzen würde und dass Betendürfen den Fabrikarbeitern als Lohnzuschlag berechnet, also abgezogen wird. (Vgl. 739ff.) Von EU-Bauern, die eigentlich Leibeigene sind, von politisch angestrebten Bauernsterbequoten von jährlich 400.000 im Staat, von Bauern, die ihre Tiere schlachten, als seien diese sie selber oder als erschießen sie wie Polizisten ein paar Jugendliche aus dem Drogenmilieu, von den drückenden Konflikten der Bauern mit ihren Söhnen und von deren Zwangszölibat, vom Aufopfern des eigenen Lebens für die Wirtschaft, von der EU-Unheimlichkeit, Förderungen dafür zu bezahlen, dass Land jahrelang brachliegt und Tiere sofort nach der Geburt getötet werden. (Vgl. 457-489) Von PolitikerInnen, die nicht für die Bevölkerung arbeiten, sondern ihr Spiel mit ihr treiben. (Vgl. 51) Von der "Leck-mich-am-Arsch- Haltung" von öffentlichen Dienstleistern. (Vgl. 57) Davon, dass es zu keinem gemeinsamen öffentlichen Protest kommt, da man nicht einmal miteinander redet. (Vgl. 57) Von älteren Inländerinnen, die sich von jungen Ausländerinnen verachtet fühlen. (Vgl. 57) Vom angeblich bösartigen Blick. (Vgl. 59)

Von den kleinen Häuschen als Symbol des Anstandes. Von den kaputt gehenden kleinen Häuschen und von kaputt gegangenen Sozialsiedlungen. Von Streitereien um Katzen und Hunde und den Müll an der Mauergrenze und vom Schimmel. (Vgl. 221) Von der Angst, auf sein Leben zurückzuschauen, weil man dann sieht, was aus einem geworden ist. (Vgl. 64) Von Vätern, die sagen, niemand höre auf sie. (Vgl. 115) Von den Streitereien zwischen Migranten. (Vgl. 135) Vom Bedürfnis, endlich durchatmen zu können. (Vgl. 64) Davon, dass man jetzt wirklich ein neues Leben versucht. (Vgl. 65) Davon, dass die Welt voller Betrüger und Gewalt sei und man seine eigene Familie schützen müsse. Von der Frau, die das meint und die wirklich bedroht wird und schon viel verloren hat und das alles nicht mehr aushält. (Vgl. 65, 69) Von Behörden, die freundlich im Umgang sind und dann aber völlig gleichgültig im Vollziehen der Routine und Praxis. (Vgl. 67) Vom Hausverkauf und von einer neuen, warmherzigen Umgebung. (Vgl. 67f.) Davon, dass man plötzlich nicht mehr man selber ist. (Vgl. 72) Davon, dass das Familienleben zerstört ist. Von der Aussichtslosigkeit und der Verzweiflung, dass nur mehr der Tod der Ausweg ist. (Vgl. 67, 71) Von der Unberechenbarkeit von Jugendbanden. (Vgl. 67) Von den kleinen Weihnachtsessen und von dem Ball in der Siedlung und vom Dazugeholtwerden und dann Dazugehören. (Vgl. 74) Vom Strickzeug auf dem Tisch und von den Sozialversicherungsformularen für die Kinder und vom Leben mit der ständigen Angst. (Vgl. 68) Von den Schulden durchs Schwarzfahren. Von der Supermarktkassiererin, die Angst vor Arbeitslosigkeit hat und mit ihrem arbeitslosem Mann, einem Metallarbeiter und Exgewerkschafter, und mit ihren Kindern in einem Wohnwagen wohnt, und von ihrem Sohn, der mit den Eltern nicht redet, und von der Hölle, die das für sie ist. (Vgl. 429) Von der Nierenerkrankung, die zum Tode führt. Von der halbseitig gelähmten 46jährigen Frau, die sagt: "In dem Augenblick, in dem Sie in der Scheiße sitzen, ist niemand mehr da. Trotz der Rechte, die man hat." (441) Von der analphabetischen Putzfrau, die sich schwer verschuldet hat und deren Mann psychisch krank ist und die sagt: "Ich kann einfach nicht bezahlen. Was soll ich machen." (Vgl. 443-456) Davon, wie das ist, wenn einem Strom und Heizung abgestellt werden. Von den leeren Versprechen und dass man nichts glauben kann. (Vgl. 452) Und von den in Brand gesteckten Autos und von den sich ansonsten ohne catch as catch can langweilenden Reportern vor Ort. Von bezahlten Laienschauspielern, die den Journalisten und deren Geld zuliebe Gewalttaten setzen. (Vgl. 80) Über Schaufensterdiebstahl als Sportart. (Vgl. 127) Und davon, wann Arbeitslosigkeit leichter zu ertragen ist. Von demolierten, geplünderten und gebrandschatzten kleinen und großen Einkaufszentren. Von einer Siedlung, die Rosengarten heißt, aber ein Unglück ist. (Vgl. 87) Von Eltern, die arbeitslos oder invalid sind oder beides. (Vgl. 89f.) Von jemandem, der immer "man" statt "ich" sagt. (Vgl. 770) Von einer Arbeitslosen, die sagt, die Arbeitslosigkeit trenne uns Menschen voneinander und kehre die übelsten Seiten der Menschen hervor. (Vgl. 371) Vom Gefühl der Unabwendbarkeit. (Vgl. 91) Von den Jugendlichen, die sich automatisch bei allem, was von Nutzen sein kann, für ihre Freunde miterkundigen. (Vgl. 104) Von Sozialarbeiterinnen, die als Kindesentführerinnen angesehen werden. (Vgl. 683) Und von einer Sozialarbeiterin, die einer verzweifelten jungen Migrantin weg aus der Familie und hinein in ein eigenes Leben hilft. (Vgl. 731) Vom Selbsthass. (Vgl. 92) Vom Tränengas. (Vgl. 94) Und von einem, dessen Arbeit nur darin besteht, zuzuhören. (Vgl. 88) Von der Geringschätzung den Mädchen gegenüber, die sich mit einem, wie man selber ist, einlassen. Und dann mit dem nächsten, der auch nicht anders ist; alle seien gleich wertlos. (Vgl. 92) Von Eltern, die mit ihren Kindern nicht lernen können und ihnen in der Schule nicht helfen können, und von Lehrern, denen das vermeintlich "scheißegal" ist. Der Erzieher, der beim Lernen für den Führerschein hilft, weil er sonst nichts für den arbeitslosen jungen Burschen tun kann. (Vgl. 99f.)

Vom Arbeitsmarkt und vom Ehemarkt und vom Schulmarkt und davon, was Erben bedeutet, was Erfolg; dass darin - als ein die Gesellschaft durchwaltendes Männerproblem - gleichsam ein Vatermord auf Befehl des Vaters stecke, zugleich aber der Befehl, dem Vater gegenüber ja treu und gerecht und ehrerbietig zu sein, und dass dieser Widerspruch die Identität zerfetzen kann. (Vgl. 651-656) Vom erst 15jährigen, der eine Mutter und eine kleine Schwester, aber keinen Vater hat und immer für die anderen Jugendlichen stiehlt, damit sie ihn mögen, und der deren Depp und Sklave ist. Das sei seine Sache und sein Problem, sagen die Jugendlichen, für die er stiehlt. (Vgl. 108) Von älteren Arbeitslosen, die überzeugt sind, dass Arbeit Freiheit bedeute, und sagen, sie seien immer ehrliche Arbeiter gewesen. Von Stadtteilinitiativen. (Vgl. 420) Vom Zusammen-Arbeit-Suchen. (Vgl. 120) Von den Hustlern, Glücksspielern, Straßenjägern, die jedes Opfer ausnehmen, das ihnen über den Weg läuft, und die in einem fort reden und täuschen und übervorteilen, erpressen, sich durchs Leben prostituieren und durchs Leben boxen, Mitleid als sinnlos und sich selber als rastlose, hyperaktive Frettchen und Kämpfer und Rebellen empfinden. (Vgl. 179-204) Von Kindern, die nicht wissen, wo ihre Kinder sind. (Vgl. 202) Von Kindern, die seelisch und körperlich aufwachsen, als seien sie schwerst kriegsgeschädigte Soldaten. (Vgl. 187) Von Jugendlichen, die glauben, sie haben alles, wenn sie Waffen und Drogen haben. (Vgl. 106) Von Jugendlichen, die sagen, das Leben geht weiter, wenn gerade einer von ihnen zu Tode gekommen ist, weil ein solches Leben der Tod ist, der Tod also weitergeht. (Vgl. 195) Davon, dass die Demütigungen, die einen unerwartet treffen, die schlimmsten sind.

