soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 25 (2021) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/721/1338.pdf


Timna Langer:

Auswirkungen persönlicher Krisen von Sozialarbeiter*innen auf ihren Arbeitskontext


1. Einleitung

Persönliche Krisen sind Teil des menschlichen Lebens, die jedermann*frau treffen und alle Lebensbereiche berühren können. Auch Professionist*innen der Sozialen Arbeit erleben Krisensituationen, die naturgemäß nicht im privaten Bereich allein verbleiben. Darüber hinaus lässt sich in den Begegnungen mit Klient*innen die persönliche Dimension von Sozialarbeiter*innen nicht ausblenden. Ausgehend von diesen Überlegungen wird gefragt, wie Sozialarbeiter*innen eine persönliche Krise im Arbeitsalltag erleben und welche Auswirkungen sie in einer solchen Lebensphase auf ihren Arbeitskontext wahrnehmen. Mit speziellem Augenmerk auf die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und den Kontakt mit Klient*innen, wurden diese Auswirkungen anhand narrativer Interviews mit vier Sozialarbeiterinnen erhoben und mithilfe des offenen Kodierens ausgewertet.

Der Beitrag basiert auf den Ergebnissen meiner Bachelorarbeit mit dem Titel Auswirkungen persönlicher Krisen von Sozialarbeiter*innen auf ihren Arbeitskontext (2020), die an der FH St. Pölten unter Betreuung von FH-Prof. Mag. Dr. Monika Vyslouzil entstanden ist. Einleitend werden theoretische Grundlagen und das Forschungsdesign knapp skizziert, anschließend folgt die Darstellung der Ergebnisse der Datenerhebung entlang dreier Hauptkategorien: Der Einfluss persönlicher Krisen auf die Arbeitsfähigkeit, die Qualitätssicherung im Arbeitskontext sowie die benötigte Unterstützung. Zuletzt wird ein kurzes Resümee gezogen und ein Forschungsausblick gegeben.


2. Persönliche Krisen

Im Folgenden möchte ich mich auf die Definition der psychosozialen Krise von Gernot Sonneck stützen, die an die Überlegungen von Georg Caplan und Johan Cullberg angelehnt ist. Er beschreibt diese als

„den Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern.“ (Sonneck 2000: 15)

Diese Ereignisse und Lebensumstände sind Auslöser persönlicher Krisen. Was für die eine Person eine Krise verursacht, kann für jemand anderen völlig belanglos sein. Wichtig zu erwähnen ist dabei, dass der Krisenanlass nicht immer mit negativen Ereignissen einhergehen muss, auch positive Ereignisse können eine Belastung darstellen wie zum Beispiel die Geburt eines Kindes oder die bestandene Matura (vgl. Sonneck 2000: 37). Wichtig im Umgang mit Menschen in einer Krise ist – sowohl für professionelle als auch informelle Helfer*innen –, nicht wertend zu sein.

Neben der Subjektivität des Krisenauslösers wird auch die persönliche Krise subjektiv und daher unterschiedlich wahrgenommen. Dennoch gibt die Literatur Beispiele für eine Vielfalt von Gefühlen, die während einer persönlichen Krise erlebt werden können: Schock, Überforderung, Angst, Verzweiflung, Not, Niedergeschlagenheit, um nur einige zu nennen (vgl. ebd.: 29). Die Krise als Betroffene*r bestmöglich zu erkennen und damit umzugehen, gelingt nach Sonneck, indem die auftretenden Gefühle als Warnreaktionen erkannt und Überlegungen angestellt werden, was man selbstständig bewältigen kann, aber wo die Hilfe anderer benötigt wird (vgl. ebd.: 30). Sonneck verweist hinsichtlich des Krisenbewältigungsprozesses auf die wirkungsvolle Rolle der „stellvertretenden Hoffnung“ nach Johan Cullberg, die Angehörige und das soziale Umfeld einnehmen: Gerade zu Beginn der Krise geht es darum, Betroffene nicht allein zu lassen, Mitgefühl zu zeigen und ihren Gefühlen Raum zu geben. Die soziale Umgebung soll Betroffene in ihrer Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit unterstützen, sich selbst zu helfen (vgl. ebd.: 19). Eine große Hürde stellt in dieser Hinsicht die Scham dar, andere um Hilfe zu fragen oder Hilfe anzunehmen. Sie ist meist sehr groß, da eine Krise als persönliches Versagen wahrgenommen wird (vgl. ebd.: 30f.).


3. Das Spannungsfeld zwischen Professionist*in und Privatperson

Die wichtigste Aufgabe der Sozialen Arbeit ist, mit Klient*innen in einen gemeinsamen Aushandlungsprozess zu gehen und Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Grundlage dessen bildet die Kompetenz, empathisch zu sein, eine Beziehung herzustellen und Vertrauen aufzubauen. Dadurch, dass Sozialarbeiter*innen in ihrer Ganzheitlichkeit Klient*innen begegnen und die individuelle Persönlichkeit der Professionist*innen zu den Kernwerkzeugen ihrer beruflichen Praxis zählt, finden sich diese in der Beziehungsgestaltung immer wieder in einem Spannungsfeld von Nähe und Distanz wieder (vgl. Bodenmüller 2007: 111f.).