Von einer Frau mit einem kleinen Sportartikelgeschäft, das von Jugendlichen geplündert und in Brand gesteckt wurde. Die Frau ist deshalb fast pleite, baut aber ihr Geschäft wieder auf. Wird Stadträtin. Redet für die Jugendlichen, von deren Rechten und wie man ihnen helfen muss. Wird aber dauernd bestohlen. (Vgl. 121-129) Von Willensstärke. Von einem älteren Bewohner einer Siedlung, in der es Jugendkrawalle gegeben hat, er sagt, früher sei es hier ganz anders gewesen, wenn jemand ein Problem gehabt habe, sei jemand für ihn dagewesen. Man habe sich gegenseitig geholfen. Er will, dass das wieder so ist, sagt, er habe keine Angst. (Vgl. 133-139) Und von einem, der sagt, man dürfe keine Angst haben und müsse Respekt zeigen. (Vgl. 40) Von Hausmeistern, die sich einen kleinen Diktator wünschen. Einer von ihnen will kurzen Prozess mit schwierigen Jugendlichen machen, einer sagt, er habe ihnen zu helfen versucht, einer will sie mitsamt deren Familien in ein großes Ghetto zwangsumsiedeln. Einer sagt, seine Nerven liegen blank, er komme vor lauter vandalierenden Jugendlichen nicht mit dem Reparieren nach, werde dauernd bedroht, den ganzen Tag über sei es, als fordere andauernd jemand jemanden zum Kampf heraus. Und die kriminellen Jugendlichen seien stolz darauf, im Gefängnis gewesen zu sein, und die großen Kinder stiften die kleinen Kinder an. (Vgl. 141-156)

Vom kleinen Händler, der sagt, es bleibe den kleinen Händlern nur der Strick, weil sie von den großen Verbrauchermärkten und Einkaufszentren aufgefressen werden, die im Gegensatz zu den Kleinhändlern zu Niedrigstpreisen einkaufen können und die bestmöglichen Zahlungsfristen bekommen. Den Finanzkapitalismus nennt er Zuhälterei und Kolonialherrschaft im eigenen Land. (Vgl. 491-506) Von Leuten aus einer Arbeitslosenselbsthilfegruppe und von den Löchern in den Zähnen; in der Gruppe sind ehemalige Führungskräfte, (vgl. 507-523) einer der Männer ist stolz auf die 3.500 Bücher in seinem Besitz und auf die 150, die er pro Jahr liest, er war Pharmavertreter und bei Ärzten und Schwestern beliebt und konnte im Laufe der Jahre in Summe Abertausende Ordinationen zu seiner Kundschaft rechnen. Dass er in Intellektuellenzeitungen Kreuzworträtsel löst, gibt ihm auch Selbstachtung, ebenso, dass er alle Museen in der Gegend kennt. Er glaubt von sich aufgrund seiner Berufserfahrung und -ideologie, das Innere eines Menschen in 15 Sekunden durchschauen zu können. Er ist gegen das staatlich gesicherte Mindesteinkommen und meint, dass die Frauen den Männern die Arbeitsplätze wegnehmen. (Vgl. 509) Von der arbeitslosen Frau, die sich nie mehr auf den nächsten Tag freuen kann. (Vgl. 518) Und von der arbeitslosen Frau, die früher in einer Personalabteilung gearbeitet hat, schwer an ihrer eigenen Entlassung leidet und sich aber selbstsicher und unverdrossen für eine Geschäftsführerstelle bewirbt und zugleich überzeugt ist, dass Führungskraftsein immer bedeute, in einer Falle zu stecken. (Vgl. 519f.)

Von der Postlerin, die jede Nacht von 21 Uhr bis 5 Uhr im Postsortierungszentrum steht und dann von 7 Uhr bis 15 Uhr schläft und wegen ihrer Arbeitszeiten schwarz für ihre Ehe sieht. (Vgl. 341-356) Von der Filmcutterin, deren Mann, ein erfolgreicher und kompromissloser Regisseur, sie und die Kinder bedenkenlos verlässt und ihnen auch keinerlei Unterhalt zahlt - sie ist beruflich und daher auch finanziell unabhängig, und gerade deshalb ist (so das Paradox, das sie nur schwer erträgt) ihr Ex gar so leicht bedenkenlos. Außerdem sei Partnerwechsel in diesem harten Metier selbstverständlich, ebenso der Vorrang der beruflichen Verwirklichung. Für die verlassene Frau freilich nicht. Wirklich nahe seien die Eheleute einander immer nur bei gemeinsamen Arbeitsprojekten gewesen, und sie habe es immer vermieden, in irgendeine Art von Konkurrenz zu ihm zu treten, für sie war er ein höheres Wesen. (Vgl. 707-723) Von der Sekretärin, die 15 Jahre lang bei einer Firma gearbeitet hat. Die Firma ist vor kurzem in Konkurs gegangen. Der Direktor sei ein Tyrann gewesen, sowohl den Angestellten als auch den vielen kleineren Direktoren gegenüber. Aggression und Grausamkeit haben zu seinem Beruf gehört. Die Frauen habe er alle geduzt, sexuelle Übergriffe seien an der Tagesordnung gewesen, er habe aber nie Schwierigkeiten bekommen, gegen einen solchen Menschen komme man nicht an, man habe das Geld gebraucht und er habe gut gezahlt, auch sei eine Karriere anders nicht möglich gewesen. Die Sekretärin habe nicht mitgemacht und sei auch deshalb unter Dauerstress gestanden. Die kleine Firma hingegen, in der sie jetzt arbeite, sei ganz anders, sie könne das gar nicht glauben, dass die Leute hier wirklich so nett sind und nicht in Konkurrenzkampf zueinander stehen. (Vgl. 357-367) Von der Lehrerin, die Kinder unterrichten muss, die ständig Beleidigungen, Entehrungen, Gewaltakten ausgesetzt sind und diese selber andauernd setzen. Die Lehrerin holt ihre Schützlinge, SchülerInnen, aus dem Gefängnis ab und sucht mit ihnen zusammen Arbeit. (Vgl. 626) Von der Sonderschullehrerin, die eine Auszeit braucht und deshalb Psychologie studiert, das Vokabular, auf es hofft. (Vgl. 688)

Vom 19jährigen, den sein Vater, ein erfolgreicher Ingenieur, vor zwei Jahren mittellos aus dem Haus geworfen hat, weil der Sohn rechtsextrem geworden war und das Gymnasium nicht schaffte. Der Sohn, sagt der Vater, sei ein Schwachkopf, ein Idiot, wisse nichts, sei eine Laus. Der Sohn sagt, er würde sich um psychologische Hilfe für sich bemühen, hätte er das Gefühl, solche zu bekommen. Aber es gebe keine Hilfe. Er ist körperlich ein wenig behindert und er erhofft sich von der rechtsextremen Bewegung, der er seit ein paar Jahren angehört, eine Ausbildung. Ein paar Tage lang hat er anfangs so etwas Ähnliches bekommen, auf einem Schloss. Er will Redner werden, die Rhetorik erscheint ihm als Inbegriff der Intelligenz. Aber er und Seinesgleichen bekommen keine bessere Ausbildung, das merkt er und ist enttäuscht. Er sagt, er werde nur als billige Arbeitskraft und kleiner Pseudosoldat zum Plakatekleben und zum LKWfahren ausgenützt. Uniformen und Waffen mag er aber, zur Armee mag er aber nicht. Im LKW fahren mag er. Da spüre er, Teil einer Bewegung zu sein. Er sagt: "Wir haben den Ruf des Bösen." Das habe seine Vorteile. Man habe Angst vor Seinesgleichen. Man rufe ihm und Seinegleichen "Arschlöcher" nach, aber mehr tue man und getraue man sich nicht. Er gibt sich distanziert von seiner Partei und dem Parteiführer, sagt, er wähle sie und ihn nicht und hole sich nicht einmal sein Parteibuch ab. Der Interviewer ist allerdings überzeugt, dass der junge Bursche in Wahrheit weit extremere Ansichten hat, als er im Interview öffentlich äußert. Dem jungen Burschen gehe es jedenfalls um alle Arten von Aufstand, rechts wie links; die Zeit dafür komme gerade, sei der überzeugt. (Vgl. 689-706)

Und vom Journalisten aus kleinen Verhältnissen, der nach dem erlittenen Gymnasium fast Koch geworden wäre und früher sehr unbeholfen wirkte und stets aufbegehrte, jetzt am liebsten kritische Interviews mit Angehörigen der Machtelite macht, Journalismus mit Pfuscherei gleichsetzt, weil man um jede Minute, ja Sekunde kämpfen muss, und der gereizt und empfindlich auf jeden Standesdünkel reagiert, nach wie vor körperliche Ablehnung allem gegenüber empfindet, was mit Macht zu tun hat, und von sich sagt, er habe immer nur überlebt, indem er sich widersetzt habe. Sein Beruf und seine Verantwortung bestehen darin, für das, was er sehe, Worte zu finden. Er sagt, er hasse niemanden, aber das System, das die Menschen so werden lasse, hasse er. (Vgl. 659-679)

Im Elend der Welt werden Wegwerfleben erzählt, auf dass jede Leserin, jeder Leser sein eigenes Leben dazuerzählt. Bourdieu nannte die geistige Situation der Zeit "Wegwerfdenken" (Bourdieu, 1998: 49). Die öffentliche Kultur werde in es hineingezwungen. Der Begriff der Wegwerfgesellschaft wurde bekanntlich vor fast einem halben Jahrhundert von Vance Packard gegen den österreichischen Werbepsychologen und Politikberater Ernest Dichter und dessen Aufruf "Denk umgekehrt!" geprägt, um selbigem, wie man so sagt, das Handwerk zu legen. Vom auch unter SozialdemokratInnen hoch angesehenen Dichter haben Trend- und Zukunftsforscher wie Horx, die die New Economy und den Neoliberalismus tatkräftig unter die Leute bringen, allesamt gelernt. (Vgl. Leitner, 2002: 260ff.) Übrigens hat, so ich mich recht erinnere, Dichters Idee, im Weltraum Alten- und Pflegeheime zu stationieren, bei Hans Georg Zilian, als er davon hörte, eine gewisse kurzzeitige Fassungslosigkeit ausgelöst, da es sich bei Dichters Vorschlag offensichtlich um eine Art von Zum-Mond-Schießen handle.


5. Was ist Neoliberalismus?
Eine soziale Demokratie sei keine Demokratie, ein sozialer Rechtsstaat sei kein Rechtsstaat, eine soziale Marktwirtschaft sei keine Marktwirtschaft, soziale Gerechtigkeit sei keine Gerechtigkeit und ein soziales Gewissen kein Gewissen, also sprach wortwörtlich der Neoliberale schlechthin, nämlich Friedrich August von Hayek, seines Zeichens, wie Karl Poppers Autobiographie zu entnehmen ist, der seit jeher vielleicht beste, weil förderndste Freund Poppers. (Vgl. Prevezanos, 2000: 102)

Der Österreicher Hayek blieb bekanntlich zeit seines Lebens unnachgiebig bei dieser seiner Ansicht und schockierte mit selbiger durchaus die Freiburger Liberalen, die ja an die Möglichkeit und die Realität einer sozialen Marktwirtschaft feste glauben. Den entsetzten Freiburger christlichen Liberalen erteilte er beispielsweise 1979 vor Ort eine unmissverständliche Abfuhr: Wie solle er, fragte Hayek dortselbst, sozial denken können, er wisse doch gar nicht, was das sei. (Vgl. Hallwirth, 1998: 239) Der Neoliberalismus jedenfalls ist vermutlich zumindest so alt wie Hayeks eingangs zitierte Schrift The Road to Serfdom aus dem Jahr 1944, die in etwa zeitgleich mit Poppers Die offene Gesellschaft und ihre Feinde erschienen ist. Wie auch immer, der vor allem in der London School of Economics gewirkt habende freiheitsliebende Hayek wird aus rein geographischen Gründen natürlich nicht den sogenannten Chicago-Boys zugezählt. Hayeks Intimus Milton Friedman hingegen, der ehemalige getreuliche und gewissenhafte Berater von Diktator Pinochet, ist einer der vier Chicago-Boys, neben Coase, Becker und Stigler:

Der Nobelpreisträger Ronald Coase reflektiert unermüdlich die Natur von Firmen und das Problem der sozialen Kosten. (Vgl. Ballhaus, 2000: 157ff.; Leitner, 2002: 312) Als Beispiel seiner Schaffenskraft diene hiermit die Luftverschmutzung durch eine Fabrik. Die Leidtragenden sind, sollte man meinen, die BewohnerInnen rundum. Eine Umweltsteuer muss also eingehoben werden, sollte man meinen, und unter anderem dadurch die Fabrik gezwungen werden, sollte man meinen, Filter einzubauen oder ähnliche den Schaden stiftenden Missstand zumindest eindämmende Maßnahmen zu ergreifen. Coase mit seiner Transaktionskostenökonomie sieht das jedoch wesentlich anders und typisch neoliberal. Denn nicht die Verschmutzer, nicht die Fabriken sollen laut Coase zur Verantwortung gezogen und zur Kassa gebeten werden, das würde laut Coase ja nur die Wirtschaftsleistung drosseln und die Arbeitsplätze gefährden. Nein also, nicht die Industrie soll vom Staat durch Gesetze und Steuern zur Schadensbegrenzung oder gar zur Unschädlichkeit gezwungen werden, nein, sondern es können und sollen die anrainenden BewohnerInnen rund um die jeweiligen Industriestandorte die Kosten für die Industriefilter übernehmen. Das sei erstens im Interesse besagter besorgter BewohnerInnen vor Ort und zweitens im Interesse der Volkswirtschaft insgesamt und drittens überhaupt schlichtweg lediglich eine Verhandlungssache zwischen den jeweiligen Wirtschaftsherren vor Ort und der Bevölkerung vor Ort. Sich da einzumischen, verbietet der angesehene Unternehmenstheoretiker Coase seinem Staat entschieden. Van der Bellens Vorschlag, welcher, wie ich gehört habe, einmal auch der des ehemaligen steirischen ÖVP-Finanzlandesrates Paierl gewesen ist, Vranitzky soll ihn in irgendeiner Form einst auch gemacht haben, Tschechien Temelin abzukaufen, mag ein glänzender sein, ist aber zugleich, mit Verlaub gesagt, Coase pur, neoliberale Transaktionskostenanalyse, salopp gesagt: das Bezahlen von Schutz- und Lösegeld durch die potentiellen Opfer. Das Coase-Theorem jedenfalls handelt von sozialen Kosten, Umweltschutz und Verursacherprinzip. Nehmen wir an, eine Lok verursacht durch Funkenflug den Brand eines Weizenfeldes. Laut Coase soll sich der Staat in den daraus entstehenden Konflikt zwischen Farmer und Eisenbahnunternehmen ja nicht einmischen. Die beiden Kontrahenten, also der Getreidebauer und die Bahngesellschaft, sollen sich die Problemlösung untereinander aushandeln. Denn warum soll eigentlich, meint Coase, die Bahn dem Bauern den Schaden, die Ernte ersetzen. Warum bezahlt nicht der Bauer der Bahn die Technologie, damit es zukünftig zu keinem Funkenflug mehr kommen kann? Außerdem hat ja der Farmer den Weizen angebaut. Hätte der Farmer das nicht getan, hätte es zu keinem Schaden kommen können. Was ist das also, wozu man sich da von österreichischer Regierungsseite 2001 bekannt hat, was ist eine neoliberale ökosoziale Marktwirtschaft? Wer nicht Schaden nehmen will an Leib und Leben, der muss zahlen. Das, mit Verlaub, ist neoliberal. Neoliberalismus ist etwas ganz Einfaches. Ronald Coase schenkt da dankenswert reinen Wein ein: "If transaction costs a zero the structure of the law does not matter because efficiency will result in any case." (Vgl. Medema, 1994: 82)