Sowohl in der Ausbildung der Sozialen Arbeit als auch in der beruflichen Praxis ist daher immer wieder von Grenzen die Rede. Der Ethikkodex der International Federation of Social Workers (IFSW) und International Association of Schools of Social Work (IASSW) spricht beispielsweise von der Grenze zwischen Berufs- und Privatleben. Doch wo liegt eigentlich diese Grenze für den*die einzelne*n Sozialarbeiter*in? Wer legt sie fest? Im Ethikkodex wurden die genauen Anforderungen an und Grundprinzipien von Sozialarbeiter*innen beschrieben. Darin wird deutlich, dass Sozialarbeiter*innen die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben erkennen und wahren sollen und die Verantwortung, sowohl beruflich als auch privat für sich selbst Sorge zu tragen, bei den einzelnen Sozialarbeiter*innen liegt (vgl. IFSW 2018: o.S.). Somit geben die ethischen Prinzipien auf die Frage, wer diese Grenze festlegt, eine eindeutige Antwort: der*die Sozialarbeiter*in selbst. Ein allgemein gültiges Rezept für das „effektive Abgrenzen“ gibt es somit nicht. Um dem Berufsethos entsprechend zu handeln, wird daher einerseits vorausgesetzt, dass Professionist*innen sich dieser Verantwortung annehmen und darauf achten, die „eigenen Grenzen“ wahrzunehmen und nicht zu überschreiten. Andererseits tragen auch Organisationen und Arbeitgeber*innen eine Mitverantwortung, indem sie Angebote zur Psychohygiene und Fürsorge, etwa in Form von Supervision, Intervision und Fortbildungen, realisieren.

Während Sozialarbeiter*innen bereits im normalen Berufsalltag diese Verantwortung tragen, können im Falle einer persönlichen Krise diese Grenze(n) aufgrund des Krisenerlebens verschwimmen. Daher habe ich in meinen Untersuchungen herausfinden wollen, wie Praktiker*innen die persönliche Krise im Berufsalltag erleben, wie die Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung sichergestellt und die Aufrechterhaltung einer professionellen Sozialarbeiter*in-Klienten*in-Beziehung gelingen kann.


4. Forschungsdesign

Zur Erhebung der Daten wurden vier narrative Interviews nach Fritz Schütze (1983) mit Sozialarbeiterinnen verschiedener Handlungsfelder geführt. Die Auswahl der Interviewpartner*innen geschah zufällig und ohne Berücksichtigung bestimmter Auswahlkriterien hinsichtlich des Geschlechts oder Alters. Lediglich Erfahrungen mit Krisen während einer sozialarbeiterischen Tätigkeit waren für die Auswahl ausschlaggebend.

Letztlich handelte es sich bei den interviewten Personen ausschließlich um Sozialarbeiterinnen, was insofern plausibel ist, als Soziale Arbeit ein weiblich dominierter Beruf ist. Die Altersspanne der Interviewpartnerinnen reichte von 25 bis 35 Jahren, die Berufserfahrung von etwa fünf bis zehn Jahren. Aufgrund der Covid-19-Krise fanden drei der vier Interviews über die Videoplattform Zoom statt.

Nach der Transkription der Interviews wurden die Daten durch die Methode des offenen Kodierens nach Anselm Strauss und Juliet Corbin (1999) ausgewertet. Durch das Kategorisieren und Konzeptualisieren der Gesprächsinhalte wird die Analyse der Daten strukturiert und anhand dessen können Interpretationen angestellt werden. Am Ende dieser Auswertung ergaben sich drei Hauptkategorien: Der Einfluss der Krise auf die Arbeitsfähigkeit, der Aspekt der Qualitätssicherung im Arbeitskontext und der Aspekt der Unterstützung.


5. Einfluss der Krise auf die Arbeitsfähigkeit

Die interviewten Sozialarbeiterinnen schilderten zu Beginn des Gesprächs ihre persönlichen Krisen und deren Anlässe und Auslöser. Bereits vor der Auswertung der Daten, im Laufe der Interviewführung, waren Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Art und Auslöser der Krise erkennbar: Alle Interviewpartnerinnen sahen sich durch den Verlust nahestehender Personen mit einer belastenden Situation konfrontiert, sei es etwa durch die Trennung nach einer langjährigen Beziehung oder durch den Tod eines*r Angehörigen. Diese Krisenauslöser deuten nach Sonneck (2000) darauf hin, dass es sich bei den Krisen meiner Gesprächspartnerinnen um sogenannte traumatische Krisen handelte. Dabei fühlen sich Betroffene durch das Eintreten eines plötzlichen, unerwarteten Ereignisses in ihrer psychischen Existenz, sozialen Identität und Sicherheit bedroht, verfallen in eine Schockphase und sind innerlich zerstreut (vgl. Sonneck 2000: 33).

Nachfolgend wird gezeigt, dass die persönliche Krise von Professionist*innen der Sozialen Arbeit einerseits die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen und gewisse Herausforderungen mit sich bringen kann, auf der anderen Seite dennoch positive Auswirkungen hat.


5.1 Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit

Die persönliche Krise kann insofern auf die Arbeitsfähigkeit einwirken, als dass die Konzentrationsfähigkeit, die Merkfähigkeit und die Aufmerksamkeitsfähigkeit sinken. Das aufmerksame Zuhören und ein interessiertes Nachfragen gelingen schlechter. Zudem war für die Interviewten eine geringere Aufnahmefähigkeit bemerkbar, die die Befragten im Gefühl ausdrückten, während der Beratungsgespräche geistig abwesend zu sein und sich nur schwer auf Klient*innen und die Schilderungen ihrer Lebenssituation einlassen zu können. Weiters zeigt die Analyse, dass Sozialarbeiter*innen innerlichen Stress und Nervosität spüren und während als auch nach der Arbeit sehr erschöpft sind. Grundsätzlich mangelt es an Energie und Arbeitsmotivation, da bereits kleine und simple Tätigkeiten als sehr energieaufwendig und anstrengend erlebt werden. Außerdem verstärkt sich das Gefühl der Ungeduld und die Verlässlichkeit sinkt, weshalb Betroffene vermehrt unpünktlich zu vereinbarten Terminen und zur Arbeit erscheinen. Hinzu kommt, dass sich psychische Belastungen auch psychosomatisch äußern können, Betroffene also mit körperlichen Beschwerden (z.B. Bauchschmerzen, Übelkeit) in die Arbeit gehen. Die Interviewpartnerinnen schilderten ihre Erfahrungen wie folgt:

„Ich konnt mich nicht konzentrieren in der Arbeit, es […] ging die ganze Zeit nur um mich. Die Klientinnen, ich hab die Klientinnen nicht aushalten können. Ich hatte sehr schlechte Nerven, ich war total weinerlich. […] Also ich hab jede Kleinigkeit sehr anstrengend gfunden, hat die Motivation total gfehlt. Ich weiß ich hab ständig auf die Uhr gschaut, wann die Gespräche endlich vorbei sind und ich habs auch sehr kurz ghalten und ich hab einfach die Energie nicht ghabt.“ (ITV1: 70–72;80–82)
„Ich war […] in der Situation total beschäftigt mit meinen Sorgen und Gedanken und war einfach nicht aufnahmefähig. […] Wies mir schon akut schlecht gangen is war ich, glaub ich, nicht mehr…nicht mehr wirklich gute Zuhörerin.“ (ITV3: 273–275; 281–282)

Wenn eine persönliche Krise von Betroffenen erst sehr spät als solche erkannt wird, kann es zu einer Überbelastung kommen, die sich auf die Gesundheit und das Immunsystem auswirkt. Im unangenehmsten Fall benötigt es daher eine längere Auszeit, z.B. in Form eines Krankenstandes. Eine Interviewpartnerin schilderte ihre Erfahrung: „Also das hab ich sehr lang, lange hab ich das ausghalten, und dann hats mich aber klatscht. Und dann bin ich eben zwei Wochen glegn.“ (ITV1: 393–394)


5.2 Einfluss der Krise auf die Arbeit mit Klient*innen

Während einer persönlichen Krise dauern Betreuungsgespräche kürzer und werden weniger intensiv als normalerweise erlebt. Die interviewten Sozialarbeiterinnen nehmen an, dass Klient*innen allerdings keine weiteren Veränderungen am Gegenüber wahrgenommen haben.

Im Gegensatz dazu fühlen sich Sozialarbeiter*innen in der Arbeit mit Klient*innen mit großen Herausforderungen konfrontiert. Aufgrund der Überschneidung der Lebenswelten kann eine Bandbreite an Emotionen bei Sozialarbeiter*innen aufkommen: Sowohl Wut als auch Neid, weil Klient*innen zu etwas fähig sind, was ihnen selbst derzeit nicht gelingt. Ein Beispiel dafür wäre, dass Nutzer*innen in einem Gespräch erzählen, dass sie sich mit ihrem*r Partner*in zusammenraufen, während der*die betreuende Sozialarbeiter*in zeitgleich mit der Trennung von der*dem Partner*in konfrontiert ist.

Darüber hinaus können betroffene Sozialarbeiter*innen einerseits Desinteresse gegenüber Klient*innen fühlen, da ihnen die Kraft fehlt sich um die Probleme anderer zu kümmern. Auf der anderen Seite ist es aufgrund der erhöhten Emotionalität auch möglich, dass das Mitgefühl für Klient*innen steigt und deren Erzählungen starke Erinnerungen und Emotionen hervorrufen. Die Erhebung ergab, dass sich Professionist*innen im Zuge dessen auch in Klient*innen wiedererkennen, sodass die Balance von Nähe und Distanz ins Wanken gerät. Eine Interviewpartnerin nannte dazu ein konkretes Beispiel: Sie war mit dem Ende einer langjährigen Beziehung konfrontiert und erkannte Ähnlichkeiten in der Biografie eines*r Klient*in: „In vielen Klienten hab ich bei bestimmten Themen [Namen des Ex-Freundes] gsehn oder so, oder hab mich in wirklich fast jeder Situation irgendwie reininterpretiert und hab das auf mich bezogen das Thema.“ (ITV2: 196–198)

Das kann in weiterer Folge dazu führen, dass aufgrund der eigenen Betroffenheit Persönliches in die Situation des*r Klient*in hineininterpretiert wird und so das sozialarbeiterische Handeln beeinflusst wird:

„Es kann gfährlich sein in dem Sinn, dass man dann sich zu sehr mit einer Seite identifiziert, mit der Seite, die man selbst erlebt, und dann da Dinge hinein interpretiert von seiner Gschichte, was drüberlegt und dann vielleicht gewisse Dinge übersieht und nicht mehr sieht… die andere Person vielleicht anders behandelt, also da kann schon eine Dynamik reinkommen.“ (ITV1: 235–239)

Daher ist Vorsicht geboten, wenn Sozialarbeiter*innen während einer persönlichen Krise Kriseninterventionen bei Betreuungskontakten durchführen, da die Gefahr besteht, als Betroffene*r zu nahe am Emotionserleben der Klient*innen dran zu sein.

Neben all diesen Aspekten kann der Klient*innenkontakt für Betroffene dennoch als Ressource dienen. Wenn es Betroffenen gelingt, die Krise einen Moment außen vor zu lassen und sich auf die Gesprächsinhalte zu fokussieren, kann die Arbeit mit Klient*innen erstens als Ablenkung erlebt werden. Zweitens kann die Konfrontation mit den Problemen der Nutzer*innen der Sozialen Arbeit zu einer objektiven Betrachtung der eigenen Lebenssituation führen, was als Entlastung erlebt wird und als Ressource in der Krisenbewältigung.