Gary Stanley Becker (vgl. Neßhöver, 2000: 153-156) ist meines Wissens der jüngste der vier Schelme aus Chicago und treibt Pierre Bourdieu in dessen Gegenfeuer 2 wohl am meisten zur Weißglut, wohl weil sich der Nobelpreisträger Becker ökonomisch über den Alltag hemmungslos hermacht - und der Alltag sowohl mit seinen Ohnmachtsfallen als auch mit seinen durchaus vorhandenen Befreiungsmöglichkeiten ist wiederum nun einmal Bourdieus soziologisches Hauptthema seit Jahrzehnten. Von Gary Becker übrigens stammt der Pierre Bourdieu Grauen einflößende Begriff "Humankapital". In Beckers Ökonomie der Liebe sind nämlich beispielsweise Kinder zuvorderst langlebige Konsumgüter, langlebige Konsumgüter, deren Produktion einerseits von den elterlichen Kosten für Lebensunterhalt, Erziehung etc. und andererseits vom erwarteten Nutzen für die Eltern und Familie abhängt. Und Kriminalität hat in Beckers Augen rein gar nichts mit Kindheit, Milieu und Sozial- oder sonstiger Psychologie zu tun, sondern ist durchaus rational und folgt demgemäß rational einem schlichten Kosten-Nutzen-Kalkül. Der Beckersche Mensch nämlich wird dann zum Straftäter, wenn der erwartete Nutzen aus dem jeweiligen Verbrechen höher ist als der Nutzen aus einer legalen Tätigkeit. Also muss der Beckersche Rechtsstaat dafür sorgen, dass die Verbrechen den BürgerInnen möglichst teuer zu stehen kommen. Der Volkswirtschaft insgesamt allerdings schadet, meint Boy Becker, weniger die jeweilige Straftat, sondern weit mehr der Umstand, dass der Verbrecher keinen Beitrag zum Sozialprodukt leistet. In amerikanischer Gefängnishaft tut er das dann aber. Selbstverständlich erfolgt auch Rassendiskriminierung in Beckers Sicht der Dinge rational über ein Kosten-Nutzen-Kalkül. Es gibt, wie gesagt, keinen Lebensbereich, der der Beckerschen neoliberalen Analyse zu entgehen vermag. Und gerade diese angebliche Auf-alles-Anwendbarkeit des Beckerschen neoliberalen Paradigmas war ein Grund für den Nobelpreis anno 1992. Mandela und die Chiapas lobt Becker übrigens; denn ersterer sei wirtschaftsfreundlich gewesen und letztere kämen für ihre Schulausbildung selber auf und belasten nicht die Finanzen der Weltbank. Clinton hingegen kritisierte er, da der Präsident junge Leute dazu aufgefordert hatte, beim Hausbau für Obdachlose zu helfen. Laut Becker sollen diese besser die US-Produktivität steigern. (Vgl. Leitner, 2002: 312)

Chicago am Michigan-See ist übrigens auch der Sitz der Börse für landwirtschaftliche Grundnahrungsmittel, also des Chicago Commodity Stock Exchange. Der Preis fast aller natürlichen Lebensmittel auf dem freien Weltmarkt wird bekanntlich durch Spekulation mitbeeinflusst, und diese Spekulation über den Preis von Reis, Gerste, Weizen, Hafer, Hirse, Mais, Soja, Maniokwurzeln, Süßkartoffeln, Bohnen findet - heißt es - vor allem an der eben genannten Chicagoer Grundnahrungsmittelbörse statt, welche ihrerseits - so heißt es - angeblich von einer Handvoll Bankiers beherrscht wird und ein überaus beträchtliches Hindernis für das gegenwärtige Welternährungsprogramm der UNO darstellt. (Vgl. Ziegler, 2000: 53, 57) Die Zahl der jeden Tag im Elend sterbenden Kinder ist 20.000. Die jährliche Zahl der Kinder, die vor ihrem 5. Lebenstag sterben, ist 14 Millionen. Die Zahl der jährlich verhungernden Menschen ist 30 Millionen. Die Zahl der täglich verhungernden Menschen ist 100 000. Die jährliche Zahl der an chronischer Unterernährung und in der Folge an schwersten Behinderungen Leidenden ist 820 Millionen. Die jährliche Zahl der durch Unterernährung Erblindenden ist 7 Millionen. Die Zahl der Kinderarbeiterinnen und Kinderarbeiter ab dem 5. Lebensjahr ist 250 Millionen. Die Zahl der täglich aussterbenden Tierarten ist 10. Die Zahl der täglich aussterbenden Pflanzenarten ist 50. (Vgl. Boff, 1999: 15f.; Ziegler, 2000: 14f.) In der Tat spielen all die eben genannten Zahlen in den Kalkülen und Kalkulationen der Chicago-Boys nicht die geringste Rolle. Ich muss der Redlichkeit halber eine wichtige Einschränkung machen und einräumen, dass Ökonomen wie Gary Becker allerdings sehr wohl auch mit Menschenleben rechnen. Sie kommen dabei übrigens zum Ergebnis, dass jeder Jugendliche, der abrutscht, die Gesellschaft, auf sein ganzes Leben hochgerechnet, etwa eine Million Dollar an Gerichts- und Wohlfahrtsspesen kostet. Wenn auch nur die Hälfte der gefährdeten Kinder abrutscht, belaufen sich besagte Kosten Mitte des 21. Jahrhunderts daher auf sieben Billionen Dollar. Ökonomen wie Gary Becker folgern nun daraus, dass die staatliche Wohlfahrt unfinanzierbar, ineffizient und drastisch zu reduzieren sei. Ein kaputtgehender junger Mensch also kostet bis zum Ende seines Lebens 1 Million Dollar. (Vgl. Mutz, 1999: 207)

Bourdieu nun meinte einmal über den Zweck des Riesenwerkes Das Elend der Welt: Wenn man die radikalliberalen Chicago-Boys mit Fallschirmen in den Chicagoer Ghettos absetzte, kämen sie, wie sie da allesamt heißen: Friedman, Stigler, Coase und Becker, als predigende, radikale Vertreter des Sozial- und Wohlfahrtsstaates wieder heraus. Die Neoliberalen also soll man laut Bourdieu durch das Elend schicken, das sie anrichten, ohne es zu kennen, und vor allem, ohne es jemals kennen zu wollen. Die Neoliberalen würden die Dinge dann anders sehen und die Dinge zu ändern beginnen. Bourdieu jedenfalls hoffte beharrlich und seltsam nicht zuletzt darauf, dass Sich-an-die-Stelle-des-Anderen-versetzen-Müssen Solidarität, also die Fähigkeit, für einander einzustehen und gemeinsam Abhilfe zu schaffen, erzeugt. Worauf Bourdieu da hofft, ist, scheint es, ein klein wenig von dem, was im griechischen neuen Testament an der viel strapazierten Stelle vom barmherzigen Samariter steht, nämlich, dass der Mann aus Samarien das Leid des Überfallenen und Liegengelassenen wahrnahm und es ihm augenblicklich in den eigenen Eingeweiden weh tat, das fremde Leid ihm in den eigenen Eingeweiden weh tat, sodass er das Leid des Zerschundenen und damit zugleich sein eigenes lindern und beheben musste. In Chicago auch freilich hat Hans Küngs Parlament der Weltreligionen Anfang September 1993 seine Erklärung zum Weltethos verfasst und veröffentlicht. Dass jeder Mensch menschlich behandelt werden müsse, ist darin festgeschrieben, ebenso eine Kultur der Gewaltlosigkeit, der Gleichberechtigung und der gerechten Wirtschaftsordnung.

Zur Zeit freilich heißt es allüberall, in der Bankenwelt könne keiner mehr dem anderen vertrauen, die amerikanischen Zinssenkungen alleine werden gewiss nichts nützen, solange die Banken das Vertrauen nicht wiederherstellen können, heißt es, die jetzige Situation sei deshalb so schwierig, weil man keine historischen und wissenschaftlichen Erfahrungen dazu habe. Und die Grundversorgung in den Schwellenländern mit Grundnahrungsmitteln sei auch überhaupt nicht mehr gegeben. Zum selben Preis wie vormals bekomme man jetzt keinen ganzen, sondern nur mehr einen halben Becher Reis. Bourdieu hat recht behalten. Aber was jetzt, was tun? Zum Beispiel mit der 2000er Montreal-Definition von Sozialarbeit.