5.3 Kompetenzgewinn durch Krise

Empathie und Mitgefühl zählen bereits zu den grundlegenden Kompetenzen von Professionist*innen der Sozialen Arbeit. Das Erleben einer persönlichen Krise birgt dahingehend die Chance, an dieser zu wachsen und das Einfühlungsvermögen und somit die sozialarbeiterische Kompetenz zu vertiefen und zu erweitern. Eine Interviewpartnerin bemerkte dazu:

„Man lernt das zwar in Gesprächsführung, es gibt für alles gute Gründe, jeder hat seine Geschichte, man soll da verstehen und wertschätzend, akzeptierend usw. ahm…aber ich glaub, erst dann, wenn man dann selber so ein Gspür kriegt hat ‚oh Gott, wie fühlt sich das an‘, kann man das auch so richtig verstehen.“ (ITV1: 280–283)

Durch das persönliche Erleben und die Bearbeitung einer Krise eröffnen sich für betroffene Professionist*innen neue Perspektiven, sie können gewisse Dynamiken und Hintergründe besser verstehen und werden sensibilisiert für die Gefühlswelt und das Emotionserleben von Nutzer*innen der Sozialen Arbeit in Krisensituationen. Daraus folgt, dass Sozialarbeiter*innen sich nicht nur besser in Klient*innen hineinversetzen und ihr Verhalten besser nachvollziehen können, sondern auch, dass sozialarbeiterische Interventionen und die Hilfeplanung gezielter abgeschätzt werden können.


6. Qualitätssicherung

Im Folgenden werden präventive Maßnahmen angeführt, die gesetzt werden können, um die Arbeitsfähigkeit während einer belastenden Lebenssituation von Sozialarbeiter*innen zu erhalten und die Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung bestmöglich zu sichern.


6.1 Richtiger Umgang mit Klient*innen

Die Auswertung der Interviews zeigt, dass es notwendig ist, die persönliche Krise offen und transparent mit Klient*innen zu kommunizieren, um die Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung während einer krisenhaften Lebensphase von Sozialarbeiter*innen zu erhöhen. Eine Interviewpartnerin erzählte dazu:

„Ich hab das halt dann auch mit den Klienten und Klientinnen geklärt. […] Ich war damals schon relativ offen mit dem, wies ma geht, den Klienten und Klientinnen gegenüber, also wenn mich jetzt wer gfragt hat ‚Wie geht’s dir?‘ und mir is nicht gut gangen, dann hab ich nicht ‚gut‘ gsagt.“ (ITV3: 108–112)

Das bedeutet jedoch nicht, dass die gesamte Lebenssituation und das Emotionserleben von Sozialarbeiter*innen an Klient*innen herangetragen wird. Es könnte auf diese Weise zu einer Rollenumkehr von Sozialarbeiter*in und Klient*in kommen, in weiterer Folge Klient*innen verunsichern und für sie die Frage aufwerfen, ob Sozialarbeiter*innen noch in der Lage sind, sich auf ihre Situation konzentrieren und bestmöglich handeln zu können. Aber „[n]atürlich sollen sie merken, dass wir nur Menschen sind und unsere Fehler haben oder Probleme, wenn es uns nicht gut geht, aber grundsätzlich sollen sie das Gfühl haben, die können sich auf mich verlassen“ (ITV1: 172–174).

Daher ist es wichtig, dass Sozialarbeiter*innen Klient*innen indirekt darüber informieren, dass es ihnen nicht gut geht, indem sie beispielsweise Müdigkeit oder Stress als Grund für ein verkürztes Gespräch nennen:

„Wenn ich mir an dem Tag denk ‚boah heut kann ich mich ganz schwer konzentrieren‘, dann frag ich auch öfter nach und sag ihnen ‚tut ma leid, ich hab heut ganz schlecht gschlafen, es kann sein, dass ich öfter nachfrag, ich bemüh mich eh sehr, aber verzeihns ma bitte, wenn ich heut ein bisschen abwesend wirk‘.“ (ITV1: 154–160)

So kann auch die Privatsphäre der Professionist*innen gewahrt bleiben. Je näher die professionelle Beziehung zwischen Sozialarbeiter*in und Klient*in ist, desto mehr wird das Emotionserleben von Sozialarbeiter*innen kommuniziert. Der Grad der Transparenz hängt also auch von der Intensität der Beziehung ab:

„[E]s gibt Klienten, Klientinnen, die betreu ich mittlerweile seit Jahren. […] Und da is man dann schon viel vertrauter im Umgang und ich glaube schon, dass bei Klienten, die ich so lange schon betreu, […] da kann ich auch ehrlicher sein, im Sinne von ‚heute geht’s mir schlechter‘.“(ITV1: 187–191)

Die Interviewpartnerinnen haben allesamt die Erfahrung gemacht, dass dieser wertschätzende Umgang auf viel Verständnis bei den Klient*innen stößt. Hinzu kommt, dass diese Form der Transparenz Sozialarbeiter*innen selbst enorm entlastet, weil der Druck fällt, perfekt funktionieren zu müssen und Emotionen (z.B. trauriges Gesicht) zu verstecken.


6.2 Selbstfürsorge als präventive Maßnahme zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit

Um im Falle einer persönlichen Krise die Arbeitsfähigkeit bestmöglich zu erhalten und eine Überlastung zu vermeiden, können individuell unterstützende Schritte schon präventiv überlegt und gesetzt werden. Solch ein unterstützender Schritt könnte sein, sich regelmäßig Freiräume zu nehmen, einerseits um in dieser Zeit den eigenen persönlichen Bedürfnissen nachzugehen, andererseits um den Ist-Stand des eigenen Befindens zu reflektieren und im Zuge dessen gegebenenfalls Warnsignale, etwa psychosomatische Beschwerden oder mangelnde Konzentrationsfähigkeit, zu erkennen. Die Analyse zeigt, dass es mithilfe dieser gezielten und kontinuierlichen Selbstfürsorge besser gelingen kann, im Falle einer persönlichen Krise die eigene Belastungskapazität und die Arbeitsfähigkeit besser einzuschätzen und je nach individuellem Bedarf Unterstützung zu holen.