Für Bourdieu ist die gewissenhafte Ausübung des helfenden Berufes, der KlientInnenschutz, trotz aller Hindernisse der einzige Weg aus den Dilemmata. Rekapituliert seien hiemit einige der Bourdieuschen Strategien, die in der Realität keineswegs banal sind, wie banal sie auch klingen mögen: sich Information und Kompetenz verschaffen, gemeinsam denken, reden und vorgehen; die sozialen Kosten des Sozialabbaus ausrechnen; die Sozialstandards europaweit einfordern; streng wissenschaftlich gegen Simulation von Wissenschaft vorgehen; Exempel statuieren; Vorbild sein; den Einzelnen und den Gruppen, in denen sie leben, zu Wort verhelfen, durch deren Leben und Leiden erdichtete ökonomische Wahrheiten widerlegen; lernen und lehren, dass und wie man sich an die Stelle anderer Menschen versetzen kann, lernen und lehren, wie man Zwangssituationen und gespaltenem Bewusstsein entkommt, sich weder ein- noch aussperren lassen, auf seinem Recht beharren, die Situation akzeptieren und zugleich sie ändern; im helfenden, sozialen und politischen Beruf die Schutzpflicht unverzagt und couragiert wahrnehmen; verhindern, dass leidende Menschen nicht wahrgenommen und damit ihrer Chancen und Rechte stillschweigend beraubt werden. Wer freilich hilft den (Berufs-)HelferInnen, also denen, die nicht davonlaufen (dürfen), während die anderen das Weite suchen, wirklich? Also denen, die nur selten im richtigen Augenblick Egoisten sein dürfen und ohne die die anderen verzweifeln würden, weil sie nicht wüssten, dass es Hilfe wirklich gibt. (Vgl. Schuh, 2007: 80, 138) Die Frage danach, wer oder was hilft, erzeugt bekanntlich einen ganzen Rattenschwanz von professionellen psychohygienischen Antworten. (Vgl. Hofer, 2002: 219; Hofer, 2003: 197f.) Trotzdem bleiben, scheint mir, die drei kleinen Bourdieuschen Füllselwörtchen " wirklich", "rechtzeitig", "gemeinsam" wichtig wie selten etwas sonst. Denn sie helfen bei der Geistesgegenwart.


6. Was ist soziales Kapital?
Bruno Kreisky, der übrigens durch einen Vortrag von Frau Jahoda zum Sozialdemokraten geworden sein soll, erzählte: "Ich erinnere mich noch sehr gut, daß ich der Begleiter Friedrich Adlers war, als er nach Wien kam, um in Inzersdorf dabei zu sein, dort wo sein Vater, Victor Adler, die Elendsquartiere der Ziegelarbeiter besucht hatte. Damals hatte ihn eine alte Frau gebeten: Herr Doktor - er war ja Arzt - so helfen Sie uns doch. Hat er gemeint: Madeln, euch kann kein Doktor helfen. Das war der Moment, von dem an er in der Politik zu wirken begann." (Uni Salzburg, 1987: 183) Ohne Politik also kein Abhilfeschaffen. Selbstverständlich sieht auch Bourdieu das so. Bruno Kreisky freilich meinte in seinem Todesjahr, die Sozialisten seien die Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus und zuvorderst und vorbildlich in aller Welt sei dem Austromarxismus, sei der österreichischen Sozialdemokratie dieses sozialpartnerschaftliche Kurieren des Kapitalismus gelungen. (Vgl. Butterwegge, 1991: 15) Die Sozialdemokraten als Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus. Doch, mit Verlaub gesagt und mit Bourdieus Gegenfeuer gefragt, was geschieht mit Österreich und mit der Welt, wenn die roten Ärzte sich anstecken? Sind sie dann noch eine Hilfe in der Not? Bourdieus Karl Kraus übrigens hielt einmal eine Vorlesung "Für die Rote Hilfe" und einmal beklagte er die Sozialdemokratie seiner Zeit, nämlich durch sie "wehrlos zu sein, in dem Zwang, nicht helfen zu können, erkannte Werte des Menschentums den korrumpierenden Gewalten eines Bürgertums ausgeliefert zu sehen". (Vgl. Lunzer et al., 206: 154ff.

Bourdieus Sicht von sozialem Kapital ist unbestritten frei von Parteipolitik und tendiert weder zu Kapitalismus noch zu Sozialismus. Sozialkapital ist "Vertrauenskapital" (Bourdieu, 1997b:180), bedeutet "im weitesten Sinne des Wortes Kreditwürdigkeit" (Bourdieu, 1997a:63). Zum Sozialkapital gehören beispielsweise Initiations- und "Institutionalisierungsriten", also Weihen (vgl. 1997a: 65) und Bevollmächtigungen, im Namen einer Gruppe zu sprechen und zu handeln, und die dazugehörigen Repräsentationen (vgl.1997a: 68f). Es ist ständige "Beziehungsarbeit" (1997a: 67), konzentriert die Einzelnen zu Gruppen. (Vgl. 1997a: 69) Es ist konvertierbar, das heißt, man bekommt etwas dafür. (Vgl. 1997a: 73) Beispielsweise ist es sozusagen bares Geld, wenn man es richtig eintauscht. Oder Macht. Oder Bildungsgüter. Und so weiter und so fort.

Mit Bourdieus Kapitalbegriff hängt natürlich auch sein Verständnis von Habitus, also innere und äußere Haltung, zusammen. Für Bourdieu umfasst selbiger Habitus die Wortassoziationen habere (haben), habitare (wohnen), habitudo (Gewohnheit), bedeutet die jeweiligen Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata eines jeweiligen, sich wie in einem Magnetfeld befindlichen Individuums und gibt, mit Marx, das Eingesperrtsein in sich selber, die unüberschreitbaren Grenzen des jeweiligen Gehirns wieder. Der Habitus zeigt somit an, was einem Menschen verwehrt ist, also was er nicht kann oder nicht darf. Bourdieu assoziiert mit dem Habitus aber nicht alleine Marx, sondern auch den frommen Glaubens- und Herrschaftskritiker Blaise Pascal, der meinte, dass er in der Welt und die Welt in ihm sei. Vgl. Bourdieu, 1996: 156-175) Zilian übrigens hat einmal etwas Ähnliches, freilich in Bezug auf Lévinas, den Ethiker des Gesichtes, des menschlichen Antlitzes, und des absoluten Altruismus gesagt, nämlich, dass in die Augen eines Menschen die ganze Welt hinein- und aus ihnen die ganze Welt herausschaue. So viel zum Kapital und zum Haben im Bourdieuschen Sinne.

Die Ökonomie, die Bourdieu besonders interessierte, war die der Kabylen, für die, nebstbei bemerkt, ein Knabe bei der Geburt und in seinen ersten Jahren weiblich ist. Bei dieser Form der Wirtschaft, die Geld geringschätzt, dienen die Spielregeln derselben der Ehre, dem gegenseitigen Vertrauen und der Großzügigkeit. (Vgl. Bourdieu, 2000a: passim; Bourdieu, 2003: passim) Wie das alles heutzutage zusammengehen und was das denn dann sein soll, eine neoliberale ökosoziale Marktwirtschaft, diese Frage habe ich Ihnen, werte Leserin, werter Leser, bereits gestellt. Werbebücher über soziale, sprich: ethische Kapitalisten gibt es zuhauf. Und dass ihnen die Zukunft gehören wird, ist in aller Munde und vielleicht auch zu hoffen. Erinnert seien hiermit zum Abschluss an zwei Spitzenmanager, denen ihr sozialer Kapitalismus die Karriere und das Lebensglück gekostet hat. In Pestalozzis Falle wohl sogar das Leben. An den Whistleblower Hans Pestalozzi eben, den Ziehsohn und engsten Vertrauten von Duttweiler, dem Gründer des Schweizer Migros-Genossenschaftskonzerns, der einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus konsequent beschritt, für den Hilfe brauchenden, ebenso innovativen Konzernvizedirektor Pestalozzi jedoch viel zu früh verstarb, und an Daniel Goeudevert, der als VW-Vorstandsdirektor Piech weichen musste, weil er sich öffentlich ständig zu viele Gedanken über Lebens-, Wirtschafts-, Energie- und Automobilalternativen gemacht hatte. (Vgl. Leitner, 2005: 26f.) Was soll's - Glück auf. Es bleibt ja sonst nichts übrig. Man müsse, meinte Bourdieu, zu unterscheiden lernen, was bei einem selber liege, und was nicht. (Vgl. Bourdieu, 1997a: 99) Und sonst noch ein paar Quadraturen des Kreises.


7. Bourdieu in pragmatischer Absicht - Klarstellungsversuche und ein Vorschlag (bei Abstoßungsreaktionen bitte vorweg oder zwischendurch zu lesen.)
(a) "Meine" Ausführungen wurden freundlicherweise vorweg kreuz- und quergelesen, sodann in einer Fundamentalkritik als unredlich und unbrauchbar charakterisiert, da sie sich nirgendwo auf die aktuellen Debatten um Sozialarbeit im Neoliberalismus bezögen, stattdessen ein zusammenhangloses Sammelsurium von apodiktischen Aphorismen darstellten, im übrigen methodisch unterbelichtet seien. "Meine" Argumentation, hieß es, weise weder Transparenz noch Stringenz auf, zumal ich überhaupt keine Frage- und Problemstellungen formulierte. - Mit Verlaub: Jedes Kapitel ist eine Frage, und zwar keine rhetorische, sondern eine durchaus ernstgemeinte. Bourdieu nannte solche Fragen elementar. Im Stellen von elementaren Fragen und somit im Rütteln an den Grundfesten der neuen neoliberalen Zeit sah er ausdrücklich seine Hauptaufgabe. (Vgl. Leitner, 2000: 115f.) Die Fragen in meinem Essay sind jedenfalls nicht bloß grammatikalisch durch ein Fragezeichen klar & deutlich gekennzeichnet, sondern mit Bourdieuanischem Ernst gestellt. Zu Bourdieuschem Ernst gehört freilich auch, was von Bourdieugegnern wie auch Bourdieusympathisanten sehr leicht übersehen wird, nämlich die Ironie. Beim Konflikttheoretiker Bourdieu war es zum Beispiel Molièrescher Humor, d. h. im Umgang mit Machteliten geschulter Witz. Jedes Kapitel dieses hiermit der geschätzten Leserin, dem geschätzten Leser dargereichten Essays steht sohin unter einer Frage und stellt diese unbefangen den Ausübenden der Sozialarbeitswissenschaften und den LeserInnen aus der Sozialarbeiterschaft und auf Art und Weise des von Bourdieu proklamierten aufschreienden Andersenschen Kindes. An den Antworten der AdressatInnen sind die Fragen interessiert und nur um derentwillen gestellt. Sofern jedes Kapitel selber Antworten gibt, sind es Bourdieusche und als solche höfliche, aber hoffentlich provokante, sachlich-polemische Gesprächsbeiträge, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Meine Ausführungen haben wie gesagt die Form eines Essays. Essays pflegen unvollständig zu sein sowie dort zu enden, wo es ihnen für richtig erscheint, insbesondere, wenn sich dort am anderen Ende kommunizierende Mitmenschen befinden, die selber die Sache weiter- und besser machen wollen und können. Wer es also besser machen will und weiß - nur zu. Denn zu eben diesem Zwecke sind die Kapitelfragen ja gestellt. Sollten sich "meine" Ausführungen tatsächlich nicht auch nur annähernd auf dem gegenwärtigen Niveau, Standard und Level der sozialarbeiterischen Debatten um den Neoliberalismus bewegen, umso besser. Bourdieu freilich war unbestritten einer der wichtigsten, weil umsichtigsten, achtsamsten Vor- und MitdenkerInnen in der Gegenwehr gegen den Neoliberalismus. Sollte also nach Jahrzehnten dieses Bourdieusche Niveau in der Sozialarbeitswissenschaft allgemein erreicht und sogar weit überboten worden sein, würde Bourdieu, man verzeihe mir die Ausdrucksweise, in seinem Grab wohl vor Freude rotieren.

(b) Bourdieu war alles andere als ein Revolutionär, ganz im Gegenteil stellte er sich gegen die gegenwärtigen gigantischen Umwälzungen und warnte die KapitalismuskritikerInnen und alternative GegenspielerInnen zugleich, dass sie den Ereignissen und Abläufen stets ein paar Schritte, sprich: ein paar neoliberale Revolutionen, hinterherhinken. Es könnte also sein, dass man glaubt, man habe Bourdieusches Level erreicht und in Theorie und Praxis schon lange übertroffen, aber man sieht in Wirklichkeit nicht, was sich gerade von neuem abspielt und auftut.

(c) Was an meinem Essay als Sammelsurium empfunden und beschimpft wurde, ist meinerseits als Bourdieuscher Werkzeugkasten gemeint. Zwar ist - laut Bourdieus Karl Kraus - "gut gemeint" das Gegenteil von "gut gemacht", wie es sich hiebei aber mit dem hiermit den LeserInnen dargereichten Sammelsurium verhält, mögen diese entscheiden, und ob überhaupt und wie und wozu besagte Werkzeuge vielleicht doch brauchbar sind. Bourdieu war jedenfalls nicht einmal Marxist, nahm für sich Weberianische Rechtschaffenheit und Vorhaben in Anspruch und mutete auch dadurch viele Linke als konservativ, pessimistisch und fatalistisch an, und auch noch sein Spätwerk erschien vielen als pragmatischer, konservativer Versuch; es war freilich der Versuch, den real existierenden Sozialstaat handlungsfähig zu erhalten, inklusive soziale Marktwirtschaft. (Vgl. Schroer, 2004: passim). Nochmals, die in meinem Essay gestellten Fragen können nur von den LeserInnen beantwortet werden, nicht von mir. "Meine" Ausführungen (mit Bourdieuschen Mitteln) sind lediglich Bitten um Antworten.

(d) Von anderer, nämlich freundlicher LeserInnenseite wurde ich dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass im Kapitel "Was heißt das - Elend der Welt?" die geschilderten Wegwerfleben kein Ende nehmen würden, würden SozialarbeiterInnen ihre Fälle erzählen. Genau darum freilich geht es bei Bourdieus Elend der Welt, nämlich dass Menschen "ihre" Leben noch und noch dazuerzählen. Aus dem französischen Buchelaborat ist nicht zufällig ein Bestseller und eine ungewöhnlich erfolgreiche Fernsehserie geworden; und nicht zufällig trägt die französische Taschenbuchausgabe den Zusatzaufdruck, dass hier Frankreich spreche. Es geht schlichtweg darum, dass Menschen einander von Menschen, Sachverhalten, Hindernissen, aufgezwungenen (Entscheidungs- und Lebens-)Situationen erzählen, von denen man sich sonst für gewöhnlich nicht zu erzählen getraut. Die "Fälle" aus dem Elend der Welt wurden von mir übrigens auch deshalb in extenso gesichtet, weil man schlichtweg nicht davon ausgehen kann, dass sie bekannt sind. Bourdieu wird zwar viel zitiert, aber der gewaltigen Seitenmengen wegen weit weniger gelesen. Lediglich eine Sichtung für interessierte Leser wollte ich vornehmen und ihnen zwecks Gebrauches anbieten. Das Elend der Welt kann übrigens durchaus auch als das Erheben von Bedürfnissen und Fähigkeiten gelesen werden. Bourdieu, der eine Weltgesellschaft für Sozioanalyse gründen und seine Sozioanalytiker in Spitäler, Schulen, Hilfseinrichtungen, Gefängnisse schicken wollte, sagte von sich selber, dass es ihm unerträglich sei, wenn er Menschen in Zwangssituationen sehe, egal ob diese Menschen arm oder reich seien. (Vgl. Bourdieu, 1996: 234f.) Um solche Zwangssituationen zuhauf geht es im Elend der Welt, und in den Gesprächen dazu versuchte Bourdieu, so sagte er es jedenfalls später immer, ein wirkliches alter Ego zu sein. (Vgl. Bourdieu, 1997: 791f.)

(e) Von derselben freundlichen LeserInnenseite wurde ich auch darauf aufmerksam gemacht, dass das Kapitel "Was ist soziales Kapital?", das dem Kapitel "Was ist Neoliberalismus?" folgt, im Gesamtargumentationsgang nicht hinreichend verortet sei. Aber, halb im Scherz und ganz im Ernst gefragt, ist das nicht überhaupt so mit dem sozialen Kapital und dem sozialen Kapitalismus und dem sozialen Unternehmertum, dass deren Ort, sei es in der Gesellschaft, sei es in der Wirtschaft, gegenwärtig inmitten des Neoliberalismus nur sehr schwer auszumachen ist, und sohin die Frage sicherheitshalber erlaubt sein sollte, ob es so etwas in der Wirklichkeit derzeit überhaupt gibt. Und wenn ja, ob auch nur einigermaßen in ausreichendem Ausmaße. Soziales Kapital jedenfalls scheint mir ein vieldeutiger und vor allem suggestiver, um nicht zu sagen: einlullender, Begriff geworden zu sein. Gedacht war er von Bourdieu anders.

(f) Der freundlichen Aufforderung nach knapper, gebündelter Wiedergabe der Kernaussagen meines Essays und deren Zusammenhang mit professioneller Sozialarbeit werde ich zwar nicht genügen können - denn dies halte ich tatsächlich für die Aufgabe von SozialarbeitswissenschafterInnen, denen ich nicht zugehöre -, aber Sinn und Zweck dieses Essays zu Bourdieu ist es doch, SozialarbeitswissenschafterInnen dazu zu provozieren, diese Arbeit zu tun, und zwar so bald und so schnell, wie es ihnen möglich ist. Sollten sie das schon längst getan haben, umso besser. Ich bitte nur darum, mich davon konkret in Kenntnis zu setzen. Und vielleicht die eigene KollegInnenschaft auch. Beruhigt werde ich für meine Person erst dann sein, wenn zum Beispiel in der nächsten Auflage von Michael Galuskes Methoden der sozialen Arbeit der Name Bourdieus zumindest ein Mal auftaucht oder noch besser, mindestens gleich oft wie der Luhmanns oder Ulrich Becks. Oder, das wäre das höchste der Gefühle, wenn bei einer Neuauflage von C. W. Müllers Wie Helfen zum Beruf wurde das Bourdieuanum seine Anschlussfähigkeit unter Beweis stellen könnte.