7. Rolle der Arbeit in der Krisenbewältigung

Im Laufe der Datenerhebung konnten drei wesentliche Aspekte hinsichtlich der Rolle der Arbeit für Sozialarbeiter*innen in einer krisenhaften Lebensphase herausgearbeitet werden. Die Arbeit kann als Ablenkung, als Stütze, aber in seltenen Fällen auch als zusätzliche Belastung erlebt werden.

Als Stütze kann die Arbeit während der Krisenbewältigung vor allem dann betrachtet werden, wenn die Tätigkeit grundsätzlich Freude bereitet und Betroffene sich in der Einrichtung sehr gut eingebettet und wohl fühlen. Hier sei der Aspekt der Selbstwirksamkeit hervorgehoben: das Gefühl, etwas alleine zu schaffen, handlungsfähig zu sein und etwas zu bewirken, wird in einer krisenhaften Lebensphase als großes Bedürfnis erlebt, das durch die Arbeit gestillt werden kann: „Die Arbeit ist auch das, was mir Kraft gibt und mich durch schwierige Zeiten durchträgt, weil ich weiß, das kann ich, da kann ich was tun, da kann ich was bewirken und dadurch geht’s mir dann auch besser.“ (ITV1: 213–215)

Ähnlich kann die Arbeit als Ablenkung von einer schwierigen Lebenssituation empfunden werden. Da Betroffene bereits außerhalb der Arbeitszeit mit der Krisenbearbeitung konfrontiert sind, können Aufgaben und das Vertiefen in diese unterstützend wirken: „Also das war dann eh die akute Phase der Krise, ahm, da wars dann tatsächlich so: die Arbeit hat mich abgelenkt, das war gut. Ich hab das Gfühl ghabt, während ich Telefonate gführt hab, während ich gschrieben hab, is gangen.“ (ITV1: 88–90) Betroffene in einer krisenhaften Lebensphase, in der viel Chaos herrscht, verspüren auch oft das Bedürfnis nach einer gewissen Struktur und einem Plan – was die Arbeit geben kann.

Arbeit kann jedoch auch als zusätzliche Belastung erlebt werden. Wenn Betroffene durch die berufliche Tätigkeit an den eigenen schwierigen Lebensumstand erinnert werden oder im Laufe des Arbeitstages Gedanken an die eigene Krise aufkommen, kostet es sehr viel Energie und Anstrengung, zu „funktionieren“ und sich auf die Arbeit zu konzentrieren.

Obwohl die Arbeit zum einen unterstützend und ablenkend und zum anderen zusätzlich belastend auf das Krisenerleben einwirken kann, lässt die Analyse der Daten die Schlussfolgerung zu, dass der Arbeitsplatz und die mit der Arbeit einhergehenden Tätigkeiten im Großen und Ganzen eine Ressource darstellen. Auffällig war, dass diejenigen, für die die Arbeit an manchen Tagen eine Belastung darstellte, jene Sozialarbeiterinnen waren, die kaum Unterstützung seitens der Organisation oder Kolleg*innen erfahren haben. Daher scheint das Maß an Unterstützung in direktem Zusammenhang damit zu stehen, ob die Arbeit unterstützend oder belastend für Betroffene wahrgenommen wird. Auf den Aspekt der Unterstützung und die Rolle der Einrichtung wird daher nun näher eingegangen.


8. Unterstützung

Die Erhebung hat gezeigt, dass betroffene Sozialarbeiter*innen trotz erschwerter Umstände weiterhin ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen möchten. Dafür ist jedoch unter anderem eine begleitende Maßnahme zum Erhalt der psychischen Gesundheit von Mitarbeiter*innen wichtig – auch um die Arbeitsfähigkeit und die Qualität der Sozialarbeit bestmöglich zu erhalten. Es steht jedoch außer Zweifel, dass es in einer akuten Phase der Krise, wenn die Arbeit durch das Vorherrschen starker Emotionen nicht bewältigbar ist, wichtig ist, sich eine Auszeit zu nehmen und z.B. in Krankenstand zu gehen.


8.1 Rolle der Arbeitgeber*innen

Ebenso wie sich die Krisenauslöser und das Krisenerleben subjektiv von Person zu Person unterscheiden, gestaltet sich auch die Bewältigung und der Umgang mit der belastenden Lebensphase individuell. Aus diesem Grund lässt sich schwer verallgemeinern, ob Betroffene ihren Lebensumstand dem*r Arbeitgeber*in kommunizieren möchten oder nicht. Dennoch konnte im Laufe der Datenerhebung ein wesentlicher Grund herausgearbeitet werden, der für Betroffene für eine Offenlegung der aktuell belastenden Lebenssituation gegenüber Leitungspersonen spricht: Die Angst, dass Vorgesetzte Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit oder weitere Auffälligkeiten, etwa Stress oder Nervosität, feststellen könnten.

„Ich glaub, ich hätt das damals meinem Abteilungsleiter sagen sollen, ahm, dass mir nicht gut geht. […] Also einfach nur ums loszuwerden ihm gegenüber und dass er, sollte [er] irgendwie Mängel oder fehlende Motivation bei mir merken, dass er Verständnis hat, warum das grade bei mir der Fall ist.“ (ITV2: 141–144)
„Also den Raum hab ich mir genommen. Weils mir wichtig war, dass ich jetzt nicht herumrenn und unsicher bin: ‚Was denken sich jetzt die?‘ Das konnte ich transparent machen.“ (ITV4: 309–311)

Entsprechend wichtig ist es, als Arbeitgeber*in Mitarbeiter*innen im Falle einer persönlichen Krise mit Wertschätzung und Verständnis und möglichst wertfrei zu begegnen. Derart kann ein sicherer Rahmen entstehen, der es Betroffenen erleichtert ihre Bedürfnisse zu äußern.