(g1) Im Folgenden seien noch kurz einige naheliegende Bourdieusche Brauchbarkeiten genannt. Inwiefern Bourdieu SozialarbeiterInnen in deren komplexen, unübersichtlichen, widersprüchlichen, gefährlichen, banalen, alltäglichen Einsatz- und Handlungsfeldern tatsächlich eine Hilfe sein kann, müssen sie aber wie gesagt selber entscheiden. Und ebenso, wie viel das Bourdieuanum dazu beitragen kann, KlientInnen vor den Nebenwirkungen, sozusagen Kollateralschäden von Sozialarbeit, abzusichern. Ebenso freilich die SozialarbeiterInnen vor den Kollateralschäden durch Politik, Bürokratie und Verwaltung. Bourdieu meinte, es sei, als müsse man heutzutage in derartig gefährlichen Zeiten die Politik neu erfinden, obwohl und weil deren Spielzüge seit Hunderten, ja Tausenden von Jahren bekannt seien. (Vgl. Bourdieu, 1999: 527f.) Ähnliches hat C. W. Müller, freilich in vergleichsweise engeren zeitlichen Dimensionen, über die Sozialarbeit gesagt. (Vgl. Galuske, 2007: 22)

(g2) Offensichtlich wird in der Sozialarbeitswissenschaft gerne die Arztmetapher gebraucht, zum Beispiel, wenn es darum geht, ob der Sozialarbeiter, die Sozialarbeiterin einer Hausärztin oder doch weit eher einem Amtsarzt ähnle. Oder ob Krankenhausmodelle in der Sozialarbeitswissenschaft nicht allzu sehr an technischem, chirurgischem Geräteerfolg orientiert sind statt an achtsamer, umsichtiger Pflege und emotionaler, menschlicher Nähe. (Vgl. Galuske, 2007: 75ff.; 344) Bourdieu verwendete Vergleiche mit Ärzten und Spitälern, um Kritik an Expertenroutinen, bloß vermeintlich gesundem Menschenverstand und folgenschweren Kommunikationsfehlern zu üben: "[M]ein Freund Aaron Cicourel, Professor an der Universität von San Diego [...] untersucht, wie die Struktur der Beziehungen zwischen Kranken, Krankenschwestern, Assistenzärzten, Ärzten die Kommunikation zwischen den Kranken und dem Arzt verändern und manchmal Diagnosefehler mit schwerwiegenden Konsequenzen zur Folge haben. Bis die Resultate seiner Arbeiten zum Alltagsbewusstsein vordringen und man aus ihnen Konsequenzen zieht, wird es Jahre brauchen. Unter anderem weil das medizinische Korps sich zusammensetzt, um [...] das Problem der Leihmütter oder das der Euthanasie zu diskutieren [... statt] die scheinbar vollkommen trivialen Probleme, die die Kommunikation zwischen dem Kranken und dem Arzt und der Krankenschwester darstellt. [...] Man muss in die dem gesunden Menschenverstand entgegengesetzte Richtung gehen [...]." (Bourdieu, 1997a: 138) Am Beispiel ob des permanenten Pflegenotstandes aufgebrachter Krankenschwestern lässt sich auch Bourdieus Verständnis der helfenden Berufe verdeutlichen. Ein Selbstzitat sei mir zu diesem Zwecke gestattet: "Vom 23.-25. März 1999, als gerade der Kosovokrieg ausbrach, fand in Graz Mariatrost, wenige Monate vor dem Publikwerden des österreichischen Spitalskandals [von Freistadt] eine gemeinsame Veranstaltung des [Mariatroster] Bildungshauses mit dem Sozialreferat der Landesregierung, dem österreichischen Krankenpflegeverband, dem Hospiz Steiermark, der Berufsgemeinschaft der Altenhelfer, dem hiesigen Universitätsinstitut für Pastoraltheologie, der europäischen Akademie für Psychosoziale Gesundheit, der Lehranstalt für Sozialberufe der Caritas und dem Berufsverband der diplomierten Behindertenbetreuer und Fachbetreuer statt. [...] durch die Vorträge und Diskussionen kam es dazu, dass man sich durchaus aufgebracht fragte, ob der Schutz von Patienten in Spitälern tatsächlich noch gegeben sei. Auslöser war der Fall eines Pflegeheimes [...], dessen Nachtdienst einen Schlüssel 3 zu 150 aufwies, d. h. eine verantwortliche Schwester und zwei Hilfspflegerinnen zu 150 Insassen. Man beklagte anhand dieses Beispiels die Absurdität, Bourdieu würde sagen: den Double-bind, wie sensibilisierend die Ausbildung sein soll und auch ist, wie unerträglich hingegen, wie unverantwortbar die Realität. Man müsse sich vor Augen halten, meinte eine Schwester, dass man ja selber einmal Patient wird, und dann habe man nichts unternommen und sei selber in einer solchen unzumutbaren Situation. Hilarion Petzold, unter anderem ein Foucaultschüler, antwortete auf das konkrete Problem der Überforderung einzelner durch obrigkeitliche, schadhafte und Schaden zufügende Strukturen grundsätzlich und konkret zugleich, also so, wie es Bourdieu von einem Praxeologen erwartet. [...] Petzold betonte wiederholt, [... es] sei die medizinische, pharmazeutische Industrie verstärkt zu besteuern. Für Petzold ist die gewissenhafte Ausübung des helfenden Berufes, des Patientenschutzes, zugleich der Schutz des Helfers und ist eben diese Berufsausübung trotz aller Hindernisse der einzige Weg aus dem Dilemma. Die rechtlichen [...] Möglichkeiten sind in Petzolds Augen [...] durchaus gegeben. Sowohl die den besagten Missstand ansprechende Krankenschwester als auch Petzold argumentierten, wie auch Bourdieu argumentieren würde: Dass man selber betroffen sei und deshalb einem allgemeinen Missstand solidarisch abhelfen müsse, ist Bourdieus Grundregel für Moral. Das Einfordern von Berufsethik und das Aufrechterhalten des Schutzes der Schutzbefohlenen ist Bourdieus politische Hoffnung auf die Sozialarbeiter als die linke Hand des Staates [...]." (Leitner, 2000: 100f.) Das Symposium fand, man gestatte mir die Betonung, zu einem Zeitpunkt statt, als von Pflegenotstand öffentlich und seitens der (gutmenschlichen) Obrigkeit, freilich auch der gewerkschaftlichen, noch jahrelang nicht die notwendige Rede war.

(g3) Bourdieus Elend der Welt wurde vorgeworfen, viel zu wenig die professionelle Distanz, Abstinenz und Abgrenzung zu wahren. Bourdieu sah sich selber aber bei seiner Arbeit nie in einer solchen Gefahr, und schon gar nicht in der, ohne jeden Selbstschutz in einen Sumpf und Abgrund von Leid mithineingezogen zu werden und dadurch keinerlei Hilfe mehr zu sein. Was professionelle Distanz und Abgrenzung betrifft, sei hiermit im übrigen auf eine systemkritische Supervisorenerkenntnis aus dem Krankenhausbereich verwiesen, welche im Groben besagt, dass belastende Schwerarbeit verrichtende Schwestern und Pfleger zwar gelernt haben, sich selbst zu schützen, auf Distanz zu gehen und sich für sich selber mehr Zeit zu nehmen, diese Zeit und pflegerische Zuwendung fehle dann aber für die Patienten und Patientinnen. (Hinweis von Hilarion Petzold, Studiengang Supervision an der Donau-Universität Krems.)

(g4) Und wenn man, unter Rückgriff auf Luhmann, die hohe "situative Intelligenz" der professionellen SozialarbeiterInnen hervorhebt und deren Fähigkeit und berufliche Fertigkeit, die richtigen Momente und Chancen auf Veränderungen zu nützen, (vgl. Galuske, 2007: 64f.) so sind Situationsintelligenz und Kairos, also der Sinn für den Spielverlauf, grundlegende Kategorien bei Bourdieu, sie heißen bei ihm manchmal nur anders, z.B. Habitus, Feld, freilich auch illusio.

(g5) Und wenn man für die Sozialarbeit "reflexive Achtsamkeit" einfordert, (vgl. Galuske, 2007: 67) so fände man - ausdrücklich nachlesbar im Elend der Welt und in der Reflexiven Anthropologie - in der Methodik Bourdieus sehr wohl genau dieselbe, bei Bourdieu freilich stoische und Spinozäische, Übung in konstanter Aufmerksamkeit.

(g6) Und gerade auch wenn es um die Definition und Realisierung von Professionalität geht, wäre Bourdieu wohl eine Bereicherung für die Sozialarbeitswissenschaft. Denn bei der Professionalisierung von Sozialarbeit geht es, so heißt es zumindest, auch um Status, Prestige, Macht, Einfluss, berufsständische Normen, Berufsethik, Sachverständigkeit und - Autonomie; letztere bedeute unter anderem, seine Entscheidungen in der Berufsausübung ohne externen Druck durch Anstellungsträger, Geldgeber und ähnliche potente Institutionen oder Personen treffen zu können. (Vgl. Galuske, 2007: 121ff.) Bourdieu nun war zeit seines Lebens, aber vor allem in seinen vehementen Auseinandersetzungen mit dem neoliberalen Zeit- und Zukunftsgeist einer der unnachgiebigsten, sich dabei auf die Geschichte der Menschheit, der Aufklärung und des Staatswesens stützender, Verteidiger von Autonomie, sei es in der Wissenschaft, sei es in der Kunst, sei es in der Sozialarbeit.

(g7) Bourdieu stellte sich damit gegen die gegenwärtig alltägliche Ökonomisierung, sprich: Verbetriebswirtschaftlichung, der menschlichen Kultur, insbesondere der helfenden Berufe. Bourdieu legte übrigens, wie Karl Kraus, größten Wert auf die Kritik der Worte, da diese durch Verschränkung von Sprechakten, sich selbsterfüllenden Prophezeiungen und Thomastheorem die Wirklichkeit miterschaffen. Insbesondere das allgegenwärtige alltagsökonomische Standardvokabular erachtete er als Orwellschen Neusprech. Darunter fiele für Bourdieu zum Beispiel die Verwendung des Begriffes "Co-ProduzentIn" statt "KlientIn". (Vgl. Galuske, 2007: 156.) Und das in aller Munde und in allen Vorschreibungen befindliche, die ansonsten strikt blockierten Finanzierungsquellen erschließende Abrakadabrazauberwort Case Management würde auch Bourdieu - care plan hin oder her - dem Neoliberalismus zurechnen. (Vgl. Galuske, 2007: 201ff.) Ebenso das andauernde, sich verselbständigende, sich von der Steigerung der Klientendienlichkeit oft und leicht abkoppelnde Reden von Qualitätsmanagement (inklusive TQM), Effizienz und Evaluation. (Vgl. Galuske, 2007: 345f.; 356ff.) In seiner Publikationsreihe Raisons d'agir hat Bourdieu diesem Thema vor allem zwei Schriften widmen lassen: Die Ökonomisierung des Politischen. New Public Management und der neoliberale Angriff auf den öffentlichen Dienst (Verfasser Alessandro Pelizzari) und Die Zweite Moderne - ein Markenartikel? Zur Antiquiertheit und Negativität der Gesellschaftsutopie von Ulrich Beck (Verfasser Volker Stork). Bourdieu sprach übrigens von "Menschenbankiers". Nicht zuletzt linke Gewerkschafter bezeichnete er so. Desgleichen seien heutzutage die Parteien wie Banken, die Parteisekretäre Bankiers. Rechte Bankiers, linke Bankiers, egal, Bankiers eben, Banken, Bankiers und kleine Bankangestellte. (Vgl. Leitner, 2002: 345) Derlei gebe es ebenso in den helfenden Berufen. Über "Evalopathie" hat übrigens ein Suchtforscher und Statistiker einige wohl ebenso interessante wie beachtete Aufsätze geschrieben und dabei auch darauf hingewiesen, wie vernichtend falsch Evaluierungen vonstatten gehen können, etwa wenn von professionellen Evaluierenden festgestellt wird, es gehe PatientInnen ohne Psychotherapie gleich gut wie mit beziehungsweise gar besser als mit. Bei solchen statistischen Befunden werden nämlich die unterschiedlichen Phasen der Erkrankung bzw. Gesundung völlig außer Acht gelassen. (Vgl. Uhl, 2007: 10f.)

(g8) Die Soziale Gruppenarbeit in Nachfolge Kurt Lewins findet selbstverständlich und bekanntlich bei Bourdieus Beschreibung von Feldwirkungen ihre Entsprechungen, ebenso, um noch einige der naheliegendsten Beispiele aufzuzählen, das akzeptierende alter Ego in Rogers klientenzentrierter Gesprächsführung, die Biographieforschung zum Zwecke von Empowerment, die Gemeinwesenarbeit, die Netzwerkforschung samt Netzwerkarbeit, die Sozialraumorientierung. Die Grunderkenntnis der letzteren, dass die Ursachen der Probleme nicht an den Problemorten zu finden sind, (vgl. Galuske, 2007: 288) ist übrigens auch bei Bourdieu so festgehalten, im Elend der Welt, in den Gegenfeuern, im Gewalterhaltungssatz.

für Helga Schicho, meine Frau


Verweise
1"Denn nicht auszuscheiden ist aus allem Kulturleben der Kampf. Man kann seine Mittel, seinen Gegenstand, sogar seine Grundrichtung und seine Träger ändern, aber nicht ihn selbst beseitigen. Er kann statt eines äußeren Ringens von feindlichen Menschen um äußere Dinge ein inneres Ringen sich liebender Menschen um innere Güter und damit statt äußeren Zwangs eine innere Vergewaltigung (gerade auch in Form erotischer oder karitativer Hingabe) sein. (...) Stets ist er da, und oft um so folgenreicher, je weniger er bemerkt wird. (...) Friede bedeutet Verschiebung der Kampfformen." (Weber, 1973: 512)
2Bourdieu war übrigens jede Art von Sadismus und SM zuwider, sowohl privat als auch intellektuell als auch sozial als auch politisch. (Vgl. Bourdieu, 2002: 10)
3S. Krippendorff, 1990: 113f.: "Wahnsinn solcher Dimensionen kommt man nicht modifizierend, nicht durch taktisch kluges Reformieren seiner Institutionen und gesellschaftlich verinnerlichte Werte bei, sondern nur durch den radikalen Entzug, nur durch ganz und gar untaktisches, nicht-kompromißlerisches Verhalten. Das enthält keine Überlebensgarantie (Schwejks Rettung aus mehreren lebensgefährlichen Situationen dankt er eher dem glücklichen Zufall bzw. des Autors Interesse am Überleben seiner Romanfigur für die nächsten Fortsetzungen), aber doch die berechtigte Erwartung, daß wirklich Neues nur entstehen kann, wenn der gesunde Menschenverstand sich in einer von Herrschaft, Bürokratie und struktureller Gewalt befreiten Gesellschaft real verwirklicht. Die äußere Gelegenheit kann nicht erzwungen werden (...) Diese Chance blieb nicht zuletzt deswegen mehr ein Traum von der Herrschaftsfreiheit, der Anarchie, weil es zu wenige Schwejks und zu viele Taktiker gab (und gibt), weshalb Hašek seinen Schwejk auch überleben bzw. weiterleben ließ als Hoffnung auf spätere Möglichkeiten."
4Die Politiker, so Bourdieu, "müssten damit aufhören, in der Logik der Global-Regel und des Global-Reglements zu denken, sonst läuft die beste Absicht der Welt Gefahr, den verfolgten Zielen strikt entgegengesetzte Resultate zu zeitigen. All das würde viel Klugheit, Bescheidenheit, Realitätskenntnis, Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge und für die kleinen Leute voraussetzen. Eine wahre Revolution wäre das!" (Bourdieu, 1997a: 42)


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Über den Autor

Egon Christian Leitner, Jg. 1961
egleitner@hotmail.com

  • Freier Schriftsteller
  • Studium der Philosophie und Klassischen Philologie. Kranken- und Altenpflege. Flüchtlingshilfe. Mitbegründer von Bourdieus Raisons d'agir in Österreich.
  • Derzeitige Projekte:
    Essay- und Interviewband Auswege, Roman: 12.000 Bemerkungen zur Grausamkeit, 1. Teil: Lebend kriegt Ihr mich nie, 2. Teil: Des Menschen Herz oder Der Staat der Guten. (Lauter Helden.)