In einem Austausch können die Wünsche und Vorstellungen der Arbeitnehmer*in und Leitungsperson kommuniziert werden, um im nächsten Schritt konkrete Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeiten zu besprechen. Diese gestalten sich sehr individuell: Manche Personen benötigen während einer persönlichen Krise Nähe und intensive professionelle Begleitung, andere wiederum möchten diese möglichst alleine bewältigen und eine gewisse Distanz zur Leitungsebene wahren. Dennoch steht außer Zweifel, dass das Wissen, sich gegebenenfalls Unterstützung holen zu können, entlastend und unterstützend wirkt. Eine interviewte Person schilderte ihre Wünsche an (Team-)Leitungspersonen der Organisation:

„[D]as ernst zu nehmen, wenn man […] ein Problem äußert, oder man meint, man weiß in der Situation selbst, was einem gut tut, also sei es Stundenreduktion, sei es irgendwelche Maßnahmen, die man braucht, damits einem wieder besser gehen kann. Dass die einen da unterstützen und nicht da Steine einen in den Weg räumen. […] Und dass das […] vertraulich behandelt wird, eh ganz klar. Und […] [d]ass sie mir eben auch Möglichkeiten anbieten.. Also dass da einfach ein gemeinsames Hinarbeiten ist ‚Wie kanns mir besser gehen?‘ und dass ich mich nicht ganz allein glassen fühl mit der Situation.“ (ITV2: 552–558; Herv. d. Verf.)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es die Offenheit seitens der Institutionen benötigt und dass bei Betroffenen erfragt werden sollte, inwiefern diese individuell unterstützt werden können.


8.2 Rolle der Kolleg*innen und des Teams

Die Interpretationen der Interviews erlauben die Schlussfolgerung, dass das Vertrauen zwischen den Kolleg*innen ausschlaggebend dafür ist, ob Persönliches miteinander geteilt wird oder nicht. Je enger und vertrauter die Beziehung zwischen Kolleg*innen ist, desto mehr tauschen diese sich aus und können Unterstützung anbieten.

Wenn Sozialarbeiter*innen nur schwach in Teamstrukturen eingebettet sind und der persönliche Austausch nur gering stattfindet, sind Betroffene mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. In dem Fall können Gefühle von Neid und Eifersucht gegenüber Kolleg*innen, denen es scheinbar besser geht, aufkommen und in Frust über die Situation enden, der sich in Form von Gereiztheit äußert:

„Es gab auch eine Kollegin, die so ein richtiger Sonnenschein war, also sich so dargestellt hat. Und die ist mit mir im Büro gesessen und neben ihr hab ich mich erst recht dunkel und traurig gefühlt. […] Gleichzeitig hab ich mich so geärgert, dass ich nicht aus mir heraus kann [..] und dass ich da jetzt schon wieder wie so ein trauriger Schluck Wasser da sitz […] und nix machen kann. Und ich war halt auch angfressn, weils den anderen gut geht und mir nicht.“ (ITV4: 250–252; 349–352)

Folglich greifen Betroffene verstärkt auf Ressourcen und ihr Netzwerk außerhalb des Arbeitsumfeldes zurück. Das kann auch heißen, dass sie in der Arbeitszeit telefonisch und schriftlich per Mail oder Textnachrichten mit Freund*innen und Familie in Verbindung stehen. Hieraus ergibt sich, dass die mangelnde Einbettung im Team dazu führt, dass Unterstützung durch Kolleg*innen sowohl nur sehr gering angeboten als auch angenommen wird.

„Ich glaub ich hab mich gwundert (lacht), dass mich nicht mehr Menschen drauf angsprochen haben, weil ich wirklich nicht gut beinand war zu der Zeit, aber […] ich glaub vielleicht wollt mir niemand damals auch zu nahe treten und eben auch weil ich noch nicht so lang dabei war oder so.“ (ITV2: 350–353)

Zudem wird das Zeigen von Emotionen und das Mitteilen der aktuell belastenden Situation als große Scham erlebt. So gab eine Interviewte an:

„Das hat ja immer auch etwas mit Schwäche zu tun, wenn man von sich etwas erzählt, wenns einem nicht gut geht. […] Man möchte ja immer stark sein, man möchte ja immer gut sein, man möchte ja immer super drauf sein.“ (ITV1: 430–433)

Durch das Verstecken und Verheimlichen der persönlichen Krise wird die notwendige Unterstützung nicht geholt bzw. auch nicht angeboten, da Kolleg*innen gar nicht wissen, dass es Betroffenen nicht gut geht. Vor allem Anfänger*innen und neue Kolleg*innen fühlen sich stark mit dieser Scham und Herausforderung konfrontiert. Das bedeutet, dass ein Weg im beruflichen Alltag gefunden werden muss, um zu entstigmatisieren, damit Betroffene während der krisenhaften Lebensphase Unterstützung erfahren können.

Ein Weg könnte sein, dem Wohlbefinden von Mitarbeiter*innen bewusst Platz im Arbeitsalltag einzuräumen. Eine der vier Interviewpartnerinnen berichtete von dem Umgang mit persönlichen Krisen in der Einrichtung, in der sie arbeitete. In der wöchentlichen Teamsitzung wird stets Zeit für den Austausch im Team über das aktuelle Befinden der Mitarbeiter*innen eingeplant. Themen, die sie beschäftigen, aber auch simple Dinge wie eine kurze Erzählung vom Wochenende finden dort einen Platz. Zunächst senkt dieser offene Umgang die Hemmschwelle enorm, die Krise nach außen zu kommunizieren, weil jedem*r Mitarbeiter*in derselbe Raum gegeben wird, Persönliches zu teilen. Betroffene geraten somit nicht zu sehr in den Vordergrund, was ohnehin als unangenehm erlebt wird. Besonders der präventive Effekt sollte hier auch nicht unterschätzt werden: Durch einen offenen Austausch können Kolleg*innen und Arbeitgeber*innen krisenhafte Symptome schneller erkennen, darauf reagieren und Unterstützung anbieten.

Daneben bietet die offene Kommunikation Chancen für Neueinsteiger*innen: Wenn sich auch andere Kolleg*innen öffnen, man sich untereinander besser kennenlernen kann und merkt, dass auch eigene Themen Platz finden, sinkt die Hemmschwelle, aktuell belastende Umstände, Stress oder im schlimmsten Fall die persönliche Krise im Team anzusprechen. Dieser Austausch kann je nach Bedarf fünf Minuten bis zu einer Dreiviertelstunde dauern, auf jeden Fall sollte sich die Organisation so viel Zeit nehmen, wie benötigt wird. Daher sollten Kapazitäten in einer Einrichtung geschaffen werden, die es Mitarbeiter*innen ermöglichen, auf diese Art und Weise die Arbeit bewältigbar zu machen.

Kolleg*innen können Betroffene dahingehend unterstützen, dass sie Angebote der Arbeitsaufteilung und der Abnahme von Arbeit machen. Ähnlich wie bei dem*r Vorgesetzten ist es für Betroffene bereits eine Entlastung, zu wissen, dass man sich an Kolleg*innen wenden und Unterstützung holen kann. Darüber hinaus steht das Bedürfnis des Zusammenhalts bzw. des Nicht-alleine-Seins für Sozialarbeiter*innen während einer persönlichen Krise im Vordergrund. Vor allem das Gefühl, Emotionen nicht verstecken zu müssen, authentisch bleiben zu können und der ehrliche Umgang untereinander werden als Entlastung erlebt.


8.3 Vereinbarkeit von Arbeit und Krise

Die Analyse zeigt, dass es während einer persönlichen Krise notwendig und unterstützend ist, den Arbeitsalltag möglichst unbürokratisch und spontan umzugestalten. Im Falle der Überbelastung können Betroffene Krankenstand über ihre*n Hausärzt*in nehmen. Arbeitsrechtlich sind in Kollektivverträgen Dienstverhinderungsgründe festgelegt, die zum Beispiel im Falle eines Todes einer nahestehenden Person eine Entgeltfortzahlung sichern. Hingegen stehen Arbeitnehmer*innen bei anderen Krisenursachen, wie etwa der Trennung nach einer langjährigen Beziehung, keine Unterstützungen zu (vgl. WKO 2020: o.S.). Es hängt daher von der Bereitschaft des*r Arbeitgebers*in ab, dass Mitarbeiter*innen in solch belastenden Lebensphasen entgegengekommen wird. Konkret erleben Betroffene die Reduktion der Arbeitsstunden, das frühere Dienstende oder einen spontanen Urlaub als Erleichterung. Während der Arbeitszeit wird es als hilfreich erlebt, mehr Pausen zu nehmen, um zwischendurch Kräfte zu sammeln, und generell dort zu arbeiten, wo es für betroffene Sozialarbeiter*innen individuell als am wenigsten belastend empfunden wird (z.B. ein paar Stunden im Homeoffice oder vermehrt im Backoffice zu arbeiten, um den Klient*innenkontakt vorübergehend zu reduzieren; weniger Hausbesuche oder generell mehr Begleitungen zu übernehmen).

Je länger die persönlich belastende Lebensphase jedoch andauert, umso schwieriger ist es, diese mit der Arbeit zu vereinbaren, da Arbeitgeber*innen aus ökonomischer Sicht und aufgrund der Verantwortung gegenüber der Einrichtung sicherstellen müssen, dass die Arbeitsfähigkeit und -leistung nach einer gewissen Zeit wiederhergestellt werden.


8.4 Supervision

Neben Supportangeboten des Teams und der Leitungsperson wird auch die Möglichkeit von Gesprächen mit außenstehenden Personen als hilfreich erachtet, zum Beispiel in Form von Supervision. In diesem Rahmen können nicht nur arbeitsspezifische Themen besprochen werden, sondern auch Persönliches kann Platz finden. Gemeinsam mit dem*r Supervisor*in können nicht nur Bewältigungsstrategien hinsichtlich des Umgangs mit der persönlichen Krise während der Arbeitszeit thematisiert werden, sondern auch die eigenen Trigger, ausgelöst durch Gesprächsinhalte in Betreuungskontakten. In diesem Reflexionsprozess können eigene Anteile erkannt werden, was ein fahrlässiges Handeln verhindern kann. Die Supervision kann somit nicht nur bei der individuellen Krisenbewältigung hilfreich sein, sondern auch die Arbeitsfähigkeit und Qualität der Betreuung erhöhen.


9. Resümee

Zielsetzung der Forschungsarbeit war, die Auswirkungen persönlicher Krisen von Sozialarbeiter*innen auf ihren Arbeitskontext festzustellen. Im Laufe der Datenerhebung konnten dahingehend drei wesentliche Aspekte herausgearbeitet werden: Die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, die Notwendigkeit einer Unterstützung durch die Organisation und zuletzt die Frage nach der Erhaltung der Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung.

Wie die Untersuchung zeigt, ist die Arbeitsfähigkeit während einer persönlichen Krise deutlich beeinträchtigt – was von mangelnder Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit bis hin zu Desinteresse gegenüber den Klient*innen reichen kann. Zudem besteht die Gefahr, aufgrund der eigenen Betroffenheit von Gesprächsinhalten getriggert zu werden und eigene Anteile in die Schilderungen von Klient*innen hineinzuinterpretieren. Hier könnte es zu einer Beeinträchtigung der Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung kommen. An dieser Stelle spielt daher die Unterstützung seitens der Leitungsebene und der Teamkolleg*innen eine wesentliche Rolle: Je mehr Unterstützungsmaßnahmen seitens der Kolleg*innen und des*r direkten Vorgesetzten zumindest angeboten werden und je mehr die persönliche Krise einen Raum in der Einrichtung finden kann, desto wahrscheinlicher können der Arbeitsalltag und die Arbeitsfähigkeit aufrecht erhalten bleiben. In weiterer Folge bedeutet das, dass somit auch die Qualität sichergestellt werden kann. Natürlich spielt bei der Erhaltung der Qualität nicht ausschließlich die Organisation eine Rolle, sondern auch weitere persönliche Faktoren. Die individuellen Krisenbewältigungsstrategien und Umgangsformen sowie die Resilienz von betroffenen Sozialarbeiter*innen sind ebenso ausschlaggebend.

Zur Erhebung selbst sei an dieser Stelle noch Folgendes angemerkt: In meiner Forschung habe ich ausschließlich Sozialarbeiterinnen interviewt. Da anzunehmen ist, dass männliche Kollegen aufgrund ihrer Sozialisation einen anderen Umgang mit belastenden Lebenssituationen erlernt haben, wäre es spannend, weiterführende Untersuchungen zum Zusammenhang von Geschlecht und Krisenbewältigungsstrategien durchzuführen. Darüber hinaus könnte eine Erhebung mit einer größeren Varietät hinsichtlich des Alters und der Berufserfahrung der Interviewpartner*innen wertvolle Erkenntnisse liefern. Es ist zu vermuten, dass die Divergenz des Alters der Sozialarbeiter*innen mit unterschiedlichen Krisenauslösern einhergeht.

Zu guter Letzt möchte ich nochmals die (Mit-)Verantwortung von dienstgebenden Einrichtungen betonen. Wie die Ergebnisse zeigen, kann die Arbeitsfähigkeit durch die Unterstützung beziehungsweise das Angebot von Arbeitgeber*innen eher erhalten bleiben. Folglich kann auch die Qualität der sozialarbeiterischen Betreuung sichergestellt werden, was demnach auch im Interesse der Institution liegt. Doch nicht nur die Organisationen sollten ausreichend Ressourcen schaffen. Auch die Politik muss Rahmenbedingungen etablieren, die es Arbeitgeber*innen ermöglichen, flexibel und individuell betroffene Sozialarbeiter*innen zu unterstützen. So könnte auch der Beruf der Sozialen Arbeit attraktiver gestaltet werden.


Literatur

Bodenmüller, Martina (2007): Sozialberufe zwischen Arbeit und Privatleben. In: Hering, Sabine (Hg.in): Bürgerschaftlichkeit und Professionalität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 109–114.

IFSW – International Federation of Social Workers (2018): Global Social Work Statement of ethical principles. https://www.ifsw.org/global-social-work-statement-of-ethical-principles/ (28.02.2021).

Klosinski, Gunther (1999): Krise. In: Auffarth, Christoph/Bernard, Jutta/Mohr, Hubert/Imhof Agnes/Kurre, Silvia (Hg.innen): Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien. Bd. 1. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 261.

Schütze, Fritz (1983): Biographieforschung und narratives Interview. In: Neue Praxis. Kritische Zeitschrift für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, 13, S. 283–293.

Sonneck, Gernot (2000): Krisenintervention und Suizidverhütung. Wien: UTB Facultas.

Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet (1999): Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz, S. 43–55.

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2020): Persönliche Dienstverhinderungsgründe. Begriff – Rechtsprechung – Kollektivverträge – Personengruppen. https://www.wko.at/service/arbeitsrecht-sozialrecht/Persoenliche_Dienstverhinderungsgruende.html (17.01.2021).


Interviewverzeichnis

ITV1 – Interview, geführt von Timna Langer mit einer Sozialarbeiterin des Handlungsfeldes „Kinder, Jugend und Familie“, 11.03.2020, Transkript, Zeilen durchgehend nummeriert.

ITV2 – Interview, geführt von Timna Langer mit einer Sozialarbeiterin eines Handlungsfeldes, in dem es um längerfristige Betreuungskontakte geht; per Videotelefonie, 20.03.2020, Transkript, Zeilen durchgehend nummeriert.

ITV3 – Interview, geführt von Timna Langer mit einer Sozialarbeiterin des Handlungsfeldes „Kinder, Jugend und Familie“ per Videotelefonie, 29.03.2020, Transkript, Zeilen durchgehend nummeriert.

ITV4 – Interview, geführt von Timna Langer mit einer Sozialarbeiterin des Handlungsfeldes „Materielle Grundsicherung – Wohnungslosenhilfe“ per Videotelefonie, 03.04.2020, Transkript, Zeilen durchgehend nummeriert.


Über die Autorin

Timna Langer
timna.langer@gmail.com

Angestrebter Abschluss des Bachelorstudiums Soziale Arbeit an der FH St. Pölten im Juni 2021; Vorsitzende der Studienvertretung des Department Soziales der ÖH FH St. Pölten.
Interessensschwerpunkte: Empowerment und Begleitung von Mädchen* und jungen Frauen*; Soziale Arbeit mit älteren Menschen; Begleitung und Beratung (pflegender) Angehöriger.